Kunst schlägt Couture: Das Concertgebouworkest Amsterdam beginnt Residence in der Philharmonie Essen

Martin Fröst (Klarinette), Alain Altinoglu (Dirigent) und das Concertgebouworkest in der Philharmonie Essen. (Foto: Sven Lorenz/TuP)

Wir kennen das noch aus so mancher Altherrenkritik: Wenn Damen aufs Podium traten, war die Garderobe mindestens so rezensabel wie die künstlerische Leistung. Das war manchmal eine hinterlistige Methode der indirekten Kritik, oft aber bloß purer Ausdruck von Sexismus.

Der genugtuenden Gerechtigkeit halber sei’s gesagt: Der Anzug des Klarinettisten Martin Fröst mit seinen weiß konturierten Kanten war so stylish, dass er eine Erwähnung wert ist.

Doch auch in diesem Fall muss die Couture hinter die Kunst zurücktreten: So viel spielerische Souveränität auf der Klarinette soll jemand erst einmal nachmachen! Was Fröst wie selbstverständlich aus seinem Instrument in den seltsam lückenhaft besetzten Saal der Essener Philharmonie entlässt, ruft in jedem Moment Staunen hervor, begeistert in den perfekt tragenden Piano-Nuancen ebenso wie in der kristallinen Artikulation und der atemberaubenden Behendigkeit. Das „Dance Mosaic“, das er zusammen mit seinem Bruder Göran zusammengestellt hatte, ist Virtuosenmusik vom Feinsten: Sie befriedigt die unbändige Lust an der Show, geht jedoch auch in die Tiefe – mit Bearbeitungen von Brahms- und Bartók-Originalen, mit Zeitgenössischem von Anders Hillborg und einem Klezmer-Tanz von Göran Fröst. Pure Lust, purer Genuss, und das für Ohr und Geist!

Martin Fröst ist Artist in Residence des Concertgebouworkest und also solcher Gast beim opulenten Sinfoniekonzert, mit dem das traditionsreiche Amsterdamer Orchester seine Residenz in der Philharmonie Essen begonnen hat. Fünf Konzerte folgen noch, davon drei in kammermusikalischen Formationen: Schon am Samstag, 1. Oktober, präsentieren sich die Bläser des Orchester unter dem Namen „RCO Brass“ mit einem bunten Programm von Alexander Borodin bis Jean-Philippe Rameau. Im nächsten Orchesterkonzert am 27. Januar 2023 dirigiert John Eliot Gardiner die Brahms-Sinfonie Nr. 4 und das Zweite Klavierkonzert mit Stephen Hough als Solisten.

Víkingur Ólafsson. (Foto: Sven Lorenz/TuP)

Diesmal war ein anderer Pianist am Zug: Víkingur Ólafsson stellte sich als Porträtkünstler der Philharmonie mit Edvard Griegs a-Moll-Klavierkonzert vor. Auch er wird mehrere Male verschiedene Facetten seiner Meisterschaft vorführen, demnächst schon, am 26. Oktober, mit dem – Griegs Konzert eng verwandten – a-Moll-Konzert von Robert Schumann mit der Tschechischen Philharmonie unter Semyon Bychkov. Dass der Isländer nicht nur am Flügel beredt zu parlieren weiß, bewies er nach dem Konzert im RWE-Pavillon mit einer geistvollen Stunde rund ums Klavier.

Melancholie und Entschiedenheit

Òlafssons Grieg verliert sich nicht in Romantizismus oder Schwärmerei, huldigt auch nicht dem bloß Lyrischen. Schon die Dreiklänge des Beginns setzen eine entschiedene Geste, aber wenn das Klavier das zweite Thema des Orchesters wiederholt, kommt Ólafsson ins Nachsinnen, spielt mit gelösten Akkordbrechungen, als wandle er absichtslos auf herbstlich beleuchteten Pfaden. Seine Melancholie wird nicht bitter; das Orchester antwortet leidenschaftlich, aber nicht laut – Alain Altinoglu hat in jedem Moment, auch im kraftvollen Finale die Zügel in der Hand. Wenn der Pianist schließlich das Thema in der Reprise formuliert, wählt er ein ruhiges Tempo, aber einen klar fokussierten Anschlag. Im zweiten Satz gelingt Ólafsson mit seinem Gespür für den richtigen Puls der Zeit ein glücklicher Moment ruhevoller Gelöstheit; aber auch hier hütet er sich durch seinen markanten Anschlag vor Sentiment. Der dritte Satz reizt zwischen Härte und Delikatesse alle expressiven Möglichkeiten aus.

Verdienter Beifall für Víkingur Ólafsson, Alain Altinoglu und das Amsterdamer Concertgebouworkest. Foto: Sven Lorenz/TuP

Im Orchester zeigen die samtgoldenen Streicher, dass sie auf dem Weg sind, ihre einzigartige Spielkultur wiederzugewinnen. Auch die sorgsam abgestimmte Streicher-Bläser-Balance und die Aufmerksamkeit der Hörner etwa im zweiten Satz sorgen für magische Momente. Dass zu dieser Palette auch eine gehörige Portion Artistik gehört, lässt sich das Concertgebouw nicht zwei Mal signalisieren: Der rasante Einstieg mit John Adams „Short ride in a fast machine“ zeugt davon ebenso wie die saftigen Rhythmen in Leonard Bernsteins beifallssicheren Tänzen aus der „West Side Story“. Ein fulminanter Einstieg in die Saison – so darf es gerne weitergehen.

Info: https://www.theater-essen.de/philharmonie/




Poetische Reise durch romantische Gefühlsgefilde: Ein Abend mit Sofja Gülbadamova in Haus Martfeld in Schwelm

Haus Martfeld, ein auf eine kurkölnische Burg zurückgehendes Rittergut, heute im Besitz der Stadt Schwelm und soeben für eine gute Million saniert, begrüßt in seinem Saal vier Mal pro Saison eine kleine, feine, von Mäzenatentum getragene Kammermusikreihe, künstlerisch verantwortet von Liviu Neagu-Gruber, Geiger im Wuppertaler Sinfonieorchester.

Sofja Gülbadamova. Foto: Evgeni Evtyukhov

Sofja Gülbadamova. Foto: Evgeni Evtyukhov

Zur Eröffnung der Reihe hatte er eine Pianistin eingeladen, die nicht nur eine Reihe von Wettbewerben gewonnen hat (da gibt es ja einige), sondern die sich durch Interesse an entlegenem Repertoire und durch eine klug bedachte Programmgestaltung auszeichnet: Sofja Gülbadamova hat etwa ein Doppelalbum mit Klavierwerken Ernst von Dohnányis herausgebracht, mit dem Wuppertaler Sinfonieorchester dessen Zweites Klavierkonzert eingespielt und ist mit prachtvollen Kritiken vom Husumer Festival „Raritäten der Klaviermusik“ heimgekehrt.

Nach Schwelm brachte Sofja Gülbadamova ebenfalls ein erfrischend unkonventionelles Programm mit: Sie kombinierte Miniaturen aus Edvard Griegs „Stimmungen“ op. 73 und seinen „Lyrischen Stücken“ opp. 12, 43 und 71 mit solchen des tschechischen Komponisten (und Schwiegersohns von Antonín Dvořák) Josef Suk. Dessen 1895 entstandene „Nálady“ („Stimmungen“) sind in der Haltung ähnlich: Sie suchen nach einem ursprünglichen, lyrischen Tonfall, einer Einfachheit, die hinter ihrer fasslichen Melodik die Raffinesse anspruchsvoller Harmonik zu verbergen versteht.

Ausgebildet in Moskau und Paris

Die aus Moskau stammende Pianistin, die ihre Ausbildung an der berühmten Gnessin-Musikschule begann und in Paris vervollkommnete, nähert sich diesen Kostbarkeiten mit dem unbedingten Willen, die stilistische Vielfalt im Detail und die Atmosphäre der musikalischen Stimmungsbilder wirken zu lassen. Der Ibach-Stutzflügel des Saales ist ihr dabei ein schwieriger, bisweilen störrischer Partner. Während nämlich der Bass wie eine stählerne Gitarre klingt, gibt es im Zentrum einen warmen, aber nicht immer gleichmäßigen Klang und im Diskant kühle Porzellantöne.

Die Pianistin, so der Eindruck, macht jedoch aus der Not eine Tugend und verwandelt den heterogenen Klang des Flügels in ein Element ihrer Interpretation. Das zeugt von Flexibilität des Anschlags, spontaner Reaktionsschnelligkeit der Finger, aber auch von souveränem Überblick: Keines der Stücke droht klanglich auseinanderzufallen. Das darf ein Steinway-verwöhnter Pianist erst einmal nachmachen!

Der Abend wurde auf diese Weise zu einer poetischen, teils schwärmerischen, teil doppelbödigen Reise durch die Gefühlsgefilde der Romantik. In der Grieg-Etüde op. 73/5 war die „Hommage an Chopin“ deutlich zu vernehmen – im Falle Sofja Gülbadamovas mit sensiblem Nachlauschen feinster Nuancen im Mikrokosmos eines gestalteten Tempos. Die Nummer vier aus Opus 73, ein „Volkslied“, nimmt den Habitus an, den der Titel einfordert, kleidet die kunstvolle Schlichtheit aber in adäquat kunstvoll abschattiertes Spiel. Ähnlich der „Elfentanz“ op. 12/4, bei dem die Mendelssohn-Anklänge unüberhörbar sind, aber im gläsernen Ton das Unheimliche durchschimmert.

Die unheimlichen Seiten des Waldes

Suk und Grieg umkreisen als Zentrum des Konzerts Robert Schumanns „Waldszenen“ op. 82. Nicht unbedingt ein beliebtes Konzertstück, da zu „einfach“ – es sei denn, man hört nach, was etwa Svjatoslav Richter aus solcher pianistischer Simplizität zu formen versteht. Bei Sofja Gülbadamova öffnet sich nach dem bewusst harmlos gefassten „Eintritt“ in den Fantasie-Wald Schumanns das Spektrum zwischen Idylle und Bedrohung, zwischen Geborgenheit und unbehaustem Schweifen.

Schon der „Jäger auf der Lauer“ fasst die unheimlichen Seiten des Waldes musikalisch: Der Beginn mit den bogengebundenen Triolen, die mit einem kraftvollen Akkord-Akzent gestoppt werden; das erste Crescendo mit den einmal betonten, einmal weich zu spielenden triolischen Tonrepetitionen, der rasche Fluss von Achtelketten, den immer wieder ein knallendes Martellato wie ein Schuss verstört: Die Pianistin ist in ihrem Element, wenn sie solche Momente gestalten kann, und sie lässt sich Zeit, diese „mystischen Blumen des musikalischen Zauberwalds“ wunderschön sich entfalten zu lassen.

Die Serie der Konzerte in Haus Martfeld in Schwelm wird fortgesetzt am Sonntag, 17. November, 17.30 Uhr: mit dem Mezzosopran Catriona Morison, dem Martfeld Ensemble und einem Programm, in dessen Zentrum vier Lieder und ein Streichtrio der bedeutenden englischen Komponistin der Romantik Ethel Mary Smyth (1858-1944) stehen.

Info: Tel.: 02336 / 801-273 oder -255, https://www.schwelm.de/bildung-kultur/kultur/veranstaltungen/martfeld-klassik/




Dosierte Energie: Benjamin Moser beim Klavier-Festival Ruhr in Essen-Werden

Der Pianist Benjamin Moser. Foto KFR

Der Pianist Benjamin Moser. Foto KFR

Haus Fuhr in Essen-Werden ist mit seinem intimen Saal ein idealer Veranstaltungsort für das Klavier-Festival Ruhr. Allerdings hat der Raum seine Tücken; er bildet das Spiel des Solisten sehr genau ab, verstärkt aber die Lautstärke überproportional, sobald sie über ein verhaltenes Mezzoforte hinausgeht. Dazu steht auf der Bühne ein Steinway, erfreulich präsent im Klang, aber für diesen Raum wünschte man sich manchmal einen weicher intonierenden Flügel.

Benjamin Moser, nun schon zum vierten Mal beim Klavier-Festival zu Gast, hätte seine liebe Mühe gehabt, die ausufernden Klangfluten zu dämmen – wenn er es denn versucht hätte. Aber er konnte die Schleusen nicht geschlossen halten; nicht bei Alexandre Skrjabins Fantasie op. 28, nicht in Maurice Ravels „Gaspard de la nuit“. Wie auch: Skrjabin bläut dem Pianisten ständig „crescendo“ ein, um ihn dann beinahe unvermittelt auf „piano“ einzuschwören, sogleich aber wieder das Aufwachsen der Lautstärke einzufordern, Wer die Fantasie so steigern will, wie es in den Noten steht, landet eben beim Fortissimo „appassionato“. So geschehen auch unter den sorgfältig formulierenden Händen des Münchner Pianisten, der mit seinen 34 Jahren schon auf eine schöne Karriere blicken kann.

Ein intimer Veranstaltungsort: Haus Fuhr in Essen-Werden. Foto: Werner Häußner

Ein intimer Veranstaltungsort: Haus Fuhr in Essen-Werden. Foto: Werner Häußner

Der Anfang des Konzerts war explizit „lyrisch“: Sieben von Edvard Griegs Klavierminiaturen, beginnend mit dem differenzierten Arpeggienspiel und der schwärmerischen Agogik von „An den Frühling“, über den drollig anhebenden, sich ins Dämonische auswachsenden „Zug der Zwerge“ bis zu den Fanfaren und majestätischen Umspielungen des „Hochzeitstags auf Troldhaugen“. Dazwischen macht Moser in „Heimweh“ deutlich, wie subtil er Innenspannung aufbauen und halten kann, auch wenn die Noten „einfach“ scheinen.

Skrjabins cis-Moll-Etüde op.2/1 schließt mit ihrem versonnenen Auf und Ab einer charakteristischen Achtelfigur an Griegs elegische Lyrismen an. In dem kurzen Stück bewegt sich Skrjabin kaum über die Region des Mezzoforte hinaus; Moser versucht sich in Delikatesse und verhaltenem Gestus, aber der Steinway zeigt ihm, wo’s langgeht: Direkter Klang, stählerne Resonanz, später, in der Fantasie, dann auch (zu) vollmundiges Pedal.

Moser hat die Abfolge klug gewählt, denn in der Etüde lässt er die Energie ahnen, die sich in den machtvollen Arpeggien und Repetitionen der Fantasie Bahn bricht. Und der Pianist macht deutlich, dass er es versteht, den Feuerbrand der Töne allmählich, klug dosierend zu entfachen.

Nach der Hommage an den vor 100 Jahren aus nichtigem Anlass verstorbenen Komponisten (ein Pickel verursachte eine Blutvergiftung) folgte Musik der französischen Zeitgenossen Skrjabins, Claude Debussy und Maurice Ravel.

Debussys „Childrens Corner“ hat Licht und Schatten – und das nicht nur im durchaus gekonnten claire-obscure der licht wirbelnden Schneeflocken des vierten und der bassdüsteren Lesart des zweiten Stücks („Jimbo‘s Lullaby“). Sondern auch in Mosers Lesart, der in der Puppenserenade den Klang zu füllig, den Rhythmus zu geschmeidig gestaltet und im abschließenden Cakewalk einen Schuss Spontaneität vermissen lässt.

Entsprechungen zwischen Musik und Malerei: Hippolyte Petitjean hat die Prinzipien des Pointillismus in "Femmes au bain" exemplarisch verwirklicht. Foto: Wikimedia Commons

Entsprechungen zwischen Musik und Malerei: Hippolyte Petitjean hat die Prinzipien des Pointillismus in „Femmes au bain“ exemplarisch verwirklicht. Foto: Wikimedia Commons/public domain

Maurice Ravels „Gaspard de la nuit“ spielt Moser weit weniger entschieden als etwa Khatia Buniatishvili bei ihrem Mülheimer Klavier-Festival-Auftritt. Er achtet mehr auf Atmosphärisches, rückt die Musik vor allem in „Ondine“ in die Nähe eines Pointillismus, wie ihn Georges Seurat oder Hippolyte Petitjean in der Malerei etablierten.

Die flirrende Atmosphäre, die sich auf genau definierte Punkte zurückführen lässt, entspricht Mosers musikalische Auffassung: Flächen und Linien aus definiert gespielten Noten, die als Ganzes eine hundertfach in sich gebrochene Klangsphäre bilden. „Le Gibet“ fasst er eher als melancholisches Stimmungsbild auf als im Sinne einer Studie des Unheimlichen.

Aber in „Scarbo“ kommt das Abrupt-Spukhafte in scharf geschnittenen Akkorden, in der Grandezza des Zugriffs und in zugespitzter rhythmischer Energie zum Ausdruck. Wie Rauch durch das Schlüsselloch verschwindet der Nachtmahr, um herzlichem Beifall und zwei Zugaben – Debussys „clair de lune“ und einer weiteren Skrjabin-Etüde – Platz zu machen.




„Nordischer“ Ton: Duo Tal & Groethuysen eröffnet in Duisburg das Klavier-Festival Ruhr

Eröffnung bei strahlendem Wetter im Landschaftspark Duisburg Nord: Das Klavier-Festival Ruhr versammelt wieder Pianisten aus aller Welt. Foto: Werner Häußner

Eröffnung bei strahlendem Wetter im Landschaftspark Duisburg Nord: Das Klavier-Festival Ruhr versammelt wieder Pianisten aus aller Welt. Foto: Werner Häußner

Der „nordische Ton“ klingt leicht, unbeschwert, spielerisch. Er hat nichts von dunklen Polarkreisnächten, eher etwas vom hellen finnischen Sommer, von der leuchtenden Frische schwedischer Frühlingstage. Er beschwört keine nebelverhangenen Wälder, sondern das flimmernde Grün des Schattenspiels in einem Mai-Garten. Yaara Tal und Andreas Groethuysen halten aus ihrem Programm alles Schwere, Lastende heraus. Sie eröffnen das Klavier-Festival Ruhr in Duisburg mit Mozart, Grieg und Strauss.

Mit dem „nordischen Ton“ als Leitlinie manövriert sich ein Festival in erhebliche Definitions-Schwierigkeiten. Da gibt es „nordische“ Komponisten, die eigentlich „international“ sein wollten, wie der ebenfalls zu Festival-Ehren kommende Jean Sibelius anlässlich seines 150. Geburtstags. Und da gibt es andere, die vielleicht auf die nationale Karte gesetzt haben, die aber heute keiner mehr kennt und von denen man kaum einen international renommierten Pianisten überzeugen kann. Wie wäre es zum Beispiel mit dem vor 200 Jahren geborenen Norweger Halfdan Kjerulf, der deutsche Romantik und norwegische Volksmusik in zahlreichen Klavierwerken verbunden hat? Das wäre ein „nordischer“ Ton – aber vermutlich würden sich Sponsorengattinnen für den schwergängigen Namen kaum begeistern lassen.

So bleibt es bei dem, was man so gemeinhin als „nordisch“ kennt, und mit dieser Dramaturgie kann auch das Duo Tal & Groethuysen gut leben. Immerhin: Die C-Dur-Sonate Mozarts (KV 545) und die c-Moll-Fantasie (KV 475) erklingen in der Gebläsehalle des Duisburger Landschaftsparks in einer Bearbeitung Edvard Griegs: Der Norweger hat eine Stimme hinzukomponiert und damit den Mozart-Ton entschieden romantisiert. Griegs Peer Gynt Suite (op. 46) in einem Arrangement für zwei Klaviere des britischen Spezialisten Richard Simm geht über gepflegte Hausmusik hinaus, wirft Blicke auf die Schichten unterhalb der weltberühmten Melodien. Yaara Tal gibt gemeinsam mit ihrem Ehemann und Klavierpartner Andreas Groethuysen dem lyrisch verhaltenen feinen Licht ebenso Raum wie der leisen Resignation von „Åses Tod“ und dem dunklen Marcato der „Halle des Bergkönigs“, das sich zu donnernden Tonketten im Bass steigert.

Seit 30 Jahren zusammen, seit 1997 regelmäßig zu Gast beim Klavier-Festival Ruhr: Das Duo Yaara Tal und Andreas Groethuysen. Foto: KFR/Frank Mohn

Seit 30 Jahren zusammen, seit 1997 regelmäßig zu Gast beim Klavier-Festival Ruhr: Das Duo Yaara Tal und Andreas Groethuysen. Foto: KFR/Frank Mohn

Richard Strauss‘ „Till Eulenspiegel“ lässt gemischte Gefühle zurück: Nicht, weil das Duo mit dem technisch anspruchsvollen Stück Probleme hätte – dreißig Jahre gemeinsamen Musizierens führen zu einer bewundernswerten Vertrautheit. Auch nicht, weil Bearbeitungen – diese stammt von Otto Singer junior – oft durch Reduktion strukturelle Einblicke gewähren, die sonst gerne mit dem üppigen Orchesterklang bemäntelt sind. Sondern eher, weil die Farben des Orchesters fehlen und Strauss eben nicht nur strukturell, sondern auch farbig-plastisch gedacht hat. Dennoch: Das Duo findet zu burleskem Charme und spritzigen Dialogphasen. „Nordisch“ freilich ist darin nichts.

Ein wenig enttäuschend blieb ausgerechnet Mozart, sonst ein Paradekomponist der beiden Virtuosen. In der „Sonata facile“ – die alles andere als „leicht“ ist – finden sie zu ausschwingenden melodischen Phrasierungen und zu einem apart zärtlichen Ton. Aber das Andante ist im Tempo nicht nur rasch, sondern auch angespannt; das Rondeau zu neutral in der Artikulation und damit weder spritzig noch beglückt mit dem sprühenden Witz Mozarts.

In der Fantasie (KV 475) entdecken Tal & Groethuysen nicht so sehr die auf Beethoven weisenden Kühnheiten in Chromatik und Modulation, sondern eher die klassische Gemessenheit, von Grieg lyrisch-romantisch eingedunkelt. Und Mozarts Sonate für zwei Klaviere (KV 448) demonstriert, wie traumwandlerisch sich die Beiden im lebendig flüssigen Tempo verstehen, lässt aber den Charme des „con spirito“ vermissen, will im zweiten Satz nur punktuell zur poetischer Tiefe und atmender Phrasierung vorstoßen und bleibt im dritten flach und rasch. „Heruntergehudlet“ schimpfte Mozart einmal in einem Brief über eine solche Demonstration fehlerfreier, aber auch seelenarmer Geschwindigkeit.

Der „nordische Ton“ bleibt im Programm präsent

Das Klavier-Festival wird in den kommenden rund 60 Konzerten in 20 Städten dem „nordischen Ton“ weiter nachspürenm aber auch dem 100. Todestag von Alexander Skrjabin Tribut zollen. So spielt Olli Mustonen am 27. April in Duisburg eine eigene Komposition – schlägt sozusagen den aktuellen „nordischen Ton“ an –, widmet sich aber auch Sibelius als Klavierkomponisten und stellt Griegs Ballade g-Moll op. 24 vor. Henri Sigfriedsson spielt am 10. Mai in Bottrop einen Sibelius-Abend. Skandinavisch geht es auch am 13. Mai in Schloss Herten zu, wenn Miah Persson, begleitet vom Klavierfestival-Urgestein Graham Johnson auch unbekanntere Lieder etwa von Ture Rangström und Wilhelm Stenhammar singt.

Jean Sibelius auf einem historischen Foto von 1913.

Jean Sibelius auf einem historischen Foto von 1913.

Am 19. Mai widmet sich dann in Essen in der Philharmonie Mikhail Pletnev den 23 Préludes op. 11 von Alexander Skrjabin. Und der junge Pavel Kolesnikov spielt am 31. Mai in Moers in einem der 25 bereits ausverkauften Konzerte die Fis-Dur-Sonate op.30 Skrjabins – die einen Tag später von Gabriela Montero in Düsseldorf wiederholt wird. Am 2. Juni bringt Rafał Blechacz mit „Pelimannit“ („Die Geiger“) das Opus 1 des 1928 geborenen Einojuhani Rautavaara, eines der wichtigen lebenden Komponisten Finnlands.

Am 5. Juni spielt in Dortmunds Harenberg Center der Sieger des Grieg-Wettbewerbs, der Norweger Joachim Carr, Stücke von Grieg und Nikolaj Medtner. Und am 6. Juni folgt ihm in der verdienstvollen Reihe „Die Besten der Besten“ der vielfache Wettbewerbssieger Andrey Gugnin mit Sibelius, Skrjabin und der Siebten Sonate von Sergej Prokofjew. Originell das Programm des norwegischen, in Köln unterrichtenden Cembalisten Ketil Haugsand. Er konfrontiert am 9. Juni in Schloss Hohenlimburg Bach und Buxtehude mit dem 1758 gestorbenen Johan Helmich Roman, dem „Vater der schwedischen Musik“ und mit dem in Memel geborenen und bis zu seinem Tod 1787 in Trondheim wirkenden Johan Daniel Berlin.

Am 15. Juni kehrt Joseph Moog zum Klavier-Festival zurück und widmet sich im Konzerthaus Dortmund mit den Bochumer Symphonikern unter Steven Sloane dem fis-Moll-Klavierkonzert Skrjabins. Und zum Abschluss des Klavier-Festivals am 4. Juli greift das WDR Sinfonieorchester unter dem Gastdirigenten Hannu Lintu noch einmal kraftvoll zum nordischen Repertoire und spielt Carl Nielsens „Helios“-Ouvertüre und Jean Sibelius‘ Zweite Symphonie. Igor Levit krönt das Programm mit Griegs Klavierkonzert.

Info: www.klavierfestival.de




Für Kenner und Genießer: Khatia Buniatishvili und Renaud Capuçon in Wuppertal

Weltklasse-Geiger: Renaud Capuçon. Foto: Paolo Roversi

Weltklasse-Geiger: Renaud Capuçon. Foto: Paolo Roversi

Drei Programmteile hat der Abend in der historischen Wuppertaler Stadthalle, wie es sich für ein anständiges Kammerkonzert gehört. Drei Mal erklingt Musik der Spätromantik, komponiert in den Jahren 1886/87.

Man bewundert, wie fruchtbar damals das musikalische Schaffen in Europa war, und man fragt sich gleichzeitig, ob diese Abfolge nicht zu einförmig werden könnte. Denn so fundamental unterscheiden sich die Werke von Antonín Dvořák, Edvard Grieg und César Franck nicht, dass sie markante Kontraste aufreißen könnten.

Die Gefahr des durchgängigen, sich nur gelegentlich erregt vergessenden Lyrizismus ist in der Tat gegeben. Nur: Khatia Buniatishvili und Renaud Capuçon, die Stars des Abends, wissen, wie man das Zuschnappen der Fallen vermeidet. Ihre Methode ist nicht, die latenten Kontraste zu vergrößern (und damit unter Umständen zu vergröbern), sondern sie subtil zu verfeinern.

Es ist eine Methode für Kenner und Genießer, wie man sie im „Silver Circle“ des Klavier-Festivals Ruhr vermuten möchte. Denn für diesen kulturstützenden Personenkreis sollte das Wuppertaler Konzert ein Dankeschön sein – eines, an dem freilich jeder teilnehmen konnte. Eine Chance, die sich viele Wuppertaler seltsamerweise entgehen ließen: Der Saal hatte noch Kapazitäten frei.

Renaud Capuçon hat in diesem Jahr mit Violinkonzerten von Brahms und Saint-Saëns in Essen nahegelegt, ihn zu den derzeit weltbesten Geigern zu zählen. Ein Eindruck, der sich in Wuppertal bestätigt. In Dvořáks „Vier romantischen Stücken“ lässt er seinen herrlich erfüllten Ton herrschen: einen vollen, leuchtenden, aber nie zu pastosen Klang, substanzvoll bis in die ätherischen Bereiche des Flageoletts, fern von ordinärer Verruchtheit in den tiefen Tönen der G- und der D-Saite. Aber Capuçon gefällt sich auch nicht in klassizistischer Politur. Er phrasiert lebendig, mit glänzend austariertem Atem: Der Zuhörer sitzt auf der Stuhlkante und wird mitgetragen auf den Kulminationspunkt der Spannung.

Khatia Buniatishvili wirkt wie eine Kundry des Klaviers: „Dienen, dienen“ scheint ihre Haltung, wenn sie sich bei Dvořák in weichen, locker perlenden Akkorden zurücknimmt und dem Geiger den leuchtend lachenden Auftritt gönnt. Aber dann, im „Allegro maestoso“ des zweiten Stücks, emanzipiert sie sich, reagiert auf den tänzerisch angehauchten Rhythmus mit markantem Zugriff, greift die Schattierungen im Ausdruck der Violine auf und spiegelt sie zurück: Ein Dialog mit Sensibilität und Temperament – Eigenschaften, die wir bei den Auftritten der georgischen Pianistin seit ihrem Klavier-Festival-Debüt 2009 immer wieder bewundern. Und Tugenden, die sich in Edvard Griegs c-Moll-Violinsonate (op.45) und César Francks Hauptwerk der kammermusikalischen Geigenliteratur aufs Schönste bewähren.

Das Programm des Wuppertaler Abends gibt es auch auf CD, erschienen Mitte Oktober bei Erato (0825646250189)

Das Programm des Wuppertaler Abends gibt es auch auf CD, erschienen Mitte Oktober bei Erato (0825646250189)

Zum Beispiel im ersten Satz der Grieg-Sonate, die der Komponist „appassionato“ gespielt haben will: Capuçon und Buniatishvili leiten daraus keine Aufforderung zu vordergründiger Expression ab. Sie stützen mit dunkel-rauchigen Klängen, mit feinstem, durch das Pedal verflüssigtem Silber den hochromantischen Tonfall, aber sie bleiben stets geschmackvoll beherrscht. Die edle Phrasierung, die bewusst eingesetzte Agogik triumphieren: Minutiöse Kontrolle der Ausdrucksmittel ist Voraussetzung für eine gedankenverloren-träumerisch wirkende Interpretation.

So wird auch César Francks expressiver Überschwang in ein Konzept gebunden und damit von der Anmutung kitschiger Unmittelbarkeit frei gehalten. Andere Geiger steigen mit mehr „espressivo“ in das Werk ein, aber Renaud Capuçon bevorzugt einen neutralen, abwartenden Ton, den er erst im Lauf des Allegretto-Satzes intensiviert.

Der leicht verschwommene Klavierton – bedingt durch die Akustik des Raumes – passt in diesem Falle trefflich, begünstigt die Entfaltung der Farben eher als die analytische Konturierung des Klaviersatzes. Jetzt hat Khatia Buniatishvili auch die Gelegenheit, rauschende Kraft und zupackende Pranke zu zeigen. Das genießt sie, ohne das Maß der Musik zu vergessen.

Fritz Kreislers „Liebesleid“ beendet als Zugabe den Abend – ironische, aber nicht desavouierende Verneigung vor einer Romantik, die am Ende nur noch in ihren Salon-Ausläufern überlebensfähig war.

Das Programm wird in einem Konzert der Philharmonie Essen am 30. April 2015 erneut gespielt. Infos: http://www.philharmonie-essen.de/konzerte/event/60309.htm