Vor zehn Jahren starb die „Rundschau“ – ohne Rettungsversuch

Kurz vor Ende eines Spätdienstes entstanden und Jahre danach unversehens vielsagend: der leere Newsdesk der Westfälischen Rundschau in Dortmund – mit fertiggestellten Seiten auf der Bildschirmwand, aufgenommen im Jahr 2009. (Foto: Bernd Berke)

Beängstigend rasende Zeit: Zehn Jahre soll das schon wieder her sein, dass am 15. Januar 2013 die damalige WAZ-Gruppe (heute Funke-Mediengruppe) das faktische „Aus“ für die Westfälische Rundschau (WR) verkündet hat?

Zur Erinnerung: Danach ging alles ganz schnell – oder auch quälend langsam; je nach Perspektive. Denn die kurzerhand Entlassenen mussten noch volle zwei Wochen das totgesagte Blatt machen. Nach dem 31. Januar 2013 erschien die einst so stolze und weit verbreitete Dortmunder Zeitung nur noch als Phantom-Publikation oder „Zombie-Zeitung“, nämlich gänzlich ohne eigene Redaktion, wenn man vom zunächst einsam weiter (als „König Ohneland“) amtiert habenden Chefredakteur Malte Hinz absieht.

Die Seiten wurden fortan von der WAZ (Mantelteil) sowie, was Dortmund anbelangt, von den vormals konkurrierenden Ruhrnachrichten (Lokalteil) befüllt und nur noch kosmetisch auf WR-Look getrimmt. Bis dahin hatte die Rundschau auch mit den anderen Zeitungen der WAZ-Gruppe (Westfalenpost, Westdeutsche Allgemeine Zeitung) einigermaßen heftig im Wettbewerb gestanden. Seit der WR-Schließung war jedoch häufig dieser Effekt zu beobachten: Fehlt ernsthafte Konkurrenz, so verloddern mitunter die journalistischen Sitten. Man hat’s ja nicht mehr nötig.

Verlust für die publizistische Landschaft

Es war ein großer Verlust für die publizistische Landschaft (und somit für die demokratische Meinungsbildung) in Westfalen und eine persönliche Tragödie für manche Kolleginnen und Kollegen, die auf einmal ohne Job waren. Von Beruf, Berufung und Herzblut gar nicht erst zu reden. Es ging ja nicht nur um rund 120  festangestellte Redakteurinnen und Redakteure, sondern auch um etwa 180 freie Mitarbeiter(innen) zwischen Dortmund, Hagen, Lünen, Schwerte, Unna und Siegen, Lüdenscheid, Altena,  Gevelsberg, Arnsberg, Meschede und Olpe. Um nur einige Standorte zu nennen.

In früheren Zeiten hatte das Verbreitungsgebiet gar nordwärts bis ins Emsland, weit ins westliche Ruhrgebiet und – rings um Betzdorf – bis in einen nördlichen Zipfel von Rheinland-Pfalz gereicht. Da knüpfte die Westfälische Rundschau beinahe wieder an die große Tradition des Dortmunder Vorläufers „Generalanzeiger“ an, der vor 1933 die auflagenstärkste deutsche Zeitung außerhalb Berlins gewesen war – bis die Nazis ihn mundtot machten.

Aber kommen wir auf 2013 zurück. Gewiss, vor allem einige Jüngere haben sich nach der „Freisetzung“ beruflich neu erfunden, gelegentlich mit staunenswertem Erfolg. Doch wer bereits über 50 war, hatte meist zu kämpfen. Ich will nicht nachträglich unken, aber: Seit 2013 sind recht viele ehemalige WR-Leute verstorben; nicht auszuschließen, dass hie und da auch nagender Kummer über die abrupt abgerissene berufliche Laufbahn und die hinterrücks entwertete Lebensleistung übel mitgespielt hat. Niemand kann es wissen.

Die Redaktion als weit verzweigter Organismus

Es mag sein, dass ein Teil der Leserschaft sich ebenso rasch wie sang- und klanglos umorientiert hat. Es gab ja schon vorher diese Cleverles alias treulose Abo-Hopper, die in regelmäßigen Abständen die Zeitung wechselten und dabei jeweils Willkommens-Prämien einheimsten. Vielen aber war – auch, aber nicht nur aus politischen Gründen – die WR speziell ans Herz gewachsen. Ich persönlich (und nicht nur ich) halte immer noch dafür, dass „wir“ redaktionell insgesamt besser waren als z. B. die Ruhrnachrichten oder – weiter südwärts – als die „Siegener Zeitung“. Fragen der Wirtschaftlichkeit stehen freilich auf einem anderen Blatt.

Noch heute erfasst einen das Weh, wenn man über Jahrzehnte dabei gewesen ist und beispielsweise weiß, wie weit früher das eigene Korrespondentennetz der Rundschau gespannt war, wie denn überhaupt mit der Zeitung ein ganzer Organismus verendet ist. Die Westfälische Rundschau hat übrigens auch journalistische Prominenz hervorgebracht – vom nachmals fernsehbekannten Ernst Dieter Lueg über den späteren NRW-Ministerpräsidenten, Bundeswirtschafts- und Arbeitsminister Wolfgang Clement bis hin zu Hans Leyendecker, dem bundesdeutschen Investigativ-Reporter schlechthin. Mehr noch: Erste Schritte ins Leben als exponiert Schreibende haben bei der WR z. B. auch Navid Kermani (nun einer der wichtigsten Publizisten dieses Landes) und Anna Mayr (heute gefragte Autorin der „Zeit“) getan. Kermani hat in der Lokalredaktion Siegen angefangen, Mayr in der Lokalredaktion Unna. Da rede noch jemand von „Provinz“.

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Machtdemonstration der Konzernchefs?

Der nordrhein-westfälische Zweig des Deutschen Journalistenverbands (DJV-NRW) hat zum Jahrestag der WR-Schließung bzw. Redaktions-Entlassung einen Podcast produziert, in dem die eben erwähnte Anna Mayr sowie Barbara Merten-Kemper (langjährige Betriebsrätin der WAZ) und Lars Reckermann (in den finalen Jahren der WR stellvertretender Chefredakteur) Rückschau halten und Ausblicke wagen.

Eine Lesart läuft darauf hinaus, dass die schockierende Maßnahme wohl eine Machtdemonstration der Konzernleitung gewesen sei – ein Exempel mit Drohpotenzial gegen etwaige Rebellen. Als aufsässig hätten zumal die WR-Redaktionen gegolten, ein Geschäftsführer sei damals als notorischer Rundschau-Hasser verschrien gewesen. Reckermann wählte folgenden Vergleich: Die WR sei stets die linke „Malocher-Zeitung“ gewesen, sozusagen das Schimanski-Blatt, während die WAZ wie James Bond aufgetreten sei. Nun ja. Ich habe mir 007 immer ein klein wenig anders vorgestellt.

Die Auflage war gar nicht so schlecht

Einig war man sich in der Ansicht, dass die WR mit gutem Willen und Fortune durchaus hätte gerettet werden können. Zum Zeitpunkt der Schließung hatte sie immerhin noch eine Auflage von cirka 115.000 Exemplaren – eine ansehnliche Zahl, über die sich heute beispielsweise der bundesweit trommelnde „Tagesspiegel“ oder die „Welt“ freuen würden. Engagierte Verleger der alten Schule hätten unter solchen Voraussetzungen nichts unversucht gelassen…

Geradezu erschütternd ist, woran Barbara Merten-Kemper sich erinnert. Manfred Braun, zur fraglichen Zeit einer von drei Geschäftsführern der WAZ-Gruppe, habe ihr später – an seinem allerletzten Arbeitstag – gestanden, dass die WR-Demontage ein „Fehler“ gewesen sei. Eigentlich eine Ungeheuerlichkeit, dies erst zum Abschied zuzugeben. Merten-Kemper sagt, sie sei fassungslos gewesen und habe ihn gefragt, warum er all die Jahre über nichts getan habe, um die Entscheidung zu revidieren. Da musste er passen.

Medien brauchen die besten Leute  

Seinem vorwärts strebenden Naturell entsprechend, schlug Lars Reckermann (zwischenzeitlich Chefredakteur der Nordwest-Zeitung in Oldenburg, jetzt Chef bei der Schwäbischen Post) ein paar optimistische Töne an. Die Funke-Mediengruppe habe sich mit der Zeit ein besseres Image zugelegt als einst die WAZ-Gruppe – und überhaupt sei der Journalismus in den letzten Jahren generell deutlich besser geworden. Dem möchte ich nur bedingt beipflichten. Anna Mayr wünscht sich unterdessen noch mehr: Die allerbesten Leute der kommenden Jahrgänge sollten möglichst ins Zeitungsgewerbe gehen. Ein schöner Traum. Doch auch andere Branchen brauchen besondere Talente.
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P. S.: Dies ist beileibe nicht der erste Revierpassagen-Beitrag zur WR-Schließung. Früher sind beispielsweise schon erschienen:
https://www.revierpassagen.de/22807/ein-jahr-nach-schliesung-der-rundschau-redaktion-die-folgen-schmerzen-noch/20140115_2138

https://www.revierpassagen.de/28818/zwei-jahre-nach-dem-ende-der-rundschau-beaengstigende-zeiten-fuer-den-journalismus/20150115_1717

https://www.revierpassagen.de/36681/ein-bisschen-schwund-ist-immer-wie-die-erinnerungen-an-die-rundschau-verblassen/20160614_0957

https://www.revierpassagen.de/47988/heute-vor-fuenf-jahren-das-ende-der-rundschau/20180115_1637

Wird all das hintereinander gelesen, so mögen sich Redundanzen ergeben, aber was soll’s. Nehmt es als Chronologie eines allmählichen Verschwindens.

Hier noch ein Link zum Podcast des DJV-NRW (Moderation: die freie Journalistin Sascha Fobbe): https://www.youtube.com/watch?v=q0GTb3PbQkU




Springer, die WAZ und der ganz große Deal

Ich bin so stolz, ein Ruhri zu sein. Jetzt noch ein bisschen stolzer als bisher schon. Denn wir haben jetzt bald das „führende nationale Medienhaus“, falls das Kartellamt nicht doch noch etwas gegen den gigantischen Deal zwischen Springer und WAZ/Funke-Mediengruppe einzuwenden hat.

Woher die WAZ-Leute auf einmal blanke 920 Millionen Euro hernehmen, wo sie doch angeblich so sehr unter den Verlusten geächzt haben, die beispielsweise die Westfälische Rundschau verursacht haben soll? Diesen Batzen kann man doch nicht mit der Einsparung von ein paar Hundert Journalisten und sonstigen Mitarbeitern verdient haben, oder? Und wurde da nicht gemunkelt, dass die Banken angeblich Druck auf Petra Grotkamp ausüben, die Mehrheitseignerin der WAZ-Gruppe, die für ihre zusätzlich erworbenen Anteile einen namhaften Kredit aufgenommen hat?

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Hört sich irgendwie verzweifelt und doch schlau an, was Springer macht: Printmarken an die offenbar auf schiere Größe versessene WAZ-Gruppe verkaufen, so lange es überhaupt noch ordentlich Geld bringt. Das riecht nach Schlussverkauf und so gar nicht nach Zukunft.

Kaum auszudenken, dass etwa „Hör Zu“, „Hamburger Abendblatt“, „Berliner Morgenpost“ und ein ganzes Paket von Programm- und Frauenzeitschriften künftig von Essen aus gemanagt werden. Ob Axel „Cäsar“ Springer sich nun im Grabe umdreht? Eine kuriose Pointe, Jahrzehnte nach den heftigen Anti-Springer-Demonstrationen um 1968. „Enteignet Springer“, riefen sie damals bei der Apo. Wahrlich, es waren andere Zeiten.

Welch eine Vorstellung zudem, dass die Essener bald weite Teile der Republik mit ihrer speziellen Vorstellung von Qualitätsjournalismus beglücken werden. Welch eine Aussicht für die Redaktionen der betroffenen Blätter, die künftig wohl erfahren, wie Personalpolitik nach Essener Art betrieben wird. Sparsam. Ganz sparsam. Höchst sparsam.

Soll man jetzt noch gespannt sein, wie das alles weiter geht?

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Ausführliche Berichte und Analysen: http://www.sueddeutsche.de/medien/zeitungen-und-zeitschriften-an-funke-gruppe-springer-verkauft-sein-erbe-1.1731053

http://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/axel-springer-verlag-verkauft-printprodukte-analyse-der-strategie-a-913107.html




Die schier unerträgliche „Spannung“ vor dem Ende der Rundschau-Redaktion

Es würde einen jetzt doch mal brennend interessieren, wie Rundschau-Chefredakteur Malte Hinz das gemeint hat, als er dem NDR-Medienmagazin „Zapp“ sagte, er erwarte die neue „Westfälische Rundschau“ nachgerade mit Spannung. Der Mann, der seinen gut dotierten Posten behält, jedoch (weil ohne eigenes Redaktionsteam) ab Februar an einem Essener Schreibtisch sitzt, ist also wahrhaftig „gespannt“ auf die künftig fremdbelieferte Zombie-Zeitung. Ist das bloß einfältig oder ist es schlimmer?

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Im selben „Zapp“-Beitrag äußert sich Christian Nienhaus, einer der mächtigen Geschäftsführer der WAZ-Mediengruppe, beinahe schon rührend blauäugig: Er behauptet, die Tradition der WR werde weiterhin beachtet. Auch hoffe er, dass die Abonnenten von der Umstellung möglichst wenig merken…

Wie gut, dass es jetzt ein spürbares Gegengewicht zu solchen – um es überaus höflich zu sagen – verwaschenen Äußerungen gibt, nämlich eine von 216 Kolleg(inn)en der WAZ und der NRZ in Essen unterzeichnete Erklärung zur Schließung der WR-Redaktion, die u.a. hier im Wortlaut nachzulesen ist und an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig lässt. Alle Achtung! Auch Dortmunds Oberbürgermeister Ullrich Sierau (SPD) hat inzwischen – wie berichtet – klare Worte gefunden, desgleichen der Bürgermeister von Arnsberg, Hans-Josef Vogel. Überdies haben (Stand 24. Januar, 13:00 Uhr) schon rund 5400 Menschen einen Solidaritäts-Aufruf für die WR-Redaktion online unterzeichnet.

Dennoch sieht es leider so aus, als könnte in Kürze – ungeachtet aller menschlichen Schicksale, die an der Schließung hängen – die Liegenschaftsverwaltung der WAZ-Gruppe verstärkt tätig werden. Denn mit der Entlassung der WR-Redaktion und der freien Mitarbeiter würden etliche Immobilien (bisherige Redaktionsräume) in zentralen Ortslagen frei werden; im einstigen Haupthaus am Dortmunder Brüderweg sogar mehrere Etagen mit Pförtnerloge und einigen Tiefgaragenplätzen. Da kann man also entweder Mieten sparen oder sogar Verkaufs- und Vermietungs-Einnahmen erzielen. Sag’ ich mal als Laie.

„Gespannt“ darf man auch sein, wie der Dortmunder Häuserblock Brüderweg/Ostenhellweg sich künftig darstellen wird. Falls der WR-Leserladen am Ostenhellweg bestehen bleibt (wonach es – ausweislich heute flugs geschalteter Eigenanzeigen – erst einmal aussieht), würde freilich die Seite am Brüderweg reichlich kahl wirken. Oder montiert man die alten Rundschau-Schilder etwa gar nicht ab? Vielleicht sollte man nun noch mal die Geschichte mit Potemkin nachlesen, um mental gewappnet zu sein.

Furchtbar „gespannt“ bin ich auch auf die Namen und sonstigen Angaben im künftigen Impressum der Etikettenschwindel-WR. Hierbei darf man sicherlich besondere Kreativität, wenn nicht gar avancierte Gebrauchslyrik aus dem Geist des Absurden erwarten.

Und weiter mit der schier unerträglichen „Hochspannung“: Wie wird die WAZ in ihrem Mantelteil eigentlich künftig aus Dortmund berichten? Schickt sie gelegentlich eigene Leute aus Essen hin? Oder wird die Lokalredaktion der Ruhr-Nachrichten künftig den WAZ-Videokonferenzen zugeschaltet und nimmt etwaige Themenwünsche entgegen? Wird da überhaupt koordiniert oder darf man sich schon jetzt auf prächtige „Doubletten“ und andere Pannen einstellen?

Ja, die „Spannung“ hört gar nicht mehr auf: Was ist an dem Gerücht dran, dass die Ruhr-Nachrichten – nach einer gewissen Schamfrist – ihre Bochumer Lokalredaktion schließen könnten, nachdem die WAZ-Gruppe den RN in Dortmund das Feld überlassen hat? Sollte es da etwa Gebietsabsprachen geben? Da wäre ja geradezu…

P.S.: Ich bin seit Kindertagen ein Anhänger von Borussia Dortmund und freue mich immer, wenn der Verein gewinnt. Nun aber mal in aller Freundschaft so gefragt: Hat sich eigentlich der ruhmreiche BVB, der seit vielen Jahrzehnten von der Berichterstattung (phasenweise auch von nibelungentreuer Hofberichterstattung) der WR profitiert hat, mit einer einzigen Zeile zur bevorstehenden Schließung der WR-Redaktion geäußert? Sollten wir da etwas übersehen haben? Dann sind wir für spannende Hinweise sehr dankbar. Wie bitte? Der BVB und die Ruhr-Nachrichten seien „Medienpartner“? Und BVB-Pressesprecher Sascha Fligge sei just aus dem Hause Ruhr-Nachrichten zu Borussia gekommen? Ja, was sollen wir denn jetzt denken?




Warum die Lage bei Opel fast überhaupt nichts mit der WAZ-Gruppe zu tun hat

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Es könnte sein, dass manche WAZ-Entscheidungsträger in Essen diese Nachrichtenlage insgeheim sogar begrüßt haben – im wohlverstandenen Eigeninteresse: „Opel Bochum schließt bereits 2014“, so lautet heute (23. Januar) die Titelschlagzeile der „Westfälischen Rundschau“ (WR), die nur noch rund eine Woche lang eine eigene Redaktion hat.

Auf diese Weise, so scheint es, kann die WAZ-Gruppe endlich mal wieder von der Misere im eigenen Hause ablenken. Oder liegt hier ein Missverständnis vor?

Tatsächlich darf und muss man sich über die abermals verschärfte Situation bei Opel empören. Niemand, auch der Betriebsrat nicht, hatte mit einer solchen Entwicklung gerechnet: Nicht erst 2016 soll die Autoproduktion in Bochum eingestellt werden, sondern bereits 2014 – es sei denn, die Beschäftigten verzichten in den nächsten Jahren auf alle Tariferhöhungen. Da kann man von erheblichem Druck sprechen, es ließen sich auch noch andere Worte dafür finden.

Die Berichterstattung kommt vom zentralen Essener Newsdesk der WAZ, sie wird – mitsamt Gerd Heideckes Kommentar – für die WR in Dortmund übernommen. Von „Wildwest-Methoden“ bei General Motors/Opel ist da die Rede, der Colt sei offenbar entsichert. Das Unternehmen werde nun „die Folgen eines weiteren immensen Image-Schadens verkraften“ müssen. Der Opel-Werbepartner Borussia Dortmund und Trainer Jürgen Klopp stünden für „ehrliche Arbeit, authentisches Verhalten und Volksnähe – nicht gerade das, was die Opel-Manager an den Tag legen.“

Kurze Denkpause.

Wer wird aber so kühn sein, solche Zuschreibungen postwendend auf die WAZ-Gruppe anzuwenden? Wer wollte denn eine Schlagzeile wie „Rundschau-Redaktion schließt bereits im Februar“ drucken? Sollte da etwa auch im Ruhrgebiet, also im tiefen, wilden Westen ein Colt entsichert worden sein? Und sollte es etwa auch hier einen Image-Schaden geben? Das wäre ja nicht auszudenken!

Nein, nein, bei Opel geht es doch um ganz andere Größenordnungen. Und überhaupt sind das völlig verschiedene Branchen, nicht wahr? Also Schluss jetzt!




Kultur zum Plaudern und zum Streiten – Spektrum von Goethe bis Punk: Erfahrungen und Eindrücke aus dem Kulturblog Westropolis

Von Bernd Berke

Manchmal reicht schon ein Bild mit provozierender Unterzeile: „Die Beatles sind langweilig“, behauptete der Westropolis-Autor Ingo Juknat kurzerhand, stellte ein Foto der Fab Four hinzu – und schon ging’s los mit teilweise empörten Kommentaren.

Juxhafter Moment mit Kasperlfiguren bei einem Westropolis-Treffen am 5. Februar 2008 im Essener Bahnhof Süd, u. a. mit dem „Revierflaneur" Manuel Hessling (hinten Mitte, mit Teufelchen), Ingo Juknat (hinten, ganz links) und Nadine Albach (vorn, 2. v. re.). (Foto: Bernd Berke)

Juxhafter Moment mit Kasperlfiguren bei einem Westropolis-Treffen am 5. Februar 2008 im Essener Bahnhof Süd, u. a. mit dem „Revierflaneur“ Manuel Hessling (hinten Mitte, mit Teufelchen), Ingo Juknat (hinten, ganz links) und Nadine Albach (vorn, 2. v. re.). (Foto: Bernd Berke)

Bei Westropolis, dem Kultur-Blog der WAZ-Mediengruppe, zu der auch die WR gehört, werden Musik, Kunst, Kino, Literatur & Co. oft zu heiß diskutierten Streitthemen. Auch als langjähriger WR-Kulturredakteur, der nun seit einigen Monaten ebenfalls bei Westropolis mitwirkt, macht man einige neue Erfahrungen.

Kulturfans sind nicht unbedingt leidenschaftliche Leserbrief-Schreiber. Im Blog (Internet-Auftritt, so etwa zwischen kollektivem Tagebuch und Plauderecke angesiedelt) ist das zuweilen ganz anders. Zwar gibt es auch hier ruhigere Stunden, doch häufig finden Beiträge sehr schnellen und deutlichen Widerhall; ganz gleich, ob Rezensionen zum aktuellen Kulturgeschehen, eher persönliche Aufzeichnungen oder veritable kleine Essays.

Im Netz wird mehr Tacheles gesprochen

Überdies wird im Netz mehr Tacheles gesprochen. Da müssen sich Autoren schon mal herbe Kritik gefallen lassen. Verbale Gegenwehr keineswegs ausgeschlossen. Doch praktisch immer wird im Widerstreit der Argumente ein Mindestmaß an Höflichkeit gewahrt. Man kennt die ungeschriebene „Net(t)iquette“ (Abart des Knigge fürs Internet). Auch Kampfhähne der Kultur wissen, wann’s genug ist. Da wird nicht unnötig nachgekartet.

Derzeit bestreiten neun ständige „Gastautoren“ und Autorinnen einen Löwenanteil der Westropolis-Beiträge, hinzu kommen etliche Kommentator(inn)en, die gelegentlich auch eigene Artikel bereitstellen. Das Spektrum steht im Zeichen eines gehörig erweiterten Kulturbegriffs, ist also breit und reicht von Goethe über Beuys bis Punk. Mindestens.

Jeder Geschmack kommt zum Zuge. Beispiele: Da gibt es ein wöchentliches, wahrhaft kniffliges Literaturrätsel vom „Revierflaneur“ Manuel Hessling, der so etwas wie eine Seele des ganzen Betriebs ist.

Auch Promi-Klatsch aus der Partyzone

Da teilt Else Buschheuer (moderiert das Magazin „Kino Royal“ im MDR-Fernsehen) neueste Eindrücke aus ihren Kino- und DVD-Sitzungen mit. Da wirft die Deutsch-Türkin Hatice Akyün (Bucherfolg: „Einmal Hans mit scharfer Sauce“) Fragen zwischen den Kulturen auf oder verbreitet zur Entspannung Promi-Klatsch und Erlebnisse aus der Partyzone.

WR-Redakteur Jürgen Overkott liefert serienweise CD-Besprechungen und Interviews. Der Autor dieser Zeilen ist mit wechselnden Themen dabei und nicht unfroh, derzeit den Kommentar-Rekord (bis gestern 364 Äußerungen zu einem Beitrag) zu halten. Wobei die Anzahl der Kommentare gewiss kein alleiniges Gütesiegel ist. Beliebt sind übrigens allerlei Hitlisten, auch negative wie etwa: „Die größten Nervensägen im deutschen Musikgeschäft“. Jeder kennt welche.

Auch bei den – meist unter erfundenen Namen antretenden – Kommentatoren ist einiges Interesse und Kulturwissen vorhanden. Ein Aufenthalt für Banausen ist Westropolis somit nicht.

Ein geradezu familiäres Gefühl

Wie im richtigen Leben: Mit der Zeit stellt sich ein geradezu familiäres Gefühl ein, wenn man die Seite betritt. Nach und nach kennt man Vorlieben, Macken und Launen vieler Mitstreiter. Der eine ist streng, die andere spontan, der dritte allzeit witzig. Aha, da hat sich ja wieder X geäußert, Y ist auch online, aber Z ist eine ganz neue Stimme im Konzert und bereichert den Zirkel.

Je mehr Meinungen und Temperamente, umso besser. Dann diskutiert es sich doppelt so schön. Wer sich dabei auf unverbindliche Positionen zurückzieht („Das ist doch letztlich alles Geschmackssache“), der hat hier keine sonderlich guten Karten. Weichspülerei wird allenfalls zur Versöhnung nach einer Diskussion akzeptiert.

Längst nicht immer geht’s bei Westropolis bierernst zu. In manchem Thread (Fachwort für „Themen-Strang“) wird auch schon mal gealbert. Oder: Eine Kultur-Debatte kann sich unter der Hand in ganz andere Bereiche wie etwa Alltag, Sport oder Kochkunst schlängeln. Speziell am Wochenende kommt es (mitten im kulturellen Wortgemenge) immer wieder zu netten kleinen Sticheleien zwischen BVB- und Schalke-Anhängern.

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HINTERGRUND

Bestandteil von www.derwesten.de

  • Ein Blog (von „Weblog“) ist eine Art Online-Tagebuch eines oder mehrerer Autoren bzw. ein Gesprächskreis, der sich daran knüpft. Das Wort enthält den Bestandteil „Log“, der sich vom Seefahrer-Logbuch ableitet.
  • Die ersten Blogs tauchten um die Mitte der 1990er Jahre in Internet auf.
  • Streitfrage: Heißt es „der“ oder „das“ Blog? Der Duden lässt beides zu.
  • Westropolis ist Bestandteil von www.derwesten.de, des neuen online-Auftritts der WAZ-Mediengruppe, zu der auch die WR gehört.
  • Mehrere WR-Redakteure sind auch ständige Gastautoren bei Westropolis.
  • Westropolis ging im Februar 2007 an den Start. Seither wurden Kulturthemen aller Sparten und Güteklassen aufgegriffen.
  • Internet-Adressen: www.derwesten.de und www.westropolis.de

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Nachtrag 2019:

2011 komplett gelöscht

Aus bis heute unerfindlichen Gründen hat die WAZ-Gruppe (heute Funke-Gruppe) Anfang 2011 Westropolis komplett aus dem Netz genommen – mit allen Beiträgen und zigtausend Kommentaren. Ein brachialer Akt. Und von wegen: „Das Internet vergisst nichts.“ In diesem Falle eben doch. Weil es dazu gezwungen worden ist.

Zwei der damaligen Autoren sind inzwischen – allzu früh – verstorben, nämlich die erwähnten Manuel Hessling und Ingo Juknat. Friede sei mit ihnen.

Zwei anderen Mitwirkenden, deren Namen hier gnädig verschwiegen werden sollen, ist ihr bisschen Erfolg zwischenzeitlich sehr zu Kopf gestiegen. Schade eigentlich.

 




Die ganze Vielfalt des Landes – Mediathek von WAZ-Mediengruppe und WDR startet im September / Bücher, CDs und Filme über NRW

Von Bernd Berke

Essen. „Wir in Nordrhein-Westfalen. Unsere gesammelten Werke“. So heißt eine neue Edition mit allmonatlich erscheinenden Büchern, DVDs und CDs, die Anfang September startet.

Starke Partner sind im Boot: Die WAZ-Mediengruppe, zu der auch die Westfälische Rundschau gehört, arbeitet bei diesem großen Projekt mit dem Westdeutschen Rundfunk (WDR) zusammen. Dritter im Bunde ist der Essener Klartext-Verlag. Bodo Hombach, Geschäftsführer der WAZ-Gruppe, und WDR-Intendant Fritz Pleitgen stellten die gemeinsame Edition gestern im Design-Zentrum der Essener Zeche Zollverein vor.

Auf vorwiegend unterhaltsame Weise soll die Reihe das Landesbewusstsein in NRW stärken – passend zum bevorstehenden 60. „Geburtstag“ unseres Bindestrich-Bundeslandes. Dabei kommen alle Lebensbereiche in Betracht: Geschichte, Politik, Wirtschaft, Kultur, Natur und Sport, aber auch der ganz normale Alltag in der Region.

Das breite Spektrum der neuen Reihe reicht vom Schimanski-Krimi bis zur Reden-Sammlung des langjährigen NRW-„Landesvaters“ Johannes Rau, vom regional getönten Kabarett auf CD oder DVD bis zum nostalgischen Film über Revier-Fußball. Alle Titel erscheinen zu günstigen Vorzugspreisen. Wer abonniert, genießt Zusatz-Rabatt. Monatlich kommen im Wochenrhythmus vier Titel heraus.

Man kann hier viele Entdeckungen machen, denn einige wichtige Werke waren seit längerer Zeit vergriffen. Sie erleben in der „Mediathek“ eine ersehnte Neuauflage. Andere Bücher, Platten oder Filme sollen eigens entstehen. Über die Qualität wacht ein hochkarätiges Experten-Kuratorium. Im weiteren Verlauf der langfristig angelegten Edition können auch WR-Leser Wunschtitel vorschlagen.

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Seite Das Land und die Region:

Die Bürger des Landes können sich mit den Büchern, Filmen und Platten der neuen „Mediathek“ im Lauf der Zeit eine NRW-Sammlung zulegen, die ihresgleichen sucht. Wenn man allein bedenkt, welche regionalen Filmschätze in den Archiven des WDR schlummern…

WDR-Intendant Fritz Pleitgen zeigte sich gestern in Essen sehr angetan: „Selten hatte ich so wenig Zweifel an einem Projekt wie an diesem.“ Bodo Hombach, Geschäftsführer der WAZ-Gruppe, betonte den wachsenden Wert der Region, die den Geist der Mediathek präge: „In einer Welt der Traditionsbrüche, des schnellen Neuen, eisiger Globalisierung und undurchsichtiger europäischer Anpassungsprozesse hat die Verwurzelung und damit soziale Stabilisierung im Lokalen und Regionalen zunehmend große Bedeutung.“ Das hiesige Landesbewusstsein sei niemals provinziell, sondern stets weltoffen und tolerant.

In diesem Sinne geht’s im September los mit der Mediathek der WAZ-Mediengruppe, zu der auch die WR gehört, und des WDR. Das Leitmotto des ersten Monats heißt „Land in Sicht“: Die DVD-Scheibe „NRW – der Anfang“ führt mit rarem Bildmaterial zurück in die Gründerzeit des Landes. Die Städte an Rhein und Rühr liegen in Kriegstrümmern. Doch schon bald regen sich die Kräfte, die diese Region wieder aufbauen wollen.

Die Chose mit Rheinländern und Westfalen

Lust auf Zukunft weckt sodann das gleichnamige Buch mit den gesammelten Reden des unvergessenen „Landesvaters“ und Bundespräsidenten Johannes Rau. Natürlich spielt auch dabei das „Wir-Gefühl“ in unserem Land eine zentrale Rolle.

Gemeinsames „Wir-Gefühl“? Nun ja. „Der Westfale ist der natürliche Feind des Rheinländers.“ So lautet ein scherzhaftes Credo des Kölner Kabarettisten Jürgen Becker (WDR-„Mitternachtsspitzen“). Auf der September-CD macht er die Probe. Hier trifft er auf einen ganz sturen Westfalen: Rüdiger Hoffmann, den Meister der verbalen Langsamkeit. Das Fazit der beiden so unterschiedlichen Landsleute liegt zwischen Aufstöhnen und Umarmung: „Es ist furchtbar, aber es geht.“ Nämlich die Chose mit Westfalen und Rheinländern. Halbwegs. Irgendwie. Und mit viel Gelächter.

Markante Wiederentdeckungen

„Schönes NRW“ heißt die vierte Neuerscheinung, die das September-Programm abrundet. Dieser Reiseführer zu den historischen Stadt- und Ortskernen macht mit zahlreichen Farbfotos, Karten und Infos Appetit auf Erkundungsreisen durchs Land.

Die vier Starttitel dienen als Einführung ins NRW-Thema, sie sind eine gewichtige Basis der Edition. In den folgenden Monaten geht es vielfach spielerischer zu. Beispiel: der Oktober mit markanten Wiederentdeckungen. Da lock die DVD mit Raubein „Schimanski“ („Tatort: Schwarzes Wochenende“ von 1985). Als literarisches Kleinod folgt Irmgard Keuns Roman-Satire „Nach Mitternacht“, die im Köln der Nazizeit spielt. Die CD „Ruhrtour“ versammelt Hörbilder aus 50 Jahren zu einem akustischen Porträt der industriellen Kernlandschaft von NRW. Außerdem erscheint ein besonderes Geschichtsbuch mit demokratischen Lehrbeispielen. Hier erfährt man, wie die Menschen an Rhein und Ruhr ihre Geschicke erfolgreich selbst in die Hand nehmen.

Später folgen z. B. „Maus“-Geschichten für Kinder, Fußballfilme, Kochbücher, Texte des gebürtigen Düsseldorfers Heinrich Heine, diverse Ruhrgebiets-Romane und die Historie von Unternehmen wie Krupp. Nach und nach also: die ganze Vielfalt des Landes.

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INFO

Leserläden, Buchhandel und Internet

  • Offizieller Starttermin der neuen Mediathek ist Montag, 4, September.
  • Die Edition mit monatlich vier Titeln (jede Woche einer) umfasst im Medienmix literarische Texte, Sachbücher, CDs und DVDs – durchweg mit Bezug zum Land NRW.
  • Es wird mehrere Bezugsquellen geben: Leserläden der WAZ-Mediengruppe (also auch der Westfälischen Rundschau), normaler Buchhandel und Internet. Die Homepage wird in Kürze freigeschaltet.
  • Die Titel der Reihe könneu entweder einzeln oder im besonders günstigen Abo-Paket (monatlich vier Titel für insgesamt 21,90 Euro) erworben werden. Für WR-Abonnenten erfolgt die Lieferung frei Haus.
  • Einzelpreis pro Buch 7,95 Euro, für jede DVD oder CD 8,50 Euro.