„Body & Soul“: Dortmunds Ostwall-Sammlung mit Leib und Seele abermals neu präsentiert

Kuratorin Nicole Grothe erläutert ein Hauptstück der Sammlung: August Mackes Bild „Großer zoologischer Garten“. (Foto: Bernd Berke)

Ohne englische Titel geht praktisch nichts mehr im Museum Ostwall. Kürzlich eröffnete hier mit „The Other Side“ eine Schau zu neueren Positionen irischer Kunst. Und nun erhält die Präsentation der eigenen Sammlung wieder einen neuen Schub. Titel: „Body & Soul“. Im Dortmunder U, wo die Ostwall-Sammlung sich seit nunmehr 10 Jahren befindet, gibt man sich eben gern weltläufig und popkulturell anschlussfähig.

Aber Moment mal! Hatten wir nicht erst gegen Ende 2017 die Premiere eines ziemlich gründlich umgeschichteten Eigenbesitzes? Richtig. Seinerzeit hießt das Resultat „Fast wie im echten Leben“ und wurde an dieser Stelle gleichfalls gewürdigt. Damals kündigte der inzwischen nach Maastricht gewechselte Direktor Edwin Jacobs an, die Sammlung solle nachhaltig „dynamisiert“ werden. Auch die ersten Anstöße zur jetzigen Ausstellung stammen noch von ihm.

Beim Alltag des Publikums anknüpfen

Abermals werden nun bedeutsame Teile der Kollektion nicht etwa in kunstgeschichtlicher Abfolge, sondern in Form einer Themenausstellung gezeigt, die just Leib und Seele in den Blick nimmt und – so die Leitlinie – möglichst in den Lebenswelten und bei den Alltagserfahrungen des geneigten Publikums anknüpfen soll. Einen Körper und eine Seele haben wir halt alle. Mit solch daseinsnahen Ansätzen will man auch Leute ins Museum holen, die bisher nur selten mit Kunst in Kontakt gekommen sind.

Aus einem Fundus von rund 7500 Arbeiten im Besitz des Ostwall-Museums lässt sich ein derart umfassendes Doppelthema wie Leib und Seele natürlich allemal vielfach vergegenwärtigen. Rund 130 Werke hat die Sammlungsleiterin und Kuratorin Dr. Nicole Grothe mit ihrem Team ausgewählt. Die Präsentation meidet nach Kräften Beliebigkeiten, sie wirkt auch nirgendwo überfüllt oder beengt. Die Kunst hat genügend Platz zum „Atmen“ und Wirken.

Nacktheit, Kleidung, Bewegung, Ernährung, Schlaf und Tod

Der thematische Rundgang beginnt quasi elementar, nämlich mit nackten Körpern, also Aktdarstellungen. In diesen Kontext gehört auch eine „Ikone“ wie Otto Muellers „Drei Badende im Teich“, wie denn überhaupt deutlich wird, dass ein gehöriger Schwerpunkt der Sammlung dem Expressionismus und seinem Umfeld zuzurechnen ist. Damit eröffnet sich, nebenbei sei’s gesagt, eine wunderbare Möglichkeit zum Vergleich mit der Sammlung des Hagener Osthaus-Museums, das derzeit seine nach über vierjähriger Tournee heimgekehrten expressionistischen Schätze zeigt. Dazu demnächst ein paar Zeilen mehr.

Pablo Picasso (1881-1973): „Femme nue couchée“ (Schlafende Nackte), Öl auf Leinwand, 1965 (Bild © VG Bild-Kunst, Bonn 2020 / Foto © Jürgen Spiler)

Doch zurück nach Dortmund: Auch die Relativität von Schönheitsidealen soll sich anhand mancher Körperbilder und Skulpturen zeigen (etwa mit einer rundlich-drallen Frauenfigur oder männlichen Bauchformen als Wandinstallation), ebenso wie die nicht zuletzt durch Kleidung markierte Zuschreibung von Geschlechter-Identitäten, welche – auch unserem waltenden Zeitgeist gemäß – als fließend zu denken sind.

Das Paradies und die Zivilisation

Apropos Kleidung. Ein immer wieder und immer wieder anders hervorgehobenes Hauptstück der Sammlung, August Mackes „Großer zoologischer Garten“, offenbart in diesem Zusammenhang eine zusätzliche Lesart. Bisher galt das Bild meist als Vergegenwärtigung des paradiesischen Gartens Eden, die Zoobesucher tragen jedoch betont modische, zeitgenössische Kleidung, so dass man sie wohl zur gehobenen Gesellschaft rechnen muss. Es geht also nicht nur um Natur, sondern mindestens ebenso sehr um Zivilisation bzw. um das Verhältnis beider Wesenheiten zueinander.

In insgesamt neun Kapiteln kann man etliche Erkenntnisse gewinnen oder zumindest Aha-Momente erleben, so etwa auch zur Beschaffenheit sportlicher und tänzerischer Körper, wobei z. B. Radierungen von Karl Hofer direkt neben Barbara Hlalis Zeichnungen von DJs zu sehen sind. Die Lust an der Bewegung höret demnach quer durch die Generationen nimmer auf; es sei denn: im Tod, der in einer künstlerischen Körper-Ansammlung natürlich nicht übergangen werden kann und auch in Bildern des Schlafes gegenwärtig ist. Dass Sterben und Schlafen miteinander verquickt und verschwistert, ja mitunter kaum unterscheidbar sind, lässt Dieter Kriegs „Weiße liegende Figur“ ahnen.

Thomas Bayrle (*1937): „Super Colgate“, 1965. Holz, Metall, Elektromotor, Ölfarbe – Erworben aus der Sammlung Feelisch (Bild © VG Bild-Kunst, Bonn 2020 / Foto: © Jürgen Spiler)

Was es mit dem Zähneputzen auf sich hat

Auch Aspekte der Ernährung und Körperpflege kommen künstlerisch zum Vorschein, das Spektrum reicht von Willi Repkes konventionell anmutender „Marktfrau“ bis zu Thomas Bayrles Installation „Super Colgate“, die eine Zahncreme-Werbung der 1960er Jahre parodistisch aufgreift. Die lustige oder eben auch putzige Kunst-Maschine sorgt auf Fußschalter-Druck dafür, dass ganz viele Figürchen  sich gleichzeitig die Zähne putzen. Daraus leitet sich auch der Untertitel der gesamten „Body & Soul“-Unternehmung her, welcher da lautet: „Denken, Fühlen, Zähneputzen“. Warum nicht auch mal ein bisschen albern sein?

Ernst Ludwig Kirchner (1880-1938): „Stafelalp bei Mondschein“, 1919, Öl auf Leinwand (Foto © Jürgen Spiler)

Das Seelenleben wird sodann unter anderem am Beispiel von Naturempfindungen erkundet, so mit Ernst Ludwig Kirchners „Stafelalp bei Mondschein“ oder einem mit Angst befrachteten, surrealen Waldbild von Max Ernst („Forêt aux champignons“). Überhaupt ist den Ängsten, den Verletzungen und der Trauer ein weiteres Kapitel gewidmet, das sich existenziell durch die Jahrzehnte zieht. Hier wird vermutlich jede(r) dem persönlichen Dämon begegnen können, sei er nun von Norbert Tadeusz, Ina Barfuss oder anderen Visionären der Kunst imaginiert worden.

Nach eigenen Erinnerungen graben

Die eigenen Erinnerungen entdecken soll man nach dem Willen des Aktionskünstlers Wolf Vostell mit seinem (hier von Gregor Jabs re-inszenierten) Happening „Umgraben“ (1970), dessen Szenarium sich hinter einem Vorhang erstreckt. Das Grabefeld soll man nicht mit eigenen Schuhen, sondern mit bereitgestellten Gummistiefeln betreten – und dann mit dem Umgraben loslegen. Mag schon sein, dass sich dabei ein meditativer Sinn einstellt. Übrigens ist Vostells Arbeit diesmal eines der wenigen Beispiele aus dem Bereich der so genannten Fluxus-Kunst, die ja eigentlich einen weiteren Schwerpunkt der Sammlung ausmacht.

Wolf Vostell (1932-1998): „Umgraben“, Happening von 1970, Re-Inszenierung von Gregor Jabs, 2012 (Bild © VG Bild-Kunst, Bonn 2020 / Foto © Jürgen Spiler)

Mönchsfigur mit Münzeinwurf

Nicht nur explizit religiöse Glaubensfragen sind ein weiteres Feld der hiesigen Seelenkunde. Dabei fällt auch eine Dortmunder Neuerwerbung auf, nämlich Michael Landys Mönchsfigur mit „Donation Box“ (Spendenbox), in die man echte Münzen einwerfen kann. Wofür die etwaigen Einnahmen der Ablasszahlungen verwendet werden (geringfügige Aufstockung des Museumsbudgets?), ist derweil noch nicht ausgemacht.

Und die Schlussakkorde? Sind wiederum betont sanftmütig und tröstlich, denn es werden Werke zum Thema Liebe, Zuneigung, Freundschaft und Fürsorge versammelt. All das, was den Menschen guttut. Auf dass man das Museum heiteren Sinnes verlasse.

Zur anders gewichteten Kunst kommt die neue „Inszenierung“: In Zusammenarbeit mit dem niederländischen Designbüro SODA (Ronald Buiel und Jorrit Noyons aus Arnheim) hat man neue farbliche und architektonische Akzente gesetzt. Wir würden uns ja den Kalauer schenken, die Kunstwerke seien nach den Interventionen von SODA nun einfach so da. Aber jetzt ist er nun einmal heraus und geht auch nicht ganz fehl.

Viel Freiraum für die Kunst: Blick in die neue Sammlungs-Präsentation. Die Figur in der Mitte ist übrigens nicht echt, sondern künstlich, Verzeihung: künstlerisch. (Foto: Bernd Berke)

Orientierung durch neue Farbakzente

Tatsache ist jedenfalls: Die schon auf den Fluren der 4. und 5. Etage dominierende Lachsfarbe soll die Orientierung im riesigen Haus erleichtern. Vordem hatten sich nicht wenige Besucher über labyrinthische Verwirrung beklagt. Mal sehen, ob diese Irritation nun nachlässt. Außerdem verändert: Reflektierende Flächen, die den Blick ablenken konnten, sind weitgehend verschwunden. Architektonische Charakteristika, wie etwa das Deckenraster im Dortmunder U, kommen besser zur Geltung.

Wohlfühl- und Willkommens-Faktor

Überdies wurden auch die alten (vormals dunklen) Sitzbänke hell gestrichen und alle abweisenden Kanten einladend abgerundet. Überhaupt haben die Museumsleute versucht, einen durchgehenden Wohlfühl- und Willkommens-Faktor zu erzeugen. Das reicht von helleren und wärmeren Farben über eine möglichst stets besetzte und auskunftsbereite „Rezeption“ am Eingang bis zu einer kuscheligen Landschaft mit Kissen und Sitzsäcken. Chillen ist nicht nur erlaubt, sondern erwünscht. Auch das geht mit dem Zeitgeist konform.

Aber nun mal ganz ehrlich: Das Farbkonzept mit den verschieden abgemischten Lachstönen hat mich an die etwas weichgespülte Corporate Identity einer schwedischen Bank erinnert, die vor allem auf sanftes Rosa zurückgreift und ihre Bezahlvorgänge als „smooth“ (glatt, seidenweich, problemlos) bezeichnet. Egal. Jedem seine Assoziationen. Und es heißt gewiss nicht, dass die Bilder nicht zur Geltung kämen.

Alle zwei Jahre werden die Werke neu gemischt

Sammlungsleiterin Nicole Grothe möchte den Eigenbesitz auch künftig ungefähr im Zweijahresrhythmus immer wieder neu arrangieren, ihn gleichsam regelmäßig durchlüften und damit wechselnde Zusammenhänge stiften. Relativ kostengünstig sind derlei Schauen aus dem Bestand allemal, es werden keine Leihgebühren fällig, zudem riskiert man keine Transportschäden und muss daher auch keine horrenden Versicherungssummen zahlen.

Doch selbstverständlich hat der Umbau, der sich einige Monate hingezogen hat, ein paar Scheinchen gekostet, genauer: 422.000 Euro. Der Rat der Stadt hatte zu dem Zweck 500.000 Euro gebilligt, der Etat wurde also unterschritten. Es könnte ein gutes Omen sein.

„Body & Soul. Denken, Fühlen, Zähneputzen“. Neue Sammlungspräsentation des Museums Ostwall im Dortmunder U (4. und 5. Ebene), Leonie-Reygers-Terrasse (Navigation: Brinkhoffstraße 4 / Parkhaus).

Update: Ausstellung wird bis November 2022 verlängert

Ursprünglich vom 8. Februar 2020 bis 27. Februar 2022 (verlängert bis zum 13. November 2022).

Geöffnet Di/Mi/Sa/So/Feiertage 11-18 Uhr, Do/Fr 11-20 Uhr.

Tel.: 0231/50 247 23. Mail: info@dortmunder-u.de

Kunstvermittlung/Führungen: 0231/50-277 86 oder 50-277 91.

www.museumostwall.dortmund.de

 




Dünen, Wellen, Windmühlen – Ausstellung im „Dortmunder U“ zeigt den niederländischen Aufbruch in die Moderne

Ferdinand Hart Nibbrig: „Auf den Dünen in Zandvoort", 1892 (Foto: Sammlung Singer Laren, Museum Ostwall)

Ferdinand Hart Nibbrig (1866-1915): „Auf den Dünen in Zandvoort“, 1892 (Foto: Sammlung Singer Laren, Museum Ostwall)

Da haben die beiden Holländer sicher recht: Die Freuden des Sommers genießen viele Deutsche, zumal aus dem Ruhrgebiet, sehr gerne in ihrem schönen Land, in den Dünen, am Strand und in den gemütlichen kleinen Städten. Diese sicherlich nicht ganz neue Erkenntnis hat Edwin Jacobs, (Noch-) Direktor des Dortmunder Kunst- und Kulturzentrums U, und Jan Rudolph de Lorm, Direktor des Museums Singer in Laren, auf die Idee gebracht, Kunst der Niederländischen Moderne sozusagen nach Urlaubsaspekten für eine Ausstellung auszuwählen. Es entstand „Ein Gefühl von Sommer…“, eine hübsche Bilderschau, die jetzt im Dortmunder U, im Museum Ostwall zu sehen ist.

Anton Mauve (1838-1888): Das neugeborene Lamm, um 1884 (Foto: Sammlung Singer Laren, Museum Ostwall)

Ein Deal

Nun ja; etwas nüchterner betrachtet verhält es sich wohl so: Die beiden Museen, eben Ostwall in Dortmund und Singer in Laren, zeigen im jeweils anderen Haus das Beste aus dem eigenen Bestand, ein Tauschgeschäft. Rund 70 Werke aus Dortmund sind derzeit in dem holländischen Museum zu sehen, 110 von dort nun hier. Hintergrund ist (auch) die derzeitige Schließung des Ostwall-Museums wegen (mal wieder) erforderlicher Umbauarbeiten, weshalb „Ein Gefühl von Sommer…“ im 6. Stock gezeigt wird, auf der Sonderausstellungsfläche.

Zeitlicher und thematischer Querschnitt

Sie hätten die von Regina Selter kuratierte Schau natürlich auch anders nennen können, denn präsentiert wird ein munterer zeitlicher und thematischer Querschnitt durch die niederländische Malerei der Jahrhundertwende, der man gut 40 Jahre einräumt. In Dortmund sind die Bilder auf 10 Kabinette verteilt, die Landschaften, Portraits, Modernes Leben usw. zum Schwerpunkt haben.

Es gab, erfahren wir, Vereinigungen wie die Bergener Schule oder den Kunstkreis De Ploeg, an Kunstrichtungen ist zwischen Impressionismus und Neuer Sachlichkeit alles vertreten, was zeitgleich auch in Deutschland wirkte. Die Namen der Künstler indes sind wohl nur wenigen Menschen in Deutschland geläufig, Piet Mondrian immerhin ist dabei, der seinerzeit aber noch durchaus verwechselbar arbeitete, oder Kees van Dongen. Doch mag das zu einem nicht geringen Maße an der nationalen Perspektive liegen, aus der heraus nicht nur in Deutschland die „eigenen“ Künstler bevorzugt werden.

Lou Loeber (1894-1983): Mühle, 1922 (Foto: Sammlung Singer Laren, Museum Ostwall)

Laren und die Künstlerkolonie

Gerade deshalb hat es jedoch seinen Reiz, einmal zu erfahren, wie sich das Kunstgeschehen vor etwa hundert Jahren jenseits der Grenze vollzog, die vielleicht auch damals schon ein bißchen weniger hoch als jene zu anderen Nachbarstaaten war. In Laren, jenem 12000-Seelen-Ort 30 Kilometer östlich von Amsterdam, Standort des Museums Singer Laren, existierte in jener Zeit eine bemerkenswerte Künstlerkolonie. Ihre Blütezeit erlebte sie zwischen den Jahren 1880 und 1920, und bemerkenswert ist zudem, daß sich das Schaffen der Künstlerinnen und Künstler in diesem Zeitraum erheblich modernisierte, sich von traditionellen „holländischen“ Malweisen und Genres zunehmend avantgardistischen Positionen zuwandte.

Gouden Eeuw

A propos holländisch: Denkt man an holländische Malerei, so denkt man an die Kunst des Barock, an das „Gouden Eeuw“, das goldene Zeitalter, das für die Niederlande das 17 Jahrhundert war, als man zu den Weltmächten zählte, international Geschäfte machte, Wohlstand anhäufte und nicht zuletzt die Malerei einen unerhörten Aufschwung erfuhr. Und, die Holländer sind Kaufleute, natürlich auch der Kunsthandel. Holländische Malerei – Landschaften, Stilleben, Seestücke, Portraits usf. – wurde geschäftsmäßig bestellt und geliefert, die Maler jener Zeit, nennen wir als die berühmtesten nur Rembrandt und Rubens, führten Unternehmen mit zahlreichen Angestellten und verdienten klotzig.

Kees van Dongen (1877-1968): Der blaue Hut, 1937 (Foto: Sammlung Singer Laren, Museum Ostwall)

Fahrräder und Telegraphenmasten

An diese Tradition versuchten die Maler der frühen niederländischen Moderne durchaus anzuknüpfen, und die Nachfrage war, glaubt man den Kuratoren, so gut, daß die kleinen Messingschildchen auf den Bilderrahmen für den Export von vornherein in den Sprachen der Empfängerländer verfaßt wurden. Ähnlich wie 200 Jahre zuvor bestimmen Kühe, Weiden, Wolkenhimmel das Erscheinungsbild, auf den ersten Blick wähnt man sich in einem modernisierten 17. Jahrhundert.

Gewiß, manches hat sich geändert, die engen Harmonievorstellungen der Altvorderen werden erschüttert durch harte oder indifferente Lichtführung, engere Bildausschnitte und erste leise Abstraktionen, durch verfremdende Maltechniken wie beispielsweise den Pointillismus, vor allem aber auch durch gewiß nicht ironiefrei eingefügte Elemente der neuen Zeit, durch Fahrräder, Telegraphenmasten oder gar, Schreck laß nach, durch ein Fußballfeld im Hintergrund. Manche Maler ließen es einfach etwas lockerer angehen, hat man den Eindruck, Gelassenheit galt wahrscheinlich damals schon als holländische Nationaltugend.

Maler aus den USA

So. Was und wo Laren ist und warum es zwischen dem kleinen Nest (pardon) und der Westfalenmetropole Dortmund einen so fruchtbaren Kunstaustausch gibt, müßte jetzt klar sein. Bleibt zu erzählen, wer die Singers sind. Der Amerikaner William Henry Singer jr. und seine Frau Anna Singer-Brugh kamen 1902 nach Laren, sammelten die Kunst ihrer Zeit, zeigten sie in ihrer 1911 errichteten Villa De Wilde Zwanen, die Anna Singer 1956 zu einem Museum machte. Singer war selber Maler, überdies Sproß einer überaus reichen Pittsburger Industriellenfamilie. Die Entscheidung des Sammlerehepaares, nach Laren zu gehen, läßt die Bedeutung erahnen, die der Ort, den die holländische Kunst in jenen Jahren hatte.

Albert Neuhuys (1844-1914): Mädchen mit Blume, um 1910 (Foto: Sammlung Singer Laren, Museum Ostwall)

Liebermanns Strandurlaub

Übrigens war die niederländische Kunstszene keineswegs nur eine Parallelveranstaltung zur deutschen, man kannte und man schätzte sich. Max Liebermann, dessen Hollandbilder in Deutschland recht bekannt sind, verbrachte samt Familie neun Sommerurlaube an der holländischen Küste und pflegte, das ist belegt, engen Kontakt mit den dortigen Kollegen, Max Beckmann tat dies ebenso.

Erinnerungen an das alte Laren

Eine Besonderheit der Dortmunder Bilderschau sind übrigens wandgroße Schwarzweiß-Reproduktionen alter Fotografien von Laren und Umgebung. Oft stören solche Elemente ja eher, hier aber, in einer ansonsten streng geordneten Präsentation, ist ihre verortende Wirkung sinnvoll und angenehm. Darüber hinaus vermitteln auch sie „Ein Gefühl von Sommer…“, zumal dann, wenn sie in ihrem ersten Leben Urlaubspostkarten waren.

  • „Ein Gefühl von Sommer… – Niederländische Moderne aus der Sammlung Singer Laren“
  • Museum Ostwall im Dortmunder U, Leonie-Reygers-Terrasse
  • Bis 25. August. Geöffnet Di+Mi 11-18 Uhr, Do+Fr 11-20 Uhr, Sa+So 11-18 Uhr
  • Eintritt 9 EUR, Katalog 24,95 EUR
  • Tel. 0231 / 50 2 47 23
  • Anmeldungen und Buchungen: www.mo.bildung@stadtdo.de
  • museumostwall.dortmund.de



Chef des „Dortmunder U“: Edwin Jacobs hört schon wieder auf und geht nach Maastricht

Künftig Akademie-Leiter in Maastricht: Edwin Jacobs verlässt das „Dortmunder U". (Foto: Patrick Temme)

Künftig Akademie-Leiter in Maastricht: Edwin Jacobs verlässt das „Dortmunder U“. (Foto: Patrick Temme)

Welch eine Überraschung! Edwin Jacobs (58), der vor nicht einmal zweieinhalb Jahren mit großen Ambitionen gestartete Direktor des Kulturzentrums „Dortmunder U“ (und somit auch des Museums Ostwall), gibt diesen Posten schon wieder auf. Er wechselt im Herbst auf eigenen Wunsch nach Maastricht.

Vor wenigen Tagen haben wir noch – durch Utrecht flanierend – im privaten Kreis eher scherzhaft gegrübelt, warum Jacobs seinerzeit wohl diese herrlich pittoreske Stadt gegen das zu weiten Teilen recht ernüchternde Dortmund eingetauscht hat. Jetzt haben sich solche müßigen Grübeleien erübrigt.

Den Niederländer Edwin Jacobs, im Januar 2017 just vom Centraal Museum in Utrecht nach Dortmund gekommen, zieht es beruflich in sein Heimatland zurück, und zwar nicht etwa als Museums-Chef, sondern als Leiter der Kunstakademien in Maastricht. Dort tritt er bereits im September 2019 an. Die Kunstakademien Maastricht sind Teil der Zuyd University of Applied Sciences  – mit Studiengängen u. a. in Bildender Kunst, Design, Architektur und Multimedia-Design.

„Eine sehr persönliche Entscheidung“

Jacobs beginnt also eine akademische Karriere. Eine Pressemeldung der Stadt Dortmund zitiert ihn so: „Es ist eine sehr persönliche Entscheidung. Ich habe das Gefühl, in Museen nun alles erreicht zu haben. Als Leiter einer Kunsthochschule habe ich die großartige Chance, meine Erfahrungen und mein Wissen weitergeben zu können – das ist ein Geschenk.“ In Dortmund, so Jacobs demnach weiter, habe er sich sehr wohl gefühlt, er bleibe dem „U“ und der Stadt weiter verbunden. Was man halt als netter Mensch so zum Abschied sagt.

Defizit mit spektakulärer Schau über „Pink Floyd“

Edwin Jacobs hatte internationales Aufsehen erregt, als er (nach Stationen in London und Rom) die spektakuläre „Pink Floyd Exhibition“ nach Dortmund holte. Doch die groß angekündigte und beworbene Schau lockte deutlich weniger Besucher an als angepeilt. Bis heute liegen dazu offiziell immer noch keine konkreten Zahlen vor. Klar ist aber, dass dabei auch ein nicht unerhebliches finanzielles Defizit entstanden ist. Man mag nun spekulieren, ob Jacobs‘ Rückzug auch damit zu tun hat.

„Gefühl von Sommer“ und Umbau der Sammlung

In wenigen Tag wird Jacobs noch eine weitere Ausstellung präsentieren, die unter seiner Leitung entstanden ist. Unter dem Titel „Ein Gefühl von Sommer…“ wird das Museum Ostwall ab 11. Mai Bilder der niederländischen Moderne aus der Sammlung Singer Laren zeigen. Im Gegenzug sind 70 expressionistische Werke aus der Dortmunder Sammlung im Museum Singer Laren zu sehen. Der Austausch trägt ersichtlich die Handschrift von Jacobs.

Außerdem hat Edwin Jacobs eine grundlegende Neuordnung der Dortmunder Ostwall-Sammlung angestoßen, die gegen Ende dieses Jahres zu besichtigen sein soll – ein durchaus auf Langzeitwirkung angelegtes Projekt. Inwieweit von der Dortmunder Personalie die Zusammenarbeit mit dem künstlerischen Enfant terrible Jonathan Meese berührt ist, wird sich weisen müssen.

Als Interims-Leiter des „U“ wird Stefan Mühlhofer fungieren, der Direktor der Dortmunder Kulturbetriebe. Und schon wird die Suche nach einem Nachfolger oder einer Nachfolgerin eingeleitet. Dazu wird eine Findungskommission gebildet, der man nur Fortune wünschen kann, damit das „U“ nicht abermals für längere Zeit ohne adäquate Leitung bleibt. Das Haus mit den imponierenden Dimensionen braucht eine Perspektive.

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Nachtrag in Sachen „Pink Floyd“ am 10. Mai 2019:

Wie die Ruhrnachrichten heute berichten, hat das lange Schweigen über Besucherzahlen und Einnahmeverluste offenbar Vertragsgründe der geradezu grotesken Art. Demnach durfte die Stadt Dortmund nichts Näheres dazu verraten, weil sie sich auf einen komplizierten Vertrag mit dem New Yorker Unternehmen CPI eingelassen hatte, das die „Pink Floyd“-Ausstellung weltweit vermarktet. Hätte man die Zahlen ohne Genehmigung von CPI verkündet, so Dortmunds Kulturdezernent und Stadtkämmerer Jörg Stüdemann laut Ruhrnachrichten, dann wäre eine Vertragsstrafe von 1,2 Millionen Euro fällig gewesen. Die CPI-Anwälte verstanden in dieser Hinsicht offenbar keinen Spaß.

Auch so sei der finanzielle Verlust schon gehörig. Das Defizit, das die Schau verursacht hat, dürfte laut RN noch weitaus höher liegen, als bisher befürchtet wurde. Demzufolge geht es nicht „nur“ um eine knappe Million Euro, sondern um etwas über zwei Millionen Euro! Rund 60.000 Besucher waren gekommen, mindestens das Doppelte hatte man veranschlagt…

Der Abschied von Edwin Jacobs, so Stüdemann, habe nichts mit diesem Defizit zu tun.




Bilanz mit Mut zur Lücke: Viel Eigenlob für „Pink Floyd“-Ausstellung – doch die Besucherzahl bleibt ein Geheimnis…

Das „Dortmunder U" am 14. September 2018, dem Eröffnungstag der „Pink Floyd"-Schau. (Foto: Bernd Berke)

Das „Dortmunder U“ am 14. September 2018, dem Eröffnungstag der jetzt beendeten „Pink Floyd“-Schau. (Foto: Bernd Berke)

Mit der „Pink Floyd“-Ausstellung (Untertitel „Their Mortal Remains“) wollte man im „Dortmunder U“ das ganz große Rad drehen. Am letzten Sonntag, 10. Februar, ist die mächtig beredete und beworbene Schau nach fünf Monaten zu Ende gegangen. Also war man gespannt, welche Besucherzahl am Schluss vermeldet werden würde. War die (sicherlich mindestens angepeilte) magische Marke von 100.000 erreicht oder übertroffen worden? Hatte man gar die insgeheim erträumten 130.000 bis 150.000 geschafft?

Und tatsächlich: Gleich montags wurde für heute zur bilanzierenden Nachbereitungs-Pressekonferenz eingeladen – mit dieser ausdrücklichen Zusicherung: „Wir möchten Ihnen die Besucherzahlen (…) gerne vorstellen…“ Prima. Als wenn ich etwas geahnt hätte: Den Termin habe ich nicht selbst wahrgenommen, sondern mich auf die städtische Pressemitteilung verlassen.

Und? Sag schon! Wie viele Besucher waren es denn nun? Keine Ahnung. Zwar hat die besagte Pressekonferenz heute stattgefunden, doch eine konkrete Besucherzahl wurde eben nicht verraten. Die Schau habe „Zehntausende Menschen“ angelockt. Das könnten 20.000 oder 60.000 sein. Beispielsweise. Wirklich seltsam, diese auffällige Zurückhaltung. Ist die Wahrheit etwa unangenehm? Ansonsten hieß es, es sei nach verhaltenem Beginn immer besser gelaufen. Gegen Schluss habe es lange Warteschlangen gegeben.

Aber wer braucht denn auch schnöde Besucherzahlen? Höchstens so ein paar neugierige Journalisten. Die Ausstellung und ihre Effekte konnten ja auch so über den grünen Klee gelobt werden. Stadtdirektor Jörg Stüdemann (in Personalunion Kulturdezernent und Stadtkämmerer) und Edwin Jacobs, Direktor des „Dortmunder U“, führten einige Punkte auf, die wohl nicht von der Hand zu weisen sind. Stichwortartig zusammengefasst:

  • Das „Dortmunder U“ sei landes- und bundesweit als Ausstellungsort ins Bewusstsein gerückt, und zwar sozusagen „mit einem Knall“ (Jacobs).
  • Erhoffte, vielleicht auch wahrscheinliche Folgewirkung: Man werde bei Verhandlungen im Vorfeld künftiger Ausstellungen in einer deutlich besseren Position sein.
  • Laut Besucherbefragung waren satte 97 Prozent mit der Schau zufrieden oder sehr zufrieden. Das wäre als Wahl- oder Abstimmungsergebnis schon beinahe unheimlich. Je etwa ein Drittel der Leute kam a) aus Dortmund/dem Ruhrgebiet, b) dem Rest des Landes NRW und c) aus anderen Bundesländern.
  • Organisation und Logistik hätten den Härtetest bestanden, es seien dabei viele neue Erkenntnisse gewonnen worden.

Alles gut und schön. Aber eine klitzekleine Frage hätten wir dann doch noch – auch, wenn es nervt: Wie viele Besucherinnen und Besucher hat die Ausstellung eigentlich gehabt?

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Nachtrag am 15. Februar 2019:

Selbstverständlich geht es nicht nur um die bloße Besucher(innen)zahl, sondern im Gefolge um handfeste Finanzfragen. Das ohnehin – Achtung, Modewort – „eingepreiste“ und dem Rat genannte städtische Finanzrisiko von 1 Million Euro dürfte spürbar überschritten werden. Das berichten u. a. dpa und die Ruhrnachrichten.

Vielleicht haben ja doch die recht hohen Eintrittspreise manche Leute vom Besuch der Ausstellung abgehalten? Der „krumme“ Normalpreis via Eventim betrug immerhin 29,76 Euro. Eine darauf abzielende Frage hatte „U“-Chef Edwin Jacobs bei der Eröffnungs-Pressekonferenz u. a. mit dem Hinweis auf die ungleich höheren Preise für Konzert-Eintrittskarten gekontert.

Ohne es den jetzigen Akteuren anlasten oder einen direkten Bezug herstellen zu wollen: Die Besucherzählung der Dortmunder Kulturbetriebe fürs „Dortmunder U“ war jedenfalls schon vor Jahren durch eine gewisse Eigenwilligkeit aufgefallen – dazu hier ein Bericht von 2016.




Wo die legendären Alben lebendig werden: Dortmund lockt mit „The Pink Floyd Exhibition“

Blick in die Dortmunder „Pink Floyd"-Ausstellung: Der schreckliche Lehrer bricht durch die Mauer, die dem ungleich größeren Exemplar aus der Konzertreihe „The Wall" nachempfunden ist. (Foto: Bernd Berke)

Blick in die Dortmunder „Pink Floyd“-Ausstellung: Der schreckliche Lehrer durchbricht die Mauer, die dem ungleich größeren Exemplar aus der Konzertreihe „The Wall“ von 1981 nachempfunden ist. (Foto: Bernd Berke)

Ein berühmter Song von Pink Floyd trifft hier und jetzt besonders zu: „Wish You Were Here“, eh schon eine der eingängigsten Schöpfungen der 1965 gegründeten britischen Kultband. Ja, man wünscht sie sich zurück, am liebsten gleich und genau hierher: die alten Zeiten, die eigene Jugend, all die verheißungsvollen Aufbrüche der damaligen Pop- und Rockmusik.

Tatsächlich wird einem jetzt in Dortmund dabei aufgeholfen: „The Pink Floyd Exhibition“ mit dem britisch-sarkastischen Untertitel „Their Mortal Remains“ (Ihre sterblichen Überreste) erweist sich als durchaus anregendes Unterfangen, das so manche Phase und manchen Moment der über 50-jährigen Band-Historie überraschend lebendig werden lässt. Auch jüngeren Besuchern dürfte sich bei der Zeitreise hoch droben auf der sechsten Ebene des „Dortmunder U“ der eine oder andere Zugang zum Werk der Supergruppe eröffnen.

Dritte Station nach London und Rom

Die Abfolge der Ausstellungsstationen klingt geradezu märchenhaft: erst London (Victoria and Albert Museum), dann Rom, jetzt Dortmund. Schon einmal hat Dortmund ziemlich zentral im „Pink Floyd“-Universum gelegen: 1981 gab es in der Westfalenhalle gleich sieben Aufführungen der gigantischen Show „The Wall“. Ansonsten stemmten damals nur Los Angeles, New York und London die ungemein aufwendige Konzertserie.

Schier endlos gespiegelt: das ohnehin schon vielschichtige Cover des „Pink Floyd"-Albums „Ummagumma". (Foto: Bernd Berke)

Schier endlos und überlebensgroß gespiegelt: das irritierende Cover des „Pink Floyd“-Albums „Ummagumma“. (Foto: Bernd Berke)

Auch an diesen Mythos, an den sich etwas ältere Dortmunder noch heute mit leuchtenden Augen erinnern, konnte „U“-Direktor Edwin Jacobs anknüpfen, als er Aubrey Powell (Gestalter vieler legendärer „Pink Floyd“-Plattencover) von einem lohnenden Gastspiel der Schau in Dortmund überzeugte. Powell fungiert denn auch auch Ko-Kurator der Ausstellung. Und wer, wenn nicht er, könnte den Geist der Cover (und somit auch der Musik) gleichsam wieder einfangen und staunenswert neu aufleben lassen?

Auf einmal erhebt sich die Mauer

Hier und da steht man beim Rundgang ganz plötzlich inmitten altbekannter Szenarien; da wird etwa das ohnehin schon rätselhaft vielschichtige Cover von „Ummagumma“ beiderseits endlos gespiegelt. Am spektakulärsten ist jedoch der Effekt, wenn sich auf einmal ein nachempfundenes Stück der Mauer aus den „Wall“-Konzerten vor einem erhebt – mitsamt dem grässlichen Lehrer und dem erbärmlich leidenden Schüler.

Ganz klar: Da erinnern sich Kenner natürlich sogleich an die – zugegeben – auch etwas wohlfeile Zeile „We don’t need no education“ (Wir brauchen keine Erziehung) und den Schlachtruf „Hey! Teachers! Leave them kids alone“ (Ey, Lehrer, lasst die Kinder in Ruhe). Überhaupt ist die Verschränkung von Sound und Bildern in dieser Ausstellung streckenweise besonders stimmig gelungen. Eins hebt das andere hervor, hebt es auf eine neue Stufe.

Die Musiker als Ingenieure und Tüftler

Wer sich entsprechend Zeit nimmt, kann gut und gerne zwei bis drei Stunden durch diese Ausstellung streifen, die eine labyrinthische, abgedunkelt höhlenartige Anmutung hat – fast wie so ein Underground-Club seligen oder auch erschröcklichen Angedenkens.

Reichlich Exponate: Eine von vielen Vitrinen in der Dortmunder „Pink Floyd"-Schau. (Foto: Bernd Berke)

Reichlich Exponate: Eine von vielen gut gefüllten Vitrinen in der Dortmunder „Pink Floyd“-Schau. (Foto: Bernd Berke)

Ziemlich getreulich chronologisch, sozusagen Album für Album (siehe Anhang), kann man hier voranschreiten – von den psychedelischen Anfängen durch alle (über)ambitionierten Klangexperimente und bombastischen Aufgipfelungen von quasi wagnerianischen Gesamtkunstwerk-Ausmaßen, die freilich bei dieser Band mit den Jahren nicht immer mit überbordendem Erfindungsreichtum einher gingen. Dass und wie „Pink Floyd“ auch Anschluss an die Avantgarde der E-Musik suchte, hat längst nicht alle Kritiker gleichermaßen überzeugen können.

Nicht ohne fliegendes Schwein

Die Mannen von Pink Floyd, so zeigt sich hier abermals, waren nicht zuletzt kreative Ingenieure und ehrgeizige Soundtüftler, die stets das jeweils neueste elektronische Equipment bis an die Grenzen austesteten. Zahlreiche Gerätschaften sieht man hier, die heute liebenswert altmodisch und reichlich verwittert aussehen, die zu ihrer Zeit aber der letzte Schrei und State of the Art waren – vom heute vorsintflutlich wirkenden „Azimuth Co-ordinator“ bis zum frühen Synthesizer.

Ein Markenzeichen der Band: schwebendes Schwein im Rolltreppenhaus des „Dortmunder U". (Foto: Bernd Berke)

Ein Markenzeichen der Band: schwebendes Schwein im Rolltreppenhaus des „Dortmunder U“. (Foto: Bernd Berke)

Ansonsten sieht man einen vielfältigen medialen Mix aus Fotografien, Filmausschnitten, Plakaten, Bühnenskizzen, Briefen und weiteren Objekten. Hie und da sind es eher bloße Devotionalien, doch manch ein Stück gibt auch näheren Aufschluss. Und ja: Das fliegende Schwein hat selbstverständlich auch seine gebührenden Auftritte, und zwar erstmals schon ganz unten überm Foyer.

Der Gentleman Nick Mason gab sich die Ehre 

Offenbar hat man sehr zeitig und vorausschauend begriffen, dass es zur sich immer mehr entfaltenden Band-Geschichte jede Menge aufhebenswerte Gegenstände gibt. So gehören denn auch zahlreiche Gitarren zu den Exponaten, aber auch ein im Stile des japanischen Malers Hokusai verziertes Schlagzeug oder gar hübsch aufgefächerte gebrauchte Drumsticks von Nick Mason und ein halb zerfetztes Schlagfell, das er offenbar etwas wuchtiger traktiert hat.

Hübsch aufgefächert: Drumsticks des Schlagzeugers Nick Mason. (Foto: Bernd Berke)

Hübsch aufgefächert: Drumsticks des Schlagzeugers Nick Mason. (Foto: Bernd Berke)

Dabei hat sich dieser Nick Mason, der mitten aus der aktuellen Tournee heraus als einziges Band-Mitglied zur Ausstellung nach Dortmund kam, in der Gruppe musikalisch zumeist vornehm im Hintergrund gehalten, jedoch dem großen Ganzen ein höchst solides rhythmisches Gerüst und Fundament verliehen. Er macht übrigens den sehr angenehmen Eindruck eines feinsinnigen, mit Ironie gesegneten britischen Gentleman. Indeed!

Wechselvolle Bandgeschichte

Die Alphatiere der Gruppe, Roger Waters und David Gilmour, sind – nach allem, was man so hören und lesen kann – hingegen ganz andere, mächtig auftrumpfende Kaliber. Roger Waters, der seit etlichen Jahren im Sinne der dubiosen Organisation BDS für einen rigiden Boykott gegen Israel eintritt, wehrt sich übrigens in einem just heute veröffentlichten Interview der „Süddeutschen Zeitung“ (SZ-Magazin) nochmals gegen den oft erhobenen Vorwurf des Antisemitismus‘. An dieser Stelle genug davon.

Die wechselvolle, oft sehr turbulente Bandgeschichte, die anfangs Syd Barrett früh in den Drogenwahn trieb und später in mancherlei persönliche und juristische Grabenkämpfe mündete, wollen wir hier auch nicht im Detail nachbeten. Teile kann man sich in der Ausstellung erschließen, anderes wird man füglich nachlesen können. Vom optischen und akustischen Genuss des finalen Konzertfilms sollte man sich jedenfalls nicht abhalten lassen.

Von links: Aubrey Powell (häufig Cover-Gestalter für „Pink Floyd" und Kurator der Dortmunder Schau), Dortmunds OB Ullrich Sierau, „Pink Floyd"-Drummer Nick Mason,, Edwin Jacobs (Chef des Dortmunder „U") und Jörg Stüdemann, Dortmunder Stadtkämmerer und Kulturdezernent. (Foto: Bernd Berke)

Von links: Aubrey Powell (häufig Cover-Gestalter für „Pink Floyd“ und Ko-Kurator der Dortmunder Schau), Dortmunds OB Ullrich Sierau, „Pink Floyd“-Drummer Nick Mason, Edwin Jacobs (Chef des Dortmunder „U“) und Jörg Stüdemann, Dortmunder Stadtkämmerer und Kulturdezernent. (Foto: Bernd Berke)

Ob die Schau doch noch eine oder mehrere weitere Stationen ansteuern wird, steht dahin. Gespräche laufen offenbar. Man könnte den Verdacht haben, dass die USA noch an die Reihe kommen werden.

Dortmund aber hat die Exklusivität in ganz West- und Mitteleuropa für sich. Die Besucherzahl könnte und sollte deshalb weit oberhalb der 100.000er-Marke liegen. Viele Gäste werden wohl vor allem aus den Niederlanden, aus Belgien, der Schweiz und Österreich anreisen – und wer weiß, woher sonst noch. Wie schön, wenn die Stadt mal außerhalb der Fußball-Zusammenhänge dermaßen viele Leute anlockt.

„The PINK FLOYD Exhibition. Their Mortal Remains“. Ausstellung im „Dortmunder U“, 6. Ebene, Leonie-Reygers-Terrasse. Tel. 0231 / 50-247 23. www.dortmunder-u.de

15. September 2018 bis 10. Februar 2019. Geänderte Öffnungszeiten: Mo-Mi 10-18, Do/Fr 10-20 Uhr, Sa/So 10-22 Uhr. Letzter Einlass jeweils eine Stunde vor Schließung.

Tickets gibt es im Vorverkauf über die Firma Eventim, die sonst vor allem Konzertkarten anbietet. Die ungewöhnlichen Preise: Normal 29,76 Euro, ermäßigt 23,16 Euro. www.eventim.de Bestell-Hotline 01806 / 57 00 70.

Durch den Rundgang geleitet wird man übrigens von hochmodernen Audioguides, die jeweils die passenden Sounds zu den gerade besehenen Ausstellungsstücken liefern – ganz gleich, wie und in welcher Richtung man sich bewegt.

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Die wichtigsten Alben von Pink Floyd“

The Piper at the Gates of Dawn (1967)
A Saucerful of Secrets (1968)
Ummagumma (1969)
Atom Heart Mother (1970)
Meddle (1971)
The Dark Side of the Moon (1973)
Wish You Were Here (1975)
Animals (1977)
The Wall (1979)
The Final Cut (1983)
A Momentary Lapse of Reason (1987)
The Division Bell (1994)




Schon wieder so ein Coup: Jonathan Meese soll die Dortmunder Ostwall-Sammlung umgestalten

Und schon wieder ist von einem Dortmunder Coup zu reden, der dem Museum Ostwall im Dortmunder „U“ mindestens bundesweite, wenn nicht gar internationale Aufmerksamkeit sichern wird: Der – gelinde gesagt – nicht immer unumstrittene Künstler Jonathan Meese wird die Sammlung des Hauses neu kuratieren, die somit abermals in gehörige Bewegung geraten wird.

Im Museum Ostwall: Jonathan Meese salutiert vor ERnst Ludwig Kirchners "Stafelalp im Mondschein" (1919) (Foto: Tim van Laere)

Im Museum Ostwall: Jonathan Meese salutiert vor Ernst Ludwig Kirchners „Stafelalp im Mondschein“ (1919). (Foto: Tim van Laere)

Bis Herbst 2019 (geplante Eröffnung: 4. Oktober) soll Meese die Bestände um und um gewendet haben, so dass sich für ein Jahr wiederum andere Perspektiven darbieten. So paradox es klingen mag: Von Überraschungen ist dabei unter Garantie auszugehen. Mal schauen, welche womöglich ungeahnten Strukturen und Bezüge der Künstler dem Dortmunder Eigenbesitz abgewinnen wird.

Erst seit kurzem zeigt sich die vormals in Ehren ergraute Sammlung, kundig neu geordnet von Nicole Grothe, unter dem Titel „Fast wie im echten Leben“ auf erfrischend andere Weise. Umso gespannter darf man sein, was im Gefolge ein Mann wie Jonathan Meese daraus macht. Wenn’s richtig gut läuft, entsteht hier eine neue Pilgerstätte der Kunst im Ruhrgebiet – und weit darüber hinaus.

Der Direktor des „Dortmunder U“ (und damit auch des Museums Ostwall), der Niederländer Edwin Jacobs, hat damit bereits den zweiten Aufsehen erregenden Glücksgriff seiner immer noch jungen Amtszeit getan: Im September 2018 soll die erste museale Retrospektive der Kultband „Pink Floyd“ ins Museum Ostwall kommen, die zuvor nur in London und Rom zu erleben ist bzw. war.

Nun also Jonathan Meese, der in den nächsten Monaten immer mal wieder im Dortmunder „U“ auftauchen dürfte, um mit seinem Team und den Museumsleuten das Projekt voranzubringen. Wie es heißt, haben es ihm besonders die in Dortmund versammelten Expressionisten angetan.

Es ist wohl keine Frage, dass er die Sammlung auch von sehr subjektiven und radikalen Standpunkten aus aufrollen wird. Der Arbeitstitel in Dortmund lautet jedenfals „Sammlung ‚Keine Angst‘ (Dr. Nullzensur)“.

Auch Max Beckmanns "Selbstbildnis mit Zigarette" (1947) scheint Meese zu gefallen. (Foto: Tim van Laere)

Auch Max Beckmanns „Selbstbildnis mit Zigarette“ (1947) scheint Meese zu gefallen. (Foto: Tim van Laere)

Auf dem Weg über Mythen, Sagen und Ideologien, mit denen er sich (auch im Gefolge eines Anselm Kiefer) vorzugsweise und immer wieder befasst, wird er sicherlich eigene Arbeiten und/oder Performances ins Spiel bringen, zumindest als Seh- und Herangehensweise, wenn nicht ganz konkret. Das alles wird sich – auch im Zusammenwirken mit dem Ostwall-Team – nach und nach entwickeln.

Wir wollen es nicht verschweigen: Skandalträchtig und gerichtsnotorisch waren einige seiner Auftritte, in deren Rahmen Meese den verbotenen Hitlergruß gezeigt hat. In allen Fällen wurde er allerdings freigesprochen, und es wurde ihm Kunstfreiheit zugestanden.

Wenn ich mir noch eine unqualifizierte Bemerkung nebenher erlauben darf: Die städtische Pressestelle hat von einem Einstandsbesuch Meeses in Dortmund einige Fotos geschickt (siehe Beispiele). Und ich muss sagen: Vom Outfit her passt Jonathan Meese schon mal recht gut zu dieser Stadt. Ihr wisst schon, wie ich’s meine.




„Fast wie im echten Leben“: Gründlich umgestaltete Ostwall-Sammlung im Dortmunder „U“ wirkt geradezu erfrischend

Da schau her! Wie hat sich die Präsentation dieser Sammlung verändert! Man erkennt sie streckenweise kaum wieder. Hier gilt’s nicht mehr so sehr der hehren Kunst, die sich vom schnöden Alltag abhebt, sondern im Gegenteil: Die Kernfrage lautet, wie sehr die Werke mit uns und unserem Alltag zu tun haben, wie sie aus ihm hervorgehen und ihn wiederum beeinflussen; selbst noch aus historischem Abstand – und sei’s als Gegenpole. Die gründlich neu gestaltete Sammlung des Museum Ostwall (MO) im Dortmunder „U“ ist im besten Wortsinne „ansprechender“ geworden.

Die Leiterin und Kuratorin der Ostwall-Sammlung, Nicole Grothe, erläutert eine Ansammlung von Arbeiten Bernhard Hoetgers. (Foto: Bernd Berke)

Die Leiterin und Kuratorin der Ostwall-Sammlung, Nicole Grothe, erläutert eine Ansammlung von Arbeiten Bernhard Hoetgers. (Foto: Bernd Berke)

Die alles überwölbende Ausstellungs-Parole heißt denn auch: „Fast wie im echten Leben“. Gleich im neuen Eingangsbereich auf der 5. Etage des „U“-Turms blicken einen lauter andere Ausstellungsbesucher von ehedem frontal an. Das großformatige Tableau mit Schwarzweiß-Fotografien stammt von Jochen Gerz und ist ein geradezu monumentales Relikt seiner groß angelegten Dortmunder Aktion „Das Geschenk“ aus dem Jahr 2000. So wird bereits signalisiert: Das Ganze hier hat vor allem mit Euch zu tun!

Bildnisse der Besucher

Zudem wird man sogleich freundlich ermuntert, selbst zum Zeichenstift zu greifen und sein eigenes, mehr oder weniger verfremdetes Spiegelbild zu entwerfen, womöglich auch inspiriert von einem kleinen Matisse-Bildnis aus Dortmunder Eigenbesitz, das direkt über dem Zeichentisch hängt.

An dieser Stelle darf man sein eigenes Spiegelbildnis zeichnen. (Foto: Bernd Berke)

An dieser Stelle darf man sein eigenes Spiegelbildnis zeichnen. (Foto: Bernd Berke)

Die so entstandenen Selbstporträts sollen täglich gesammelt und an einer freien Wand aufgehängt werden. Auf diese Weise nimmt man also zur Kenntnis, welche Leute vor einem in der Ausstellung waren oder vielleicht noch sind; zumindest erfährt man’s physiognomisch, selbstverständlich ohne alle weiteren Daten. Oder halt gänzlich abstrakt.

Acht weitere dieser Aktionspunkte werden im Laufe des Rundgangs noch folgen. Mal kann man zu mehreren ein Bild kreieren, mal eine Landschaft nach Belieben ergänzen. Wer will, muss jedenfalls nicht passiv und unbeteiligt bleiben.

Partizipation als Leitlinie

Derlei Ansätze fügen sich zum Credo des niederländischen „U“- und Ostwall-Chefs Edwin Jacobs, der entschieden auf Partizipation setzt. Kuratorin Nicole Grothe und ihr Team haben konsequent die Leitlinie verfolgt, die auf Einbeziehung der Besucher(innen) hinausläuft. In eine voluminöse Arbeit, die bei Berührung musikalische Töne von sich gibt, darf man sich gar (vorsichtig) hineinlegen. Trotz alledem macht das Museum jedoch keine Abstriche am Eigenwert der Kunst. Manche Arbeit erscheint einem, derart neu besehen, überraschend anders und wie erfrischt.

Vier farblich deutlich, aber dezent abgegrenzte Bereiche sind nicht chronologisch, sondern thematisch geordnet. So kommt es, dass Beispiele für die Dortmunder Sammlungsschwerpunkte (Expressionismus und Fluxus-Kunst seit den 60er Jahren) miteinander vielfach in direkte Dialoge treten können.

Christian Rohlfs: "Clowngespräch", 1912. Öl und Tempera auf Leinwand. (Museum Ostwall)

Christian Rohlfs: „Clowngespräch“, 1912. Öl und Tempera auf Leinwand. (Museum Ostwall)

Intensiviert werden solche ästhetischen Zwiesprachen durch eine großzügige Öffnung der Räume. Es sind einige Zwischenwände verschwunden, deren Standspuren noch am Boden zu gewärtigen sind. Auch dies hat Methode und soll besagen: Wir sind noch lange nicht fertig. Dies ist ein „work in progress“, es soll beileibe nicht die letzte Veränderung bleiben.

Von einer wünschenswerten „Dynamisierung“ der Sammlung spricht Edwin Jacobs. Die Kunst soll nach seinem Verständnis an- und aufregende Geschichten erzählen und Assoziationen anstoßen. In weiteren Erneuerungs-Schritten sollen auch neue Pfade durch gesamte Haus gezogen werden. Dafür werden noch hochkarätige Museums-Designer gesucht.

Geradezu frappierender Effekt schon zu Beginn: Porträtbüsten und Vorarbeiten des Dortmunder (genauer: Hörder) Lokalmatadors Bernhard Hoetger werden gleichsam en masse und seriell gezeigt, auf einem Regal gestapelt, ohne Sockelgehabe oder sonstige Überhöhung ihrer Entstehungszeit. Damit kontrastiert eine Arbeit von Dieter Roth (1930-1998), der sich und sein Seelenleben – gewiss nicht ohne Selbstironie –  in einem tierischen Turm aus lauter Schokoladen-Löwen dargestellt hat. Auch hier das serielle Moment, doch willentlich vom Künstler ins Werk gesetzt und mit völlig anderer Intention.

Am Beispiel Hoetger lernt man auch gleich, wie die Herrichtung durch Kuratoren künstlerische Arbeiten verändern und in neue Kontexte stellen kann. Apropos: Zum neuen Konzept gehört auch, dass man an einer bestimmten Stelle immer mal wieder Museumsleuten bei der Arbeit über die Schulter schauen und sie dabei ein wenig stören kann. Fragen erwünscht, auch nach dem Motto: „Was machen Sie eigentlich so den ganzen Tag?“

August Macke: "Großer Zoologischer Garten", 1913. Öl auf Leinwand, ehemals Sammlung Gröppel. (Museum Ostwall)

August Macke: „Großer Zoologischer Garten“, 1913. Öl auf Leinwand, ehemals Sammlung Gröppel. (Museum Ostwall)

Die leicht fasslichen Titelzeilen der vier Bereiche lauten: „Du und ich“ (Menschendarstellungen), „Ausflug ins Grüne“ (Natur in allerlei Formen), „Freund oder Feind“ (Kampf, Krieg und Ausgrenzung) sowie „Kunst und Leben“.

Schließlich wird anhand ausgewählter Arbeiten erwogen, wieviel Alltag in der Kunst steckt – und wieviel Kunst im Alltag. Ob das in jedem Einzelfalle schlüssig gelingt, ist eine andere Frage, mit der man sich eingehender befassen muss.

Im Kapitel „Freund oder Feind“ wird unterdessen ausdrücklich an die Gründungsimpulse der Nachkriegszeit erinnert, als das Ostwall-Museum ganz bewusst die von den Nazis als „entartet“ verfemten Künstler rehabilitierte. Die nahezu unterschiedlos dichte „Petersburger Hängung“ an einer Wand führt vor Augen, wie nahezu wahllos und konfus die NS-Machthaber Kunstwerke aussortiert hatten.

Wolf Vostell: "TEK (Thermoelektrischer Kaugummi)", 1970. 5 Lichtquellen, 30 Metallpfähle mit Stacheldraht, 5 Koffer mit Radios und wärmeempfindlichen Mikrophonen, 13000 Löffel und Gabeln. (© VG BIld-Kunst, Bonn 2017)

Wolf Vostell: „TEK (Thermoelektrischer Kaugummi)“, 1970. 5 Lichtquellen, 30 Metallpfähle mit Stacheldraht, 5 Koffer mit Radios und wärmeempfindlichen Mikrophonen, 13000 Löffel und Gabeln. (© VG Bild-Kunst, Bonn 2017)

Die Veränderungen gehen bis ins Detail der Vermittlung. Vermehrt wird mit zusammenfassenden Wandtexten gearbeitet, die einzelnen Exponate werden zusätzlich erklärend beschriftet, und zwar endlich auch durchgehend in englischer Sprache. Warum sollte man denn nicht mit internationalem Publikum rechnen? Als anglophones Markenzeichen klingt das Museum Ostwall (MO) denn auch beinahe pop-verdächtig: „The MO“. Mal versuchshalber so gesagt: Hey, let’s go to the Mo…

Wer in der Sammlung bekannte Künstlernamen sucht, wird nach wie vor an vielen Stellen fündig: hie eine Arbeit von Jörg Immendorff, dort eine raumfüllende Installation von Wolf Vostell, Werke von Otto Piene, Daniel Spoerri, Yves Klein; von Max Beckmann und einigen Expressionisten ganz zu schweigen. Und so weiter.

Doch es kommt laut Nicole Grothe in diesem Zusammenhang weniger auf Prominenz an, sondern darauf, was einen die Kunst angeht und wie sie einen angeht. Selbst ein Stolz der Sammlung wie August Mackes „Großer Zoologischer Garten“ (1913) erstrahlt nicht nur für sich selbst, sondern auch im erhellenden Zusammenspiel mit Landschafts- und Natur-Darstellungen von ganz anderer Art.

Vorläufiges Fazit: Auch und gerade altgediente Kenner der Dortmunder Sammlung können hier das Entdecken und Staunen wieder lernen. Wenn sich das alles herumspricht, darf man wohl auch hoffen, neue Besucherkreise anzuziehen.

„Fast wie im echten Leben“. Museum Ostwall im Dortmunder „U“, Neupräsentation der Sammlung in der 4. und 5. Etage.

14. November 2017 bis 4. März 2018. Öffnungszeiten: Di / Mi 11-18 Uhr, Do / Fr 11-20 Uhr, Sa / So /Feiertage 11-18 Uhr. Eintritt 5 Euro (ermäßigt 2,50), Kinder und Jugendliche unter 18 frei.

Adresse: Leonie-Reygers-Terrasse, 44137 Dortmund. Tel.: 0231 / 50 24 723. Internet: www.museumostwall.dortmund.de

Zeitlich parallel läuft im Ostwall -„Schaufenster“ die kleine Ausstellung „Today I want to show you“ des Kölner Künstlers Bastian Hoffmann, der die Form von Erklärvideos bei YouTube und anderen Plattformen aufgreift. Dabei setzt er sich hintersinnig mit der „Do it yourself“-Bewegung auseinander; zwar humorvoll, aber keineswegs hämisch. Hoffmann ist just zum Träger des Kunstpreises „Follow me Dada and Fluxus“ gekürt worden, der von den Freunden des Museums Ostwall e. V. ausgelobt wird.




Coup fürs „Dortmunder U“: Schau über die legendäre Rockband „Pink Floyd“ kommt aus London

Das ist doch mal eine gelungene Überraschung: Edwin Jacobs, aus Utrecht kommender neuer Chef des „Dortmunder U“ und somit auch des Museums Ostwall, kann bereits den ersten Coup seiner Dortmunder Amtszeit verbuchen; allerdings nicht mit einer klassischen Kunstausstellung, sondern mit einer Schau über die legendäre Rockgruppe „Pink Floyd“.

"Animals" - album cover art, Riger Waters, 1977 (© Pink Floyd Music Ltd. / Victoria and Albert Museum, London)

„Animals“ – album cover art, Roger Waters, 1977 (© Pink Floyd Music Ltd. / Victoria and Albert Museum, London)

Die weltweit erste derartige Retrospektive über die Band startet ihre Tour am kommenden Wochenende im ehrwürdigen Victoria and Albert Museum in London, wo sie vom 13. Mai bis zum 1. Oktober zu sehen sein wird. Der Titel kommt schon gebührend gravitätisch, aber auch ein wenig britisch-ironisch daher: „Pink Floyd: Their Mortal Remains“ („Pink Floyd: Ihre sterblichen Überreste“).

Ab Frühjahr 2018 soll dann Dortmund die einzige Station im deutschsprachigen Raum sein. Schauplatz ist dann die 6. Etage des „Dortmunder U“. Einen weiteren Halt macht die Präsentation in Rom. London – Rom – Dortmund. Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen…

Angekündigt wird eine multimediale Reise durch die rund 50-jährige Geschichte der ungemein einflussreichen Band. Im Mittelpunkt steht zwar vorwiegend, aber nicht nur die Musik – mit den Bandmitgliedern, ihren Songs und Instrumenten, Tourneen und Auftritten. Es geht beispielsweise auch um die visuelle Gestaltung der Alben und der Bühnenbilder – und um persönliche Erinnerungsstücke wie etwa Klassenbuch oder Rohrstock aus Kindertagen. Insgesamt soll die Ausstellung die wandelbare Entwicklung von der anfänglichen psychedelischen Phase bis hin zu den kommerziellen Welterfolgen nachzeichnen.

Schon dieses erste Ausrufezeichen des neuen Museumsdirektors deutet an, dass künftig auch populäre Themen ins Haus geholt werden dürften, die das bisherige Spektrum erweitern. Sicherlich hofft man dabei auf ein Publikum, das über die üblichen Kreise der Museumsbesucher hinaus reicht. Es kann ja wirklich nicht schaden, neue Besucherschichten zu erschließen.

Das „Dortmunder U“ könnte dabei zur temporären Pilgerstätte von zahlreichen „Pink Floyd“-Fans werden, die sich vermutlich auch auf weitere Anreisen begeben . Übrigens war es die Dortmunder Westfalenhalle, wo die Band im Februar 1981 mit der gigantischen Show „The Wall“ einen ihrer wohl spektakulärsten Auftritte hatte. Auch 1977 und 1988 gastierte die Gruppe in Dortmund. Manche Leute schwärmen heute noch davon.

Einen Vorgeschmack auf die Londoner Ausstellung kann man sich auf der Internet-Seite des Victoria and Albert Museums verschaffen: https://www.vam.ac.uk/exhibitions/pink-floyd




Edwin Jacobs, neuer Chef im „Dortmunder U“: „Nicht nur gucken, sondern mitmachen!“

Bei null Grad auf der Dachterrasse des "Dortmunder U": der neue Chef Edwin Jacobs (vorn Mitte) mit Reginal Selter (stellv. Direktorin des Museums Ostwall, links neben ihm), Inke Arns (Leiterin des HMKV, rechts neben Jacobs) und weiteren Akteuren aus dem Team. (Foto: Bernd Berke)

Bei ungefähr null Grad auf der Dachterrasse des „Dortmunder U“: der neue Chef Edwin Jacobs (vorn Mitte) mit Regina Selter (stellv. Direktorin des Museums Ostwall, links neben ihm), Inke Arns (Leiterin des HMKV, rechts neben Jacobs) und weiteren Akteuren aus dem Team. (Foto: Bernd Berke)

Dieses viele Grün in der Stadt. Diese kreativen und aufgeschlossenen Menschen. Diese Offenheit für Zukunft. Diese positive Energie.

Nanu? Von welcher swingenden Metropole ist denn da die nahezu euphorische Rede? Haltet euch fest: von Dortmund! Die Stadt hat sich vor einiger Zeit den Slogan „Dortmund überrascht dich“ gegeben. Scheint ja mal wieder zu stimmen.

Nun aber die Zusatzfrage: Wer spricht denn da eigentlich? Oranje boven: Es ist Edwin Jacobs, der aus Utrecht kommende neue Direktor des „Dortmunder U“ und damit auch Chef des Museums Ostwall, der seit rund sechs Wochen hier ist, offenbar mit Feuereifer ans Werk geht und sein Lob für die Stadt natürlich nicht in atemlosen Stichworten formuliert hat.

Beispiellose Breite des Angebots

Jacobs macht auf Anhieb einen hellwachen und neugierigen Eindruck. Seine Wirkungsstätte preist er, mit charmantem niederländischen Akzent, in ziemlich hohen Tönen. Die Breite des kulturellen Angebots im „Dortmunder U“ sei in ganz Deutschland beispiellos, schwärmt er. Wobei er selbstverständlich auch weiß: „Wir sind hier nicht in Berlin. Auch nicht in München…“

Apropos breites Angebot: Tatsächlich gaben in der heutigen Programm-Pressekonferenz des „U“ nicht weniger als neun Verantwortliche fürs große Ganze und für die unterschiedlichen Sparten skizzenhaft Auskunft. Das auch etwas unübersichtliche Spektrum reicht vom Museum Ostwall (MO) über den Hartware MedienKunstVerein (HMKV) und Dependancen der Dortmunder Hochschulen (TU / FH) bis hin zur Abteilung für Kulturelle Bildung und zum eigenen Kino; nicht zu vergessen die trendige Gastronomie im „View“, diverse Veranstaltungsserien inbegriffen. Da blicke einer sofort durch.

In der Stadtgesellschaft verankern

Zu den Aufgaben von Edwin Jacobs wird es gewiss gehören, die Kräfte all dieser Gliederungen zu bündeln, ohne Vielfalt zu opfern. Ihm schwebt als Leitideal vor allem „Partizipation“ vor, das Publikum soll also „nicht nur gucken“, sondern – wo es irgend geht – auch zum Mitmachen ermuntert werden. Es gelte, rund ums „U“ eine Community zu schaffen und den gigantischen Kreativpalast, der immerhin schon ins (wohl nicht verflixte)  siebte Jahr geht, noch mehr in der Dortmunder Stadtgesellschaft zu verankern. Übrigens wird diese CommUnity in den Broschüren bereits gern mit großem „U“ in der Mitte geschrieben. Markenzeichen-Design muss halt sein.

Schon fast 10000 bei Niki de Saint Phalle

Von einer Pressekonferenz mit „Rückblick und Ausblick“ darf man erfahrungsgemäß nicht allzu viel Konkretes erwarten. So ist es Brauch: Das Bisherige erscheint füglich im vorteilhaften Licht, der Boden für Neues wäre also bereitet.

Ein golden eingefasster Buchstabe krönt das Dortmunder "U", die filmischen Installationen stammen von Adolf Winkelmann. (Foto von Dezeber 2016: Bernd Berke)

Ein golden eingefasster Buchstabe krönt das Dortmunder „U“, die „fliegenden“ filmischen Bilder stammen von Adolf Winkelmann. (Foto von Dezember 2016: Bernd Berke)

Besonders zufrieden zeigt sich der bisherige „U“-Geschäftsführer Kurt Eichler mit der MO-Ausstellung über Niki de Saint Phalle, die auch überregional große Aufmerksamkeit geweckt hat. In der Schau, die seit dem 10. Dezember 2016 läuft und noch bis zum 23. April dauert, wird man in wenigen Tagen den/die 10000. Besucher(in) begrüßen. Immerhin. Für (bisherige) Dortmunder Verhältnisse ist das schon achtbar.

Offenbar zahlt sich dabei auch schon die neue Eintrittspreis-Strategie aus: einmalig fünf Euro zahlen, danach beliebig oft in städtische Museen gehen. Schon nach fünf Wochen hört man von einer Verdoppelung der Besucherzahlen im Jahresvergleich, Genaueres wird noch ermittelt.

„Mindestens eine Top-Ausstellung pro Jahr“

Edwin Jacobs sieht sich derzeit sozusagen noch als DJ, der (allerdings schon etwas anders gemixte) Musik auflegt – und noch nicht als Songwriter oder Komponist. Er kann natürlich 2017 nicht gleich mit einer großen Kunstausstellung eigenen Zuschnitts aufwarten, derlei Unternehmungen brauchen längere Vorlaufzeit. Später möchte er allerdings „mindestens eine Top-Ausstellung pro Jahr“ zeigen.

Es ist nur folgerichtig, dass erst einmal die MO-Sammlung im Fokus steht. Ab 2. September sollen wesentliche Bestände in neuer Form präsentiert werden. Solche Befragungen der eigenen Kollektion dürfte es unter wechselnden Themenstellungen dann öfter geben. Von einer „Dynamisierung“ der Sammlung spricht Edwin Jacobs. Man wird sehen, was darunter zu verstehen ist.

„Warum sind wir hier?“

Die vielen Projekte, die fürs „U“ vorgesehen sind, können und wollen wir hier nicht stur aufzählen (siehe Info-Link zur Homepage des „U“ am Schluss), freilich fällt eines thematisch auf. Der Hartware MedienKunstVerein befasst sich ab April mit dem arg verschrienen „Brutalismus“ in der Architektur und schickt sich offenbar an, diese oft bereitwillig zum Abriss freigegebenen Brachial-Bauten vorsichtig aufzuwerten. Oha!

Womit wir – irgendwie und überhaupt – wieder in Dortmund angekommen wären. Man fragt sich ja schon, wieso Edwin Jacobs das urbane Grachten-Idyll von Utrecht just gegen das vielfach eher wildwüchsige Dortmund eingetauscht hat. Eben solche Sinnfragen will er künftig auch mit seinem Team erörtern: „Warum sind wir hier?“ Warum gerade Dortmund? Auf womöglich wegweisende Antworten darf man hoffnungsvoll gespannt sein.

Infos: www.dortmunder-u.de




Warum es im Dortmunder „U“ nie voll ist

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Stadtbildprägend: Das Dortmunder „U“ mit Adolf Winkelmanns fliegenden Bildern (Foto: rp)

Unter der Internet-Überschrift „Leere im Dortmunder U vor Ort, aber viele Besuche in der Statistik“ arbeitete sich Mitte November der Lokalteil der Dortmunder Zeitungen an dem erstaunlichen Umstand ab, daß die Statistik (in diesem Fall von 2015) einigermaßen tragbare Zahlen liefert, während im Gebäude selbst gähnende Leere herrscht.

Möglicherweise ist dies ein Paradebeispiel für das kreative Führen von Statistiken und als solches fraglos zu geißeln; auf jeden Fall jedoch der ernüchternde Beleg dafür, daß das Dortmunder „U“ für das Publikum ein nur mäßig attraktiver Ort ist. Und das hat Gründe.

Nicht viel zu sehen

1. Im „U“ gibt es nicht viel zu sehen. Der Eigenbestand des Ostwallmuseums (MO) ist von nur mittelmäßiger Schau-Qualität, das ändert sich auch nicht, wenn man – „Sammlung in Bewegung“ – die Präsentation verändert.

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Manchmal ist hier auch abgeschlossen: Der Eingang zum „U“ (Foto: rp)

MO & MuKuK

2. Zudem ist völlig unverständlich, warum die Kunstsammlungen von Ostwall und Museum für Kunst- und Kulturgeschichte (MuKuK) nicht dauerhaft zusammengeführt werden. In der von Gerhard Langemeyer kuratierten Ausstellung „Meisterwerke im Dortmunder U“, in der dies ausnahmsweise geschah, war der qualitative Sprung unübersehbar.

3. Das MO, sicherlich der wichtigste U-Bewohner, ist im Haus äußerst mühsam zu erreichen. Rolltreppe, Rolltreppe, Rolltreppe, oder ein Aufzug, auf den man endlos wartet und der überall hält. Wie wäre es mit einer Lift-Direktverbindung? Oder mit einer Verlagerung des Ostwall-Museums auf die unteren Etagen?

Bescheidene Parkplatzsituation

4. Die Parkplatzsituation ist bescheiden bis feindselig zu nennen. Es gibt keine Tiefgarage, der Parkflächen an der Rheinischen Straße stehen der Öffentlichkeit nicht zur Verfügung. Besucher kommen (kämen) aber gerne mit dem Auto, Politik und Verwaltung sollten nicht versuchen, sie mit Gewalt zur Fahrrad- oder U-Bahn-Nutzung umzuerziehen.

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Selbsterklärend (Foto: rp)

Das Essener Folkwang-Museum, mit dem man sich in einigen Punkten durchaus vergleichen sollte, hat natürlich eine Tiefgarage mit direktem Aufzug zum Foyer.

Künstlerbedarf

5. Die Hochschul-Etagen werden nach meinem Eindruck kaum adäquat bespielt, offensichtlich fehlt es an Geld und personeller Kapazität. Vergessen wir mal für einen kurzen Moment die komplizierte Förderungs- und Finanzierungssituation und fragen: Wie wäre es, zwei Etagen „privat“ zu vermieten, idealerweise an Galeristen oder Geschäfte für Künstlerbedarf, hilfsweise an Läden mit Möbeln oder Wohnaccessoires? Ketzerisch, schon klar, aber das Haus würde definitiv attraktiver. Nur wäre es wohl schwer, die passenden Mieter zu finden.

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Auch selbsterklärend (Foto: rp)

Sonderausstellungen fehlen

6. Sonderausstellungen ziehen Publikum. Aber in den letzten Jahren war da nicht viel Spannendes im „U“ zu sehen. Ein Grund ist fraglos die Unterfinanzierung. Gleichwohl lohnt wiederum ein Blick nach Essen, wo Folkwang-Direktor Tobia Bezzola regelmäßig auch bedeutende Privatsammler präsentiert (Olbricht, Looser usw.), was wenig kostet und dem Jahresprogramm guttut.

Das in Kürze. Daß es in dieser Situation weder Hauptsponsor noch Förderverein gibt, kann nicht verwundern. Ich bin sehr gespannt, ob der designierte Gebäude-Intendant und Ostwall-Museumsdirektor Edwin Jacobs das „U“ im nächsten Jahr auf Kurs bringen wird und wünsche ihm schon jetzt dafür eine glückliche Hand. Leicht wird es nicht werden.




Holländer wird Chef im Dortmunder U

Das ist ein veritabler Coup: Pünktlich vor den großen Ferien kann Dortmund Vollzug verkünden. Ein neuer Chef fürs Dortmunder U (und somit auch fürs Museum Ostwall im U) ist endlich gefunden. Er heißt Edwin Jacobs, kommt aus den Niederlanden und ist derzeit Generaldirektor des Centraal Museum in Utrecht.

Als Chef im "U" zugleich auch Direktor des Museums Ostwall: Edwin Jacobs. (Foto: privat)

Als Chef im „U“ zugleich Direktor des Museums Ostwall: Edwin Jacobs. (Foto: privat)

Laut Mitteilung der Stadt Dortmund gilt der 56jährige als Museumreformer, der sich mit experimentellen Ausstellungskonzepten zu profilieren wusste und zudem besonderen Wert auf interkulturelle Prozesse und breitenwirksame Vermittlungsformen legt. Man wird abwarten müssen, wie solche Formeln in die Realität des Reviers umgesetzt werden. Jedenfalls ist Mijnheer Jacobs dabei Fortüne zu wünschen.

Die (wohl zu erwartende) Zustimmung des Stadtrates vorausgesetzt, soll Edwin Jacobs sein neues Amt in Dortmund Anfang 2017 antreten.

Schaut man in Jacobs’ Vita, findet sich als jüngstes Projekt (angekündigt für 2018) eine Auseinandersetzung mit Caravaggio und den (Utrechter) Caravaggisten, die just in Utrecht und in der Alten Pinakothek zu München gezeigt werden soll. Das klingt schon nach gehörigen „Hausnummern“. Vielleicht gelingt ja sogar noch ein Abstecher nach Dortmund…

In früheren Kunstschauen hatte sich Jacobs u. a. mit der Gruppe De Stijl und mit Theo van Doesburg im Zusammenhang der internationalen Avantgarde befasst.

Von Jacobs kuratierte Ausstellungen wurden u. a. vom Marta in Herford, vom ZKM in Karlsruhe und vom Haus der Kulturen der Welt (Berlin) übernommen. Der Mann, der auch schon als niederländischer Ko-Kurator bei der Biennale in Venedig fungiert hat, ist also in Deutschland kein Unbekannter. Mit ihm dürfte Dortmund höchst wünschenswerten Anschluss an internationale Vernetzungen in der Kunst- und Museumsszene finden.

Bevor er das Centraal Museum in Utrecht (zu dem auch ein Kindermuseum gehört) übernommen hat, hatte Jacobs schon das städtische Museum De Lakenhal in Leiden, das Museum Jan Cunen in Oss und das Kunstinstitut in Utrecht geleitet. Zu seinen Ausbildungsstationen zählten (bis 1982) eine Pädagogische Hochschule und (bis 1987) die Fakultät der Bildenden Künste (Universität Tilburg), die er jeweils mit Magisterabschluss verließ.

Mit der Suche nach einem Chef fürs „U“ hatte man sich in Dortmund lange Zeit recht schwer getan. Die Findungskommission zeigte sich so anspruchsvoll, wie der Posten es ja auch verlangt. Jacobs wird als Hausherr nicht nur fürs Museum Ostwall einstehen, sondern z. B. auch für die Uni-Etage und den renommierten Hartware Medienkunstverein.

Halb scherzhaft betrachtet, setzt sich mit der Dortmunder Personalentscheidung die „Hollandisierung“ beträchtlicher Teile des Kulturlebens im Ruhrgebiet zügig fort. Jacobs’ Landsmann Johan Simons leitet bekanntlich noch bis 2017 die RuhrTriennale und wird danach das Bochumer Schauspielhaus übernehmen.