Nachlese zu den Salzburger Festspielen: Gefangen im Mechanismus der Macht – Aribert Reimanns Oper „Lear“

Auf dem Weg in den Wahnsinn: Gerald Finley als König Lear in Salzburg. Foto: Salzburger Festspiele/Thomas Aurin

Auf dem Weg in den Wahnsinn: Gerald Finley als König Lear in Salzburg. Foto: Salzburger Festspiele/Thomas Aurin

Ein sorgsam geschichteter Cluster aus Tönen wird zu einem unbestimmt lauernden Klang. Pianissimo hält ihn Dirigent Franz Welser-Möst in der Schwebe, während ein jovialer Politiker im Dinner-Jacket etwas verspätet hereinstrebt und in die Menge grüßt. Festlich gekleidete Menschen, vor der Bühne, rund um die Bühne. Der Mann im crèmefarbenen Dress bekundet, der Macht müde zu sein, das Reich teilen zu wollen.

Drei Töchter, zwei davon in Pastell-Rosa und Lindgrün wie eine Mischung aus Queen Elizabeth und Margaret Thatcher, stehen schon bereit auf der breit gezogenen, bunt und wild blühenden Wiese, die Simon Stone in der Felsenreitschule in Salzburg als Spielfläche frei gelassen hat. Wir sehen „Lear“, Aribert Reimanns 1978 in München uraufgeführtes Hauptwerk, inzwischen ein Klassiker des zeitgenössischen Musiktheaters.

Wäre die Besetzung nicht so riesig – selbst in Salzburg muss das vielfältig besetzte Schlagwerk auf den Balkon rechts vom Orchestergraben ausweichen –, hätte diese Shakespeare-Oper sicher schon mehr als die bisher weltweit rund 30 Neuinszenierungen erlebt, darunter auch am Aalto-Theater in Essen. Reimann musste erst 81 Jahre alt werden, bis sich die Salzburger Bühne für ihn öffnete – und das trotz großartiger Werke von „Melusine“ bis „Medea“.

Markus Hinterhäuser ist seit Herbst 2016 mit einem Fünf-Jahres-Vertrag Intendant der Salzburger Festspiele und hat eine erste erfolgreiche Saison hinter sich. Foto: Salzburger Festspiele/Julia Stix

Markus Hinterhäuser ist seit Herbst 2016 mit einem Fünf-Jahres-Vertrag Intendant der Salzburger Festspiele und hat eine erste erfolgreiche Saison hinter sich. Foto: Salzburger Festspiele/Julia Stix

Reimanns bis an die Schmerzgrenze expressive und exzessive Musik wird unter den Händen von Franz Welser-Möst und in der klanglichen Vollendung der Wiener Philharmoniker zum bestimmenden Ereignis dieser letzten Premiere der Salzburger Festspiele. Welser-Möst verlässt sich nicht auf die immer noch schockierende Härte und Brutalität der schlagzeuggepanzerten Akkordtürme und Tonschichtungen Reimanns, sondern zeigt, wieviel Resignation und wahnsinnsverwehter Zärtlichkeit in den Klängen steckt.

Er hütet sich, die präzise Kontrolle der Dynamik jemals aufzugeben und lässt so die Zuschnürung des dramatischen Knotens musikalisch erleben, bis er in der Heideszene des ersten Aktes reißt und das kontrolliert kontrapunktische Chaos entfesselt losbricht: Im Dröhnen der Perkussion und im Aufschreien des Orchesters entlädt sich der Sturm der Elemente, der zum inneren Wüten in der Seele Lears wird. „Haltlosigkeit, Ziellosigkeit“ schreibt Reimann selbst in seinen Notizen zum Kompositionsprozess. Und danach, in erschöpfter Ruhe, die enthobenen Girlanden der Melismen Edgars, des von seinem Vater Gloster verstoßenen Sohnes.

Der ausgewogene, abgerundete Klang der Wiener Streicher, die disziplinierten Bläser – auch wenn sie böse gellen und schrill kreischen –, die schmerzvoll-süßen Unisoni und das gedämpfte Brodeln der kunstvoll gebauten Flächen aus Viertel- bis Eineinvierteltönen nehmen der Musik nichts von ihrer Schärfe, schleifen ihre schmerzhaften Krallen nicht, verhindern aber, dass sie durch permanente Überreizung abstumpft. Die kluge Dramaturgie der Dynamik, verbunden mit einer fabelhaften Transparenz und einem wie selten sinnhaft-sinnlich durchgestalteten Klang, bestätigt eindrucksvoll die formalen wie expressiven Qualitäten von Reimanns Musik.

Reduziert auf elementare kreatürliche Bedürfnisse

Was geschieht mit einem Herrscher, der die Macht hinter sich lässt? Das Libretto von Claus H. Henneberg spitzt Shakespeares Drama unbarmherzig zu: Lear bleibt ein Gefangener der Macht, zuerst ihre Mechanismen wunderlich verkennend, dann an ihrer nackten Brutalität zerbrechend, reduziert auf die elementarsten kreatürlichen Bedürfnisse, die ihm nur noch der barmherzige Gloster gewährt.

Simon Stone, der von Preisen verwöhnte australische Regisseur, lenkt seine zweite Arbeit für das Musiktheater weg vom Erzählenden, hin zu bildmächtigem Darstellungs- und postdramatischem Episodentheater. Schon bei der Verteilung des Reiches stehen die Töchter Lears in einer Reihe in weitem Abstand. Auf sich selbst konzentriert schleudert Evelyn Herlitzius ihre stählernen Tonfolgen heraus, zeichnet Gun-Brit Barkmin – 2013 in Essen die Lady Macbeth Verdis – die hysterischen Intervallsprünge Regans nach.

Lear (Gerald Finley) teilt das Reich; Seine Tochter Cordelia (Anna Prohaska, im Vordergrund), die ihre Liebe nicht in Worten beschreiben kann und will, geht leer aus. Im Hintergrund Gun-Brit Barkmin als Regan. Foto: Salzburger Festspiele/Thomas Aurin

Lear (Gerald Finley) teilt das Reich; Seine Tochter Cordelia (Anna Prohaska, im Vordergrund), die ihre Liebe nicht in Worten beschreiben kann und will, geht leer aus. Im Hintergrund Gun-Brit Barkmin als Regan. Foto: Salzburger Festspiele/Thomas Aurin

Das wüste Gelage von Lears Gefolge verwandelt die Blumenwiese in einen grünlichen Matsch, in dem sich später der nackte Lear im Regen und in der Qual seiner Ohnmacht wälzt. Auf der breit gezogenen Spielfläche von Bob Cousins legt Stone offenbar keinen Wert darauf, die Personen zueinander in Verhältnisse zu setzen, auch die Begegnungen Lears mit dem anrührend singenden Edgar Kai Wessels und dem von Anfang an kraftlos gezeichneten Gloster Lauri Vasars bleiben seltsam distanziert.

Für den hereinbrechenden Wahnsinn Lears scheint sich Stone auf das darstellerische Potenzial Gerald Finleys verlassen zu haben, der den erbarmungswürdig ohnmächtigen König in seiner Flucht in weltlosen Wahn grandios zeichnet, dessen Fallhöhe aber nicht deutlich wird – dazu ist der Herr im Sakko zu Beginn einfach zu durchschnittlich.

Aber der Abstand von psychologischem Realismus ist Absicht, auch wenn er den Figuren komplexe Facetten nimmt. Im zweiten Teil des Abends wird deutlicher, wohin Stone zielt, wenn Gloster zunächst hyperrealistisch in einem blutigen Schaustück seine Augen ausgedrückt werden, wenn das Blut aus der Kehle des gemeuchelten Cornwall (zupackend singend: Michael Colvin) stürzt, dann in einer riesigen Blutlache auf weißer, leerer Fläche ein Schlachten beginnt, das wie ein symbolhaftes Ritual wirkt: Security-Leute, von Mel Page in die blauen Uniformen einschlägiger Typen gesteckt, wie wir sie aus Nachrichtensendungen oder amerikanischen Filmen kennen, reißen willkürlich einzelne Menschen aus den Zuschauerreihen auf der Bühne heraus, stoßen sie in den roten Teich, wo sie mit Blut besudelt werden und ins Irgendwo seitlich der Bühne schreiten, als gehörten sie zu einer stummen Totenprozession.

Das mag ein eindrückliches Bild dafür sein, dass die inhärente Grausamkeit des Stücks eine beklemmende Gegenwarts-Dimension hat. Aber für diese Erkenntnis opfert Stone die viel grundsätzlichere Einsicht in das verhängnisvolle Gefüge der Macht, dem alle scheinbar Mächtigen zum Opfer fallen. Stone verweigert den letzten Szenen die theatrale Konkretion, lässt an der Rampe singen: Edgars Zweikampf gegen den mit souveränem Kern die Töne bildenden Charles Workman als Edmund, Regans trotz Gun-Brit Barkmins leicht gastritischen Zuckungen beiläufiger Gifttod, Gonerils vermeintlicher Triumph und Selbstmord.

Eine Wolke entzieht sie unseren Blicken

Anna Prohaska (Cordelia) und Gerald Finley (Lear) beim Schlussapplaus. Foto: Salzburger Festspiele/Franz Neumayr

Anna Prohaska (Cordelia) und Gerald Finley (Lear) beim Schlussapplaus. Foto: Salzburger Festspiele/Franz Neumayr

Das Bild dahinter allerdings prägt sich ein: Lear und Cordelia – Anna Prohaskas lyrischer Sopran unterscheidet sich im Timbre zu wenig von ihren bösen Schwestern – sind in einem Gazeschleier gefangen. Ganz in Weiß erstarrt hat die tote Cordelia nur mehr behauptete Präsenz, Lear erhebt sich aus dem Krankenhausbett, streift mit seinen Händen den bleichen Staub von ihren Haaren ab und färbt sich selbst todessehnsüchtig damit ein. Eine Vision, von einer weißen Wolke langsam den Blicken von Edgar und Albany (der ebenfalls vorzüglich singende Derek Welton) entzogen. Dunst für die sinnlose, vergebliche Existenz, in die wir Menschen geworfen sind? Oder verbergende Hülle einer Hoffnung, die ahnungsvoll Lears und Cordelias geschundene Menschlichkeit birgt? Im blitzartigen Dunkel des Endes bleibt jeder Zuschauer mit dieser Frage sich selbst überlassen.




Verdis „Macbeth“ in Essen: Das Drama der lebenden Toten verläuft sich in Bildern

Gun-Brit Barkmin als Lady Macbeth in Essen. Foto: Matthias Jung

Gun-Brit Barkmin als Lady Macbeth in Essen. Foto: Matthias Jung

Ein kleiner Erdhügel zu den gläsernen punktierten Zweiunddreißigsteln des Vorspiels von Verdis „Macbeth“. Ein Grab. Zwei Menschen nähern sich ihm, Lilien in den Händen. Der Fortissimo-Sturm der scharf akzentuierten Bläser bricht los. Unter der Bühne kracht und knallt es; ein riesiger Baum reißt sich los, kämpft sich hinauf in den dunklen Himmel, als starte ein monströses Raumschiff. Die Wurzeln triefen zu Boden – dorthin, wo sich ein kreisrunder Schlund geöffnet hat.

Mit einem spektakulären Bild werden die Zuschauer im Essener Aalto-Theater von Bühnenbildner Christof Hetzer in Verdis abgründige Tragödie hineingestoßen. Baum und Grab – Symbole für Leben und Tod – bilden die zentralen Motive der Bühne; Abgrund und Brücke treten dazu: Hetzer baut über den manchmal schwarz starrenden, manchmal trüb beleuchteten Krater einen Steg wie aus einem jener schwarzweißen, gruseligen Gothic-Krimis, in denen sich das Abgründig-Menschliche und das Unheimlich-Übernatürliche auf geheimnisvolle Weise verbinden.

Herbstblätter bedecken die weite Fläche der Bühne. Ein riesiger Raum, in dem die Figuren oft verloren wirken – wie hinausgeworfen in eine Welt in Dunkelheit oder Zwielicht, in der sie keine Orientierung finden. Nur die Gräber sind Bezugspunkte: ein erdiges Kindergrab und ein alter Sarkophag aus rissig-moosigem Stein. Dorthin werden die Toten gekippt. Dort stirbt Macbeth, noch lebend schon im Grabe, mit seinen letzten Worten die Krone von sich werfend.

Kinderlosigkeit löst den blutigen Machttrieb aus: Tommi Hakala am Grab. Ein gestorbenes oder nie geborenes Kind? Foto: Matthias Jung

Kinderlosigkeit löst den blutigen Machttrieb aus: Tommi Hakala am Grab. Ein gestorbenes oder nie geborenes Kind? Foto: Matthias Jung

Das Motiv der lebenden Toten ist auch für David Hermann in seiner Inszenierung ein entscheidendes: Wenn der König die Schotten für jenes fatale Fest versammelt, auf dem ihn der Geist des ermordeten Banco in Angst und Wut entrückt, scheint er längst selbst zum Totenreich zu gehören: Er spricht mit den Ermordeten, die wie lebensgroße Marionetten auf dem Sarkophag hocken, lässt sie wie Handpuppen sprechen und nicken, echauffiert sich, als eine der Gestalten zusammenklappt. Ein grotesk-makabres Theater, von dem die Menschen um ihn herum keine Notiz nehmen. Wie bei einem Picknick in Glyndebourne sitzen sie im Herbstlaub, speisen aus geflochtenen Körben, lassen sich von Macbeth ohne Reaktion die Weinflasche wegnehmen. Mit der realen Welt hat das mörderische Königspaar nichts mehr zu tun – es ist längst in seine eigene Horrorwelt hineingestorben.

Das ist alles sehr klug, sehr konsequent und sehr detailreich erfunden – und lässt dennoch auf seltsame Weise unberührt. Vielleicht, weil uns diese Wiedergänger-Geschichte nicht interessiert. Weil die Spannung zwischen der Welt der Lebenden und der Toten im allumfassend leblosen Raum aufgelöst wird. Weil der humane und der politische Aspekt des Stücks wegsymbolisiert, wegpsychologisiert wird. Oder auch, formal argumentiert, dem spektakulären Baumstart zu Beginn szenisch nicht mehr viel folgt.

Ein riesiger Baum reißt sich los, kämpft sich hinauf in den dunklen Himmel. Foto Matthias Jung

Ein riesiger Baum reißt sich los, kämpft sich hinauf in den dunklen Himmel. Foto Matthias Jung

Die Hexenchöre schallen aus der unbestimmten Dunkelheit; die Erscheinungen im dritten Akt sind ein beziehungsreicher, aber szenisch läppisch gelöster Aufmarsch schwangerer Frauen. Das Bild des leidenden Volkes zu Beginn des vierten Aktes – der Chor schiebt sich durch den Zuschauerraum nach vorne – bleibt stumpf; die blutigen Kinderleichen um den Sarkophag auf der Bühne wirken dazu wie ein zu billig geratener Schockeffekt. Auch die zwei Zeit-Ebenen, durch Hetzers Kostüme gekennzeichnet, helfen nicht wirklich weiter.

So spitzt sich das Drama nicht zu, sondern verläuft sich eher in den Bildern. Ein Grund mag sein, dass Hermann mehr auf die sorgfältig gesetzten symbolischen Gesten setzt als auf eine sprechende Personenführung. Der glänzende Handschuh, den Macbeth vom Arm des toten Duncan streift – ist es „la man rapace“, die „räuberische Hand“, die er gegen seine erklärte Absicht dann doch erhebt? Wenn Macbeth den toten Banco mit einer Lilie peitscht – ist es eine Chiffre für den verzweifelten Hass auf den Mann, der Kinder hat? Kleine Jungs in Anzügen plagen den König – sind es die drohenden Nachkommen Bancos?

Die Videos von Martin Eidenberger, projiziert auf den massiven Mauerwürfel, der sich einige Male über die Szene senkt, schaffen in der Hexenszene des dritten Akts eine deutende Bild-Ebene, sind aber an anderer Stelle aber banal: eine rote Hand etwa, oder kaleidoskopartige Muster. Wir sehen eine Inszenierung, die das Stück nicht verschenkt, die viel Reflexion und Dramaturgen-Subtext integriert, aber als Theater die Spannung nicht hält, die Aufmerksamkeit nicht durchgehend fesseln kann. Kein missglückter, aber auch kein rundum überzeugender Auftakt der neuen Ära am Aalto-Theater.

Einstand mit "Macbeth": Tomás Netopil, der neue Chefdirigent der Essener Philharmoniker. Foto: TUP

Einstand mit „Macbeth“: Tomás Netopil, der neue Chefdirigent der Essener Philharmoniker. Foto: TUP

Mit Spannung erwartet wurde den Einstand des neuen GMD Tomáš Netopil in der Oper: Kurz gesagt, war es ein glückliches Debut. Netopil bewies, was sich bereits in Verdis „Missa da Requiem“ im Sinfoniekonzert angekündigt hatte: Er hat die Sensibilität für Verdis musikalisch-dramatische Orchestersprache, für den klugen Aufbau dynamischer Großstrukturen, für das behutsam ausgeformte Detail, für die rhythmische Prägnanz und den erfüllten Duktus der Melodie. Dem Finale des Ersten Akts etwa gibt er den agogisch gestalteten, inneren rhythmischen Drang, der sich in der sicher angesteuerten Entladung befreit.

Die Philharmoniker lassen kaum etwas zu wünschen übrig, sind auf dem Punkt, wenn es um die Einfärbung des Klangs durch gekonnte Balance der Instrumente geht, um die Schärfe punktierter Rhythmen oder den wuchtigen Tutti-Zugriff, gestützt von prachtvollen Blechbläsern. Was sich noch entwickeln muss, sind die Finessen des Ausdrucks: Die „tinta“, die Verdi haben will, jene im Falle des „Macbeth“ dunkel verschattete Orchesterfarbe, die fahlen Klänge, die erstickten, halb unterdrückten Laute, die unwirklichen, atmosphärisch entrückten Momente, bleiben bei Netopil noch zu neutral. Und im Vorspiel schlittert er aus einer zu stark angezogenen Bewegung in ein nicht unheimlich-majestätisches, sondern schleppend langsames Tempo. Auch die kruden Striche waren überflüssig und ärgerlich: So etwas sollte sich Netopil gleich gar nicht angewöhnen.

Eine reife Leistung darf man Alexander Eberles Chor attestieren: Tönten die Hexenchöre anfangs zu lyrisch-brav aus dem Off, entwickelte sich der Klang ab dem Sextett mit Chor zu prachtvoller Größe. Die Solisten geben dagegen nicht nur Anlass zum Glücklichsein. Gun-Brit Barkmin als Lady wird mit den Anforderungen ihrer Riesenpartie in punkto Beweglichkeit und psychologischer Differenzierung anstandslos fertig. Aber die Stimmfarbe ist sehr hell und schwer zu verschatten. Ihre Piano-Skala lässt sich weit auffächern, aber das hohe b, mit dem sie im Sextett über den Chor kommt, klingt gellend und scharf. Außerdem neigt Barkmin dazu, in die Sprechstimme zu wechseln, nähert sich veristischen Ausdrucksmitteln, die sie auch in ihrer Wahnsinnsszene einsetzt, statt mit der Stimmfarbe zu spielen.

Auch der Macbeth des finnischen Baritons Tommi Hakala flattert unzureichend gestützt, wird immer wieder in der Höhe eng, verliert den Kern des Klanges. Doch in der finalen Szene, als Macbeth allen Sinns verlustig mit seiner Krone auch sein Leben wegwirft, läuft Hakala zu großer Form auf: Diesem unterdrückten, stammelnden Absterben des Tones, das Verdi in seinem höchst expressiven Schluss des „Macbeth“-Ursprungsfassung von 1847 fordert, entspricht der Sänger voll und ganz. Hätte er nur für die kantablen Szenen dieselbe Solidität. Aber dort, wo sichere Technik gefragt ist, kommt Hakala ins Schwimmen.

Für Alexey Sayapin, neues Ensemblemitglied, als Macduff gilt das nicht. Er demonstriert in seiner Arie eine versierte Beherrschung seines Tenors – die ihm in den dünn gequäkten Tönen des Finales wieder fehlt. Was Sayapin nicht hat, ist der flutende, freie Klang, der den traditionell geschulten, heute selten gewordenen italienischen Tenor auszeichnet. Die Stimme sitzt zu fest, der Klang wird nicht entspannt gebildet.

Ein Gewinn für Essen ist der Bass Liang Li: Eine voluminöse, aber beherrschte Stimme, reich an Farben und fähig, sie auch flexibel einzusetzen; ein meist kontrolliertes Vibrato und eine schmelzende Legato-Linie. Ein mustergültiger Banco. Marie-Helen Joël bewährt sich erneut erfreulich als Kammerfrau der Lady, die von Macbeth ebenso gemeuchelt wird, ebenso wie der in seinen wenigen Sätzen schönstimmige Arzt (Baurzhan Anderzhanov). Abdellah Lasri kann als Malcolm problemlos Tenor-Paroli bieten. Die erste Premiere unter Intendant Hein Mulders ist mehr als ein Versprechen, noch nicht ganz eine Erfüllung, signalisiert aber den Elan, mit dem sich das neue Team am Aalto die Zukunft erobern will. Nur zu!