Ein äußerst konservatives Verständnis von Kunst – Sammlung des Bundes zeigt ihre Neuerwerbungen in Bonn

„Question #2: When Are We Right“ und „Question #2: When Are We Wrong?“ von Isaac Chaong Wai (2021) (Foto: Mick Vincenz, 2022 © Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland GmbH)

Und anschließend überlegt man, was wirklich überwältigend war. Spontan eigentlich: Nichts. Oder vielleicht der große hölzerne Guckkasten von Dirk-Dietrich Henning, in dem er in großer räumlicher Tiefe Bildebenen montiert hat, Ausgeschnittenes überwiegend in Schwarzweiß, eine Fleißarbeit. Der französische Titel ließe sich in etwa mit „Schwäche der Leichtgläubigen“ übersetzen, und darunter kann man sich ja eine Menge vorstellen. Große Holzkiste also, eindrucksvoll. Aber sonst?

Der Titel dieses Bildes gab der Kunstschau den Namen: „Identität nicht nachgewiesen“ wurde, so der Ausstellungskatalog, einer Frau aus Afrika auf den Ablehnungsbescheid gestempelt, als sie versuchte, ein Bankkonto zu eröffnen. (Bild: Bussaraporn Thongchai, Courtesy the artist, Sammlung des Bundes)

Soeben wurde besichtigt, was zwei Auswahlgremien in den Jahren 2017 bis 2021 für die Sammlung des Bundes vorwiegend wohl auf Kunstmessen in Köln, Berlin und Basel zusammengekauft haben, 170 von insgesamt 360 Arbeiten. 4,5 Millionen wurden ausgegeben, was nicht zu kritisieren ist. Doch die Kunst selbst – oder sagen wir besser, der offenbar zugrundegelegte Kunstbegriff – wirkt doch ausgesprochen mager und ausschnitthaft. Kunst ist, daran läßt diese Kunstschau keinen Zweifel, was man an die Wand hängen, auf die Erde stellen, schlimmstenfalls auf die Wand projizieren oder über einen Fernsehbildschirm laufen lassen kann. Wand anmalen geht auch noch. Als inhaltlichen Anspruch formuliert Susanne Kleine, Kuratorin dieser Ausstellung, im Vorwort des Kataloges den Anspruch, den man an die Werke stellte: „Diversität, Toleranz und gesellschaftliche und persönliche Hinterfragungen sind Kriterien, nach denen die Werke ausgesucht worden sind“. Der Souverän, repräsentiert durch die Auswahlkommission, mag es demnach brav und handzahm.

Auch das könnte Kunst sein

Aber wenigstens fragen möchte man doch einmal, wo all die anderen Kriterien geblieben sind, die spannende, berührende Kunst ebenfalls ausmachen können -–Erotik beispielsweise, Wut, Spontaneität, Provokation, vielleicht aber auch Verspieltheit und Obsession, oder die Hingabe an Form und Material. Und natürlich das, was ein verbaler Kriterienkatalog eben nicht adäquat beschreiben kann, was ahnt und raunt und diffus bleibt.

Zuzanna Czebatul: „Siegfried’s Departure“ (2018) (Foto: CAC Futura Prag, Zuzanna Czebatul/Sammlung des Bundes)

Künstler und Werk

Der Kunstbegriff, auf den man hier stößt, ist extrem konservativ. Er kennt nur die Spielpaarung Künstler und Werk, gerade einmal Zweiergruppen sind im Teilnehmerverzeichnis noch auszumachen. Längst jedoch, es genügt ein Blick in die nähere Nachbarschaft, gibt es eine umfangreiche Kunstproduktion jenseits der hier übermäßig bemühten Schemata, die sich nicht sonderlich um die althergebrachten Fachabteilungen kümmert. Man denke da beispielsweise an Künstlergruppen wie „Rimini Protokoll“, der man mit Arbeiten wie „Urban Nature“ im Theater ebenso begegnen kann wie im Museum oder bei einem Musikfestival; oder an das „Zentrum für politische Schönheit“, dessen gewiß nicht immer geschmackvolle Aktionen doch nicht nur politische Demonstrationen sind, sondern eben auch Hervorbringungen mit ästhetischen Qualitäten. Erinnert sei auch an das indonesische Künstlerkollektiv ruangrupa, das in diesem Jahr die Documenta in Kassel kuratiert.

Die Rolle der Kuratoren

Hier wäre übrigens, ganz beiläufig, die Stelle, an der man sich zudem über den Einfluß der Kuratoren auf Kunstproduktion und –präsentation ein paar kritische Gedanken machen könnte, aber das führte im Moment wohl zu weit. Gleichwohl: Müßte man nicht auch für sie, die Kuratorinnen und Kuratoren, ein warmes Plätzchen in der Bundeskunsthalle reservieren?

Bild aus der Fotoserie „The Last Drop – Indien, Westbengalen“ von Anja Bohnhof (2019) (Bild: © Anja Bohnhof/Sammlung des Bundes)

Schließlich, und die Liste könnte durchaus noch länger werden, fehlt das, was mit eher unklarer Kontur als Computerkunst bezeichnet wird – mehr oder weniger geschickte Versuche, dem monströsen Thema IT (oder in letzter Zeit, schlimmer noch: KI) mit einer analog rezipierbaren künstlerischen Beschäftigung zu begegnen. Im Dortmunder Hartware Medienkunstverein im Kulturzentrum „U“, dies nur am Rande, ist in einer schön zusammengestellten Ausstellung zu sehen, wie sich vorwiegend jüngere Künstlerinnen und Künstler dem Thema annähern (Besprechung in den Revierpassagen). Nicht jeder Versuch ist Gold, doch schon der Versuch ist zu preisen. In Bonn gibt es zu diesem Thema nur weißes Rauschen.

„Hochdrücken“ von Kristina Schmidt (2018) (Bild: © Kristina Schmidt/Sammlung des Bundes)

Erwartet wird Haltung

„Es läßt sich beobachten, daß heute verstärkt Stimmen zu Wort kommen, Haltungen sich abzeichnen, Persönlichkeiten unterstützt werden, die sich besonders gut darauf verstehen, das fragile System unserer Gesellschaft, Demokratie und unseres Planeten zu durchleuchten“, schreibt Bundeskunsthallen-Intendantin Eva Kraus im Vorwort zum Katalog. Große Worte, kaum zu widerlegen. Aber natürlich läßt sich dieser Trend eben deshalb beobachten, weil entsprechend ausgesucht wurde. Blickt man auf den Kunstmarkt, wie er sich beispielsweise in Versteigerungen darstellt, erhält man ein gänzlich anderes Bild von Marktwert und Relevanz der Kunst – übrigens auch im drei- oder vierstelligen Euro-Bereich.

Man vermißt die prominenten Zeitgenossen

Kuratorinnen und Kuratoren kamen in der ersten Auswahlperiode vom Hamburger Bahnhof in Berlin, vom Kunstmuseum Stuttgart, der Kunsthalle Bielefeld, der Insel Hombroich und der Bundeskunsthalle selbst; im zweiten Durchgang von den Kunstsammlungen Chemnitz, dem Münchener Museum Brandhorst, dem Kunstverein für Mecklenburg und Vorpommern in Schwerin, dem Kunstverein Braunschweig, dem Westfälischen Kunstverein in Münster und der Städtischen Galerie im Münchener Lenbachhaus. Die Künstler sind dem Verfasser dieser Zeilen mit zwei, drei Ausnahmen unbekannt, und in 20 Jahren, so steht zu befürchten, werden sie dem Großteil des Publikum immer noch unbekannt sein. Warum gibt es in einer nationalen Kunstsammlung keinen aktuellen Neo Rauch? Oder einen Jonathan Meese? Oder einen anderen oder, nota bene, eine andere? Nur als Beispiel. Eine „Sammlung des Bundes“, deren Name auch Anspruch wäre, sollte über Werke der deutschen Künstlerprominenz verfügen können.

  • „Identität nicht nachgewiesen – Neuerwerbungen der Sammlung zeitgenössischer Kunst der Bundesrepublik Deutschland“
  • Bundeskunsthalle Bonn
  • Bis 3. Oktober 2022
  • www.bundeskunsthalle.de



Goethe-Institut – auf Wellenlänge der neuen Außenministerin

Nein, die neue Außenministerin Annalena Baerbock hatte noch keine Zeit, sich eingehend um Belange des Goethe-Instituts zu kümmern.

Prof. Carola Lentz, Präsidentin des Goethe-Instituts, beim Statement zur Jahrespressekonferenz. (Screenshot aus der Zoom-Konferenz)

Antrittsreisen nach Paris, Brüssel und Warschau standen für Baerbock ebenso an wie ein G7-Gipfel. Wir haben davon lesen können. „Große Politik“ also. Doch beim Goethe-Institut ist man zuversichtlich, was den künftigen Kurs des Auswärtigen Amtes angeht, denn im Koalitionsvertrag stehen einige Sätze, die auf eine Stärkung der auswärtigen Kulturpolitik und damit des Instituts hinauslaufen sollten.

Institutspräsidentin Prof. Carola Lentz betonte ihre Vorfreude auf die Zusammenarbeit mit der neuen Regierung. Solche Schönwetter-Freundlichkeit durfte man allerdings erwarten, denn das Institut muss ja gut mit dem Außenamt auskommen. Das scheint auch überhaupt nicht schwerzufallen. Wahrscheinlich werde im Januar Gelegenheit zu ausführlichen Gesprächen sein, hieß es.

Weniger Präsenz, mehr Digitalität

Es war eine der aktuellen Kernaussagen bei der heutigen Jahrespressekonferenz des Goethe-Instituts, die hybrid abgehalten wurde, also mit (geringer) Präsenz in Berlin und hauptsächlich online. Ähnliches trifft auch im zweiten „Corona-Jahr“ für die globalen Aktivitäten des Instituts zu, sprich: Viele Veranstaltungen konnten nicht physisch stattfinden. Stattdessen hat sich die Zahl der virtuellen Zugriffe auf die Angebote (wie z. B. deutsche Sprachkurse) spürbar gesteigert. So sieht’s gerade draußen in der weiten Welt aus: 86 Goethe-Institute sind komplett geöffnet, 32 sind teilweise und 27 ganz geschlossen. Schon morgen kann es wieder anders sein.

Zahl der Problemländer hat zugenommen

Mancherorts finden die Goethe-Institute ausgesprochen schwierige Arbeitsbedingungen vor, Carola Lentz sprach von zunehmend „illiberalen Kontexten“. Klartext: Man hat es mit einigen Autokraten oder Diktaturen zu tun, zum Beispiel (aber längst nicht nur) in Belarus, wo das deutsche Institut derzeit gar keine Kulturarbeit mehr leisten darf. In anderen problematischen Ländern stellt man die „Goethe“-Räume nach Möglichkeit für nicht öffentliche Veranstaltungen zur Verfügung. Manches Treffen muss dann recht diskret vonstatten gehen. Digitalität könnte theoretisch weitere Verbreitung sichern, erleichtert aber leider auch die Überwachungs-Möglichkeiten durch gewisse Staaten. Ansonsten: tun, was man kann, um Partnerorganisationen und Einzelpersonen in den jeweiligen Ländern zu unterstützen und zu schützen.

Stichworte im Geiste des „grünen“ Programms 

Im gerafften Geschäftsbericht des Generalsekretärs Johannes Ebert fielen praktisch alle gängigen Stichworte, die sowohl Annalena Baerbock (Grüne) als auch die neue Kulturstaatsministerin Claudia Roth (ebenfalls Grüne) auf gleicher Wellenlänge ansprechen dürften: Klima, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Feminismus (bzw. Feminismen), Diversität (Vielfalt aller Art), Respekt, Teilhabe, Bereicherung durch Einwanderung. Es scheint da Schnittmengen mit grüner Programmatik zu geben.

Unter dem Leitmotto „Mein Weg nach Deutschland“ wolle man insbesondere die Einwanderung qualifizierter Fachkräfte begleiten – vor allem durch Sprachunterricht, aber auch durch frühzeitig einsetzende Integrationskurse. So betreue man beispielsweise ein Projekt, mit dem vietnamesischen Pflegekräften auch deutsche Fachbegriffe und Gepflogenheiten des Metiers vermittelt werden. Hintergrund: Schon jetzt fehlten – nicht nur, aber besonders im Pflegebereich – in Deutschland insgesamt rund 400.000 Fachkräfte. Für die nächsten 40 (!) Jahre gebe es Berechnungen, nach denen jährlich 260.000 Zuwanderungen nötig sein werden. Mal eben den Taschenrechner bemüht: 40 mal 260.000 – macht 10,4 Millionen.

Apropos Inland: In fünf Städten sollen „Anlaufstellen für die internationale kulturelle Bildung in Deutschland“ eingerichtet werden. Es handelt sich um Bonn, Dresden, Hamburg, Mannheim und Schwäbisch Hall. Ist es kleinlich zu fragen, warum z. B. das gesamte Ruhrgebiet mit seinen rund 5 Millionen Einwohnern aus allen möglichen Herkunftsländern mal wieder nicht vertreten ist?

Außenperspektiven auf Deutschland

Es soll nicht nur Kultur- und Sprachexport betrieben werden, sondern man will umgekehrt auch von Menschen aus anderen Weltteilen lernen. Deswegen werden vor allem Künstlerinnen und Künstler sowie Intellektuelle aus vielen Ländern eingeladen; nicht zuletzt, um andere, womöglich aufschlussreiche Außenperspektiven auf Deutschland zu gewinnen und somit die hiesige Diskussion zu „beflügeln“. Diversität habe man sich auch intern als Institut vorgenommen, unterstreicht Prof. Carola Lentz. So sei es beispielsweise sehr wahrscheinlich, dass demnächst Mitarbeiterinnen mit afrikanischer Lebensgeschichte Goethe-Institute in Asien leiten. Sagen wir mal so: Zu früh wäre man damit nicht dran. Trotzdem klingt es noch ungewohnt.

Unterdessen muten manche Projekte wie die vielzitierten Tropfen auf heiße Steine an, so unter anderem ein schulisches Unterfangen, das sich an junge Russen wendet und die in Putins Reich vielfach gängigen Formen der Maskulinität zur Debatte stellen soll. Nun ja, besser kleine als gar keine Schritte.

Übrigens: Johannes Eberts Einlassung, das Goethe-Institut sei eine „NGO“ (Nicht-Regierungs-Organisation), trifft es nicht so ganz. Schließlich ist das Haus abhängig von Bundesmitteln, speziell via Außenministerium. Ein bisschen Regierung ist also doch „drin“. Was ja nicht per se verwerflich sein muss.

 

 




Kulturministerin rüffelt Kulturschaffende

So richtig habe ich meinen Augen zunächst nicht getraut, als ich dieses Zitat gelesen habe: „Die Kultur muss aufpassen, dass sie nicht immer eine Extrawurst brät.“ Denn wer hat’s gesagt? Ausgerechnet die NRW-Kulturministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen, die nicht nur parteilos ist, sondern sozusagen auch „keine Verwandten“ zu kennen scheint.

Kulturveranstaltung mit Bestuhlungs-Abstand und Hygienekonzept. (Foto vom 1.11.2020: Bernd Berke)

Es stimmt ja: Kulturschaffende treten mitunter sehr fordernd auf und sind auch nicht allzeit bereit, sich auf einen breiten gesellschaftlichen Konsens einzulassen. Es muss wohl etwas oder sogar einiges vorgefallen sein, was der Kulturministerin nicht behagt. Also hat sie an die Kulturbranche appelliert, die harten Maßnahmen im Corona-Lockdown mitzutragen. So weit richtig und nachvollziehbar, gerade angesichts der ständig steigenden Infektionszahlen. Nur: Auf wen zielt ihre Suada?

Da steht dieser eine, irritierende und erratische Satz:„Die Kultur muss aufpassen, dass sie nicht immer eine Extrawurst brät.“ Was heißt denn überhaupt „D i e Kultur“? Und was heißt hier eigentlich „immer“? Und wäre unter „Extrawurst“ die bloße Existenzsicherung zu verstehen? In dieser Zuspitzung stimmt der ministeriale Satz einfach nicht. Hat man je aus einem zuständigen Ministerium gehört, das Hotel- und Gaststättenwesen bekomme „Extrawürste“ gebraten oder brate sie selbst? Dabei dürfte diese ebenso gebeutelte Branche weitaus entschiedenere Lobbyarbeit betreiben und mit Forderungen auch nicht hinter dem Berg halten.

Dass gerade Kulturschaffende und Kulturveranstalter zu jenen gehören, die am meisten unter der Corona-Krise leiden, dürfte sich herumgesprochen haben. Dass sie just von einer Kulturministerin recht pauschal angegangen werden, klingt – speziell in diesem Zusammenhang – überhaupt nicht angemessen. Es wird gar mit einer unterschwelligen Drohung verknüpft. Die Szene, so die wohlbestallte Ministerin Pfeiffer-Poensgen weiter, solle sich „nicht zu sehr aus dem gesellschaftlichen Konsens herausbewegen“, sonst könne es der Kultur dauerhaft schaden. Wird da auf diffuse Weise Wohlverhalten eingefordert; werden da etwa insgeheim Mittelkürzungen oder „Liebesentzug“ in Aussicht gestellt? Doch wohl hoffentlich nicht.

Gewiss: Bund und Länder schnüren etliche Hilfspakete und haben einen millionenschweren „Kulturstärkungsfonds“ auf die Beine gestellt. Dass hierbei immer noch nachjustiert werden muss, dürfte unstrittig sein. Die Fördermechanismen waren nämlich bislang nicht immer zielgerichtet und hilfreich. Betroffene könnten da viel erzählen. Aber will’s die Ministerin auch hören?

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P. S.: Die WAZ kündigt zu Pfeiffer-Poensgens Äußerungen heute auf ihrer Titelseite einen Bericht und Kommentar für die Kulturseite an. Der Bericht ist keine Eigenleistung, sondern erweist sich als Übernahme von der Deutschen Presseagentur (dpa), den Kommentar habe ich in der mir vorliegenden Ausgabe vergebens gesucht. Oder habe ich nur nicht genau genug hingeschaut?

Nachtrag am 10. November

Der Wahrheit die Ehre: Heute hat die WAZ mit einem Interview nachgelegt. Darin bedauert Frau Pfeiffer-Poensgen zumindest ihre „Extrawurst“-Wortwahl. Zitat: „Meine Wortwahl war sicherlich unglücklich, der Begriff hat manche offenbar sehr getroffen. Ich wollte niemanden verletzen (…) Ich würde den Begriff nicht noch einmal verwenden.“

 




Kurze und knackige Klarstellung: Nein, die Revierpassagen betreiben kein „Business“

Bei Facebook regiert bekanntlich der nach und nach angeblich allwissende Algorithmus. Sagt man so. Doch von wegen allwissend! Erstens ereilt einen dort meistens Werbung der absurdesten Art, die einen überhaupt nicht betrifft. Und zweitens haben sie eh keine Ahnung.

Wisset also: Die Revierpassagen sind kein „Business“, waren es nie und werden es nie sein. Zwar suchen wir prinzipiell (zu allem) fähige Mitarbeiter – und Mitarbeiterinnen (selbstverständlich: mwd). Aber nicht einfach so. Und leider auch nicht für Geld, da wir mit gelegentlicher Kultur-Berichterstattung selbst nichts verdienen. It’s the Ehrenamt, stupid!

Schade eigentlich. Erst recht in diesen Zeiten, in denen wir nichts lieber täten, als verbal Kulturschaffenden einen womöglich lukrativen Freiraum zu eröffnen. Allein: Die Verhältnisse, sie sind nicht so.




In diesen Zeiten muss man sich Gehör verschaffen: Gesammelte Aussagen zu „Corona und Kultur in Dortmund“

Dortmunds Kulturdezernent Jörg Stüdemann bei der heutigen Pressekonferenz. (Screenshot der Streaming-Übertragung)

Auch wenn die Aussagen noch nicht allzu konkret sein konnten: Es war schon einmal gut, dass diese Pressekonferenz überhaupt stattgefunden hat. Denn „die Kultur“ muss sich gerade in diesen Zeiten Gehör verschaffen. Unter dem Titel „Corona und die Kultur in Dortmund“ gab es heute im Rathaus der Stadt vor allem Statements auf der Chefebene der großen Kultureinrichtungen, aber auch aus der freien Szene. Ich habe den Termin via Live-Stream verfolgt.

Stadtdirektor und Kulturdezernent Jörg Stüdemann skizzierte eingangs die Lage und erkannte – bei allen Problemen – auch eine „positive Novität“: Im Gegensatz zu mancher früheren Debatte, in der Kultur als „erste Spardose“ gegolten habe, seien die kulturellen Einrichtungen diesmal von Anfang an in Überlegungen und Beratungen mit einbezogen worden.

Insgesamt aber müsse man von „gravierenden Erschütterungen“ sprechen, „wie wir sie bisher nicht kannten“. Das Thema habe etliche Perspektiven und Aspekte. Es gehe um die Situation der Institute, um die der ausübenden Künstlerinnen und Künstler und nicht zuletzt um das Publikum. Bleibe es durch die Krise hindurch loyal und stehe es treu zum Theater, zum Konzerthaus, zu den Museen und anderen Kulturstätten? Bislang, so Stüdemann, habe das Publikum eine erstaunliche Solidarität bewiesen, für die er herzlich danken wolle. Beispiel: Viele vorab bezahlte Tickets für abgesagte Vorstellungen würden nicht zurückgegeben.

Stüdemann mahnte dreierlei dringenden Bedarf an:

1.) Die inzwischen ausgelaufenen, weil hoch „überzeichneten“ Soforthilfe-Programme für Kulturschaffende müssten sehr bald verlängert werden. Als Beispiel nannte er Baden-Württemberg, wo es neuerdings eine Grundsicherung für Künstler(innen) von rund 1100 Euro im Monat gebe, die von anderen Bundesländern gut kopiert werden könne. Ein Appell ans Land NRW also.

2.) Die Einrichtungen der freien Szene bräuchten Infrastruktur-Programme, damit sie auch nach der Krise noch existieren könnten.

3.) Man müsse sehr zeitig „Exit-Strategien“ vorbereiten und einleiten, denn Betriebe wie Theater oder Konzerthaus könnten nicht einfach von heute auf morgen wieder die Bühnen bespielen, sondern bestenfalls nach einem Vorlauf von 6 bis 10 Wochen. In die entsprechenden Planungen sollten unbedingt die Fachleute aus den Kulturhäusern eingebunden werden.

Stefan Mühlhofer, Leiter der Kulturbetriebe Dortmund. (Screenshot der Streaming-Übertragung)

Stefan Mühlhofer, Direktor der Dortmunder Kulturbetriebe, sieht es als sicher an, dass man bei Wiederaufnahme des Spielbetriebs und anderer kultureller Angebote nicht einfach „den Schalter umlegen kann“. Es werde zunächst vieles anders sein als vor Corona. Man habe inzwischen einige Aktivitäten (Volkshochschule, Musikschule) auf digitale Verbreitung umgestellt, was auch recht gut funktioniere. Dennoch könne dies auf Dauer kein Ersatz für Präsenz-Veranstaltungen sein. Ein Originalbild im Museum sei eben etwas ganz anderes als eine Abbildung im Buch oder ein Video. Apropos: Wahrscheinlich bis Mitte dieser Woche solle ein Papier zur möglichen Öffnung der städtischen Museen vorliegen – mit einer Perspektive für Anfang oder Mitte Mai. Auch hier gilt freilich: Die Stadt allein kann nichts bewirken. Das Land NRW muss es zulassen. Übrigens: In Berlin dürfen die Museen schon wieder öffnen.

Hendrikje Spengler, Leiterin des Kulturbüros Dortmund. (Screenshot der Streaming-Übertragung)

Hendrikje Spengler, Leiterin des Kulturbüros Dortmund, berichtete, man habe sich in den letzten Wochen durch einen wahren Wust an Informationen, Erlässen und Verordnungen kämpfen müssen. Es sei aber gelungen, das alles zu strukturieren – vor allem im Sinne der Kulturschaffenden, denen häufig alle Verdienstmöglichkeiten weggebrochen seien. In der Kulturszene herrsche derweil keine Larmoyanz, im Gegenteil: Geradezu kraftvoll seien ständig neue Ideen entwickelt worden, um trotz Corona (digital) wahrgenommen zu werden.

Claudia Schenk, Sprecherin der freien Szene. (Screenshot der Streaming-Übertragung)

Claudia Schenk aus dem Leitungsgremium des „Depots“ trat als Sprecherin der freien Kulturszene an. Diverse Zentren der freien Szene wären ohne die bislang geleistete Landeshilfe vielleicht schon für immer geschlossen worden, befand sie. Streaming sei zwar gut, um im Gespräch zu bleiben, es generiere aber keine Einnahmen. Sie verwies auch auf Fälle wie etwa jene freiberuflichen Bühnentechniker, die auf einmal vor dem Nichts stünden. Man warte auf konkrete Handlungsanweisungen für einen Exit, also für die Wiederaufnahme des Betriebs unter veränderten Bedingungen. Frau Schenk stellte zudem mit Blick auf die nächsten Jahre die bange Frage, ob es im Kulturbereich wohl Streichungen und Kürzungen geben werde. Schließlich zähle Kultur leider immer noch zu den freiwilligen Leistungen der Kommunen und nicht zu den Pflichtaufgaben.

Sprach fürs Theater: Tobias Ehinger. (Screenshot der Streaming-Übertragung)

Tobias Ehinger, geschäftsführender Direktor des Theaters, erinnerte sich an die letzten Monate vor der Krise, als das Dortmunder Theater ein Hoch erlebt und neue Besucherrekorde angepeilt habe. Dann wurde man jäh ausgebremst. Sehr schnell habe man dann umgedacht, beispielweise habe die Theaterwerkstatt Mundschutzmasken hergestellt. In der Krise habe sich überhaupt gezeigt, wie wichtig der soziale Aspekt und die Verankerung in der Gesellschaft fürs Theater seien. Streaming könne kein wirkliches Bühnenerlebnis ersetzen, auch seien die digitalen Möglichkeiten schnell ausgereizt. Als eine beispielhafte Aktion nannte Ehinger den Musik-Truck, der vor Altenheimen vorfahre und – draußen vor den Türen – z. B. mit Gesangs-Darbietungen den Senioren ein wenig zwischenmenschliche Wärme vermittle. Ehinger ist überzeugt, dass man ab Anfang September wieder spielen werde – allerdings völlig anders, mit eigens zugeschnittenen Inszenierungen und vor deutlich weniger Zuschauern. Im Hinblick auf den 1. September sei ein Planungsvorlauf von etwa 10 Wochen nötig. Das würde bedeuten: Bereits Mitte Juni müsste man in die Vorbereitungen einsteigen. Insgesamt gelte es, die gesellschaftlichen Errungenschaften durch die Krise zu erhalten. Dabei sei Kultur unbedingt „systemrelevant“.

Konzerthaus-Chef Raphael von Hoensbroech. (Screenshot der Streaming-Übertragung)

Raphael von Hoensbroech, Intendant des Konzerthauses Dortmund, betonte den Gedanken der Systemrelevanz noch stärker. Kultur solle nicht nur am Tisch Platz nehmen, an dem die Relevanz verhandelt werde. Vielmehr sei sie – einem Ausspruch des Cellisten Yo-Yo Ma zufolge – sozusagen selbst dieser Tisch, also die Grundlage der Gesellschaft. Das Konzerthaus mit seinem sehr großen Saal sowie ausgeklügelter Be- und Entlüftung sei bei reduziertem Publikum kein riskanter Ort. Er halte ansonsten nicht viel von pauschalen Obergrenzen, es komme stets aufs Einzelereignis an. Voluminöse Auftritte mit großen Chören und Orchestern seien jedoch vorerst auszuschließen. Die Stadt Dortmund habe sich zu den Perspektiven des Konzerthauses beherzt und klar positioniert. Was jedoch aus Regierungskreisen in Berlin und vom Städtetag komme, sei wenig hilfreich.

Jörg Stüdemann blieb das vorläufige Fazit vorbehalten. Als studierter Germanist quasi von Haus aus kulturaffin und biographisch auch als Mitarbeiter eines Kulturzentrums (schon länger ist’s her: Zeche Carl in Essen) mit der Szene vertraut, kann die Interessenlage von Kulturschaffenden wohl recht gut nachempfinden und in vernünftige politische Bahnen lenken. Allerdings vermag er – obwohl zugleich Stadtkämmerer – natürlich nicht beliebig viele Kulturmittel aus dem städtischen Etat zur Verfügung zu stellen. Für die nächste Zeit mahnte Stüdemann ethische und „wertsetzende Handlungsweisen“ in der Kulturpolitik an, die sich einer bloßen Einspar-Mentalität widersetzen und keinesfalls „autoritativ oder autoritär“ vorgehen solle. Wie sich gezeigt habe, müssten nun vor allem zwei Anforderungen vorrangig erfüllt werden: „Wir müssen mehr in die Digitalisierung investieren, auch in Qualifizierung und technische Ausrüstung.“ Und: In jeder Hinsicht müsse jetzt über „Gestaltungs-Alternativen“ nachgedacht werden. Wohlan denn!

Viel guter Wille also, aber noch unklare Perspektiven. Die Kultur, so ahnt man, wird (ebenso wie andere Bereiche) „nach Corona“ nicht mehr dieselbe sein können wie zuvor.




Jetzt geht es um den ganzen Lebensstil

Wenig originelles Bild zu den „dunklen Wolken, die da heraufziehen“, aber ich hab‘ in eigenen Beständen auf die Schnelle nichts Besseres gefunden. (Foto: BB)

So. Wir sind an einem Punkt angekommen, an dem es nicht mehr um einzelne bzw. kollektive Absagen geht – sei’s auf kulturellem oder sportlichem Felde. Was soll’s denn, ob die Bundesliga-Saison nun unterbrochen oder ganz abgebrochen wird?

Es geht inzwischen um unseren ganzen Lebensstil, ja überhaupt ums Ganze. Wenn Bundeskanzlerin Merkel rät, die sozialen Kontakte auf nötigste Mindestmaß zu begrenzen, ist denn doch – bei aller scheinbaren äußeren Gelassenheit – eine ziemliche Anspannung spürbar.

Wir dachten schon, ein neues (Bionade)-Biedermeier habe sich in gewissen urbanen Vierteln längst etabliert, dabei steht erst jetzt der allgemeine Rückzug in die Stuben an. Gartenlaube revisited?

Endlich, endlich schließt auch NRW die Schulen und Kitas

Du meine Güte! Wie relativ lang hat Deutschland, hat speziell Nordrhein-Westfalen gebraucht, um sich zu Schul- und Kita-Schließungen ab kommenden Montag durchzuringen – und das im Fall von NRW als Bundesland mit den weitaus meisten Corona-Infektionen. Hätte man in diesem Sinne nicht spätestens heute gehandelt, hätte NRW-Ministerpräsident Armin Laschet wohl seine Ambitionen auf CDU-Vorsitz und nachfolgende Kanzlerkandidatur gleich aufgeben können. Vielen Beobachtern galt und gilt er als „Zauderer“. Gerade hierbei hätte sich das nicht bestätigen dürfen.

Eine solche Lage hat es seit Kriegsende nicht gegeben. Frankreichs Präsident Macron zieht den historischen Bogen noch weiter und spricht von der größten medizinischen Krise seit 100 Jahren. Gemeint ist die jetzt wieder oft herbeizitierte „Spanische Grippe“, die um 1918/19 weltweit unfassbare 50 Millionen Todesopfer gefordert hat und damit, was die bloßen Zahlen anbelangt, noch verheerender gewirkt hat als die Weltkriege.

Schwindet die frohe Weltzugewandtheit?

Gerade um die italienische Lebensart (Italianità) machen sich italophile Journalisten und andere, dem Süden herzlich zugeneigte Menschen neuerdings erhebliche Sorgen. „Kennst du das Land, wo die Zitronen blühn?“ Nein, man erkennt es nicht mehr wieder. Stirbt hier auch schrittweise die Lebensfreude, schwindet nach und nach die frohe Weltzugewandtheit? Geht nun ausgerechnet Italien den Weg in die innere Einkehr? Oder wird all die Freude wiederkehren?

Und überhaupt: der Westen. Was wird aus der üblichen Event-Kultur, was ist mit der landläufigen Erlebnisgier, mit dem gewöhnlichen Hedonismus? Gab’s da nicht mal jenes Buch mit dem Titel „Wir amüsieren uns zu Tode?“ Lang ist’s her. Treibt es uns nun noch mehr in die vereinzelnde Digitalisierung? Oder wirkt sich die Krise gar als gesellschaftlicher Kitt aus, als Anstoß zum Zusammenhalt? Man möchte es hoffen, doch da bleiben auch große Zweifel. Wo so viele Leute ohne Sinn und Verstand Toilettenpapier horten oder sogar aus Kliniken Desinfektionsmittel klauen (in der Phantasie male ich mir passende Strafen dafür aus), ist Solidarität offenbar kein weithin praktiziertes Allgemeingut.

Drastische Maßnahmen und Galgenhumor

Trotz der (verspäteten?) Schulschließungen geht’s bei uns noch vergleichsweise moderat zu. Die Schweiz verbietet Veranstaltungen mit über 100 (nicht: über 1000) Teilnehmern, in Belgien werden auch die Restaurants geschlossen, in Österreich bleiben Geschäfte jenseits des Lebensbedarfs dicht, die Restaurants schließen um 15 Uhr; Polen und Dänemark riegeln ihre Grenzen ab. Als deutscher Staatsbürger darf man ohnehin längst nicht mehr in alle Länder des Erdballs reisen. Viele weitere drastische Beispiele ließen sich nennen. Und wer weiß, wer am Ende wirksamer gehandelt hat.

Auch Galgenhumor macht sich breit, wie eigentlich immer, wenn’s ungemütlich (oder schlimmer) wird: Just heute twittern Tausende zum Hashtag-Thema #CoronaSchlager, will heißen: Man dichtet bekannte Schlagertexte der letzten Jahrzehnte aufs Virus und seine Folgen um. Wenn’s denn der Entspannung dient und nicht ganz und gar zynisch wird…

Die Professoren Drosten und Wieler haben das Sagen

Die beinahe täglich live übertragenen Presskonferenzen von der Corona-Front lassen allmählich den Eindruck aufkommen, die Professoren Christian Drosten (Charité) und Lothar Wieler (Robert-Koch-Institut) seien inzwischen die eigentlich Regierenden im Lande. Sie haben buchstäblich das Sagen. Jedenfalls können die politisch Verantwortlichen in dieser Situation schwerlich ohne solche Fachleute auskommen. Prof. Alexander Kekulé (Uniklinik Halle) wäre demnach mit seinen deutlich abweichenden Meinungen so etwas wie die Opposition. Schon recht früh hat er gefordert, was jetzt geschehen ist: „Coronaferien“ in den Schulen und Absage größerer Zusammenkünfte.

Um nur nicht missverstanden zu werden: So weit man es als Laie und Medienkonsument beurteilen kann, machen Drosten und Wieler (mit ihren Teams) einen großartigen Job, sie bleiben angenehm nüchtern und sachlich, wobei man dennoch die Dringlichkeit ihrer Anliegen nicht verkennen kann. Das gilt übrigens auch für Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, der selbst nicht die medizinische Expertise haben kann, es aber offensichtlich versteht, fähige Leute als Berater heranzuziehen.

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P. S. zum Fußball: Ohne Zuschauer im Stadion macht die Kickerei eh keinen Spaß mehr, Sky & Co. haben mit den „Geisterspielen“ sozusagen leblose Materie übertragen. Meinetwegen soll die Liga jetzt mit der Saison aufhören, die Bayern halt zum Meister erklären (das sage ich als Dortmunder) oder – besser noch – diese Spielzeit ganz ohne Titel beenden, die jetzigen Tabellenplätze nur für einen künftigen europäischen Wettbewerb zählen lassen etc. Auf- und Abstieg ließen sich auch regeln, indem z. B. die 1. Liga aufgestockt würde, also niemand ohne Spielentscheidung absteigen müsste. Das alles wird sich finden und ist ganz und gar nicht lebenswichtig.

Ganz abgesehen davon ist es vielleicht ein soziales Experiment: Wirkt sich das Fehlen des Vereinsfußballs gesellschaftlich aggressionshemmend oder aggressionssteigernd aus? Anders gewendet: Befördert oder kanalisiert der Fußball die Gewaltsamkeit?




Was macht Corona mit der Kultur?

Sorglos hat man eigentlich noch nie auf den inzwischen so globalisierten Globus blicken können. Jetzt sind mal wieder ein paar neue Sorgen hinzugekommen. (Foto: BB)

Und hier bekommt Ihr wieder ein Bonus-Paket der Revierpassagen, nämlich: Heute gibt’s k e i n e n laienhaften Aufsatz über Corona. Jedenfalls nicht über virologische Fragen oder Quarantäne. Wie denn auch?

Obwohl man da unendlich viel erwägen und bekakeln könnte, aus nichtfachlicher Sicht wohl überwiegend Nutzloses. Aber das geschieht schon andernorts zur Genüge und weit über Gebühr. Man schaue sich nur die Kommentare an, wenn etwa „Zeit“ oder „Süddeutsche“ mit Live-Schaltungen zu allfälligen Pressekonferenzen des Bundesgesundheitsministers und des Robert-Koch-Instituts aufwarten. All die vielen selbsternannten Fachleute im Publikum, die Besserwisser, Hassverspritzer und Paniker aus den Untiefen des Netzes. Und das bei Angeboten dieser seriösen Medien… Das seriöseste aller hiesigen Medien, „Der Postillon“, hat diesen Trend natürlich auch erkannt: „Zahl der Corona-Experten in Deutschland sprunghaft angestiegen“. Wohl irgendwie wahr.

So. Und jetzt, da Ihr Euch vielleicht in Sicherheit wiegt, kommen hier halt doch noch ein paar CoV-19-Absätze. Wir sind schon mittendrin. Aber halb so schlimm. Wir hamstern keine Zeilen. Wir desinfizieren auch nicht eigens die Tastatur. Tippen mit sorgsam gewaschenen Händen (20 Sekunden plus!) ist freilich die leichteste Übung.

Konzerthusten mit neuer Virulenz

Vielleicht erwischt es ja nach dem Sport mit seinen zuschauerlosen „Geisterspielen“ (so auch das Revierderby BVB – Schalke am kommenden Samstag) sehr bald auch Teile des Kulturbetriebs. Veranstaltungen mit mehr als 1000 Teilnehmenden, deren Absage nicht nur von Gesundheitsminister Spahn dringlich angeraten wird und in Frankreich bereits verfügt worden ist, haben wir schließlich auch in Philharmonien, Konzerthäusern und Opernhäusern, erst recht bei manchen Rock-Auftritten etc. Da sitzt oder steht man beim kulturellen Geschehen ziemlich dicht an dicht. Der Konzerthusten ist ja eh ein sprichwörtliches, heftiges und häufiges Phänomen im Bereich der E-Musik. Auch er hat allerdings schon einen bedrohlichen Bedeutungswandel hinter sich. Mit Hustinetten als Gegenmittel ist es nicht mehr getan.

…oder gar daheim zum Buch greifen

Von Veranstaltungen wie dem Literaturfestival Lit.Cologne, der Pariser oder der Leipziger Buchmesse (alle abgesagt) – letztere mit sonst Abertausenden von lesewilligen Hallenflaneuren – mal ganz abgesehen. Und noch mehr zu schweigen von den italienischen Zuständen, wo im ganzen Land Museen, Kinos und Theater geschlossen bleiben. Schon warnen besorgte Publizisten vor nachhaltigen Schäden an der „italienischen Lebensart“.

Just, als ich das schreibe, erreicht mich die Nachricht von der Absage der Museumsnacht im LWL-Museum für Archäologie in Herne am 27. März. Dort wird übrigens – ausgerechnet – noch bis zum 10. Mai die derzeit besonders aufschlussreiche natur- und kulturhistorische Ausstellung über die Pest gezeigt. Apropos: Wie man liest, erlebt zur Zeit auch Albert Camus‘ moderner Klassiker „Die Pest“ einen Auflagenschub sondergleichen.

Schon wird uns auf Feuilleton-Seiten wärmstens anempfohlen, öfter mal daheim zu bleiben und zwecks Kulturgenuss diverse Streamingdienste für Kino und Musik anzuwerfen. Oder gar: zum Buch zu greifen! Man denke nur…

„Inflation öffentlicher Zusammenrottungen“

Es sind keine günstigen Zeiten für kulturgeneigte Adabeis. Wenn ich nicht irre, war es die Neue Zürcher Zeitung, die vor ein paar Tagen geradezu erbittert gegen das ewig amüsierwütige Ausgehen zu Felde zog, und zwar mit einer solchen Formulierung: „Die hedonistische Eventkultur mit ihrer Inflation öffentlicher Zusammenrottungen zu unwesentlichen Zwecken“, hieß es da, solle endlich wieder durch „Vergnügungen in bescheidenerem, privaten Rahmen“ ersetzt oder wenigstens ergänzt werden. Sie raten freilich nicht direkt zum Brettspieleabend, sondern erst einmal zu Netflix-Filmen und Gruppen-Chats. Man will die Leute da abholen, wo sie sind. Mit möglichen Folgen einer zunehmend digitalisierten Kultur hat sich unterdessen auch die Süddeutsche Zeitung befasst. Wir sehen betroffen: Da ist einiges im Schwange.

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P. S.: Hat eigentlich schon mal wieder jemand nachgeschaut, was in den einst so umkämpften Notstandsgesetzen steht, die vor über 50 Jahren schon manchen „Achtundsechziger“ auf die Barrikaden getrieben haben? Kann uns da jetzt was blühen?

Nachtrag: Erstaunlich, dass laut Homepage heute (10. März) im Dortmunder Konzerthaus die Veranstaltung „Sinatra & Friends“ (Trio aus England) stattfinden soll. Sind da wirklich weniger als 1000 Plätze besetzt? Man wird ja mal fragen dürfen. Laut Landesgesundheitsminister Laumann gilt die 1000er-Grenze ohne Wenn und Aber. Bei Überschreitung müsste seit heute abgesagt werden.

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Absagen und Sonstiges

Das Gelsenkirchener Musiktheater im Revier (MiR) stellt den gesamten Spielbetrieb „bis auf weiteres“ ein.

Das Frauenfilmfest Dortmund/Köln (Programmschwerpunkt diesmal in Köln) soll nach jetzigem Stand vom 24. bis 29. März stattfinden. Pro Filmvorstellung soll die Zahl der Zuschauerinnen auf 100 begrenzt werden. Es werden Anwesenheitslisten geführt und auch sonst diverse Sicherheitsmaßnahmen ergriffen.

 




Dortmund im Juni: Kunst, Kultur und Kabarett beim Evangelischen Kirchentag

Wiederkehr zum Kirchentag: Pop Oratorium „Luther", hier eine Szene der Uraufführung in der Dortmunder Westfalenhalle am 31. Oktober 2015 – mit Frank Winkels (Mitte) in der Titelrolle. des Reformators.

Zum Kirchentag wieder zu erleben: das aufwendige Pop-Oratorium „Luther“ – hier eine Szene der Uraufführung in der Dortmunder Westfalenhalle am 31. Oktober 2015, mit Frank Winkels (vorn Mitte) in der Titelrolle des Reformators. (© Stiftung Creative Kirche, Witten)

Vier Bundespräsidenten, neben dem amtierenden drei seiner Vorgänger, die Bundeskanzlerin, der NRW-Ministerpräsident, zahlreiche Bundes- und Landesminister, sie alle haben zwischen dem 19. und 23. Juni Termine in Dortmund. Während der fünf Tage ist die Stadt Gastgeber des 37. Deutschen Evangelischen Kirchentags, der mit geballter Polit-Prominenz aufwartet.

Bundespräsident Frank Walter Steinmeier hält einen der Hauptvorträge und befasst sich mit „Zukunftsvertrauen in der digitalen Moderne“, Bundeskanzlerin Angela Merkel spricht über die Frage „Vertrauen als Grundlage internationaler Politik?“ NRW-Ministerpräsident Armin Laschet findet sich zur Bibelarbeit ein, Bundesaußenminister Maas diskutiert mit Friedensnobelpreisträger Denis Mukwege, wie es sich mit der Verantwortung Deutschlands zum Schutz von Frauen und Kindern verhält – und Arbeitsminister Hubertus Heil erörtert mit Verdi-Chef Frank Bsirske, wie es um den Wert der Arbeit bestellt ist.

Insgesamt 2500 Veranstaltungen

Die Auftritte der Politiker sind Teil eines Programms mit rund 2.500 Veranstaltungen. Täglich werden rund 100.000 Besucher erwartet. Neben Debatten und Podiumsgesprächen gehören Gottesdienste, Workshops und Konzerte ebenso dazu wie Ausstellungen und Installationen. Kulturelle Angebote machen mit rund 600 Veranstaltungen fast ein Viertel des Programms aus. Mit dabei sind z. B. die Schauspielerin und Sängerin Anna Loos, der Musiker und Songwriter Adel Tawil, die Band Culcha Candela und das Bundesjugendjazzorchester. Konzertbühnen werden auf dem Hansa- und Friedensplatz sowie dem Alten Markt stehen.

Das „Depot“ an der Immermannstraße soll zu einer „Kulturkirche“ werden. Die Schwerpunktthemen sind hier Heimat und Kunstfreiheit. Die Schriftstellerin Thea Dorn, der Programmchef des Deutschland Radio Kultur, Hans-Dieter Heimendahl, der Intendant der Ruhrfestspiele, Olaf Kröck, und Johann Hinrich Claussen, Kulturbeauftragter der Evangelischen Kirche Deutschland (EKD), sind zu Gesprächsrunden eingeladen. Das Programmkino des Depots zeigt eine Reihe von aktuellen Filmen, unter anderem „The Cleaners – Im Schatten der Netzwelt“. Die Dokumentation berichtet über die Arbeit Zehntausender von Menschen, die im Auftrag von Internetkonzernen belastende Fotos und Videos auf den Portalen von Facebook, Twitter etc. löschen. Darüber hinaus wird der Regisseur Züli Aladag über seinen Film „Die Opfer – Vergesst mich nicht!“ sprechen, der sich mit den NSU-Morden befasst.

Vertrauen auch als literarisches Thema

Im Freizeitzentrum West (FZW) an der Ritterstraße gibt‘s Kabarett aus der und über die Kirche, die Gruppe Klangwerk aus Bayreuth bringt Deutschpop zu Gehör, der Dortmunder Liedermacher Fred Ape ist zu Gast und zudem wird die Veranstaltungsstätte Ort für einen Techno-Gottesdienst sein, Thema: „Menschenrechte – Gottes Wort!?“ Eine bunte Musikvielfalt bieten zahlreiche Songwriter im „domicil“ an der Hansastraße, in dem auch abends um 22.30 Uhr ein kabarettistischer Tagesrückblick gehalten wird. In den Westfalenhallen wird sich der Kabarettist Serdar Somuncu an einer Runde zur #MeToo-Debatte beteiligen. Eckhardt von Hirschhausen diskutiert mit Jugendlichen über Klima und Umwelt.

Im Industriemuseum Zeche Zollern (Stadtteil Bövinghausen) setzt sich unter dem Leitgedanken „Erinnern, Begegnen, Bedenken“ eine Ausstellung mit der Geschichte des Reviers auseinander. Darüber hinaus sind Aufführungen vorgesehen, die weltweite historische Ereignisse eingehen. Das Hoesch-Museum zeigt eine Ausstellung, die dem Thema „Migration und Religion im Ruhrgebiet“ gewidmet ist.

Da der Kirchentag das Motto „Was für ein Vertrauen“ trägt, steht auch das Literaturfest der Großveranstaltung unter dieser Losung. Zahlreiche Autoren aus der Region lesen aus ihren aktuellen Büchern passende Passagen. Nachmittags ab 15 Uhr sind Kinder eingeladen, sich zu einem Mitmachprogramm einzufinden, Zeit für Erwachsene nehmen sich Frank Goosen, Sarah Meyer-Dietrich, Ralf Thenior und weitere Autoren ab 19 Uhr.

Gewaltiges Pop-Oratorium über Luther

Freunde elektronischer Musik können sich auf die Uraufführung der Kammeroper „Nova – Imperfection Perfection“ des zeitgenössischen Komponisten Franz Danksagmüller freuen. Das Pop-Oratorium „Luther“ mit 2.000 Mitwirkenden erlebt eine weitere Aufführung am 20. Juni in den Westfalenhallen.

Während der gesamten Dauer des Kirchentages ist am Fredenbaumplatz eine Installation aus Klang und Licht zu sehen, die die evangelische Jugend aus dem Osten Berlins geschaffen hat. Die Klanginstallation Kuckucksuhrenorgel des Künstlers Erwin Stache, wird am Donnerstag von 10 bis 22 Uhr zwei Mal pro Stunde an St. Nicolai (Lindemannstraße) zu hören sein. Südkoreanische Künstler stellen ein Projekt vor, das das Thema Frieden in den Fokus rückt. Darüber hinaus öffnen Museen ihre Türen. Im Dortmunder U ist eine interaktive Ausstellung zur Skate-Kultur zu sehen.

Mit drei Gottesdiensten (am Ostentor, auf dem Hansa- und dem Friedensplatz) wird der Kirchentag am 19. Juni eröffnet, gefolgt vom Willkommensfest, das die Stadt und die Evangelische Landeskirche von Westfalen ausrichten. Der Abschluss erfolgt im Westfalenpark und im Westfalenstadion („Signal Iduna-Park“).

Infos unter https://www.kirchentag.de/




Vernetzte Akteure der kulturbasierten Urbanität – ein paar Beispiele für den üblichen Subventions-Abgreifer-Jargon

Nein, man mag ihn manchmal wirklich nicht mehr hören, diesen immerwährenden, nur in Nuancen sich verändernden, angeblich kulturaffinen Subventions-Abgreifer-Jargon. Sollte er etwa spezifisch fürs Ruhrgebiet sein? Oder gibt es ihn so oder ähnlich überall?

Immer hübsch wolkig bleiben...

Immer hübsch wolkig bleiben…

Wenn man ordentlich Fördergeld abzapfen wollte, so müsste man in den Antrag vor allem einige Reizworte einstreuen. Von „Vernetzung“ müsste man schwafeln, über „Akteure“ der Szene psalmodieren. Selbstverständlich müsste auch „Urbanität“ raunend beschworen werden. Zusammensetzungen mit Inter- oder Trans- gehen sowieso immer. Interkulturell, transkulturell, international, transnational, intersexuell, transsexuell. Eigentlich egal. Multi geht natürlich auch. Und bunt sowieso.

Aber bloß nicht konkret werden. Lieber Nebelkerzen werfen. Immer in der umwölkten Schwebe lassen, was man eigentlich will und erstrebt (außer Fördergeld, hoho).

Den Mund so richtig voll nehmen

Vollends entfesselte Euphorie bricht sich Bahn, wenn erst einmal das Zauberwort „Kreativwirtschaft“ gefallen ist. Dann gibt es kein verbales Halten mehr. Dann ist quasi alles erlaubt. Dann darf man den Mund so voll nehmen, wie man will. Hauptsache, es klingt irgendwie cool und jung. Nach Zukunft fürs gebeutelte Ruhrgebiet. Und – naja – irgendwie auch nach „Kultur“, die sich nach solchem Verständnis nicht selten bei nett illuminierten Straßen-, Park- und Quartiersfesten mit anschließendem Feuerwerk manifestiert. Prösterchen!

Doch hören wir mal rein: Richtige Formulierungs-Könner sind beispielsweise beim Projektbündel unter dem Titel „Urbane Künste Ruhr“ am Werk. Wir zitieren ehrfürchtig: „Urbane Künste Ruhr rückt 2017 Utopien in den Fokus und verwandelt den urbanen Raum in eine temporäre Handlungsfläche…“ Fokus – urban – Handlungsfläche… Das klingt zwar schwammig, ist aber beherzt in die Textschublade gegriffen und großzügig ausgestreut. Auch wollen sie nach eigenem Bekunden „Handlungsstrategien für die Bevölkerung vor Ort“ entwickeln. „Vor Ort“ ist immer gut, „Handlungsstrategien“ sind es nicht minder. Fehlen eigentlich nur noch noch Textbausteine, wie sie auch im gar flotten Lokalteil der Zeitung beliebt sind: „Kiez“, „Quartier“, „total lokal“ oder das allgegenwärtige „Umsonst und draußen“. Da ächzt der Kenner.

Dieter Gorny, Großmeister der Zunft

Ein, wenn nicht d e r Großmeister aller eloquenten Subventionsempfänger und vielfach gekrönter König der „Kreativwirtschaft“ ist der umtriebige „Medienmanager, Lobbyist und Musiker“ (Wikipedia) Dieter Gorny, seines Zeichens u. a. Ex-„Viva“-Chef und künstlerischer Ko-Direktor der „Ruhr.2010“, vulgo der Europäischen Kulturhauptstadt Ruhrgebiet 2010. Als solcher hat er sich auch nachdrücklich für die Loveparade in Duisburg eingesetzt.

Länger nichts mehr von Gorny (Jahrgang 1953) gehört? Wie man’s nimmt: Im März 2015 wurde er vom seinerzeitigen Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (einst selbst als öffentlich bestallter „Siggi Pop“ unterwegs) zum „Beauftragten für Kreative und Digitale Ökonomie“ erkoren. Damit haben wir nur einen Bruchteil der Ämter und Würden genannt. Nicht zu vergessen: Der Mann firmiert längst als Prof. Dieter Gorny. Früher hätte man solch einen Teufelskerl „Tausendsassa“ genannt. Oder „Hansdampf in allen Gassen“.

...und so undurchsichtig wie Milchglas. (Fotos (2): Bernd Berke)

…und so undurchsichtig wie Milchglas. (Fotos (2): Bernd Berke)

Wer sich mal kriminal über Gornys Treiben aufregen will, muss bei den geschätzten „Ruhrbaronen“ nur mal das Stichwort „Gorny“ eingeben und wird vielfach fündig. Die Barone, die gern schon mal die eine oder andere Kampagne reiten (z. B. mit Stoßrichtung auf Grüne oder Anthroposophen), haben in ihm einen ihrer Lieblingsgegner gefunden…

Selbsternannte Impulsgeber

Uns hingegen geht es natürlich ausschließlich um linguistische Belange. Im Gefolge von Ruhr.2010 wurde Gorny Geschäftsführer einer Institution mit dem geschwollenen Namen „European Centre for Creative Economy“ (ECCE), die auf dem Gelände am Kulturzentrum „Dortmunder U“ residiert.

Auch und vor allem im ECCE-Dunstkreis beherrscht man den erwähnten Subventions-Jargon aus dem Effeff, ja, man hat ihn wohl recht eigentlich mitgeprägt. So versteht man sich laut Homepage als „Impulsgeber für eine kulturbasierte Stadt- und Quartiersentwicklung“. Allein schon das Wort „kulturbasiert“ könnte einen auf die Palme bringen… Einen wirklichen Eigenwert scheint Kultur in solchem Kontext nicht mehr zu haben, sie wird halt für andere Zwecke in Dienst genommen.

Soeben erhalte ich eine einladende E-Mail von „Interkultur Ruhr“, in der lockend von „Partizipation im öffentlichen Raum“ geredet wird. Jaja, auch allerlei Teilhabe kommt immer gut. Im selben Text tauchen ebenfalls mal wieder „urbane Diskurse“ auf. Tja, auch diese Leute verstehen ihr Handwerk bzw. ihr verkleisterndes Sprachdesign, das sich nicht zuletzt aus pseudosoziologischem Funktionärssprech speist.

Auf zur Reparatur ganzer Stadtteile!

Am besten ist es, wenn man der jeweiligen Kommune bzw. der Stiftung oder dem Verband gleich die soziokulturelle Reparatur ganzer Stadtteile in Aussicht stellt. Wer fragt später schon danach, was daraus geworden ist? Es sind allemal Zeichen gesetzt und Impulse gegeben worden. Also Ruhe, ihr Zweifler! Da wird kein Geld verpulvert. Es wird nur verbraucht.

Damit wir uns nicht missverstehen: Es geht hier weniger um Qualität, Sinn oder Unsinn einzelner Vorhaben, es geht um den ranschmeißerischen Jargon, der sich mit automatisch einrastenden Schlüsselworten an Gremien und sonstige „Entscheider“ heranwanzt. Doch wo schon die Sprache verhunzt wird, wächst das Misstrauen in die Sache schnell.

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P.S.: Auch hier, wie schon im Falle des landläufigen Fußball-Jargons, mache ich mich anheischig, nach und nach weitere Beispiele zu sammeln.

Hatten wir schon „nachhaltig“ und „achtsam“? Oder ist das eine andere, sanftere Kategorie?




„Rambo“ statt Rezensionen

Meine Rezensions-Faulheit hat sich auch über den Jahreswechsel hinaus gehalten. Daher wird gnadenlos weiter gefaselt.

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Rezensionen gehen ja heute sowieso anders. Zunächst einmal: Man gurkt nicht mehr umständlich mit Fachbegriffen herum, überhaupt kann man sich nähere Kenntnisse sparen. Denn dann könnte man ja den Kontakt zu den einfacheren Leuten verlieren. Und das wiederum spielt nur den Populisten in die Karten. Stimmt’s oder hab‘ ich recht?

Auch gibt man sich nicht empfindsam oder einlässlich. Jeder Feinsinn ist verpönt. Viel lieber sollte man seine Kulturkritik mit jeder Menge Anspielungen auf mehrheitsfähige populäre Mythen garnieren und das Ganze kräftig „anpunken“.

Der eine oder andere * Ausruf nach dem Muster „Verfickte Scheiße!“ ist sozusagen ein Muss, will man seine street credibility auch nur ansatzweise wahren. Wer will denn schon elitär sein oder als „Intellektueller“ wahrgenommen werden?

Ich, ich!

Ich will euch was sagen. Zwei Nachbarn, die eigentlich schwer in Ordnung sind, haben mich dieserhalb auf dem Kieker. Sie verdächtigen mich, am liebsten Filme von Bergman, Rohmer, Truffaut, Tarkowskij und Angelopoulos zu sehen (was haargenau stimmt).

Drum wollen sie unbedingt erreichen, dass ich mir mit ihnen gemeinsam den allerersten „Rambo“-Film anschaue, dessen Kenntnisnahme ich bis heute – über Jahrzehnte hinweg – standhaft verweigert habe. Denkt euch nur: Zu diesem Zweck haben sie mir das Machwerk als DVD geschenkt. Einem geschenkten Gaul…

Sie locken mich mit der Behauptung, das alles sei als Ausbund kritischer Ironie höheren Grades zu verstehen. Der eine ruft schon, wenn er mich sieht, quer über die Straße „Hey, Rambo!“ Peinlich, peinlich. Was sollen die Leute von mir denken? Der andere (und ich ahne, dass er dies früher oder später lesen wird – Haaallo, winke, winke, zwinker, zwinker – Ich möchte auch meine Omas in Ludwigshafen und Greetsiel grüßen) will gar einen Beamer mitbringen, auf dass die größte freie Wandfläche im Wohnzimmer vollkommen ramboisiert werde. Dazu dürfte es dann wohl alkoholhaltige Getränke geben.

Nun frage ich in die imaginäre Runde: Soll ich mich darauf einlassen?

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* Heute sagt und schreibt man übrigens „Der ein oder andere“, weil Grammatik ja eh scheißegal ist. Fuck, fuck, fuck!




Kulturpolitik in Unna – bitte bloß nicht kleinmütig und halbherzig!

Kultur, sie hatte mal mächtige Stimmen in der Stadt. Die Männer und Frauen, die der Kulturarbeit in Unna ihre Stimmen gaben, konnten sicher sein, dass nicht ungehört verhallte, was sie äußerten. Und sie fanden Gehör – auch weit über die Grenzen der Stadt hinaus. Weil das Modell Unna weithin Aufmerksamkeit erregte. Weithin woben sich auch die Netzwerke, die Unnas Kulturverantwortliche schufen, weil offenbar gern mit modellhaften Kommunen zusammengearbeitet wurde. Und Unna war eine solche.

Ein ebenso stabiles wie inhaltlich definiertes Fundament wurde im Laufe der Jahre geschaffen. Nachhaltig stemmt es sich auch aktuell in die Wellen eines immer inhaltsärmer werdenden Tsunami, der gespeist wird von den siechen Finanzkraft der Kommunen, von neuen medialen Interessen, von der erkennbaren Schwindsucht unter den Rezipienten; aber auch vortrefflich assistiert von zartbegabter Rhetorik seiner auserkorenen Sachwalter.

Das Musical “Oz” der "Freien Wildbahn" als Beispiel für gelungene kulturelle Nachwuchsarbeit. (Foto: Freie Wildbahn)

Das Musical “Oz” der „Freien Wildbahn“ als Beispiel für gelungene kulturelle Nachwuchsarbeit. (Foto: Freie Wildbahn)

Trotzig recken sich da und dort die Zeugen alter Zeiten aus Unnas soziokultureller Vergangenheit in die Landschaft: Lindenbrauerei, ZIB, Lichtkunst, Jugendkunstschule, Travados, die unvergleichlichen Feste in der Stadt sind Beispiele. Die Umwelt, mit der sie leben müssen, ist karger geworden. Die Zeiten sind natürlich auch andere geworden. Die Ideen, was man mit und aus Kultur machen könnte, sind andere geworden. Aber man muss sowohl bereit als auch in der Lage sein, überhaupt Ideen zu haben, sie dann auch noch in ein Konzept zu gießen und dann andere von diesem zu überzeugen.

Kultur ist die Summe aller menschlichen Lebensäußerungen

Nach wie vor hat Unna eine sehr spezifische und erkennbar charakterfeste Stadtkultur. Sie ist tief in Szenen vernetzt, und wer offenen Auges durch die Stadt gehen kann, erkennt, dass Soziokultur personell stark verankert ist, keinerlei schichtenspezische Kleidung umgehängt hat, nahezu alle Instrumente der musischen Lebensäußerungen von ihr bespielt werden. Und es ist auch zu erkennen, dass in der Stadt gern mal der Keim des kulturellen Nachwuchses aus dem Boden lugt und nachhaltig auf sich aufmerksam macht. Das fulminante Musical “Oz” der “Freien Wildbahn” bewies erst kürzlich, wie fruchtbar der großartige Unnaer Kulturhumus sein kann.

Die tragenden Strukturen einer Unnaer Kulturarbeit der Zukunft müssen – so wie das für alle gesellschaftlichen Strukturen gilt – stets an die sich aktuell darstellenden Verhältnisse angepasst werden. Sebastian Laaser, stellvertretender Fachausschuss-Vorsitzender im Rat, hat es getroffen, als er alles mit einen dauernden Prozess beschrieb, was im Zusammenhang mit Kultur steht. Die dahinter liegende Idee aber muss stets die bleiben, dass “der Mensch im Mittelpunkt zu stehen hat” (Hubert Biernat, einst Landrat des Kreises).

Bildung, Schule, Weiterbildung und auch Sport – als basislegend für Teamverständnis, als Erfolgsgarant in der Zusammenarbeit von Individuen –, sie können im Zusammenspiel mit der sich ständig weiterentwickelnden Unnaer Kultur ein zukunftsorientiertes Bindegewebe für eine Stadtgesellschaft bilden, deren gemeinsame Anstrengung im Erhalt einer weltoffenen, (lebenslang) bildungsorientierten und solidarischen Stadtkultur besteht. Einen solchen Chor zu bilden und gekonnt zu dirigieren, das wäre eine Idee.

Wo bleiben die kraftvollen Stimmen?

Wenn Unna, wie geplant, eine gGmbH (gemeinnützige GmbH) ins Leben ruft, um der Zukunft der Kultur ein neues und stabiles Gerüst zu verleihen, dann erfüllt das nur einen Sinn, wenn gleichzeitig der Auftrag dieser Gesellschaft klar definiert wird als Instrument, als Werkzeug eines inhaltlichen Strebens: die Kulturarbeit ständig vom Kopf auf die Füße zu stellen und immer wieder zu erneuern.

Wenn sich aber diese gGmbH kleinmütig bei den Stichwörtern „Steuerersparnis“ und „Mittelverteilung“ festfährt, bleibt der eigentliche Kern der Maßnahme gleich mit in den Startblöcken stehen und wird zum ständig finanzgeschüttelten Spielball der kulturellen Interessenarmut. Das Credo der Kulturpolitik muss hier lauten: Kultur im Mittelpunkt – für Menschen! Und nicht ins Kleinlaute stolpernd die Frage stellen: Wie bewahren wir Krümel einer Vergangenheit, für die wir nicht mehr ausreichend Geld haben?

Die inhaltlichen Zwischentöne einer kraftvollen Stimme in Unnas Kulturpolitik vernehme ich nicht. Jedenfalls nicht, solange sich die Protagonisten darin erschöpfen, im thematischen Zusammenhang mit Kultur verletzungsfrei „Spartenrechnung“ zu buchstabieren oder im Kulturbereich akteneinsichtliche Erkenntnisse zu wittern.

(Der Beitrag erscheint in ähnlicher Form in Rudi Bernhardts Blog dasprojektunna.de)




Kultur hat Ruh‘ – ein sommerliches Idyll

Die Theaterferien sind ausgebrochen, die großen Konzertzyklen sind vorerst vorbei und in den Museen beginnen einstweilen keine neuen Ausstellungen. Kultur hat sommerliche Ruh’.

Man kann es an den Kulturteilen der Zeitungen und überhaupt an kulturgeneigten Publikationen – so schließlich auch an den Revierpassagen – ablesen, dass bis auf ein paar routiniert gezimmerte Sommerreihen (vorzugsweise Comedy sowie Rock & Pop) derzeit nicht viel Nennenswertes anliegt. Jaja, ein paar schüttere Gegenbeispiele gibt es immer, doch die bestätigen die Regel.

Postkartenreifer Sonnenuntergang in Egmond, Holland (Foto: Bernd Berke)

Postkartenreifer Sonnenuntergang in Egmond, Holland (Foto: Bernd Berke)

So zynisch das klingen mag: Wahrscheinlich waren manche Redaktionen insgeheim froh, dass sie jüngst wenigstens einige Nachrufe auf verstorbene Kulturgrößen bringen konnten. Irgendwie muss das Blatt ja gefüllt werden, irgend etwas muss es geben zum gepflegten Versenden. Nur mit Bayreuth und Salzburg geht die Chose nicht.

Kleiner Themenschwenk: Seit dem Ende der WM wird uns jetzt nicht einmal ein Fitzelchen „Fußballkultur“ zuteil, die Bundesliga liegt noch in monatsweiter Ferne.

Die Leute sind halt auf Urlaubsreisen oder an diversen heimischen Wassern. Nur ein versprengtes Häuflein leistet noch die bittersüßen Frondienste der Erwerbsarbeit. Für wen also soll man da spielen?

Wir aber versuchen uns – wenn schon die anderen Künste weitgehend brachliegen – vielleicht in Lebenskunst. Wir entdecken zudem, dass da noch ein paar ungelesene Bücher liegen. Und diese oder jene Musikkonserve haben wir auch noch nicht richtig gehört. Alsdann.




Ist die Finanzwelt etwa kulturlos?

Sie wird gern beschworen, die Gesprächskultur. Sie wird gern zitiert, die Unternehmenskultur. In vieler Munde ist sie, die Esskultur, oder auch die Tischkultur, beim Kochen spricht man häufig sogar von Kochkunst. Wir hätten auch noch die Diskussionskultur, Streitkultur oder sogar dann und wann Aussagen über Formen der politischen Kultur.
Auffällig indes ist, das mit keinem zusammengesetzten Wort eine Bankenkultur oder Finanzweltkultur erwähnt wird, und zwar nirgendwo. Offenbar handeln dort kulturlose Wesen.

Gänzlich abwegig finde ich meine Vermutung nicht. Ein Merkmal von Kulturen ist es doch, dass sie Werte erschaffen. Aus einem Grundstoff (Stein, Lehm, Farbe, oder, oder …) etwas Neues bilden, ja selbst der gute alte Kapitalismus, er sollte, und tat das, wenn auch unter gewissem Druck, er schuf Neues aus manchem und wandelte das am Ende in Mehrwert um, dass viel Geld daraus gewonnen werden konnte, mit dem entsprechenden Außendruck sogar dann und wann zum Wohle des Menschen.

Und was unternehmen heutzutage Banken, Banker oder Broker allermeistens? Sie unternehmen es, aus etwas vorgegeben, Geld nämlich, dasselbe zu erschaffen, nur mehr, viel mehr.

Sie machen also munter Wasser zu Wasser, so dass es schlussendlich ein Strom wird und nicht mehr als Flüsschen daher kommt. Eine bewundernswerte Leistung, genauso bewundernswert wie die Leistung, es bei diesem Bemühen zu vollbringen, dass aus dem Ursprungsgeld auch mal ein Nichts werden kann, dass dieses unversehens verschwindet.

Da fällt mir ein, die befrackten Herren, die früher albinöse Nager in Zylindern verschwinden ließen, nannte man Magier, nicht etwa Banker. Und die vollbrachten Kunststückchen – also doch eine gewisse Kultur?

Nein, denn sonst hätte unser Sprachgebrauch längst die Allmacht der Finanzwelt akzeptiert und den Begriff Großbank-Kultur erfunden. „… drum lernt‘ ich traurig den Verzicht, kein Ding‘ sei, wo das Wort gebricht.“ So dichtete Stefan George, dass es nichts gibt, wenn es keinen Begriff dafür gibt. Lernen wir also, dass alle an den Finanzmärkten Handelnde ohne Kultur sind, folglich ohne Sinn dafür, dass es einer gesellschaftlichen Gruppe besser oder vielleicht schlechter gehen könnte. Sie schaffen und produzieren nichts, allenfalls und ungünstigstenfalls ganze Länderpleiten, an denen man immer noch verdienen kann.

Sie sind halt kulturlos.

Wohin geht die kulturelle Reise? (Foto: Bernd Berke)

Wohin geht die kulturelle Reise? (Foto: Bernd Berke)




Verbrieft – Bekenntnisse eines Briefschreibers

Die Sondermarke prangt glänzend auf dem Umschlag.
Man denkt kurz an Ringelnatz und verabschiedet sich.
Ein Kulturwelt-Erbe befindet sich auf dem Rückzug.

Letzte Gefechte?

Noch ein Brief, nochmal an den Schreibtisch,
der diesen Namen auch verdient. Freies Sichtfeld.
Ein weißes Blatt Papier, jungfräulich schön.
Das Schreibgerät liegt gut in der Hand. Das sollte so sein.
Man hat ein paar Stunden zu tun. Das ist nicht immer so,
aber es ist eine Option, mit der man rechnen muss.

Man kann von einer langen Tradition sprechen.
Unzählige Kulturschaffende standen in Briefkontakt und pflegten ihn.
Schriftsteller schrieben Briefe, die den Vergleich mit Büchern nicht scheuen mussten.
Es ist hier nicht die Rede von Geschäftsbriefen, sondern von persönlichen Kunstwerken,

intimen Mitteilungen und „archäologischen“ Unternehmungen.

Die Reise zum Mittelpunkt des Ichs.

Es gibt Etappen-Briefe, es geht hinauf, es geht hinunter.
Einige Briefwechsel dauerten Jahre.
In solch kurzlebigen Zeiten wie heute, undenkbar.
Das ist Nostalgie, meinen manche, das sei längst überholt.
Was das Tempo anbetrifft, keine Frage.
In Sachen Qualität, siegt der Brief in mehrfacher Hinsicht,
ist dem Medium Internet überlegen.
Der Brief ist ein Akt der Wertschöpfung, auch wenn der Kurs dieser Währung im Keller liegt.

Dort liegt bekannterweise auch der gute Wein.
Man sieht ihn kaum, er darf ruhig reifen.

Und kommt er dann ans Tageslicht,
ist man betört von seinen Düften und Aromen.
Man geht behutsam mit ihm um.
Er verträgt kein Geschwätz.
Nein, es umgibt ihn eine mitunter feierliche Aura,
frei von Kreditkarten-, Auto- und War-Game-Werbung.

Der eigene Charakter steht im Mittelpunkt,
nichts von der Stange, keine Kopie.
Der Brief steht für sich, steht für das Wort,
steht für Qualität.
Geschmückt durch eine Marke, darf er in Ruhe verreisen.

Aber wer nimmt sich heute noch die Zeit, einen Brief zu schreiben?

Das ist nicht cool. Das ist out.
Wie lange, das wird man sehen…

Stefan Dernbach ( LiteraTour )




Die Kultur umarmt den Fußball – Über die Deutsche Akademie für Fußball-Kultur

Vor dem EM-Endspiel noch mal kurz innehalten – und über Fußball und Kultur nachdenken. Manche bezweifeln ja immer noch, dass es solche Querbezüge gibt. Sie haben vielleicht noch nie von Lebens- und Alltagskultur gehört. Bei der Deutschen Akademie für Fußball-Kultur in Nürnberg weiß man es besser. Nachgefragt bei Günter Joschko, Projektleiter der renommierten Einrichtung.

Wie ist das beispielsweise mit der oft beschworenen Spielkultur? Hat die EM neue Erkenntnisse gebracht? Joschko: „Auch hier erleben wir Globalisierung. Stilistisch gibt es weltweit eine Tendenz zur Angleichung.” Die Champions League, so Joschko, gebe mit rasantem Vereinsfußball vor allem der englischen und spanischen Spitzenclubs die Richtung vor. Dann versuche man es überall nachzumachen. Fast schon beängstigender Trend: immer schneller, immer kombinationssicherer. Ob das stets mit Kultivierung einhergeht?

Die Zeit der neuen
Fan- und Spielertypen

Zur Akademie für Fußball-Kultur gehören im losen Verbund Menschen zahlreicher Fachrichtungen. Soziologen sind vorwiegend am gesellschaftlichen Umfeld interessiert. Germanisten untersuchen sprachliche Weiterungen des Fußballs zwischen Fan- und Reporterdeutsch – bis hin zur hohen Literatur. Musikexperten analysieren Fangesänge. Philosophen wenden ewige Grundsatzfragen aufs Kicken an. Selbst Theologen sind dabei. Eigentlich kein Wunder, ist doch der Fußball eine Quasi-Religion unserer Tage und damit sozusagen eine Glaubensfrage.

Günter Joschko hat vor allem bei der letzten WM 2006 und der jetzigen EM beobachtet, wie sich die Spaßgesellschaft formiert: „Die Zahl der erlebnishungrigen Partygänger unter den Zuschauern ist enorm gewachsen. Das sind Leute, die kaum an taktischen Finessen interessiert sind, sondern am puren Event.” Der harte Kern der Kenner hingegen bleibe auf längere Sicht ungefähr gleich groß.

Der Stadionbau habe sich dieser Entwicklung angepasst. Joschko: „Die großen Arenen bieten heute Durchschnitts-Komfort und Rundum-Versorgung für alle – selbstverständlich auch für Frauen.” Der Fußball ist also längst in der ganz breiten Mitte der Gesellschaft angekommen und dabei – so unken Kritiker – auch etwas domestiziert worden.

Das deutsche Nationalteam, so meint Joschko, vereine heute ein breiteres Spektrum von Spielertypen als je zuvor. Die Mannschaft werde mehr und mehr zum repräsentativen Abbild der Gesellschaft. Umkehrschluss: Jeder kann sich seine passende Identifikations-Figur heraussuchen, jede Klientel wird fündig.

Lustige Vögel und Verantwortungsträger

Da gebe es sympathisch unbekümmerte, „lustige Vögel” wie „Poldi” und „Schweini”; aber auch ernsthaftere, „ausgesprochen gescheite Leute” (Joschko) wie Lahm, Mertesacker oder Metzelder, die über den Rand des Sports hinausblicken und gesellschaftliche Verantwortung übernehmen. Damit liegen sie laut Joschko auf der Linie des DFB-Präsidenten Theo Zwanziger, der den Verband in dieser Hinsicht entstaubt habe.

Lang genug hat’s ja in Deutschland gedauert. In Spanien etwa war Fußball schon immer auch für Feingeister ein Thema. Hierzulande sind erst in den letzten 15 Jahren etliche Literaten, Künstler und Wissenschaftler auf den Zug aufgesprungen. Joschko: „Vorher war in diesen Kreisen das Reden über Fußball verpönt. Heute ist das völlig anders. Da sind Dämme gebrochen.” Kulturschaffende umarmen den Fußball nun so innig, dass ein gewisser Sättigungsgrad erreicht zu sein scheint. Man munkelt neuerdings von Trotzreaktionen: „Es gibt offenbar erste Rückzugstendenzen”, so Joschko.

Und das konkrete EM-Geschehen? Bekanntlich ist ja „entscheidend auf’m Platz”: Das Turnier sei für fast alle Mannschaften ein Auf und Ab gewesen, sagt Günter Joschko. Heute toll gespielt, beim nächsten Mal grottig – oder umgekehrt. Joschko: „Nur die Spanier haben ihr hohes Niveau gehalten.”

Beim Tippspiel der Akademie-Mitglieder waltete übrigens Skepsis. Gerade mal 18 von 75 Teilnehmern wetteten auf einen deutschen Titelgewinn. Nein, diese Kulturmenschen aber auch! Fehlt’s da etwa immer noch an der landläufigen Euphorie?

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INFO ZUR AKADEMIE

  • Die in Nürnberg ansässige Deutsche Akademie für Fußball-Kultur wurde 2004 gegründet.
  • Dahinter stehen als Mitglieder Institutionen wie das Goethe-Institut, das Grimme-Institut und der Volkshochschulverband.
  • Persönliche Mitglieder sind z. B. Django Asül (Comedian), Eckhard Henscheid, Albert Ostermaier (Autoren), Guido Knopp (Historiker), Renate Künast (Politikerin), Horst-Eberhard Richter (Psychologe) und Klaus Theweleit (Philosoph) sowie zahlreiche Journalisten und Professoren aller Fachrichtungen.
  • Die Akademie verleiht einen Fußball-Kulturpreis für die besten Fußballbücher, Fußballsprüche, das beste Spiel – und für einschlägige Bildungsprojekte.



Kulturfachmann mit Hausmacht – Norbert Lammert in Merkels CDU-„Kompetenzteam“

Von Bernd Berke

Berlin/Bochum. Zunächst einmal ist es ein Signal: Dass die CDU-Chefin Angela Merkel gestern Norbert Lammert (56) als Kulturfachmann für ihr „Kompetenzteam“ benannt hat, bedeutet eben, dass die Christdemokraten das Themenfeld nicht vergessen haben.

Im Wahlprogramm hatte sich die CDU in Sachen Kultur deutlich kürzer gefasst als die anderen Parteien. Umso freudiger reagierte gestern der Deutsche Kulturrat auf die Nominierung Lammerts. Der dämpfte freilich gleich die Erwartungen: „Mehr Geld für Kunst und Kultur ist zwar wünschenswert, angesichts der dringend notwendigen Konsolidierung aber nicht seriös zu versprechen“, sagte Lammert gestern. Man müsse die Ausgaben anders gewichten als die bisherige Regierung – und zum Beispiel die Goethe-Institute stärken.

Was nach der Wahl geschieht, ist allerdings völlig offen: Ob Lammert einem etwaigen CDU-geführten Kabinett angehören wird und in welcher Funktion, das muss sich erst zeigen. Der Mann ist immerhin Vizepräsident des Deutschen Bundestages. Vielleicht hat er ja Ambitionen auf die Präsidentschaft.

Als „Luftbuchung“ wird man Norbert Lammert bestimmt nicht bezeichnen können. Der in Bochum geborene, promovierte Sozialwissenschaftler hat sich immer wieder in kulturellen Debatten kundig zu Wort gemeldet, beispielsweise in Sachen Föderalismus (Kultur als Aufgäbe der Länder und/oder des Bundes?) oder Förderung der Hauptstadtkultur.

Lammert gilt mit seinem Einstieg ins Merkel-Team immerhin als Anwärter auf das eventuelle Amt eines Kulturstaatsministers. Er selbst ist auch der Gründung eines Kulturministeriums mit Kabinettsrang nicht abgeneigt. Ob es dazu kommen wird, steht aber noch dahin.

Falls Lammert einen solchen Posten bekommen sollte, könnte er – anders als seine Vorgänger – einen Trumpf ausspielen: Er verfügt über eine veritable „Hausmacht“ in seiner Partei, ist er doch seit 1996 Vorsitzender der einflussreichen CDU-Landesgruppe NRW im Bundestag. Als früherer Parlamentarischer Staatssekretär in diversen Ministerien (Bildung, Wirtschaft, Verkehr) kennt er zudem das politische Tagesgeschäft. Eine gewisse Durchsetzungsfähigkeit darf man ihm sicherlich zutrauen.

Lammert wurde am 16. November 1948 in Bochum geboren und studierte ab 1969 an der Bochumer Ruhr-Universität sowie in Oxford. Schon seit 1966 ist er Mitglied der CDU. Der Vater von vier Kindern nennt auf seiner persönlichen Internet-Seite „Musik, Fußball, Literatur“ als liebste Interessengebiete. Ohne den Schlenker zum runden Leder geht’s halt im Ruhrgebiet nicht.

Das Pendlerdasein zwischen der Hauptstadt Berlin und seinem Bochumer Wahlkreis scheint Lammert zu gefallen. Zitat von seiner Homepage: „Inzwischen fühle ich mich auch in Berlin zu Hause und genieße den Wechsel zwischen den beiden schönsten deutschen Städten.“ Offenbar ein Mann mit Humor.

 




Ein Fachmann für die Kultur – Grosse-Brockhoff als NRW-Staatssekretär

Von Bernd Berke

Wenn einem Kultur am Herzen liegt, so vernimmt man die Nachrichten aus Düsseldorf mit gemischten Gefühlen: Mit dem bisherigen Düsseldorfer Kulturdezernenten Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff ist eine gewichtige Persönlichkeit für kulturelle Belange in der NRW-Landesregierung gewonnen worden. So weit, so verheißungsvoll.

Dass der Mann keinen Ministerrang einnimmt, sondern beim neuen Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers in der Staatskanzlei angesiedelt wird, zeugt allerdings von Halbherzigkeit. Was hat dagegen gesprochen, die Kultur endlich wieder als eigenständiges Ressort zu etablieren?

Unter der rot-grünen Vorläufer-Regierung war Kultur in einen Gemischtwarenladen einsortiert. Michael Vesper war für Städtebau und Wohnen, Kultur und Sport zuständig. In solcher Gemengelage hängt eben vieles von den Personen ab. Vesper hat sich durchaus achtbar und zunehmend sachkundig um die Kultur gekümmert.

Mehr privates Geld nötig

Dieser persönliche Aspekt lässt aber auch für die Zukunft hoffen, denn Grosse-Brockhoff (55) ist ein erfahrener Mann vom Fach. Schon ab 1981 war er Kulturdezernent in Neuss, seit 1992 versieht er dieses Amt mit einiger Fortune in Düsseldorf. Die dortige Museumslandschaft etwa kann sich wahrlich sehen lassen, und auch das Theater steht recht ordentlich da.

Sparzwänge gibt’s wie überall im Lande, und so hat GrosseBrockhoff sich frühzeitig mit neuen Modellen der so genannten Public-Private-Partnership befasst, sprich: Er hat Chancen ausgelotet, wie Kulturinstitute mit der Wirtschaft kooperieren können. Die von Grosse-Brockhoff eingeleitete Zusammenarbeit des eon-Konzerns mit dem Düsseldorfer Museum kunstpalast gilt hier – bei aller möglichen Kritik im Detail – als wegweisend.

Verfahren, die mehr privates Geld in den kulturellen Bereich lenken sollen, spielen auch in der Koalitionsvereinbarung zwischen CDU und FDP eine besondere Rolle. Kein Wunder: CDU-Mitglied Grosse-Brockhoff hat im Vorfeld der Landtagswahlen an der kulturpolitischen Positionsbestimmung seiner Partei entscheidend mitgewirkt.

Nur zwei Seiten im Koalitionspapier

Dass Kultur im Koalitionspapier von CDU und FDP nur rund zwei von 60 Seiten einnimmt, ist jedoch enttäuschend. Ein neues, sponsorenfreundliches Stiftungsrecht wird da ebenso in Aussicht gestellt wie die (vor den Wahlen versprochene) mittelfristige Verdoppelung des Landes-Kulturhaushaltes, der bislang nur 0,27 Prozent des gesamten Etats ausmacht. Ausdrücklich stellen sich CDU und FDP hinter die Bewerbung des Ruhrgebiets um die „Kulturhauptstadt 2010″ und erwähnen RuhrTriennale, Klavierfestival Rühr sowie Ruhrfestspiele als „Leuchttürme“.

Manchen Rheinländer hat diese nachdrückliche Betonung des Reviers bereits misstrauisch gemacht. Gelten Köln und Düsseldorf denn gar nichts mehr? Eine absurde Frage, zumal sich jetzt der bisherige Düsseldorfer Dezernent der Sache annimmt. Anlass zur Sorge gibt allerdings die Tatsache, dass regionale Kulturpolitik ansonsten im Koalitionspapier nicht vorkommt.




Die Suchmaschine bringt es an den Tag: Durch ein paar Mausklicks kulturelle Streitfragen klären

Von Bernd Berke

Ganz entspannt im Hier und Jetzt wollen wir mal ein paar uralte Kultur-Streitfragen klären. Internet-Suchmaschinen wie etwa Google machen’s möglich. Man gibt den Namen in die Suchmaske ein, und schon weiß man, wie oft er im Netz vorkommt.

Frage eins, von ergrauten Rockfans seit Jahrzehnten diskutiert: Wer ist bedeutender, die Beatles oder die Stones? Also, bitte sehr, kein Problem, das haben wir gleich: Die „Fab Four“ sind mit imponierenden 10,1 Millionen Internet-Fundstellen verzeichnet, die Rolling Stones gerade mal mit der Hälfte: 5,12 Millionen. Und das, obwohl die englische Wort-Kombination für „rollende Steine“ auch anderweitig vorkommen könnte, so vielleicht auf alpinistischen Seiten. Egal. Die Entscheidung ist gefallen.

Zusätzliche Labsal für Beatles-Anhänger: In der Einzelwertung liegt John Lennon (2,1 Mio.) auch noch deutlich vor Mick Jagger (535 000). Yeah, yeah, yeah!

Mozart liegt nur knapp vor Beethoven

Erheblich knapper wird es schon im Bereich der klassischen Musik. Mozart ist in den Weiten und Tiefen des Netzes 6,83 Millionen Mal zu finden, Beethoven kommt auf 5,68 Millionen. Pech. Da hat ihm – bei allem Respekt – auch sein „Ta-ta-ta-taaa“ nichts genützt.

Beim Klicken wachsen (je nach Neigung) das sportliche Vergnügen oder die Lust an der Lotterie (obwohl es hier keinen Jackpot gibt). Also schnell weiter mit zwei Malern: Rembrandt (2,05 Mio.) triumphiert über Michelangelo (1,88 Mio.). Ha! Picasso haben wir übrigens bewusst ausgelassen, denn da kriegen wir alle einschlägigen Parfümsorten oder Automodelle mit auf die Rechnung.

Und wie sieht es bei den großen Dichtern aus? Nun, hier heißt der Champion zweifellos Shakespeare: Schier unglaubliche 12,6 Millionen Nennungen entfallen auf seinen wahrlich berühmten Nachnamen. Dante (5,31 Millionen) und Goethe (3,81Mio.) wirken damit verglichen wie Newcomer.

Apropos neu, und hier wird’s erstaunlich: Bei den deutschen Schauspielern ist der Jungspund Daniel Brühl (236 000) dem Haudegen Götz George (246 000) bereits ganz dicht auf den Fernsen. Wie das wohl zustande kommt? Vielleicht hat die gar nicht so unfehlbare Suchmaschine ja den Stadtnamen Brühl (bei Köln) gelegentlich mitgezählt.mitgezählt, wenn denn auch irgend ein Herr namens Daniel auf der jeweiligen Homepage erscheint.

Wenn Thomas Mann gegen Brecht antritt

Auch kulturhistorische Konfrontationen lassen sich auf diese rabiate Weise nachbereiten. Bert Brecht und Thomas Mann mochten einander bekanntlich nie leiden. Den Ziffernsieg über den Edel-Proletarier trägt nun der großbürgerliche Mann davon: 4,82 Millionen (wobei vielleicht einige Zeitgenossen denselben, wohl nicht gar so seltenen Namen tragen).

Bertolt Brecht kommt unterdessen auf schlappe 640 000. Selbst wenn man die Lesart Bert Brecht (119 000) und die (oft verwendete, aber falsche!) Schreibweise Bertold Brecht (141 000) mitzählt, reicht es hinten und vorne nicht.

Muss man wirklich eigens betonen, dass dieses Verfahren völlig kulturfern, ja geradezu barbarisch ist? Und dass die genannten Zahlen schon heute nicht mehr genau stimmen, weil das Internet sich als höchst veränderlicher „Organismus“ erweist? Muss man nicht, oder? Schließlich entscheidet in kulturellen Fragen nicht allein die „Quote“.

Aber Spaß hat’s eben doch gemacht. Und nun schauen wir uns mal eben die 12,6 Millionen Shakespeare-Fundstellen genauer an. Tschüs denn, bis in ungefähr 500 Jahren…




Wenn der Schmerz nachlässt

Weihnachten ist bekanntlich ein Fest der frohen Botschaft, manchmal nicht nur im religiösen Sinne. Achtung, scharfkantige Überleitung: Auch NRW-Kulturminister Michael Vesper hat in den letzten Tagen und Wochen halbwegs frohe Kunde verbreitet.

Von exorbitanten, Existenz gefährdenden Kürzungen im Kulturbereich war anfangs die Rede. Überall ertönten Alarmrufe. Doch nach und nach stellte sich heraus, dass es allenthalben glimpflicher ausgehen wird. So bleiben die beiden NRW-Kultursekretariate (trotz finanzieller Opfer) nach eigenem Bekundem weiterhin „arbeitsfähig“.

Auch die Literaturbüros im Lande sehen sich vorerst auf ähnliche Weise gerettet. Und jüngst schrieb sogar (wie berichtet) Ministerpräsident Peer Steinbrück an Sebastian Heindrichs, den Intendanten des Westfälischen Landestheaters (WLT) in Castrop-Rauxel. Tenor: Es stünden Kürzungen bevor, doch die würden nicht gar so schlimm ausfallen wie ursprünglich befürchtet.

Schön, wenn der Schmerz auf diese Art etwas nachlässt Und man muss das faktische Vorgehen bewundern: Erst die fürchterlichen Instrumente zeigen, dann mit leichterem Besteck operieren Erst den ganz großen Hammer vorweisen, dann mit dem kleineren Klopfen. Anschließend sind alle dankbar für die (relativ) frohe Botschaft. Und das nicht nur zur Weihnachtszeit.

Bernd Berke




Staunenswerte Fülle – das Revier im Zeichen der Kultur

Von Bernd Berke

Der alte, eigentlich etwas abgegriffene Slogan „Ruhrgebiet – Kulturgebiet“ hat sich am Wochenende mit ungeahntem Leben erfüllt. Fast kann man schon von Angebots-Überfülle sprechen.

Die Ruhrtriennale hat begonnen, Zehntausende waren bei der „Nacht der Industriekultur“ im ganzen Revier unterwegs, die Essener Zeche Zollverein wurde offiziell zum Weltkulturerbe erklärt. Und „ganz nebenbei“ eröffnete in der Essener Villa Hügel die fulminante Schau mit Barock-Stillleben.

In wenigen Tagen wird zudem Dortmund kulturell im Blickpunkt der Republik stehen, wenn vom 13. bis 15. September das Konzerthaus feierlich eingeweiht wird.

Da verblassen sogar Berlin und München

Derlei weithin ausstrahlende Aktivitäten haben nun auch die überregionale Presse von dern Qualitäten der Regio zwischen Dortmund, Hagen und Duisburg überzeugt. In der „Süddeutschen Zeitung“ erschien ein umfänglicher Artikel, der die Triennale und das Konzerthaus mit höchsten (Vorschuss)-Lorbeeren bedachte. Eine solche Philharmonie wie Dortmund, so klagte das Blatt, habe München nicht zu bieten. Auch die Tatsache, dass bei den Berliner Philharmonikern Simon Rattle als neuer Chefdirigent anfängt, werde neben Dortmunds neuem Haus verblassen.

Wer wollte auch direkt nach diesem prallen Revierkultur-Wochenende ins Mäkeln verfallen? Freuen wir uns erst einmal über Vielfalt ,und Lebendigkeit dieser Tage.

Die täglichen „Mühen der Ebene“

Beizeiten allerdings, wenn der Kartenverkauf der Ruhrtriennale nicht noch Höhenflüge erleben sollte, wird auch über das Verhältnis von Aufwand und Ertrag zu reden sein. Schlimmstenfalls wird die NRW-Landesregierung eine gewisse Standfestigkeit brauchen, um weiterhin die hohen Festival-Zuschüsse zu rechtfertigen. Hoffen wir, dass die Triennale nur den richtigen Anschub braucht, dann zum „Selbstläufer“ wird – und die bestehenden Bühnen zu ehrgeizigen Taten beflügelt.

Bei allem Regionalstolz muss zudem an die täglichen „Mühen der Ebene“ erinnert werden: an die oft missliche Lage der städtischen Theater. In Wuppertal herrscht ein rigider Sparkurs, in Dortmund drohen eines Tages vielleicht ebenfalls herbe Einschnitte. Kultur ist eben eine Daueraufgabe, nicht nur der Glanz einiger Wochenenden.

 




Das Prinzip Hoffnung prägt die Kulturpolitik – Dezernenten von 25 Kommunen tagten

Von Bernd Berke

Krefeld. Seitdem das Land Nordrhein-Westfalen an der Kultur spart, rücken die Städte enger zusammen. Immer öfter wird bei Veranstaltungen kooperiert, was die Finanzen schont. Schaltstelle ist das Wuppertaler Sekretariat für gemeinsame Kulturarbeit. Doch auch dort wird jetzt der Rotstift angesetzt.

Gestern versammelten sich die Kulturdezernenten aller 25 Mitgliedsstädte des Sekretariats in der idyllischen Krefelder Villa „Haus Greiffenhorst“. Was sie zu bereden hatten, war weniger behaglich. Der Vorsitzende dieses Kreises, Dortmunds Kulturdezernent Dr. Gerhard Langemeyer, sagte, den Kernbestand an gemeinsamen Veranstaltungen wolle man retten, doch man werde „fundamental nachdenken“ und Opfer bringen müssen. Sprich: Nicht alle Festivals und Austauschprogramme des Sekretariats sind gesichert.

Langemeyer erinnerte an die Alarm-Parole der letzten Städtetags-Konferenz: „Städte in Not“. Beispiel Dortmund: 10 Prozent weniger Landeszuschüsse für die Kultur schon in diesem Jahr, das bedeute ein Minus von 400 000 Mark. Man werde vor allem bei Gastspielen kürzer treten müssen. Im nächsten Jahr werde alles wohl noch schlimmer kommen.

Sekretariats-Leiter Dr. Dietmar N. Schmidt meinte, die Kulturdezernenten hätten zwar nicht durchweg „in Molltönen geredet“. Doch als er ein bereits gedrucktes Programm-Faltblatt gemeinsamer Aktivitäten der Städte vorstellte, tat er’s nicht ohne Vorbehalte: „Ich gehe davon aus, daß es stattfindet“, hieß die vorsichtige Standardformel bei nahezu allen Tanz-, Musik- und Theater-Festivals.

Ganz exakt konnte Schmidt den Geldschwund seines Sekretariats zwar nicht beziffern. Doch es dürfte sich um eine runde Million DM handeln – bei etwa 15 Millionen Gesamtvolumen, in denen allerdings auch schon private Sponsorenmittel enthalten sind. Schmidt findet die Kürzung der Landesmittel „schizophren“, da die Städte doch gerade durch jene Zusammenarbeit sparen könnten, die nun geringer gefördert werde. Man sei, so Schmidt etwas geknickt, „kalt erwischt worden“.

Krefelds Kulturdezernent Roland Schneider beschwor unterdessen die solidarische Schicksalsgemeinschaft der Kommunen. Konkurrenz zwischen den Städten dürfe in diesen schweren Zeiten nicht mehr im Vordergrund stehen.




WDR-Kulturchef Hansjürgen Rosenbauer setzt auf „die Schlaflosen im Land“ – fast nur Spättermine für sein Ressort

Von Bernd Berke

Köln. Hansjürgen Rosenbauer, seit gut einem Jahr Leiter des WDR-Programmbereichs Kultur und Wissenschaft, setzt „auf die Schlaflosen in diesem Land“.

Seit er aus dem Politik-Ressort in den Bereich Kultur wechselte, hat er erst einen einzigen Hauptabendtermin im ersten TV-Programm belegen dürfen. Seufzt Rosenbauer: „Ein- und dieselbe Sendung würde als PolitikBeitrag um 21 Uhr, als KulturBeitrag aber erst um 23 Uhr ausgestrahlt werden.“

Doch der Kulturchef läßt sich’s nicht verdrießen. Mit ausführlichen Dokumentationen soll vor allem der neue Geschichts-Termin (sonntags 20.15 Uhr im WDF) genutzt werden. Nachdem „Das Erbe von Jalta“ bis zu 9 Prozent der Zuschauer erreichen konnte, soll ab 17. März eine neue Serie folgen: „Die Herren der Welt“, ein Sechsteiler zur Entstehung des Kolonialismus in Europa.

Am 8. Mai, dem 40. Jahrestag der Kapitulation, beginnt im WDF die Serie „Deutschland, Deutschland …“, die den desolaten Zustand des Landes zum Zeitpunkt der Niederlage beschreibt. So werden z. B. Heinrich Böll und „BAP“-Sänger Wolfgang Niedecken, Vertreter zweier Kölner Generafionen also, ihre Sicht der „Stunde Null“ darstellen.

Im engeren Kulturbereich wird es Schwerpunkte zum Bach-Jahr und zum Jahr der Romanischen Kirchen in Köln (Serienstart am 7. April) geben. Für den Spätsommer sind vier WDF-Beiträge über „Die Kultur der Gastarbeiter“ geplant. Wissenschaft soll möglichst unterhaltsam auf dem Bildschirm erscheinen. Beispiele: Am 22. März zeichnet Jean Pütz in „50 Jahre Fernsehen“ die Geschichte dieses Mediums nach, am 14. April gibt’s eine Sendung über Schnarcher, das Schnarchen und dessen Folgen…