Als man sich noch für „richtig links“ halten wollte

Kinners, heute erzählt Euch der Boomer-Opa ein klitzekleines bisschen von früher. Keine Angst, es werden nur ein paar Schlaglichter sein. Und nur die fernen Echos wahrer Klassenkämpfe. Wie denn damals im Revier überhaupt nur der Widerhall aus den wirklichen Metropolen zu vernehmen war.

Icke, wa?! Wie man halt „damals“ aussah. (Foto: Norbert Hell)

Als ich studiert habe, hatte man gefälligst „links“ zu sein, was immer das wirklich heißen mochte. Wir waren uns jedenfalls fraglos sicher – und es schien ja in dieser Hinsicht auch noch wesentlich übersichtlicher zu sein als heute. Freilich sinnierte schon damals Botho Strauß in Gestalt seiner Lotte im Stück „Groß und klein“: „In den 70er Jahren finde sich einer zurecht…“

Bevorzugte „Quelle“ bzw. Hilfsmittel für jegliche Interpretation waren jedenfalls damals bei den Bochumer Historikern die blauen Bände der Marx-Engels-Ausgabe. Es herrschte unter den Studierenden (die damals noch Studenten geheißen wurden) weithin die Auffassung, alle geschichtlichen Geschehnisse jedweder Epoche müssten damit abgeglichen werden. Umso pikierter war ich, als ich eines Tages einen Brief von Karl Marx an seine Geliebte zu lesen bekam, der mit dieser Anrede begann: „Viellieb!“ Das wollte mir süßlich-kitschig vorkommen und sich so gar nicht zu seinen politischen Einsichten fügen. Ach, Gottchen!

Ein unerbittlicher „Anarchist“

In jenen seltsamen Zeiten gerierte sich ein Altersgenosse vehement als „Anarchist“. In einer stundenlangen hitzigen Wohnzimmer-Debatte ließ er sich nicht erweichen. Er hätte am liebsten alles in die Luft gesprengt, wie er posaunte. Wir anderen waren hingegen der Ansicht, dass er damit erst recht die volle Staatsgewalt gegen uns alle entfessele. Schließlich suchte ich den Kompromisslosen zu besänftigen, indem ich ihn zum Abschied herzhaft mit „Rot Front!“ grüßte. Er aber dröhnte, vollends unversöhnlich: „Schwarz Front!“ Wüsste gerne, was später aus ihm geworden ist. Vielleicht denn doch noch eine Gestalt auf der allseits abgesicherten Beamtenlaufbahn? Ist aber auch piepegal. Kaum jemand, der sich nicht angepasst hätte.

Den Hass auf die Bourgeoisie fühlen

Unwesentlich später war man schon auf die damals so genannte „Neue Sensibilität“ verfallen, die längst nicht mehr so harsch politisierte, sondern in Sanftmut und Milde daherkam, gleichsam auf Samtpfoten. Dennoch ließ ich mich bei irgend einer obskuren Splittergruppe für ein ganzes Wochenende auf eine „trotzkistische Schulung“ ein. Es blieb beim einmaligen Besuch, wie ich denn überhaupt nie dauerhaft Partei ergreifen mochte. Wer zweimal bei denselben sitzt, bekommt schnell den Verstand stibitzt. Gut, wa? Von mir. Ganz spontan.

Dem unerträglichen Trotzkisten-Präzeptor, der keinen Widerspruch duldete, sondern nur von oben herab dozierte, wagte ich die Frage zu stellen, ob denn bei ihnen alles nur rational vonstatten gehe oder ob man irgendwann auch Gefühle zeigen dürfe. Er, vollends am Sinn der Frage vorbei: „Ja klar, den Hass auf die Bourgeoisie!“ Aha. Zur Erholung vom stundenlangen Gefasel durften wir dann nachmittags Fußball spielen. Immerhin. Man war nicht nur ein Tor, man schoss auch eins. Harr, harr.

Durften die Beatles Mao schmähen?

Man war, so cirka zwischen 16 und 24 Jahren, dermaßen verblendet, dass man die Mao-Bibel reichlich unkritisch memoriert hat. Sogar den vor- und nachmals so verehrten Beatles nahm man die Zeilen aus dem Song „Revolution“ übel: „But if you go carrying pictures of chairman Mao, you ain’t gonna make it with anyone anyhow…“ Wie? Was? Nö, die Stones waren auch nicht viel mutiger, siehe ihren resignativen Text über den „Street Fighting Man“: „But what can a poor boy do except to sing for a Rock’nRoll Band, cause in sleepy London town there’s just no place for a street fighting man, no!…“

Jetzt mal gar nicht zu reden von Bettina Soundso, in die ich mich für einige Monate verguckte, weil sie (die es mit dem MSB Spartacus hielt) mir so heroisch wie eine zweite Rosa Luxemburg vorkam. Hach. Später ward sie wahrhaftig Geschichts-Professorin. Aber wie sie damals ihren Haarvorhang herunterlassen konnte, um dahinter gewichtig zu reflektieren! Überhaupt erwies sich das unentwegte Politisieren gelegentlich als „Liebes“-Beschleuniger, wahrscheinlich aber auf längere Sicht noch öfter als zerstörerisch.

„Deutscher Herbst“: Polizei in der Pizzeria

Zeitsprung: Aus dem „Deutschen Herbst“ um 1977 habe ich unter anderem in Erinnerung, wie die Polizei mit Maschinenpistolen im Anschlag eine Pizzeria enterte, in der wir friedlich beisammen saßen. Wiederum einige Jahre später suchte mich ein Mann vom Verfassungsschutz zu Hause in meiner kurzzeitigen WG auf, um mich nach einem Schulfreund auszufragen, der die Beamtenlaufbahn einschlagen wollte. Aber da waren wir schon in den öden 1980ern gestrandet. Und es gab überhaupt nichts zu beichten.

 




„Komm, liebe Sau…“

Manchmal braucht man eben eine schweinische Illustration. (Foto: Bernd Berke)

Weiß auch nicht, warum ich mich ausgerechnet jetzt an diese kleine Episode erinnere. Egal. Sei’s drum.

Ich muss ungefähr acht oder neun Jahre alt gewesen sein. Es stand ein Grundschul-Diktat an (damals hieß diese Schulform noch „Volksschule“). Ein herziger, ziemlich bescheuerter Satz, den wir zu schreiben hatten, lautete so: „Komm, liebe Sonne und scheine!“ Da stach mich der Hafer, wie man damals wohl zu sagen pflegte.

Flugs war der Satz im kleinen Geiste umgewandelt, und zwar wie folgt: „Komm, liebe Sau und scheiße!“ Haha. Wie gesagt, es war Achtjährigen-Humor. Frei nach Karl Valentin: Mögen hätt‘ ich schon wollen, aber dürfen habe ich mich nicht (gleich) getraut. Also fragte ich meinen Nebenmann, ob ich das wirklich hinschreiben solle. Er war vehement dafür und stachelte mich geradezu an. Kostete ihn ja auch nichts. Also kritzelte ich das Sprüchlein hin. In Schönschrift.

Es waren Zeiten, in denen es für so etwas mächtig Ärger gegeben hat – in der Schule und anschließend zu Hause. Es waren Zeiten, in denen Altvorderen schon mal „die Hand ausrutschte“, um es gelinde zu formulieren.

Jetzt kommt noch ein Schlussgag: Der Banknachbar, den ich seinerzeit um „Rat“ gefragt habe, ist später ein angesehener Anwalt und Notar geworden. Mich selbst hat es in den Journalismus gezogen. Ergo: Der spätere Journalist hat den späteren Anwalt gefragt, ob er einen heiklen Satz schreiben solle/könne/dürfe. Juristische Absicherung avant la lettre. Fast wie im richtigen Berufsleben.




Keine Heimlichkeiten mehr! Spickzettel sind in Dortmund museumsreif

Schulmuseumsleiter Michael Dückershoff zeigt einen Spickzettel, der in einer Schutzmaske steckt. Eine solche Schummel-Gelegenheit ergibt sich wegen der ausgelaufenen Vorschriften nicht mehr so leicht. (Foto: Katrin Pinetzki/Stadt Dortmund)

Ganz gleich, ob man früher damit durchkam oder gelegentlich erwischt worden ist, lässt diese Nachricht jedenfalls aufhorchen: Das Westfälische Schulmuseum zu Dortmund kann eine besondere Kollektion aufstocken, nämlich die von Spickzetteln.

Jawohl! Gemeint sind diese knittrigen Papierchen, die zwischen Schulbank und Hosentasche (oder wie auch immer) heimlich hervorgenestelt und beäugt wurden, um vor allem lästige Formeln oder Vokabeln parat zu haben. Sonderlich viel geholfen hat’s ja meistens nicht, oder?

Damit das geklärt ist: Geschicklichkeit im Umgang mit diesem speziellen Informations-Medium, von dem sich die Handy-Generationen keinen Begriff mehr machen, dürfte einen mehr übers späterhin Lebens-Notwendige gelehrt haben, als so manche Lektion vom offiziellen Lehrplan. Aber das bleibt jetzt unter uns.

Spick-Leporello im Anspitzer, präsentiert von Dr. Bernd Apke, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Westfälischen Schulmuseums. (Foto: Katrin Pinetzki/Stadt Dortmund)

Besagte Dortmunder Spickzettel-Sammlung kann also um rund 250 Exemplare erweitert werden, die aus dem Berufskolleg St. Michael in Ahlen/Westfalen stammen. Johannes Gröger, Lehrer und Schulseelsorger daselbst, hat seinen papierenen Schatz ans Museum übergeben. Nicht nur klassische Zettel mit möglichst winziger Schrift gehören dazu, sondern auch – wie die Stadt Dortmund anerkennend mitteilt – „sehr originelle und kreative Versuche, während der Klassenarbeit mithilfe von Taschentüchern, Getränkeverpackungen oder Anspitzern zu schummeln“.

In Zeiten, da auch Audios beim Spicken eine Rolle spielen und KI-Instrumentarien wie ChaptGPT schon mal für Hausarbeiten bemüht werden, mutet die Zettelwirtschaft geradezu liebenswert altmodisch an.

Das Westfälische Schulmuseum will die einschlägige Sammlung weiter pflegen und sucht noch Nachschub. Na, wie sieht’s damit bei Euch und Ihnen aus? Wie bitte? Nie gebraucht, so’n Zeug? Jetzt auch noch abstreiten und flunkern! Das gibt einen saftigen Tadel im Klassenbuch.

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Info:

Westfälisches Schulmuseum, An der Wasserburg 1 in 44379 Dortmund-Marten, Tel. 0231/613 095. Geöffnet Di-So 10-17 Uhr, freier Eintritt. In den Sommerferien (NRW 22.6. bis 4.8.) geschlossen.

Das Museum beschränkt sich natürlich nicht auf Spickzettel, sondern beherbergt generell eine der bundesweit größten schulgeschichtlichen Sammlungen. Zum Programm gehören u. a. regelmäßige „Unterrichtsstunden“ im autoritären Stil früherer Zeiten. Damals war’s bestimmt fürchterlich, nachgespielt ist’s ziemlich amüsant.

Zur Zeit läuft im Schulmuseum die Sonderausstellung „Talking ‚bout my Generation – Der Aufbruch der Jugend in den 1960er und 1970er Jahren“ (bis 22. Oktober 2023).

schulmuseum.dortmund.de




Alles so schön aufgeräumt – die Welt im Kinderduden von 1970

1970? Ganz schön lange her. Über ein halbes Jahrhundert. Andererseits haben die Älteren unter uns jenes Jahr schon bei recht wachen Sinnen erlebt. Insofern gehört es zum überschaubaren biographischen Bestand, frei nach Peter Rühmkorf waren es „Die Jahre, die ihr kennt“.

Warum die Vorrede? Nun, mir ist ein just 1970 erschienener „Kinderduden“ in die Hände gefallen, der vorwiegend als (ziemlich ungelenk gezeichnetes) Bildwörterbuch mit 28 Schautafeln aus etlichen Lebensbereichen angelegt ist. Die zweite Hälfte besteht aus einem alphabetisch sortierten Lexikonteil. Dabei handelt es sich um eine – nach den Maßstäben der Zeit „kindgerechte“ – Auswahl aus dem damaligen „Großen Duden“ (Band 1, Rechtschreibung).

Gleich die erste Tafel heißt „In der Küche“ und beginnt so: „Ganz modern ist Mutters Küche. Alles hat seinen festen Platz.“ Gut kann ich mich entsinnen, dass die Hausfrau und Mutter eines Schulfreundes gern und stolz gesagt hat: „Die Küche ist m e i n Reich!“ Auch bei den Kindern im Duden ist die Rollenverteilung schon klar: „Nun hilft Monika der Mutter und deckt den Tisch. Peter hat sich schon auf seinen Stuhl gesetzt und wartet gespannt darauf, was es heute zu essen gibt.“ Dem Bübchen würden sie wohl heute was husten. Oder doch nicht?

Technik war nur spärlich vorhanden

Das alles scheint wirklich mindestens ein halbes Jahrhundert her zu sein. Rund um die Figuren und Gegenstände verstreut, markieren Ziffern die Zuordnung der Wörter, scheinbar ganz objektiv, nüchtern und sachlich, wie es zumal Bildwörterbüchern eigen ist: 1 der Braten 2 das Brettchen 3 der Eierbecher 4 die Flasche 5 das Glas 6 der Herd… 9 die Kartoffel 10 die Katze… Tatsächlich scheint alles seinen unverrückbar festen Platz zu haben, so auch im Bad der rosa Puschelbezug auf dem Toilettendeckel und desgleichen die fußwärmende Umrandung, wobei man seinerzeit noch „Klosett“ und „Klosettpapier“ zu sagen pflegte. Technik war hingegen im Haushalt nur spärlich vorhanden, ein Röhrenfernsehapparat (womöglich ein Farbgerät) war das höchste der Gefühle.

„So sollst auch du leben!“

Es ist jedoch eine rundum heile Welt, die den Kindern hier bestens portioniert vorgestellt und anempfohlen wird. Unausgesprochen schwebt der Spruch „So sollst auch du leben!“ girlandenhaft über allen Szenen. Alles ist in schönster Ordnung, ganz gleich, ob in den einzelnen Zimmern der elterlichen Wohnung (im Wohnzimmer dürfen die Kinder nur zu Weihnachten spielen), im Straßenverkehr, selbst auf dem „Rummelplatz“ (wie man damals sagte), in der Schule, beim Arzt, auf Bahnsteig und Flughafen, auf dem Bauernhof, im Lebensmittelgeschäft (schon mit Einkaufswagen, aber noch kein richtiger Supermarkt), wo Peter einholen soll und – o keimfreier Witz – die Maßeinheiten verwechselt: „Ein Pfund Eier, einen Liter Puddingpulver…“ Darüber lachen die erwachsenen Einkäufer. An anderer Stelle dieser Fibel heißt es, Kinder dürften ihrerseits keine Erwachsenen auslachen. Damit das klar ist.

Auch die Autobahn erscheint – trotz eines Unfalls – vor allem aufgeräumt und geradezu adrett zu sein, gelbes Fahrzeug des Automobilclubs inbegriffen. Es ist alles da, was man erwartet, es fehlt an nichts. Überall bescheidener Wohlstand und Anstand. Nichts irritiert, nichts gibt Rätsel auf. Ohne Sorge. Sei ohne Sorge. Dies wiederum frei nach Ingeborg Bachmann (Gedicht „Reklame“).

Perlenkette und Zigarrenkiste

Und dann erst das familiäre Weihnachtsfest, an dem „Mutti“ eine Perlenkette und Vater eine Kiste wirtschaftswunderlicher Zigarren bekommt, die er gleich unterm Baum zu paffen beginnt. Monika freut sich derweil geschlechtergerecht über eine Puppe und Peter über eine Autorennbahn. Mehrfach (Wochenmarkt, Postamt) wird Monika so angesprochen: „Na, kleines Fräulein…“, wobei auch hinter dem Schalter ein „Fräulein“ sitzt, nur halt kein kleines. Hat man zu der Zeit eigentlich selbst so daher geredet oder sich bereits davon abgesetzt? Nun ja, man hat immerhin „Pardon“, Spiegel und Stern gelesen – damals eine dreifache Speerspitze des Nicht-mehr-weiter-so.

Gar häufig haben sich in den 70er-Kinderduden solche grundbiederen Kern- und Merksätze eingeschlichen: „Mütter haben immer etwas zu nähen oder zu stopfen.“ Es war auch die Zeit, als Kinder in der Bahn sofort für Ältere aufgestanden sind und als sie daheim wie in der Schule noch geschlagen („gezüchtigt“) wurden, was natürlich nicht im Kinderduden steht. Kinderduden? Eher schon „Kinder dulden“. Sie hatten artig, brav und folgsam zu sein, Diener oder Knicks zu machen. Worte, die es heute praktisch nicht mehr gibt. Jetzt sind wir mit allfälligem Stinkefinger und „expliziten“ Texten im Gangsta-Rap oft beim auch nicht wünschenswerten Gegenteil angelangt.

Die Mondlandung und „Max Hackemesser“

So altbacken das Ganze durch und durch ist, so modern und fortgeschritten gibt sich eine Bildseite, die von der Mondlandung handelt. Kein Wunder. Am 21. Juli 1969 hatte die Nation, um nicht zu sagen weite Teile der Menschheit, nachts vor den Fernsehgeräten gesessen, um live „dabei“ zu sein. Hienieden aber war alles noch wie längst gehabt und gewollt: Da heißt der Metzger am idyllischen Marktplatz „Max Hackemesser“ und einige Jahrzehnte vor den Smartphones bediente man sich der „Fernsprechzelle“. Wie hieß noch der Spruch, der darauf pappte? Ach ja: „Fasse dich kurz“. Drum höre ich jetzt auf.




Familienfreuden XXVIII: Adieu, Grundschule!

Ein Hoch auf die Grundschule! (Bild: Albach)

Morgen ist es vorbei, vier Jahre Grundschule – ade. Eine kleine Ära im Leben von Fi endet.

Ich frage mich jetzt schon, wie viele Packungen Taschentücher ich mitnehmen soll. Und ob ich am besten eine Sonnenbrille aufsetze, damit es nicht ganz so offensichtlich ist, dass ich Rotz und Wasser heule. Fis Grundschule ist nämlich in Sachen Abschied das, was Steven Spielberg für das Kino ist: ein Meister der Inszenierung. Als die Grundschule startete, sind die Erstklässler:innen durch bunte Blumenbögen in das Schulgebäude eingezogen. Morgen – man ahnt es – ziehen sie durch eben jene Bögen wieder aus. Der Kreis schließt sich, die Symbolik passt. Pech, wenn man da nah am Wasser gebaut ist.

Die beste Lehrerin, die man sich wünschen kann

Es ist der Abschied von einem wichtigen Abschnitt in Fis Leben. Und es ist der Abschied, von der ganz subjektiv besten Lehrerin, die man sich wünschen kann. Das hat sich schon am allerersten Tag gezeigt, als Fi mit dieser großen Neuerung kämpfte. Kaum sah ihre Lehrerin Fis Tränen, drückte sie ihr kurzerhand ihren Schlüssel in die Hand. „Auf den musst Du jetzt aufpassen. Den vertraue ich nicht jedem an, Und wo der ist, da bin ich nicht weit“, sagte sie. Eine geniale Lösung. Ein „Du bist stark!“ und „Ich bin für Dich da“ in einer Geste. Fi erinnert sich bis heute daran.

Ein schräges Klassenzimmer

Als die Corona-Pandemie begann, hatten wir als Eltern unsere liebe Not, an diese besondere Beziehung anzuknüpfen. Als Mama und Papa sind wir ja etabliert. Aber Lehrerin und Lehrer? Not so much. Nicht falsch verstehen: Fi hat ihre Sache hervorragend gemeistert, aufmerksam alle Online-Stunden besucht, beflissen ihre Aufgaben erledigt und als es zurück in die Präsenz ging, ohne Wissenslücken weitermachen können. Und trotzdem war mein Geduldsfaden eher dünn gestrickt bei der Jonglage zwischen Arbeit und Erklärungsversuchen von Multiplikation & Co. – während Fi sich wahrscheinlich fragte, in welches schräge Klassenzimmer sie da geraten war.

Die Grundschule war, zumindest in unserem Fall, ein Nest und ich hätte Fi gegönnt, dessen Wärme vier Jahre ganz unbeschwert zu genießen, ohne einen nicht im Curriculum vorgesehenen Schnellkurs in Virenkunde, Hygiene und sich ständig ändernden Vorschriften.

Aber ich bin unendlich dankbar, dass Fi dieses Nest gespürt hat und sich in dessen Schutz schnell entwickeln konnte.

Die Schauspielschule ruft

Bei der Abschiedsfeier hat die ganze Klasse ein Theaterstück aufgeführt, eine rasante Revue über ihre Schulzeit. Fi stand dort auf der Bühne, in der ersten Reihe und fragte laut in den Saal: „Wolltet ihr nicht noch meine Geschichte zur Klassenfahrt hören?“, um dann mit sicherer Stimme von Limbotänzen, Treibsand-Spielen und nassen Socken zu erzählen. Ob wir sie schon in der Schauspielschule angemeldet hätten, fragten uns andere Eltern hinterher.

Ein Hoch

Gestern schickte eine Mutter von Fis Freundin ein Video von der Einschulung. Darauf sind sie zu sehen, die bunten Bögen und Fi, wie sie durch sie hindurch in die Schule läuft. Sie schaut sich unsicher um, da steht ihre Lehrerin schon wieder neben ihr, sagt „Da bin ich wieder!“ und nimmt ihre Hand.

Bei dem Abschiedsfest legte Fi ihre Hände auf die Schultern ihrer Freundinnen, auf der Bühne. „Ein Hoch auf uns!“ schallte aus den Lautsprechern. Alle sangen laut mit.

Ein Hoch auf die Grundschule – und danke für diese Zeit!




Abbilder der Verhältnisse – im „Atlas des Unsichtbaren“

Sinnreiche Visualisierung komplexer Sachverhalte ist eine Kunst, auf die sich nicht viele verstehen. Im Netz geht neuerdings der Auftritt „Katapult“ steil, der auch verwickelte Dinge auf möglichst simple optische Umsetzungen „herunterbricht“ – mit wechselndem Geschick: Manches, aber längst nicht alles gelingt. In den „Atlas des Unsichtbaren“ sollte man sich hingegen einigermaßen vertiefen. „Auf einen Blick“ erlangt man hier nicht viel.

Die Autoren James Cheshire und Oliver Uberti versprechen laut deutschem Untertitel recht vollmundig „Karten und Grafiken, die unseren Blick auf die Welt verändern“. Die Kapitelüberschriften („Woher wir kommen“, „Wer wir sind“, „Wie es uns geht“, „Was uns erwartet“) erweisen sich als wenig trennscharf und taugen nicht zur Sortierung. Also heran an die vielen Einzelheiten, die eben nicht in solche Schubladen passen.

Nach und nach zeigt sich, dass Kartographie und graphische Darstellungen weitaus mehr vermögen, als sich der Diercke-Schulatlas träumen ließ. Manches lässt sich veranschaulichen, was vorher undurchdringlich schien, verblüffende Ein- und Durchblicke werden möglich. Auch Statistiken und Tabellen sind kein leerer Wahn, wenn sie mit Verstand eingesetzt werden.

Da zeigt eine Schautafel ganz schlüssig, ob und wie sich die Gene über 14 Generationen hinweg (etwa seit 1560) noch vererben. Neue Klarheit verschaffen Karten zu den Strömen des Sklavenhandels oder über Walfänge seit 1761. Der Aufschlüsse sind viele: Migrations- und Pendlerrouten, Mobilfunkdaten oder eine Karte zur Lichtstärke in Städten und Regionen verdeutlichen soziale und wirtschaftliche Zusammenhänge. Sie können als Ergänzung zu wortreich differenzierten Betrachtungen sehr brauchbar sein.

Häufig wird der globale Maßstab angelegt, bevorzugt aus angloamerikanischer Perspektive: In welchen US-Staaten kommt Lynchjustiz besonders häufig vor? Inwiefern lassen Gebäudedaten auf künftige Gentrifizierung schließen, so dass Prognosen dazu einen höheren Wahrscheinlichkeitsgrad haben? Wo leisten Frauen im Verhältnis zu Männern die meiste unbezahlte Arbeit (Indien) und wo die wenigste, aber immer noch deutlich über 50 Prozent (Schweden)? In welchen Ländern erleiden Frauen die meiste physische Gewalt?

Durch graphische Umsetzung werden auch die Muster der US-Bombardierungen im Vietnamkrieg gleichsam „transparenter“. Übrigens hat Ex-Präsident Bill Clinton die zugrunde liegenden Daten freigegeben. Freilich wirken solche fürchterlichen Sachverhalte in atlasgerechter Aufbereitung leicht zu harmlos. Auf diese Weise können eben nur bestimmte Dimensionen des Geschehens vermittelt werden. Dessen eingedenk, blättern wir weiter.

Das letzte Konvolut („Was uns erwartet“) handelt – man durfte gewiss damit rechnen – überwiegend vom bedrohlichen Klimawandel, so gibt es etwa Karten über weltweite Hitzewellen und Stürme oder zur Eis- und Gletscherschmelze. Auch erfährt man zum Beispiel, auf welchen Flugrouten künftig erheblich mehr Turbulenzen bevorstehen dürften. Hilfreich jene Sonnenlicht-Karte, die quasi jeden Quadratmeter eines bestimmten Gebiets im Hinblick auf Sonneneinstrahlung (Intensität, Dauer, zeitlicher Verlauf) definiert, so dass im Winter das Streusalz praktisch punktgenau verteilt werden kann und nichts verschwendet wird. Viele Flächen tauen eben auch rechtzeitig ohne Salz auf.

Ein Buch zum gründlichen Durchsehen, lehrreich, hie und da von echtem Nutzwert, dies aber von begrenzter Dauer. Denn solche Datenbestände und folglich die Karten altern leider ziemlich schnell.

James Cheshire / Oliver Uberti: „Atlas des Unsichtbaren. Karten und Grafiken, die unseren Blick auf die Welt verändern.“ Aus dem Englischen von Marlene Fleißig. Hanser Verlag, 216 Seiten (Format 20 x 25,5 cm), 26 Euro.




Goethe-Institut: Corona-Probleme und Abkehr vom bloßen Kulturexport

Warum nicht dabei sein, wenn die Jahrespressekonferenz des Goethe-Instituts schon per Livestream gesendet wird? Sonst hat man sich gegen Jahresende stets in Berlin versammelt, die Anreise aus dem Revier war gar zu aufwendig. Aber so, wenn das Ganze frei Haus aus der Münchner Goethe-Zentrale kommt? Na, klar. Doch hat es sich auch gelohnt?

Neue Präsidentin des Goethe-Instituts: Carola Lentz. (Foto: Goethe-Institut/Loredana La Rocca)

Wie man’s nimmt. Es war eine jener Pressekonferenzen, die oft und gern mit der Formel „…zog positive Bilanz“ überschrieben werden. Doch eigentlich stimmt das diesmal nur sehr bedingt, denn selbstverständlich hat auch hier Corona die Agenda diktiert. Und da hat man denn doch zwangsläufig Verluste eingefahren, insbesondere bei den Deutsch-Sprachkursen in aller Welt, die meist keine Präsenzveranstaltungen mehr waren.

Boom der Online-Sprachkurse

Wie Goethe-Generalsekretär Johannes Ebert sagte, wurde im Gegenzug eine exorbitante Steigerung bei den Online-Sprachkursen erzielt. Die Zahl der Teilnehmenden schnellte um rund 500 Prozent  auf etwa 62.000 hoch. Das war wohl nur möglich, weil das Goethe-Institut sehr zeitig eine digitale Strategie verfolgt hatte. Damit wurden die Defizite zwar nicht vollends kompensiert, doch immerhin gemildert: Vom eigens aufgespannten „Rettungsschirm“ über 70 Millionen Euro, den der Bund „wegen Corona“ fürs Goethe-Institut bereitstellte, musste bislang nur ein geringer Teil in Anspruch genommen werden. Dazu muss man wissen, dass das Institut mit seinen 157 Niederlassungen in 98 Ländern etwa ein Drittel seines Jahresbudgets selbst erwirtschaftet, nämlich rund 145 Millionen Euro. Geschäftsführer Rainer Pollack hatte dazu noch viel mehr Zahlenmaterial parat, das wir hier nicht im Detail ausbreiten können.

Weltweite Netzwerke knüpfen

Generalsekretär des Goethe-Instituts: Johannes Ebert. (Foto: Martin Ebert)

Sprachkurse sind nur eine, wenn auch zentrale Aktivität des Goethe-Instituts. Hinzu kommt der allgemeine Kulturaustausch im globalen Maßstab, inbegriffen auch die Bildung von nachhaltigen Netzwerken, die in und nach Pandemie-Zeiten Bestand haben sollen.

Die neue Goethe-Präsidentin Prof. Carola Lentz, die derzeit an einem Buch zur Geschichte des Instituts arbeitet, skizzierte als Leitlinie, dass man zusehends über den bloßen Kulturexport hinausdenke – just in Richtung weltweiter Netzwerke, die auch zivilgesellschaftliche und im weitesten Sinne politische Fragen aufgreifen sollen. Generalsekretär Ebert ergänzte weithin übliche Stichworte wie Diversität und Teilhabe sowie Generalthemen wie Klimawandel, Rassismus und Migration – Signale, wie sie wahrscheinlich in etlichen, doch nicht in allen Partnerländern bereitwillig aufgegriffen werden.

Zuhören wird immer wichtiger

Allgemein gilt, dass man sich nicht nur in anderen Ländern bemerkbar machen will, sondern zunehmend beachten will, was Kulturschaffende und sonstige Bewegungen in all diesen Ländern zu sagen und zu zeigen haben. Zum Kulturexport soll sich also ein Kulturimport gesellen.

Ein beispielhaftes Projekt stellte die live zugeschaltete Anisha Soff vom Goethe-Institut in Nairobi (Kenia) vor. Dort arbeitet man mit einheimischen Künstlerkollektiven seit Jahren Lücken der kenianischen Museen auf, die vor allem entstanden sind, weil „wahnsinnig viele“ (Soff) Objekte aus Kenia in Museen der westlichen Welt gehortet, aber vielfach nie gezeigt werden. Oft sei deshalb nicht einmal klar, was sich überhaupt wo befinde. Erste Schneisen ins Dickicht der Unzugänglichkeit will man mit einer Objekt-Datenbank schlagen, die mittlerweile 32.000 Stücke umfasst. Es wird noch weiter gesammelt, allerdings dürfte sich im Laufe der Zeit immer dringlicher die Frage nach Restitution (Rückgabe an afrikanische Museen) stellen. Kein gänzlich konfliktfreies Thema.

Im nächsten Jahr das 70. Jubiläum

Im nächsten Jahr steht ein bedeutsames Jubiläum an: Am 8. August 2021 jährt sich die Gründung des Goethe-Instituts zum 70. Mal. Man darf wohl annehmen und hoffen, dass dies im angemessenen Rahmen begangen werden kann, wie denn überhaupt der Institutsbetrieb sich ganz allmählich normalisieren dürfte. Auch das Außenministerium, dem das Institut vertraglich verbunden ist, wird sich die Jahrestags-Gelegenheit zur kulturellen Repräsentation mutmaßlich nicht entgehen lassen.

 

 




Digitalisierung, Anfangszeiten, Distanzunterricht – die Mühen der Ebenen in der lokalen Schulpolitik

Hier wissen Schüler und Eltern (hoffentlich) Bescheid: die schulspezifischen Apps Google Classrooom und Untis auf einem iPad-Bildschirm. (Screenshot: BB)

Wenn die Dortmunder Stadtelternschaft (d. h. vor allem: die Schulpflegschaftsvorsitzenden) mit der Schuldezernentin Daniela Schneckenburger (Grüne) eine Videokonferenz abhält, dann kann man schon mal interessiert kiebitzen. Und was soll ich euch sagen: Da lernt man ein wenig die oft zitierten Mühen der Ebenen kennen.

Beim Online-Treff mit rund 40 Leuten ging’s heute Abend wahrlich nicht um den „großen Wurf“, sondern um recht kleinteilige, teilweise ziemlich knifflige Fragen, etwa zur Bildungsgerechtigkeit und zur Digitalisierung der Schulen.

Auf den immer dringlicheren Ruf nach Klassenteilungen, Wechsel- und Distanz-Unterricht in Corona-Zeiten konnte die Schuldezernentin nur ansatzweise eingehen, denn diese Themenbereiche fallen hauptsächlich in die Verantwortung des Landes NRW. Die Gemengelage scheint sehr unübersichtlich zu sein. Da gab es zwar kürzlich einen Landeserlass, der es örtlichen Schulen bzw. Gesundheitsämtern bei entsprechender Infektionslage freistellte, für Distanzunterricht zu sorgen. Dieser Erlass aber wurde wieder zurückgerufen. Daniela Schneckenburger musste bekennen, sich mit der „Distanzlernverordnung“ (man lasse sich das Wort auf der Zunge zergehen) des Landes nicht sonderlich gut auszukennen. Sowohl politisch als auch juristisch ist die Angelegenheit offenbar kompliziert. Wer wollte sich anmaßen, hierin Expertise zu besitzen?

Man sollte doch, man müsste mal…

Anke Staar, Vorsitzende der Stadteltern Dortmund (und auch der Landeselternschaft), sagte, sie habe den Eindruck, auf diesem Felde gehe es oft nicht um die Sache, sondern vielfach um  „parteipolitisches Geplänkel“. NRW-Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) mache sich dabei schon mal „einen schlanken Fuß“.

Geradezu quälend war sodann das Gespräch über Fragen der Information und Transparenz in der Schulpolitik, sprich: Erreichen die Botschaften aus der Landes- und Kommunalpolitik die Schul- und Klassen-Pflegschaftsvorsitzenden überhaupt in ausreichendem Maße? Als säße man in dieser Frage erst jetzt endlich einmal beisammen, machte Daniela Schneckenburger schwierige Datenschutz-Regelungen geltend. Immerhin einigte man sich darauf, dass es möglich sein müsse, die Elternvertretungen nicht unter privaten Mailadressen, sondern unter neutralen Schuladressen anzuschreiben. Man sollte doch, man müsste mal…

Ein ganzer Schwall von Zahlen

Noch so ein leidiges Thema: die Digitalisierung der Schulen und die Ausstattung mit entsprechenden Geräten – sowohl für (bedürftige) Schüler(innen) als auch fürs Lehrpersonal. Hier zeigte sich Schuldezernentin Schneckenburger präpariert, um jeder etwaigen Kritik am angeblich langsamen Vorgehen der Stadt zu begegnen. Sie wartete mit einem wahren Schwall von Zahlen auf. Wie viele Millionen Euro für diese Zwecke bereitstünden, was davon bereits abgerufen sei, wie viele Tausend Geräte jetzt und demnächst ausgeliefert werden könnten. Und so weiter, und so fort. Wie schnell die Geräte jetzt zur Verfügung stünden, hänge allerdings nicht zuletzt davon ab, „wie schnell die Menschen in China arbeiten.“ Sprach’s – und musste dann flugs erst einmal ihr eigenes iPad ans Stromnetz anschließen, damit der Akku nicht leerlief.

Apropos iPad: Die Stadt Dortmund, finanziell bekanntlich nicht gerade auf Rosen gebettet, gönnt sich und ihren Schulen die vergleichsweise teuren Apple-Apparaturen, also vor allem iPads. Familien, die daheim mit Android-Geräten arbeiten, müssen diese folglich selbst einrichten und warten. Ob immer alles kompatibel ist, wird sich zeigen. Unklar zudem, ob in weniger begüterten Haushalten überall flächendeckendes WLAN bereitsteht.

Kostspielige iPads per Leihvertrag

Fragen über Fragen: Was geschieht im Falle von Diebstahl oder Beschädigung? Da die Geräte sonst nicht zu vernünftigen Preisen versicherbar sind, werden sie per Leihvertrag ausgegeben. Einrichtung und Wartung übernimmt – bei jedem einzelnen der vielen Tausend iPads – das „Dortmunder Systemhaus“. Ein gar mühseliges und langwieriges Unterfangen. Kein Wunder, dass die meisten Geräte nicht morgen oder übermorgen nutzbar sein werden. Aber die Digitalisierung ist eben nicht erst mit Corona, sondern schon lange vorher verschlafen worden; in ganz Deutschland, beileibe nicht nur in Dortmund.

Schließlich noch die Frage nach einer Entzerrung des Unterrichtsbeginns, um auch die Verkehrsströme zu entlasten. Derzeit wäre es möglich, die Schule zwischen 7.30 und 8.30 beginnen zu lassen. Die Stadt, so Daniela Schneckenburger, habe die Schulen gebeten, entsprechende Möglichkeiten zu sondieren. Eine Weisungsbefugnis habe man indes nicht. Ein neuer Erlass sieht vor, dass der Unterricht künftig sogar zwischen 7 und 9 Uhr anfangen kann. Das mag vernünftig und flexibel klingen, aber Daniela Schneckenburger ließ schon mal etwas Luft heraus: Es könne passieren, dass Familien mit mehreren Kindern und diversen elterlichen Arbeitszeiten sich plötzlich auf drei oder vier verschiedene Anfänge einrichten müssten. So hat eben alles seine Licht- und Schattenseiten.

Wir aber blicken gleichermaßen froh und bang den Weihnachtsferien entgegen – und dem, was danach kommen mag.




Nietzsche und sein „Gast“, Thomas Bernhard und die finale Richtigstellung – Nachtrag zur Dortmunder „Korrektur“-Tagung

Hier noch ein Nachtrag zur Dortmunder Fachtagung übers Korrigieren und seine diversen Weiterungen. Am zweiten Konferenztag ging es u. a. um zwei besonders markante Gestalten der Philosophie- bzw. Literatur-Geschichte: Friedrich Nietzsche und Thomas Bernhard.

Screenshot-Auszug aus der Präsentation von Prof. Justus Fetscher: links ein heftig korrigiertes Typoskript von Thomas Bernhard („Tamsweg“, 1960), das nie in Buchform erschienen ist. (© Suhrkamp / Justus Fetscher)

Haben Sie schon mal den Namen Heinrich Köselitz gehört? Wahrscheinlich eher nicht. In der Fachwelt galt und gilt er vielfach als mediokrer Geist, doch Friedrich Nietzsche setzte einiges Vertrauen in den Mann, dem er diktierte oder Seiten zur Abschrift überließ. Zwar korrigierte Nietzsche dann seinerseits in Köselitz‘ Niederschriften, doch ließ er ihm auch zunehmend recht freie Hand. So veränderte Köselitz hie und da Ausdrücke des Philosophen, dachte sich eigenständig Kapitelüberschriften aus und begriff sich schließlich selbst als eine Art „Editor“ oder Ko-Autor mit der Lizenz zum Mitschreiben.

Stavros Patoussis (Saarbrücken) und Mike Rottmann (Freiburg / Halle-Wittenberg) legten anschaulich dar, welchen Einfluss Köselitz auf die Textgestalt mancher Nietzsche-Werke hatte bzw. gehabt haben könnte. Die Forschung dazu ist noch lückenhaft, es sind noch längst nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft.

Der Unterschied zwischen Autor und Schriftsteller

Nietzsche selbst schrieb im Zusammenhang mit dem Buch „Menschliches, Allzumenschliches“, er sei zwar der Autor (also Urheber), Köselitz aber sei gleichsam der Schriftsteller, zuständig für manche stilistische Feinheit. Fraglich allerdings, inwieweit man alles für bare Münze nehmen muss, was Nietzsche so von sich gegeben hat – nicht nur in Sachen Korrekturen. Dass ihm die Form ungemein wichtig war, ist indes ausgemacht. Der Stil war nach seiner Auffassung keineswegs sekundär, sondern essenziell fürs gesamte Gedankengebäude. Demnach hätte Köselitz (von Nietzsche übrigens „Peter Gast“ genannt) also auch inhaltliche Prägekraft entfaltet. Ein durchaus spannender Diskussionsansatz.

Bemerkenswert, wie auf solche Weise Nietzsches Bild als Originalgenie auf einsamer Geisteshöhe denn doch etwas zurechtgerückt wird. Er bediente sich eines ganzen Netzwerks von Zu- und Mitarbeitern. Vielleicht bringen uns solche Erkenntnisse den Philosophen sogar wieder etwas näher. Es könnte nicht schaden.

„Herumfuhrwerken“ in den eigenen Texten

Zeitsprung zu Thomas Bernhard, dessen korrigierendes „Herumfuhrwerken“ in eigenen Hervorbringungen geradezu manisch gewesen sein muss. Justus Fetscher (Germanist an der Mannheimer Uni) zeigte dazu einige Bernhardsche Korrekturfahnen im Faksimile. Da offenbart sich ein gehöriges Schriftchaos. Zuweilen strich Bernhard ganze Passagen, bis nur noch ein Halbsatz übrig blieb, der dadurch aber insgeheim mit viel mehr Bedeutung aufgeladen wurde. Es sind Lehrbeispiele zur möglichen Wirkung radikaler Kürzungen, die ja auch einen (häufigen) Sonderfall des Korrigierens darstellen.

Es bedurfte schon eines legendär duldsamen und auch den schwierigsten Autoren in besonderer Weise zugeneigten Verlegers wie Siegfried Unseld (Suhrkamp), um Bernhards Marotten zu ertragen oder sie gar ins Ertragreiche zu wenden.

In letzter Minute fertige Bücher zurückgezogen

Zuweilen konnte Bernhard das Erscheinen seiner Bücher nicht schnell genug gehen, sie sollten dann nur noch flüchtig lektoriert werden, da gab sich der Autor ungeahnt nonchalant. Justus Fetscher sagte, er selbst habe als junger Suhrkamp-Hospitant einen solchen Fall erlebt. Berüchtigt war Bernhard freilich für das umgekehrte Vorgehen: Immer mal wieder zog er Bücher, die schon fertig gesetzt waren, in den Vorschaukatalogen standen und vom ambitionierten Buchhandel sehnlichst erwartet wurden, quasi in letzter Minute zurück. Das kostete im Verlag nicht nur Nerven, sondern auch bares Geld.

Zu solchen Rückziehern dürfte Bernhard auch ein Gefühl des Ungenügens bewogen haben. Seine Korrekturseiten legen ja beredtes Zeugnis ab vom prinzipiell unendlichen Änderungs-Bedarf. Die drangvoll eng beschriebenen Blätter wirken zuweilen wie eine Prüfung auf maximal mögliche Seitenkapazität, die über und über gehämmerten Buchstaben-Anschläge durchlöchern oder zerfetzen an so manchen Stellen das Papier. Fast möchte man von „Anschlägen“ im doppelten Sinne sprechen. Das Schriftbild anderer Seiten ergibt, mitsamt den überschriebenen, gestrichenen und verworfenen Stellen, ein ruhigeres, nahezu graphisch wirkendes Bild, Justus Fetscher fühlte sich an „Frottagen“ erinnert, wie sie etwa Max Ernst geschaffen hat.

Fortwährende Korrektur als Stundung des Todes

Es konnte sich nicht besser zum Tagungsthema fügen: Thomas Bernhard hat einen Roman mit dem Titel „Korrektur“ verfasst. Auch darin geht es um unaufhörliches Korrigieren des Korrigierten – prinzipiell ad infinitum. Fortwährend erstellte, immer neue Versionen erweisen sich dabei als Aufschub und Stundung des Todes. Solange man korrigiert, lebt man. Letztlich aber reicht diese wahnwitzige Praxis – im Leben wie im Roman – eben nicht bis in die Unendlichkeit. Und so besteht die finale „Korrektur“, so eine Bernhardsche Denkfigur, im Selbstmord des Protagonisten Roithamer, der in einigen Wesenszügen dem Philosophen Ludwig Wittgenstein nachempfunden ist.

Die Schlussdiskussion der Tagung habe ich mir nicht mehr ansehen können. Auf jeden Fall hat diese Konferenz ein bislang unterschätztes, im Grunde aber höchst bedeutsames Themenfeld aufgetan. Korrekturen, ob von eigener oder fremder Hand, stehen geradezu im Mittelpunkt nicht nur des kulturelles Tuns und Trachtens.




Als Robert Walser von Christian Morgenstern gerügt wurde – eine digitale Dortmunder Fachtagung zum Thema „Korrigieren“

Dortmund. Das haben wir nicht alle Tage: dass von Dortmund aus eine literatur- und medienwissenschaftliche Diskussion angeregt wird und es dazu eine hochkarätige Tagung gibt – in diesen Zeiten freilich digital und virtuell. Wir reden von einer zweitägigen Fachdebatte zum bisher weithin unterschätzten Thema des Korrigierens in vielen Schattierungen. Das Spektrum reicht von der Lektorierung literarischer Texte bis hin zur oft so vermaledeiten Autokorrektur-Software – und ragt in einige andere Bereiche hinein.

Etwas unscharfer Screenshot von der Videokonferenz-Tagung: Prof. Thomas Ernst beim einleitenden Kurzvortrag, in der Bildleiste darüber weitere Tagungs-Teilnehmer(innen).

Wie noch nahezu jedes Thema, so lässt sich auch dieses im Prinzip unendlich auffächern und in allerlei Feinheiten zergliedern. Was abermals zu beweisen war und sich heute schon zu Beginn der Tagung angedeutet hat. Im Folgenden „schenken“ wir uns sämtliche Professoren- und Doktortitel, praktisch alle Beteiligten tragen den einen oder anderen. Und übrigens: Fast alle zeigten sich den Webcams vor üppig gefüllten Bücherregalen.

Eingeladen hatte das von Iuditha Balint geleitete Fritz-Hüser-Institut (FHI) für Literatur und Kultur der Arbeitswelt, das in der Nachbarschaft des Dortmunder LWL-Industriemuseums Zeche Zollern residiert. Mitorganisator ist Thomas Ernst (Amsterdam/Antwerpen), weitere Wissenschaftler*innen werden aus Bern, Hamburg, Berlin, Saarbrücken, Mannheim, Leipzig, Essen und Bochum zugeschaltet, die Kommunikation erfolgt via Zoom-Konferenz.

Machtverhältnisse und aufklärerisches Potenzial

Iuditha Balint legte in ihrer kurzen Einleitung dar, dass Korrekturen u. a. auch Ausdruck von Machtverhältnissen sein können (wer darf wen wie weitgehend „verbessern“?) und sozusagen ein Gegenstück zum Konzept von genialer oder auktorialer Autorschaft darstellen. Thomas Ernst führte aus, dass das Korrigieren zudem – schon in der Schule, wenn etwa Klassenarbeiten durchgesehen und bewertet werden – normative Funktionen erfülle. Auch Zensoren übten quasi eine Art „Korrektur“ aus. Am anderen Ende der Skala befördere das Korrigieren allerdings auch Formen kollektiver Zusammenarbeit und könne als Instrument der Aufklärung gelten. Wie wissenschaftliche Erkenntnisse sich überhaupt im Dialog und durch ständige Revisionen (also: Korrekturen) konstituieren, habe sich jüngst auch bei der Diskussion virologischer Themen vielfach erwiesen. Da war er, der aktuelle und buchstäblich virulente Bezug. Hier aber gilt’s den Geisteswissenschaften.

Die „Affenliebe“ zum eigenen Schreiben

Den ebenso anspruchsvollen wie interessanten Eröffnungsvortrag hielt sodann Ines Barner aus Essen. Sie skizzierte eine übergreifende Systematik zum Thema der Tagung und verwies dabei auf zwei konkrete Beispiele aus den Gefilden der literarischen Hochprominenz. So hat kein Geringerer als der Lyriker Christian Morgenstern – einer der frühen Lektoren im deutschsprachigen Literaturbetrieb – zeitweise die Betreuung des Romanautors Robert Walser („Geschwister Tanner“) übernommen. Anfangs höchst angetan vom kurz zuvor neu entdeckten Walser, schrieb Morgenstern ihm vor der Drucklegung einen ziemlich harschen Brief. Walsers „Affenliebe“ zum eigenen Text müsse nun endlich aufhören, er schreibe viel zu „weitschweifig“ und „selbstgefällig“, ja nahezu trivial. Sprach’s und strich kurzerhand ganze oder halbe Seiten aus dem ursprünglichen Text… Just solche „Störstellen“ (Ines Barner) hat Robert Walser hernach aufgegriffen, um sie eigenständig umzuarbeiten.

Peter Handke zwischen den Extremen

Anders gelagert war der Fall bei Peter Handke, dem Elisabeth Borchers als Lektorin des Buchs „Langsame Heimkehr“ zur Seite gestanden hat. Handke wusste nicht recht, wie er das Buch enden lassen sollte und steigerte sich in eine regelrechte Schreibkrise hinein, in deren Verlauf er Elisabeth Borchers freie Hand gab, den Text nach Belieben zu ergänzen, was einer Mitautorschaft gleichkam. Ein durchaus ungewöhnliches Verfahren. Handke hat seine Großzügigkeit denn auch später bereut, sich von Borchers als Lektorin getrennt und fortan umso entschiedener auf Unantastbarkeit seines Schreibens bestanden. Von einem Extrem ins andere…

Schon diese beiden Beispiele des Umgangs mit Korrekturen auf dem Felde der Hochliteratur lassen ahnen, wie spannend und vielfältig die Stoffe der Dortmunder Tagung sind. Es werden noch etliche weitere Aspekte in Betracht kommen, beispielsweise: Korrekturen und Lehrerurteile anhand deutscher Abituraufsätze in den 1950er Jahren (Sabine Reh), Korrekturprozesse bei der Verfertigung von Friedrich Nietzsches „Die fröhliche Wissenschaft“ (Stavros Patoussis / Mike Rottmann), „Zur Figur des Korrigierens bei Thomas Bernhard“ (Justus Fetscher), „Korrigieren mit der Schere“ (Marie Millutat) oder auch „Sprachliche Normen und Korrekturimpulse in automatisierten Korrekturprozessen“ (Ilka Lemke / Katrin Ortmann).

Schade nur, dass die Teilnehmerzahl auf rund 100 Leute begrenzt ist. So bleibt die Wissenschaft erst einmal unter sich. Doch Verlauf und Resultate der Tagung sollen später noch publiziert werden; zunächst in einigen Wochen als Zusammenschnitt (auf der Instituts-Seite fhi.dortmund.de), im nächsten Jahr dann als Tagungsband.

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P. S.: Auch dieser Beitrag wurde noch einer Korrektur unterzogen. Nur gut, dass er nicht gedruckt vorlag.

 

 




Im Zeichen des Mammuts – Dortmunds Naturmuseum nach sechs Jahren endlich wieder geöffnet

Museumsdirektorin Dr. Dr. Elke Möllmann und Dortmunds Oberbürgermeister Ullrich Sierau halten dem Wahrzeichen des Naturmuseums (aus vielen Originalteilchen zusammengesetztes Skelett einer Mammut-Kuh) ihre Schutzmasken vor. Sierau ließ es sich nicht nehmen, den hindernisreichen Umbau des Hauses als „Mammut-Aufgabe“ zu bezeichnen. (Foto: Bernd Berke)

Eine Stadt, die etwas auf sich hält, sollte beispielsweise mehrere Kunstmuseen haben, außerdem diverse Häuser zur (Kultur)-Geschichte – und möglichst ein naturkundliches Ausstellungs-Institut. In diesem Sinne rückt Dortmund jetzt beim Image-Wettbewerb der Kommunen endlich wieder in eine der vorderen Reihen auf: Nach schier unglaublichen sechs Jahren Umbauzeit (nur zwei hätten es sein sollen) eröffnet das Naturmuseum wieder, in gründlich veränderter Gestalt und deutlich attraktiver als ehedem.

Eigentlich ist – neben dem althergebrachten Stadtwappen-Adler – das Nashorn (Maskottchen des Konzerthauses) zum Dortmunder Werbetier avanciert, doch nun bekommt der Dickhäuter ebenso schwergewichtige Konkurrenz von einer Mammut-Dame. In mühseliger Kleinstarbeit hat man ihr Skelett fürs Museum zusammengesetzt, aus zahllosen originalen Einzelteilen, die (gleichsam als „Beifang“) auf dem Gebiet der heutigen Nordsee gefunden wurden. Vor rund 30.000 Jahren war dort noch trockenes Land. Schon angesichts eines solchen Zeitmaßes erscheint die sechsjährige Umbauzeit seit 2014 denn doch als (allerdings kostspielige) Petitesse. Und es geht ja museal noch viel weiter zurück: von den Eiszeiten (Quartär – hierhin gehört das Mammut) über das Zeitalter der Saurier (Kreidezeit) bis in die Frühzeit der Kohle-Entstehung (Karbon).

Kindgerechtes Marketing: Das Mammut gibt’s auch schon als Stofftier. (Foto: Bernd Berke)

Ach ja, übrigens: Nähere Einzelheiten zur Genese des bundesweit beispiellosen Dortmunder Mammuts finden sich hier. Und noch viel, viel mehr steht im „Mammutbuch“, das von den Freunden und Förderern des Naturmuseums neu herausgebracht wurde.

„(Bitte nicht) am Dino packen!“

Das zweite spektakuläre Hauptstück des Hauses ist nicht original, sondern ein nachempfundenes Dinosaurier-Modell. Die Dortmunder kennen das mächtige Wesen noch aus dem alten Naturkundemuseum, wie es vormals geheißen hat. Dortmund Oberbürgermeister Ullrich Sierau (SPD) sagte heute zur Eröffnung, er sei in den letzten Jahren vielfach darauf angesprochen worden, wann denn der Dino (und all die anderen Exponate) wieder zu sehen sein würden. Er musste die Menschen wieder und wieder vertrösten. Heute aber rief er launig und spontan in Ruhri-Diktion aus: „Jetzt kann man wieder am Dino packen!“ Da freilich musste er sich von den Museumsleuten höflich korrigieren lassen. Nicht nur, aber derzeit vor allem „wegen Corona“ dürfen etliche Objekte und Mitmach-Stationen noch nicht so berührt werden, wie man es sich gewünscht hätte.

Viele Kalamitäten beim Umbau – nur kein Vulkanausbruch

Museumsdirektorin Dr. Dr. Elke Möllmann skizzierte kurz die schier endlose Abfolge von Pech und Pannen in der Umbauzeit. Mal ging eine Baufirma pleite, mal gab’s keinen Strom, kein Internet, keine Heizung oder kein Wasser, dann wieder hatte man eine Überschwemmung. „Nur einen Vulkanausbruch – den hatten wir nicht…“

So präsentiert sich jetzt der Eingangsbereich des Naturmuseums. (Foto: Bernd Berke)

Die Museumschefin erläuterte das veränderte Konzept: Während das Museum früher die wissenschaftliche Systematik in Biologie und Geologie nüchtern abgearbeitet habe, sei der Rundgang heute im Wesentlichen regionalspezifisch und möglichst sinnlich arrangiert. Man setzt also konsequent in der Lebenswelt Dortmunds und des Umlandes an, ganz konkret zum Beispiel bei den Dortmunder Großgrünflächen Westfalenpark, Rombergpark, Hauptfriedhof und Fredenbaum. Diese Parklandschaften und andere Lebensräume sind (unter dem Obertitel „Stadt – Land – Fluss“) Ausgangspunkte naturgeschichtlicher Erkundungen und Erzählungen, die sich immer mehr verzweigen.

Die Vielfalt reicht bis in Alltagsfragen hinein, beispielsweise: Was muss ich bei der Haltung eines Meerschweinchens beachten? Andererseits rührt man natürlich auch an die großen Fragen der Entstehung des Lebens und der Ökologie. Wollte man hier all die vielen Schubladen mit pointiertem Zusatzwissen aufziehen und die Tafeln lesen, so hätte man sehr reichlich zu tun. Besser wär’s, man käme mehrmals wieder.

Vermittlung durch Vitrinen bleibt eher die Ausnahme

Ja, es gibt auch einige Vitrinen (etwa mit präparierten Vögeln oder Eichhörnchen und dergleichen Getier), doch derlei traditionelle Vermittlung ist eher die Ausnahme, auch wirkt das Inventar „lebendiger“, denn alles ist ungleich besser ausgeleuchtet als früher in den notorisch schummrigen Museen. Wo immer es ging, hat man versucht, Informationen zeitgemäß mit anschaulichen Dioramen, Touchscreens, Videos oder Hörstationen aufzubereiten. In der Pflanzenabteilung darf man ausgewählte Düfte riechen, in einem großen Aquarium schwimmen heimische Fische. Auf der geologischen Etage, die einem vielleicht nicht gar so nah liegt wie die Tierwelt, werden Fossilien durch farbliche Gestaltungen und überraschende Zusammenhänge „zum Sprechen gebracht“. So liegen etwa die uralten Ammoniten nicht einfach nichtssagend herum, sondern sie werden buchstäblich ansprechend präsentiert. Zudem ergeben sich auf den verschiedenen Stockwerken immer wieder reizvolle Perspektiven, die auch dem ästhetischen Empfinden Genüge tun.

Auch eine Katze leistete ihren naturgemäßen Beitrag

Nicht nur die Museumsdirektorin und ihr Team haben seit 2014 einiges geleistet, selbst die Katze von Frau Dr. Dr. Möllmann war indirekt beteiligt. Sie hat Mäuse gefangen, deren filigrane Skelette sodann präpariert wurden und nun in einem speziellen Schaukasten zu sehen sind; selbstverständlich im wissenschaftlichen Kontext.

Gut denkbar, dass das Naturmuseum, wie zuvor das Naturkundemuseum, wieder zum besucherstärksten Haus in Dortmund wird (wenn man vom Deutschen Fußballmuseum einmal absieht). Nicht nur nebenher bedeutet es auch eine kulturelle Aufwertung der gelegentlich als problematisch verschrienen Dortmunder Nordstadt.

Naturmuseum Dortmund. Münsterstraße 271. Ab Dienstag, 8. September 2020, jeweils dienstags bis sonntags 10-17 Uhr (zu diesen Zeiten ist auch das neue Museumscafé „Ammonit“ geöffnet). Eintritt in die Dauerausstellung frei. Neu seit 22. September: tägliche Öffnungszeit um eine Stunde erweitert, also Di bis So 10-18 Uhr

Reservierung erforderlich: Tickets über www.naturmuseum-dortmund.de

Tel.: 0231 / 50-24 856. Mail: naturmuseum@stadtdo.de

Internet: www.naturmuseum.dortmund.de

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Einlass-Regelung/Reservierung

Es muss vorab online für jede Person (unabhängig vom Alter) eine Reservierung vorgenommen werden, und zwar auf dieser Seite:

www.naturmuseum-dortmund.de

Die Reservierungen sind jeweils auf ein bestimmtes Einlass-Zeitfenster begrenzt. Dies bedeutet, dass der Zugang zum Museum nur zu dieser Zeit gestattet wird. Durch die Limitierung der Reservierungen soll gewährleistet werden, dass die aktuell maximal zulässige Personenanzahl im Naturmuseum zu keinem Zeitpunkt überschritten wird.

Vorerst werden nur Reservierungs-Möglichkeiten für jeweils zwei Wochen online gestellt.

 

 




Vor jeder Haustür ein Paket mit Erinnerungen – auf Kurzbesuch in der alten Heimat Dortmund

Auch mit Erinnerungen verbunden: Impression der von Hilde Hoffmann-Schulte gestalteten Glasfenster einer Dortmunder Kirche. (Foto: © Marlies Blauth)

Unsere Gastautorin, die Künstlerin und Lyrikerin Marlies Blauth, die seit vielen Jahren bei Düsseldorf lebt, über einen Besuch in ihrer Heimatstadt Dortmund:

Mein Steuerberater wundert sich, lächelt, weil ich immer – also einmal im Jahr – mit dem Bus komme. Er hat nämlich sein Büro ganz in der Nähe meines Elternhauses (in dem längst jemand Anderes wohnt), also knapp 100 Kilometer von meinem aktuellen Wohnort entfernt. Ziemlich aufwändig, das alles.

Diese Fahrt „nach Hause“ genieße ich aber jedesmal, zelebriere sie fast.

Die Sonne scheint auf das Dach des Hauses, in dem meine erste riesengroße Liebe wohnte. Ich winke, in Gedanken oder vielleicht auch ein kleines bisschen wirklich. Dann, an der nächsten Haltestelle: Aussteigen.

Ein knapper Kilometer Fußweg, ich nehme meine Kamera aus dem Rucksack und entdecke immer wieder neue Perspektiven, die meine Erinnerungen nochmal extra aufwecken: Mir wird wieder gegenwärtig, wie wir als Kinder auf Bäume kletterten, Verstecken spielten, ich zum Muttertag mal einen peinlichen krautigen Strauß pflückte (der auch nicht liebevoll gemeint war …); wie ich später dann mit einer Schulfreundin hier spazieren ging und wir uns den ganzen Nachmittag auf Latein unterhalten haben. Oder zu den Partyzeiten: Hier kamen wir morgens um fünf Uhr an, nach einem Fußmarsch von über drei Stunden. Nachts sind alle Katzen grau, aber die Stimmung ist eine besondere. Damals habe ich die erste und einzige Fledermaus in freier Wildbahn gesehen.

Und wir haben diskutiert: für oder gegen die Atomkraft, was ist mit der DDR, muss unser Staat sozial(istisch)er werden, geht es nicht überhaupt viel zu ungerecht zu. Ich komme an meiner Konfirmationskirche vorbei, in der ich fürchterlich öde Stunden verbracht habe, die mir wenig später aber eine der schönsten Zeiten meines Lebens ermöglicht hat – durch eine wunderbare, neu gegründete Jugendgruppe. Ganz in der Nähe rauchte ich meine erste (und einzige, halbe) Zigarette: Ich fand sie sehr lecker, sie ist mir sogar gut bekommen. Noch heute bin ich meiner 14-jährigen Altklugheit sehr dankbar: Warum Geld ausgeben, wenn die Eltern doch alles andere Schmackhafte zahlen? Und so blieb ich zeitlebens Nichtraucherin.

Hier wohnte der Klassenkamerad, der bestimmt ADHS hatte; damals noch ganz selten, niemand wusste darüber Bescheid. Dort war ein Mädchen zu Hause, mit dem ich gern befreundet gewesen wäre, das mich aber jahrelang gemobbt hat. Ich glaube, das wurde kräftig unterstützt durch die Eltern – deren Wunschfreunde für ihr Kind was hermachen sollten. Für mich waren es schwere Jahre, aber auch lehrreiche.

Überall in der alten Heimat, vor jeder Haustür, an jedem Weg, Baum und Strauch, sehe ich Pakete mit Geschichten liegen, die man nur öffnen muss. Und das mache ich, wie gesagt, einmal im Jahr – und so gern! Von manchem bin ich immer wieder überwältigt, bei anderem konstatiere ich froh, es ein für allemal abgehakt zu haben. So, wie es wohl allen Menschen geht.

Diesmal beherrscht und verändert Corona sogar meinen alljährlichen Ausflug. Nicht nur, dass er deutlich später stattfinden musste als gewohnt; mein Steuerberater arbeitet nun im Homeoffice, ganz woanders also, so dass mein Wandeln durchs Revier meiner Kinder- und Jugendzeit diesmal flachfällt. Die andere Adresse – wieder mit dem Bus, wieder Lächeln – liegt an einer Straße, wo ich vielleicht zweimal im Leben war.

Aber auch hier liegen Erinnerungsgeschichten.
Ganz in der Nähe wohnte eine meiner Nachhilfeschülerinnen (ich hatte nur einen männlichen Schüler, der war erwachsen und lernte Deutsch als Fremdsprache): Sowohl die wunderbare Zusammenarbeit als auch der sich einstellende Erfolg (Note 2) mag meine Entscheidung angeschubst haben, Lehrerin werden zu wollen: Es machte mir Spaß, Lernstoff so aufzubereiten, dass „man“ ihn kapiert. Und wenn das dann der Fall war, freute ich mich wie eine Schneekönigin. Zwar habe ich letztlich doch nie an einer Schule gearbeitet (sieht man von ein paar kleineren temporären Projekten ab), immerhin aber war ich 21 Jahre lang Lehrbeauftragte an einer Hochschule.

Und dann sehe ich plötzlich die Kirche an meinem Weg! Deren Glasfenster sind von Hilde Hoffmann-Schulte (1937 – 2014) gestaltet, einer Dortmunder Künstlerin. Ich war noch ganz jung, und sie kaufte damals ein Bild von mir. Soooo stolz war ich … und überredete meine Mutter, mit mir jene Kirche anzusehen, weil ich wissen wollte, wie meine Bilderkäuferin arbeitete. Meine Mutter mochte eigentlich keine Kirchenbesichtigungen, aber der längere Spaziergang mit mir reizte sie wohl doch. Und ich fand es klasse, eine Künstlerin zu kennen, deren Entwürfe so einige Kirchen und andere Gebäude mitprägten.

Natürlich komme ich diesmal nicht hinein in den Kirchenraum. Auch wenn sich manche Öffnungszeiten gebessert haben, so macht spätestens Corona wieder einen Strich durch diese Rechnung. Ich kann nur – mit und ohne Kamera – ein bisschen durch die Buntglasstücke „spieksen“, wobei meine Fotos der Künstlerin natürlich nicht gerecht werden (können). Oder vielleicht doch, ein bisschen jedenfalls – indem wir uns künstlerisch für einen Moment verbinden?

Damals war noch nicht abzusehen, dass auch ich Kirchenräume mitgestalten würde, mit meiner Kunst und von mir kuratierten Wechselausstellungen. So schließen sich Kreise.

Und ich danke jedem, der meiner Biografie ein Mosaiksteinchen zugefügt hat. Viele davon durfte ich in „meiner“ Stadt Dortmund aufsammeln. Meine Kurzbesuche frischen das auf, und ich bin glücklich, alles für einen Moment aufleben zu lassen.

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Veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung der Verfasserin. Der Text ist zuerst im eigenen Blog von Marlies Blauth erschienen, in dem auch einige Beispiele ihrer künstlerischen Arbeit zu sehen sind:

kunst-marlies-blauth.blogspot.com
© Marlies Blauth, 2020




In diesen Zeiten muss man sich Gehör verschaffen: Gesammelte Aussagen zu „Corona und Kultur in Dortmund“

Dortmunds Kulturdezernent Jörg Stüdemann bei der heutigen Pressekonferenz. (Screenshot der Streaming-Übertragung)

Auch wenn die Aussagen noch nicht allzu konkret sein konnten: Es war schon einmal gut, dass diese Pressekonferenz überhaupt stattgefunden hat. Denn „die Kultur“ muss sich gerade in diesen Zeiten Gehör verschaffen. Unter dem Titel „Corona und die Kultur in Dortmund“ gab es heute im Rathaus der Stadt vor allem Statements auf der Chefebene der großen Kultureinrichtungen, aber auch aus der freien Szene. Ich habe den Termin via Live-Stream verfolgt.

Stadtdirektor und Kulturdezernent Jörg Stüdemann skizzierte eingangs die Lage und erkannte – bei allen Problemen – auch eine „positive Novität“: Im Gegensatz zu mancher früheren Debatte, in der Kultur als „erste Spardose“ gegolten habe, seien die kulturellen Einrichtungen diesmal von Anfang an in Überlegungen und Beratungen mit einbezogen worden.

Insgesamt aber müsse man von „gravierenden Erschütterungen“ sprechen, „wie wir sie bisher nicht kannten“. Das Thema habe etliche Perspektiven und Aspekte. Es gehe um die Situation der Institute, um die der ausübenden Künstlerinnen und Künstler und nicht zuletzt um das Publikum. Bleibe es durch die Krise hindurch loyal und stehe es treu zum Theater, zum Konzerthaus, zu den Museen und anderen Kulturstätten? Bislang, so Stüdemann, habe das Publikum eine erstaunliche Solidarität bewiesen, für die er herzlich danken wolle. Beispiel: Viele vorab bezahlte Tickets für abgesagte Vorstellungen würden nicht zurückgegeben.

Stüdemann mahnte dreierlei dringenden Bedarf an:

1.) Die inzwischen ausgelaufenen, weil hoch „überzeichneten“ Soforthilfe-Programme für Kulturschaffende müssten sehr bald verlängert werden. Als Beispiel nannte er Baden-Württemberg, wo es neuerdings eine Grundsicherung für Künstler(innen) von rund 1100 Euro im Monat gebe, die von anderen Bundesländern gut kopiert werden könne. Ein Appell ans Land NRW also.

2.) Die Einrichtungen der freien Szene bräuchten Infrastruktur-Programme, damit sie auch nach der Krise noch existieren könnten.

3.) Man müsse sehr zeitig „Exit-Strategien“ vorbereiten und einleiten, denn Betriebe wie Theater oder Konzerthaus könnten nicht einfach von heute auf morgen wieder die Bühnen bespielen, sondern bestenfalls nach einem Vorlauf von 6 bis 10 Wochen. In die entsprechenden Planungen sollten unbedingt die Fachleute aus den Kulturhäusern eingebunden werden.

Stefan Mühlhofer, Leiter der Kulturbetriebe Dortmund. (Screenshot der Streaming-Übertragung)

Stefan Mühlhofer, Direktor der Dortmunder Kulturbetriebe, sieht es als sicher an, dass man bei Wiederaufnahme des Spielbetriebs und anderer kultureller Angebote nicht einfach „den Schalter umlegen kann“. Es werde zunächst vieles anders sein als vor Corona. Man habe inzwischen einige Aktivitäten (Volkshochschule, Musikschule) auf digitale Verbreitung umgestellt, was auch recht gut funktioniere. Dennoch könne dies auf Dauer kein Ersatz für Präsenz-Veranstaltungen sein. Ein Originalbild im Museum sei eben etwas ganz anderes als eine Abbildung im Buch oder ein Video. Apropos: Wahrscheinlich bis Mitte dieser Woche solle ein Papier zur möglichen Öffnung der städtischen Museen vorliegen – mit einer Perspektive für Anfang oder Mitte Mai. Auch hier gilt freilich: Die Stadt allein kann nichts bewirken. Das Land NRW muss es zulassen. Übrigens: In Berlin dürfen die Museen schon wieder öffnen.

Hendrikje Spengler, Leiterin des Kulturbüros Dortmund. (Screenshot der Streaming-Übertragung)

Hendrikje Spengler, Leiterin des Kulturbüros Dortmund, berichtete, man habe sich in den letzten Wochen durch einen wahren Wust an Informationen, Erlässen und Verordnungen kämpfen müssen. Es sei aber gelungen, das alles zu strukturieren – vor allem im Sinne der Kulturschaffenden, denen häufig alle Verdienstmöglichkeiten weggebrochen seien. In der Kulturszene herrsche derweil keine Larmoyanz, im Gegenteil: Geradezu kraftvoll seien ständig neue Ideen entwickelt worden, um trotz Corona (digital) wahrgenommen zu werden.

Claudia Schenk, Sprecherin der freien Szene. (Screenshot der Streaming-Übertragung)

Claudia Schenk aus dem Leitungsgremium des „Depots“ trat als Sprecherin der freien Kulturszene an. Diverse Zentren der freien Szene wären ohne die bislang geleistete Landeshilfe vielleicht schon für immer geschlossen worden, befand sie. Streaming sei zwar gut, um im Gespräch zu bleiben, es generiere aber keine Einnahmen. Sie verwies auch auf Fälle wie etwa jene freiberuflichen Bühnentechniker, die auf einmal vor dem Nichts stünden. Man warte auf konkrete Handlungsanweisungen für einen Exit, also für die Wiederaufnahme des Betriebs unter veränderten Bedingungen. Frau Schenk stellte zudem mit Blick auf die nächsten Jahre die bange Frage, ob es im Kulturbereich wohl Streichungen und Kürzungen geben werde. Schließlich zähle Kultur leider immer noch zu den freiwilligen Leistungen der Kommunen und nicht zu den Pflichtaufgaben.

Sprach fürs Theater: Tobias Ehinger. (Screenshot der Streaming-Übertragung)

Tobias Ehinger, geschäftsführender Direktor des Theaters, erinnerte sich an die letzten Monate vor der Krise, als das Dortmunder Theater ein Hoch erlebt und neue Besucherrekorde angepeilt habe. Dann wurde man jäh ausgebremst. Sehr schnell habe man dann umgedacht, beispielweise habe die Theaterwerkstatt Mundschutzmasken hergestellt. In der Krise habe sich überhaupt gezeigt, wie wichtig der soziale Aspekt und die Verankerung in der Gesellschaft fürs Theater seien. Streaming könne kein wirkliches Bühnenerlebnis ersetzen, auch seien die digitalen Möglichkeiten schnell ausgereizt. Als eine beispielhafte Aktion nannte Ehinger den Musik-Truck, der vor Altenheimen vorfahre und – draußen vor den Türen – z. B. mit Gesangs-Darbietungen den Senioren ein wenig zwischenmenschliche Wärme vermittle. Ehinger ist überzeugt, dass man ab Anfang September wieder spielen werde – allerdings völlig anders, mit eigens zugeschnittenen Inszenierungen und vor deutlich weniger Zuschauern. Im Hinblick auf den 1. September sei ein Planungsvorlauf von etwa 10 Wochen nötig. Das würde bedeuten: Bereits Mitte Juni müsste man in die Vorbereitungen einsteigen. Insgesamt gelte es, die gesellschaftlichen Errungenschaften durch die Krise zu erhalten. Dabei sei Kultur unbedingt „systemrelevant“.

Konzerthaus-Chef Raphael von Hoensbroech. (Screenshot der Streaming-Übertragung)

Raphael von Hoensbroech, Intendant des Konzerthauses Dortmund, betonte den Gedanken der Systemrelevanz noch stärker. Kultur solle nicht nur am Tisch Platz nehmen, an dem die Relevanz verhandelt werde. Vielmehr sei sie – einem Ausspruch des Cellisten Yo-Yo Ma zufolge – sozusagen selbst dieser Tisch, also die Grundlage der Gesellschaft. Das Konzerthaus mit seinem sehr großen Saal sowie ausgeklügelter Be- und Entlüftung sei bei reduziertem Publikum kein riskanter Ort. Er halte ansonsten nicht viel von pauschalen Obergrenzen, es komme stets aufs Einzelereignis an. Voluminöse Auftritte mit großen Chören und Orchestern seien jedoch vorerst auszuschließen. Die Stadt Dortmund habe sich zu den Perspektiven des Konzerthauses beherzt und klar positioniert. Was jedoch aus Regierungskreisen in Berlin und vom Städtetag komme, sei wenig hilfreich.

Jörg Stüdemann blieb das vorläufige Fazit vorbehalten. Als studierter Germanist quasi von Haus aus kulturaffin und biographisch auch als Mitarbeiter eines Kulturzentrums (schon länger ist’s her: Zeche Carl in Essen) mit der Szene vertraut, kann die Interessenlage von Kulturschaffenden wohl recht gut nachempfinden und in vernünftige politische Bahnen lenken. Allerdings vermag er – obwohl zugleich Stadtkämmerer – natürlich nicht beliebig viele Kulturmittel aus dem städtischen Etat zur Verfügung zu stellen. Für die nächste Zeit mahnte Stüdemann ethische und „wertsetzende Handlungsweisen“ in der Kulturpolitik an, die sich einer bloßen Einspar-Mentalität widersetzen und keinesfalls „autoritativ oder autoritär“ vorgehen solle. Wie sich gezeigt habe, müssten nun vor allem zwei Anforderungen vorrangig erfüllt werden: „Wir müssen mehr in die Digitalisierung investieren, auch in Qualifizierung und technische Ausrüstung.“ Und: In jeder Hinsicht müsse jetzt über „Gestaltungs-Alternativen“ nachgedacht werden. Wohlan denn!

Viel guter Wille also, aber noch unklare Perspektiven. Die Kultur, so ahnt man, wird (ebenso wie andere Bereiche) „nach Corona“ nicht mehr dieselbe sein können wie zuvor.




Corona-Wortsammlung – weitgehend ohne Definitionen, aber fortlaufend aktualisiert

Wohl unter „M“ einzuordnen: in diesen Tagen ratsame bzw. pflichtgemäße Mund-Nasen-Bedeckungen. (Update: Achtung, Achtung! Solche Stoffexemplare sind mittlerweile durch medizinische Masken zu ersetzen). (Foto: BB)

Hier ein kleines Corona-„Lexikon“, darinnen etliche Worte, Wendungen, Zitate, Namen und Begriffe, von denen wir zu Beginn des Jahres 2020 nicht einmal zu träumen gewagt haben; aber auch bekannte Worte, die im Corona-Kontext anders und häufiger auftauchen, als bislang gewohnt. All das zumeist ohne Definitionen und Erläuterungen, quasi zum Nachsinnen, Ergänzen und Selbstausfüllen. Und natürlich ohne jeden Anspruch auf Vollständigkeit, aber von Zeit zu Zeit behutsam ergänzt. Vorschläge jederzeit willkommen.

Dazu ein paar empfehlende Hinweise: Die Gesellschaft für Deutsche Sprache hat sich einige Wochen lang in einer Serie mit den sprachlichen Folgen der Corona-Krise befasst, hier ist der Link.

Eine mit derzeit (März 2021) rund 1200 Einträgen sehr umfangreiche Liste von Corona-Neologismen hat das in Mannheim ansässige Leibniz-Institut für Deutsche Sprache online gestellt. Bitte hierher.

Das Digitale Wörterbuch der deutschen Sprache (DWDS) hat ein umfangreiches Corona-Glossar veröffentlicht, dazu bitte hier entlang.

Ein Glossar zum phänomenalen NDR-Podcast mit Prof. Christian Drosten und Prof. Sandra Ciesek findet sich hier.

Einige weitere Erklärungen hat die Zeitschrift GEO gesammelt, und zwar hier.

In ihrer Ausgabe vom 4. Januar 2021 (!) ist die „Süddeutsche Zeitung“ in Person des Autors und Dramaturgen Thomas Oberender schließlich auch auf den Trichter gekommen und bringt unter der Zeile „Die Liste eines Jahres“ eine recht umfangreiche Wortsammlung. Daraus habe ich mir auch ein paar Ausdrücke genehmigt. Oberender darf sich wiederum hier bedienen.

Nun aber unsere Liste der Wörter, Wendungen und Namen:

1,5 Meter Abstand
2 Meter Abstand
2-G-Regel („geimpft oder genesen“)
2-G-plus („geimpft oder genesen und getestet)
3-G-Regel („geimpft, genesen, getestet“)
3-G-plus (nur mit PCR-Test, nicht mit Antigen-Text)
6-Monats-Abstand (bzw. 3, 4 oder 5 Monate – zwischen Zweitimpfung und „Boostern“)
7-Tage-Inzidenz
15-Minuten-Regel (Gesprächsdauer, die das Risiko begrenzt)
15 Schüler(innen) im Klassenraum
15-Kilometer-Radius (um den Wohnort)
20 Quadratmeter pro Kunde (in größeren Geschäften ab 26.11.2020)
21 Uhr (Ausgangssperre)
23 Uhr (Sperrstunde)
-70 Grad (erforderliche Kühlung des BioNTech-Impfstoffs)
800 Quadratmeter (Verkaufsfläche)
50.000 Arbeitsschritte (zur Produktion des BioNTech-Impfstoffs)
100.000 Einwohner (Maßzahl zur Inzidenz)

Absagen
absondern
Abstand
Abstrich
achthundert Quadratmeter (Verkaufsfläche)
Adenoviren
Aerosol
Aerosolbildung
AHA-Formel (Abstand – Hygiene – Alltagsmaske)
AHA-Regeln
AHA+L (…plus Lüften)
Akkolade (französ. Wangenkuss-Begrüßung, nunmehr verpönt)
Alkoholverbot
#allesdichtmachen (umstrittene Schauspieler-Aktion)
#allesschlichtmachen
„Alles wird gut!“
Allgemeinverfügung
Alltagsmaske
Alpha (neuer Name für britische Mutante)
Altenheime
Alterskohorte
Aluhut
„an Corona“ (verstorben – vgl.: „mit Corona“)
„andrà tutto bene“
Antikörper
Antikörpertest
App (zur Nachverfolgung)
Armbeuge (Hust- und Nies-Etikette)
AstraZeneca (Impfstoff-Hersteller)
asymptomatisch
„auf dünnstem Eis“ (Merkel)
„aufgrund der aktuellen Umstände“
„auf Sicht fahren“
aufsuchende Impfung
Ausgangssperre
Autokino (Renaissance)
AZD1222 (Impfstoff von AstraZeneca)
AZD7442 (Medikament von AstraZeneca)

B.1.1.7 (britische Mutation des Corona-Virus / Aplha)
B.1.1.28.1 – P.1 (brasilianische Mutation)
B.1.1.529 (neue südafrikanische Variante, November 2021)
B.1.351 (südafrikanische Mutation)
B.1.526 (New Yorker Mutation)
B.1.617 (indische Mutation / Delta)
BA.2 (BA.1, BA.3) Subtypen der Omikron-Variante
Balkongesang
Balkonklatscher
Bamlanivimab (Antikörper-Medikament)
„Bazooka“ (massive Geldmittel – laut Olaf Scholz)
Beatmung
Beatmungsgerät
bedarfsorientierte Notbetreuung (Kita)
Beherbergungsverbot
behüllte Viren
Bergamo
„Bergamo ist näher, als viele glauben.“ (Markus Söder, 13.12.2020)
Bernhard-Nocht-Institut
Besuchsverbot (Alten- und Pflegeheime)
Beta (neuer Name für südafrikanische Mutante / B.1.351)
Bfarm-Liste (Auflistung der Antigen-Tests)
Bildungsgerechtigkeit
„Bild“-Zeitung (Kampagne gegen Drosten etc.)
Biontech / BioNTech (Impfstoff-Hersteller)
Black-Swan-Phänomen
Blaupause, keine
„Bleiben Sie gesund“ (Grußformel)
Blitz-Lockdown (vor Weihnachten/Silvester 2020)
Blutgerinnsel
BNT 162b2 (Biontech-Impfstoff)
Böller-Verbot
Booster
Booster-Impfung
boostern
Bremsspur („Das Virus hat eine unglaublich lange Bremsspur“ – Jens Spahn)
Brinkmann, Melanie (Helmholtz-Zentrum, Braunschweig)
„Brücken-Lockdown“ (Armin Laschet am 5. April 2021)
Bundesliga (Geisterspiele etc.)
Bundesnotbremse
Buyx, Alexa (Vorsitzende Deutscher Ethikrat)

C452R (Teil der indischen Doppelmutante)
CAL.20C (kalifornische Mutante)
case fatality
Casirivimab (Antikörper-Medikament)
Celik, Cihan (Leiter der Covid-Station am Klinikum Darnstadt)
China
Chloroquin
Ciesek, Sandra (Virologin, Frankfurt/Main)
Click & collect (Bestellung und Abholung)
Click & meet (Shoppen mit Termin)
Comirnaty (Handelsname des Biontech-Impfstoffs)
Contact Tracing
COPD (Lungenkrankheiten)
Corona
Corona-Ampel
coronabedingt
Corona-Biedermeier
Corona-Bonds
Corona-Blues
Corona-Chaos
Corona-Deutschland
„Corona-Diktatur“
Corona-Ferien
coronafrei
coronahaft
Corona-Gipfel
Corona-Hilfsfonds
Corona-Hotspot
Corona-Kabinett
Corona-Krise
Corona-Koller
Corona-Müdigkeit
Corona-Mutation
Corona-Notabitur
Corona-Pandemie („Wort des Jahres“ 2020)
Corona-Panik
Corona-Party
Corona-Schockstarre
Corona-Skeptiker
Corona-Tagebuch
Corona-Ticker
Corona-Verdacht
Corona-Winke (Gruß aus der Distanz)
Corona-Zoff
Coronials („Generation Corona“)
coronig
coronös
„Corontäne“ (Quarantäne wg. Corona)
Corozän (Corona-Zeitalter)
Cove (Impfstoff von Moderna)
Covid-19
Covidioten (Hashtag / siehe Verschwörungstheoretiker)
CovPass (App)
CureVac (Impfstoff-Hersteller)

Datenschutz (bei der Corona-Warn-App)
„Dauerwelle“
Decke auf den Kopf („Mir fällt die…“)
Dekontamination
Delta (neuer Name für die indische Mutante)
Delta Plus (Variante der Variante: B.1.617.2.1)
Desinfektion, thermische
Desinfektionsmittel
Desinfektionsmittel spritzen (Trump)
„Deutschland macht sich locker“
Dezemberhilfe(n)
Digitaler Impfnachweis
Digitaler Unterricht
„Distanz in den Mai“ (statt „Tanz in…“)
Distanzschlange
Distanzunterricht
Divi-Intensivregister
„Doppelmutante“ (indische Mutation, laut Prof. Drosten irreführender Begriff)
„dorfscharf“ (lokale Grenzziehungen beim Lockdown)
dritte Welle (befürchtet im Frühjahr 2021)
Drittimpfung
Drive-in-Test
Drosten, Christian (Charité, Berlin)
Drosten vs. Kekulé
durchgeimpft
Durchseuchung

E484Q (Teil der indischen Doppelmutante)
Ebola
Eindämmung
eineinhalb Meter (Abstandsregel)
eingeschränkter Pandemiebetrieb
eingeschränkter Regelbetrieb
Einreisestopp
„Einsperr-Gesetz“ (Ausgangsbeschränkungen laut „Bild“-Zeitung)
Einweghandschuhe
E-Learning
Ellbogencheck (Corona-Gruß)
Ema (Europäische Arzneimittel-Agentur)
Epidemie
Epidemiologie
„Epidemische Lage (von nationaler Tragweite)“
„Epidemische Notlage nationaler Tragweite“
Epizentrum
Epsilon (Virus-Variante B.1.427 / B.1.429)
Erntehelfer
Erstgeimpfte
Eta (Virus-Variante B.1.525)
Etesevimab (Antikörper-Medikament)
Exit-Strategie
exponentiell (Wachstum)

Falk, Christine (Präsidentin Dt. Gesellschaft für Immunologie, Hannover)
Fallsterblichkeit
Fallzahlen
fatality
Fatigue
Fauci, Anthony (US-Virologe)
Fax (Kommunikations-Instrument mancher Gesundheitsämter)
„…feiert keine stille Weihnacht.“ („Das Virus feiert…“ / Olaf Scholz am 13.12.2020)
Ffp2
Ffp3
flatten the curve
Fledermaus
Fleischfabriken
Flickenteppich (Föderalismus)
Fluchtmutation
forsch / zu forsch (Lockerungen, laut Merkel)
free2pass (App für Tests und Einlasskontrolle)
Freiheit
Frisöre / Friseure
Fuß-Gruß

G 5 (Verschwörungstheorie um den Mobilfunkstandard)
Gästeliste (Pflicht im Lokal)
Gamma (neuer Name für brasilianische Mutante / P.1)
„Gang aufs Minenfeld“ (Erfurts OB über Lockerungen in Thüringen)
Gangelt
Gastronomie
Gates, Bill
Geisterspiele (Bundesliga etc.)
Genesene
Genesenenstatus
Geruchs- und Geschmacksverlust (als Corona-Symptom)
geschlossene Räume
geteilte Schulklassen
Google Meet (Videokonferenz-Plattform)
Grenzkontrollen
Grenzschließungen
Großeltern (nicht) besuchen
„Grüner Pass“ (Israel / bescheinigt Corona-Impfung)
Grundimmunität
Grundrechte
Grundsicherung
Gütersloh (kreisweiter Lockdown wg. Tönnies)

Händedruck (kein)
Händewaschen
Härtefall-Fonds
häusliche Gewalt
hammer and dance
Hamsterkäufe
hamstern
Heimbüro
„Heimsuchung“ (Angela Merkel am 25. Oktober 2020)
Heinsberg
Heizpilze (herbstliche Option für Gastro-Betriebe)
„Held / Heldin des Alltags“
Helmholtz-Gemeinschaft
Hepa-Filter
Herdenimmunität
Herold, Susanne (Uniklinik Gießen)
heterologe Impfung (zwei verschiedene Impfstoffe bei Erst- und Zweitimpfung)
Hildmann, Attila
Hintergrundimmunität
Hintergrundinfektion
Hirnvenenthrombosen
Hochrisikogruppe
Hochzeitsfeier
Home-Office
Home-Schooling
Hospitalisierungs-Inzidenz
Hospitalisierungsrate
Hotspot
Husten
Hust- und Nies-Etikette
Hybrid-Unterricht
„Hygiene-Demos“
Hygieneplan
Hygiene-Konzept
Hygiene-Regeln
Hygiene-Standards
Hyperglobalisierung

Ibuprofen
Imdevimab (Antikörper-Medikament)
Immunabwehr
Immun-Escape
Immunologe
Impfangebot
Impfbereitschaft
Impfbus
„Impfchaos“
Impfdosen
Impfdosis
Impfdrängler
Impfdurchbruch (Infektion trotz Impfung)
Impfgegner
Impfgipfel
Impfling
Impflücke
Impfneid
Impfpass
Impfpflicht
Impfquote
Impfreihenfolge
Impfskeptiker
Impfstau
Impfstoff
„Impfstoff-Nationalismus“
Impfstraße
Impfstrategie
Impftermin
Impfung
Impfversprechen
Impfverweigerer
Impfvordrängler
Impfwilligkeit
Impfzentrum
Impfzwang
„Impfzwang durch die Hintertür“
inaktivierte Vakzine
Infektionsampel
Infektionskette
Infektions-Notbremse
Infektionsschutzgesetz (IfSG)
„Infodemie“
Inkubationszeit
Insolvenz(en)
„Instrumentenkasten“ (verfügbare Corona-Maßnahmen)
Intensivbetten
Intensivkapazität
Intensivstation
Inzidenz
Inzidenz-Ampel
Inzidenzwert
„In (den) Zeiten von Corona“
Iota (Virus-Variante B.1526)
Ischgl
Isolation
Israel (weltweites Impf-Vorbild)
Italien

„Jens, jetzt keine Emotionen!“ (Angela Merkel zu Jens Spahn – beim Impfgipfel am 1.2.2021)
Johns-Hopkins-Universität
Johnson & Johnson (Impfstoff-Hersteller)

Kappa (Virus-Variante B.1.617.1)
Kappensitzung (Heinsberg etc.)
Kariagiannidis, Christian (Leiter Insensivbettenregister)
Kassenumhausung
Kaufprämie (für Autos)
Keimschleuder
Kekulé, Alexander S.
„…kennt keine Feiertage.“ („Das Virus kennt…“)
„…kennt keine Ferien.“ („Das Virus kennt…“)
„…kennt keine Grenzen.“ („Das Virus kennt…“)
Kita-Schließungen
„Kleeblatt-Prinzip“ (bei Verlegung von Intensiv-Patienten in andere Bundesländer)
Kliniken (im RKI-Jargon auch „Klinika“)
Knuffelcontact (Belgisch/Flämisch für den möglicherweise einzigen Kuschelkontakt)
„körpernahe Dienstleistungen“
Kontaktbeschränkung
kontaktlos
kontaktloses Bezahlen
Kontaktperson
Kontaktsperre
Kontaktsport(arten)
Kontakttagebuch
kontaminierte Oberfläche
Kreuzimpfung (z. B. Erstimpfung mit AstraZeneca, Zweitimpfung mit Biontech)
„Krise als Chance“
Krisengewinn(l)er
Krisenreaktionspläne
Kulturschaffende
Kurzarbeitergeld

laborbestätigt
Lambda (Virus-Variante C.37)
Laschet, Armin
Lauterbach, Karl (Gesundheitsminister ab Dez. 2021)
Leopoldina
Letalität
„(das) letzte Weihnachten mit den Großeltern…“ (Angela Merkel)
Lieferketten
Liquiditätshilfen
Lockdown
Lockdown Light
Lockerung
„Lockerungsdrängler“ (Röttgen)
Lockerungsperspektive
Lockerungsübung
Lolli-Test
Lombardei
Long-Covid (Langzeit-Nachwirkungen)
Luca (Warn-App)
Lüftung
Lungenentzündung

„macht sich locker“ („Deutschland macht…“)
Marderhunde (mögliche Virusquelle, laut Drosten)
Maske
Maskenintegrität
Maskengutschein
Maskenmuffel
Maskenpflicht
Maskenverweigerer
Maßnahmen
„mehr als 90 Prozent“ (Imfstoff-Wirksamkeit)
Meldeverzug
Merkel, Angela
MERS
Meyer-Hermann, Michael (Helmholtz / Braunschweig)
„mit Corona“ (verstorben)
mobile Impfteams
Moderna (US-Impfstoff-Hersteller)
Molnupiravir (Corona-Medikament)
Mortalitätsrate
mRNA-1273 (Impfstoff von Moderna)
mRNA-Impfstoff
„mütend“ (Corona-Gefühlslage, Mischung aus mürbe und wütend – oder müde und wütend)
Mund-Nasen-Schutz (MNS)
Mundschutz (Plural: Mundschutze)
Mutanten
Mutation

Nachverfolgung
„Nasenbohren“ (saloppe Umschreibung für manche Schnelltests)
Nena (Corona-Verharmloserin)
neuartig(es)
„Neue Normalität“
Neuinfektionen
New York
niederschwellige Basisschutz-Maßnahmen
Nies-Etikette
No-Covid-Strategie
Normalität
Notbetreuung
Notbremse (harte N. / flexible N.)
Notstand
Novavax (Impfstoff-Hersteller)
Novemberhilfe(n)
Null-Covid-Strategie

Obergrenze für Neuinfektionen
„Öffnungsdiskussionsorgien“ (Merkel)
Öffnungsschritte
„Öffnungsrausch“ (Markus Söder)
Olympische Spiele (in Tokyo praktisch ohne Live-Zuschauer)
Omikron / Omicron (neue südafrikanische Variante, November 2021)
Omikron-Wand (Steigerung der Omikron-Welle)
on hold („angehaltenes“ Leben)
Online-Aufführung
OP-Maske

P.1 (brasilianische Virus-Mutation)
Palmer, Boris (OB Tübingen)
Pandemie
Pandemie-Müdigkeit
Pangolin (Gürteltier als möglicher Zwischenwirt)
„Paranoia-Promis“ (Hildmann, Naidoo, Wendler, Jebsen etc.)
Party
Patentfreigabe
„Patient Null“ (ursprünglicher Überträger)
Paul-Ehrlich-Institut
Paxlovid (Corona-Medikament von Pfizer)
PCR-Test
PEG (Polyethylenglykol / Inhaltsstoff von Impfmitteln)
Penninger, Josef (speziell für unsere österreichischen Freunde)
persönliche Schutzausrüstung (PSA)
Pest (Referenz-Seuche)
Pflegeheime
Pflegekräfte
Pflegenotstand
physical distancing
„Piks“ (etwas infantile Bezeichnung für die Impfung)
Plateau
Pleitewelle
Pneumokokken
Pneumonie
„Pobacken zusammenkneifen“ (Appell von RKI-Chef Wieler am 12.11.2020)
Positivrate (z. B. pro 1000 Tests)
Postcorona (die Zeit „danach“)
Präsenzunterricht
Präsenzveranstaltung
Präventions-Paradox
Prepper
Preprint (vorveröffentlichte Wissenschafts-Studie)
Priesemann, Viola (Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation, Göttingen)
Prio (neuerdings gängige Abkürzung)
priorisieren
Prioritätsgruppe
Prof.
proteinbasierte Impfstoffe

Quarantäne
„Querdenker“ (Euphemismus für Verschwörungstheoretiker)

Rachenabstrich
Ramelow, Bodo (Vorreiter der Lockerung)
Regelbetrieb
Regeneron (US-Hersteller von Antikörper-Cocktails)
Reiserückkehrer
Reisewarnung
Remdesivir
Reproduktionsrate (gern 0,7 oder niedriger)
Respiration
Restart (Bundesliga)
Rettungsschirm
Rezeptoren
Rezession
R-Faktor
R-Wert
Risikogebiet
Risikogruppe
RKI
Robert-Koch-Institut
Rückholaktion
„Ruhetage“ (Gründonnerstag & Ostersamstag 2021 / verkündet 23.3.2021 – zurückgenommen 24.3.2021)

SARS
SARS-CoV-2
Schaade, Lars (RKI-Vizepräsident)
Schichtunterricht
Schlachthöfe (Coesfeld etc.)
Schlangenmanagement
Schlauchboot-Party (Berlin, Landwehrkanal)
Schleimhautschutz
Schmidt-Chanasit, Jonas (Bernhard-Nocht-Institut, Hamburg)
Schmierinfektion
„schmutzige Impfung“ (absichtliche Infektion mit erhoffter Genesung)
„Schnauze voll“ (Hessens Ministerpräs. Bouffier im Feb. 2021: „Die Leute haben die…“)
Schnelltest
Schnutenpulli
Schulschließungen
Schutzkittel
Schutzmaske
Schutzschirm
schwedischer Sonderweg
schwere Verläufe

Seife
Seitwärtsbewegung (Minister Spahn über kaum noch sinkende Infektionszahlen)
Selbstisolation
Sentinel-Testung (Stichproben statt Massentests)
Sequenzierung
Shutdown
Sieben-Tage-Inzidenz
Sieben-Tage-R
Sinovac (chinesischer Impfstoff)
Sinusvenen-Thrombosen
Skype
social distancing
Soloselb(st)ständige
soziale Distanz
Spahn, Jens (Gesundheitsminister, auch infiziert)
Söder, Markus
Soforthilfe
Soloselbstständige
Spanische Grippe
Sperrstunde
Spike-Protein
Speicheltest (Schnelltest)
Spuckschutz
Spucktest (Schnelltest)
Sputnik V (russischer Impfstoff)
Statistik
Stay-at-home
sterile Immunität
Stiko (Ständige Impfkommission)
Stoßlüftung
Streeck, Hendrik (Virologe, Bonn)
Stürmer, Martin (Virologe, Frankfurt)
Südkorea
Superspreader
Superspreading-Ereignis
systemrelevant

„Team Vorsicht“ (Formulierung von Markus Söder)
Tegnell, Anders (Schwedischer Epidemiologe)
Telearbeit
Telefonkonferenz (Telko)
Temperaturscanner
Test
Testkapazität
Testzentren (teilweise unter Betrugsverdacht)
Theaterschließungen
Theta (Virus-Variante P.3)
Thrombose (angebliche Impffolge)
Tönnies
Toilettenpapier
Totimpfstoff
Tracing-App
Tracking-App
„Treffen Sie niemanden!“ (Österreichs Kanzler Kurz am 14.11.2020)
Triage
Tröpfcheninfektion
„trotz Corona“
Trump, Donald (Erkrankter)
Twitter (Plattform auch für Corona-Dispute)
„Tyrannei der Ungeimpften“ (Frank Ulrich Montgomery, Vorsitzender des Weltärztebundes)

Überbrückungsgeld
Übersterblichkeit
„Unheil“ (Angela Merkel am 14. Oktober 2020)
Untersterblichkeit

Vakzine
Variant of concern
Vaxzevria (neuer Name des AstraZeneca-Impfstoffs, seit 26.3.2021)
Verdoppelungsrate
verimpft („Sie haben 2000 Dosen verimpft“)
Vektorimpfstoff
Vektorwechsel
Verschwörungserzählung
Verschwörungsmythen
Verschwörungstheoretiker (Jebsen, Hildmann, Schiffmann, Soost, Naidu u.a.)
verzeihen
Verzeihung
Videokonferenz (Viko)
vierte Welle (befürchtet für und dann eingetreten im Herbst 2021)
Virologe(n)
Virologie
Virulenz
Virus, das
Virus, der
Virusvariantengebiet
viruzid
Volksmaske
vollständig geimpft
„Vom Verbot zum Gebot“
Vorerkrankungen
vulnerabel

„Wand“ (siehe Omikron-Wand)
Watzl, Carsten (Immunologe, Leibniz-Institut, Dortmund)
Wechsel-Unterricht
„wegen Corona“
Wellenbrecher
Wellenbrecher-Lockdown
Wendler, Der (noch so’n Corona-Leugner)
Westfleisch
WHO
Wieler, Lothar H. (RKI-Präsident)
Wildtyp
„Wir bleiben zu Hause“
Wodarg, Wolfgang
Wohnzimmerkonzert
Worst-Case-Szenario
Wuhan
„Wumms“ („Mit Wumms aus der Krise“ – Finanzminister Olaf Scholz)

Zarka, Salman (Corona-Regierungsberater in Israel, genannt „Corona-Zar“)
Zero Covid (niedrigstes Ziel)
Zero-Covid-Strategie
Zeta (Virus-Variante P.2)
Zoom (Plattform für Online-Konferenzen)
Zoonose
Zweihaushalte-Regel
„Zweimal ,Happy Birthday‘ singen“ (Zeitmaß fürs Händewaschen)
zwei Meter (Abstand)
zweite Welle
Zweitgeimpfte

_____________________________

Danke für Anregungen und Ergänzungen, die mich u. a. via Facebook erreicht haben.

Bei Virologe, Immunologe etc. bitte jeweils die weiblichen Formen hinzudenken.




Auf dem weiten Feld der Online-Vorlesungen – zum Beispiel: über Pest und Klimawandel im 14. Jahrhundert

Blick in den (virtuellen) Hörsaal, Aufzeichnung einer Tübinger Vorlesung im Sommersemester 2008: Prof. Ellen Widder über die „Krise des Spätmittelalters – 14. Jahrhundert“ (Screenshot aus: https://timms.uni-tuebingen.de/tp/UT_20080508_001_14jhd_0001)

Auf der Suche nach sinnreichen Online-Auftritten bin ich dieser Tage nicht nur auf die zeitgeschichtlich hochinteressanten TV-Interviews von Günter Gaus gestoßen, sondern habe auch – abermals – die Möglichkeit wiederentdeckt, virtuelle Hörsäle zu besuchen, will heißen: aufgezeichnete (und oft auch ausgezeichnete) Uni-Vorlesungen aus etlichen Fachbereichen anzuschauen.

Da kann man sich probehalber in Wissensgebiete „verirren“, von denen man eigentlich partout keine Ahnung hat(te)! Nehmen wir als ein herausragendes Beispiel nur die Website der Universität Tübingen, die unter dem Kürzel „Timms“ rasch zu finden und per Suchmaske aufzuschlüsseln ist. Alles ist frei zugänglich.

Da kann man sich, sofern man denn möchte, in der Fakultät für Evangelische Theologie etwa eine insgesamt 44-stündige Vorlesung über die Psalmen zu Gemüte führen. Klingt krass. Eine Einführung in die Psychologie dürfte wohl etwas alltagstauglicher sein.

Nun aber zu den „Mint“-Fächern: Experimentalchemie I ist im Angebot, außerdem stehen Physik-Grundkurse (Mechanik, Wärme, Elektromagnetismus) oder auch – verheißungsvoll benannt – „10 Perlen der Mathematik“ im Verzeichnis. Letztere habe ich (nicht nur spaßeshalber) auf meine mittelfristige To-do-Liste gesetzt, obwohl oder gerade weil ich Mathe als Schüler so gar nicht gemocht habe. Auf dieser Liste der Vorhaben steht auch eine Einführung in die Astronomie, deren Unendlichkeiten mich schon immer fasziniert haben.

Von der Unfallchirurgie bis zum Strafprozessrecht

Auch bei den Medizinern kann man sich umsehen, beispielsweise anhand der Vorlesungen Anatomie 1 und 2 oder mit einer Einführung in die Unfallchirurgie. Wahrscheinlich nichts für allzu empfindsame Seelchen. Habe mal in eine ähnliche Vorlesung hineingeschnuppert – und es zeigte sich gleich, wie sehr die Chirurgie handwerkliche Anteile hat. Jetzt aber habe ich doch erst einmal Biologie vorgezogen: „Aufbau und Funktion der Pflanzen und Tiere“. Bei der aufgefächerten Fachbegrifflichkeit wollte ich allerdings alsbald kapitulieren. Mir gemäßer fand ich anfangs eine juristische Vorlesung über die Feinheiten des Strafprozessrechts, dessen irrwitzige Winkelzüge mich auf Dauer freilich auch irritiert zurückließen. Trotzdem gilt: Man wird nicht dümmer dabei.

So richtig zu Hause fühlt sich unsereiner dann aber doch in den Geisteswissenschaften. Also dort mal kreuz und quer geschaut, zumal bei Germanistik und Geschichte. Und da wurde ich gestern so passend fündig, dass ich vorerst gar nicht mehr aufhören wollte. Es ging um die „Krise des Spätmittelalters im 14. Jahrhundert“, eine im Sommersemester 2008 gehaltene Vorlesungsreihe von Prof. Dr. Ellen Widder, hörbar aus Westfalen stammend, aber nun eben – nach mancherlei Stationen und Gastprofessuren – in Tübingen wirkend. Ich habe ihr gebannt zugehört. Denn schon im zweiten Teil ging es nicht nur historisch, sondern sozusagen auch hochaktuell zur Sache: Klimawandel, Pest und Bevölkerungsentwicklung im 14. Jahrhundert.

Die Seuche kam aus China – in 14 Jahren über die Seidenstraße

Corona hin, Corona her. Bei der Pest, die eine medizinisch kaum geschulte Menschheit traf, reden wir von Mortalitätsraten von im Schnitt 60 Prozent, die Lungenpest zog praktisch in 100 Prozent der Fälle den Tod nach sich – manchmal binnen Stunden nach der Infektion. Ganze Landstriche wurden entvölkert und blieben als „Wüstungen“ zurück.

Aus China kommend, wo die Seuche um 1333 wohl begonnen hat, gelangte sie via Fernhandel (zu Schiff und über die Seidenstraße) um 1347 nach Europa. Sie verschonte  kaum eine Gegend in Italien, nur ausgerechnet die Landstriche um Mailand, was bis heute niemand schlüssig erklären kann. In deutschen Gefilden ging es derweil für Nürnberg ähnlich staunenswert glimpflich ab.

Schon vor der Pest hatte sich das Klima gewandelt. Es häuften sich die kühlen und nassen Sommer, so dass bei der damaligen, noch nicht vollends entfalteten Produktionsweise die Ernten viel zu gering ausfielen und es zu Hungersnöten kam. Seit dem Jahr 1000 hatte sich die mittel- und westeuropäische Bevölkerung etwa verdreifacht, nun stagnierte sie oder ging sogar regional zurück. Die Pest traf also auf eine ohnehin schon geschwächte Bevölkerung mit unzureichender Immunabwehr, wie Prof. Widder schlussfolgert.

Europa in immer neuen Schüben erfasst

Die furchtbare Seuche, die Europa schon einmal vom 6. bis ins 8. Jahrhundert heimgesucht hatte, kam seit dem 14. Jahrhundert in immer neuen, wenn auch nicht mehr gar so verheerenden Schüben wieder, als Epidemie und zeitweise als Pandemie blieb sie rund 400 Jahre auf dem Kontinent. Aber die Menschen hatten auch kein taugliches Gegenmittel. Erst 1894 (!) wurde der Pesterreger (Yersinia Pestis) entdeckt.

An den Anfang ihrer Überlegungen stellte Prof. Ellen Widder übrigens einen berühmten Text der Weltliteratur, nämlich die Einleitung in den Erzählkreis des „Decamerone“ von Giovanni Boccaccio, der die Pest erstaunlich detailreich beschreibt, übrigens aus der Perspektive einer außerordentlich privilegierten Gesellschaftsschicht. Aber an den Zusammenhang zwischen Epidemien und Klassenfragen wollen wir an dieser Stelle nicht auch noch rühren.

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Tausende Online-Vorlesungen in deutscher und englischer Sprache erreicht man z. B. über Links, die auf der folgenden Seite aufgeführt sind: https://www.fernstudi.net/magazin/10963




„Daran muss man sich erst einmal gewöhnen!“ – die Corona-Krise aus Sicht einer Zehnjährigen

Als Gastautorin schreibt die zehnjährige Stella Berke über ihre Erfahrung mit der „Corona-Krise“. Hier der authentische, unkorrigierte Text:

Das Virus und ein weinendes Emoticon… (Schnellskizze: Stella B.)

Ich bin Stella, 10 Jahre alt. Ich beschäftige mich heute mit dem Thema: „Was hat der Corona-Virus für uns Kinder für Folgen?“

Diese Frage kommt hauptsächlich auf das Kind und seine Persönlichkeit an. Nehmen wir an, wir haben ein Kind, das eigentlich jeden Tag draußen spielt, Freunde besucht und umherzieht. Für so eines ist diese Fase eher schwer hinzunehmen. Würde nun auch noch die Ausgangssperre festgelegt, wäre es eine ganz schwierige Situation. Denn all die Möglichkeiten, all der Spaß wäre vorbei. Daran muss man sich erst einmal gewöhnen!

Für ein eher ruhiges, älteres Kind wäre es leichter einzusehen. So eines hat in den meisten Fällen ein Handy und kann so Kontakt zu Freunden haben. Ich dagegen vermisse meine Freunde sehr. Ja, ich kann sie anrufen, aber spielen gegen anrufen ist doch noch etwas anderes. Wir machen es so, dass wir uns jeden Tag einen kleinen Brief schicken. Und dazu gibt es noch eine Seite mit Rätseln und Aufgaben.

Wie ist es für uns Kinder mit der Schule? Meine Freunde und ich machen uns viele Gedanken über die Schule: Was passiert, wenn wir die nächste Arbeit schreiben? Wann müssen wir wieder in die Schule? Werden wir alle versetzt? All das sind noch ungeklärte, offene Fragen. Denn im Moment weiß keiner, wie es weiter geht, und wann es weiter geht.

Der Text im Faksimile, Nachname auf Wunsch der Autorin retuschiert.




Der Neandertaler hat schon Platz genommen – Dortmunds Naturmuseum soll am 7. Juni eröffnen

Museumsdirektorin Dr. Dr. Elke Möllmann und Museumspädagoge Julian Stromann rücken den sorgsam nachgebildeten Neandertaler zurecht. (Foto: Roland Gorecki/Dortmund Agentur)

In genau 99 Tagen, am 7. Juni 2020, wird das gründlichst umgebaute und geringfügig umbenannte Dortmunder Naturmuseum eröffnet. Wohlweislich hat man den Termin in der BVB-Stadt aufs erste fußballfreie Sommer-Wochenende gelegt.

Dortmunds vor der langjährigen Schließung (seit September 2014!) meistbesuchtes Museum ist sich seiner Bedeutung wohl bewusst. Anzeichen dafür: Kürzlich wurde eigens eine Pressekonferenz anberaumt, um den neuen Namen (just Naturmuseum statt Naturkundemuseum) zu verkünden. Jetzt gab’s ein weiteres Medien-Meeting zur Bekanntgabe des Eröffnungstermins und für ein paar fotografische Impressionen.

Am 7. Juni soll jedenfalls von 11.30 bis 18 Uhr groß (aber nicht dem Slang gemäß „hart“) gefeiert werden. Der in Dortmund und drumherum allgegenwärtige Comedian Fritz Eckenga wird das unterhaltsame Begleitprogramm moderieren. Beim Rundgang kann man dann unversehens dem frühen Homo Sapiens oder dem Neandertaler begegnen und sich vor allem auf die prähistorischen Spuren der regionalen Flora und Fauna begeben.

Naturmuseum, Eröffnung am 7. Juni 2020 (ab 11.30 Uhr). Dortmund, Münsterstraße 271. Eintritt generell frei.

 




Nächster Schwund im Dortmunder Buchhandel: Mayersche soll offenbar auf ein Drittel der bisherigen Größe schrumpfen

Schon Vergangenheit: Die Mayersche BUchhandlung (rechts), noch in einem Bau mit dem Modehändler Esprit – und links gegenüber das Schuhhaus Roland, wo die Mayersche bald einziehen will. (Foto/Aufnahme aus dem NOvember 2016): Bernd Berke)

Dortmunds Westenhellweg: Die Mayersche Buchhandlung (rechts), damals noch in einem Gebäudekomplex mit dem Modehändler Esprit – und links gegenüber das Schuhhaus Roland, wo die Mayersche wohl gegen Ende 2020 einziehen wird. (Foto, November 2016: Bernd Berke)

Nein, ich mag mir das gar nicht vorstellen: Es käme Besuch von außerhalb, noch dazu (was wahrscheinlich wäre) aus einem lesefreudigen Milieu – und dieser Besuch erkundigte sich angelegentlich nach den besten Buchhandlungen in der Dortmunder Innenstadt. Es wäre peinlich…

Früher einmal wäre das kein großes Problem gewesen. Da gab es noch die vermeintlich machtvolle, am Ort unangefochtene Buchhandlung Krüger, in der es zu bestimmten Zeiten richtig „brummte“ und wo man auch ordentlich beraten wurde. Auch gab es zuvor noch die achtbare Buchhandlung Borgmann, zudem konnte man Niehörster, Schwalvenberg und ein paar andere aufsuchen. Jaja, ich weiß, früher hatten wir auch viel mehr Kinos in der Stadt. Umso schlimmer. Und traurig ist es allemal, wenn wieder etwas schwindet.

Nun sind da – im Innenstadtbereich – nur noch die Mayersche Buchhandlung und Thalia, die Filialen zweier Ketten, welche mittlerweile auch noch miteinander fusioniert haben. Beide häufen turmhoch die üblichen Bestseller und jede Menge Angebotsware auf, außerdem etlichen Spielkram und Merchandising-Plunder, der mit Büchern und Lesekultur allenfalls noch entfernt zu tun hat – wenn überhaupt. Thalia hat sich vor einiger Zeit in der überdimensionierten Mall „Thier-Galerie“ eingerichtet. Wahrlich kein anheimelnder Platz für passionierte Leser(innen).

Wenige Oasen für Lesende in Vororten

Bald erfolgt wohl der nächste Schritt abwärts. Wie die Ruhrnachrichten (RN) heute im Dortmunder Lokalteil vermelden, wird gegen Ende des Jahres das Schuhhaus Roland schließen. Die bisher direkt gegenüber befindliche Mayersche soll dann offenbar ins ehemalige Schuhgeschäft einziehen und damit eine Immobilie verlassen, aus der zuvor schon der Modehändler Esprit ausgezogen ist. Somit täte sich an dieser Stelle ein größerer Leerstand auf.

Eine höchst betrübliche Nachricht verstecken die RN allerdings schamhaft weit hinten im Artikel, sie steht auch nicht in der Überschrift: Die Mayersche Buchhandlung würde damit von 4500 Quadratmetern auf rund 1500 Quadratmeter schrumpfen – auf ein Drittel der bisherigen Größe also! Es wäre ungeheuerlich. Eine Stadt mit rund 600.000 Einwohnern hätte sicherlich Besseres verdient. Das Schuhhaus gibt übrigens auf, weil die Konkurrenz im Internet übermächtig geworden sei. Ähnliche Gründe ließen sich wahrscheinlich auch für den Buchhandel anführen. Und es ist nicht zu erwarten, dass etwa Amazon in die erwähnte Leerstands-Immobilie Einzug hält…

Im einen oder anderen Vorort halten noch ein paar wenige Buchläden tapfer gegen den misslichen Trend, doch das sind liebenswerte Nischen, mehr wohl nicht. Mögen wenigstens sie eine Heimstatt für Lesende bleiben.




Morgens an der S-Bahn: Lasset fahren die Hoffnung… (wird seit Mitte September fortlaufend aktualisiert)

Ein Stück der S-Bahn-Linie 4. (Foto: Bernd Berke)

Ein kurzes Stück der S-Bahn-Linie 4. (Foto: Bernd Berke)

So. Wir machen notgedrungen weiter mit unserer kleinen Bahnserie, die kürzlich mit seltsamen Schwierigkeiten beim Erwerb von Handytickets begonnen hat. Hat man diese Probleme überwunden, geht es erst richtig los. Beziehungsweise: Allzu oft geht es eben gar nicht los.

Jetzt begeben wir uns mal auf die Strecke. Die Rede ist von der S-Bahn-Linie 4, die zwischen Unna und Dortmund-Dorstfeld bzw. Lütgendortmund verkehrt oder verkehren soll. Betrieben wird sie von der DB Regio, also einer regionalen Unterabteilung der Deutschen Bahn, deren Kalamitäten bekanntlich ganze Beschwerde-Foren füllen, ja überquellen lassen – und neuerdings auch noch die global wirksame Aufmerksamkeit von Greta Thunberg gefunden haben, um es mal vorsichtig und möglichst neutral zu sagen.

Doch die DB Regio darf mit den S-Bahnen 1 und 4 weitermachen, obwohl sie die Ausschreibung für die Strecken verloren hat (siehe Nachricht weiter hinten).

Hauptstrecke zu drei großen Innenstadt-Gymnasien

Eine der wichtigsten Abfahrtzeiten des gesamten Tages ist (bzw. war) am S4-Haltepunkt Dortmund-Körne 7:29 Uhr morgens, an ebenfalls betroffenen anderen Haltepunkten gelten andere Vorgaben. Um diese Zeit jedenfalls brechen auf dieser Linie, von Osten her kommend, Hunderte von Schülern auf, um pünktlich vor Unterrichts-Beginn vor allem eines der drei Innenstadt-Gymnasien zu erreichen, die im unmittelbaren Einzugsbereich des Haltepunkts Dortmund-Stadthaus liegen: Mallinckrodt-Gymnasium, Stadtgymnasium und Käthe-Kollwitz-Gymnasium – mit zusammen deutlich über 3000 Schülerinnen und Schülern. Von den Lehrkräften und von allen anderen Arbeitnehmern oder auch sonstigen Fahrgästen, die gleichfalls auf diese Verbindung angewiesen sind, wollen wir gar nicht erst reden. Es dürfte einige Familien geben, die eine der drei genannten Schulen nicht zuletzt wegen der (theoretisch) guten S-Bahn-Anbindung gewählt haben…

Zugausfälle am Montag, am Dienstag, am Mittwoch und… 

Tatsache ist jedoch: Der genannte Zug fährt in den seltensten Fällen um 7:29 Uhr. In der Woche seit dem 16. September ist er bereits montags, dienstags und mittwochs ausgefallen, also bis dahin an jedem Wochentag. Am 5. und 6. September (beispielsweise) jeweils das gleiche Spielchen. Wie heißt der alte Buchtitel-Spruch nach Eric Malpass: Morgens um 7 ist die Welt noch in Ordnung. Mag ja sein. Um 7:29 Uhr zeigen sich jedenfalls erste Irritationen, sofern man die S-Bahn 4 nehmen möchte. Ob’s bei der Anfahrt von Westen her ähnlich betrübliche Befunde gibt?

Schlimmer noch: Viele können sich gar nicht darauf einstellen, denn in den Apps von VRR (Verkehrsverbund Rhein-Ruhr) und DSW21 (Dortmunder Stadtwerke) sind zwar die Fahrzeiten verzeichnet, von Zugausfällen erfährt man freilich meistens nichts vorab. Die Navigator-App der Deutschen Bahn soll in dieser Hinsicht etwas zuverlässiger sein. Sagt man. Und es stimmt auch. Die Lautsprecher-Durchsage am Bahnsteig quäkt, falls sie überhaupt erfolgt, jeweils ganz vage etwas von „technischen Problemen“.

Welch ein Beitrag zur „Klimawende“

Aber was hilft’s? Viele Hundert Leute müssen am kühlen und zugigen Bahnsteig weitere 10 Minuten warten und hoffen, dass wenigstens die nächste Bahn um 7:39 planmäßig kommt. Weil die wegen des vorherigen Ausfalls regelmäßig etwa die doppelte Menge an Passagieren aufnehmen muss, ist sie natürlich arg überfüllt. Und wehe, wenn auch sie nicht käme. Dann wären schon mal die allermeisten Schüler zu spät dran – eventuell auch noch bei einer wichtigen Klassenarbeit…

Immerhin: Jetzt eine halbwegs vernünftige App gefunden, die die Ausfälle rechtzeitig anzeigt... (Screenshot vom DB Navigator)

Immerhin: Habe jetzt eine halbwegs vernünftige App gefunden, die die Ausfälle wenigstens rechtzeitig anzeigt… (Screenshot vom DB Navigator)

Sehr wahrscheinlich haben sich angesichts dieser häufigen Ausfälle schon manche entschlossen, aufs morgendliche Bahnfahren zu verzichten. Statt dessen werfen sie dann doch wieder ihre Autos (darunter auch jene erschröcklichen SUV-Karossen) an und verstopfen die Straßen rund um die Schulen. Welch ein Beitrag zur „Klimawende“!

DB Regio: Weitermachen trotz verlorener Ausschreibung

Unterdessen schien eine kleine Hoffnung zu keimen, wenn’s denn überhaut eine Hoffnung war. Die DB Regio AG hatte die Ausschreibung für die Strecke verloren, so dass die S-Bahn-Linien 1 und 4 ab Dezember 2019 von der Gesellschaft Eurobahn (Keolis Deutschland) übernommen werden sollten, und zwar bis ins Jahr 2034.

Doch dann hat der Verkehrsverbund VRR nach eigener Einschätzung die Reißleine (oder passender: Notbremse) gezogen und der Eurobahn den Auftrag wieder weggenommen. Angeblicher Grund laut WDR-Bericht aus Essen: Die Eurobahn habe nicht genug Lokführer, um die S-Bahn-Linien 1 und 4 zu übernehmen und den Betrieb zu garantieren. Fragt sich angesichts der geschilderten Zugausfälle allerdings dringlich, ob die DB Regio dazu stets in der Lage ist. Sie hat selbst zu bedenken gegeben, dass sie auf die Fortsetzung des Betriebs eigentlich gar nicht eingestellt ist.

Zeitweise sah es so aus, als würde der Streit um die Strecken auch noch mit juristischen Mitteln ausgetragen. Keolis hat zwischendurch signalisiert, dass man die Übernahme der Linien keineswegs aufgegeben habe – und sich dann doch offenbar ins „Schicksal“ gefügt. Mittlerweile hat es offiziell eine gütliche Einigung gegeben.

Anfang November stand fest: DB Regio darf erst einmal weitermachen. Unzuverlässig wie gehabt?

Nachtrag am 12. Dezember 2019: Fatale Ausdünnung im Fahrplan

Nun, da die DB Regio den besagten Auftrag erst einmal in der Tasche hat (ob da wohl Beziehungen eine Rolle gespielt haben könnten?), verkündet der VRR teilweise rigorose Fahrplanänderungen, die ab 15./16. Dezember 2019 in Kraft treten. Für die oben geschilderte Verbindung bedeutet dies, dass man die Strecke in den morgendlichen Kernzeiten nicht mehr alle 10 Minuten, sondern nur noch alle 15 Minuten bedient – falls es nicht auch noch zu Ausfällen kommt. Die berüchtigte Abfahrtszeit 7:29 Uhr gibt es somit gar nicht mehr, es bleiben in jenem Zeitfenster nur noch 7:21 und 7:36 Uhr.

Man kann also mit Fug und Recht von einer deutlichen Ausdünnung reden. Welch‘ ein fatales Signal, angesichts der angeblich wachsenden Bedeutung des öffentlichen Nahverkehrs!

Nachtrag 15. bis 18. Dezember 2019: Wo bleiben die Aushangpläne?

Der neue Fahrplan ist doch sicherlich mit dem Start am 15. Dezember abrufbar gewesen? Nun ja, nur zum Teil. In der Bahn-App tauchen die korrekten neuen Zeiten auf, auch kann man online auf den gesamten Linienplan zugreifen. Was noch nicht funktioniert, sind die Aushangpläne für die einzelnen Stationen, auf denen man sofort sieht, wann „um die Ecke“ der nächste Zug fährt. Wohl viele Fahrgäste hätten sich zum Eingewöhnen die neuen Pläne gern ausgedruckt. Eine weitere Fehlanzeige…

Hat’s denn am ausgedünnten Dienstplan des Wochenendes gelegen? Nein, offenbar nicht. Auch am 16. und 17. Dezember waren die  neuen Aushangfahrpläne des Verkehrsverbundes Rhein-Ruhr fürs gemeine Volk noch nicht abrufbar. Am Nachmittag des 18.12. tauchten die Listen dann auf, Hallelujah!

Wir wollen uns lieber gar nicht vorstellen, wie es wäre, wenn Greta Thunberg auf die Dortmunder S-Bahn 4 angewiesen wäre. Dann wäre die Weltpresse aber heftig zugange!

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Anhang:

Chronik der Zugausfälle

Kleine Chronik der Fahrten bzw. Nicht-Fahrten an Werktagen um 7:29 Uhr
(S 4 ab DO-Körne, alter Fahrplan bis 14.12.2019), ohne Rücksicht auf Verspätungen:

Montag, 16. September: ausgefallen
Dienstag, 17. September: ausgefallen
Mittwoch, 18. September: ausgefallen
Donnerstag, 19. September: gefahren
Freitag, 20. September: gefahren

Montag, 23. September: ausgefallen
Dienstag, 24. September: ausgefallen
Mittwoch, 25. September: gefahren
Donnerstag, 26. September: ausgefallen
Freitag, 27. September: gefahren

Montag, 30. September: gefahren
Dienstag, 1. Oktober: gefahren
Mittwoch, 2. Oktober: gefahren

3. & 4. Okt. Feiertag/schulfrei

Montag, 7. Oktober: gefahren

Freitag, 12. Oktober, bis 21. Oktober (Herbstferien):
komplette Streckensperrung wegen Gleisarbeiten

Seitdem fuhr der 7:29er-Zug für einige Tage in aller Regel relativ regelmäßig ab – wenn auch häufig mit (schon bis DO-Körne angesammelten) Verspätungen von 1 bis 3 Minuten. Wir bleiben jedenfalls dran.

And here we go again:

Mittwoch, 13. November: ausgefallen
Donnerstag, 14. November: ausgefallen
Freitag, 22. November: ausgefallen

Montag, 25. November: ausgefallen
Mittwoch, 27. November: ausgefallen
Donnerstag, 28 November: ausgefallen

Dienstag, 3. Dezember: ausgefallen
Mittwoch, 4. Dezember: ausgefallen
Freitag, 6. Dezember: ausgefallen

Freitag, 13. Dezember: ausgefallen

Ende des alten Fahrplans.

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Einzelne Züge fallen trotz des ausgedünnten neuen Fahrplans immer noch aus, hier eine Zufallsauswahl am Haltepunkt Körne, Richtung DO-Innenstadt/Lütgendortmund:

Donnerstag, 19. Dezember: 16:36 ausgefallen, 18:21 ausgefallen

 




Wow! Ihr werdet nicht glauben, wie das Dortmunder Naturkundemuseum jetzt heißt!

Äußerlich sachlich und schmucklos: das Museum, das jetzt einen neuen Namen trägt... (Aufnahme vom August 2019: Bernd Berke)

Äußerlich sachlich und schmucklos: das Museum, das jetzt einen neuen Namen trägt… (Aufnahme vom August 2019: Bernd Berke)

…und nun zu einer Nachricht, die eventuell ein paar Tage Aufschub verträgt. Obwohl: recht eilends anberaumte Pressekonferenz, freitags um 15 Uhr (gewiss nicht der Lieblingstermin einer Lokalredaktion); sodann die Nachricht mit zeitlichem Sperrvermerk. Da hat sich doch offenbar Wichtiges begeben?

Wie man’s nimmt. Bevor ich euch gar zu sehr auf die Folter spanne, nur frisch heraus mit der auch schon zwei Tage alten Wahrheit: Die Sache ist nämlich die, dass das Dortmunder Naturkundemuseum, seit rund fünf Jahren (und damit weit über die Ursprungspläne hinaus) wegen Umbaus geschlossen, einen neuen Namen erhalten hat. Jetzt seid Ihr baff. Doch wie groß wird erst euer Erstaunen sein, wenn ihr den neuen Namen erfahrt. Er lautet (Trrrrrrommmmelwirbel…):

Naturmuseum

Wow!

Es mag Internet-Seiten geben, die eine solche Nachricht mit elend langer Klickstrecke und Anmach-Sprüchen à la „Ihr werdet nicht glauben, wie das Naturkundemuseum jetzt heißt!“ verkaufen würden. Das hätten wir uns und euch gern komplett erspart. Indes…

Dr. Dr. Elke Möllmann, die Leiterin des Hauses, das schlussendlich im Sommer 2020 wieder öffnen soll, zeigte sich jedenfalls – laut Pressemeldung der Stadt Dortmund – „hochzufrieden“. Zitat: „Der Name betont den Erlebnischarakter…“

Na, wenn das so ist. Offenbar deutet der Wegfall des (zu sehr nach Anstrengung und schulischem Unterricht schmeckenden?) Bindeglied-Begriffs „Kunde“ (Naturkunde) auf eine gewisse Erleichterung des Zugangs hin. Ersten Eindrücken zufolge, die man vor einigen Monaten aufklauben konnte, wird das neue Konzepts des Museums diesen Anspruch wohl auch einlösen, ohne die wissenschaftliche Seriosität zu opfern.

Im August hatte das Museum einen Namenswettbewerb ausgeschrieben, an dem sich – seltsame, fast schon magische Zahl – 101 Bürgerinnen und Bürger beteiligt haben, zum Teil auch mit Gedichten oder Zeichnungen. Es folgten Debatten „der politischen Gremien“ sowie ein Losentscheid, durch den fünf Teilnehmer(innen) Exklusiv-Führungen bzw. Kindergeburtstage im Museum gewannen.

Im deutschsprachigen Raum, vor allem in der Schweiz, so hieß es ergänzend,  gebe es bereits einige naturkundliche Museen, die als „Naturmuseum“ firmieren. Somit wäre Dortmund nicht allein auf weiter Flur. Und mit der Schweiz haben wir es ja sowieso, auch auf anderem Gebiet. Ich sage nur Favre, Bürki und Hitz.




Was wollt ihr: Kreuzfahrt oder nach Wanne-Eickel radeln?

Inkognito beim Fahrradfahren – aber nicht nach Wanne-Eickel. (Schattenriss-Selfie: BB)

Inkognito beim Fahrradfahren – aber nicht nach Wanne-Eickel. (Schattenriss-Selfie: BB)

Heute steht in der FAZ-Sonntagszeitung (FAS) ein Beitrag über Klassenfahrten, die im Schnitt zusehends teurer geworden sind.

Warum das so ist? Weil u. a. Agenturen eingeschaltet werden, die kostspielige Erlebnistouren zu Komplett-Paketen schnüren, damit die geplagten Lehrer organisatorisch entlastet werden und verwöhnte Schüler halbwegs zufrieden sind. Die Eltern bezahlen den Aufwand ja, wenn auch wohl vielfach mit Murren.

Mit dem Fahrrad nach Wanne-Eickel? Dann aber auch mit der richtigen Klingel! (Foto: BB)

Mit dem Fahrrad nach Wanne-Eickel? Dann aber auch mit der richtigen Klingel! (Foto: BB)

Aber darauf wollte ich eigentlich gar nicht hinaus. Es kommt im selben Artikel nämlich noch besser. Dieser Tage gab’s Zoff und allfälligen Shitstorm, weil ruchbar wurde, dass zwei Leistungskurse eines Frankfurter Gymnasiums nach Oslo und Kopenhagen aufbrechen werden, und zwar per Kreuzfahrtschiff… Ein beteiligter Lehrer begründete das enorm klimaschädliche Vorhaben laut FAS im Gespräch mit dem Hessischen Rundfunk so: „Mit dem Fahrrad nach Wanne-Eickel fahren – das wollen die Schüler nicht.“

Da sagen wir mal: „Setzen! Sechs!“

Nun hätte der Lehrer auch die seinem Standort viel näher liegenden, pulsierenden Metropolen Offenbach oder Darmstadt-Wixhausen als Beispiele nehmen können, aber nein: Der studierte Mann hat sich wohl gedacht, größtmöglichen Abscheu vor Piefigkeit mit einer Ortsbezeichnung aus dem Ruhrgebiet ausdrücken zu können. Und also gibt’s mal wieder dümmliches Revier-Bashing – ausgerechnet noch, um völlig unnötige Kreuzfahrten zu verteidigen. Ob zu den Leistungskursen wohl auch Schülerin(innen) gehören, die bei „Fridays for Future“ mitmachen? Sehr wahrscheinlich.

Und jetzt? Damit der besagte Lehrer auch mal was lernt, gibt’s noch eine kostenlose Lektion mit einem uralten Kalauer: Wie heißt Wanne-Eickel auf Lateinisch? – Na, Castrop-Rauxel natürlich!

Der weiß aber auch nix.

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Hier noch ein Ruhrgebiets-Quiz für Hessen, Schwaben, Bayern etc.: Zu welcher Revierstadt gehört eigentlich Wanne- Eickel?

a) Essen
b) Bottrop
c) Herne
d) Gelsenkirchen




Lieb* Schül*

Alles nur eine (sprachiche) Luftblase? (FFoto: Bernd Berke)

Alles nur eine (sprachliche) Luftblase? (Foto: Bernd Berke)

Es ist schon ein Kreuz mit dem Gendern. Sagt „man“ was dagegen, findet „man“ sich womöglich schnell auf der zur Rechten neigenden Seite des politischen Spektrums wieder. Und doch erscheint manch eine sprachliche Verrenkung im angeblichen Dienste der Geschlechtergerechtigkeit ziemlich lächerlich.

Zwei neuere Beispiele fürs Gendern auf Biegen und Brechen:

Kürzlich auf einer Pressekonferenz. Eine Kulturschaffende mit mehr als einem Anhauch von Feminismus und mit ausgesprochenem Hang zur „Diversität“ ließ es sich nicht nehmen, jedes Mal mitten im Wort kurz innezuhalten, um die Gender-Linien akustisch zu markieren. Es klang arg abgehackt. Sie sagte beispielsweise Schauspieler-Innen; ganz so, als handle es sich um Menschen, die innen und nicht außen tätig sind. Ob man Alexa und Siri wohl auch auf solche automatenhaften Sprechweisen trimmen kann?

Welche verbalen Blüten das Bemühen sonst noch so treibt, zeigt sich in der offenbar bereits eingeschliffenen Gewohnheit an einem Dortmunder Gymnasium. Da werden die Schülerinnen und Schüler bzw. die Lernenden ungelogen wie folgt angeschrieben:

Lieb* Schül*

Ja, ihr habt wirklich richtig gelesen. Ist das nun halbwegs humorig oder lediglich hilflos? Bleibt denn nur noch Gestammel, wenn sich gefälligst (nach Möglichkeit) alle gemeint fühlen sollen? Da verschlägt es einem tatsächlich die Sprache.

Jou, das war’s dann auch schon, lieb* Les*.

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Das heißt nee, es folgt noch ein P. S.:

Vorschlag zur Güte: Wie wär’s denn eigentlich mit Anreden wie „Liebe Leute“? Oder gar mit „Liebe Mitmenschen“?




Ein Mammut als „Puzzle“ und tonnenschwere Vorzeit-Brocken – Dortmunder Naturkundemuseum füllt sich allmählich wieder

Ein ziemlich großes „Puzzle": das Dortmunder Mammut. (Foto: Bernd Berke)

Ein ziemlich großes „Puzzle“: das Dortmunder Mammut. (Foto: Bernd Berke)

Das Mammut ist da! Zwar eröffnet – wenn nun endlich alles glatt läuft – Dortmunds Naturkundemuseum doch erst im nächsten Jahr, aber es treffen nun sozusagen Tag für Tag neue Schaustücke ein. Wohl das spektakulärste ist just das fast vollständige Skelett eines weiblichen Wollhaar-Mammuts mit immerhin 2,45 Metern Schulterhöhe.

Europas führender Mammut-Experte, Dick Mol aus den Niederlanden, erläuterte heute bei einer Pressekonferenz in Dortmund die Geschichte hinter diesem imposanten Tier aus der Weichsel-Kaltzeit (vor rund 30.000 bis 40.000 Jahren). Es handelt sich nämlich nicht um ein einzelnes Wesen, sondern quasi um ein Puzzle aus vielen, vielen Einzelteilen.

Vor sechs Jahren von den Dortmundern befragt, ob er wisse, wo Mammuts auf dem Markt seien, musste Dick Mol zunächst passen. Zumal in Sibirien wird schwunghafter (und nicht immer ganz legaler) Handel mit Überresten der Vorzeit-Wesen betrieben. Doch darauf wollte man sich nicht einlassen. Statt dessen griff man auf Abertausende von Einzelteilen zurück, die mit Schleppnetzen aus der Nordsee (Küste der niederländischen Provinz Zuid-Holland) geborgen wurden. Zur Zeit der Mammuts war das Gebiet trockenes Festland, durch das der Ur-Rhein als mächtiger Strom geflossen ist. In der Steppe ringsum lebten damals auch Wollhaar-Nashörner, Antilopen und Wildpferde.

Lauter Einzelteile aus der Nordsee

Aus all den Partikeln aus der Nordsee setzte man – unter Dick Mols Anleitung – tatsächlich nach und nach in langwieriger Kleinstarbeit (siehe Zeitraffer-Film am Ende des Beitrags) die Mammut-Kuh zusammen. Sämtliche Teile mussten sorgsam ausgewählt werden, sie mussten von einem weiblichen Tier bestimmten Alters und von jeweils passender Größe stammen. Männliche Exemplare wuchsen lebenslang, während die weiblichen, sobald einmal trächtig gewesen, das Wachstum einstellten und ungleich kleiner blieben. Genau das aber war das richtige Maß für Dortmund, wo die relativ geringe Deckenhöhe keinen Platz für den monumentalen Knochenbau eines ausgewachsenen Mammut-Bullen geboten hätte.

Man schaue sich das an! Das Dortmunder Mammut ist allem Anschein nach dermaßen kundig zusammengesetzt worden, dass wohl nur Experten auf den Puzzle-Gedanken kommen würden. Einzige Ausnahme von der Regel: Während alle Teile von wirklichen (aber eben vielen verschiedenen) Mammuts stammen, handelt es sich beim rechten Stoßzahn um eine Nachbildung. Wer bemerkt den Unterschied zum linken? Fest steht, dass das Dortmunder Mammut bundesweit seinesgleichen sucht.

Nebenher räumt Dick Mol gleich mit ein paar Legenden auf: Anders als vielfach kolportiert, hätten solche Mammuts keineswegs gleichzeitig mit den Sauriern gelebt, sondern viel später. Auch haben sie nicht in einer veritablen Eiszeit existiert.

Und wer hat den ganzen Mammut-Spaß bezahlt? Zum großen Teil die Sparkasse Dortmund, die 150.000 Euro beisteuerte. Wir vermelden es pflichtschuldigst.

Kraft- und Maßarbeit: Anlieferung eines 2,8 Tonnen schweren versteinerten Baumstamms. (Foto: Bernd Berke)

Kraft- und Maßarbeit: Anlieferung eines 2,8 Tonnen schweren versteinerten Baumstamms. (Foto: Bernd Berke)

Seit 2014 eine schier endlose Umbau-Geschichte

Das Narrativ vom Mammut kann freilich nicht ganz und gar von der misslichen Geschichte des Museums-Umbaus ablenken. Jeglichen Vergleich mit der endlosen Geschichte um den Berliner Flughafen BER wollen wir uns tunlichst verkneifen. Aber eine Gemeinsamkeit gibt’s leider doch: Auch das Dortmunder Naturkundemuseum, im September 2014 für vermeintlich nur zweijährige Umbau- und Renovierungsmaßnahmen geschlossen, wartet und wartet immer noch auf seine (Wieder)-Eröffnung.

Eigentlich hätte es (nach einer Firmeninsolvenz sowie etlichen Planungs- und Bauproblemen) in diesem Sommer endlich so weit sein sollen, doch müssen wir uns noch ein weiteres Jahr gedulden. Ab Sommer 2020 (genaueres Datum folgt vermutlich im nächsten Januar), so Museumsleiterin Dr. Dr. Elke Möllmann, sollen die Besucher wieder in jenes Museum strömen, das vor der Schließung mit rund 80.000 Besuchern im Jahr das meistbesuchte der Stadt gewesen ist – und diesen Spitzenplatz künftig wieder erobern dürfte.

Schade, schade. Durch all die Verzögerungen mussten beispielsweise einige Grundschul-Jahrgänge ohne diesen Museumsbesuch auskommen, der doch gerade mit kindgerechten Themen und Exponaten (lebensgroßes Dino-Modell der Gattung Iguanodon mitsamt passenden Original-Fußspuren usw.) aufwarten kann.

Nach Jahren endlich aus der Schutzfolie heraus: Dino-Modell der Gattung Iguanodon. (Foto: Bernd Berke)

Nach Jahren endlich aus der Schutzfolie heraus: Dino-Modell der Gattung Iguanodon. (Foto: Bernd Berke)

Wenn der Dino erzählen könnte…

Besagter Dino, stattliche fünf Meter hoch, steckte in all den Umbau-Jahren unter einer Schutzfolie. Wenn der Bursche erzählen könnte! Elke Möllmann jedenfalls stellt unumwunden fest, dass die Verzögerungen „eine Belastung für unser ganzes Team“ gewesen sind.

Nun aber der Blick nach vorn. Jetzt seien die Bauarbeiter „ausgekehrt“ (Möllmann). Und jetzt kann das Haus endlich wieder eingeräumt werden. Stück für Stück. Gerade heute wurde von einer Fachspedition ein 210 Millionen Jahre alter, 2,8 Tonnen schwerer versteinerter Baumstamm angeliefert und mühsam auf ein Podest gehievt. Ebenfalls frisch eingetroffen und gleichfalls tonnenschwer: ein mächtiger Steinkohlebrocken, der nicht mehr von der Lore genommen werden darf, weil er sonst in seine Bestandteile zerfiele. Er repräsentiert einen Aspekt des Karbon-Zeitalters, wie denn überhaupt weite Teile der gänzlich neu konzipierten und vielfach auch neu „möblierten“ Schau eine imaginäre Reise durch die Erdzeitalter ermöglichen sollen. Auch Exponate, die man schon zu kennen glaubt, werden dabei in andere Kontexte gestellt.

Neues Konzept mit entschieden regionaler Ausrichtung

Neu ist die entschieden regionale und oft gar lokale Ausrichtung des Museums. Wo irgend möglich, wurden Exponate aus Dortmund und Umgebung beschafft. Nur zwei Beispiele: Das erwähnte Kohlestück etwa stammt aus der 1987 geschlossenen Zeche Minister Stein in Dortmund-Eving. Versteinerte Ammoniten (längst ausgestorbene, schneckenförmige Kopffüßler) kamen beim Bau der Dortmunder U-Bahn zutage.

Insgesamt soll der Vermittlungs-Ansatz nicht so trocken und lehrhaft daherkommen wie ehedem, sondern „ganzheitlicher“, ökologischer und lebensnäher. So werden auch Fragen des Klimawandels durch die Jahrmillionen und Jahrtausende eine gewichtige Rolle spielen. 1500 Quadratmeter Ausstellungsfläche stehen für all das zur Verfügung.

Das Haus braucht einen anderen Namen

Die erste Sonderausstellung nach der Wiedereröffnung wird sich um die Fährnisse der Umbauzeit ranken. Sicherlich kein Blick zurück im Zorn, sondern Erinnerungen mit leichten Seufzern und nachträglichem Goldrand. Außerdem wird’s ein Buch über das Dortmunder Mammut geben. Wenn das nicht elefantös ist!

Museumsleiterin Elke Möllmann möchte dem geänderten Konzept auch in der Namensgebung gerecht werden. Gesucht wird also eine neue Bezeichnung für das Haus. Vorschläge können bis zum 6. September 2019 an folgende Adresse gemailt werden:

NeuerNameMuseum@dortmund.de

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Ein Zeitraffer-Video vom Aufbau des Mammuts ist bei YouTube zu sehen. Hier der Link:

 

 

 




Nach dem Schaulaufen der Hochschulen: „Exzellenz“ im Ruhrgebiet? Nu ja ja, nu nee nee…

Als einzige Ruhrgebiets-Uni im Rennen um die elf Exzellenz-Plätze: die Ruhr-Uni Bochum (RUB). (Luftbild: © RUB/Marquard)

Als einzige Ruhrgebiets-Uni in der Endausscheidung um die elf Exzellenz-Plätze: die Ruhr-Uni Bochum (RUB). (Luftbild: © RUB/Marquard)

Mal etwas übertrieben gesagt: Es ist fast wieder wie zu Kaiser Wilhelms Zeiten, als es im Revier keine Alma Mater gab und auch keine geben sollte, damit die Malocher nicht geistig aufgewiegelt wurden. Und jetzt? Verhält es sich auf vielen Gebieten ganz anders. Aber eins gilt offenbar immer noch: Deutschland hat seit gestern offiziell elf Exzellenz-Universitäten – und keine einzige liegt im Ruhrgebiet.

Überregionale Blätter (sowohl die Frankfurter Allgemeine als auch die Süddeutsche Zeitung) lassen heute in ihren Kommentaren gehörige Skepsis erkennen, was das Verfahren und überhaupt die Sinnhaftigkeit einer solchen Bestenauswahl angeht. Zitat aus der FAZ: „Kriterien für die Kür gibt es ohnehin nicht, es entscheidet das Dafürhalten beim Betrachten von Folien und Prospekten.“ In der langwierigen Bewerbungsphase, so die FAZ glaubhaft weiter, kämen die Rektorate kaum zu etwas anderem als zur Entwicklung von Konzepten, die den Juroren gefallen könnten.

Ganz ohne Netzwerk geht die Chose nicht…

Man darf wohl argwöhnen, dass Lobbyarbeit und nicht zuletzt persönliche Beziehungs-Geflechte hier ebenso wichtig waren wie wissenschaftliche Einschätzungen. Auch stellt sich ja seit jeher die Frage, ob wirklich ganze Unis gekürt werden müssen oder ob es nicht sinnvoller wäre, bestimmte Forschungsbereiche auszuwählen und gezielt zu fördern. Aber nein! Auch hier hat sich der allgegenwärtige Ranking-Wahnsinn breitgemacht. Und die Sache mit den „Exzellenz-Clustern“ schwillt zusehends an: In der ersten Runde wurden vor Jahren drei Unis ausgeguckt, dann sechs, jetzt eben elf.

Ein paar Milliönchen (gar nicht so doll, nämlich je 10 bis 15 Mio. pro Gewinner) fließen nun für die nächsten sieben Jahre (lyrische Assoziation nach Fontane: „Ich hab‘ es getragen sieben Jahr, und ich kann es nicht tragen mehr…“) zusätzlich in die angeblich eh schon besonders exzellenten Hochschulen.

Ungleiche Verhältnisse werden bekräftigt

Zuletzt war häufig von den (un)gleichen Lebensverhältnissen in der Republik die Rede, werden hier nun die herrschenden Verhältnisse tendenziell zementiert? Wer laut Bewertung eh schon hat und kann, dem wird gegeben. Also driften die Universitäten womöglich noch weiter auseinander. Man kann darauf wetten, dass die Exzellenz-Unis nun schnellstens Ausschreibungen herausbringen, um sich mit Extra-Argumenten die (vermeintlich) allerbesten oder wenigstens die renommiertesten Fachkräfte zu sichern. Auch die „Süddeutsche“ befindet: „Kleine Unterschiede zwischen den Unis werden so immer größer. Die Breite verblasst. Die Hochschullandschaft zerfällt in zwei Klassen.“

Zurück ins Ruhrgebiet: In der Berichterstattung werden Duisburg/Essen sowie Dortmund nicht einmal erwähnt, sie standen überhaupt nicht zur Auswahl. Bielefeld und Siegen stehen auch nicht auf der Liste. Bundesweit kamen jedenfalls 19 Unis in die Entscheidungsrunde. Die Ruhr-Uni Bochum (RUB) hat sich dabei nicht durchsetzen können, die Rede ist von einem knappen Scheitern, trotzdem ist man in Bochum gelinde enttäuscht. Kaum tröstlich: In NRW blieben Münster und Köln ebenfalls auf der Strecke, Köln verlor sogar seinen bisherigen Exzellenz-Status. Nur Aachen und Bonn vertreten somit die Farben des einwohnerstärksten Bundeslandes. Die WAZ, die sich stets gern als Stimme des ganzen Ruhrgebiets geriert, redet die Niederlage schön. Auch die bloße Bewerbung habe schon Kräfte freigesetzt. Mögen sie recht behalten.

„Cooperating for a Sustainable Future“

Hat das Revier mit seinen Unis also etwa nicht genug „Exzellenz“ vorzuweisen? Da fällt einem vielleicht jene legendäre Nicht-Antwort ein, die Gerhart Hauptmann im „Weber“-Drama seiner Figur Ansorge in den Mund legte: „Nu ja ja, nu nee nee…“

Und nun zu den Pokalen. Auf der geradezu gähnträchtigen bundesweiten Siegerliste stehen vor allem die üblichen Verdächtigen: Heidelberg und Tübingen natürlich, ebenso Hamburg, München (zweifach) und selbstverständlich die Hauptstadt Berlin (mit einem Dreier-Verbund aus Humboldt, FU und TU). Von Aachen und Bonn war die Rede. Hinzu kommen, um das südwestliche Übermaß vollzumachen, Konstanz und Karlsruhe. Das Alibi im Osten heißt TU Dresden.

Ziemlich grotesk hören sich übrigens einige Wortfetzen aus der (erfolgreichen) Hamburger Bewerbung an. Offenbar wollte man mit Harvard gleichziehen – oder so ähnlich. Angetreten war man demnach als „Flagship University“, und zwar unter dem Etikett „Innovating and Cooperating for a Sustainable Future“. So inhaltsleer schwafeln manche Sieger.




Oh, schreckliche Sportart Völkerball – Sofort verbieten!

Ach, könnte man sich doch gegen alle Zumutungen des Lebens beschirmen... (Foto: Bernd Berke)

Ach, könnte man sich doch gegen alle Zumutungen des Lebens beschirmen! (Foto: Bernd Berke)

Dies vorangeschickt: Wir reden hier gewiss nicht über alle Kinder aller Eltern. Manche, ja viele, sehr viele wachsen auch in Deutschland unter unwürdigen oder gar gewaltsamen Bedingungen auf. Doch andererseits…

Andererseits gibt es in gewissen beflissenen Mittelschichts-Kreisen die Tendenz, den Nachwuchs (und sich selbst) quasi unbeschränkt vor allem Zumutungen des Lebens geradezu demonstrativ behüten zu wollen – zumindest, was den äußeren Anschein betrifft.

Das Helikopter-Phänomen ist zwischen Latte und SUV so oft geschildert worden, dass es längst zum komischen Klischee geronnen ist. Es verbindet sich aufs unfreiwillig Lächerlichste mit politischer Korrektheit und Unduldsamkeit, sollte da mal eine gegenläufige Meinung auftauchen.

Widersprüche will man einfach nicht hinnehmen und nicht wahrhaben. Ja, man hält sie nicht einmal mehr aus. Welch eine lebensferne Einstellung! Das Nicht-mehr-Aushalten anderer Auffassungen ist überhaupt ein Grundproblem dieser Gesellschaft. Zu dem Themenkomplex hat jüngst auch die Feministin und Philosophin Svenja Flaßpöhler der TAZ ein wichtiges Interview gegeben.

Genug der weitschweifigen Vorrede. Werden wir konkret. Denn wieder einmal haben wir ein neues Beispiel, natürlich – wie immer in derlei Fällen üblich – von „Experten“ aus dem Wissenschaftsbereich angestoßen und mitgetragen. Die Standard-Überschrift beginnt diesmal nicht mit „Experten warnen vor…“, sondern mit „Forscher fordern…“ Und was sollen sie schon fordern? Verbote natürlich. Man hat’s gern rigoros.

Verlierer*innen soll es gar nicht mehr geben

Kanadische Wissenschaftler*innen also (wir gendern hier ganz bewusst, um dem Kontext zu entsprechen) haben demnach für gutes Geld festgestellt, dass das seit Generationen in Schulen und anderswo gespielte, mehr oder weniger beliebte Völkerball (artverwandt in Nordamerika: Dodgeball) ein „Mittel der Unterdrückung“ und „legalisiertes Mobbing“ sei. Weil man nämlich laut Regelwerk Leute des gegnerischen Teams mit dem Ball treffen soll… Man könnte denken, dass damit Völkerball fast schon an Völkerschlacht grenzt. Jedenfalls, so die rigide Forderung, gehöre die Sportart abgeschafft.

Donnerwetter! Man könnte also einen Ball abkriegen und sich danach ganz, ganz schlecht fühlen. Denkt Euch nur: Es soll schon vorgekommen sein, dass böse Buben (oder Mädels) im Spiel absichtlich auf Mitschüler*innen gezielt haben. Doch nun wird uns endlich Gutes verheißen. Ganz klar: Wird kein Völkerball mehr gespielt, hört derlei übles Mobbing sofort auf, Lamm und Wolf lagern nett beieinander und der ewige Frieden bricht aus. Aber so was von!

Es gibt ja tatsächlich auch schon Leute, die überhaupt jedwedes Spiel ablehnen, bei dem es Gewinner und Verlierer gibt. Verlieren! O nein! Was für eine Schmach, die sich nimmermehr verwinden lässt! Den Herzchen ist es einfach egal, ob man dabei was fürs spätere Leben lernen könnte. Sie meiden jede mögliche „Verletzung“. Auch so kann man später ausbrechende Aggressionen züchten.




Auf falscher Spur unterwegs? – Ein paar völlig laienhafte Zeilen über Elektro-Autos

Nun gut, dise Vitrinen-Ansicht weist mich als hoffnungslosen Automobil-Nostalgiker aus. Aber eine Klimapreis werde ich damit nicht gewinnen. (Foto: Bernd Berke)

Ich geb’s zu: Diese private Vitrinen-Ansicht weist mich als hoffnungslosen Automobil-Nostalgiker aus. Einen Klimapreis werde ich damit nicht gewinnen. (Foto: Bernd Berke)

Dies vorweg: Von Technik habe ich wenig bis gar keine Ahnung, erst recht nicht von deren Feinheiten. Trotzdem stelle ich mir als Laie die Frage, ob „wir“ mit dem politisch forcierten E-Auto nicht auf der völlig falschen Spur unterwegs sind. Und nein: Wir reden hier weder über die gängige (Hoch)-Kultur noch über Laufkultur (von Motoren).

Wie ich überhaupt darauf komme? Hübsch der Reihe nach. Beispielsweise las ich dieser Tage u. a. online in der „Welt“, dass Audi (Slogan seit 1971: „Vorsprung durch Technik“) rund 7000 bereits ausgelieferte E-Fahrzeuge, die sogenannten E-Tron-Modelle, zurückrufen muss. Unter sehr ungünstigen Umständen (Strom-Betankung bei Regen) könne die Batterie feucht werden. Beim dann möglichen Kurzschluss könne sie sogar Feuer fangen. Oha! Wie schaut es denn wohl in dieser Hinsicht bei den anderen Marken aus?

…und wenn sie mal Feuer fangen?

Zweiter Vorfall, ähnlicher Sachverhalt, aber noch mehr zugespitzt. Neulich lief die regionale Nachricht, dass ein Elektro-Auto Feuer gefangen hatte. Als die Feuerwehr ohne detaillierte Vorab-Infos eintraf, konnte sie nicht wie gewohnt gleich zum Löschen schreiten, sondern musste offenbar besondere Vorsichtsmaßnahmen ergreifen, die wertvolle Zeit kosteten. In der kurzatmigen Nachricht wurde das zwar erwähnt, aber nicht weiter hinterfragt. Dabei wäre das nicht nur mal eben eine Nachfrage wert, sondern es dürfte sich dahinter ein weitaus größeres Thema verbergen, kann man doch vermuten, dass sich hier ein generelles Problem mit E-Autos auftut. Was, wenn wir erst zigtausend dieser Fahrzeuge auf den Straßen haben?

Drittens kann man vielfach nachlesen, dass die Öko-Bilanz der Elektro-Fortbewegung gar nicht so übermäßig günstig ausfällt. Die Herstellung der Akkus/Batterien verschlingt eine Menge an Ressourcen, die in die Gesamtrechnung mit einfließen müssten. Auch entstehen bei der Produktion etliche Schadstoffe. Klingt nicht gerade nach strikter Klima-„Neutralität“. Weitere Stichworte: Es gibt viel zu wenig Ladestationen und falls dann mal eine zur Verfügung steht, dauert das Laden ziemlich lang, die Reichweite des Fahrzeugs ist hingegen immer noch recht kurz. Kulturbeflissene mögen an dieser Stelle ein bildungshuberisches „Vita brevis, ars longa“ einflechten. Wir wollen sie nicht hindern.

In eine Technik geradezu verbissen

Doch zurück zum Thema: Wäre es möglich, dass sich Politik und Gesellschaft insgesamt spät, aber dann auf einmal doch panisch, vorschnell und gleichsam „alternativlos“ (furchtbares Totschlage-Wort) auf eine spezielle Technik festgelegt, ja geradezu darein verbissen haben, die einige gravierende Schwierigkeiten mit sich bringt? Wäre es ferner möglich, dass verstärkte Forschung (und entsprechender Einsatz von Finanzmitteln) auf anderen Gebieten weiter führt? Doch kaum denke ich dabei ganz naiv an Wasserstoffantrieb, lese ich akut, dass eine Wasserstoff-Tankstelle explodiert sei. Es ist wirklich kompliziert.

Ein Signal ist immerhin, dass sich manche Aktien-Investoren den Titeln zuwenden, die mit Wasserstoff und Brennzellentechnik Brennstoffzellentechnik arbeiten. Sobald sich damit Gewinn machen lässt, bekommt die Sache wohl ihre Eigendynamik. Wie man hört, leben wir nämlich immer noch in kapitalistischen Verhältnissen.

Es sieht freilich ganz so aus, als müsste noch sehr, sehr viel nachgedacht und zielgerichtet experimentiert werden. „Greta“ und die freitäglichen Klima-Katastrophen-Kohorten allein werden da mit ihren wohlfeilen Maximalforderungen (mögliches Motto: „Alles – und zwar sofort“) kaum Abhilfe schaffen können. Lindnersche Arroganz nach dem gegenläufigen Motto „Lasst mal die Experten ‚ran“ allerdings auch nicht.

P. S.: …und bei all dem haben wir noch gar kein Wort über Arbeitsplätze in der Autoindustrie verloren. Aber das interessiert ja eh nur noch die IG Metall und deren Mitglieder, oder?

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Im unten stehenden Kommentarbereich wird der Beitrag en détail schon korrigiert. Bei Facebook, wohin ich den Text verlinkt habe, gibt es – wie üblich – mehr Wortmeldungen.

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Mal sehen, vielleicht wird hieraus noch eine Serie. Arbeitstitel: „Sachen, von denen ich keinen Schimmer habe, über die ich aber trotzdem schreiben möchte“. Ich wäre in der Medienlandschaft beileibe nicht der Einzige, der nach dieser Parole verfährt.




Kinder für Kultur gewinnen, Digitalisierung voranbringen – Neues Konzept beim Landschaftsverband Westfalen-Lippe

LWL-Kulturdezernentin Barbara Rüschoff-Parzinger führt einen digitalen ZUgang zum archäologischen Fund (Gebeine einer 5300 bis 4500 v. Chr. gestorbenen Bäuerin) vor: Auf dem Tablet-Bildschirm sieht man, wie sich die Bäuerin die Gelenke ruiniert hat. (Foto: Bernd Berke)

LWL-Kulturdezernentin Barbara Rüschoff-Parzinger führt einen virtuellen Zugang zum archäologischen Fund (Gebeine einer 5300 bis 4500 v. Chr. gestorbenen Frau) vor: Auf dem Tablet-Bildschirm sieht man, wie sich die Bäuerin ihre Gelenke ruiniert hat. (Foto: Bernd Berke)

Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) will die Kultureinrichtungen seines weitläufigen Einzugsgebiets mit einem neuen Langzeit-Konzept unterfüttern, das im fertigen Druck rund 150 illustrierte Seiten umfassen wird. Zeitliche Zukunftsperspektive der Planung: die nächsten zehn Jahre. Eine Zwischenbilanz ist nach fünf Jahren vorgesehen. Und was steht drin im Konzept?

LWL-Kulturdezernentin Barbara Rüschoff-Parzinger schickt voraus, dass es nicht um strikte Richtungsangaben gehe: „Wir verstehen das Konzept als Kompass und nicht als starren Fahrplan.“ Sie hat die wesentlichen Grundzüge heute im Herner Archäologiemuseum vorgestellt – ein Haus, das sie vormals selbst geleitet hat und das jetzt eine gewisse Vorreiterrolle auf dem Parcours der Reformen einnimmt.

Zwei von insgesamt zehn Punkten gelten als besonders wichtig: Wie gewinnt man Kinder und Jugendliche für Museen und sonstige Kultur, wie hält man sie bei der Sache? Und natürlich läuft auch hier, wie allerwärts, eine weitere Leitlinie auf „Digitalisierung“ hinaus. Auf diesem Felde will man zahlreichen kleineren Museen, die über wenig Mittel verfügen, beratend zur Seite stehen. Rüschoff-Parzinger: „Wenn die Schulen digitalisiert werden, müssen auch die Museen mitmachen. Sonst versteht man sich nicht mehr.“ Kinder und Digitalisierung also. Klingt zunächst noch nicht so furchtbar originell.

Fragebogen-Aktion in rund 1200 Schulen der Region

Doch zunächst zum Nachwuchs. Der LWL hat Fragebögen an alle westfälischen Schulen (rund 1200 an der Zahl) verschickt. Rund 1600 Bögen kamen zurück, weil nicht nur ganze Schulen, sondern auch einzelne Klassen teilgenommen haben. Es wurden so grundlegende Fragen gestellt wie die, was nach Auffassung der Schüler(innen) eigentlich mit Kultur zusammenhängt. Hier ragten – kein Witz – Reiz- und Schlüsselwörter wie Schloss (15,3% der Nennungen) und sogar Blaskapelle hervor. Nicht ganz leicht, daran sinnreich anzuknüpfen. Aber es gibt ja auch noch etliche andere Zugänge, die stets „auf Augenhöhe“ mit den Kindern eröffnet werden sollen.

Der genauerer Blick auf die virtuelle Szene mit der Bäuerin vermittelt einen Eindruck von der mühsamen steinzeitlichen Art des Getreidemahlens. (Foto: Puppeteers / Sebastian Heger)

Der genauere Blick auf die virtuelle Szene mit der Bäuerin vermittelt einen Eindruck von der steinzeitlichen Art des Getreidemahlens. (Foto: Puppeteers / Sebastian Heger)

90 Prozent aller Befragten hatten laut LWL-Umfrage schon mal ein Museum besucht, die allermeisten mit der Schulklasse, viele auch mit der Familie, wobei sich hier schichten- und schulformenspezifische Unterschiede abzeichnen. Kinder und Jugendliche wünschen sich weit überwiegend andere, zeitgemäßere Darbietungsformen in den Museen – weniger klassische Führungen und mehr kreative Aktionen, eigene Erfahrungen inbegriffen, etwa beim Herstellen einschlägiger Objekte. Auch sollen die vermittelten Inhalte möglichst mit dem eigenen Leben zu tun haben – und sei’s auf indirekte, aber nachvollziehbare Weise. Dass hier auch digitale Annäherungen ins Spiel kommen, versteht sich beinahe von selbst.

Eintritt frei, Anfahrt kostenlos

Seit 1. April lief die Versuchsphase, in der Kinder und Jugendliche in den 18 LWL-Museen keinen Eintritt mehr bezahlen mussten. Die Besucherzahlen mancher Häuser haben sich seither so rasant nach oben entwickelt, dass die Vergünstigung jetzt dauerhaft sein soll. Manche NRW-Städte haben es ja bereits in ähnlicher Weise vorgemacht. Kaum minder wirksam: Nach unbürokratischem Antrag (Formular auf der LWL-Internetseite) wird eine Klassen-Anfahrt zum gewünschten Museum vom LWL bezahlt – auch schon mal über mittlere Strecken wie von Detmold nach Herne. 300.000 Euro stehen für solche Bustouren vorerst bereit.

Doch der Verzicht auf Eintrittsgeld und die subventionierten Anfahrten genügen nicht. Die Museen müssen halt Attraktionen bieten. Inhalte und Formen der Darstellung sollen zur Zielgruppe passen, Spaß machen, spannend sein.

Original-Exponat plus virtuelle Darstellung

Und die Digitalisierung der Museumslandschaft? Nun, wohin die Reise in den nächsten zehn Jahren geht, kann eigentlich noch niemand genau wissen, denn die Technik entwickelt sich bekanntlich rasend schnell.

Einstweilen steuert man auf Installationen zu, die im Herner Archäologiemuseum auch schon an mehreren Stationen zu besichtigen sind: Ein Original-Vitrinenstück, beispielsweise ein Faustkeil, wird geradezu „geisterhaft“ holographisch ergänzt. Da sieht man im bewegten virtuellen Bild, wie das Stück in der Steinzeit verwendet worden ist. Auch eine in der Vitrine schwebende Textprojektion gehört dazu. Fraglich bleibt, ob und wie rasch sich solche Effekte abnutzen.

Frappierend auch die Möglichkeit, mit dem eigenen Smartphone oder Tablet ein Museums-Exponat wie jene Gebeine einer vor etwa 7000 Jahren gestorbenen Bäuerin anzusteuern und mit einer virtuellen Erscheinung („Augmented Reality“) auf- oder jedenfalls umzuwerten. Da sieht man, mit welchen Dauerbewegungen beim Getreidemahlen sich die Frau damals ihre Gelenke ruiniert hat. Solche technischen Zaubereien in allen Ehren. Ohne die Aura des Originals wären sie jedoch wenig wert.

Aufwertung des ländlichen Raumes

Unterdessen wird auch schon darüber nachgedacht, ob künftige Ausstellungen als virtueller Rundgang gespeichert werden sollen, sprich: Man könnte eine Schau, die längst geschlossen ist, noch Jahre später durchstreifen, beispielsweise auch zu Hause, mit einer Spezialbrille für Virtual Reality (VR) ausgestattet. Man ahnt schon, dass im Zuge einer solchen Entwicklung kiloschwere gedruckte Kataloge an Bedeutung einbüßen könnten.

Weitere gewichtige Zielvorstellung, die im Konzept dargelegt wird: die Stärkung des ländlichen Raumes auch auf kulturellem Gebiet. Außerdem in Planung: der Ausbau der Burg Hülshoff zum (anglo-neudeutsch so benannten) „Center for Literature“ (CfL) sowie die Stärkung von historischen „Erinnerungsorten“ wie dem Kriegsgefangenenlager Stalag 326 in Schloß Holte-Stukenbrock (Kreis Gütersloh).

Politisch schon beschlossene Sache

All dies und ein maßvoll erweiterter Stellenplan sind Kostenfaktoren. Doch es handelt sich beim Konzept nicht um Traumgespinste, sondern um regionalpolitisch bereits einmütig beschlossene Maßnahmen. Barbara Rüschoff-Parzinger erwähnt in diesem Kontext eigens den Dortmunder Stadtdirektor Jörg Stüdemann, der Kulturdezernt und Kämmerer in Personalunion ist und vom neuen LWL-Konzept angetan sei. Und tatsächlich: Stüdemann dürfte qua Doppelamt nicht nur wissen, zu welchem Zweck man Kultur finanziert, sondern auch: woher das Geld kommen könnte.

Wie im gegenwärtigen Kulturmanagement üblich, ist in derlei konzeptuellen Zusammenhängen immer wieder von Bedarfen (in der Mehrzahl), Evaluierung, Vernetzung, Akteuren oder gar „Stakeholdern“ der Kultur die Rede. Man merkt allenthalben, dass Frau Rüschoff-Parzinger, der dieser Jargon nicht fremd ist, die Dinge systematisch und strategisch angeht. Dennoch betont sie, dass manches auch dem Geschick überlassen bleibt, dass wohl nicht alle Experimente gelingen werden. Auch hier gelten eben Bert Brechts legendäre Songzeilen: „Ja, mach nur einen Plan…“




Ist er Magister oder sinister? – Woher kommt bloß auf einmal diese Titelflut?

Nanu? Sollte dieser Doktorhut am Ende nicht echt sein? (Foto: BB)

Nanu? Sollte dieser Doktorhut am Ende nicht echt sein? (Foto: BB)

Über Doktortitel lässt sich gelegentlich streiten. Immer mal wieder werden – zumal im „politischen Raum“ – Titelträger offenbar, anscheinend (oder auch nur scheinbar) entlarvt, weil sie wissenschaftlich nicht sauber gearbeitet haben sollen.

Eine Folge ist vielleicht nachlassender Respekt vor jedweder Promotion. Und so manche Leute geraten in Verdacht, bloß ein Dr. Copy & Paste zu sein. Sinistre Machenschaften.

Tatsächlich gibt es ja nicht wenige dümmliche Doktoren/Doktorinnen oder andererseits, wie zum gerechten Ausgleich, außerordentlich kluge Sterbliche ohne jegliche Weihen solcher Art. Wer wüsste das nicht?

Neuerdings ist immer öfter zu gewärtigen, dass (beispielsweise in Job-Netzwerken) studierte Leute etwas minderen akademischen Grades ihre Magister-Titel stolz dem Namen voranstellen, etwa so: Mag. Karl Napf, Mag. Erna Puvogel. Verzeiht mir bitte die saublöden Beispielnamen. Sie sollen ja eben nicht realistisch sein. Jede Ähnlichkeit mit lebenden Personen ist Zufall.

Auf einmal scheinen also Magister bzw. Magistra eine gewisse Wertschätzung zu genießen. Liegt es etwa daran, dass Bachelor und Master nicht so recht überzeugt haben? Dass man nicht so viel Verdacht weckt wie mit einem Doktorgrad? Erlebt das Goethische, das Faustische „Heiße Magister, heiße Doktor gar…“ hinterrücks eine Renaissance? Oder haben wir hier schlichtweg ein weiteres Beispiel für Geltungssucht, fürs offensive Herzeigen auch der paar geistigen Habseligkeiten? Wobei man bedenken muss: Beim Magister ließe sich theoretisch ebenso schummeln wie beim Doktor.

Soll ich Euch etwas verraten: Auch ich habe ich grauer Vorzeit einen Magister Artium erworben – rechtmäßig, im Schweiße meines Angesichts, ich schwör‘. Soll ich deshalb als Mag. auftreten? Oder als M. A., wie es ehedem hieß? Weniger wohlwollend betrachtet, klingt das nach (schwarzer?) Magie, es könnte auch auf Namens-Verhunzung hinauslaufen. Und neutral betrachtet? Lasse ich den Humbug einfach bleiben.

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P.S.: Was die Titelvergabe und die Benennungen angeht, bin ich nicht mehr auf dem aktuellen Stand. Ist Mag. dasselbe wie M. A.? Ist das eine die österreichische, das andere die deutsche Variante? Oder gibt es da anderweitig haarfeine Unterschiede? Ich mag es nicht googeln.

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Auflösung des Bilderrätsels: Das schlaue Schweinchen trägt die Kappe eines Pfefferstreuers auf dem Kopf. Hehe!




Chef des „Dortmunder U“: Edwin Jacobs hört schon wieder auf und geht nach Maastricht

Künftig Akademie-Leiter in Maastricht: Edwin Jacobs verlässt das „Dortmunder U". (Foto: Patrick Temme)

Künftig Akademie-Leiter in Maastricht: Edwin Jacobs verlässt das „Dortmunder U“. (Foto: Patrick Temme)

Welch eine Überraschung! Edwin Jacobs (58), der vor nicht einmal zweieinhalb Jahren mit großen Ambitionen gestartete Direktor des Kulturzentrums „Dortmunder U“ (und somit auch des Museums Ostwall), gibt diesen Posten schon wieder auf. Er wechselt im Herbst auf eigenen Wunsch nach Maastricht.

Vor wenigen Tagen haben wir noch – durch Utrecht flanierend – im privaten Kreis eher scherzhaft gegrübelt, warum Jacobs seinerzeit wohl diese herrlich pittoreske Stadt gegen das zu weiten Teilen recht ernüchternde Dortmund eingetauscht hat. Jetzt haben sich solche müßigen Grübeleien erübrigt.

Den Niederländer Edwin Jacobs, im Januar 2017 just vom Centraal Museum in Utrecht nach Dortmund gekommen, zieht es beruflich in sein Heimatland zurück, und zwar nicht etwa als Museums-Chef, sondern als Leiter der Kunstakademien in Maastricht. Dort tritt er bereits im September 2019 an. Die Kunstakademien Maastricht sind Teil der Zuyd University of Applied Sciences  – mit Studiengängen u. a. in Bildender Kunst, Design, Architektur und Multimedia-Design.

„Eine sehr persönliche Entscheidung“

Jacobs beginnt also eine akademische Karriere. Eine Pressemeldung der Stadt Dortmund zitiert ihn so: „Es ist eine sehr persönliche Entscheidung. Ich habe das Gefühl, in Museen nun alles erreicht zu haben. Als Leiter einer Kunsthochschule habe ich die großartige Chance, meine Erfahrungen und mein Wissen weitergeben zu können – das ist ein Geschenk.“ In Dortmund, so Jacobs demnach weiter, habe er sich sehr wohl gefühlt, er bleibe dem „U“ und der Stadt weiter verbunden. Was man halt als netter Mensch so zum Abschied sagt.

Defizit mit spektakulärer Schau über „Pink Floyd“

Edwin Jacobs hatte internationales Aufsehen erregt, als er (nach Stationen in London und Rom) die spektakuläre „Pink Floyd Exhibition“ nach Dortmund holte. Doch die groß angekündigte und beworbene Schau lockte deutlich weniger Besucher an als angepeilt. Bis heute liegen dazu offiziell immer noch keine konkreten Zahlen vor. Klar ist aber, dass dabei auch ein nicht unerhebliches finanzielles Defizit entstanden ist. Man mag nun spekulieren, ob Jacobs‘ Rückzug auch damit zu tun hat.

„Gefühl von Sommer“ und Umbau der Sammlung

In wenigen Tag wird Jacobs noch eine weitere Ausstellung präsentieren, die unter seiner Leitung entstanden ist. Unter dem Titel „Ein Gefühl von Sommer…“ wird das Museum Ostwall ab 11. Mai Bilder der niederländischen Moderne aus der Sammlung Singer Laren zeigen. Im Gegenzug sind 70 expressionistische Werke aus der Dortmunder Sammlung im Museum Singer Laren zu sehen. Der Austausch trägt ersichtlich die Handschrift von Jacobs.

Außerdem hat Edwin Jacobs eine grundlegende Neuordnung der Dortmunder Ostwall-Sammlung angestoßen, die gegen Ende dieses Jahres zu besichtigen sein soll – ein durchaus auf Langzeitwirkung angelegtes Projekt. Inwieweit von der Dortmunder Personalie die Zusammenarbeit mit dem künstlerischen Enfant terrible Jonathan Meese berührt ist, wird sich weisen müssen.

Als Interims-Leiter des „U“ wird Stefan Mühlhofer fungieren, der Direktor der Dortmunder Kulturbetriebe. Und schon wird die Suche nach einem Nachfolger oder einer Nachfolgerin eingeleitet. Dazu wird eine Findungskommission gebildet, der man nur Fortune wünschen kann, damit das „U“ nicht abermals für längere Zeit ohne adäquate Leitung bleibt. Das Haus mit den imponierenden Dimensionen braucht eine Perspektive.

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Nachtrag in Sachen „Pink Floyd“ am 10. Mai 2019:

Wie die Ruhrnachrichten heute berichten, hat das lange Schweigen über Besucherzahlen und Einnahmeverluste offenbar Vertragsgründe der geradezu grotesken Art. Demnach durfte die Stadt Dortmund nichts Näheres dazu verraten, weil sie sich auf einen komplizierten Vertrag mit dem New Yorker Unternehmen CPI eingelassen hatte, das die „Pink Floyd“-Ausstellung weltweit vermarktet. Hätte man die Zahlen ohne Genehmigung von CPI verkündet, so Dortmunds Kulturdezernent und Stadtkämmerer Jörg Stüdemann laut Ruhrnachrichten, dann wäre eine Vertragsstrafe von 1,2 Millionen Euro fällig gewesen. Die CPI-Anwälte verstanden in dieser Hinsicht offenbar keinen Spaß.

Auch so sei der finanzielle Verlust schon gehörig. Das Defizit, das die Schau verursacht hat, dürfte laut RN noch weitaus höher liegen, als bisher befürchtet wurde. Demzufolge geht es nicht „nur“ um eine knappe Million Euro, sondern um etwas über zwei Millionen Euro! Rund 60.000 Besucher waren gekommen, mindestens das Doppelte hatte man veranschlagt…

Der Abschied von Edwin Jacobs, so Stüdemann, habe nichts mit diesem Defizit zu tun.




„Alles nur geklaut?“ – Dortmunder Schau auf Zeche Zollern zeichnet „abenteuerliche Wege des Wissens“ nach

Vorführung des von Karl Drais erfundenen Laufrades anno 1818 in Paris. (LWL/Repro: Hudemann)

Wichtige Station in der Erfindungsgeschichte des Rades: Vorführung des vom Karlsruher Karl Drais erfundenen Laufrades – anno 1818 in Paris. (LWL/Repro: Hudemann)

Das gibt’s beileibe nicht in jeder Ausstellung: In der Dortmunder Schau mit dem flotten Fragezeichen-Titel „Alles nur geklaut?“ (ebenfalls geklaut: beim gleichnamigen Song der „Prinzen“) wird das Rad gleichsam noch einmal neu erfunden.

Auch sonst werden „Die Abenteuerlichen Wege des Wissens“ (Untertitel) beschritten. Es geht um Entstehung und Weitergabe des Wissens, aber auch um Geheimhaltung und Spionage – mit historischen und aktuellen Weiterungen bis zum Datenschutz. Ein weites Feld, fürwahr, das da mit 370 Exponaten auf 1000 Quadratmetern ausgeschritten wird.

Symboltier der Ausstellung für „geklautes" Wissen: die diebische Elster. (Grafik: baier + wellach projekte / Golasch)

Steht als Symboltier der Ausstellung für „geklautes“ Wissen: eine diebische Elster. (Grafik: baier + wellach projekte / Golasch)

Kurz zurück zum Rad. Das älteste Exponat im Dortmunder LWL-Industriemuseum Zeche Zollern ist ein jungsteinzeitliches hölzernes Scheibenrad, aufgefunden im Moor bei Aurich und daher staunenswert gut konserviert. Es stammt aus der Zeit um 2350 v. Chr.

Sodann kann man wesentliche Entwicklungsschritte bis hin zum heutigen Formel-1-Reifen verfolgen. Zwischendurch hat eine holographisch erzeugte „Geistererscheinung“ ihren Auftritt. Da spricht im Kleinformat ein dreidimensionaler Schauspieler zu uns, stilecht gewandet als Freiherr Karl von Drais, welcher anno 1817 das Laufrad („Draisine“) erfunden hat. Gleich daneben kann man Drais‘ Antlitz als Lebendmaske bewundern, zusätzlich versehen mit echten Wimpern des Mannes. Ein Stück wie aus der Wunderkammer.

Diese Ausstellung arbeitet mit verschiedensten Medien und Methoden, um eben auch möglichst viele Menschen anzusprechen. Herkömmliche museale Exponate und Vitrinenstücke werden vielfach flankiert von künstlerischer „Intervention“ (mit einer Arbeit von Jean Tinguely bis hin zur Performance) und vor allem (multi)medialer Aufbereitung. Wo irgend möglich, geht es betont spielerisch zu, im nicht gar so schönen Neusprech gesagt: „Gamification“ genießt im Zweifelsfalle Vorrang.

Wer knackt die Codes in den Geheimkammern?

Ein Clou sind die sechs „geheimen Kammern des Wissens“. Nach dem Muster der schwer angesagten Escape Rooms (man darf ins Freie, wenn man vorher Rätsel gelöst hat) soll man in diesen abgetrennten Räumen knifflige Fragen beantworten und Codes knacken; natürlich alles auf freiwilliger Basis. Wer es schafft, wird in die „Loge des Wissens“ aufgenommen. Und selbstverständlich bleibt niemand, der die Antworten nicht findet, hilflos in der Raumzelle gefangen…

Die Loge in allen Ehren. Aufschlussreich ist aber schon der ganz normale Rundgang durch die Schau. Eingangs wird der Prometheus-Mythos aufgegriffen, demzufolge alles Wissen ursprünglich von den Göttern herrührt, das ihnen jedoch vom Menschen entwunden („geklaut“?) wurde.

Diese Installation bezieht sich auf den frühen Ruhrgebiets-Industriellen Friedrich Harkort, der sein Fachwissen auf Reisen nach England entscheidend erweiterte. War er Pionier oder Spion? Scherzhaft hat man gesagt: ein „Spionier". (Foto: LWL/Hudemann)

Diese Installation bezieht sich auf den frühen Ruhrgebiets-Industriellen Friedrich Harkort, der sein Fachwissen auf Reisen nach England erwarb. War er Pionier oder Spion? Scherzhaft hat man die Worte kombiniert: ein „Spionier“. (Foto: LWL/Hudemann)

Doch allmählich wurde offenbar, dass der Mensch auch selbst neues Wissen generieren konnte. Und zwar mit der Zeit dermaßen viel Wissen, dass es irgendwie gespeichert werden musste: Da steht man unversehens zwischen einem 243 Bände umfassenden Lexikon des Universalgelehrten Johann Georg Krünitz und einem Bildschirm mit Wikipedia-Zugriff. Vertreter dieser Online-Enzyklopädie wollen die Schau besuchen, Workshops veranstalten – und dabei auch um potenzielle Mitarbeiter werben, an denen es zunehmend mangelt; womit auch eine Frage zur Weitergabe des Wissens berührt wäre.

Wissen schützen, Wissen stehlen

Weitere Themen-Facette: der Schutz des Wissens und die Verletzung dieses Schutzes. Als sinnfälliges Beispiel dient die ehedem äußerst lukrative Porzellanherstellung, die über lange Zeit ein bestens gehütetes chinesisches Geheimnis blieb. Erst 1710 kam man im sächsischen Meißen auf den „Trichter“ (Kaolin hieß das Zauberwort), führend daran beteiligt war Samuel Stöltzel. Sein Expertenwissen galt unter August dem Starken quasi als Staatsgeheimnis. Stöltzel freilich übte Verrat. Er ließ sich vom Kaiser in Wien das wertvolle Wissen abkaufen – und kehrte hernach wiederum mit frischen Erkenntnissen um Porzellan-Bemalung nach Sachsen zurück. Ein Doppelagent also. Auch er begegnet uns als sprechendes Hologramm und versucht, seine Beweggründe zu erklären.

Besonderes Exponat: In sauerstoffarmem Wasser konservierte Turbopumpe einer V2-Rakete. (Foto: Bernd Berke)

Heikles Exponat: im sauerstoffarmen Wasser konservierte Turbopumpe einer V2-Rakete. (Foto: Bernd Berke)

An etlichen Stellen stößt man in der Schau auf Ambivalenzen und Widersprüche, manchmal auch auf schreckliche Untiefen: Wernher von Braun war mit seiner Raketenforschung zunächst den Nazis zu Diensten. In Dortmund sind Teile einer V2-Rakete, der in Peenemünde entwickelten, so genannten „Wunderwaffe“ zu sehen, bei deren Fertigung mindestens 12.000 Zwangsarbeiter aus dem KZ Mittelbau-Dora (Thüringen) ums Leben gekommen sind. Wissens-Weitergabe der überaus wendigen Art: Später war von Braun eine treibende Kraft der Raketenentwicklung und des Weltraumprogramms in den USA. Sein Weg führte sozusagen von Hitler zu Kennedy, was in Dortmund durch ein irritierendes Kippbild veranschaulicht wird. Allemal ist es ein Denk- und Lehrstück zur angeblich wertneutralen Wissenschaft.

Kein Patent auf Röntgenstrahlen

Manche Leute waren aufs Eigentum an Wissen bedacht, andere zeigten sich freigebig: Wilhelm Conrad Röntgen verzichtete tatsächlich auf ein Patent für seine bahnbrechende Entdeckung der Röntgenstrahlen (Ausstellungsstück: durchleuchteter Schädel Sigmund Freuds), er befand, solches Wissen gehöre der ganzen Menschheit. Konrad Adenauer kämpfte hingegen vergebens um ein Patent für eine ungleich geringere Erfindung. Der nachmalige Bundeskanzler hatte sich einen beleuchteten Stopfpilz ausgedacht…

Ein Exemplar der legendären deutschen Verschlüsselungs-Maschine „Enigma" aus dem Zweiten Weltkrieg. (LWL/Nixdorf-Museum/ Foto: Bernd Berke)

Ein Exemplar der legendären deutschen Verschlüsselungs-Maschine „Enigma“ aus dem Zweiten Weltkrieg. (LWL/Nixdorf-Museum/ Foto: Bernd Berke)

Um Geheimhaltung und Entschlüsselung geht es an einer anderen Station: Ein Exemplar des legendären, weil weltweit beispiellosen deutschen Verschlüsselungs-Apparats „Enigma“ steht für den Geheimdienst im Zweiten Weltkrieg. Rund 10.000 Menschen arbeiteten in London an der Entschlüsselung deutscher Militär-Nachrichten, lediglich vier deutsche Fachkräfte waren als „Enigma“-Abwehr eingeteilt, wie Ausstellungs-Kurator Georg Eggenstein zu berichten weiß.

Bochum mit James Bond und Stasi

Natürlich konnte man auch diesen populären Aspekt nicht verschenken: In Sachen Spionage wirft man einen kecken Seitenblick auf James Bond, der ja bekanntlich aus dem heutigen Bochumer Stadtteil Wattenscheid stammt. Zudem wird die abenteuerliche Geschichte des Bochumer Stasi-Spitzels Karl Heinz Glocke angerissen, wie es denn überhaupt einige frappierende regionale Bezüge gibt.

Spionage-Chefin aus Dortmund setzte Mata Hari ein

Am erstaunlichsten vielleicht diese Verbindungslinie nach Westfalen: Haben Sie schon einmal den Namen Elsbeth Schragmüller gehört? Ihre Geschichte ist ein Thema für sich, sie ist wohl noch lange nicht auserzählt und dürfte weitere Recherchen lohnen. Die Frau wurde im später zu Dortmund gehörenden Vorort Mengede geboren und besaß offenbar einen scharfen analytischen Verstand. In Berlin brachte sie es im Ersten Weltkrieg zur Leitung der Spionage-Aktivitäten gegen den „Erzfeind“ Frankreich. Mancherlei Legende rankte sich um „Mademoiselle Docteur“. Genaueres wusste kaum jemand. Sie selbst hat sich – erst 1929 – nur ein einziges Mal öffentlich zu ihrer Funktion geäußert.

Verantwortliche Akteure des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (v. li.): LWL-Direktor Matthias Löb, Projektleiterin Anja Hoffmann, Dirk Zache (Direktor der Zeche Zollern) und Kurator Georg Eggenstein). (Foto: Bernd Berke)

Akteure des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL), von links: LWL-Direktor Matthias Löb, Projektleiterin Anja Hoffmann, Dirk Zache (Direktor des Industriemuseums Zeche Zollern), Kurator Georg Eggenstein. (Foto: Bernd Berke)

Frau Schragmüller setzte auch die berühmte Mata Hari ein, die vormals halbseidene Tänzerin, die nach ihrer Bühnenkarriere weiter ein glamouröses Leben führen wollte und sich daher auf Spionage einließ. Hilfreich waren dabei ihre teils hochrangigen Nachtclub-Bekanntschaften. Auch dazu gibt es neue Einsichten, weil erst seit Ende 2017 die französischen Prozessakten gegen Mata Hari eingesehen werden dürfen. 1917, also 100 Jahre zuvor, hatte das Verfahren zur Hinrichtung der Spionin geführt.

Gar vieles könnte man noch erwähnen: Besucher-Selfies, die in einer Cloud auf Stoffbannern auftauchen; einschlägige Objekte zu „Fake News“ und sonstigen Fälschungen von Schülern aus Irland, Polen und Deutschland; eine ebenso niedliche wie gruselige Spielzeugpuppe, die ins Kinderzimmer hinein lauscht und in Deutschland verboten ist. Und, und, und. Nun ist’s aber auch genug der Vorrede: Ein Besuch der schlauen Schau ist schlichtweg ratsam.

„Alles nur geklaut? Die abenteuerlichen Wege des Wissens“. Vom 23. März bis zum 13. Oktober 2019. LWL-Industriemuseum Zeche Zollern, Dortmund, Grubenweg 5. Di-So 10-18 Uhr. Eintritt 8 Euro, Kinder/Jugendliche (bis 17) frei. Katalog 29,95 Euro. Tel. Führungen/Museumspädagogik: 0231/6961-211. Internet: allesnurgeklaut.lwl.org




Jürgen Manthey, ein wahrer homme de lettres – Nachruf auf den einflussreichen Essener Hochschullehrer

Jürgen Manthey ist mit 86 Jahren in Lübeck gestorben. Unser Gastautor Frank Hirsch, heute als freiberuflicher Dozent für Integrationskurse (BAMF) tätig, erinnert sich an seine literaturwissenschaftliche Essener Studienzeit bei dem einflussreichen Hochschullehrer:

Jürgen Mantheys wegweisende Studie über das Sehen in LIteratur und Philosophie, 1991 im Hanser Verlag erschienen. (© Hanser Verlag)

Jürgen Mantheys wegweisende Studie über das Sehen in Literatur und Philosophie, 1991 im Hanser Verlag erschienen. (© Hanser Verlag)

Wer Ende der siebziger, dann in den achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts an der Essener Gesamthochschule Literaturwissenschaften resp. Germanistik studierte, traf dort im „Fachbereich 3“ (die Bezeichnung Fakultät gab’s damals nicht mehr oder noch nicht wieder) auf eine überaus kompetente und in wissenschaftlichen Kreisen angesehene Schar von Dozenten.

Unter diesen prägenden akademischen Lehrern wie vor allen anderen Erhard Schütz, Jochen Vogt, Horst Wenzel oder auch Horst Albert Glaser beeindruckte den jungen Studenten gleich in den ersten Semesterwochen besonders ein stets elegant gewandeter (Markenzeichen Schal) – durchaus gegen den habituellen Mainstream des geisteswissenschaftlichen juste milieus gekleidet – Dozent: Jürgen Manthey!

Mit weit geöffneten Augen und großen Ohren lauschte der Jungakademiker dem warm-sonoren Klang einer Stimme, die erst einmal mehr Freundlichkeit verströmte, als eine immense Ansammlung von Wissen, die sie späterhin verkünden sollte. Schnell merkte, wer es nur wollte, mit welch einer gebildeten Persönlichkeit man hier in einem Raum saß. Selten nur wurde Manthey ungeduldig ob der gelegentlichen Ignoranz oder vorsätzlichen Unbedarftheit der Studierenden, gleichwohl konnte sein feiner Sarkasmus ein untrügliches Urteil über bewiesene fachliche Inkompetenz abgeben.

Als Lektor Peter Rühmkorf und Elfriede Jelinek betreut

Jürgen Manthey war ein wundervoller Hochschullehrer, genauso wunderbar und mindestens ebenso einflussreich war er für den Literaturbetrieb der späten westlichen Bundesrepublik in den siebziger und achtziger Jahren. Beim Rowohlt Verlag war Manthey viele Jahre als Lektor tätig, dort betreute er die Werke zum Beispiel von Peter Rühmkorf, Peter Hauf oder Elfriede Jelinek.

Wer von uns Studenten auf sich hielt, las gierig jedes neu erschienene Buch aus der für die damalige Zeit wegweisenden Edition „das neue buch“ bei Rowohlt; eine Reihe, die im Gegensatz zu der damals schon ein wenig angestaubten „edition suhrkamp“ pfiffiger, avancierter und irgendwie auch links abgebogener daherkam; erinnert sei hier nur an die Bücher Rolf Dieter Brinkmanns oder an die voluminöse Flaubert-Biografie von Sartre. Manthey war zudem ein Kenner der zeitgenössischen amerikanischen Literatur, er machte unter anderen James Baldwin in Deutschland bekannt (heute wird dieser Autor zum X-ten Mal wiederentdeckt), wie auch den überaus komplexen Thomas Pynchon.

Beispielhafter Enzyklopädist und Kulturhistoriker

Was von Jürgen Manthey bleiben wird, neben den Erinnerungen seiner Studierenden, seiner Kollegen und der literarischen Welt, sind selbstverständlich seine Bücher! Natürlich beschaffte sich der Student via Bibliothek zunächst seine Fallada-Monografie bei Rowohlt. Manthey war freilich als Literaturwissenschaftler vor allem Enzyklopädist und Kulturhistoriker. Seine Hauptwerke über die Kulturgeschichte des Sehens („Wenn Blicke zeugen könnten“), vor allem aber zuletzt „Königsberg. Geschichte einer Weltbürgerrepublik“ sind von einem unfassbaren Impetus des Erklärens, des Verstehen-Wollens und des Aufweisens von kulturwissenschaftlichen Querschnitten bewegt, wie es das heute nur noch selten gibt. Und sie sind – bei aller wissenschaftlichen Stringenz – lesbar, bar jeden akademischen Jargons.

Literaturbetriebler, Literaturvermittler, Literaturliebhaber – Jürgen Manthey war ein wahrer homme de lettres!




Der Frosch und der Plastikmüll: Ravel-Doppelabend an der Essener Folkwang-Hochschule

Das Rufen nach „Maman“ macht die Welt wieder heil: Die hellblaue Tapete strahlt unversehrt, die Dinge im Zimmer haben wieder ihren Platz gefunden. Zuvor ist das Kind in Maurice Ravels Einakter „L’Enfant et les sortilèges“ jedoch rebellisch ausgerastet: Der Zwang, sich an einem schönen Nachmittag zum Erledigen der Hausaufgaben zu disziplinieren, war einfach zu viel.

Der Regisseur Georg Rootering. Foto (mit freundlicher Genehmigung): www.rootering.com

Der Regisseur Georg Rootering. Foto (mit freundlicher Genehmigung): www.rootering.com

Die Reaktion ist eine Orgie der Aggression, deren Opfer – Sessel, Tapete, Märchenbuch, Katze, Libelle, Eichhörnchen – sich dann aber in einem Alptraum zur Wehr setzen. Erst ein Akt uneigennütziger Hilfe beendet das Toben der „Zauberdinge“.

In seiner Inszenierung an der Folkwang-Universität der Künste in Essen-Werden gibt Georg Rootering der gemeinhin als psychoanalytisches Entwicklungsstück betrachteten Oper einen politischen Akzent: In der Szene im Garten marschiert eine Truppe mit Schutzanzügen auf, die tierischen Freunde eines entzückenden Froschs (Puppe: Yvonne Dicketmüller) haben sich in Plastik verfangen. Die Folgen unserer infantilen Zerstörungslust, darauf weist der Regisseur behutsam hin, werden sich nicht beheben lassen, indem wir nach der Mama rufen.

Figurenreich und fantasievoll

Szene aus Ravels "L'enfant et les sortilèges". Foto: Marie Laforge

Szene aus Ravels „L’enfant et les sortilèges“. Foto: Marie Laforge

Zwischen dem Trotz des Beginns und der Einsicht am Ende entfaltet der international zwischen Athen und Helsinki tätige Regisseur ein fantasievolles, bewegliches Spiel: Die Ausstattung von Lukas Noll und Sabet Regnery ermöglicht rasche Verwandlungen auch ohne Bühnentechnik: Chor und Ballett greifen unsichtbar zu und verschieben angeschrägte Wandelemente, die als Projektionsflächen für Farben und Bilder, aber auch mit schwarzglitzerndem Stoff als atmosphärischer Horizont dienen. Das sorgt für visuelle Abwechslung, fordert aber auch konzentriertes Reagieren – und die Studentinnen und Studenten der Folkwang-Uni bringen die Elemente mit präzisem Timing in Position. Kostüme und Masken (Andrea Köster) betonen das Fantastische, etwa in opulenten, leicht übersteigerten Tierkostümen.

Prickelnder erotischer Spaß: "L’heure espagnole" an der Folkwang-Uni in Essen-Werden. Foto: Marie Laforge

Prickelnder erotischer Spaß: „L’heure espagnole“ an der Folkwang-Uni in Essen-Werden. Foto: Marie Laforge

Die figurenreiche Oper ist für eine Hochschulproduktion wie geschaffen, nicht nur wegen ihrer Kürze. Je nach dem Stadium der Ausbildung bietet sie für Gesangsstudenten herausfordernde oder nicht allzu schwere Partien, braucht auch schauspielerisches Agieren abseits herkömmlicher Opernszenen – etwa in den Darstellung von Gegenständen wie Sessel, Tasse oder Teekanne, bei denen Rootering sich der choreografischen Erfindungskraft von Ivan Strelkin und der Tanzstudenten der Hochschule versichert. So können sich etwa Jung In Ho als Feuer, Emily Dilewski als Prinzessin aus dem zerfledderten Märchenbuch, Nikos Striezel (alternierend mit dem herrlich breakdance-eckigen Ze Yan) als Uhr oder Robin Grunwald als Fauteuil szenisch erproben. Milena Haunhorst ist ein überzeugendes Kind, Alina Grzeschick eine gestrenge Mutter. Junge Sänger in verschiedenen Stadien der Ausbildung zeigen wie Vera Fiselier (Libelle) schönes Timbre und gestaltungsfähiges Material.

Spielfreudig und schwerelos

Xaver Poncette beleuchtet mit dem Orchester aus Studierenden der Folkwang-Hochschule alle Farben von Ravels Musik, das Gestische wie das Atmosphärische, die fein modellierten Soli wie die schwerelosen, impressionistisch anmutenden Klangflächen. Im zweiten Teil des Abends, Ravels „Spanischer Stunde“ spielt er mit den Taktwechseln wie mit den kammermusikalischen Finessen.

In der anspielungsreichen musikalischen Komödie zeigen die Gesangsstudenten animierte Spiellust, so Anna Cho als quirlige Concepcion, Anton Levykin als ihr scheinbar harmlos-spießiger Ehemann Torquemada, Robin Grunwald als maskuliner Ramiro und die beiden Liebhaber Benjamin Hoffmann (Gonzalvo) und Jisu Ahn (Don Inigo).

Weitere Vorstellungen noch am 10. und 12. Dezember, jeweils 19.30 Uhr in der Neuen Aula am Campus Essen-Werden der Folkwang-Universität. Info: www.folkwang-uni.de




Lachen und lernen vom Weinberg bis in den Weltraum – ein kleines Loblied auf die unverwüstliche „Sendung mit der Maus“

Ich gestehe es freimütig: Auch im nicht mehr ganz jugendlichen Alter weiß ich die „Sendung mit der Maus“ sehr zu schätzen. In Sachen TV-Klassiker-Status kann es der orangefarbene Nager nahezu mit „Tatort“ und „Tagesschau“ aufnehmen.

Ob groß, ob klein, die Maus muss sein... (Foto: Bernd Berke / © an der Maus-Figur: WDR)

Ob groß, ob klein, die Maus muss sein… (Foto auf der heimischen Fensterbank: Bernd Berke / © an der Maus-Figur: WDR)

Die seit 1971 regelmäßig ausgestrahlten Lach- und Sachgeschichten sind halt kaum wegzudenken. Wie zu lesen ist, sind die Zuschauer(innen) im Schnitt 40 Jahre alt. Eltern, Großeltern und Kinder schauen eben gerne gemeinsam zu.

Allein schon die finalen Bestandteile der gegenwärtigen „Maus“-Ära sind aller Ehren wert, denn zum Schluss der Ausgaben sieht man entweder Shaun das Schaf, seine wolligen Gesellen, den dusseligen Farmer und den so oft gebeutelten Hund Bitzer o d e r – (Luft holen) – oder den famosen Lügenbold Käpt’n Blaubär, dessen freche Enkel und den Tolpatsch Hein Blöd. Beide Reihen sind auf je eigene Weise genialisch.

Auch die Animationsfilme in den Zwischenakten haben es oft in sich. Meine Lieblingsserie, die leider viel zu selten zum Zuge kommt, heißt „Trudes Tier“ und erzählt sehr liebevoll die etwas bizarren Geschichten einer jungen Frau, die mit einem zotteligen Monster zusammenlebt, das ihr mit seinen Eskapaden immer wieder Schweißperlen auf die Stirn treibt.

Maus, Elefant und Ente erleben derweil so elementare kleine Abenteuer, dass es mitunter ans Existenzielle oder Philosophische grenzt. Und die gar zittrig gezeichneten „Krawinkel und Eckstein“ (chaotischer Herr und sein Hund) folgen einer recht eigenen ästhetischen Spur. Das ist Staun- und Denkstoff, längst nicht nur für Kinder.

Nun aber natürlich keineswegs zu vergessen: die Sachgeschichten! Wo sonst bekäme man über Monate hinweg haarfein erläutert und vorgeführt, was sich im Jahreskreislauf in einem Weinberg begibt? Wo sonst erführe man, gleichsam Schräubchen für Schräubchen, wie ein ICE-Zug oder ein Feuerwehrwagen zusammengebaut werden? Wo sonst lernt man, wie ein Croissant gebacken wird oder wie die Löcher im Käse entstehen? Völlig andere Gewichtigkeit: Vor Jahren hat sich die Maus auch schon mit Atomkraft befasst. Die traut sich was.

Und wo sonst könnte der deutsche Astronaut Alexander Gerst so alltagsnah erläutern, was er so in der Weltraumstation ISS erlebt – vom wissenschaftlichen Experiment bis zum schwerelosen „Gang“ aufs Klo. Ein Exemplar der Maus ist (nach ungemein peniblen Schadstoff-Überprüfungen) im All dabei – und sie hat sogar einen maßgeschneiderten Astronautenanzug an…

Ebenfalls zugegeben: Ich habe die Macher der „Maus“ immer mal wieder beneidet, denn sie (vor allem Ralph Caspers) gönnen sich immer mal wieder überaus nette Dienstreisen. So haben sie etwa Schulkinder in Island, Indien, Japan oder Brasilien besucht, um zu zeigen, wie es denen so ergeht. Dabei geht es stets angemessen fröhlich und freundlich zu, niemals allzu kritisch. Doch die Kinder bekommen schon mit, wie verschieden ihre Altersgenossen auf diesem Planeten leben.

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Anhang

Moderator(innen) der „Maus“ (Erstausstrahlung 7. März 1971):

Armin Maiwald (Jahrgang 1940 – seit 1971 dabei)
Christoph Biemann (Jahrgang 1952 – seit 1983)
Ralph Caspers (Jahrgang 1972 – seit 1999)
Malin Büttner (Jahrgang 1975 – seit 2008)
Siham El-Maimouni (Jahrgang 1985 – seit 2014)

Beispielhafte Animationsreihen im Rahmen der „Maus“-Sendungen:

Janosch: „O wie schön ist Panama“ (ab 1979)
Walter Moers: „Käpt’n Blaubär“ (ab 1991)
Wouter van Reek: „Krawinkel und Eckstein“ (ab 2004)
Gunilla Bergström: „Willi Wiberg“ (ab 2004)
Richard Goleszowski: „Shaun das Schaf“ (ab 2007)
Andreas Strozyk: „Ringelgasse 19″ (ab 2010)
Marcus Sauermann: „Trudes Tier“ (ab 2014)

Eine Institution ist mittlerweile auch der Maus-Türöffner-Tag, der just wieder am jetzigen Feiertag (3. Oktober) bundesweit begangen wird und Kindern den Zugang zu Einrichtungen oder Firmen ermöglicht, die für gewöhnlich verschlossen bleiben. Vielleicht sind ja noch ein paar Plätze in der Nähe frei?




Aufruhr in der Provinz: Das Jahr 1968 in Westfalen

„1968 in Westfalen“: Der Buchtitel lässt aufhorchen, stehen doch Sauer- und Münsterländer ebenso wie Bewohner von Bergmannssiedlungen im Revier nicht gerade in dem Ruf, Rebellionen anzuzetteln. Folglich müsste es doch eigentlich vor 50 Jahren ganz ruhig geblieben sein, als in Frankfurt, Hamburg, München und Berlin Studenten in Scharen mit der Parole „Unter den Talaren Muff aus 1000 Jahren“ auf die Straße gingen.

Der Historiker Thomas Großbölting von der Uni Münster betreibt in dem Band nun eine Spurensuche. Er will rekonstruieren, was das Jahr 68 im Westfalenland nun wirklich ausgemacht hat. Herausgekommen ist dabei weit mehr als eine simple Chronik von Ereignissen, sondern die prägnante und zugleich einordnende Darstellung eines Umbruchjahres mit seinen Folgewirkungen für die Provinz. Großbölting ist übrigens der Ansicht, dass Dortmund oder Münster seinerzeit eher Mittel- als Großstädte gewesen seien.

Vom kurzen und vom langen ’68

Auch in Westfalen riefen die Ermordung des Studenten Benno Ohnesorg und des charismatischen Bürgerrechtlers Martin Luther King, das Attentat auf den Studentenführer Rudi Dutschke sowie die Massaker der US-amerikanischen Soldaten in Vietnam massive Reaktionen hervor. Die Menschen versammelten sich in großer Zahl zu Gedenk- oder auch Gebetsstunden, auch kam es zu offenen Protesten gegen Rassismus, Diskriminierung und das militärische Vorgehen der USA in Indochina.

Nachdem Großbölting gleich zu Beginn seines Buches erklärt hat, 1968 könne nicht rein als Jahreszahl verstanden werden, sondern sei vielmehr Chiffre für Widerstand, Proteste und Revolte, geht er auf die gesamtgesellschaftlichen Zusammenhänge und Entwicklungen jener Zeit ein. Dabei kommt er zu einer aufschlussreichen Unterscheidung. Der Wissenschaftler spricht von dem „kurzen“ und dem „langen“ 1968.

Er meint damit einerseits die eher ereignisorientierte Ebene. Die beginnt für ihn bereits am 2. Juni 1967 mit dem Tod von Benno Ohnesorg, den während der Demonstration gegen den Besuch des persischen Schahs der Polizist Karl-Heinz Kurras erschoss. Diese Phase endet mit der Verabschiedung der Notstandsgesetze Ende Mai 1968 im Bundestag – gegen alle Widerstände in der Bevölkerung.

Nachhaltige Veränderung der Gesellschaft

Andererseits – und das ist dann die Langversion – hat 1968 zu nachhaltigen gesellschaftlichen Veränderungen geführt. Nach Darstellung des Historikers sind „ökologisches Bewusstsein, Gleichstellung von Mann und Frau, die Akzeptanz verschiedener Formen von Sexualität, Friedensorientierung, Emanzipation und Partizipation“ heute nicht nur Teil des Mainstreams, sondern man definiere damit auch die „Loyalität zum System“.

An diesen Umwälzungen und speziell an dem „kurzen“ 1968 haben traditionelle Unistädte wie Münster mit den Studierenden ihren Anteil, aber ebenso die dazu im Vergleich noch sehr jungen Hochschulen in Ruhrgebiet. Dass es überhaupt zur Gründung der Unis in Dortmund, Bochum oder Bielefeld kam, steht im engen Zusammenhang mit dem Bildungsnotstand, der nicht nur in Deutschland, sondern in der damaligen westlichen Welt in Folge des Sputnik-Schocks ausgemacht wurde. Sputnik hieß der erste Satellit, den die Sowjetunion ins Weltall geschickt und damit im Westen Bedrohungsängste ausgelöst hatte. Mit der Forcierung von Bildung wollten nun die Industriestaaten im Wettlauf mit den Russen deutlich punkten.

Bildungsnotstand als Keim der Kritik

Bildungsnotstand und Kritik am Bildungssystem sollten allerdings auch zum Thema der Studierenden werden. Ihr Aufbegehren in Westfalen entsprang aber vor allem universitären Anlässen, wie beispielsweise in Bochum als Protest gegen eine geplante Univerfassung. Oftmals ging es allerdings auch um politischen Ereignissen, unter anderem bei der wohl größten Aktion in Münster mit über 2000 Beteiligten, die den damaligen Bundeskanzler Kurt-Georg Kiesinger bei einem Besuch der Stadt mit Sprechchören ob dessen Nazi-Vergangenheit empfingen.

Nun ist das Buch aber nicht nur lesenswert, weil es aufzeigt, dass auch Studierende in Westfalen es verstanden, auf die Straße zu gehen, sondern es beschreibt auch das gesamte Ausmaß von Aufruhr in Westfalen und darüber hinaus. Wenn man so will, blieb kaum eine gesellschaftliche Gruppe verschont, auch die Kirchen nicht. Beim Katholikentag in Essen gab‘s Debatten am laufenden Band und eine bis dahin kaum gekannte Heftigkeit der Kritik an den Kirchenoberen. Schüler und Lehrlinge machten Front gegen zu hohe Busfahrpreise, Jugendliche forderten mehr Jugendzentren. In Bochum oder auch in Münster machten Aktivistinnen von sich reden, die die traditionelle Rolle von Mann und Frau in Frage stellten und damit die Emanzipationsbewegungen nach vorne brachten.

Als Rudi Dutschke mit Johannes Rau diskutierte

Dass es in diesen stürmischen Zeiten auch Momente gab, die von Sachlichkeit geprägt waren, macht der Autor am Beispiel einer Debatte in der Wattenscheider Stadthalle deutlich. Im Februar 1968 diskutierte dort der damalige Fraktionschef der NRW-SPD (und spätere Bundespräsident) Johannes Rau mit Rudi Dutschke, der sich nach Meinung von Beobachtern nicht als radikaler Studentenführer präsentierte, sondern eher als „parteipolitischer Konkurrent der SPD“.

Wer nun wissen möchte, wo denn eigentlich der Protest seinen Ausgang nahm, den nimmt Großbölting mit auf einen Besuch in den USA Mitte der 60er Jahre, als Studierende sich für Redefreiheit auf dem Campus einsetzten, Woodstock zur Legende wurde, Schwule und Lesben, Native Americans sowie Vietnamkriegsgegner Demonstrationen organisierten. Apropos USA: Großbölting nutzt die letzten Zeilen des Buches, um eindringlich darauf hinzuweisen, dass die heutige Liberalität, die zweifellos 68 zuzuschreiben ist, keineswegs eine Selbstverständlichkeit darstellt.

Thomas Großbölting: „1968 in Westfalen. Akteure, Formen und Nachwirkungen einer Protestbewegung“. Ardey Verlag, Münster. 172 Seiten, 13,90 €.




Mutter, Tochter, Spüli

Eben bei Edeka: eine Tante, entnervt, schwer beladen, aus ihrem Korb quillt schon sehr viel Wohlfeiles, auf den Armen balanciert sie auch noch Zeugs und angelt grad nochmal in die Kühltruhe nach Plastikcontainerchen mit Fleischlappen.

Spüli, Kuli auf Zettel, 9,5×9,5cm, 2018 (© Thomas Scherl)

Hinter ihr: das Töchterlein. Blühendstes Hormonchaos mit mürrisch-gelangweiltem Fluntsch (wie man halt so guckt in dem Alter, wenn man mit Muttern einkoofn muß). Latscht, die Hände in den Taschen und ich drauf&dran, daß ich sie anstupse und ihr ein »Mensch, jetzt hilf doch mal« zuraunze. ((Aber weil ich ein angenehmer Mensch bin, laß ich’s bleiben.) (Außerdem weiß man heut ja nie. Am End les ich dann so in zwanzig Jahren in der #meToo-Gazette meinen Namen. Neeneenee, lieber nich.))

Dann, als die beiden schon fast an der Kasse sind: »Spüli, wir brauchen noch Spüli!«, sprach Mutter zu ihrem Töchterlein und das latscht auch folgsam davon und prinzipiell sogar in die richtige Richtung. Vor dem Regal mit Zahnpasta, Duschzeugs usw usf steht sie. Und überlegt. Man sieht in ihrem Köpfchen zäh die Zahnräder sich bewegen (»drehen« wär in dem Stadium des Vorgangs noch zu viel gesagt). Und wenn alle ganz leise gewesen wären, hätt‘ man’s sogar ein bißchen knirschen gehört.

Ziehendes und gezogenes Trum: ah, jetzt wird das Ergebnis rufend ausgegeben: »Mama! Was ist Spüli?« (Bei »unserem« Edeka ist besagtes Regal gut zehn Meter von der Kasse entfernt und ums Eck gehts auch nochmal.)
Irgendwo im Regallabyrinth kicherts.

»Spülmittel!«, ich.
Irgendwo im Regallabyrinth lachts.

»Geschirrspülmittel!«, die Mutter.
An vielen Stellen im Regallabyrinth lachts lauter.

Je nu, ich konnts dann nicht weiterverfolgen, aber irgendwie hat sie die Aufgabe dann doch gemeistert. Applaus, mesdames et messieurs! Auf daß das Kind keinen bleibenden Seelenschaden trage!

An der Kasse seh ich die beiden dann nochmal und belausche Muttern (gehetzt): »Schnell! Jetzt kommt gleich die Sendung im Fernsehn, über Papas Firma.«

Ok, jetzt wär das also auch geklärt.




Gewiss nicht immer geliebt, aber günstig gelesen: Seit 150 Jahren gibt es die Reclam-Heftchen

Natürlich dies und das von Goethe. Natürlich Schiller, Lessing und Kleist. Dazu Annette von Droste-Hülshoffs „Judenbuche“, Gottfried Kellers „Kleider machen Leute“ oder auch – heute weitaus weniger bekannt – Fred von Hoerschelmanns Hörspiel „Das Schiff Esperanza“. Und. Und. Und.

Reclam-Heftchen aus meinen Beständen: früher in (heute mehr oder weniger ausgebleichter) Sandfarbe, dann in entschiedenem Gelb. (Foto: Bernd Berke)

Reclam-Heftchen aus meinen heimischen Beständen: früher in (heute ziemlich ausgebleichter) Sandfarbe, dann in entschiedenem Kanari-Gelb. (Foto: Bernd Berke)

Es sind ein paar wenige Beispiele für damals oft als quälend lästig empfundene Schullektüre. Man weiß ja noch, wie sie manches angestellt haben, um einem die Klassiker zu vergällen. Wirklich für sich „entdecken“ durfte man sie erst später. Jetzt, da eine Filmserie „Fuck ju Göthe“ heißt, sind sie in den Schulen und selbst in germanistischen Seminaren längst nicht mehr so selbstverständlich wie damals.

In welcher Form hat man diese Lektüren absolviert? Mit diesen gelben Heftchen im Hosentaschenformat, die seinerzeit (bis 1970) freilich noch einen Farbton hatten wie später jene notorischen Rentner-Westen, also ein sandiges Beige. Nach und nach kamen u. a. noch Hefte in Rot (fremdsprachige Ausgaben), Orange (zweisprachig) und Grün (Interpretationen) hinzu. Doch das Markensignal ist das kräftige Kanariengelb.

Die älteste deutsche Buchreihe

Warum diese Erinnerung? Weil es diese Texte, unter dem etwas geschwollen klingenden Reihentitel „Reclams Universal-Bibliothek“, nunmehr seit 150 Jahren gibt. Bekannter sind die ausgesprochen schlicht ausgestatteten Bände unter dem eher zutreffenden Namen „Reclam-Heftchen“. Wenn ich nicht irre, höre einen kollektiven Seufzer. Das Jubiläumsmotto des (1828 in Leipzig gegründeten) Reclam-Verlages lautet denn heuer auch: „Gehasst, geliebt, gelesen“. Hauptsache Letzteres.

Die Reclam-Hefte sind die älteste noch bestehende deutsche Buchreihe. Also muss ja wohl etwas Handfestes dran sein am verlegerischen Konzept, vor allem wohl der unschlagbar günstige Preis für vielfach anspruchsvolle Dichtungen. Modernste Produktions- und Werbemethoden sorgten schon früh dafür, dass sich die Heftchen am Markt etablierten.

Es begann mit einem neuen Gesetz – und mit Goethes „Faust“

Dreimal darf man raten, was am 10. November 1867 zu allererst in der Reclam-Reihe erschienen ist. Klar doch, es waren Goethes „Faust I“ und „Faust II“, jeweils in einer Auflage von 5000 Exemplaren, was seinerzeit schon eine ordentliche Hausnummer gewesen ist. Trotzdem waren die Bändchen binnen weniger Wochen vergriffen, so dass 1868 noch einmal 10000 Exemplare gedruckt wurden. Und es kamen noch viele, viele hinterher.

Es war der Beginn einer langen Erfolgsgeschichte, die noch nicht vorüber ist. Am Anfang stand ein neues Gesetz des Norddeutschen Bundes, das just am Vortag der „Faust“-Publikation in Kraft trat, also am 9. November 1867. Danach waren alle literarischen Werke gemeinfrei, deren Verfasser mindestens seit 30 Jahren verstorben waren.

Als Klassiker noch Bestseller waren

Auch der 1832 gestorbene Goethe fiel also unter diese Regelung, so dass seine Werke honorarfrei nachgedruckt werden konnten, ohne Erben oder andere Verlage abfinden zu müssen. Auf diese Weise konnte Reclam den Preis auf 2 Silbergroschen je Band drücken und ihn sehr lange halten. Im Deutschen Reich waren 20 Pfennige der Standardpreis für ein Heft, Inflationsjahre ausgenommen. In anderen Kriegs- und Krisenzeiten wurde kurzerhand schlechteres Papier verwendet, um den Preis nicht erhöhen zu müssen. Heute haben umfangreichere Hefte allerdings längst die 10-Euro-Schwelle überschritten.

Im Stuttgarter Literaturhaus wurde zur Feier des Jubiläumstages am 11. November ein Gelber Teppich aus lauter Reclam-Bändchen ausgelegt. (Bild: Reclam-Verlag)

Im Stuttgarter Literaturhaus wurde zur Feier des Jubiläumstages am 11. November 2017 ein Gelber Teppich aus lauter Reclam-Bändchen ausgelegt. (Bild: Reclam-Verlag)

Bis in die frühen 60er Jahre waren Klassiker in Reclam-Heftchen wahre Bestseller, allen voran Schillers Drama „Wilhelm Tell“ mit einer unglaublichen Auflage von rund 5 Millionen Stück. Auch die Anzahl der Titel wuchs nahezu wahnwitzig: Bis zum Frühjahr 1898 waren bereits 3810 verschiedene Heftchen erschienen. Heute sind übrigens rund 3500 Titel lieferbar, jährlich kommen 72 neue dazu.

Finstere Kapitel der Verlagsgeschichte

In der Reclam-Geschichte gibt es auch finstere Kapitel. So wurden in der NS-Zeit alle jüdischen  und als „entartet“ verfemten Autoren aus der Reihe verbannt. Im Weltkrieg diente man sich den Soldaten mit der Reclam-Feldbibliothek an, einer – so wörtlich – „Auswahl guter Bücher für den Schützengraben“.

Das Erscheinungsbild der Hefte wurde zwar öfter mal behutsam modernisiert, doch die Anmutung blieb über viele Jahrzehnte hinweg grundsätzlich ähnlich. So einfach Gestaltung und Ausstattung auch sein mochten, so haben die Reclam-Heftchen doch gewiss große geistige Breitenwirkung entfaltet. Viele Menschen hätten große literarische Schöpfungen in teureren Ausgaben vermutlich gar nicht goutiert.

Zerfledderte Exemplare mit Schüler-Kritzeleien

Es war natürlich eine andere, eher unterschwellige Wirkung, als sie in den 1960er Jahren etwa die Edition Suhrkamp mit ihren schockbunten Bänden hatte, ohne die man sich die Revolte von 1968 kaum denken kann. Doch einst konnte man – auch dank der Reclam-Heftchen – ohne weiteres parodierend auf Klassiker Bezug nehmen, so etwa der Ruhrgebiets-Komiker Jürgen von Manger alias Adolf Tegtmeier, der den so weit verbreiteten „Wilhelm Tell“ verulkte.

Eine gediegene Bibliothek baut man eher nicht mit Reclam-Heftchen auf. Einstige Schullektüren sind denn auch hie und da zwangsläufig zerlesen und zerknittert, haben Eselsohren und sind angefüllt mit typischen Schüler-Kritzeleien. Mit diesen Heftchen durfte man das schon mal machen, insofern stehen sie auch für robust benutzbare Lektüre. Wehe, man wäre so mit dem heimischen Brockhaus oder sonstigen gebundenen Ausgaben verfahren! Apropos: Den einst so unerschütterlich imposanten Brockhaus haben die Heftchen ja nun auch überdauert.

Und so stehen oder liegen einige Exemplare auch bei mir noch immer in den fast schon ebenso legendären „Billy“-Regalen, sie nehmen ja nicht viel Platz weg. Mal eben schauen, was sich da noch findet. Oha! Da sehe ich schon was. Gleich mal wieder reinschauen. Bis dann, Leute!

 




Wege zur Klassik – eigens für Kinder und Jugendliche

Wenn Kinder auf Klassik treffen, begegnen sich in aller Regel fremde Welten. Was sagen der jungen Generation schon Namen wie Goethe, Schiller, Hölderlin, Kleist oder Herder?

Einige ihrer Werke stehen zwar in den Schulen auf dem Stundenplan – meist auch erst, wenn aus den Kindern Jugendliche geworden sind – aber das heißt ja noch lange nicht, dass bei jungen Lesern auch Interesse geweckt wird.

Der Kamener Schriftsteller Heinrich Peuckmann, gelegentlich auch Gastautor der „Revierpassagen“, hat jetzt einen schmalen Band herausgebracht, der einen durchaus auffordernden Titel trägt: „Entdecke die Klassische Literatur“.

Verständliche Kernaussagen

Peuckmann beschreibt einerseits das Leben der namhaften Schriftsteller und bringt andererseits die Inhalte ihrer wichtigsten Werke auf den Punkt. Die Stärke seines Buches liegt darin, dass er die meist komplexen Zusammenhänge auf ihre Kernaussagen konzentriert und dazu noch leicht verständlich schreibt. Da zeigt er bei einem – für manche Oberstufenschüler doch recht sperrigen – Werk wie „Iphigenie auf Tauris“ die eigentliche Essenz dieses Stücks auf, und der Leser ist gleich mittendrin in der Frage, was eigentlich Humanismus bedeutet.

Ebenso anschaulich gerät die Beschreibung von Goethes „Faust“, laut Peuckmann „vielleicht das wichtigste Werk der deutschen Literatur überhaupt“. Auch hier führt er durch ein komplexes Werk, um am Ende die eigentliche Intention und die Urfrage der Menschen, was nämlich wohl die Welt zusammenzuhalten vermag, ganz klar und deutlich herauszustellen.

Biographische Skizzen

Aber keine Sorge: Peuckmann nimmt nun nicht ein klassisches Werk nach dem anderen aus dem Regal, um sie dann alle nach und nach vorzustellen. Er skizziert vielmehr auch die Biographien berühmter Dichter und Denker. Dass der Leser über Schiller und Goethe dabei deutlich mehr erfährt als über Hölderin oder Kleist, ist selbstredend. Goethe hat nun mal einer Epoche seinen Stempel aufgedrückt und führte ein umtriebiges Leben.

Daher ist es schon fast eine Pflicht, auch von Goethes Privatleben, seinen Liebschaften und seinen experimentellen Ausflügen in die Naturwissenschaften zu erzählen. Peuckmann räumt Goethes Italienreise einen hohen Stellenwert ein, zumal es dem Dichter im Süden offensichtlich gelungen ist, die ihn damals plagende innere Schreibblockade aufzubrechen.

Am Ende erinnert Peuckmann daran, dass nicht weit entfernt von Weimar, wo Goethe, Schiller und andere Größen gelebt haben, das KZ Buchenwald liegt. Dort, vor den Toren der Stadt, herrschte während der Nazi-Herrschaft eine kaum vorstellbare Barbarei – und das in unmittelbarer Nachbarschaft zu einem Ort, der einst als Sammelpunkt für Schriftsteller galt, die das Ideal des Humanismus zum Ausdruck brachten.

Heinrich Peuckmann: „Entdecke die Klassische Literatur“. Autumnus-Verlag, 66 Seiten, 10,90 Euro.




Ob Gebühren oder Gedichte – Wenn alles zur Zumutung wird

Im Aufmacher der feiertäglichen WAZ-Titelseite geht es um Studiengebühren. Demnach möchten NRW-Hochschulen die Langzeitstudenten (so ca. ab dem 20. Semester und darüber hinaus) ein wenig zur Kasse bitten. Bis jetzt sind es nur Gedankenspiele.

Bekleidung zur Demo gegen Studiengebühren beim bundesweiten Bildungsstreik 2009 - hier am 17. Juni 2009 in Göttingen. (Foto: Niels Flöter / miRo-Fotografie) - Link zur Lizenz:https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.en

Hier hatte der Protest noch einen gewissen Pfiff: Bekleidung zur Demo gegen Studiengebühren beim bundesweiten „Bildungsstreik“ – hier am 17. Juni 2009 in Göttingen. (Foto: Niels Flöter / miRo-Fotografie) – Link zur Lizenz: https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.en

Schließlich, so die hauptsächliche Begründung, profitierten diese zögerlichen Studenten ja auch viele Jahre lang von günstigem Mensa-Essen, dito von preiswerten Nahverkehrstickets und speziellen Tarifen bei der Krankenversicherung. Womit noch nicht alle Vorteile genannt sind.

Falls nicht besondere Umstände vorliegen (Krankheit, sonstige Notlage), die eben geprüft werden müssten, finde ich die Gebührenpläne durchaus nachvollziehbar, sofern sie sich im moderaten Rahmen bewegen. Etwa 74000 Langzeitstudenten, rund zehn Prozent aller Studierenden, blockieren dem Bericht zufolge in NRW Studienplätze an den ohnehin schon überfüllten Hochschulen.

„In jedem Fall diskriminierend“

Okay, bevor jemand fragt, gestehe ich freimütig: Auch ich bin nicht in 8 Semestern fertig geworden, sondern habe zwölf gebraucht. Ein wenig Orientierungsphase und so genanntes „Studentenleben“ sollten schon möglich sein. Eng getaktete Verschulung gibt’s inzwischen mehr als genug, uns ging’s in der Hinsicht noch besser. Jedoch: Sind 20 Semester und mehr noch statthaft? Langwierig auch auf Kosten von Steuer zahlenden Kindergärtnerinnen und Krankenschwestern zu leben, ist alles andere als „cool“.

Worauf ich aber hinaus will, ist der unsägliche Ausspruch eines Studentenvertreters, der da laut WAZ folgenden Satz von sich gegeben hat:

„Gebühren sind in jedem Fall diskriminierend.“

Also ehrlich, bei diesem Schwachsinn schwillt mir einfach der Kamm.

Dümmlicher Zynismus

Weiß der Bursche, der übrigens Michael Schema heißt (keine Scherze mit Namen!), überhaupt, was er da faselt? Kennt er eigentlich die wirkliche Bedeutung des Wortes Diskriminierung? Fühlt er sich auch diskriminiert, wenn Miete und Stromrechnung fällig werden oder wenn er in der S-Bahn seinen Fahrschein vorzeigen soll? Ist ihm bewusst, dass sein Ausspruch nicht nur dümmlich, sondern nachgerade zynisch ist, wenn man an wirklich diskriminierte Menschen denkt?

Aber wir erleben ja schon seit geraumer Zeit, worauf es hinausläuft mit dem diffusen Gefühl, „diskriminiert“ und benachteiligt zu werden. Im Gefolge der political correctness an US-Universitäten, wo einem (weitaus seltener: einer) Lehrenden mitunter jede scherzhafte Äußerung als „Mikro-Aggression“ ausgelegt werden und blitzschnell zum Karriereende führen kann, breitet sich auch hier eine erschreckende Überempfindlichkeit aus, die allüberall Zumutungen und Verletzungen wittert.

Bewunderung als Belästigung?

Ein neueres Beispiel rankt sich um einen unschuldsvoll-harmlosen Text des Lyrikers Eugen Gomringer (92) aus dem Jahr 1951. Seit vielen Monaten wogt eine heftige Debatte um folgende Zeilen, die den Titel „Avenidas“ tragen:

Fassade der Berliner Alice Salomon Hoschule für Sozialarbeit, Gesundheit und Erziehung im Februar 2011. (Foto: Auto 1234 - Self photographed) Link zur Lizenz:https://creativecommons.org/licenses/by/3.0/de/deed.en

Schmucklos genug: Fassade der Berliner Alice Salomon Hochschule für Sozialarbeit, Gesundheit und Erziehung im Februar 2011. (Foto: Auto 1234 – Self photographed) Link zur Lizenz: https://creativecommons.org/licenses/by/3.0/de/deed.en

„Alleen / Alleen und Blumen / Blumen / Blumen und Frauen / Alleen / Alleen und Frauen / Alleen und Blumen und Frauen und ein Bewunderer“

Ganz, ganz schlimm, nicht wahr? Das findet jedenfalls der Allgemeine Studierendenausschuss (Asta) der Berliner Alice Salomon Hochschule, an deren Fassade der Text seit 2011 steht. In Gomringers Gedicht werde die „patriarchalische Kunsttradition“ reproduziert, in der Frauen nur die Musen seien, die den männlichen Künstler inspirieren.

Und weiter im Asta-Sprech, nun vollends losgelöst vom dichterischen Sinn: „Es (das Gedicht, d. Red.) erinnert zudem unangenehm an sexuelle Belästigung, der Frauen alltäglich ausgesetzt sind.“ Selbstredend wird die Entfernung des Gedichts gefordert. War da nicht mal was?

Sie wähnen sich für alle Zeit im Recht

Nach diesem „Verständnis“ dürfte man Frauen also nicht einmal mehr bewundern. Dass die Studierenden weder einen blassen Schimmer vom Zeitkontext des Gedichts noch von Lyrik überhaupt haben, darf man mit Fug vermuten. Diskutieren wollen sie über ihre bodenlos ahnungsfreie Gedicht-„Interpretation“ selbstverständlich auch nicht. Sie wähnen sich fraglos ein für allemal im Recht.

Gomringer, ein Doyen der Konkreten Poesie, sprach jetzt im Deutschlandfunk von „Säuberung“. Auch diese Wortwahl mutet einstweilen noch übertrieben an. Aber der Zorn des großen alten Mannes ist nur zu berechtigt.




Der schnelle Wechsel von Satz zu Satz – Anmerkungen zur Mehrsprachigkeit in Kita und Grundschule

Was diese Kinder für Sprachen können, und zwar in fließender, so gut wie muttersprachlicher Ausprägung! Beneidenswert. Ja, ich weiß, die Hintergründe sind von Fall zu Fall schmerzlich. Aber längst nicht immer. Und so manches rüttelt sich zurecht.

(Foto: Bernd Berke)

(Foto: Bernd Berke)

Um nur mal eine Grundschulklasse als Muster zu nehmen: Da spricht ein Mädchen von Haus aus Arabisch und Kurdisch, nun auch schon recht gut Deutsch, eine aus China stammende Schulfreundin begnügt sich einstweilen „nur“ mit Chinesisch und Deutsch. Arabische und chinesische Schrift natürlich inbegriffen. Ja, das alles, auf Ehr‘, können sie und noch mehr… beispielsweise auch schon ein wenig Klavier spielen.

Vielfalt im Klassenzimmer

Andere reden z. B. Spanisch und Deutsch, Russisch und Deutsch, Polnisch und Deutsch, Lettisch und Deutsch, Albanisch und Deutsch, Griechisch und Deutsch, Türkisch und Deutsch. Na, und so weiter. Anfangsgründe des Englischen kommen jeweils gerade hinzu. Und in dem Alter lernen sie spielerisch schnell, wie im Fluge. So manche Teile der Welt könnten ihnen später offenstehen, wenn denn diese Welt offenherzig und aufgeklärt wäre. Vielleicht hilft’s ja beim globalen Miteinander, dass sie schon in ganz frühen Jahren einen so vielfältigen Klassenverband hatten.

Fast noch frappierender war’s vorher in der Kita. Etwa die Hälfte der Kinder wuchs mindestens zweisprachig auf, in anderen Stadtvierteln sind es noch höhere Anteile. Zwei Schwestern konnten mit vier bzw. fünf Jahren schon Russisch, Italienisch und Deutsch. Die Mutter ist Russin, der Vater Italiener, jetzt leben sie eben hier.

Zwischen Fellini und Kaurismäki

Kleine Abschweifung: Der an gestenreiche Konversation mit lebhafter Mimik gewöhnte italienische Vater ist übrigens in Finnland, wo nach seinem Empfinden fast alles mit ziemlich unbewegter Miene gesagt wird, schier verzweifelt, er fühlte sich dort wie unter Untoten… Fellini zu Besuch bei Kaurismäki, man stelle sich vor.

Da die Eltern oft gar nicht oder längst nicht so gut Deutsch sprechen, sind inzwischen Kinder die versiertesten Dolmetscher. Ohne Zagen und Zaudern wechseln sie von der einen Sprache in die andere, je nach Situation; nach Belieben von Satz zu Satz.

Nun gut, man kann es nicht verschweigen: Besonders in „sozialen Brennpunkten“ haben manche Kinder auch arge Schwierigkeiten zwischen zwei Sprachen und beherrschen z. B. Türkisch oder Arabisch nicht mehr richtig und Deutsch noch nicht richtig.

Früher war es gänzlich anders

Früher war es grundlegend anders. Vor etlichen Jahren, in der Eingangsklasse eines Dortmunder Gymnasiums, hatten wir unter rund 30 Leuten gerade mal einen einzigen Mitschüler aus italienischer Familie, der sich schon nahezu wie ein Exot vorkommen konnte. Heute hingegen fühlt es sich beinahe schon etwas seltsam an, wenn man seinem Kind keine zweite Mutter- oder Vatersprache mitgeben kann.

Sobald Kinder in einer Phantasiesprache plappern, wär’s eigentlich höchste Zeit, ein neues Idiom zu lernen. Doch wie elend spät haben wir damals begonnen, Englisch zu lernen! Heute geht’s bereits in der Grundschule los, allererste Wörter fallen schon in der Kita.

Als man noch „Koll-Gah-Tä“ sagte

Doch, ach, damals fingen wir – im „humanistischen“ Zweig – als Zehn- oder Elfjährige erst einmal mit Latein an, mit 12 oder 13 hatten wir dann endlich auch Englisch. Überdies haben sie einem in der Schule kein alltagstaugliches Englisch beigebracht, sondern eines, mit dem man z. B. Shakespeare interpretieren sollte, also – hochtrabend gesagt – Bruchstücke einer literaturwissenschaftlichen Sondersprache.

Es waren die Jahre, in denen man mit ein paar rudimentären Englisch-Kenntnissen in Deutschland noch zur privilegierten Minderheit gehörte. Drum waren es auch die Jahre, in denen man kollektiv die Namen angloamerikanischer Produkte („Koll-Gah-Tä“) noch nach deutscher Lautung aussprach. Na, das hat sich ja dann bald gegeben. Heute sprechen so gut wie alle ein bisschen englisches Kauderwelsch – oder eben mehr.

Integration mit gewissen Hindernissen

Zurück zu den polyglotten Kindern von heute. Mit vorsichtiger Hoffnung gesagt, scheinen sich da viele Geschichten (neudeutsch: „Narrative“) von gelungener Integration zu entwickeln. Allerdings muss man schauen, wie sich das fortspinnt. Dazu zwei ganz gegenläufige Wahrnehmungen, gleichermaßen betrüblich:

Man hört von einer Neunjährigen mit muslimischen Eltern, die nebenher Arabisch-Unterricht bekommt (bei wem und mit welchen Inhalten auch immer) und ihre liberale Mutter zunehmend streng bedrängt, wenigstens Kopftuch zu tragen.

Andererseits haben sich „erzdeutsche“ Eltern aufgeregt, dass eine neue Mitschülerin aus Syrien der Klasse jeden Tag ein (!) arabisches Wort beibringen durfte, um erste kleine Erfolgserlebnisse zu haben. Da kam unter anderem die bitterlich ernste, mehr als giftige Frage auf, ob Kenntnisse im Arabischen denn etwa auch benotet würden…

 




Him und Brom, Glimpf und Toffel

Doch, doch, ich erinnere mich an Momente oder gar Phasen im Studium, die wirkliche Aha-Erlebnisse beschert haben. Freilich geschah dies eher abseits vom Hauptweg.

Him und Brom, hübsch sortiert. (Foto: Bernd Berke)

Him und Brom, hübsch ordentlich sortiert. Und wer knipst nun den Glimpf? (Foto: Bernd Berke)

Zuerst aber kurz zum Zeitgeist, der damals in der Germanistik herrschte: Es war Brauch, zunächst einmal alles als bloßen und blanken Text (im Sinne eines sprachlichen Gewebes, einer Textur) zu verstehen – von der Boulevard-Schlagzeile bis zum Rilke-Gedicht, vom Flugblatt bis zum Toilettenspruch und zum Werbeslogan.

Die Parole hieß: Bloß keine grundlegenden Unterschiede, keine Hierarchien! Selbst der beste Roman wäre demnach auch nur ein textueller Sonderfall. Alles sollte herunter von den imaginären Denkmalssockeln.

Das Wort „Dichtung“ war verpönt

Man ließ es sich angelegen sein, „Texte“ noch und noch zu zergliedern, bis nur noch ein Skelett übrig blieb. Liebe zur Dichtung wurde auf diese Weise nicht unmittelbar befördert. Auch nicht mittelbar. „Liebe“ und „Dichtung“ durfte man eigentlich überhaupt nicht sagen oder denken. Das galt als hoffnungslos romantisch, bürgerlich und veraltet. Das war soooo Benno von Wiese… Bertolt Brechts „Glotzt nicht so romantisch!“ wurde derweil zu Tode zitiert. Es war die Zeit, als bei den Historikern kaum eine Seminararbeit denkbar war, in der nicht ausgiebig aus MEW (Marx-Engels-Werke) zitiert wurde. Die Herren hatten ja den Weltenlauf schon vorhergesagt…

Kafka hielt es nicht mit den Proletariern

So kamen manche, schwerstens und gröbstens linke Kommilitonen zu irrwitzigen Urteilen wie dem, dass etwa Franz Kafka es nicht ausdrücklich mit den Proletariern seiner Zeit gehalten habe und somit für den Fortgang der Historie nur von minderer Bedeutung sei. Wie denn überhaupt alle Interpretation verpönt war, die der Literatur immanent blieb und nichts sofort aufs Gesellschaftliche, am besten gleich auf den Klassenkampf abhob. Unter solchen Auspizien blieben nicht viele Schriftsteller übrig, die man gelten lassen durfte. Wie gut, dass man durch mancherlei Lektüre gegen solchen Schwachsinn „geimpft“ war – allem Zeitgeist zum Trotz.

Herz- und lieblos zergliedert wurden nicht nur kunstvolle Werke, sondern das Gerüst der Sprache selbst. Linguistik in Form der Generativen Transformationsgrammatik gehorchte eher dem mathematischen Denken und war für jeden Wortfex eine Quälerei, die just auch mit Liebe zur Sprache nichts mehr gemein hatte. Solche nichtsnutzigen Gefühle sollten einem offenbar gründlich ausgetrieben werden.

Als der Prof über Ich-Schwäche redete

Und schon komme ich zur anfangs angedeuteten Sache. Natürlich gab es in allen Fächern auch Professoren und Dozenten, die derlei engstirnige geistige Begrenzungen bei weitem überstiegen haben. Sie haben einem unverhofft unvergessliche Momente beschert. So etwa ein Dozent, der sich phantasiereich über Zeit- und Raumkonstruktionen in Romanen ausgelassen hat. Oder ein anderer, höchlich renommierter Geschichts-Professor, von dem bei mir am meisten seine Suada haften geblieben ist, unsere Generation (also die der Studenten) sei ausgesprochen ich-schwach. Darüber hätte man diskutieren sollen.

Überhaupt ist es seltsam, was man über all die Jahre hinweg so bei sich behalten hat: Das unscheinbare Beispiel mit den Him- und Brombeeren wird mir nicht mehr aus dem Kopf gehen. Isoliert man die Bestandteile Him und Brom, so hat man Silben, die im Deutschen mutmaßlich einmalig sind (wenn man mal vom chemischen Element Brom absieht).

Im Randbereich des Absurden

Wie ich gerade jetzt darauf komme? Nun, in den letzten Tagen sind mir zwei vergleichbare sprachliche Sinn- und Unsinns-Einheiten wie von selbst beigekommen. Zum einen der/die/das „Toffel“, wie es in Kartoffel und Pantoffel vorkommt – und sonst wohl nirgends, außer bei Zusammensetzungen wie Kartoffelsalat oder Pantoffeltierchen. Zum anderen wäre da der/die/das „Glimpf“, wie wir es in glimpflich oder verunglimpfen finden – und sonst an keiner Stelle.

Mit der Frage, was denn wohl „Glimpf“ und „Toffel“ besagen, gerät man in die Randbereiche des Absurden. „Glimpf“ scheint etwas glückhaft Harmloses zu bedeuten, „Toffel“ ist noch kryptischer. Wäre am Ende der Pan-Toffel ein allumfassender Toffel und die Kar-Toffel ein Trauer- oder Schmerzens-Toffel? Nee, hier wird nicht gegoogelt. Vor manchen erhabenen Rätseln sollte man demütig schweigen.

Fast möchte man wetten, dass begnadete Satiriker, Komiker und Parodisten wie Heinz Erhardt, Loriot oder Robert Gernhardt sich zuweilen mit solcherlei Fragen befasst haben. Auch der unvergessene SPD-Poltergeist Herbert Wehner hätte wohl am „Toffel“ Gefallen gefunden, hat er sich doch mit dem artverwandt klingenden (und übrigens auf Helmut Kohl gemünzten) „Düffeldoffel“ im Bundestag sprachlich verewigt. Aber das, liebe Kinder, ist eine ganz andere Geschichte.