TV-Nostalgie (38): Mehr Zeit für Rückblicke – zum Beispiel auf die grandiosen Fernseh-Interviews von Günter Gaus

Der vielfach als „Studentenführer“ apostrophierte Rudi Dutschke 1967 als Gegenüber von Günter Gaus. (Screenshot aus: https://www.youtube.com/watch?v=U6X-ZeYC54E)

In den ungeheuren Weiten von YouTube verbirgt sich, bei Wohn- oder Arbeitszimmer-Licht betrachtet, (zu leider sehr geringen Teilen) auch eine famose „Volkshochschule“, die eigentlich einen eigenen Namen verdient hätte. So denke ich gelegentlich. So dachte ich nun wieder, als ich – beispielsweise – zunächst auf ein ausführliches Feature über die politische Rivalität zwischen Franz Josef Strauß (CSU) und Herbert Wehner (SPD) stieß, nach deren markanter Politik-(Darstellung) sich heute manche zurücksehnen. Es war lediglich ein Ausgangspunkt.

Da nun einmal jetzt mehr Zeit für derlei virtuelle Expeditionen ist, hangelte ich mich sodann weiter zu jenen grandiosen Interviews aus den frühen Jahren des bundesrepublikanischen Fernsehens, wie sie zumal von Günter Gaus („Zur Person“, „Zu Protokoll“) geführt worden sind. Welch eine zeitgeschichtliche und mediengeschichtliche Fundgrube! Was Fernsehen damals sich zutraute und was es zu allerbesten Sendezeiten vermochte! Wie konzentriert es dabei zuging und noch dazu sprachlich so ausgefeilt.

Trat mit Zigarre an: Franz Josef Strauß 1964 als Gast von Günter Gaus. (Screenshot aus: https://www.youtube.com/watch?v=OwGTvGIdEJQ)

Um allein bei Gaus zu bleiben: Er hat nicht nur besagten Franz Josef Strauß (1964) einvernommen und dabei dessen ebenso bullige wie schillernde Wesensart hervortreten lassen, sondern etwa auch Rudi Dutschke 1967 mit höchst unangenehmen Fragen konfrontiert. Er hat einen ebenso intensiven Dialog mit der Philosophin Hannah Arendt geführt wie mit dem Historiker Golo Mann oder dem Theatermenschen Gustaf Gründgens. Die gesamte damalige Polit-Prominenz hat Gaus seinerzeit gegenüber gesessen – von Ludwig Erhard (1963) über Willy Brandt, Herbert Wehner (beide 1964) und Konrad Adenauer (1965) bis Helmut Schmidt (1966).

Es waren prägende Jahre der Republik, in denen Weichen auf Jahrzehnte hinaus gestellt wurden. Und es sind Zeitdokumente sondergleichen, thematisch wie persönlich sehr verdichtet und – dazu passend – noch in konturstarkem Schwarzweiß. Die rund einstündigen Sendungen haben spürbaren Atem, es sind nicht so aufgeregte, angeblich „emotionale“ Zuspitzungen wie heute. Die Protagonisten erscheinen für die Dauer der Interviews wie aus ihrem sonstigen Umfeld herausgelöst oder herauspräpariert, gleichsam „auf sich gestellt“ und geradezu plastisch präsent. Natürlich konnte auch Gaus ihnen nicht alles entlocken. Aber man kann sich anschließend eine deutlichere Vorstellung von ihnen machen. Und das ist viel.

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Themen der vorherigen Folgen:

“Tatort” mit “Schimanski” (1), “Monaco Franze” (2), “Einer wird gewinnen” mit Hans-Joachim Kulenkampff (3), “Raumpatrouille” (4), “Liebling Kreuzberg” mit Manfred Krug (5), “Der Kommissar” mit Erik Ode (6), “Beat Club” mit Uschi Nerke (7), “Mit Schirm, Charme und Melone” (8), “Bonanza” (9), “Fury” (10).

Loriot (11), “Kir Royal” (12), “Stahlnetz” (13), “Kojak” (14), “Was bin ich?” (15), Dieter Hildebrandt (16), “Wünsch Dir was” (17), Ernst Huberty (18), Werner Höfers “Frühschoppen” (19), Peter Frankenfeld (20).

“Columbo” mit Peter Falk (21), “Ein Herz und eine Seele” (22), Dieter Kürten in “Das aktuelle Sportstudio” (23), “Der große Bellheim” (24), “Am laufenden Band” mit Rudi Carrell (25), “Dalli Dalli” mit Hans Rosenthal (26), “Auf der Flucht” (27), “Der goldene Schuß” mit Lou van Burg (28), Ohnsorg-Theater (29), HB-Männchen (30).

“Lassie” (31), “Ein Platz für Tiere” mit Bernhard Grzimek (32), „Wetten, dass…?“ mit Frank Elstner (33), Fernsehkoch Clemens Wilmenrod (34), Talkshow „Je später der Abend“ (35), „Stromberg“ (36), „Nachlese zur Internationalen Automobil-Ausstellung von 1963“ (37)

Und das meistens passende Motto:
“Man braucht zum Neuen, das überall an einem zerrt, viele alte Gegengewichte.” (Elias Canetti)

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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