„Wenn der Wind von Hörde kam, roch es wie Pech und Schwefel“ – Erinnerung an eine Kindheit im Dortmunder Süden

Unsere Gastautorin, die aus Dortmund stammende Malerin und Lyrikerin Marlies Blauth, ergänzt und erweitert mit diesem Beitrag die vor wenigen Tagen erschienene Dortmunder Kindheitsskizze von Bernd Berke:

Der Appetit der frühen Jahre. Unsere Gastautorin Marlies Blauth in einer anderen Zeit. (Bild: privat)

Der Appetit der frühen Jahre. Unsere Gastautorin Marlies Blauth in einer anderen Zeit. (Bild: privat)

Der Dortmunder Süden, jedenfalls Berghofen, war früher noch ziemlich ländlich. Niemand wäre auf die Idee gekommen, sich was drauf einzubilden, dort zu wohnen – allenfalls wusste man zu schätzen, einen Garten zu haben und nutzen zu können. Es gab kaum einen, in dem nichts Essbares wuchs. Auch die „besseren“ Leute hatten immerhin ein Eckchen mit Johannisbeeren im Garten und zogen ein paar Kräuter und Salatköpfe.

War Erntezeit und diese ertragreich, wurde wild herumverschenkt oder getauscht: Birnen hin, Kartoffeln zurück. Ab einem bestimmten Alter hatte ich diese Botengänge zu übernehmen. Wir besaßen mittlerweile ein Auto, wären aber nie auf die Idee gekommen, damit zwei Kilo Kartoffeln eine Straße weiter zu transportieren.

Der Eierkauf war manchmal Glückssache

Auch einzukaufen war meine Aufgabe. Bereits als ich vier Jahre war, schickte man mich zum Tante-Emma-Laden „umme Ecke“, um „mal eben ein Pfund Mehl“ zu holen. Man gab mir einen Zettel ins Portemonnaie, ich reichte es an der Theke vorbei (da ich noch nicht oben dran kam), erhielt meine Sachen und das Wechselgeld auf demselben Weg und dackelte nach Hause.

Manchmal musste ich auch zweimal gehen, wenn etwas bei Tante Emma (es waren in Wirklichkeit zwei Schwestern, die den winzigen Laden betrieben) bereits ausverkauft war. „Dann gibt’s halt Wirsing, wenn kein Rotkohl da ist. Geh nochmal schnell.“ Eier wurden grundsätzlich bei Omma L. gekauft, die Hühner hielt. Manchmal bekam man die Anzahl, die man wollte, manchmal nicht, manchmal gab es überhaupt keine, weil auch die allerbeste Legehenne mal Urlaub braucht.

Ein Uhrengeschäft – welch ein Luxus

Nach Norden sahen wir auf das Himmelrot von Phoenix. Das war Hörde, da begann „die Stadt“. Denn dort gab es größere Läden als Tante Emmas. Ein Uhrengeschäft, wahrer Luxus! Eine Schulfreundin träumte einmal, dass der Phoenix-Kühlturm explodiert sei, an dem wir oft vorbeifuhren. An diesen dramatischen Traum muss ich manchmal denken, wenn ich heute von derselben Stelle zum Phoenixsee (durch-)gucke, ohne den Turm.

Manchmal, wenn der Wind von Hörde kam, roch es „wie Pech und Schwefel – mach’s Fenster zu“. Die Emscher und deren kleinere Bach-Geschwister kommen als „grauer Leberpudding, der aus dem Mund stank“ in einem meiner Gedichte vor. Ich war übrigens schon länger in der Schule, als Berghofen noch immer nicht vollständig kanalisiert war: Bäche mit Bäh-Wasser flossen neben der Straße her.

Einfaches „Häuschen“ auf gepachtetem Acker

Diejenigen, die dem Süden seinen Ruf einer privilegierten Gegend verpassten, kamen erst deutlich später, ich mag so im dritten oder vierten Schuljahr gewesen sein. Meine Eltern hatten zwar auch neu gebaut, allerdings ohne jedes Kapital ein „Häuschen“, einfach und dünnhäutig, auf gepachtetem Acker. Diese Bedingungen waren es wohl, weshalb wir überhaupt in Berghofen gelandet sind.

Natürlich waren wir nicht wirklich arm, da mein Vater Lehrer war; der aber wurde er erst ziemlich spät im Leben, da er sieben Jahre seines Lebens in Krieg und Gefangenschaft gezwungenermaßen vergeudet hatte, krank zurückkam, seine musikalische Aufnahmeprüfung ein zweites Mal machen musste (alle Dokumente waren verbrannt) und sich – früh vaterlos geworden – sein Studium mit irgendwelchen musikalischen „Jobs“ finanzieren musste.

Die wenigsten Kinder hatten ein eigenes Zimmer

Meine Mutter war das älteste Kind einer Flüchtlingsfamilie. Meine Eltern hatten also beide bei Null angefangen, es gehörte ihnen vom „Häuschen“ erstmal so gut wie nix. Vielen Nachbarn ging es damals ähnlich. Obwohl es sich in unserer Straße ja um durchweg neue Häuser handelte, war es nicht üblich, dass jedes Kind ein eigenes Zimmer besaß. Bei mir war das allein deshalb so, weil ich keine Geschwister hatte. Waren mehr Kinder da, teilten sie sich selbstverständlich einen Raum.

Ich kannte auch eine Familie, die gar kein Kinderzimmer hatte, die drei Kinder wurden einfach irgendwo in der engen Wohnung verteilt. Ein Kind aus meiner Klasse wohnte die ersten Jahre sogar in einer Baracke. Ein Spielkamerad lebte mit seiner Mutter, auch einer Lehrerin, im winzigen „Keller“ (also Souterrain) eines Hauses in unserer Straße.

Einige Jahre später bei der Arbeit im kleinen Garten der Familie. (Bild: privat)

…und einige Jahre danach bei der Arbeit im kleinen Garten der Familie. (Bild: privat)

Ich erinnere mich auch an eine Berghofer Familie mit zehn Kindern, sie wohnten in einem abgerumpelten Bauernhaus neben dem Friseur, zu dem ich gescheucht wurde, wenn meine Haare „keine Facon mehr“ hatten. „Aber lass dir genug abschneiden, sonst musste bald wieder hin“ (und das wäre zu teuer). Scheußlich, den Friseurladen jedesmal als hässliches Entlein zu verlassen!

…und später zogen ein paar hochnäsige Leute zu

Eins von den „edlen“ Kindern, die dann später zuzogen (und in größeren, aufwändiger gebauten Häusern wohnten), bekam hingegen seine Haare jede Nacht „aufgedreht“, damit sie morgens zu schönen Löckchen würden. Diese Familie war es auch, die eines Tages meinte, hochnäsig feststellen zu müssen, dass ich „wieder mal was Selbstgestricktes“ trug. Bislang war das ganz normal, wir liefen meistens in geflickten und gestopften Sachen herum und fanden nichts dabei. Beim Herumstrolchen und Baumklettern war das ohnehin egal. Viele Anziehsachen waren auch gebraucht übernommen; das „beleidigte“ mich insofern, als die Mädels, von denen ich den Kram bekam, einen völlig anderen Geschmack hatten als ich. Aber das half überhaupt nichts. Was „noch gut“ war, wurde genutzt, egal, um was es ging.

Bei uns gab es fast immer einfaches Essen, und auch damit standen wir nicht allein. Der riiiesige Luxus eines jeden Kindergeburtstages bestand aus zwei oder drei Kuchen (einer davon war „Kalter Hund“, mit dem ich mich regelmäßig überfressen habe), abends dann Bockwürstchen mit Kartoffelsalat.

Der Wohlstand kam auf ganz leisen Sohlen

Der Wohlstand erwischte uns alle auf ganz leisen Sohlen, und er brauchte viele Jahre dafür. Irgendwann „ließ“ meine Mutter mal irgendwas machen, das war ein Anzeichen. Einige Bekannte hatten dann bessere (und auch zweite) Autos.

Ich erinnere mich allerdings auch an die Zeit, in der es nur ganz wenige Autos gab und stattdessen immer mittwochs der „Gemüsewagen“ kam. Na klar, und die Milch wurde jahrelang gebracht; „gold und silber“. Die gespülten Glasflaschen stellte man wieder raus, sie wurden bei der frischen Lieferung mitgenommen.

Der Bierkutscher mit seinem Gaul

Der Bierkutscher – ich glaube, er hieß Hoffmann – kam jahrzehntelang mit seinem Gaul vorbei, ich höre immer noch sein „Hüah“. Meine Mutter bedauerte das Pferd jedesmal, da es doch nun Autos gab. Und wenn ich heute fahrende Schrotthändler sehe, denke ich immer dran, dass „unsere“ früher grundsätzlich aus Essen kamen und noch auf einer richtigen Flöte „piffelten“. Vor allem fuhren sie viel langsamer als heute, so dass jeder es noch in den Keller schaffte, um irgendwas Metallenes nach oben zu wuchten. Und man bekam noch Geld dafür.

„Die Reichen“ wohnten, so hörten wir, in Kirchhörde, die „ganz Reichen“ in Lücklemberg. Einmal war ich dort, bei so entfernten wie ungeliebten Bekannten in deren Haus, dessen Ausmaß mir unbegreiflich vorkam und auf dessen „offenen Treppen“ über drei Stockwerke ich einen Heulanfall kriegte, weil mir vor Höhenangst schwindelig wurde.




Renaissance und Moderne auf Augenhöhe – Das Chorwerk Ruhr zelebriert bei der Ruhrtriennale die Schönheit des Klangs

Das ChorWerk Ruhr unter Leitung von Florian Helgath mit Axel Portal (Bratsche), Dirk Rothbrust (Schlagzeug) und Sebastian Breuing (Celesta). (Foto: Pedro Malinowski)

Zwischen der Musik des spanischen Renaissance-Meisters Tomás Luis de Victoria und den Werken eines John Cage oder Morton Feldman liegen vier Jahrhunderte. Doch bei aller historischen Distanz sticht ein gemeinsames Merkmal heraus: die Fokussierung auf das Phänomen des Klangs. Auf dessen Spuren hat sich nun, in der Maschinenhalle der Dortmunder Zeche Zollern, das ChorWerk Ruhr begeben; wie stets höchst professionell, intonationsstark, sensibel und äußerst differenziert. „Memoria“ ist das Konzert überschrieben, das im Rahmen der Triennale zu hören war.

Um in Klang geronnene Erinnerungen also geht es, bei de Victoria in Form eines Requiems auf den Tod der habsburgischen Kaiserin Maria (1603). Feldmans „Christian Wolff in Cambridge“ wiederum bezieht sich auf eine zwiefache Begegnung mit seinem Freund (eben Wolff) am exakt gleichen Ort, allerdings im Abstand von 15 Jahren – Feldman konstruierte daraus ein Werk, das ausgedehnte Klangfolgen wiederholt, mit nur leichten Varianten.

Cages „Four2“ mag nicht ganz ins „Memoria“-Raster passen, ist aber ebenfalls ein Stück für Chor a cappella, das zuerst aufs Erleben ruhiger, meditativ anmutender Klangflächen zielt. Der Höreffekt ist verblüffend: vermeintlich alte und neue Musik begegnen sich auf Augenhöhe.

Was nicht heißen soll, dass hier nur statische Tongebilde gewissermaßen zum Aushorchen einladen. Vielmehr liegt in all der Ruhe viel Bewegung, ein steter Fluss charakterisiert die Werke, oder, auf die Moderne bezogen, der kontinuierliche Fortgang.

Das exzellente ChorWerk Ruhr, unter Florian Helgaths umsichtiger Leitung, kostet jede Nuance aus, zelebriert die Schönheit des Klangs und manchmal sogar, bei Feldman und Cage, die tönende Stille. Das Requiem de Victorias andererseits besticht durch seine Wechsel von polyphoner Leuchtkraft und gregorianischer Schlichtheit, darüber die große Melancholie schwebt.

Arbeitet der spanische Altmeister naturgemäß mit einem vorgegebenen Text, setzen die Amerikaner lediglich auf einzelne Buchstabenlaute, oder noch puristischer, auf gesummte Vokalisen. Wie Feldman in „Rothko Chapel“, sein Versuch, mit Stimm- und Instrumentalfarben die großen, satten Farbflächen des Malers Mark Rothko in Klang zu verwandeln. Zum Chor gesellt sich dabei das dunkle Raunen der Bratsche oder die sonnenhell blinkende Celesta. Faszinierend auch die irisierenden Sopranhöhen, die sich aufs Feinste mit den Obertönen der Röhrenglocken mischen. Das mutet bisweilen ein wenig sakral an, ist indes alles andere als pathetisch. Feldmans Werk schreitet sanft, kennt aber auch den energischen Puls, am Ende gar melodisches Aufblühen.

Natürlich bedarf es in dem Riesenraum, der etwa zur Hälfte fürs Konzert genutzt wird, ein wenig der elektronisch-technischen Unterstützung. So wird das Klangerlebnis kompakter, die Atmosphäre der Kontemplation nahezu greifbar.

Ein spannender, bewegender Abend. Auch wenn draußen, von irgendwo her, stampfende, monotone Beats sich einmischen wollen – sie haben keine Chance gegen die tönende Schönheit im Innern.




Etwas Dortmunder Kiez-Nostalgie und eine jähe Offenbarung der Klassenverhältnisse

Wie ich gemerkt habe, dass es Klassenunterschiede gibt? Über so etwas Unfeines redeten wir zu meiner Grundschul-Kinderzeit nicht.

Blick aus einem Fenster in der Arneckestraße: etliche Jahre nach der skizzierten Zeit und doch auch schon wieder elend lange her. (Foto: Bernd Berke)

Fensterblick in eine Straße des besagten Viertels: etliche Jahre nach der skizzierten Zeit und doch auch schon wieder elend lange her. (Foto: Bernd Berke)

„Unser“ Dortmunder Viertel, etliche Jahre später Szene- und Studentenkiez, heute zu nicht geringen Teilen ein Hort wohlstandsverwöhnter und vielfach ergrauter Bionade-Bürger, war seinerzeit ziemlich homogen kleinbürgerlich. Man kam einigermaßen zurecht, konnte aber „keine großen Sprünge machen“, wie man das damals ausdrückte.

Über soziale Hierarchien machte man sich also wenig Gedanken, schon gar nicht als Kind. Da hat man ja beispielsweise auch die eigentlich nicht zu übersehenden Ensembles der Gründerzeitbauten kaum bemerkt, in denen die meisten wohnten und die man erst rund zwanzig Jahre danach schätzen lernte.

In der fraglichen Zeit gab es beinahe an jeder zweiten Ecke einen „Tante-Emma-Laden“, allein zwei Mädels aus unserer Schulklasse hatten einen Ladeninhaber zum Vater. Da konnte man sich entscheiden, bei wem man nun kaufte. Meist gab die schrittweise kürzere Entfernung den Ausschlag. Und so gab es eben die Kundschaft bei Sch. und die Kundschaft bei M. Später eröffnete dann eine Tengelmann-Filiale. Erstes Zeichen einer neuen Zeit.

Hinzu kamen im näheren Umkreis noch zwei Milchgeschäfte, wo man seine Blechkanne füllen lassen, aber auch schon die Sorten „Gold“ und „Silber“ in Flaschen kaufen  konnte, eine Bäckerei sowie ein Zigaretten- und Zeitschriftenladen, der anfangs zugleich eine private Leihbücherei war. Die zusätzlichen Schutzumschläge waren aus schmucklosem Packpapier. Die betagte Frau K. in dem einen Milchgeschäft sagte immer „Juchott“ statt Joghurt. Und „anne Bude“ sagten wir nur „Was zu trinken“ – und erhielten für ein paar Pfennige ein gefärbtes No-Name-Gesöff.

Hach ja.

Aber ich schwiff und schwoff ab. Was ich eigentlich erzählen wollte: Eines Tages kam ein kleiner Junge in einen der besagten Läden und verlangte: Erbswurst.

Betretenes Schweigen. Man wartete ab, bis er das Geschäft verlassen hatte. Dann ging’s aber los. Die versammelten älteren Frauen zerrissen sich die Schandmäuler. „Och je. Erbswurst hat er gewollt!“ – „Na, das sind ja Verhältnisse!“ – „Der arme Junge…“ Und man wunderte sich, dass das Kind nicht vollends in Lumpen herumlief.

Nun, immerhin hatte der Laden Erbswurst im Angebot. Was also war falsch? Das war Grübelstoff, den ich mir – wie ihr seht – bis heute gemerkt habe.

Während in der Grundschule die Kinder des Viertels unter sich blieben, erhob sich die soziale Frage hernach im Gymnasium, das vielfach auch Kinder aus betuchteren Familien des Dortmunder Südens anzog. Nun gehörte man eher zur vergleichsweise „einfacheren“ Schicht – und manche Lehrer waren geradezu fassungslos, dass meine Mutter (als einzige der ganzen Klasse) arbeiten ging. Dass sie das offenbar nötig hatte…

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Preisfragen: Wie heißt das Viertel – und wie hießen die erwähnten Ladengeschäfte?




Irrwitz zwischen Dortmund und Barcelona: Der BVB verkauft den (derzeit) zweitteuersten Fußballer aller Zeiten

Seien es nun 140 oder 150 Millionen Euro, die Borussia Dortmund vom FC Barcelona für den hochbegabten, aber noch keineswegs ausgereiften Spieler Ousmane Dembélé kassiert. Derlei pekuniäre Details sind schon beinahe zweitrangig. Dass der vorherige Verein Stade Rennes auch noch ein millionenschweres Stück vom Kuchen abbekommt, mutet ebenfalls wie eine Petitesse an.

In solchen Dimensonen ist Dembélé jedenfalls (derzeit) der zweitteuerste Spieler aller Zeiten – hinter Neymar, der bekanntlich für 222 Mios von Barcelona nach Paris wechselte. Mal schauen, wie lange dieser Rekord Bestand hat. In Relation müssten jetzt Messi und Christiano Ronaldo je ca. eine halbe bis eine ganze Milliarde kosten, oder?

Natürlich sind das wahnwitzige, geradezu obszöne Preise, was denn sonst? Ans soziale Umfeld des Ruhrgebiets, in dem sich das zuträgt, und erst recht an Dembélés Herkunft darf man in diesem Zusammenhang eigentlich gar nicht denken.

Die Rendite für den börsennotierten Club kann sich jedenfalls sehen lassen. Für gerade mal 15 Millionen war der jetzt 20jährige Dembélé vor einem Jahr nach Dortmund gekommen, jetzt steht nahezu der zehnfache Betrag zu Buche.

Den herben sportlichen Verlust wird der BVB allerdings irgendwie wettmachen müssen, und zwar rasend schnell; bevor sich das Transferfenster Ende August wieder schließt. Schließlich steht seit gestern fest, dass man in der Champions League mal wieder gegen Real Madrid und Tottenham antreten muss.

Man kann jetzt schon wetten, dass Spieler, für die sich der BVB interessiert, sogleich immens im Markt-„Wert“ steigen dürften. Schließlich weiß ja alle Welt, wie viele Milliönchen neuerdings in die BVB-Kasse gespült werden. Kaum zu glauben, wenn man bedenkt, dass der Verein vor 13 Jahren um ein Haar in die Pleite geschlittert wäre…

Und nein: Dembélé wird trotz seiner tollen Dribbeltricks nicht in allerbester Erinnerung bleiben. Gewiss, er hat magische Momente gehabt, hat Fußball mitunter staunenswert zelebriert. Aber das unwürdige Gezerre um seinen Vertrag, seine geradezu kindische Weigerung, zum Training zu erscheinen – das war ungefähr das Gegenteil dessen, was sie in Dortmund von einem Spieler erwarten. Er möge also seiner Wege ziehen.




Kinder kämpfen für eine bessere Welt – Jürgen Jankofskys vielsprachiges Buch „Anna Hood“

Gastautor Heinrich Peuckmann stellt ein besonderes Kinderbuch vor:

Schreckliche Bilder sieht Anna im Fernsehen. Ein gekenterter Flüchtling trägt sein totes Kind aus dem Meer und legt es am Strand ab.

Anna ist nicht nur erschrocken, sie ist auch zutiefst empört. Die Welt ist ungerecht und sie, Anna, muss etwas dagegen tun. Also spendet sie all das Geld, das sie hat, doch das ist viel zu wenig.

Von ihren Klassenkameraden, die sie wegen einer Spende anspricht, macht einzig Robin mit. Und dessen Name gibt ihnen den Weg vor, den sie gehen müssen. Gab es da nicht mal einen Robin Hood, der die Reichen bestohlen und den Armen Geld gegeben hat? Klar, und so einer wollen sie auch werden.

Anna Hood nennt sich Anna jetzt und weil der richtige Robin eine Bande der „Gesetzlosen“ gegründet hatte, wollen sie das auch tun. Eine Bande, deren Mitglieder auf der ganzen Welt verstreut sind und die sich über das Internet zusammenfinden. Tolle Ideen entwickeln sie da, wie die Welt für Kinder gerechter werden könnte, ihre Phantasie kennt keine Grenzen.

Eine kleine, sehr schöne Geschichte erzählt Jürgen Jankofsky in seinem neuen Kinderbuch, aber die schönste Idee besteht darin, dass diese Geschichte nicht einmal erzählt wird, sondern neunzehn Mal, nämlich in vielen Sprachen dieser Welt. Wie Annas Bande aus Kindern rund um den Erdball besteht, so wird ihre Geschichte in vielen Sprachen erzählt: Arabisch, Armenisch, Chinesisch, Türkisch, Französisch, Englisch und… (siehe Anhang).

Es ist ein Buch, das an allen Multikulti-Orten zum Einsatz kommen müsste, auch in Schulklassen mit Schülern unterschiedlichster Herkunft. Die deutsche Fassung könnte als Ausgangspunkt dienen und dann könnten syrische, türkische oder andere Kinder ihre Geschichte, die doch dieselbe ist, dazu erzählen. Die Geschichte von Anna und Robin und von allen Kindern in der Welt, die sie gerechter und damit lebenswerter machen wollen.

Jürgen Jankofsky: „Anna Hood“. Eine Geschichte in 19 Sprachen: Arabisch, Armenisch, Bengali, Chinesisch, Deutsch, Englisch, Französisch, Georgisch, Hebräisch, Hindi, Japanisch, Neugriechisch, Niederländisch, Polnisch, Portugiesisch, Russisch, Spanisch, Tigrinja-Sprache (Äthiopien, Eritrea) und Türkisch. Illustration Heike Lichtenberg. Mitteldeutscher Verlag. 236 Seiten, 9,95 €.




Rennstrecke der 1000 Herzen: Bericht vom schonungslosen Selbstversuch beim Triathlon in Essen

Die Ruhr in Kettwig. Foto: es

Wieviel Grad hat die Ruhr? Solche Fragen musste man sich jahrelang gar nicht stellen. Kaum jemand wäre auf die Idee gekommen, in diesem Revierfluss zu schwimmen. „Entengrütze“ hieß das Wasser zu meiner Schulzeit. Doch das ist zum Glück vorbei.

Vom Baldeneybad in Essen kann man sich jetzt wieder in die Fluten der gestauten Ruhr stürzen. Auch die Essener Triathleten haben den Fluss für die Disziplin Schwimmen bei der Neuauflage 2016 in ihren Wettkampf eingebaut, aus nostalgischen Gründen: Denn 1982 fand am Baldeneysee der erste deutsche Triathlon überhaupt statt. Allerdings wurde damals im Rüttenscheider Bad geschwommen. 2017 will ich mit dabei sein und habe mich kurzerhand zum „1000 Herzen Triathlon“ am 20. August angemeldet.

Lieber mit Neoprenanzug

Am 19. August regnete es und wurde plötzlich kalt. Da ich nicht größenwahnsinnig bin, hatte ich mich zwar nur für die Sprintdistanz (500 Meter Schwimmen – 24 Kilometer Radfahren – 5 Kilometer Laufen) entschieden, aber kaltes Wasser ist kaltes Wasser und 15-20 Minuten im kalten Wasser sind noch kälter.

In der Wechselzone…
Foto: es

Also musste ein Neoprenanzug her und zwar sofort. Zum Glück haben Sportgeschäfte in der Essener Innenstadt so etwas im Angebot und siehe da, ein Modell passte und ließ sich mit Schnur am Rücken auch schnell öffnen: Denn nichts nervt den Triathleten mehr als lange Wechselzeiten, die versauen das ganze schöne Ergebnis.

„Zügig ins Wasser da vorne!“

Doch der Ruhrgebietsgott ist ein Naturfreund und deswegen ließ er am Sonntagmorgen die Sonne scheinen: Ruhr, du mein Heimatfluss, ich komme! Mit mir kamen rund 600 weitere Athleten und wollten alle am Campingplatz Cammerzell in Kettwig ins Wasser gehen.

Doch nicht ohne Wettkampfbesprechung, die der Rennleiter fröhlich und geduldig für alle neun Startgruppen nacheinander abhielt: „Ihr seht die große orange Boje auf der linken Seite? (Alle Köpfe nach links) Da schwimmt ihr mit der rechten Schulter vorbei, dann durch die zwei Bojen in der Mitte zur großen Boje auf der rechten Seite (alle Köpfe nach rechts), wieder rechte Schulter vorbei, dann zur kleinen Boje vor dem Ausstieg, linke Schulter vorbei, zügig bis an die Rampe schwimmen, die Helfer ziehen euch aus dem Wasser. Alles klar? Noch neun Minuten bis zum Start, jetzt alle ins Wasser gehen und zur Startposition schwimmen!“

Ich glaube, es wird ernst, doch Zeit zum Nachdenken ist keine mehr. Eisig packt mich die Ruhr an den Fußknöcheln. „Zügig ins Wasser da vorne!“, rufen die Helfer – nix für Zimperliche! Sehnsüchtig schaue ich ans sonnige Kettwiger Ufer gegenüber, noch fünf Minuten bis zum Start.

Ich hole tief Luft und schmeiße mich rein, der Neo saugt sich voll und siehe da, er wärmt tatsächlich ein wenig. Von links nähert sich ein Schiff der Weißen Flotte, allerdings in sicherer Entfernung, und ehe ich noch denken kann, ob ich nicht lieber auf dem Schiff fahren würde, ertönt der Countdown zum Start: „Zehn, neun, acht…los!“

Da ist ja mein Rad…
Foto: es

Die Ruhr ist dunkelgrün und kühl

Wat willste machen? Ich schwimme los, die kühle Ruhr umfängt mich ganz. Sie ist dunkelgrün und schmeckt ein wenig metallisch. Manchmal wickeln sich abgerissene Wasserpflanzen um meinen Hals und lösen sich wieder. Alles fließt. Ich keuche etwas, als ich nach dem Wenden gegen die Strömung schwimmen muss, doch so stark finde ich sie nicht.

Weit hinten schimmert die zweite Boje, autsch, jetzt habe ich aus Versehen in etwas Weiches getreten, das war mein Hintermann, der mir zu nahe gekommen ist – überholen geht auch hier nur mit Abstand. Nach der zweiten Boje kommt der Flow, mit Strömung im Rücken trägt er mich ans Ufer.

Hände strecken sich mir entgegen, helfen mir aus dem Wasser, jetzt schnell in die Wechselzone laufen, wo ist bloß mein Rad? Ohne Brille nicht so leicht zu finden, Mist, ich bin in der falschen Reihe! Ach, da drüben leuchtet es weiß, das geliebte „Cervélo“! Nassen Neo aus, wieso klebt der jetzt so? Helm auf, Schuhe an, Rad zum Start schieben, aufsitzen, losfahren.

Auf der Radstrecke…
Foto: es

Demütig auf dem Rad

Zum Glück sind Radstrecken an Flüssen entlang meist flach, doch nach der ersten Runde an der Laupendahler Landstraße zwicken die Oberschenkel – wegen all der Kilometer, die ich im Training nicht gefahren bin. Und ich muss noch zwei Runden drehen. Da überholen mich schon Staffelfahrer, die eine halbe Stunde nach mir gestartet sind.

Triathlon macht demütig, aber ich lasse mir die Laune nicht verderben. Es ist erst mein fünftes Rennen überhaupt und die mussten ja schließlich nicht schwimmen. Die Luft ist klar, der Fluss blitzt durch die Bäume und die Straße ist nur für uns abgesperrt: Kein Autoverkehr, keine Fußgänger stören die ultimative Raserei. Letzte Runde, komm, die schaffe ich jetzt auch noch.

Das Koppeltraining versäumt

Den Gedanken an den Lauf danach verdränge ich lieber erst mal. Bis er sich nicht mehr verdrängen lässt: Ich schiebe mein Rad in die Wechselzone und hänge den Helm dran. Das Schild zur Laufstrecke zeigt nach rechts, also los. Doch die Beine funktionieren nicht richtig, sie sind noch ans Radfahren gewöhnt. Das ist zwar völlig normal, ich kenne das Gefühl und weiß auch eine Maßnahme dagegen, die Triathleten nennen sie „Koppeltraining“: Also öfter mal erst radeln und dann sofort danach laufen. Blöd ist nur: Ich habe kein Koppeltraining gemacht, ich war einfach zu faul. Das rächt sich jetzt, also muss ich langsam machen, einen Fuß vor den anderen setzen.

Finisher-Shirt
Foto: es

Nach anderthalb Kilometern normalisiert es sich, die Beinchen haben sich ans Joggen gewöhnt, der Weg führt an der Ruhr entlang, dann über die Felder, schöne Strecke, doch wann kommt endlich der Wendepunkt? Drei Kilometer, Eva, es ist nicht mehr weit.

Grillwürstchen am Ziel

Ich sammele mein Bändchen ein und darf auf den Rückweg, nun kommt der schönste Moment: Wenn man den Ziel-Lärm hört. Die Namen derer, die gerade angekommen sind, werden laut ausgerufen, die Musik schwillt an. Und ich rieche Gebratenes vom Grill…letzte Kurve, das Zieltor liegt vor mir, Augen auf und durch! Geschafft!

Meine Güte, ich habe das Ruhrding gerockt, jetzt bin ich total stolz! Mein Kopf ist leer und ich brauche dringend einen Isodrink und Bananen, beides steht schon bereit. Wie ging es den anderen? Da sind sie ja, wir fallen uns um den Hals, total verschwitzt. Vielleicht sollte man nochmal in die Ruhr tauchen? Nee, heute nicht mehr, aber bald komme ich wieder, du kühler, grüner Fluss, du hast uns alle zurückgewonnen.

Weitere Infos:
www.triathlon-essen.de
www.seaside-beach.de




Gedenktag von großem Gewicht: Im nächsten Jahr werden wir an die 1918 ausgerufene Weimarer Republik erinnert

Gedenktage gibt es ja mittlerweile in Unmengen, und dank Wikipedia kann man sich für jeden Tag des Jahres ein Gedenken aussuchen. Allerdings sind diese Anlässe nicht alle in ihrer Bedeutung gleichwertig, und deshalb ist ihre historische und faktische Einordnung auch die Aufgabe guten Journalismus‘.

Grabmal der beiden 1920 im Kapp-Putsch erschossenen Männer aus Ennepetal. (Foto Pöpsel)

In diesem Jahr sind besonders drei historische Ereignisse hervorzuheben, weil sie nachhaltige Auswirkungen hatten. Das ist zum einen Martin Luthers Anti-Papst-Handlung vor 500 Jahren, die inzwischen fast bis zum Überdruss erörtert wurde.

Das Zweite Ereignis von Bedeutung war vor hundert Jahren, im Sommer 1917, der Eintritt der Vereinigten Staaten von Amerika in den Ersten Weltkrieg und damit die Wende zur endgültigen Niederlage der deutschen Reichswehr.

Als Drittes muss man die Oktoberrevolution 1917 in Russland nennen, die letztlich in der mörderischen Stalin-Diktatur endete und in deren Folge später die DDR entstand – ein erst 1989 überwundener undemokratischer Polizeistaat.

Und wo bleibt das Positive? Das kommt bestimmt im nächsten Jahr, denn dann können wir den Beginn der ersten echten Demokratie auf deutschem Boden vor einhundert Jahren feiern, die von den Sozialdemokraten am 9. November 1918 ausgerufene Republik, die später wegen des Tagungsortes des Parlaments „Weimarer Republik“ genannt wurde.

Die SPD bereitet sich auf Bundesebene bereits auf das Jubiläum vor – schließlich spielte sie damals die Hauptrolle, und ihr Vertreter Friedrich Ebert wurde der erste Reichspräsident.

Auch auf regionaler Ebene gibt es historische Forschungen, zum Beispiel über das Wirken der Arbeiter- und Soldatenräte, die sich im Laufe der Novemberrevolution bildeten und die Anfang 1919 gewaltsam ausgeschaltet wurden.

In Großstädten wie Dortmund bestimmten die Räte wochenlang das öffentliche Wirken, in Kleingemeinden findet man nur Randnotizen über ihre Arbeit. Im Protokollbuch der Gemeindevertretung Milspe zum Beispiel, heute Teil der Stadt Ennepetal, gibt es nur einmal eine Eintragung vom 18. November 1918, als neben den Gemeindevertretern auch der spätere Reichstagsabgeordnete Walter Öttinghaus „als Arbeiter- und Soldatenrat“ das Sitzungsprotokoll mit unterschrieb.

Die neue demokratische Republik war natürlich gefährdet, und als im März 1920 mit dem Kapp-Putsch der Angriff von rechts begann, gab es auch im Ruhrgebiet zahlreiche Tote. Zwei junge Männer aus Milspe, Max Fuchs und Artur Klee, wurden bei Kämpfen mit den Putschisten am Bahnhof in Remscheid erschossen. Die Gemeindevertretung ließ sie in einem Ehrengrab bestatten, und als Rechtsnachfolgerin hat sich auch die Stadt Ennepetal zur weiteren Grabpflege verpflichtet – als sichtbares Zeichen für eine Demokratie, die mit der Ausrufung der Republik in Berlin vor beinahe 100 Jahren begann und die mit der NS-Diktatur schon 1933 ihr Ende fand.




Ausweglos im Diesseits gefangen: In Katharina Wagners „Tristan und Isolde“ bleibt der Akkord des Daseins unaufgelöst

Trügerische Idylle im Liebesduett des zweiten Aufzugs im Bayreuther "Tristan": Stephen Gould und Petra Lang. Foto: Enrico Nawrath

Trügerische Idylle im Liebesduett des zweiten Aufzugs im Bayreuther „Tristan“: Stephen Gould und Petra Lang. Foto: Enrico Nawrath

Wenn man dem Musiktheater die Fähigkeit zugesteht, den Zeitgeist auszudrücken, dann lässt sich Katharina Wagners Inszenierung von „Tristan und Isolde“ in Bayreuth als ein außergewöhnlich gelungenes Beispiel anführen. In dieser Version von „Tristan und Isolde“ findet kein Sehnen, kein Wähnen Ruhe, der Akkord des Daseins bleibt ewig unaufgelöst.

Auf Frank Philipp Schlößmanns und Matthias Lipperts Bühne mit ihren Treppen, Stegen und Brücken irren zwei Menschen im Blau der Romantik aufeinander zu, lassen ihre Arme einen Kreis bilden, verlieren sich im zweiten Aufzug zwischen der scharfkantigen Helle von Suchscheinwerfern und dem tintigen Schwarz der Schatten zwischen gellendem Licht. Sie suchen Geborgenheit unter eine Plane, stecken künstlich matt leuchtende Sternchen auf, wie zwei Teenies, die in ihr selbst gebasteltes kleines Paradies flüchten.

Der Dunst, in dem unbehauste Männer zu Beginn des Dritten Aufzugs um eine Leiche kauern, ist undurchdringlicher, tödlicher Nebel. Tristans Lösung aus dem Kreis des Todes ist nurmehr eine Vision. In magischen Licht-Dreiecken erscheinen ihm Isolden – bloße Chimären, die bei Berührung zu Staub und Lumpen zerfallen oder ins Dunkel stürzen, Ausgeburten einer Fantasie, die fiebrig nach einem Halt in der Grundlosigkeit der Existenz sucht. Wenn dann Marke im aufdringlich-schmutzigen Gelb erscheint, ist das nicht einmal mehr der Einbruch der Realität in ein Reich des Träumens, des Hoffens und des Sehnens. Sondern nur noch eine böse, banale Bestätigung, dass es da nichts gibt, vielleicht nie etwas gegeben hat, was dem ersehnten Reich der Nacht entspräche. Erschütternd real ist allerdings das Ende: Isolde darf ihren „Liebestod“ verkünden, dann packt sie Marke am Arm und zieht die Widerstrebende nach hinten ins Dunkel.

Illusionsloses Dunkel des Daseins

Katharina Wagner negiert Metaphysisches und Transzendentales, wirft in den Chiffren der Bühne alles, was hinaus weisen möchte, zurück in den unerbittlichen Raum einer Gefangenschaft, die über die Dreiecksmauern eines Marke-Gefängnisses hinaus zu einem universalen Todesraum wird, gegen den es sinnlos ist, verzweifelt anzukämpfen. Was Ernst Bloch in „Geist der Utopie“ schreibt und was im Programmheft zitiert wird: „Zwei Menschen schreiten hier in die Nacht, sie gehen von einer Welt in die andere über, sonst begibt sich nichts …“ – das ist den Protagonisten bei Katharina Wagner nicht vergönnt. Das Begehren nach der Wahrheit universaler Liebe erstickt in der endgültigen Gewissheit vom illusionslosen Dunkel eines Daseins, für das Wagners sehnsuchtsfiebernde Musik nur noch ein verzweifeltes Echo eines längst verwehten Daseins-Sinns darstellt. Wo sich im Zeichen dieser Musik eine Transzendierung ereignen könnte? Die Szene zeigt es uns nicht.

So bleibt es der Musik, die Gegenwelten aufzureißen – ein dualistisches Konzept, das schmerzt. Mag sein, dass die Buh-Rufe auch darauf zurückzuführen sind. Aber „Tristan und Isolde“ ist eben kein Wohlfühl-Theater. Der Schmerz über das, was Menschen erleben in auswegloser Distanz zu dem, was sie ersehnen, ist dem Stück eingeschrieben. Christian Thielemann, der schon 1993 als junger Generalmusikdirektor in Nürnberg einen fantastischen „Tristan“ dirigiert hatte, hält die Musik völlig frei von angespanntem Schwitzen, achtet auf die Farbvaleurs und die Beleuchtungswechsel, hat einen schier unermesslichen Atem, wenn er die tragenden Bögen in die Struktur der Musik einzieht.

Stringente Konzeption ohne Pathos bei Christian Thielemann

Der Klang ist dezent, leicht und ohne die dunkle Glut und die satte Dramatik, wie sie auf früheren Aufnahmen zu erleben ist. Auch das mag nicht jedem einleuchten oder gefallen, aber Thielemann zeigt, dass er ein Konzept hat, das durch den Abend trägt und die Musik erschließt. Ohne ein paar Manierismen geht es freilich nicht ab: Ob einzelne Holzbläserstellen wirklich so auffällig ausgestellt werden müssen? Und der „Liebestod“ – darin mit der Bühne im Einverständnis – bleibt seltsam stumpf, ohne Passion, ohne den sich steigernden Sog und das fiebrige Beben.

Kein Ertrinken im Weltatem, sondern erzwungenes Verharren im Diesseits-Dunkel: Die Schlussszene des "Tristan" in der Sicht Katharina Wagners. Foto: Enrico Nawrath

Kein Ertrinken im Weltatem, sondern erzwungenes Verharren im Diesseits-Dunkel: Die Schlussszene des „Tristan“ in der Sicht Katharina Wagners. Foto: Enrico Nawrath

Hierin gibt es eine Kongruenz mit Petra Lang, die matt und resigniert Isoldes Worte aneinanderreiht. Im ersten Akt singt sie ökonomischer als die schrill sich verausgabende Evelyn Herlitzius in der Premierenserie 2015, setzt damit der illusionslosen Depression des stählernen Gefängnisses eher Resignation als Rebellion entgegen. Auf strömendes, klangerfülltes Singen wartet man im zweiten Aufzug vergeblich: Petra Lang befreit sich nicht aus dem beengten Gefängnis einer Tonbildung, die entspannt und frei sich des Körpers versichern würde.

Dafür steht mit Stephen Gould wohl einer der ausdauerndsten und stimmschönsten Tristan-Sänger der Gegenwart auf der Bayreuther Bühne. Mag auch seiner Stimme hier und da die charakteristische Farbe fehlen, macht er alles wett, wenn er die großen Ausbrüche gestaltet, ohne an seine Grenzen zu stoßen, wenn er die Verzweiflung Tristans mühelos singt, nicht mühevoll deklamiert, wenn er die Ekstase der Begegnung leuchten lässt, wenn er in „So starben wir, um ungetrennt …“ den Klang mit innerer Passion füllt und wenn er in „Wohin nun Tristan scheidet“ ein edles, gestütztes Piano und einen fahlen, fast ätherischen Ton anschlägt.

Auch für den König Marke lässt sich derzeit vielleicht ein ähnlich bewusster, aber kaum stimmschönerer Sänger finden als René Pape. Die in der Regie ausgebaute Ambivalenz der Figur spiegelt er im Singen wieder: als düsterer Boss eines Clans hat er dunkel-harte, als zweifelnder Mensch balsamisch-flexible Klänge. Raimund Nolte als sein Gefolgsmann Melot bleibt rollengerecht bei einem schneidenden Ton; auf Tristans Seite klingt der treue Kurwenal Iain Patersons manches Mal allzu körperlos. Christa Mayer gibt eine Brangäne mit Kraft und Substanz, aber ohne Feinschliff, die in der Inszenierung eine Figur am Rande bleibt.




Einsatz für die Menschenwürde: Vor 100 Jahren wurde Erzbischof Oscar Romero geboren

Wandbild von Oscar Romero vor der „Casa de la Juventud“, einem Adveniat-Projekt für Jugendliche in einem Vorort von San Salvador. Foto: Pohl/Adveniat

Wandbild von Oscar Romero vor der „Casa de la Juventud“, einem Adveniat-Projekt für Jugendliche in einem Vorort von San Salvador. Foto: Pohl/Adveniat

Der Mann war ein Profi, sein Schuss saß perfekt: Oscar Romero hatte sich gerade am Altar umgewandt, um mit der Bereitung von Brot und Wein für die Heilige Messe zu beginnen, da traf ihn das Geschoss in die Brust. Nur kurze Zeit später erlag Romero am Montag, 24. März 1980, seinen inneren Blutungen. Der Killer entkam unerkannt; bis heute ist niemand in El Salvador wegen dieses Mordes vor Gericht gestellt worden.

Als sicher gilt, dass der Mord von dem Geheimdienstler und Politiker Roberto d’Aubuisson in Auftrag gegeben wurde, der jedoch bis zu seinem Tod 1992 nie angeklagt wurde. Oscar Arnulfo Romero, seit 2015 selig gesprochen, war der Militärdiktatur und den Reichen in El Salvador ein Dorn im Auge, eine ständige Provokation. Schon 1977, in seinem ersten Jahr als Erzbischof von San Salvador, erreichten ihn anonyme Drohbriefe. Romero fürchtete um sein Leben; seinen Einsatz für die Armen, Entrechteten und Gewaltopfer seines Landes aber führte er unbeirrbar weiter. Dabei schlug er sich nicht einfach politisch auf die eine oder andere Seite seines tief zerrissenen Landes. Er versuchte zu versöhnen, auf der Basis der Gerechtigkeit Lösungen zu vermitteln.

Zwei Tage vor seinem Tod noch kritisierte er „die falschen Visionen … die den Menschen zu einem Instrument herabwürdigen, das man ausbeuten kann, oder auch jene Weltsicht der marxistischen Ideologien, die im Menschen nichts weiter als eine Spielfigur in einer Verkettung sehen.“ Was die Militärjunta in El Salvador gegen Romero aufbrachte, war vor allem seine Kritik an der „Nationalen Sicherheit“, mit der Verbrechen und Menschenrechtsverletzungen gerechtfertigt wurden. Diese Ideologie – so sagte er – mache „aus dem Menschen einen Diener des Staates, so als ob der Staat der Herr und der Mensch der Sklave wäre, während doch im Gegenteil nicht der Mensch für den Staat, sondern der Staat für den Menschen da ist.“ Der Mensch stehe über jeder Organisation. „Das ist die Basis unserer Sicht von der Gesellschaft. Wir haben sie von Christus in seinem Evangelium gelernt.“

Lehre und Praxis bilden untrennbare Einheit

Oscar Romero. Foto: Adveniat/Tutela legal

Oscar Romero. Foto: Adveniat/Tutela legal

Oscar Romero gilt heute als einer der wichtigsten Träger der Befreiungstheologie, nicht zuletzt, weil bei ihm Lehre und Praxis eine untrennbare Einheit bilden. Was er in Schriften und Predigten verkündete, setzte er konsequent in die gesellschaftliche und politische Wirklichkeit um. Damit machte er sich Feinde auch in seiner eigenen Kirche. Vor allem zwei der Bischöfe in El Salvador griffen Romero öffentlich an, diskreditierten ihn auch auf der Lateinamerikanischen Konferenz der Bischöfe in Puebla, weil er die Verbrechen der salvadorianischen Militärjunta anprangerte. Im Vatikan gab es starke Kreise, die Oscar Romeros Einsatz für die Armen und Unterdrückten missbilligten oder ihn zumindest nicht unterstützten.

Dabei war der vor 100 Jahren, am 15. August 1917, in bescheidenen Familienverhältnissen geborene Romero zunächst alles andere als ein befreiungstheologisch orientierter Priester. Er studierte in San Salvador und an der Gregoriana in Rom Theologie und kehrte 1942 als Pfarrer nach El Salvador zurück. Bald beförderte man den jungen Theologen zum Sekretär der Bischofskonferenz. 1970 ernannte ihn Papst Paul VI. zum Weihbischof von San Salvador. 1974 wurde er Bischof von Santiago de María, 1977 Erzbischof von San Salvador. In dieser Zeit war sein theologisches Denken durch und durch römisch geprägt. Der Befreiungstheologie stand er misstrauisch gegenüber; bei seiner Ernennung zum Erzbischof hielt man ihn für einen Vertreter der konservativen Richtung, der mit der Politik der herrschenden Oligarchen kein Problem haben würde.

Der Geist weht, wo er will

Aber der Lebensweg Romeros zeigt, wie „Bekehrung“ wirkt. Die brutale Gewalt in El Salvador wurde für ihn zum Anstoß, sein Denken und seine politische Haltung zu revidieren: Er sah nicht nur die soziale Not in seinem Land als Herausforderung an. Ein Schlüsselerlebnis war das Massaker durch Sicherheitskräfte im Februar 1977 auf der „Plaza Libertad“ in San Salvador. Sie schossen in die Menge, die gegen Betrug bei den Präsidentschaftswahlen protestierte. Kurz darauf, am 12. März 1977, ließen die Militärs einen von Romeros Freunden, den befreiungstheologisch orientierten Jesuiten Rutilio Grande erschießen.

Romero nahm hinfort an keinen offiziellen Anlässen mehr teil. Konsequent trat er nun für eine Kirche der Armen und Entrechteten ein, verschrieb sich dem Einsatz für die Menschenrechte und begann auch theologisch neu zu denken. Die Erklärungen der lateinamerikanischen Bischöfe aus den Konferenzen von Medellín und Puebla las er nun im Licht der Erfahrungen von Unterdrückung und Gewalt in seinem Land. In einem seiner Hirtenbriefe stellte er ein „erwachendes Selbstverständnis des Volkes als Glaubens- und Lebensgemeinschaft“ fest. Diese Gemeinschaft sei „dazu aufgerufen, ihre eigene Geschichte in einem Prozess der Erlösung zu akzeptieren, der mit ihrer eigenen Befreiung beginnen soll.“

Verbindungen nach Essen

Bei der Seligsprechungsfeier für Erzbischof Romero wird ein überlebensgroßen Bild enthüllt. Foto: Adveniat

Bei der Seligsprechungsfeier für Erzbischof Romero wird ein überlebensgroßen Bild enthüllt. Foto: Adveniat

Nach seinem Tod, der einen Bürgerkrieg mit geschätzt 75.000 Toten auslöste, wurde Oscar Romero bald als Märtyrer im Volk verehrt. Nicht so in Rom: Der 1994 begonnene Seligsprechungsprozess wurde immer wieder verzögert. Das Argument war, der Mord an Romero sei politisch motiviert gewesen, der Erzbischof sei nicht seines Glaubens wegen gestorben. Erst unter Papst Franziskus erfolgte 2015 die lang erhoffte Seligsprechung. Heute ist festzuhalten, dass Oscar Romero gerade wegen seines befreiungstheologischen Begriffs vom Glauben gestorben und damit einer der wegweisenden Märtyrer der Christenheit des ausgehenden 20. Jahrhunderts geworden ist.

Romero war auch mit Essen verbunden. Hier hat er die Geschäftsstelle von Adveniat, des Lateinamerika-Hilfswerks der Katholischen Kirche in Deutschland besucht. Mit Romero als Partner hat Adveniat seit 1970 zwölf Projekte durchgeführt. Auf den Webseiten von Adveniat ist zu erfahren, dass auch am 100. Geburtstag Romeros der Großteil der 6,4 Millionen Menschen in El Salvador in Armut lebt. Die Kluft zwischen Arm und Reich ist groß: „Der Reichtum der Reichen steht im krassen Gegensatz zur bitteren Armut, die im Land herrscht“, sagt Inés Klissenbauer, Mittelamerika-Referentin bei Adveniat. Es fehle am Zugang zu Bildung, Gesundheitsversorgung und menschenwürdigem Wohnraum. Die Gewaltsituation sei aber das alles beherrschende Thema im Land. „Deshalb fördert Adveniat in El Salvador gezielt Projekte in der Friedensarbeit, die sich an die Bewohner der Armenviertel richten.“ Seit 1961 hat Adveniat nach eigenen Angaben über 4.000 Projekte in Romeros Heimatland unterstützt. Im Jahr 2016 waren es 40 basis- und armutsorientierte Projekte mit einer Fördersumme von rund einer Million Euro.




Zum 40. Todestag des Idols – Vom Erwachen eines Elvis-Fans im Ruhrgebiet

Unser Gastautor, der Bochumer Schriftsteller und Journalist Werner Streletz, über den Tod eines Idols vor 40 Jahren:

An jenem denkwürdigen Abend hatte ich lange vor dem Fernseher gesessen, bis zu den Spätnachrichten, die damals ausschließlich aus stummen Schrifttafeln bestanden. Auf einer davon war zu lesen: Elvis Presley, der King of Rock ‘n‘ Roll, ist tot. Anschließend einige dürre Lebensdaten. Ich war wie vom Schlag gerührt. Immerhin war Elvis in meiner Kindheit und Jugend mein absolutes Idol gewesen (mit dem Tophit: Jailhouse Rock).

Nach der ersten Überraschung schob sich jedoch ein gänzlich anderer Gedanke in mein Hirn: Wenn Du jetzt ganz schnell bist, könntest Du der Erste sein, der nach dem Tod von Elvis ein brandneues Buch herausbringt, das ihn zum Thema hat. Ich schrieb damals gerade an der Erzählung „Das erste Erwachen eines Elvis-Fans“.

Der Text war allerdings noch nicht weit gediehen. Doch dann bekam ich Gewissensbisse: Würde ich durch diese hastige Schreiberei den Tod von Elvis nicht schändlich für schlichte und ekelhaft profane Zwecke ausnutzen, würde ich mich mit so einer schnell rausgehauenen Erzählung, nur, um anderen zuvorzukommen, nicht an Elvis versündigen? Ich hatte ein sehr schlechtes Gefühl dabei, als würde ich mit so einem übereilten Text auch meine Hochachtung vor Elvis verraten.

Kurzum: Ich habe die Erzählung in aller Ruhe weitergeschrieben, mit Erinnerungen an die 1950er Jahre, an die Kirmes in Bottrop, Halbstarken-Kloppereien und Rock ‘n‘ Roll an der ratternden Raupe. Und fühlte mich moralisch auf der besseren Seite, als kurz nach der Todesnachricht – wie zu erwarten – die Elvis-Erinnerungsbücher den Markt fluteten. Ich jedenfalls hatte mich an diesem kommerziellen Hokuspokus nicht beteiligt!

Die ganze Geschichte nahm später ein unerwartetes, erfreuliches Ende. Die Erzählung vom „Erwachen eines Elvis-Fans“ wurde zunächst von Biby Wintjes in seinem Bottroper Info-Zentrum veröffentlicht. Dort entdeckte sie Carl-Ludwig Reichert, ein Münchner Autor, der gerade eine Anthologie „Fans, Bands, Gangs“ für den Rowohlt-Verlag vorbereitete. In diesem Sammelband erschien das „Erwachen eines Elvis-Fans“ ungekürzt – und in naturgemäß hoher Auflage.

Im Rowohlt-Verlag! Da war ich, damals ein noch relativ junger Autor, wirklich stolz wie Oskar. Und zu Recht, will ich meinen. – Ich sollte wieder einmal Jailhouse Rock auflegen.

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(Elvis Presley * 8. Januar 1935 in Tupelo/Mississippi
† 16. August 1977 in Memphis/Tennessee).




Hier gilt’s nicht nur der Kunst: In Bayreuth präsentiert Barrie Kosky mit den „Meistersingern“ souveränes Deutungs-Theater

Die Meistersinger in Wahnfried. Szene aus dem ersten Aufzug der Neuinszenierung von Barrie Kosky. Foto: Enrico Nawrath

Die Meistersinger in Wahnfried. Szene aus dem ersten Aufzug der Neuinszenierung von Barrie Kosky. Foto: Enrico Nawrath

Hier gilt’s der Kunst allein: Was Siegfried Wagner nach den nationalbegeisterten Kundgebungen bei der Premiere der „Meistersinger von Nürnberg“ 1924 an die Türen des Bayreuther Festspielhauses schreiben ließ, was Wieland und Wolfgang Wagner 1951 zum Aushang brachten, um in „Neu-Bayreuth“ politische Diskussionen zu unterbinden, das könnte auch über dem letzten Bild von Barrie Koskys Bayreuther Neuinszenierung der „Meistersinger“ stehen.

Soeben hatte noch Hans Sachs – allein und dem Publikum zugewandt – die deutsche, echte, wahre Kunst gepriesen, die auch den politischen Zerfall überstehen würde. Da öffnet sich die Bühne nach hinten, ein Orchester fährt herein und Sachs dirigiert im Samtjackett und Barett Richard Wagners mit ausladenden Bewegungen den emphatischen Schluss.

Gilt’s also nur der Kunst? Ein verzweifelt affirmatives Plädoyer nach sechs Stunden lustvoll ausgespielten Beziehungs-Theaters, in dem es, ja sicher, um die Musik, doch mindestens ebenso um Biografisches, Politisches, Geschichtliches ging? Mag sein, dass die großartige Musik Richard Wagners alles heil macht, Dass sie über 155 Jahre Rezeptionsgeschichte triumphiert, die von frühen (jüdischen) Protesten gegen die Beckmesser-Figur über den Missbrauch als Festoper im Dritten Reich bis hin zur radikalen Zuspitzung zum Diskurs über die Kunst durch Katharina Wagner in Bayreuth 2007 reicht. Kosky lässt den Chor in schwarzem Orchesterdress die Instrumente bearbeiten – und lesen kann man daraus ein Bekenntnis oder eine Parodie.

Von Wahnfried bis zum Nürnberger Prozess

Die frisch renovierte Fassade des Festspielhauses. Foto: Werner Häußner

Die frisch renovierte Fassade des Festspielhauses. Foto: Werner Häußner

Von wegen Kunst allein also. Was schon im zweiten Akt der „Meistersinger“ aus dem Munde Eva Pogners nicht so recht zutrifft, stimmt ebenso wenig 1924 oder 1951 oder 2017. Ähnlich wie Stefan Herheim in seinem genialen Bayreuther „Parsifal“ zieht Kosky das Panorama weit, bezieht die Wirkung mit ein: Die Ouvertüre richtet den Blick in den von Rebecca Ringst detailreich nachempfundenen Salon der Villa Wahnfried, Ort einer der berüchtigten privaten Performances eigener Werke, die Richard Wagner so liebte. Er selbst ist gleich mehrfach anwesend, als Stolzing, Sachs, David. Schwarz und streng schreitet Cosima, migränebewehrt, durch die Reihen, nimmt am Kaffeetisch Platz. Schwiegervater Franz Liszts weiße Haare wehen nicht lange am Flügel: Der zappelig-quirlige Wagner, der zuvor Seidenwäsche und Schuhe ausgepackt hat, schubst ihn weg, greift selbst in die Tasten, demonstriert dem Dirigenten Hermann Levi, wie er seine Musik gespielt haben will. Selbst die Neufundländer Wagners haben ihren Platz: Zu Beginn führt er die schwarzen Hunde Gassi.

Doch die witzige, mit virtuoser Hand inszenierte Geschichte bekommt den ersten schalen Riss, als der deutsche Choral „Da zu dir der Heiland kam“ einsetzt. Hermann Levi, der jüdische Münchner Generalmusikdirektor und Uraufführungs-Dirigent des „Parsifal“, in die Rolle des Beckmesser gedrängt, wird zum Niederknien genötigt: Beginn einer Demontage, für die Kosky im Lauf des Abends bedrängende, irritierende, auch plakative Bilder finden wird.

Zunächst aber bevölkern die Meister in den prächtigen Renaissancekostümen Klaus Bruns‘ den Wahnfried-Salon. Die Merkerei wird aus Portraitbildern des jungen Wagner und Cosimas gebaut, die souverän gestalteten personenreichen Szenen sind komödiantisch überzogen und stets auf dem Punkt – Barrie Koskys operettengeschulte Hand versteht es, Pointen treffsicher zu setzen. Überraschend rückt der Tumult am Ende des ersten Akts in die Ferne: Wahnfried fährt nach hinten, der Raum schließt sich, und Hans Sachs, alias Richard Wagner, steht im Zeugenstand eines Gerichtssaals. Im letzten Licht – Franck Evin ist ein Meister der bedeutungsvollen Beleuchtung – erkennen wir: Es ist der Saal der Nürnberger Prozesse, an der Wand die Fahnen der vier Siegermächte.

Die Vertäfelung rahmt auch im zweiten Aufzug die Spielfläche. Gras sprießt überall – eine sinnreiche Anspielung – und die efeubewachsene Zeugenschranke wird zur Liebeslaube Stolzings und Evas. Die Wagner-Entourage picknickt, die Gewandungen mutieren ins Volkstümliche, Handwerkliche, Altdeutsche. Den Fliedermonolog und das Gespräch mit David setzt Kosky mit sensiblem Blick auf die menschlich berührenden Tiefen in Szene, aber der spannungsvolle Dialog zwischen Hans Sachs und Eva will mit seinen hintergründigen Anspielungen nicht so recht in die Gänge kommen: Koskys Interesse gilt nicht der werkimmanenten Psychologie der Personen.

Beckmesser (Johannes Martin Kränzle) in der Prügelszene am Ende des zweiten Aufzugs. Foto: Enrico Nawrath

Beckmesser (Johannes Martin Kränzle) in der Prügelszene am Ende des zweiten Aufzugs. Foto: Enrico Nawrath

Die Prügelszene rückt er in deutliche Nähe eines Pogroms – nicht naturalistisch durchgestaltet, sondern hochsymbolisch aufgeladen: Beckmesser wird ein gewaltiger Kopf aufgesetzt, der an die verzerrten Juden-Darstellungen antisemitischer Zeichnungen erinnert; parallel dazu bläht sich riesig und geisterhaft eine „Stürmer“-Judenkarikatur bühnenhoch auf. Sie richtet den giftigen Blick ins Publikum, bis sie zu den letzten Versen des Nachtwächters in sich zusammensinkt und nur noch die Kippa mit dem Davidsstern sichtbar bleibt.

Ein plakatives Bild – aber auch ein Hinweis darauf, was aus dem Antisemitismus Wagners erwachsen ist. Koskys Regie stellt jedoch, gegen den ersten Eindruck solcher starker Bühnen-Signale, keine vordergründigen Bezüge her. Er gibt sich auch nicht, wie derzeit der Castorf-Ring in Bayreuth, der frei schweifenden Assoziation hin. Er hat den „Meistersingern“ nichts übergestülpt, sondern entwickelt jeden Zug seiner Deutung aus dem Stück, aus Wagners Gedankenwelt und aus dem ideologischen Umfeld, das vom unkritisch bewundernden Wagnerianismus eben bis hin zur Wagner-Rezeption Hitlers und des Dritten Reiches führt.

Wagners verquere Theorien in der Konkretion einer Bühnenfigur

Inwieweit Beckmesser als Juden-Karikatur aufgefasst werden kann, ist ein bis heute umstrittenes Thema. Wer Wagners Hetzschrift „Das Judenthum in der Musik“ liest, kommt jedoch nicht umhin, in Beckmesser Wagners verquere Theorien in der Konkretion einer Bühnenfigur wiederzuentdecken: „Der Jude“, der „an sich unfähig ist … sich uns künstlerisch kundzugeben“, der in Musik redet, ohne etwas Wirkliches zu sagen, der nur wie Papageien nachplappert „ohne Ausdruck und wirkliche Empfindung“ – ist das nicht Beckmesser, der sich eines Lieds von Hans Sachs bemächtigt, es entstellt und verständnislos vorträgt? Hitler sagt es unverblümt und in offenbar direktem Bezug auf Wagner: „Was (das Judentum) auf dem Gebiete der Kunst leistet, ist entweder Verbalhornisierung oder geistiger Diebstahl.“

Alles, was Wagner diffamiert hat, findet sich bei Beckmesser wieder – und insofern ist Kosky, wenn er den demontierten Merker bis in die karikierend zappelnden Bewegungen des letzten Akts hinein als erniedrigte Person kennzeichnet, jenseits aller philologischen Debatten auf der Spur des authentischen Wagner. Wenn er im dritten Akt das Renaissancevolk über die Bänke des Nürnberger Schwurgerichtssaals fegen und die Fahnen schwingen lässt, hebt er freilich die plakative Eindeutigkeit auf: Er schlägt den Bogen aus dem historischen spätmittelalterlichen Nürnberg, das seine Judengemeinde ausgerottet hat, über das idealisierte Alt-Nürnberg Wagners in die Villa Wahnfried als Chiffre für einen Ort, an dem sich Glanz und Elend des 19. Jahrhunderts verdichten. Und er markiert mit dem szenisch-räumlichen Bezug zu den Nürnberger Prozessen den Horizont, in dem die Geschichte zu lesen ist.

Michael Volle als Hans Sachs im Dritten Akt. Foto: Enrico Nawrath

Michael Volle als Hans Sachs im Dritten Akt. Foto: Enrico Nawrath

Gälte es nur der Kunst, wie es noch Wolfgang Wagner in seinen letzten, unübertrefflich biederen Bayreuther „Meistersingern“ nahegelegt hat, wäre Richard Wagner verharmlost, die Geschichte negiert und die Bedeutung von Musik um einen wesentlichen Aspekt beschnitten. Barrie Kosky hat mit Bewusstsein um die Probleme, mit virtuosem Regie-Handwerk und nicht zuletzt mit einem Seitenblick auf die ursprüngliche Intention der „Meistersinger“ als einer „komischen Oper“ ein Beispiel souverän konzipierten Deutungs-Theaters geschaffen, das allen Brüchen und Fragen zum Trotz in sich konsistent eine sinnlich erfassbare Position zu den „Meistersingern von Nürnberg“ entwickelt, die dem Anspruch des Stücks und dem Anspruch Bayreuths, wie mit Wagners Werk umzugehen sei, Genüge tut.

Kein Blech-Pathos aus dem Orchestergraben

Wenn Oper als Gesamtkunstwerk und als Beitrag zu einem philosophischen Diskurs aufgefasst wird, steht die Musik oft in Gefahr, in der Kritik an die zweite Stelle abzurücken. Dem muss ausdrücklich widersprochen werden – und die Bayreuther Neuproduktion dieses Jahres macht es einem leicht. Mit Philippe Jordan, dessen Berufung zum Musikdirektor der Wiener Staatsoper ab 2020 zur zweiten „Meistersinger“-Vorstellung bekannt gegeben wurde, gab es auch aus dem Orchestergraben einen neuen Ton: Das Blech-Pathos war ausgetrieben, der dicke Saft der Streicher ausgepresst. Die Ouvertüre hat darob nichts an Auftritts-Majestät verloren, aber Jordan entwickelt den Ton mit lichter Leichtigkeit, lässt die Phrasen elegant schweben, achtet vielleicht ein wenig zu unentschieden darauf, die verästelte Kontrapunktik darzustellen, trifft aber die sprühend lebendige Beweglichkeit zumal des ersten Aktes mit Bravour.

Präzise ausgehörte Finali, leise lyrische Nachdenklichkeit in den Monologen des Sachs, ein mit Wehmut in eingedunkelte Farben getauchtes Vorspiel zum dritten Akt sprechen für die Bewusstheit, mit der Jordan sich der großen inneren Linie der Musik widmet, wie wenig er sich von der nötigen und erfolgreichen Detailarbeit ablenken lässt, den großen Entwicklungsbogen und die Kongruenz zum szenischen Geschehen im Blick zu halten. Noch selten hat man einen Chor wie den Festspielchor Eberhard Friedrichs so spielfreudig erlebt und dabei so präzis, so schattierungsreich, so sorgfältig im Wort-Musik-Verhältnis zu hören bekommen. Die Festwiese war, weggerückt vom Schaustück mit Pracht und „Wach‘ auf“-Prunk, ein leicht genommenes, von Witz durchtränktes Kabinettstück. Szenisch den Bezug zum ersten Aufzug nicht verhehlend, vollbrachte der Chor auch eine Meisterleistung differenziert ausgedeuteter Sprache, von unbeschwert jubelnd bis bösartig zischend.

Nicht häufig in den letzten Dekaden war ein so gleichmäßig niveauvolles Ensemble zu erleben: Allen voran Michael Volle als nicht brüchefreier, aber in jedem Moment wort- und klangsouveräner Sachs und Johannes Martin Kränzle als Beckmesser, der zwischen komödiantischer Übertreibung und tiefster Erniedrigung stets szenisch wie stimmlich glaubwürdig bleibt und ein zutiefst bewegendes Menschenportrait gestaltet. Luxuriös besetzt sind der Veit Pogner mit dem in diesem Fach inzwischen führenden Bass Günther Groissböck und der Nachtwächter mit dem herrlich sonoren Karl-Heinz Lehner.

Daniel Behle kehrt mit leuchtendem, nur an wenigen Stellen verunsichertem Tenor die oft peinliche ausgestellte Naivität des Lehrbuben David um in jugendliche Nachdenklichkeit. Mit Klaus Florian Vogt steht in Bayreuth der derzeit wohl beste Stolzing auf der Bühne – auch wenn der zaghafte Umgang mit der Stütze gerade in den schwärmerischen Legati seiner Partie die gleichmäßige Tonbildung beeinträchtigt. Mit dem Tonansatz hat auch Anne Schwanewilms als Eva ihre liebe Not; der dritte Akt gelingt ihr besser als die verengten Dialoge im zweiten. Auf eine jugendlich-frische Eva mit frei strömender Stimme wird man wohl noch warten müssen. Wiebke Lehmkuhl setzt ihren üppigen Mezzo als Magdalena mit viel Lust an spielerischer Nuancierung ein. Bayreuths Festspiel-Premiere bietet allerbestes Theater, geistig durchdrungen und anregend, szenisch wie musikalisch auf einem Niveau, das den Begriff der „Festspiele“ überragend mit Leben füllt.




Familienfreuden XXV: Glitzer jucheh! Oder: Über Geschmack lässt sich streiten

Mit Geschmack ist das ja so eine Sache. Erben lässt er sich nicht, erzwingen auch nicht. Und wie ein Mensch ihn entwickelt – keine Ahnung. Gute Beispiele sind sicher nicht verkehrt. Aber Freiheit auch nicht. Es geht, kurzum, darum, dass Fi in einer akuten Glitzerphase steckt. Eine Shopping-Odyssee.

Verzückung ob größtmöglicher T-Shirt-Niedlichkeit (Bild: Albach)

Man merkt schon, ich laviere herum, wenn ich auf das Thema komme. Fi soll schließlich einen eigenen Geschmack entwickeln können. Aber ich muss auch zugeben, dass meine Toleranz bisweilen endlich ist – und ich außerdem manchmal darüber nachdenke, ob pinke Leggins, Blümchenrock und wild gestreiftes Oberteil zu Schreikrämpfen bei Passanten auf dem Bürgersteig führen könnten. Denn was die Kombination von Mustern angeht, ist unsere Tochter mehr als großzügig. Wenn sie vor ihrem Schrank steht, sind mir die Auswahlkriterien schleierhaft. Nur eine Sache kommt immer gut an: Glitzer. Und Pailletten. Von mir hat sie das nicht.

Schwerer Fehler im System

Gestern habe ich dann einen schweren Fehler begangen. Es ist nämlich eine Zeit angebrochen, in der ich nicht einfach Klamotten kaufen kann – die werden gegebenenfalls bei Missfallen komplett ignoriert. Sprich: die junge Dame von Welt sucht selbst aus. Allerdings kann die Auswahl der Läden ja zumindest eine gewisse Richtung vorgeben. Und deshalb der Ratschlag: wenn ihr eine Tochter habt, solltet ihr ab einem bestimmten Alter einen von ihr begleiteten Besuch bei einem schwedischen Modeunternehmen meiden. Hatte ich aber vergessen. Und das lief dann so ab:

Undefinierbares, großäugiges Ding

Auftritt Fiona im schwedischen Modeladen.
Erster Gang (zielsicher) auf einen Aufsteller voll mit Glitzerklimbim.
„Mama, was ist das?“ Fiona hält ein undefinierbares, plüschiges, gerolltes, großäugiges Ding in der Hand.
Ich: (kurz sprachlos):„…ein Armband????“
Fiona (holt Luft)
Ich, sofort: „Nein, das kannst Du nicht haben!“

Verneinung im Maschinengewehr-Takt 

Und so ging es weiter. Fiona hatte nacheinander einen goldenen Tüllrock, ein Hasenkleidchen mit anfassbaren Öhrchen, ein Oberteil mit SovielGlitzerwienurmöglich und Unterhosen mit Disney-Schönheiten in der Hand. Ich ratterte wie ein Maschinengewehr: Neinneinneinneinneinnein! Schließlich blieb Fi wie paralysiert vor einem T-Shirt mit einem Kätzchen im Airbrush-Stil stehen. Ein Alptraum für mich, ein Wunschtraum für sie. Hier wurde ihrerseits ein bisschen mehr investiert, um mich zum Kauf zu überreden. Erfolglos. Auch bei einem Shirt mit glubschäugigem Einhorn blieb ich hart.

Glitzerherzen als kleinstes Übel

Dann fiel mir die Sache mit dem eigenen Geschmack wieder ein. Und ich stimmte schließlich einem Oberteil mit kleinen rosafarbenen Glitzerherzen zu. Gar nicht ihre Farbe. Aber definitiv das kleinste Übel.

Endlich an der Kasse angekommen, musste ich nur noch die Frage nach einem Einhornkuscheltier und Lipgloss in Tierform überstehen. Als wir aus dem Laden eilten, hörte ich noch, wie das Mädchen hinter uns ihre Mutter mit exakt den gleichen Wünschen traktierte.
Was Fiona später wohl einmal gut finden wird?

Zuhause jedenfalls erzählten wir Normen von dem Shopping-Ausflug. Fiona schilderte das Angebot in den schönsten Farben. „Und was hat Mama dazu gesagt?“, fragte Normen. „Neinneinneinneinneinnein“, gab Fi meinen Abgesang originalgetreu wieder und kicherte.




Eines Tages bringe ich die Technik um! – Doch manchmal gilt auch das euphorische Sprüchlein „Technik, die begeistert“

„Die“ Technik macht mich in letzter Zeit mal wieder wahnsinnig. Welch eine Verschwendung von Lebenszeit, sich auf all die Feinheiten (gar noch mit Hotlines) einzulassen – und am Ende funktioniert es doch oft nicht; nicht einmal mit versierter Hilfe von Nerds. Andererseits können manche Gerätschaften auch kleine Glücksmomente bescheren. Nun gut, reden wir in diesem Zusammenhang lieber nicht von Glück, sondern von einer gewissen temporären Zufriedenheit.

Dieser Internet-Stick ist... ach, lassen wir das! (Foto: Bernd Berke)

Dieser Internet-Stick ist… ach, lassen wir das! (Foto: Bernd Berke)

Der Reihe nach: Über die Folgen und Weiterungen von gleich drei Firmenofferten habe ich mich in letzten Zeit zeitraubend geärgert. Nein, diesmal ausnahmsweise nicht in erster Linie über die Telekom. Wohl aber über Tchibo Mobil (deren von Telefónica betriebener Internet-Stick so gar nicht ans Laufen kommen wollte), über 1 & 1 (deren Stick zwar funktioniert, aber – je nach Tarif –
recht bald sehr langsam im Netz umherstakst) – und vor allem über Sky. Fragt mal zum Beispiel Wirte, was sie von denen halten, schon mal so rein kostenmäßig…

Das schlankere Abo von Sky

Ihr wisst schon. Sky ist diese Klitsche, auf die man leider weitgehend angewiesen ist, wenn man Bundesliga und Champions League bzw. Europa League live im TV sehen möchte. Sie gerieren sich denn auch wie ein Monopolbetrieb, obwohl ihnen in der nächsten Liga-Saison mit dem Eurosport-Player erste, aber nur (vor allem auf Montags- und Freitagsspiele) begrenzte Konkurrenz erwächst. Dafür müsste der Player freilich auch mal ruckelfrei und ohne „Standbilder“ laufen.

Sky zeigt also nicht mehr alles, nimmt aber nicht weniger Geld fürs reduzierte Angebot. Ganz schön dreist. Als Privatkunde ist man etwas besser dran, als wenn man die Kickerei via Sky in der Kneipe zeigen wollte. Bisher hatte ich bei Sky ein ziemlich teures Abo, bei dem man zuerst ungewollte Programme buchen musste und den Sport erst danach oben drauf packen konnte.

Gut also, so dachten ich und viele andere, dass es nunmehr Sky Ticket gibt – deutlich günstiger, monatlich kündbar (Stichwort „Sommer- und Winterpause“, in denen man bislang weiter bezahlte, obwohl so gut wie kein Fußball gesendet wurde), nicht mit anderen Angeboten überfrachtet, auf die man gar nicht zugreifen möchte.

Also das Vollabo gekündigt und das schlankere „Sky Ticket“ („Supersport“) mit der Monatsoption gebucht. Die Folge waren zunächst einmal etliche ungefragte Werbeanrufe, mit denen ich zum Beibehalt des teuren Abos bewogen werden sollte. Sehr penetrant, das kann ich euch sagen. Nummern gesperrt – und es war Ruhe; von etlichen Briefchen mal abgesehen. Aber man kann ja knüllen.

„Problem 203“ mit der kleinen Box

Neben Sky Ticket habe ich eine Box bestellt, die dafür sorgen sollte, dass ich nicht nur auf dem Computer, sondern auch auf dem deutlich größeren TV-Bildschirm („Smart TV“) Fußball hätte schauen können. Doch weit gefehlt. Die Schritte dorthin wurden einem zwar als „easy“ schmackhaft gemacht. Doch im weiteren Verlauf schöpft man den Verdacht, dass man von dem preisgünstigeren Angebot abgehalten werden soll – durch eine Art Zermürbungstaktik.

Gewiss, man war alsbald via Box mit dem Netz verbunden. Doch die letzten Klicks ließen sich halt nicht vollenden. „Technisches Problem“ hieß die lapidare Rückmeldung kurz vor Schluss. Und ganz kryptisch: „Problem 203“. Schaut man da nach, so findet man, dass bis heute offenbar kein Mensch das Problem bewältigt hat. Die Diskussion in den einschlägigen Foren dreht sich immer wieder im Kreis – und nirgendwo findet sich bislang eine jubilierende Erfolgsmeldung. Mehrfaches Reset der Box nützt ebenso wenig wie Neustart des Routers und andere Maßnahmen. Eines Tages bringe ich die Technik um!

Auf dem Karussell des Schwachsinns

Wie bitte? Hotline anrufen? Haha, der Gag war jetzt echt gut.

Hab‘ ich natürlich gemacht. Leider sahen sich die Mitarbeiter außer Stande, meine Frage zu beantworten, dafür habe man Technik-Spezialisten. Moment, man verbinde mal eben. Hat natürlich nicht geklappt. „Da geht niemand ‚ran.“ Aha. Man werde mich aber für einen Rückruf notieren, der freilich nicht mehr heute erfolgen werde.

Zwei Tage später ereilte mich ein solcher Rückruf auf der Festnetz-Nummer. Ansage per Mail: Man habe mich leider nicht erreicht (ich habe tatsächlich nicht 48 Stunden angespannt vorm heimischen Telefon gehockt), ich solle doch vertrauensvoll die übliche Hotline anrufen (also jene, die keine Technik-Experten hat). Grrrrrrr!

Besagter Box liegt natürlich auch kein Retourenschein für etwaige Reklamationen bei, wie es bei vielen anderen Firmen üblich ist. Das Papierchen muss man erst einmal mühsam anfordern. Und vorher soll man im Falle einer Rückgabe noch die inzwischen sattsam bekannte Hotline anrufen… Da dreht sich was im Kreise. Und ich habe keine Lust mehr aufs Karussell des Schwachsinns.

Es gibt sie wirklich – die Erfolgserlebnisse

Seltsam. Kaum hatte ich den Text bis hierhin fertig und mich in eine wutschnaubende Stimmung hochgeschaukelt, kam mir noch eine rettende Idee in Form eines verlängerten Ethernet-Kabels fürs so genannte Smart TV. Kaum zu glauben: Seitdem funktioniert das Streaming; allerdings nicht über besagte Bullshit-Box. Hosianna!

Überhaupt gab’s zuletzt ein paar Erfolgserlebnisse bei der technischen Nach- und Aufrüstung. Es ist mir tatsächlich gelungen, per Smartphone einen kleinen Bluetooth-Lautsprecher anzusteuern und also Streamingdienste über eine akustisch passable, bestens transportable Box laufen zu lassen. Auf eine solche Kleinigkeit bin ich schon stolz.

Noch weitaus besser: Durch einen Zeitungsbericht wurde ich auf eine Möglichkeit aufmerksam, die ich bislang nicht kannte. Da lacht der Technik-Freak: Waaaaaas, du wusstest nicht, dass du deine alte HiFi-Anlage mit einem simplen Adapter Bluetooth-fähig machen kannst, so dass sie für kabellosen Datentransport taugt?

Hier seien die Marken genannt: In diesem Falle steuert ein recht winziges, UFO-artiges Etwas von Philips eine NAD-Anlage und Nubert-Boxen an – mit frappierendem Ergebnis. Via Smartphone, Tablet oder PC lässt sich nun die Musik aus dem Netz über die Anlage abspielen. Ein Zugewinn sondergleichen.

Mal eben 40 Millionen Musiktitel durchhören

Kurz und gut: Die geliebte alte HiFi-Anlage, zuletzt etwas ins Hintertreffen geraten, ist nun also auch wieder im Spiel. Das Musik-Streaming eines der führenden Anbieter – mit unfassbaren 40 Millionen Titeln angefüllt – läuft jetzt auch über den grundsoliden Verstärker und die nicht minder geschätzten Boxen. Das nenne ich wirklich mal „Technik, die begeistert“. Und das zu einem moderaten Preis. Könnt’s nicht immer so sein? Aber fragt mich bloß nicht, in welchem Leben ich die 40 Mio. Titel hören will. Okay, sie kommen ja auch nicht alle infrage.

Da gerät man fast in Versuchung, seine sorgsam gehäufte und gehegte Plattensammlung komplett aufzulösen. Aber einen solchen Fehler mache ich nicht noch einmal. Um 1982, als die CD massiv aufkam, habe ich mich von der Werbung in die Irre führen lassen und mich von einer recht beachtlichen LP-Sammlung getrennt. Noch heute könnte ich mich dafür schelten. Wie kann man einem Trend nur so bedingungslos und ohne Rückhalt folgen?

Postscriptum: Neuerdings wird wieder verschärft von der Verwendung des Adobe Flash Players abgeraten, der ein Einfallstor für allerlei Schadsoftware sei. Viele der größten und wichtigsten Anbieter (Streamingdienste, Browser etc.) könnten schon auf die weitaus bessere HTML5-Technik zurückgreifen. Also gut. Tool besorgt, Flash Player restlos deinstalliert. Alles gut – bis zum nächsten Aufruf des Telekom-Programmmanagers, der nach wie vor einen Flash Player verlangt, und zwar „alternativlos“. Da haben wir ihn wieder, den altvertrauten Ärger mit der Telekom. Alles andere hätte mich aber auch gewundert.

P.P.S.: …und dabei habe ich Euch noch gar nichts über die neuesten Fährnisse mit diesem Blog erzählt, der/das plötzlich von der Administratoren-Seite her gar nicht mehr erreichbar war, weil… *seufz*




„Lost in Translation“: Das Wort für die Zeit, die man braucht, um eine Banane zu essen – und mancher treffliche Ausdruck mehr

Das ist doch mal eine nette Buchidee, unterhaltsam und durchaus mit geistreicher Substanz behaftet: Ella Frances Sanders hat für ihren Band mit dem kinobekannten Titel „Lost in Translation“ treffliche Worte aus aller Welt gesammelt, die als unübersetzbar gelten und nur mit länglichen Umschreibungen einigermaßen zu fassen sind.

In jedem dieser Worte sind – wunderbar vielfältig – kollektive Erfahrungen aufgehoben. Nicht alle sind gleichermaßen prägnant, doch bei vielen klingt (auch fürs deutsche Sprachempfinden) manches Bedeutsame an und nach, beileibe nicht nur Exotik. Erstaunlich genug, für welche speziellen Phänomene es in manchen Sprachen eigene Worte gibt.

Das Rentier als Maß der Dinge

Man muss Beispiele nennen – und möchte am liebsten gar nicht mehr damit aufhören: So bezeichnet das schwedische mångata die „Spiegelung des Mondes auf dem Wasser, die wie eine Straße aussieht.“ Das malaiische pisan zapra steht für die (ungefähre) Zeit, „die man braucht, um eine Banane zu essen.“ Den Finnen ist  hingegen ist die Entfernung wichtiger, die ein Rentier ohne Pause zurücklegen kann, sie heißt poronkusema.

Ein geradezu lachhaft schlechter Witz

Mit dem knappen Ausdruck tíma benennt man in Island die Weigerung, „Zeit oder Geld in etwas zu investieren, obwohl man es sich leisten könnte.“ Ganz ähnlich liest sich das Wort tiám aus der iranischen Sprache Farsi, es bedeutet „das Funkeln in den Augen, wenn man einen Menschen das erste Mal sieht“. Universell verwendbar ist auch der indonesische Ausdruck jayus, mit dem ein Witz gemeint ist, der so schlecht ist, dass man nur noch entwaffnet lachen kann.

Einige Worte muten so skurril an, dass man sie einfach mögen muss, so etwa das lettische kaapshljmurslis für das Gefühl, in einem öffentlichen Verkehrsmittel eingequetscht zu sein. Tatsächlich sieht schon die bloße Buchstabenfolge recht gepresst aus.

Das Kribbeln vor dem Whiskey-Schluck

Kaufen Sie öfter mal Bücher und legen sie dann gleich ungelesen weg? Das nennt man in Japan tsundoku. Kribbelt Ihre Oberlippe, bevor Sie einen Schluck Whiskey trinken? In Irland, wo man sich damit auskennt, sagt man auf Gälisch sgrìob dazu. Stecken Sie Ihr Hemd nicht in die Hose? Dann sind Sie (im karibischen Spanisch) ein cotisuelto.

Wie man sieht, gibt es für so ziemlich jede Lebenslage ein passendes Wort, man muss halt „nur“ den reichlichen Vorrat an Sprachen durchforsten. Jede dieser Sprachen öffnet einen anderen Horizont, eine andere (Klang)-Welt. Auch davon bekommt man mal wieder eine Ahnung, wenn man die Wörter in diesem Buch nachschmeckt.

Im Anhang des Buches, das sich übrigens bestens als Geschenk eignet, steuert auch das Deutsche ein paar kaum übertragbare Kostbarkeiten bei: Kummerspeck, Kabelsalat, Waldeinsamkeit…

Wir wollen ja nicht übermäßig drängeln, aber: Wann kommen endlich der zweite und der dritte Band heraus?

Ella Frances Sanders: „Lost in Translation. Unübersetzbare Wörter aus der ganzen Welt.“ Aus dem Englischen übertragen von Marion Herbert. 112 Seiten (ohne Paginierung). Durchgehend mit farbigen Zeichnungen der Autorin illustriert. DuMont Verlag, Köln. 18 €.




Mubi, alleskino und realeyz: Drei Kino-Streamingdienste mit cineastischem Ehrgeiz

Seit einigen Wochen schaue ich gelegentlich bei MUBI rein. Das ist ein Kino-Streamingdienst, der deutlich abseits vom Mainstream operiert und vorwiegend Independent-Filme vorhält; zum Teil auch Besonderheiten, die es selbst in manchen Programmkinos schwer hätten.

Wahrlich keine kindgerechte Umgebung - Screenshot aus Peter Nestlers Mülheim-Film von 1964.

Wahrlich keine kindgerechte Umgebung – Screenshots aus Peter Nestlers Mülheim-Film von 1964.

Bevor hier jemand „Schleichwerbung“ grummelt, sei die ebenfalls achtbare direkte Konkurrenz genannt. Bei www.alleskino.de erhält man einen Überblick zum ambitionierten deutschen Filmschaffen, www.realeyz.de ist ein cineastisch kuratierter, international ausgerichteter Auftritt von einigen Graden. Nur gut, dass es diese drei Offerten gibt, die den globalen Riesen Netflix, Amazon, Maxdome etc. wenigstens ein paar filmkünstlerische Statements entgegensetzen. Demnächst wird wohl auch bei uns noch www.sundancenow.com hinzukommen.

Das Prinzip bei www.MUBI.com lautet, stets 30 Filme vorrätig zu halten. Pro Tag kommt einer hinzu – und dafür verschwindet ein anderer, der halt schon 30 Tage lang im Angebot ist. Nach einem Monat hat sich also der ganze temporäre Bestand einmal umgewälzt.

Die Wiederentdeckung des Filmemachers Peter Nestler

In den letzten Tagen hält man die Abonnenten zeitlich etwas knapper. Statt dass pro Tag (wie sonst meist üblich) ein mehr oder weniger abendfüllender Streifen hinzukommt, speisen sie einen mit lauter Viertelstunden-Stückchen ab. Davon könnte man ruhig vier oder fünf auf einen Hieb präsentieren. Warum eigentlich nicht, wenn man schon eine solche Wiederentdeckung im Köcher hat?

Es handelt sich um kurze Dokumentarfilme von Peter Nestler, der schon in den frühen und mittleren 1960er Jahren prägnante Sozialreportagen gedreht hat. Kein Geringerer als Jean-Marie Straub hat Nestler als den wichtigsten Nachkriegs-Filmemacher Deutschlands bezeichnet. Welch ein Ritterschlag!

Nestler hat sich damals in den Armutszonen Griechenlands ebenso umgetan wie im rheinischen Weinbaugebiet. Fast überall dasselbe, freilich je nach Region variierte Grundmuster: ungemein harte Arbeit, arg begrenzter Lohn, Ablenkung und mitunter Betäubung durch gehörige Mengen an Alkohol und Zigaretten.

Das Ruhrgebiet des Jahres 1964

Kein Wunder also, dass der gebürtige Freiburger Nestler auch im Revier unterwegs war. Ein rund viertelstündiger Film ist 1964 in Mülheim/Ruhr entstanden. Und obwohl man jene Lebenswelt teilweise noch selbst erlitten hat, erschrickt man doch zutiefst ob der trostlosen Schwarzweißbilder. Dieser ungeheuer dichte Smog! Da tanzt ein kleines Mädchen im fast undurchdringlichen Nebel und es ist ein berührendes Inbild der Lebensfreude inmitten einer lebensfeindlichen Umgebung.

Typen in einer Revierkneipe - weiterer Screenshot aus Peter Nestlers Mülheim-Film.

Typen in einer Revierkneipe – weiterer Screenshot aus Peter Nestlers Mülheim-Film.

Die Erwachsenen scheinen indes alle kopflos eilig vorüber zu huschen, als wollten sie der Kamera möglichst rasch entgehen – und als gäbe es durchaus Dringlicheres zu besorgen. Was ja wohl auch gewiss der Fall war.

Und immer wieder dieser Nebel, schlimmer als in einer Edgar-Wallace-Verfilmung der späten 50er und frühen 60er Jahre. Dabei gab es in den fraglichen Vierteln nur ganz wenige Autos. Doch die Schwerindustrie stand noch unter Volldampf.

Sodann die vielfach noch vom Krieg und von Nachkriegsentbehrungen gezeichneten Menschentypen, die damals die Gegend prägten. Sehr knorrig und kernig, sozusagen durch und durch rußig, gar nicht „schick“. Und wie bedenkenlos sie gezecht und geraucht haben. Übler als die verpestete Luft ringsum konnte das ja auch schwerlich sein. Seltsam zu denken, dass und wie man sich als Kind in diesem Umfeld bewegt hat.

Wie bitte? Ja, natürlich sollt ihr noch weiterhin fleißig in die Programmkinos gehen. Was für eine Frage! Das Erlebnis im Kino ist durch kein Streaming und durch keinen Beamer zu ersetzen.




Scaramucci und all die anderen Typen oder: Ich mag mir nicht mehr die Namen von drittklassigen Kaspern merken

Okay, Anthony „Tourette“ Scaramucci ist also nach gerade mal 10 Tagen ebenfalls weg vom Fenster – warum auch immer. Ist ja im Grunde egal. Dann macht den elenden Sch…-Job eben ein Anderer.

Im Zweifelsfall geht's abwärts. (Foto: BB)

Im Zweifelsfall geht’s abwärts. (Foto: BB)

Eigentlich hat Scaramucci mit seinem rüden Tonfall („I’m not trying to suck my own cock“) recht gut zu der desolaten Truppe gepasst. Man erinnere sich nur ans ordinäre „Grab `em by the pussy“ seines Chefs. Da spielt doch jeder US-Fernsehsender alarmierende Pfeiftöne ein…

Dieser Scaramuschi (oh, sorry für den Mausrutscher – wie überaus gewöhnlich!) hätte vielleicht nur noch etwas warten sollen, bis er solche Sachen `raushaut. Er war ja noch in der Probezeit und hat den Boss schon übertrumpfen wollen. Das geht natürlich nicht. Für halbwegs seriöse Aufgaben dürfte der Mann jedenfalls erledigt sein. Überall wird es heißen, das sei doch derjenige, der damals…

Der Perückendarsteller heuert und feuert die Leute eh nach cholerischem Belieben – und allweil soll man sich als Medienkonsument neue Namen drittklassiger Politkasper merken, die einem das Gehirn verstopfen.

Unsereiner versucht seit Schultagen zu allem Überfluss auch noch, buchstabengerecht korrekt zu schreiben, also muss man getreulich den ganzen Mist abspeichern: Reince Priebus, Steve Bannon und ca. zwei Dutzend weitere Typen; hergelaufene Heimatschutzminister und dergleichen Leutchen.

Mit den Sprechern aber geht es am schnellsten auf und ab. Vorgestern noch Sean Spicer, gestern Anthony Scaramucci – und morgen? By the way: Was ist eigentlich aus Kellyanne Conway geworden? Ist die etwa noch im Amt? Von Würden wollen wir in diesem Kontext gar nicht erst reden.

Angeblich steckt sogar System hinter dem Personalchaos: D. T. sortiert demnach alle aus, die zu sehr mit der Republikanischen Partei verbandelt sind – und behält bzw. holt unverwurzelt ruppige Rechtsaußen-Ideologen und Multimillionäre. Auf dass alles vollends „unpolitisch“ entfesselt werde.

Bleibt uns einstweilen nur das berühmte Rilke-Zitat: „Wer spricht von Siegen? Überstehn ist alles.“ Und vielleicht noch Hendrix mit der US-Hymne.