Für Kenner und Genießer: Khatia Buniatishvili und Renaud Capuçon in Wuppertal

Weltklasse-Geiger: Renaud Capuçon. Foto: Paolo Roversi

Weltklasse-Geiger: Renaud Capuçon. Foto: Paolo Roversi

Drei Programmteile hat der Abend in der historischen Wuppertaler Stadthalle, wie es sich für ein anständiges Kammerkonzert gehört. Drei Mal erklingt Musik der Spätromantik, komponiert in den Jahren 1886/87.

Man bewundert, wie fruchtbar damals das musikalische Schaffen in Europa war, und man fragt sich gleichzeitig, ob diese Abfolge nicht zu einförmig werden könnte. Denn so fundamental unterscheiden sich die Werke von Antonín Dvořák, Edvard Grieg und César Franck nicht, dass sie markante Kontraste aufreißen könnten.

Die Gefahr des durchgängigen, sich nur gelegentlich erregt vergessenden Lyrizismus ist in der Tat gegeben. Nur: Khatia Buniatishvili und Renaud Capuçon, die Stars des Abends, wissen, wie man das Zuschnappen der Fallen vermeidet. Ihre Methode ist nicht, die latenten Kontraste zu vergrößern (und damit unter Umständen zu vergröbern), sondern sie subtil zu verfeinern.

Es ist eine Methode für Kenner und Genießer, wie man sie im „Silver Circle“ des Klavier-Festivals Ruhr vermuten möchte. Denn für diesen kulturstützenden Personenkreis sollte das Wuppertaler Konzert ein Dankeschön sein – eines, an dem freilich jeder teilnehmen konnte. Eine Chance, die sich viele Wuppertaler seltsamerweise entgehen ließen: Der Saal hatte noch Kapazitäten frei.

Renaud Capuçon hat in diesem Jahr mit Violinkonzerten von Brahms und Saint-Saëns in Essen nahegelegt, ihn zu den derzeit weltbesten Geigern zu zählen. Ein Eindruck, der sich in Wuppertal bestätigt. In Dvořáks „Vier romantischen Stücken“ lässt er seinen herrlich erfüllten Ton herrschen: einen vollen, leuchtenden, aber nie zu pastosen Klang, substanzvoll bis in die ätherischen Bereiche des Flageoletts, fern von ordinärer Verruchtheit in den tiefen Tönen der G- und der D-Saite. Aber Capuçon gefällt sich auch nicht in klassizistischer Politur. Er phrasiert lebendig, mit glänzend austariertem Atem: Der Zuhörer sitzt auf der Stuhlkante und wird mitgetragen auf den Kulminationspunkt der Spannung.

Khatia Buniatishvili wirkt wie eine Kundry des Klaviers: „Dienen, dienen“ scheint ihre Haltung, wenn sie sich bei Dvořák in weichen, locker perlenden Akkorden zurücknimmt und dem Geiger den leuchtend lachenden Auftritt gönnt. Aber dann, im „Allegro maestoso“ des zweiten Stücks, emanzipiert sie sich, reagiert auf den tänzerisch angehauchten Rhythmus mit markantem Zugriff, greift die Schattierungen im Ausdruck der Violine auf und spiegelt sie zurück: Ein Dialog mit Sensibilität und Temperament – Eigenschaften, die wir bei den Auftritten der georgischen Pianistin seit ihrem Klavier-Festival-Debüt 2009 immer wieder bewundern. Und Tugenden, die sich in Edvard Griegs c-Moll-Violinsonate (op.45) und César Francks Hauptwerk der kammermusikalischen Geigenliteratur aufs Schönste bewähren.

Das Programm des Wuppertaler Abends gibt es auch auf CD, erschienen Mitte Oktober bei Erato (0825646250189)

Das Programm des Wuppertaler Abends gibt es auch auf CD, erschienen Mitte Oktober bei Erato (0825646250189)

Zum Beispiel im ersten Satz der Grieg-Sonate, die der Komponist „appassionato“ gespielt haben will: Capuçon und Buniatishvili leiten daraus keine Aufforderung zu vordergründiger Expression ab. Sie stützen mit dunkel-rauchigen Klängen, mit feinstem, durch das Pedal verflüssigtem Silber den hochromantischen Tonfall, aber sie bleiben stets geschmackvoll beherrscht. Die edle Phrasierung, die bewusst eingesetzte Agogik triumphieren: Minutiöse Kontrolle der Ausdrucksmittel ist Voraussetzung für eine gedankenverloren-träumerisch wirkende Interpretation.

So wird auch César Francks expressiver Überschwang in ein Konzept gebunden und damit von der Anmutung kitschiger Unmittelbarkeit frei gehalten. Andere Geiger steigen mit mehr „espressivo“ in das Werk ein, aber Renaud Capuçon bevorzugt einen neutralen, abwartenden Ton, den er erst im Lauf des Allegretto-Satzes intensiviert.

Der leicht verschwommene Klavierton – bedingt durch die Akustik des Raumes – passt in diesem Falle trefflich, begünstigt die Entfaltung der Farben eher als die analytische Konturierung des Klaviersatzes. Jetzt hat Khatia Buniatishvili auch die Gelegenheit, rauschende Kraft und zupackende Pranke zu zeigen. Das genießt sie, ohne das Maß der Musik zu vergessen.

Fritz Kreislers „Liebesleid“ beendet als Zugabe den Abend – ironische, aber nicht desavouierende Verneigung vor einer Romantik, die am Ende nur noch in ihren Salon-Ausläufern überlebensfähig war.

Das Programm wird in einem Konzert der Philharmonie Essen am 30. April 2015 erneut gespielt. Infos: http://www.philharmonie-essen.de/konzerte/event/60309.htm




Europäische Spitzenliga: Daniel Harding und Renaud Capuçon in der Philharmonie Essen

Weltklasse-Geiger: Renaud Capuçon. Foto: Paolo Roversi

Weltklasse-Geiger: Renaud Capuçon. Foto: Paolo Roversi

Dass Richard Strauss sich selbst als Held seines Lebens gesehen hat, dröhnte uns in den letzten Wochen im Ruhrgebiet von beinahe jedem philharmonischen Standort entgegen. Die Komposition „Ein Heldenleben“ von 1898 stand in diesem Herbst schon in Düsseldorf, Duisburg und Dortmund auf dem sinfonischen Programm. Auch Daniel Harding ließ sich die Chance des Strauss-Jahres nicht entgehen und präsentierte in der Essener Philharmonie das monumentale Werk des 34jährigen, kombiniert mit dem Violinkonzert von Johannes Brahms.

Aber wie das Schwedische Radio-Symphonieorchester den Helden einmarschieren ließ, war dann doch einmalig: durchdrungen bis ins Detail, strukturbewusst und gleichzeitig sinnlich, beherrscht im Klang und gleichzeitig frei und gelöst. Nicht die Spur von den gern unterstellten lärmenden Geschmacklosigkeiten: Gerade in den faustisch anmutenden Sätzen, in denen die „Taten“ des „Helden“ geschildert werden, zeigt Harding mit den vortrefflichen Musikern, wie genial Strauss als Komponist gewesen ist. Solche tief gestaffelte und gleichzeitig spontan und klangsinnlich wirkende Arbeit mit dem Material erreicht zu dieser Zeit höchstens noch Gustav Mahler.

Das schwedische Orchester kann entspannt in der europäischen Spitzenliga mitspielen. Seit acht Jahren währt die künstlerische Partnerschaft mit Daniel Harding – zu spüren im Einverständnis der Musiker mit ihrem Dirigenten. Wie sorgsam Harding die Dynamik aufbaut, bis die Hörner strahlend das „Helden“-Thema bestätigen, zeugt von genauer Analyse, aber auch der Freude an der Wirkung der Musik.

Beherrschtes Spiel mit leisen Tönen

Die Schweden beherrschen das Spiel mit den leisen Tönen: feinste Abstufung statt krachende Wucht, Innenspannung im Piano statt extrovertiertes Getümmel, ausgearbeitete Kontraste statt vordergründiger Mischklang. Hervorzuheben sind die Solisten von den Harfen bis zum Fagott, die blendende Horngruppe, die samtweichen Tuben. Vor allem aber Konzertmeister Tomo Keller, der mit entspanntem, genau dosiertem Ton die zärtlichen Kantilenen erfüllte und auch die ironischen Brechungen gestaltete: Strauss‘ Gattin Pauline, die in den Violinsoli angeblich charakterisiert wird, war bekanntlich weniger eine schwärmerische Romantikerin als eine resolute, manchmal peinlich triviale Frau.

Tomo Keller war vor mehr als zehn Jahren Konzertmeister der Essener Philharmoniker und spielte auch in der Westdeutschen Sinfonia Leverkusen, bevor er über London und jetzt Stockholm eine internationale Karriere beschritt. 2005 brillierte er unter Stefan Soltesz in Essen mit dem Brahms-Violinkonzert. Dieses Epoche machende Konzert stand auch jetzt auf dem Programm – diesmal mit Renaud Capuçon als Solist.

Einverständnis auf glücklichem Niveau

Und der Franzose bestätigte seinen Rang: Die Rede vom „Ausnahme-Geiger“ ist in diesem Fall keine Plattitüde aus der PR-Abteilung. Schon der leuchtend schlanke, ebenmäßige, aber nicht polierte Ton überzeugt. Das Lagenspiel ist makellos, die Durchbildung figurierter Teile oder der „marcato“-Passagen des ersten Satzes ohne Fehl. Capuçon phrasiert ruhig atmend, ohne Hektik auch im dritten Satz, den Brahms ausdrücklich nicht zu lebhaft gespielt haben will. Jenseits all dieser geigerischen Vorzüge zeichnet sich Capuçon durch sein sensibles Eingehen auf das Orchester aus. Die Reaktionen bei gemeinsamen Einsätzen sind perfekt kalkuliert, die Dynamik in jeder Nuance abgestimmt.

Sicher: Ohne einen so umsichtigen Gestalter wie Daniel Harding wäre eine solche minutiös kontrollierte und dennoch wie selbstverständlich fließende und schwingende Interpretation nicht möglich. Einverständnis auf höchstem, glücklichem Niveau. Es bleibt festzuhalten: So energisch und feinsinnig, so klangvoll und dynamisch kontrolliert, so klug in der weiträumigen Anlage spielt das Konzert momentan kaum ein anderer. Glückwunsch an Renaud Capuçon für einen unvergesslichen Abend!




Klänge wie Opal und Alabaster: Orchester „Les Siècles“ und Renaud Capuçon in Essen

Das Orchester ist gerade mal zehn Jahre alt und in Deutschland noch nicht sehr bekannt: „Les Siècles“ nennt sich die 2003 gegründete französische Formation. Ihre Besonderheit: Die Musiker beherrschen historische Instrumente aus verschiedenen Epochen – und das, wie im jüngsten „Pro Arte“-Konzert in der Essener Philharmonie zu erleben war, mit beachtlicher Perfektion.

Der Kontrast zwischen „original“, „historisch informiert“ und „modern“ verschwimmt: Jean-Philippe Rameau erklingt auf Instrumenten des mittleren 18. Jahrhunderts; Georges Bizet auf solchen, die ein gutes Jahrhundert später in Gebrauch waren. Und über das Erlebnis der unterschiedlichen Klänge hinaus war der Abend dank des engagierten, mit Freude und Lust spielenden Orchesters ein Vergnügen der Extraklasse.

Seinen Anteil am Plaisir hatte nicht zuletzt der Geiger Renaud Capuçon. Ihn hört man in unseren Breiten seltener als seinen Bruder, den Cello spielenden Gautier. Die beiden haben zwischen 2002 und 2008 einiges, vor allem an Kammermusik, gemeinsam eingespielt; nach längerer Pause ist Ende 2013 wieder eine Platte mit den beiden Franzosen erschienen: mit dem ersten Cello- und dem dritten Violinkonzert von Camille Saint-Saëns.

Eben dieses h-Moll-Konzert bezauberte in der Philharmonie in Essen mit lyrischer Innerlichkeit im zweiten und einem nobel gezügelten Feuer im dritten Satz. Bei Capuçon strahlt der Ton nicht aggressiv oder direkt, sondern wie ein Licht, das durch Opalglas oder Alabaster gedämpft wird: eine diskrete Tongebung, die nie der Versuchung erliegt, weich oder sentimental zu schmachten. Wie das im Zusammenhang mit Saint-Saëns oft verwendete Attribut des „Parfüms“ wohl sowieso eher in die nationalistische Polemik des ausgehenden 19. Jahrhunderts als in den Katalog seriös beschreibender Begriffe gehört.

Transaparenz und klare Konturen

Viel Freude macht das harmonische Einverständnis zwischen dem Solisten und dem vorzüglichen Orchester „Les Siècles“. Dessen Gründer François-Xavier Roth stand am Pult und führte straff, aber nicht eilig, mit der idealen Balance zwischen kreativem Freiraum und disziplinierter Präzision. Der schlanke, vibratolose Klang der Streichinstrumente gleitet nie in die schrill gezogenen Töne ab, die bei besonders eifrigen „Originalklang“-Experten eine Zeit lang als der Weisheit letzter Schluss galten. Die Bläser können den ungleich farbenreicheren, geschmeidigen Klang der alten Instrumente vorteilhaft einsetzen, weil Roth auf Transparenz und klare Konturen achtet. Auch Hörner und Blechbläser fügen sich unaufdringlich in dieses Bild ein; nur die Pauken spielen mit ihren ruppigen Schlägen ihre – so auch im Klangbild vorgesehene – irritierende Rolle.

In Jean-Philippe Rameaus Suite aus der Oper „Castor et Pollux“ ist es eine Landsknechtstrommel, die nebst Flöten und Fagotten für den exotischen „Spartaner“-Klang sorgt. In der Suite mit Tänzen aus „Les Indes galantes“ dürfen die „Wilden“ mit knalligem Getrommel und der Pracht der Bläser auftreten. Kultivierter geht es bei André-Ernest-Modeste Grétry zu: Der Komponist aus Lüttich, der im vergangenen September seinen – kaum beachteten – 200. Todestag hatte, gab seiner Version der Geschichte von der Schönen und dem Biest unter dem Titel „Zémire et Azor“ hübsche Melodien und tänzerische Pikanterie mit. Langjährige Opernfreunde erinnern sich vielleicht noch an die Inszenierung des reizenden Werks 1991 in Bielefeld, das John Dew mit ironischem Touch als „Film noir“ ablaufen ließ. Der Abend in Essen klang aus mit einer Deutung von Georges Bizets C-Dur-Sinfonie, in der Roth und seine Musiker dem melodischen Reiz und dem rhythmischen Temperament des Frühwerks lustvoll Tribut zollten.

Das nächste Konzert der „Pro Arte“-Reihe in der Philharmonie Essen: Samstag, 15. Februar, mit der Königlichen Philharmonie Flandern unter Edo de Waart und Alexej Gorlach (Klavier). Beethovens drittes Klavierkonzert wird gefolgt von Anton Bruckners vierter Symphonie. Info: www.pro-arte-konzerte-essen.de