Roteres Rot hat man noch nirgendwo gesehen – „Rupprecht Geiger. Farbe tanken“ im Kunstmuseum Bochum

Das Museum Bochum übertrifft derzeit in einem zentralen Punkt den Rest der Kunstwelt, zumindest im Revier und wohl weit darüber hinaus: Mehr Farbe geht nicht! Jedenfalls nicht in dieser Intensität, in dieser Entschiedenheit. Dabei zeigen sie nur rund 30 Bilder. Aber was für welche!

Blick in den Oberlichtsaal mit Arbeiten von Rupprecht Geiger. (@ Kunstmuseum Bochum/Archiv Geiger/Rupprecht-Geiger-Stiftung - Foto: Bernd Berke)

Blick in den Oberlichtsaal mit Arbeiten von Rupprecht Geiger. (© Kunstmuseum Bochum/Archiv Geiger/Rupprecht-Geiger-Stiftung – Foto: Bernd Berke)

Wir reden über fulminante Arbeiten von Rupprecht Geiger. Der Altmeister der Farbfeldmalerei ist 2009 mit beinahe 102 Jahren verstorben. Die Bochumer Auswahl kam – gerechnet vom ersten Vorbereitungstreffen an – in gerade mal sechs Monaten zustande; ein für Museumsverhältnisse unglaublich kurzer Zeitraum. Vor allem Julia Geiger, Enkelin des Künstlers und selbst Kunsthistorikerin, hat es mit dem privat betriebenen Münchner Geiger-Archiv möglich gemacht. Rupprecht Geiger selbst hat keine Verfügung darüber getroffen, wie mit seinem Nachlass umzugehen sei. Selbst im gesegneten Alter hat er wohl noch auf einige Zukunft für sich gehofft.

Energie-Stationen für die Großstädte

Der zunächst etwas flapsig klingende Ausstellungstitel „Farbe tanken“ geht auf Ideen von Rupprecht Geiger zurück, der tatsächlich zylinderförmige Farb-Tankstellen in Großstädten errichten wollte. Umhüllt von Farbe, sollten Menschen dort zur Besinnung kommen, indem sie sich gleichsam mit Energien aufluden. Doch was heißt hier „Farben“ in der Mehrzahl? Eigentlich umkreiste Geiger letztlich über viele Jahrzehnte hinweg eine einzige Farbe, nämlich Rot in all seinen Schattierungen. Gelb, Orange und Violett zählten für Geiger zum Umfeld seines roten Universums. Auch die Nichtfarbe Schwarz spielt zuweilen hinein. Allemal hat sich dieser Künstler aufs für ihn Wesentliche konzentriert.

Skizze von Rupprecht Geiger für eine Farb-"Tankstelle". (© Archiv Geiger/Rupprecht-Geiger-Stiftung/Kunstmuseum Bochum)

Skizze von Rupprecht Geiger für eine Farb-„Tankstelle“. (© Archiv Geiger/Rupprecht-Geiger-Stiftung/Kunstmuseum Bochum)

Die Schau beginnt relativ verhalten, mit einem kleinen Landschaftsbild von 1942. In der Rückschau betrachtet, scheint es freilich, als hätten schon damals die flammenden Farben des Himmels alles Gegenständliche überfluten wollen. Auch diese Landschaft ist bereits menschenleer, wie erst recht alle späteren Bilder. Geiger war damals als Soldat in Russland, hernach (1943) in der Ukraine, wo er als Kriegsmaler eigentlich Heroisches hätte liefern sollen.

Schließlich lernte Geiger 1944 in Griechenland die  so ganz anders gearteten Lichtverhältnisse des Südens kennen. Der Sohn eines Malers, von Haus aus gelernter Architekt (mit vorheriger Maurerlehre), hat sich auch noch in jener Zeit als künstlerischer Autodidakt empfunden und wandelte von Anfang an nicht auf akademischen Pfaden. Es war kein Nachteil.

Neuartige Pigmente aus den USA

Nach dem Krieg empfahl sich – zumal in Deutschland – vielfach eine „Tabula rasa“, ein radikaler Neubeginn der Kunst aus dem Geiste der Abstraktion, die jeder Ideologie abhold sein wollte. Sehr schnell hat sich Rupprecht Geiger auf einen solchen Weg begeben, allerdings auf ganz eigene Weise. 1949 war er Mitbegründer der legendären Künstlergruppe ZEN. Schon in den frühen 1950er Jahren hat er damals noch neuartige, chemisch erzeugte Farbpigmente verwendet, die er sich aus den USA beschaffen konnte. Sie sind von einer bis dahin ungeahnten Leuchtkraft.

Ein (farblich mit einem Schwung übermalter) Text lässt ahnen, wie sich bestimmte Farbtönungen in Geigers Wahrnehmung geradezu eingebrannt haben – von einem schrill gekleideten „Ami-Mädchen“ und einem Lippenstift im selben Pink berichtet er da. Doch derlei explizite Zusammenhänge gehören noch dem Frühwerk an. Später steht die Farbe ohne Kontext ganz und gar für sich.

Nichts soll die Farbe stören

Auch die Bildform, so Geigers Ziel, soll möglichst in den Hintergrund treten und die Entfaltung der Farbe nicht stören. Er hat mit verschiedenen Bildträgern jenseits von Rechteck, Quadrat und Kreis experimentiert, mit „shaped canvas“ (nach Belieben zurechtgeschnittene Leinwand), mit dem Oval, mit Rollen usw. Die Fragestellung scheint stets gewesen zu sein: Welche Form lässt diese bestimmte Farbe am besten zur Geltung kommen?

Bochums Museumsdirektor Hans Günter Golinski und Künstler-Enkelin Julia Geiger vor einer Arbeit von Rupprecht Geiger. (© Archiv Geiger/Kunstmuseum Bochum - Foto: Bernd Berke)

Bochums Museumsdirektor Hans Günter Golinski und Künstler-Enkelin Julia Geiger vor einer Arbeit von Rupprecht Geiger. (© Archiv Geiger/Kunstmuseum Bochum – Foto: Bernd Berke)

Zusehends gerät dabei die Farbe zur puren Erscheinung, zum Ereignis aus sich heraus. Dieser Kosmos hat gewiss meditative und womöglich zutiefst beruhigende Qualitäten, doch kann die Farbe bei Geiger auch geradezu fordernd dringlich werden und dem Betrachter einiges abverlangen. Das gilt für handgemalte Bilder und eventuell noch mehr für die gesprühten Werke, in denen der Künstler als Schöpfer kaum noch vorhanden zu sein scheint.

Rückzug in die reine Kunst

Von 1965 bis 1976 war Rupprecht Geiger Professor für Malerei an der Akademie in Düsseldorf. Doch während Joseph Beuys dort zur gleichen Zeit Furore und Betrieb machte, zog sich Geiger in die reine Kunst zurück. Auch seine Enkelin nennt ihn einen Einzelgänger, der allenfalls vage mit anderen Künstlern verglichen werden könne, am ehesten vielleicht noch mit Yves Klein, der sich ins und ans Blaue verlor.

Geradewegs zur Apotheose der Farbe wird die Ausstellung mit den Großformaten in den weitläufigen Oberlichtsälen des im Dachbereich neuerdings gründlich sanierten Museums. Die Entscheidung, auf Beschriftungen mit herzlich nichtssagenden Titeln zu verzichten, war jedenfalls richtig. Auch solche Benennungen sollen nicht vom Eigentlichen ablenken. Wichtiger ist schon das jeweilige Entstehungsjahr, das man einstweilen mit einem Faltblatt erschließen kann. Ein schmaler Katalog wird erst gegen Ende Juli fertig sein.

Ein unheilbar verletztes Bild

Aus manchen Bildern scheint die Farbe in den Raum zu dringen. Mag sein, dass sich hier Geigers architektonische Phantasie bewährt. Aber das ist Spekulation. Doch wahrhaftig: Roteres Rot hat man noch nirgendwo gesehen. Auf etlichen Bildern materialisiert sich ein einziger Farbton, als wolle er unaufhörlich anschwellen und das ganze Museum, wenn nicht gar den ganzen Erdkreis in Schwingungen versetzen. Andere Bilder loten Zwischentöne, Nuancierungen und Übergänge aus. Das alles läuft auf eine große Befreiung und Entfesselung der Farbe hinaus.

Blick in die Bochumer Geiger-Ausstellung (© Archiv Geiger/Kunstmuseum Bochum - Foto: Bernd Berke)

Blick in die Bochumer Geiger-Ausstellung (© Archiv Geiger/Kunstmuseum Bochum – Foto: Bernd Berke)

Eines der allergrößten Bilder, fragil an die Wand gelehnt, hat tatsächlich kleine Beschädigungen davongetragen. Man sieht Berührungsspuren, die der Künstler sicherlich nicht gewollt hat. Schlimmer noch: Die Farbhaut ist dergestalt verletzt, dass das Werk als nicht mehr restaurierbar gilt. Doch Julia Geiger und Museumsdirektor Hans Günter Golinski haben entschieden, die Arbeit dennoch zu zeigen – mitsamt den Spuren dessen, was nun einmal zu ihrer Geschichte gehört.

Rupprecht Geiger. Farbe tanken. 25. Juni bis 24. September. Kunstmuseum Bochum, Kortumstraße 147. Di-So 10-17, Mi 10-20 Uhr. www.kunstmuseumbochum.de

Ausstellung und abgeschlossene Dachsanierung des Hauses werden mit einem Museumsfest am Sonntag, 25. Juni (ab 11.30 Uhr), begangen.

Eine weitere Schau im Erdgeschoss zeigt Eigenbesitz zur Nachkriegs-Künstlergruppe „Junger Westen“, deren Schaffen derzeit in einigen Museen des Ruhrgebiets fokussiert wird, vor allem – wie berichtet – in Recklinghausen.




Ein Netzwerk der Kunst und sein Mittelpunkt – Sammlung Krian im Dortmunder Museum am Ostwall

Von Bernd Berke

Dortmund. Das Dortmunder Museum am Ostwall öffnet sich jetzt einem großen Kreis miteinander befreundeter Künstler. Auch wenn diese Leute mittlerweile in alle Windrichtungen der Szene verstreut sind, so hat das Netzwerk doch einen Mittelpunkt just in Dortmund.

Der als Künstler, Sammler und Galerist („da entlang“ an der Kaiserstraße) umtriebige Erich Krian hat hier in Jahrzehnten eine umfängliche Kollektion aus diesem Zirkel angehäuft. „Die Sammlung hat sich sozusagen ereignet, sie war kein erklärtes Ziel“, sagt er zu den oft spontanen Gaben oder Tauschgeschäften unter Freunden. Gewiss werden einige aus diesem „munteren Haufen“ (Krian) heute um 17 Uhr zur Eröffnung kommen.

Was sonst bei Krian daheim dicht an dicht hängt und steht, kann sich nun am Ostwall gehörig ausbreiten. Etwa die Hälfte des Gesamtbestandes ist zu besichtigen. Auch für das Sammler-Ehepaar Krian dürfte dies ganz neue Einblicke in die nunmehr luftig präsentierte (und mit einem Katalog erschlossene) Kollektion bedeuten.

Mit seiner Frau Regina, die Design studiert hat und als Sonderschullehrerin arbeitet, hat sich Erich Krian bislang stets über Sammlungs-Zuwächse geeinigt. Tochter Jenny konnte wohl kaum anders: Auch sie hat mit dem Sammeln begonnen. So weit das Familiäre, das die Schau letztlich mitprägt.

Rund 200 Arbeiten von 40 Künstlern sind zu sehen: Kommilitonen, Mitstreiter, Weggefahrten Krians. Für ihn ist es mithin irgendwie auch eine Besichtigung des eigenen Lebenslaufes – und zumeist eine Begegnung mit jenen Künstlern, die er in seiner Galerie vertritt. Die Ostwall-Ausstellung dürfte den Marktwert kaum schmälern.

Der 1948 geborene Krian begann seinen Weg an der Werkkunstschule in Dortmund und war an der Düsseldorfer Akademie Schüler der Größen Rupprecht Geiger und Gotthard Graubner. Andere Künstler zieht’s nach solchen Weihen in die weite Welt, Krian entschied sich für die Rückkehr nach Dortmund.

Vierzig Künstler können wir hier nicht nennen. Manche haben inzwischen weithin von sich reden gemacht, so etwa Ulrich Langenbach, Willi Otremba, Peter Telljohann, Günther Zins oder Katharina Grosse.

Über wenige Kämme lassen sie sich eh nicht scheren. Man spricht in derlei Fällen gern etwas wolkig von „Positionen“ der Kunst. Vielfältig die Ansätze, durchweg acht- und haltbar die Qualität. Im Erdgeschoss sind eher zurückhaltende Arbeiten zu sehen, im oberen Stockwerk darf mehr Farbe walten. Man sehe selbst. Derweil denken die Krians über eine dauerhafte Heimstatt für ihren Fundus nach und erwägen eine Stiftung fürs Dortmunder Museum.

„Der erste Blick“. Sammlung Krian. 9. November 2003 bis 11. Jan. 2004. Di/Mi/Fr/So 1017, So 10-20, Sa 12-17 Uhr. Eintritt 3 Euro, Katalog 25 Euro.




Nuancen des Rot – Retrospektive über Rupprecht Geiger

Von Bernd Berke

Düsseldorf. Solche, die sich wie Rupprecht Geiger über weite Phasen des künstlerischen Schaffens auf Nuancen einer einzigen Farbe konzentriert haben, dürfte es selten geben.

Nachdem Geiger lange Jahre mit der quasi-musikalischen „Kontrapunktik“, dem Spektrum zwischen Widerstreit und Gleichklang mehrerer Farben experimentiert hatte, widmete er sich immer ausschließlicher dem Rot, dessen Dimensionen er rundum ausgeschritten und das er konsequent bis zum Farb-Raum vorangetrieben hat.

In der Düsseldorfer Kunsthalle, wo jetzt die bislang größte Retrospektive auf das Lebenswerk des heute 77jährigen zu sehen ist (bis 21. Juli), ist ein solcher Farb-Raum ganz real vorhanden: ein voluminöses, blutrotes Zelt („Rote Trombe“, 1985).  Auf daß man ganz und gar in der Farbe „baden“ kann, empfiehlt sich die Benutzung einer bereitliegenden Decke. Für den, der sich unter und in das Farbzelt legt, existiert nur noch reine, abstrakte Farbe.

Geiger begann in den 40er Jahren als Kriegsmaler in Rußland und Griechenland. Schon für diese frühen Jahre bringt die Ausstellung Belegstücke bei. Der gelernte Architekt, in dieser Zeit Autodidakt der Malerei, schuf damals Landschaftsstudien, in denen sich die spätere Autonomie der Farbe schon ankündigt.

Im Lauf von Geigers Auseinandersetzung mit surrealistischen Strömungen gegen Ende der 40er Jahre verschmelzen solche Farbwerte noch nahtloser mit der Vorstellung eines seelischen Innenraums. In Trümmerdeutschland, 1949, war Geiger Mitglied der Münchener „ZEN“-Gruppe, der auch Willi Baumeister und Fritz Winter angehören. Bereits in diesen Jahren, und damit wohl als einer der ersten Künstler überhaupt, arbeitete er mit „shaped canvases“, mit Bildträgern also, die vom Rechteck- oder Quadratformat unregelmäßig abwichen. Im Kontext der Düsseldorfer Ausstellung wird greifbar deutlich, daß sich auf diesen zurechtgeschnittenen Leinwänden gleichsam Ausbruchsversuche, ja Befreiungen der Farbe ereignen. Die Abkehr vom konventionellen Bildzuschnitt bedeutete zugleich eine weitere Verselbständigung des Grundelements „Farbe“.

Als Geiger später zu rechteckigen Formaten zurückkehrt, scheint die Farbe gleichsam „gereinigt“ von allen Äußerlichkeiten und Zufälligkeiten. Nun werden die (meist titellosen) Bilder zu meditativen „Reiseführern“ ins Absolute, die mit Leuchteffekten den Blick bannen.