Ein Requiem zum 200. Geburtstag: Giuseppe Verdis Totenmesse erklingt in Essen

Giuseppe Verdi schrieb sein "Requiem" in der langen Pause zwischen "Aida" und "Otello"

Giuseppe Verdi schrieb sein „Requiem“ in der langen Pause zwischen „Aida“ und „Otello“

Am Beginn steht die Bitte um ewige Ruhe. Aber der Text der katholischen Totenmesse schildert auch die Schrecken der Apokalypse: den Tag des Jüngsten Gerichts, der alle Kreatur vor dem Urteil des Schöpfers zittern lässt.

Im 1791 komponierten Requiem von Wolfgang Amadeus Mozart strömt der Schall der letzten Posaune noch in balsamischer, letztlich tröstlicher Wehmut dahin. Nichts davon 83 Jahre später in der Vertonung von Giuseppe Verdi. Wenn ferne Trompeten von der Ankunft des höchsten Richters künden, steigern sich die Fanfaren alsbald zu einem beharrlichen Blechblas-Geschmetter, das durch Mark und Bein geht. Der Jüngste Tag („Dies irae“), schon bei Mozart ein Sturm des Schreckens, hämmert uns bei Verdi schier zu Boden. Die Schläge der großen Trommel, krachend wie Kanonenschüsse, dröhnen mit vernichtender Wucht.

Landauf, landab erklingt diese monumentale Klangvision in diesen Tagen, um den 200. Geburtstag von Giuseppe Verdi zu würdigen. Zu diesen Feierlichkeiten hat Essens neuer Generalmusikdirektor Tomáš Netopil jetzt eine Version beigetragen, die tiefen Eindruck hinterlässt. In der Philharmonie malt er die Dramatik des Werks kraftvoll aus, ohne sie mit lärmender Theatralik zu verwechseln. Herausragend wird der Abend, weil Netopil darüber nicht den Herzenston des Komponisten vergisst, der hier vor allem eine philanthropische Botschaft in die Welt hinaus sendet: die glühende Bitte um Erlösung und um Nachsicht mit der Fehlbarkeit des Menschen.

Der Dirigent kann dabei auf das hohe Niveau und die Differenzierungskunst der städtischen Philharmoniker bauen, die sein Vorgänger Stefan Soltesz ihm in glänzender Form hinterlassen hat. Vom Sitzplatz in Reihe 4 aus kann die klangliche Balance der Aufführung an dieser Stelle leider nicht beurteilt werden. Aber den erheblichen Phonstärken, die das Orchester im Verbund mit dem Opernchor des Aalto-Theaters und dem Philharmonischen Chor erreicht, stehen an diesem dritten (und letzten) Abend Dolce-Klänge gegenüber, die zuweilen bis ins Ätherische entschweben. Durch das elegische Mezzopiano, das Netopil dem Orchester im „Agnus Dei“ entlockt, schimmern die Holzbläser ohne Mühe.

Dem stimmstarken Solistenquartett kann sich der Hörer ohne Sorge anvertrauen. Der Sopran von Katia Pellegrino erklimmt auch im größten Fortissimo-Getümmel leuchtende Höhen, wo er ohne ein Zeichen von Anstrengung verweilt. Aber auch im Piano setzt die Sängerin weich und geschmeidig an. Ihre Legato-Bögen sind bezwingend. Die schottische Mezzosopranistin Karen Cargill knüpft in der Höhe so nahtlos an diese helle Stimmfarbe an, dass es zum Erstaunen ist. Ihre tieferen Register klingen machtvoll, wenngleich zuweilen etwas unfrei. Der erst 28-jährige Tenor Alexey Sayapin verbindet sein vielversprechendes Stimmvolumen mit einer Portion Italianità, die im Piano – erkältungsbedingt? -mitunter leicht angekratzt klingt. Liang Li nimmt seinen markigen, ja gewaltigen Bass im „Dies irae“ bis zum tonlosen Stammeln zurück.

Fantastisch in Form sind an diesem Abend die Chöre, die Verdis großartig-schreckliche Visionen wie ein klingendes Fresko vor uns ausbreiten (Einstudierung: Alexander Eberle). Todesangst und Gnadenbitten stürzen durch die Harmonien; infernalisch heulende Rufe sinken herab zu schauerlichem Flüstern. In das jubelnde Gotteslob des „Sanctus“ stimmen die Chöre mit fast tänzerischer Beweglichkeit ein. Disziplin und Flexibilität, Hingabe und Zurückhaltung begegnen uns im gleichsam verschworenen Kollektiv. Das ist – ganz bewundernd gemeint – ein starkes Stück.

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