Coup fürs „Dortmunder U“: Schau über die legendäre Rockband „Pink Floyd“ kommt aus London

Das ist doch mal eine gelungene Überraschung: Edwin Jacobs, aus Utrecht kommender neuer Chef des „Dortmunder U“ und somit auch des Museums Ostwall, kann bereits den ersten Coup seiner Dortmunder Amtszeit verbuchen; allerdings nicht mit einer klassischen Kunstausstellung, sondern mit einer Schau über die legendäre Rockgruppe „Pink Floyd“.

"Animals" - album cover art, Riger Waters, 1977 (© Pink Floyd Music Ltd. / Victoria and Albert Museum, London)

„Animals“ – album cover art, Roger Waters, 1977 (© Pink Floyd Music Ltd. / Victoria and Albert Museum, London)

Die weltweit erste derartige Retrospektive über die Band startet ihre Tour am kommenden Wochenende im ehrwürdigen Victoria and Albert Museum in London, wo sie vom 13. Mai bis zum 1. Oktober zu sehen sein wird. Der Titel kommt schon gebührend gravitätisch, aber auch ein wenig britisch-ironisch daher: „Pink Floyd: Their Mortal Remains“ („Pink Floyd: Ihre sterblichen Überreste“).

Ab Frühjahr 2018 soll dann Dortmund die einzige Station im deutschsprachigen Raum sein. Schauplatz ist dann die 6. Etage des „Dortmunder U“. Einen weiteren Halt macht die Präsentation in Rom. London – Rom – Dortmund. Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen…

Angekündigt wird eine multimediale Reise durch die rund 50-jährige Geschichte der ungemein einflussreichen Band. Im Mittelpunkt steht zwar vorwiegend, aber nicht nur die Musik – mit den Bandmitgliedern, ihren Songs und Instrumenten, Tourneen und Auftritten. Es geht beispielsweise auch um die visuelle Gestaltung der Alben und der Bühnenbilder – und um persönliche Erinnerungsstücke wie etwa Klassenbuch oder Rohrstock aus Kindertagen. Insgesamt soll die Ausstellung die wandelbare Entwicklung von der anfänglichen psychedelischen Phase bis hin zu den kommerziellen Welterfolgen nachzeichnen.

Schon dieses erste Ausrufezeichen des neuen Museumsdirektors deutet an, dass künftig auch populäre Themen ins Haus geholt werden dürften, die das bisherige Spektrum erweitern. Sicherlich hofft man dabei auf ein Publikum, das über die üblichen Kreise der Museumsbesucher hinaus reicht. Es kann ja wirklich nicht schaden, neue Besucherschichten zu erschließen.

Das „Dortmunder U“ könnte dabei zur temporären Pilgerstätte von zahlreichen „Pink Floyd“-Fans werden, die sich vermutlich auch auf weitere Anreisen begeben . Übrigens war es die Dortmunder Westfalenhalle, wo die Band im Februar 1981 mit der gigantischen Show „The Wall“ einen ihrer wohl spektakulärsten Auftritte hatte. Auch 1977 und 1988 gastierte die Gruppe in Dortmund. Manche Leute schwärmen heute noch davon.

Einen Vorgeschmack auf die Londoner Ausstellung kann man sich auf der Internet-Seite des Victoria and Albert Museums verschaffen: https://www.vam.ac.uk/exhibitions/pink-floyd




Alles auf Anfang: Wie die Künstlergruppe „junger westen“ im Ruhrgebiet der Nachkriegszeit wirkte

Gruppenbild: "junger westen" mit Thomas Grochowiak (ganz links). (Kunsthalle Recklinghausen)

Gruppenbild: „junger westen“ mit (von links) Thomas Grochowiak, Heinrich Siepmann, Gustav Deppe, Ernst Hermanns und Hans Werdehausen. (Kunsthalle Recklinghausen)

Darüber darf man heute noch staunen: Ab 1947 erlangte die doch relativ kleine Ruhrgebietsstadt Recklinghausen eine Ausnahmestellung in der westdeutschen Kunstwelt. Hier fanden vor 70 Jahren die Protagonisten der alsbald so einflussreichen Künstlergruppe „junger westen“ zusammen, 1948 ließen sie sich ganz ordentlich ins Vereinsregister eintragen.

In jenen frühen Jahren wurde in Recklinghausen zudem ein alter Bunker zur Kunsthalle umgewidmet, der zum zentralen Ort dieser Formation werden sollte. Tatsächlich kamen die Impulse für diese Kulturstätte von den Künstlern selbst. Ein sehr profiliertes Mitglied der Gruppe, Thomas Grochowiak, war (als Nachfolger des 1952 früh verstorbenen Gründungsdirektors Franz Große-Perdekamp) über die Marathonstrecke von 1954 bis 1980 zugleich Leiter der Kunsthalle und der weiteren Städtischen Museen.

Im Revier verwurzelt und geerdet

Der „junge westen“ war eindeutig eine Angelegenheit des Reviers, er war personell und zunächst auch thematisch regional verwurzelt, was seine nationale und später auch internationale Wirkung nicht schmälerte. Jetzt widmet die Recklinghäuser Kunsthalle dieser Gruppierung eine sinnreich und liebevoll gestaltete Überblicks-Schau, die als Ausstellung zu den Ruhrfestspielen firmiert. Mehr Revier-Anmutung geht also kaum.

Ausstellungskatalog der Gruppe aus dem Jahre 1948. (Kunsthalle Recklinghausen)

Ausstellungskatalog der Gruppe aus dem Jahre 1948. (Kunsthalle Recklinghausen)

Der Rückblick auf die Gruppengründung vor 70 Jahren bringt es mit sich, dass sich jetzt sukzessive gleich mehrere Häuser im Ruhrgebiet dem „jungen westen“ widmen: das Märkische Museum (Witten), das Museum DKM in Duisburg, das Kunstmuseum Gelsenkirchen, das Kunstmuseum Mülheim und das Kunstmuseum Bochum steuern je eigene Aspekte bei, auch die Kunstsammlungen der Ruhr-Uni Bochum sind beteiligt. Den institutionellen Rahmen bildet das langfristige Kooperations-Projekt RuhrKunstMuseen.

Die gewichtigste Ausstellung des Gedenkjahres gebührt freilich Recklinghausen, wo allein schon die seit den späten 40er Jahren gewachsenen Eigenbestände eine großzügige Auswahl ermöglichen. Über 30 Leihgeber haben zudem Ergänzungen beigesteuert. Und so kommt es, dass man alle Phasen der Gruppe mit prägnanten Beispielen belegen kann.

Dauerhafter Zusammenhalt

Bemerkenswert dauerhaft, hielt sich der „junge westen“ als gemeinsame Plattform bis etwa 1962 (in dieser Phase endet auch der Fokus der Ausstellung), die entstandenen Freundschaften währten noch viel länger. Nie haben die einzelnen Künstler vergessen, dass sie ihre Werdegänge anfänglich der Gruppe zu verdanken hatten. So etwas gibt es heute praktisch nicht mehr, da waltet eher die von Galeristen und Sammlern entfesselte Marktkonkurrenz.

Thomas Grochowiak: "Scherzo Grazioso" (1948). (Märkisches Museum Witten)

Thomas Grochowiak: „Scherzo Grazioso“ (1948). (Märkisches Museum Witten)

Der Gruppenname „junger westen“ führt etwas in die Irre: Die Mitstreiter waren in der Gründungszeit um oder über 40 Jahre alt, sie hatten wertvolle Lebenszeit im verfluchten Krieg vergeudet.

Im Wesentlichen war es eine Entwicklung von der Gegenständlichkeit zur Abstraktion, die die einzelnen Künstler, aber auch die Gruppe „junger westen“ insgesamt vollzogen haben. So waren damals die Zeichen der Zeit, die in Recklinghausen nicht nur aufgenommen und gedeutet, sondern teilweise auch aktiv gesetzt wurden.

Die Ausstellung präsentiert das Schaffen der Künstler jeweils in persönlichen Werkblöcken, so dass sich die Entwicklung wie im Zeitraffer nachvollziehen lässt. Zum Kernbestand zählen diese sechs Gruppenmitglieder: Gustav Deppe, Thomas Grochowiak, Heinrich Siepmann, Emil Schumacher, Hans Werdehausen und Ernst Hermanns. Vier weitere treten flankierend hinzu: K. O. Götz (der heute als 103jähriger in Aachen lebt), Georg Meistermann, HAP Grieshaber und Emil Cimiotti.

Ja zur Zukunft mit Atomenergie

Der Blick dieser Künstler im allseits kriegsverwüsteten, buchstäblich ruinösen Land richtete sich entschieden nach vorn, es ging nicht so sehr um die Rehabilitierung als „entartet“ verfemter Künstler. Nein, man erstrebte eine gründliche Inventur, einen Neuanfang. Die Künstler vom „jungen westen“ wollten sich entschlossen einer besseren Zukunft zuwenden, zur Aufbruchsstimmung gehörte übrigens auch eine Bejahung des als friedlich gedachten Atomzeitalters. Keine Bomben mehr, sondern schier unerschöpfliche Energie…

Gustav Deppe: "Hochspannung" (1952). (Kunsthalle Recklinghausen)

Gustav Deppe: „Hochspannung“ (1952). (Kunsthalle Recklinghausen)

Schon 1950, also gerade mal fünf Jahre nach Weltkriegsende, gab es in Recklinghausen eine deutsch-französische Ausstellung zum künstlerischen Stand der Dinge – im Geist der Völkerversöhnung. Frankreich war das gelobte Land, Paris die Metropole, auf die alle schauten. Der Zeitgeist war mit ihnen. Und genau in diese Zeitstimmung kann man in Recklinghausen eintauchen.

Formwelt der Industrie

Praktisch alle Künstler beim „jungen westen“ haben damit begonnen, sich figurativ am industriellen Umfeld des Ruhrgebiets abzuarbeiten. Das Spektrum reicht von Starkstrommasten (Gustav Deppe) über Figuren wie den „Fördermaschinisten“ (Thomas Grochowiak) bis zum prosaischen Alltagsobjekt Küchenherd (Emil Schumacher).

Gustav Deppe war fortan der Einzige, der weitgehend im Gegenständlichen verharrte und den formalen Strukturen der technisch bestimmten Welt unermüdlich nachspürte; ein Umstand, der ihn vielleicht gerade jetzt wieder interessant macht. Man muss darin wahrlich keine Rückschrittlichkeit oder mangelnden Drang zu avantgardistischen Positionen sehen. Es ändern sich die Perspektiven. Heute schwört man längst nicht nur auf Abstraktion.

Heinrich Siepmann: "Komposition IV" (1954). (Kunstmuseum Mülheim/Ruhr - VG Bild-Kunst, Bonn)

Heinrich Siepmann: „Komposition IV“ (1954). (Kunstmuseum Mülheim/Ruhr – VG Bild-Kunst, Bonn)

Die Hauptströmung beim „jungen westen“ führte hingegen weg vom erkennbaren Gegenstand. Doch auch da gab es verschiedene Wege, manche Künstler sind eher dem Konstruktiven zuzurechnen, andere (allen voran Emil Schumacher) strebten in die gestisch-energetischen Gefilde des Informel.

Bis zum Tapeten-Entwurf

Dennoch haben sich die Künstler im „jungen westen“ einander dermaßen intensiv beeinflusst, dass individuelle Unterschiede zeitweise verblassten. Doch dann wieder strebten die Linien wieder auseinander. Ja, zuweilen geht es bei ein- und demselben Künstler mal hierhin, mal dorthin und wieder zurück. Eben dies verleiht der Zusammenstellung die nötige Spannung.

Ein weiterer Aspekt ist das durch den (mit Große-Perdekamp seit Schulzeiten befreundeten) Bottroper Josef Albers vermittelte Bauhaus-Gedankengut, in dessen Nachfolge sich der „junge westen“ sah. So lieferte man zwischendurch auch schon mal ganz selbstverständlich Musterentwürfe für Tapeten.

Zeitgeist in aussagekräftigen Fotografien

Nicht nur die rund 100 Kunstwerke, sondern speziell auch die zahlreichen, vielfach großformatigen Fotografien aus jener Zeit lassen den „jungen westen“ wieder aufleben. Fotos von Ausstellungs-Ereignissen der 50er Jahre zeigen im zeittypischen Ambiente, dass damals bei Eröffnungen etwa noch ganz locker geschwoft und geraucht wurde. Mit konservatorischen Bedenken hatte man es noch nicht so.

Emil Schumacher: "Libya" (1962). (Kunsthalle Recklinghausen)

Emil Schumacher: „Libya“ (1962). (Kunstmuseum Bochum)

Vor manchen dieser Dokumente kann man lange verharren und sinnieren. So beispielsweise vor einem Foto, auf dem offenbar hundert oder noch mehr uniformierte Polizisten in eine Ausstellung drängen, und zwar keineswegs in dienstlicher Absicht. Ein anderes Foto belegt, dass damals Kunst durchaus im Zusammenhang der Warenwelt auftauchen konnte, so auch direkt neben einer Miele-Waschmaschine. Eine Avantgarde traf gleichsam die andere, der Fortschritt schien unteilbar zu sein.

Wer sich viel Zeit nimmt, kann überdies eine große Stellwand mit einer zeitgenössischen „Presseschau“ Zeile für Zeile goutieren, so dass nicht nur den Schauwerten, sondern auch dem Diskursiven Genüge getan ist. Apropos Zeitung: Der FAZ-Kulturkorrespondent für NRW, Albert Schulze Vellinghausen, war es wohl, der der Gruppe publizistisch zum Durchbruch verhalf.

Museumsdirektor Prof. Ullrich nimmt Abschied – doch nicht so ganz

Die von Hans-Jürgen Schwalm und Stephan Strsembski kuratierte Ausstellung bedeutet übrigens auch für den Recklinghäuser Museumsbetrieb eine Zäsur. Es ist die letzte, die Prof. Ferdinand Ullrich als Direktor verantwortet. Er wird allerdings auch im so genannten „Ruhestand“ dem Ruhrgebiet treu bleiben und sicherlich mit Ausstellungs- und Buchvorhaben weiter von sich reden machen. Seine Dissertation hat Ullrich, der seine Laufbahn als Künstler (Meisterschüler bei Timm Ulrichs) und nicht als Kunsthistoriker begonnen hat, einst just über den „jungen westen“ verfasst. So rundet sich alles.

„Auf dem Weg zur Avantgarde. Die Künstlergruppe JUNGER WESTEN“.  Kunstausstellung der Ruhrfestspiele Recklinghausen in der Kunsthalle Recklinghausen (Große-Perdekamp-Straße 25-27). Vom 7. Mai bis zum 13. August 2017. Geöffnet Di-So & feiertags 11-18 Uhr, Mo geschlossen.

Infos zu Recklinghausen: www.kunst-re.de
Infos zu den weiteren Ausstellungen über den „jungen westen“: http://www.ruhrkunstmuseen.com/ausstellungen.html




TV-Nostalgie (36): „Stromberg“ und die Gipfel der Peinlichkeit

Nanu? Fernseh-Nostalgie von anno 2004? Tja, das ist immerhin auch schon wieder 13 Jahre her. Und man muss nicht immer zwei bis fünf Jahrzehnte zurückblicken, um auf etwas zu stoßen, was man womöglich vermisst. Nehmen wir zum Beispiel „Stromberg“, die phänomenale Büroserie, die von 2004 bis 2012 in fünf Staffeln mit 46 Folgen beim sonst nicht allzu schätzenswerten Privatkanal ProSieben gelaufen ist.

Bürohengst Bernd Stromberg (Christoph Maria Herbst). (Screenshot aus http://www.myspass.de/shows/tvshows/stromberg/Umstrukturierung--/900/)

Bürohengst Bernd Stromberg (Christoph Maria Herbst). (Screenshot aus http://www.myspass.de/shows/tvshows/stromberg/)

Doch halt! Manchmal sind gerade die Privatsender Risiken eingegangen, die man in den gremienfrommen Chefetagen bei ARD und ZDF scheut. Just auf dem Gebiet der Komik haben werbefinanzierte Sender die besten Leute der letzten beiden Jahrzehnte geschickt promotet und prominent gemacht – von Harald Schmidt bis Olli Dittrich. Unterdessen haben die Gebührensender Innovationen vorwiegend in Nachtstunden oder Spartenkanäle ausgelagert.

Er verscherzt es sich mit allen

Zurück zu Bernd Stromberg, der Figur, die diesen Vornamen gründlich diskreditiert hat. Der linkische Mittvierziger ist fachlich und im sozialen Umgang eine Katastrophe, in der (immer mal wieder erschütterten) Selbstwahrnehmung freilich eine allseits beliebte „Kanone“ mit dem Zeug zur steilen Karriere.

Stromberg ist bei der fiktiven Capitol-Versicherung anfangs Abteilungsleiter Schadensregulierung für die Buchstaben M bis Z. Doch er geht stets auf äußerst dünnem Eis und verscherzt es sich mit sämtlichen Untergebenen und Vorgesetzten. Als Zuschauer erhält man dabei erhellende Einblicke in den Sozialkosmos eines Großraumbüros. Die Typen, die ihr kennt…

Der Fiesling Stromberg tritt in jedes, aber auch wirklich jedes Fettnäpfchen. Wenn man ihn fragt, kommt er immer ganz „locker vom Hocker“, doch in Wahrheit ist er grässlich verkrampft. Mit brachialem Schenkelklopfer-Humor lästert er sexistisch und rassistisch über sämtliche Minderheiten – und über Frauen sowieso.

Dabei hätte er endlich mal eine richtige „Beziehung“ nötig, wie er in einem lichten Moment sogar zugibt. Ansonsten hält er sich für einen smarten Kerl, wenn nicht für einen Don Juan. Doch ungeschickter und peinlicher als er kann man sich nicht anstellen, weder beruflich noch privat. Mehr noch: Hier treibt einer die Peinlichkeit auf geradezu quälende Gipfel. Dafür könnte man sich pausenlos „fremdschämen“.

Plumpe sexuelle Anspielungen

Da gibt es Scharmützel ohne Unterlass: Mit einem behinderten Mitarbeiter legt er sich beim Kampf um einen günstig gelegenen Firmenparkplatz ebenso an wie mit dem Kantinenkoch um den unzumutbaren „Fraß“ und mit dem türkischstämmigen Konkurrenten um die Gesamtleitung A bis Z, plumpe Anspielungen auf Südländer und Schwanzlänge inbegriffen. Die eigene Abteilung führt er wie ein Elefant den Porzellanladen. Manchmal ertappt man sich freilich bei dem Gedanken, Stromberg sei vielleicht genau der Richtige für diesen stinkfaulen Sauhaufen…

Doch nein! Er leistet sich dermaßen viele Grobheiten, dass die Vorgesetzten nicht mehr anders können, als Stromberg in den trostlosen Außenposten Finsdorf zu versetzen, wo die einzigen Mitarbeiter (aus seiner Sicht) eine unfähige Polin und ein Dorfdepp sind. Letzterer verbringt mehr Zeit bei der Freiwilligen Feuerwehr als im winzigen Büro. Na, die beiden will Stromberg aber auf Vordermann bringen!

Beichten und Lügen vor der Kamera

So weit das grobe Gerüst. Besonderer Kunstgriff ist ein Kamerateam, das den Versicherungsalltag beobachtet. An diese nahezu allgegenwärtige Instanz wenden sich die Hauptfiguren immer wieder. Mal beichten sie ihre Hintergedanken und heimlichen Strategien, mal machen sie sich schlicht und einfach selbst etwas vor. Dieses häufige Beiseite-Sprechen außerhalb der eigentlichen Szenen würde man in den allermeisten Fällen nicht goutieren, hier aber verleiht es den – jeweils rund 25 Minuten kurzen – Episoden eine weitere Dimension.

Nicht nur der großartige Christoph Maria Herbst als Stromberg prägt die Serie, sondern insgesamt eine mit glücklicher Hand gecastete Crew; allen voran vielleicht Bjarne Mädel als Berthold (genannt „Ernie“) Heisterkamp, bevorzugtes Mobbing-Opfer der Abteilung, der wie ein fünfjähriger Junge allzeit von seiner Mami und gottserbärmlichen Alltagskleinigkeiten faselt. Widerpart ist der Rustikal-Charmeur Ulf (Oliver Wnuk), der die Kollegin Tanja (Diana Stehly) erobert, aber arg ins Schleudern gerät, als diese zu seiner Chefin aufsteigt. Das verkraftet der Macho einfach nicht.

Autor Ralf Husmann aus Dortmund

Ich gehöre nicht zu den regelmäßigen „Stromberg“-Zuschauern der ersten Stunde, sondern habe die Reihe erst jetzt (durch einen Streaming-Dienst) zur Gänze für mich entdeckt. Wenn es Kennzeichen einer gelungenen Serie ist, dass man halt wissen will, wie es mit diesen Figuren weiter geht, so muss man sagen: „Stromberg“ übt einen Sog sondergleichen aus, hat enormes Sucht-Potenzial. Man will immer noch eine Folge sehen. Und noch eine. Und noch eine. Und dann gleich die nächste Staffel.

Und wer hat’s erfunden, wer hat’s geschrieben? Es war der gebürtige Dortmunder Ralf Husmann (Jahrgang 1964). Die von ihm ersonnenen Situationen und Dialoge erschöpfen sich nicht in bloßer Komik, sondern reichen darüber hinaus, sie lassen Widersprüche und Weiterungen aufscheinen. Brachiale Scherze wechseln mit Szenen, die unversehens Empathie und Verständnis wecken. In gewissen Momenten kann man sogar richtig Mitleid mit Stromberg haben. Was für ein armes Schwein!

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Themen der vorherigen Folgen:
“Tatort” mit “Schimanski” (1), “Monaco Franze” (2), “Einer wird gewinnen” mit Hans-Joachim Kulenkampff (3), “Raumpatrouille” (4), “Liebling Kreuzberg” mit Manfred Krug (5), “Der Kommissar” mit Erik Ode (6), “Beat Club” mit Uschi Nerke (7), “Mit Schirm, Charme und Melone” (8), “Bonanza” (9), “Fury” (10).

Loriot (11), “Kir Royal” (12), “Stahlnetz” (13), “Kojak” (14), “Was bin ich?” (15), Dieter Hildebrandt (16), “Wünsch Dir was” (17), Ernst Huberty (18), Werner Höfers “Frühschoppen” (19), Peter Frankenfeld (20).

“Columbo” mit Peter Falk (21), “Ein Herz und eine Seele” (22), Dieter Kürten in “Das aktuelle Sportstudio” (23), “Der große Bellheim” (24), “Am laufenden Band” mit Rudi Carrell (25), “Dalli Dalli” mit Hans Rosenthal (26), “Auf der Flucht” (27), “Der goldene Schuß” mit Lou van Burg (28), Ohnsorg-Theater (29), HB-Männchen (30).

“Lassie” (31), “Ein Platz für Tiere” mit Bernhard Grzimek (32), „Wetten, dass…?“ mit Frank Elstner (33), Fernsehkoch Clemens Wilmenrod (34), Talkshow „Je später der Abend“ (35)

Und das Motto bei all dem:
“Man braucht zum Neuen, das überall an einem zerrt, viele alte Gegengewichte.” (Elias Canetti)




Wenn 60 Schriftsteller durch die Dortmunder Nordstadt gehen

Schriftsteller Heinrich Peuckmann (frontal, Mitte) im Kreise von Autorenkolleg(inn)en auf dem Weg zur Dortmunder Nordstadt. (Foto: Bernd Berke)

Schriftsteller Heinrich Peuckmann (frontal, Mitte) im Kreise von Autorenkolleg(inn)en auf dem Weg zur Dortmunder Nordstadt. (Foto: Bernd Berke)

Freunde, jetzt mal Butter bei die Fische, wie man hier so sagt: Der Autorenverband PEN hat heute auf seiner Dortmunder Jahrestagung mit Regula Venske nicht nur eine neue Präsidentin gewählt, sondern u. a. auch eine Resolution gegen die konfuse Rechtsausleger-Partei AfD verabschiedet. Morgen (Samstag) soll es um die betrübliche Lage in der Türkei gehen. Das alles ist richtig und wichtig. Jedoch…

Das „wirklich wahre Leben“ (wie es bei „Dittsche“ so schön heißt) spielt sich teilweise woanders ab als im Tagungssaal. Beispielsweise in der nicht gerade bestens beleumundeten Dortmunder Nordstadt, die den überregionalen Medien oft als prototypisches Gelände für soziale Schauergeschichten aus dem Revier dient.

Eine verrufene Gegend

Also war es im Prinzip eine gute Idee des Schriftstellers Heinrich Peuckmann (Dortmund/Kamen), für interessierte Autorenkolleg(inn)en einen Gang durch diesen Stadtteil zu organisieren, den manche gar als No-Go-Area verunglimpfen, man lese dazu etwa diesen Text aus der FAZ. Nicht nur die Polizei hat auf diesem Areal zuweilen ihre liebe Not. Und so hatte vor Tagen schon Dortmunds OB Ullrich Sierau gescherzt, wenn man auf dem Gang die Hälfte aller Teilnehmer ans Ziel bringe, sei es schon gut gelaufen…

Nun aber mal halblang: Die Strecke des gar nicht so erschröcklichen „Spaziergangs“ führte vom Tagungsort, dem Kulturzentrum „Dortmunder U“, in eine weitere Kulturstätte, das „Depot“ in der Immermannstraße. Kurt Eichler, Leiter der Dortmunder Kulturbetriebe, machte den kundigen „Bärenführer“. Hinterdrein trottete eine immerhin rund 50 bis 60 Menschen starke Autorinnen- und Autorenschar. Angesichts einer solchen Ballung von auf längere Sicht Publizierenden kam ich mir als Schreiber des Tages schon beinahe etwas seltsam vor. Sei’s drum. Da muss man durch, woll?

„Lauter Deutsche“ auf der Strecke

Nordstadt ist nicht gleich Nordstadt. Wirklich verrufen sind bestimmte Straßenzüge. Freilich hat Kurt Eichler recht, der sagte, dass Dortmunder Bürger, die sich für gediegen halten, den Fuß schon seit jeher generell nicht in Gebiete nördlich des Hauptbahnhofs setzen. Er wusste auch von unermüdlichen Versuchen seit den 1970er Jahren zu berichten, der Nordstadt etwas Kultur und etwas Grün angedeihen zu lassen. Es begann mit Mitteln des Städtebaus, nicht mit der eigentlichen Kulturförderung. Die Erfolge sind begrenzt.

Nun ist es ein gar eigenes Ding, mit geschätzt 60 Leuten durch soziale Brennpunkte zu stiefeln, wobei man überdies die ärgsten Ecken links oder rechts liegen ließ. Welch eine Exotengruppe! Ich hab’s nicht mit eigenen Ohren gehört, aber hernach hieß es, ein paar Jugendliche hätten sich am Wegesrand gewundert, dass da ja „lauter Deutsche“ auf Tour seien. Hätten sie noch gewusst, dass es sich fast durchweg um arrivierte Bücherschreiber gehandelt hat, so wäre des Staunens kein Ende mehr gewesen. Ob sich jemand aus der literarischen Gruppe nun animiert fühlt, einige Seiten über Dortmund zu schreiben? Man darf es bezweifeln.

Mich hat die Aktion ganz vage an ein Erlebnis am Ende der 80er Jahre erinnert. Damals waren wir – im Gefolge des damaligen NRW-Kultusministers Hans Schwier – als Journalisten-Tross in New York unterwegs. Zum Programm gehörte eine Führung durch die Bronx, die damals wahrhaftig eine No-Go-Area war. Ohne bewaffneten Polizeischutz ließ man uns nicht gehen.

Homöopathische Dosierung

Zurück nach Dortmund, wo es vergleichsweise herzlich harmlos zuging: Das wahre Flair der Nordstadt war auf diese Weise jedenfalls kaum zu spüren. Es kam allenfalls in stark verdünnter, gleichsam in homöopathischer Dosierung an, keineswegs als Essenz. Die Frauen und Männer des gepflegten Wortes hätten sich vielleicht allein oder zu zweit auf den Weg begeben müssen.

Auf dem langen Rückweg habe ich mir ein solches Erlebnis im Solo gegönnt. Kreuz und quer. Und was soll ich sagen: Hie und da scheint etwas in der Luft zu liegen, nicht in jedem Moment geht das Ganze völlig schwerelos vonstatten. Oder bildet man sich das alles – im Gefolge permanent aufgeregter Medien – nur ein? Es ist allemal eine Erfahrung. Ja, grinst nur!

Der kitzligste Augenblick des besagten Autorenausflugs war hingegen schon jener, in dem ein ungeduldiger BMW-Fahrer an der Ampel am liebsten gleich ein Dutzend Schriftsteller auf die Kühlerhaube genommen hätte, weil die nach seiner Ansicht nicht schnell genug die Kreuzung räumten. Rüpel, elender!

Auf den Spuren von Samuel Beckett

Was viele vorher nicht wussten: Wir wandelten „irgendwie“ auf den Spuren des großen Samuel Beckett. Wie Heinrich Peuckmann versicherte, habe Beckett in grauer Vorzeit eine Freundin in Kassel gehabt und sich auf der An- oder Abreise mitunter in der Dortmunder Nordstadt umgesehen. Rund um den Steinplatz gab’s damals etliche „Amüsier-Betriebe“. Davon inspiriert, habe der irische Weltliterat auch ein Gedicht über Dortmunder Bier verfasst. Peuckmann: „Das Bier fand ich allerdings besser als das Gedicht.“ Wer weiß: Am Ende ist selbst Becketts legendäres „Warten auf Godot“ noch auf eine Dortmunder Anregung zurückzuführen.

Ob sich dazu noch mehr Substanzielles recherchieren ließe? Dortmunds Kulturdezernent Jörg Stüdemann soll, als er die Geschichte vernahm, schon scherzhaft (?) über eine Gedenktafel an geeigneter Stätte nachgedacht haben…




Und wieder Spaß mit der Telekom – diesmal mit dem Superduper-Sicherheitspaket

Über manche Firmen muss man einfach öfter mal ein kleines Dossier oder wenigstens eine Notiz verfassen. Weil sich bei ihnen immer mal wieder neue Absurditäten ergeben.

Das liest man doch immer wieder gern... (Screenshot von der Fehlerrückmeldung)

Das liest man doch immer wieder gern… (Screenshot einer Fehlerrückmeldung)

Ja, das war nicht schwer zu erraten, ich rede von der glorreichen Telekom. Es rührt wohl aus alten Postzeiten her; jedenfalls bin ich irgendwie noch anhänglich, aus Nostalgie, nicht aus Vernunft.

Der Laden hat (bei allem smarten Getue) nach wie vor so etwas  – nein: nicht Halbseidenes, sondern Halbstaatliches, Offiziöses. Solch ein Betrieb wird einen doch nicht etwa betuppen?

Gleich zwei Abos, die nicht funktionieren

Nun ja. Wie man’s nimmt. Neulich haben sie wie Bolle für ein Sicherheitspaket von Norton geworben, das man gleich bei ihnen (also bei der Telekom) herunterladen möge. Alles fix, alles selbsterklärend einfach, versteht sich. Im ersten Monat sei die Chose kostenlos, danach würden für die Variante „M“ (steht der Buchstabe für „Maso“?) 3,95 Euro pro Monat fällig. Dafür könne man dann gleich drei Geräte absichern. Wow, welch ein Superduper-Angebot.

Ich habe mich in einem unseligen Moment darauf eingelassen – in der werblich genährten Annahme, dass sich das Abo problemlos automatisch verlängern werde. Das war allerdings nicht der Fall. Das Zeug ließ sich mit den für Kunden zugänglichen Mitteln offenbar weder neu aktivieren noch deaktivieren und meldete überhaupt nur Kryptisches. Irgendwann hatte ich auf einmal zwei Abos, die aber beide nicht funktionierten. Sakra!

Also Hotline. Also warten und fluchen. Wie schon so oft.

Müßig zu sagen, dass diverse Anrufe bei der Hotline jeweils andere, teilweise abstrus widersprüchliche Ergebnisse zeitigten. Man kann sich in den technischen Untiefen so richtig schön verheddern, bis einem der Kopf schwirrt. Mag ja sein, dass ich für solche Irrungen und Wirrungen zu unbegabt bin. Nicht Chaot genug. Mh.

Hey, da gibt es doch diese wunderbare App…

Per Mail an den Kundenservice habe ich zusätzlich um technische Hilfestellung gebeten. Man werde sich in Kürze darum kümmern, hieß es zur Antwort. Aber hey, es gebe doch diese wunderbare App, mit der ich um Rückruf bitten könne. Dann gehe alles viel flotter.

App runtergeladen, App installiert, Rückruffunktion gesucht. Genau diese stand jedoch ausdrücklich nicht zur Verfügung. Auf meine nächste Mail, in der ich auf diesen misslichen Umstand hinwies, kam die (wohl hoffentlich automatische) Antwort, ich könne doch diese wunderbare App nutzen, um mit ihnen Kontakt aufzunehmen… Es scheint ganz so, als wäre ein Kafka-Experte dort Büroleiter. Oder so ein bekloppter Humorist.

Irgendwann war ich’s leid. Als die angeforderte technische Hilfe auch nach mehreren Tagen nur mit Vertröstungen bei der Hand war, habe ich besagte Abos der Sicherheitspakete gekündigt.

Die Sache mit der Kündigungsfrist

Nach dem Buchstaben der AGB hätte ich nun bis zum Ende einer dreimonatigen Kündigungsfrist für nichts und wieder nichts zahlen müssen. Klar, es sind lediglich 3,95 Euro im Monat, aber „auch das ist Geld“, wie unsere Omas immer ganz richtig gesagt haben. Und wenn der Telekom dieser Coup auch nur mit hunderttausend Kunden gelingt, hat sich der Deal vielleicht schon gelohnt… Die übliche Widerrufszeit ist ja durch den anfänglichen Gratismonat abgelaufen.

Nur kurz keimte zwischendurch Hoffnung: Eine Dame bei der Hotline versicherte mir, sie habe das Ganze so umgeschaltet, dass bei mir die Kündigungsfrist entfalle. Die nächste Mitarbeiterin konnte in den Datensätzen nichts dergleichen entdecken und meinte ihrerseits, dass ohnehin nur die Vertriebs-Abteilung zu solchem Entgegenkommen berechtigt sei. Hatte mich die erste Mitarbeiterin also angeflunkert?

Sowieso ziemlich überflüssig?

Hübsch auch dies: Hinter vorgehaltener Hand sagen einem nun mehrere Telekom-Mitarbeiter, dass das Sicherheitspaket eh ziemlich überflüssig sei, wenn man Geräte von Apple hat. Gleichwohl wird es offiziell auch für iMac, iPad und iPhone angeboten und massiv beworben. Endlich sicher surfen usw. Das Geschäft mit der Virenangst. Und wer lacht sich da ins Fäustchen?

Doch natürlich gibt’s auch dazu mehrere Meinungen: Nächster Mitarbeiter, nächste Auffassung. Auch Apple-Produkte seien gefährdet, alles andere sei eine unverantwortlich sorglose „Herangehensweise von gestern“. Aber bitte, er wolle mir nichts aufschwatzen…

Während ich dies schrieb, blieb ein abermals fest vereinbarter Rückruf durch die Telekom schlichtweg aus. Um 10 Uhr hätte es klingeln sollen, um halb zwölf habe ich die Hoffnung aufgegeben. Derlei Verspätungen oder gar Ausfälle haben frühere Staatsunternehmen halt so an sich. Denkt an die Bahn.

Hosianna! Um 15 Uhr ist der Anruf dann doch noch erfolgt. Eine Zeit war nicht notiert worden. Warum auch? Tatsächlich ist es mit einem Kraftakt gelungen, das vermaledeite Norton-Paket zu deinstallieren. Und die Kündigungsfrist soll auch auf wenige Tage verkürzt werden. Mal schauen, ob’s stimmt.

Doch wie viel Lebenszeit hat man mal wieder vergeudet! Stunden um Stunden um Stunden um Stunden um Stunden…

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P.S.: Jaja, ich weiß, dass Kunden der Telekom-Konkurrenz oft ebenso miese Erfahrungen machen. Jeder hadert halt mit seinem eigenen Kram.

P.P.S.: Jaja, ich habe auch schon davon gehört, dass gerade Sicherheitspakete den PC bzw. Mac langsamer machen oder sogar gerade neue Sicherheitslücken aufreißen. Computer und Netz sind schon dolle Erfindungen.




3:2 in München gewonnen – Balsam für die wunde, geschundene Dortmunder Seele

Der BVB gewinnt in München 3:2 gegen den FC Bayern und steht somit im Pokalfinale gegen Eintracht Frankfurt. So weit die dürren, freilich bedeutsamen Fakten.

Euphorie in Schwarzgelb - Screenshot von der ARD-Übertragung aus München

Euphorie in Schwarzgelb – Screenshot von der ARD-Übertragung aus München

Wohl noch nie hat man den eher zur spartanisch-puritanischen Nüchternheit neigenden Borussen-Trainer Thomas Tuchel dermaßen euphorisiert, ja momentan nahezu enthemmt gesehen. So kann er also auch sein. Es waren die Augenblicke seines bislang größten Triumphs. Dem sollte er beim Finale in Berlin die Krone aufsetzen können.

Es war mutig bis tollkühn, dass er gegen Schluss den offensiven Christian Pulisic für den Verteidiger Łukasz Piszczek einwechselte. Und es war richtig. Sonst wechselt Tuchel auch schon mal unbegreiflich hasenherzig. Diesmal nicht. Und siehe da…

Von den Taten der Bender, Bürki, Aubameyang und Dembélé (und all den anderen) zu berichten, bleibt der zeitgenössischen Heldendichtung vorbehalten. Ihr nehmt das bitte ebenso ernst wie ironisch, nicht wahr?

Das ganze Spiel ist Balsam für die zuletzt so wunde, geschundene Dortmunder Seele gewesen. Der Bus. Die Bomben. Wir müssen an dieser Stelle nicht mehr weiter darüber reden. Offenbar ist die Dortmunder Mannschaft gerade jetzt und gerade dadurch zusammengewachsen. Was man gemeinsam erlitten hat…

Es war denn doch eine aufregende Begegnung. Zunächst gewann Borussia Dortmund die Oberhand und die 1:0-Führung. Nach dem 1:1-Ausgleich waren die Bayern für einige Zeit die deutlich bessere Mannschaft, sie haben jedoch riesige Chancen vergeben. Ohne Glück war heute nichts zu machen.

Was war nicht im Vorfeld spekuliert worden! Beide Mannschaften waren in der Vorwoche aus der Champions Lague ausgeschieden, beide Trainer würden also sozusagen um ihren Job spielen. Stimmungslagen und Mentalitäten wurden austariert bis zum Gehtnichtmehr. Ach, wie sensibel doch Sportredakteure sind…

Löw war da. Nagelsmann war da. Überhaupt hat heute wahrscheinlich tout Fußball-Deutschland zugesehen. Über den ARD-Kommentator Tom Bartels möchte ich nicht viele Worte verlieren. Bei ihm wird immerzu „abgeblockt“, ein Schuss oder eine Flanke ist „gut, aber nicht gut genug“, ein Spieler vollführt eine „gute Bewegung“ oder wirft sich in den gegnerischen Angriff „mit allem, was er hat“. Derlei Gelaber wird auch noch richtig gut bezahlt.

Am besten ist’s überhaupt, wenn man solche Fußballspiele ohne das ganze Geplänkel drumherum genießt. Schnörkellos, sozusagen. Den Ball flach halten.

Seltsames Zusammentreffen übrigens: Bei Facebook habe ich just vor diesem Spiel einen hartleibigen politischen Linksaußen „entfreundet“, entfreunden müssen, der in quasi-adornitischer Manier den Anschein erweckte, man dürfe nicht über Fußball reden, ohne sich zuvörderst an die KZ-Vergangenheit zu erinnern. Verrückt. Als wenn man dies jemals vergessen und vermindern könnte.

 

 




171 Schriftsteller kommen jetzt nach Dortmund – zur Jahrestagung des deutschen PEN-Zentrums

Das deutsche PEN-Zentrum ist mit seinen insgesamt rund 800 Mitgliedern hierzulande wohl die bedeutendste Schriftstellervereinigung. Jetzt halten die PEN-Autoren ihre Jahrestagung in Dortmund ab. Das klingt immer noch nicht selbstverständlich, denn Dortmund gehört kaum zu den Städten, bei deren Nennung man gleich an belletristische Literatur denkt. Nun ja. Darauf kommen wir noch zurück.

Im Dortmunder Rathaus: Der scheidende PEN-Präsident Josef Haslinger (links), Dortmunds OB Ullrich Sierau (rechts) und der Autor Heinrich Peuckmann (Mi.), der die Tagung nach Dortmund geholt hat. (Foto: Bernd Berke)

Im Dortmunder Rathaus: Der scheidende PEN-Präsident Josef Haslinger (links), Dortmunds OB Ullrich Sierau (rechts) und der Autor Heinrich Peuckmann (Mi.), der die Tagung nach Dortmund geholt hat. (Foto: Bernd Berke)

Nun haben sich jedenfalls gleich 171 Autorinnen und Autoren zum Verbandstreffen im Dortmunder „U“ angemeldet. Wollte man das auf die Dortmunder Einwohnerzahl (rund 600.000) umrechnen, so käme zwischen dem 27. und 30. April auf 3508 Einwohner je ein Schriftsteller. Immerhin.

Das ist doch mal ein temporär kultursinniges Zahlenverhältnis, wie es gewohnheitsmäßig vielleicht gerade mal in Dublin anliegt. Berlin? Noch nie gehört.

Weltweiter Einsatz für verfolgte Autoren

Jetzt aber im Ernst, ja im bitteren Ernst: Der PEN (Abkürzung für „Poets – Essayists – Novelists“ / etwa: Poeten, Essayisten, Prosaautoren) kümmert sich weltweit mit Nachdruck um das freie Wort; vor allem, indem er verfolgten Autoren zu helfen sucht – oft unter schwierigsten politischen Bedingungen. Beispielhaft ist die deutsche Umsetzung des Programms „Writers in Exile“. Finanziell unterstützt von der Bundesregierung, finden bis zu acht Autoren mittel- und langfristig Zuflucht in Deutschland – vor Drangsalierung und oft tödlichen Bedrohungen durch Diktaturen oder radikale Gruppierungen.

Im Vorfeld des Treffens zeigte sich Dortmunds Oberbürgermeister Ullrich Sierau heute von der Gastgeberrolle angetan: „Wir betrachten das als Auszeichnung!“ Ein solches Schriftstellertreffen könne wichtige Impulse setzen und Debatten anstoßen.

Überraschung: OB setzt sich für ein Stadtschreiber-Amt ein

Sierau hat sich nicht nur recht eigenwillige Gedanken über die Bedeutung der Abkürzung „PEN“ gemacht (ihm zufolge: „pluralistisch – empathisch – nachhaltig“), sondern überraschte vor allem mit einer Ankündigung: Er lese immer wieder von „Stadtschreibern“ in anderen Kommunen. Sierau redete sich (mit Bedacht) geradezu in Spendierlaune: Nach einer solchen Tagung könne doch auch Dortmund ein Stadtschreiber-Amt einrichten, sprich: eine Autorin oder einen Autor für ein Jahr hierher bitten und mit einem Stipendium ausstatten. Er meine das ernst, wenngleich die Angelegenheit „unter Gremien-Vorbehalt“ (Kulturausschuss) stehe, betonte Sierau.

Der scheidende PEN-Präsident Josef Haslinger (bekannter Roman: „Opernball“) vernahm es mit Freuden. „Das haben Sie nicht einfach so dahingesagt“, nahm er Sierau charmant, aber bestimmt beim Wort. Der bekräftigte das Vorhaben noch einmal. Hört, hört!

Verbandspräsident Josef Haslinger nimmt Abschied

Haslinger wird Sieraus Ankündigung also gewiss noch dem Kollegenkreis schmackhaft machen, doch ansonsten gibt er sein seit rund vier Jahren ausgeübtes Präsidentenamt beim PEN auf. Zuletzt hat er mit dafür gesorgt, dass etliche jüngere Autoren sich dem deutschen PEN-Zentrum angeschlossen haben. Schließlich will man kein Seniorenverein werden.

Hauptsächlicher Grund für Haslingers Amtsverzicht: Der Österreicher möchte sich wieder mehr aufs Bücherschreiben konzentrieren, als Autor habe er sich zuletzt sozusagen wie „im Winterschlaf“ gefühlt. In Dortmund wird also ein(e) Nachfolger(in) an die Spitze gewählt, auch andere Ämter werden neu besetzt, was der Zusammenkunft zusätzliche Bedeutung verleiht.

Sorgen um Meinungsfreiheit in der Türkei

Akut sind derzeit die Sorgen, die man sich im PEN um die Meinungsfreiheit in der Türkei macht. Vielleicht ist von der Tagung eine entsprechende Resolution zu erwarten. Außerdem bildet sich derzeit ein einschlägiges Netzwerk, zu dem auch der Börsenverein des Deutschen Buchhandels und die Organisation „Reporter ohne Grenzen“ gehören. Gerade in Dortmund und im Ruhrgebiet, so Haslinger, hätten sehr viele türkische Bürger für Erdogans autokratisches Referendum gestimmt. „Wir müssen uns fragen: Was ist da falsch gelaufen?“

Überhaupt sieht Haslinger Meinungsfreiheit und Demokratie in einigen Ländern als gefährdet an. Auch in weiten Teilen Europas gebe es Kräfte, „die uns die Empathie austreiben“ und Opponenten „zum Schweigen bringen“ wollten, befand Haslinger. Sogar einzelne PEN-Verbände, wie etwa in Ungarn, seien von solcher unguten Denkweise angekränkelt.

Gemeinsamer Gang durch die Nordstadt

Zurück zum Tagungsort Dortmund. Es war der Autor Heinrich Peuckmann (Dortmund/Kamen), Präsidiumsmitglied des deutschen PEN (und übrigens gelegentlich auch Gastautor der „Revierpassagen“), der es unermüdlich einfädelte, dass die Tagung in „seine“ Region kam. Womöglich wäre gerade hier eine Debatte über soziale Verantwortung der Literatur angebracht, für die sich Peuckmann stets einsetzt.

Peuckmann hat sich auch dafür stark gemacht, dass viele Autoren einen gemeinsamen Gang durch die zuweilen verrufene Dortmunder Nordstadt unternehmen werden (vom zentralen Tagungsort, dem Dortmunder „U“, zum Kulturzentrum „Depot“). Gut möglich, dass in diesem Umfeld manche Themen-Anregungen zu finden sind.

Was ebenfalls nicht im offiziellen Programm steht: Direkt nach Ende der Tagung will Peuckmann am nächsten Sonntag eine möglichst zahlreiche Kollegenschar noch zum Besuch des Deutschen Fußballmuseums animieren. Thema der dort gerade laufenden Sonderausstellung ist übrigens – wie passend – die Bibliothek des legendären Bundestrainers Sepp Herberger. Schon am Samstag führt eine Bustour die Schriftsteller zum Phoenixsee, zum imposanten Industriemuseum Zeche Zollern und zum Fritz-Hüser-Institut. So viel Sightseeing muss sein.

Die Autoren freuen sich zudem auf einen „Clubabend“ in geschlossener Gesellschaft, wollen jedoch natürlich nicht durchweg unter sich bleiben. Mit Lesungen und Diskussionen geht die Tagung auch an die Öffentlichkeit. Nähere Infos dazu gibt es hier.

Dortmund als literarischer Ort?

Und wie war das jetzt mit Dortmund als literarischem Ort? Tja. Einzelne Schriftsteller von gewissem Gewicht (z. B. Max von der Grün, Josef Reding, Wolfgang Körner, Ralf Thenior, zeitweise Jörg Albrecht) haben hier gelebt und gewirkt oder tun dies noch.

Dass weitere Krise gezogen wurden, ist indes schon länger her: Bundesweite Bedeutung auf literarischem Felde erlangte die Revierstadt im Gefolge des 31. März 1961. Damals wurde hier die „Gruppe 61“ um den Lokalmatador Max von der Grün gegründet, der sich u. a. auch Günter Wallraff anschloss. Man setzte sich vor allem mit der am Ort und in der Region übermächtigen industriellen Arbeitswelt auseinander. Später ging der nicht minder einflussreiche „Werkkreis Literatur der Arbeitswelt“ daraus hervor. Es war halt keine Gegend für Liebesromane oder für hypersensible Ich-Beschau.

Das zwischen Politik und Poesie allzeit tragfähige Motto der Tagung stammt vom in Dortmund geborenen Dichter Peter Rühmkorf (1929-2008), der allerdings lieber in Hamburg leben wollte. Die Zeile lautet: „Bleib erschütterbar und widersteh.“

Apropos Rühmkorf. Immerhin hat er hier seinen ersten Schrei getan. Wie wär’s denn, wenn Dortmund nicht nur ein Stadtschreiber-Amt auslobte, sondern auch noch eine möglichst zentral gelegene Rühmkorf-Straße bekäme?

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P. S.: Zu den 800 PEN-Mitgliedern zählen u. a. auch bekannte Größen wie der 90jährige Martin Walser sowie – in alphabetischer Folge – F. C. Delius, Tankred Dorst, Peter Härtling, Rolf Hochhuth, Gerhard Köpf, Franz Xaver Kroetz, Martin Mosebach, Botho Strauß, Uwe Timm und Feridun Zaimoglu, um nur einige wenige zu nennen.

Die bisher Erwähnten kommen nicht nach Dortmund, wohl aber z. B. Arnfrid Astel, Jenny Erpenbeck, Tanja Kinkel, Judith Kuckart oder Ilja Trojanow – sie alle ebenfalls stellvertretend genannt. Eins dürfte feststehen: Dermaßen viel literarische Potenz ist bislang wohl noch nie zu einem Zeitpunkt in Dortmund versammelt gewesen.




Das Dortmunder Bombenattentat und der Zettel einer Siebenjährigen

Zu diesem unsäglichen Bombenanschlag auf den BVB-Mannschaftsbus ist so ziemlich alles gesagt. Gottlob ist der Täter ganz offensichtlich gefasst. Und ja: Aus schierer Verachtung weigere ich mich, auch nur seinen Vornamen hinzuschreiben. Über die abgründig niederen Motive (kann es jedoch überhaupt „höhere“ Beweggründe für so etwas geben?) mag man nur noch ratlos den Kopf schütteln.

Als Konsequenz müssten sie endlich einmal daran gehen, die abenteuerliche Regellosigkeit in der Börsenwelt gründlich zu durchforsten und einzuhegen. Wobei zu sagen wäre, dass die zugehörige Zockermentalität immer schon Verwerfliches hervorgebracht hat – auch im Weltmaßstab. Wer mag da an grundlegende Veränderungen glauben? Wenigstens haben ja ein paar Warnmechanismen funktioniert und auf die (unfassbar breite) Spur des mutmaßlichen Täters geführt.

Ich weiß nicht, ob es Sache eines Kulturblogs ist, sich näher über solche Themen auszulassen. Immerhin steht im Titel „Kultur und weiteres…“ Froh bin ich jedenfalls, die anfänglichen, reichlich wüsten Spekulationen zum etwaigen Täterkreis nicht mitgemacht zu haben. Viele haben geradezu gehofft und auch schon keine Zweifel mehr daran gehegt, es möchten doch fanatisierte Muslime gewesen sein; andere (ähnlich beschränkte) Fraktionen haben inständig darauf gesetzt, dass es sich entweder um Rechts- oder Linksradikale handeln möge. Ähneln derlei zügellose Spekulationen nicht sogar strukturell jenen, die inzwischen an der Börse üblich sind? Materiellen oder ideellen Gewinn aus Schaden zu ziehen – das wäre das gemeinsame Prinzip. Ekelhaft.

Dass es wohl ein geldgieriger Einzeltäter gewesen ist, scheint zunächst einmal die beruhigendste Variante zu sein. Allerdings zeigt sich natürlich auch in diesem Einzelfall das große Ganze, das Gesellschaftliche. Es erledigt sich nicht einfach mit Festnahme und Verurteilung.

Wenn man Kinder hat, kommen solche üblen Vorfälle noch einmal ganz anders im so genannten Privatleben an. Man muss versuchen, das Unerklärbare zu erklären, so gut es eben geht. Je nach Alter des Kindes, soll man weder über- noch untertreiben, man darf nicht lügen, sondern höchstens dämpfen und mildern. Es wäre nutzlos, alles zu verschweigen. Sie hören ja doch davon. Der Rest steht in den tausend Ratgebern.

Nachdem wir darüber gesprochen haben, hat unsere siebenjährige Tochter sich die – trotz aller Erklärungsversuche – bleibende Verwirrung von der Seele schreiben wollen; ganz aus eigenem Antrieb, ohne jegliche Hilfe. Der beigefügte Zettel zeugt davon. Er ist schmucklos und unbebildert, ganz gegen ihre sonstige Gewohnheit. Vielleicht ist es der Versuch, das Lastende von sich wegzuschieben, es ein wenig zu „objektivieren“, als könnte es Anlass zu einem Detektivspiel sein. Egal. Wir wollen nicht deuteln. Es steht für sich.

Doch jetzt soll sie bitte, bitte wieder unbeschwert spielen. Sie ist ja auch schon wieder albern. Die Wucht der Ereignisse kommt noch früh genug. Nein: eigentlich immer z u früh.




„Habe davon keinen Käse gegessen“ – So isser, der Holländer

Damit ihr’s nur wisst: Ich versuche zur Zeit, een beetje Niederländisch zu lernen, und zwar mit einem Online-Kursus, für den ich keine unverblümte Werbung machen möchte; höchstens ein bisschen Schleichwerbung: Man (*räusper, räusper*) babbelt halt so vor sich hin (*hüstel*). Macht jedenfalls Spaß und zeitigt gerade erste minimale Erfolge. Den einen oder anderen einfachen Dreiwortsatz bringe ich gelegentlich schon zustande. Doch es ist ein weiter Weg…

Oranje boven... (Foto: BB)

Oranje boven… (Foto: BB)

Halten zu Gnaden, aber: Ich finde Niederländisch oft ziemlich lustig. Zumindest für unsere Ohren erscheinen selbst schlimmere Vorfälle etwas harmloser, wenn sie im kehligen Idiom der Nordsee-Anrainer vorgebracht werden.

Vollends beömmeln mag man sich – je nach Stand der geistigen Reife – über zahlreiche Vokabeln wie beispielsweise „dat klopt“ („Das stimmt“), „bellen“ (anrufen), „huren“ (mieten) oder – Verzeihung – „van kant maken“ (umbringen), was vielleicht am ehesten mit „Um die Ecke bringen“ zu übertragen wäre. Von den allfälligen Verkleinerungsformeln auf die Endung „-je“ ganz zu schweigen. „Een biertje“ hört sich nach einer niedlichen Kleinigkeit an. Und wie ist es mit „twaalf biertjes“? Übrigens: Auch der Osterhase hat als holländischer „paashaas“ seine binnengereimte sprachliche Finesse.

Was ich eigentlich erzählen wollte: Es gibt im Niederländischen offensichtlich ein paar Redewendungen, die sehr den Klischees entsprechen, die wir uns von unseren lieben Nachbarn geformt haben. Bekanntlich ist an Klischees ja immer etwas „dran“, sonst hielten sie sich nicht so hartnäckig. Die folgende Auswahl entnehme ich einem schon vor Jahren erworbenen Pons-Sprachführer mit dem Titel „Last Minute Niederländisch“, erste Auflage von 2006 (Copyright: Ernst Klett Sprachen GmbH). Was man halt so braucht, wenn man beispielsweise nach Alltäglichkeiten wie dem Weg oder der Uhrzeit fragen will.

Unter dem etwas hochtrabend benamsten Kapitel „Interkulturelle Tipps“ (Unterabteilung „Sprachlicher Bilderreichtum“) finden sich dort ein paar Wendungen der vergnüglichen Art. So heißt es offenbar, wenn jemand ein bisschen angeben will, er wolle „de bloemetjes buiten zetten“, also „Die Blumen/Blümchen nach draußen stellen“. Diese blumige Umschreibung klingt doch schon mal allerliebst. Aus demselben Bilderreservoir bedient sich die eng verwandte Redensart „iemand in de bloemetjes zetten“ (jemanden in die Blumen stellen/setzen). Will heißen: Man möchte ihm einen besonders feierlichen Empfang bereiten, ihn hochleben lassen. Man sieht den erfreulichen Vorgang deutlich vor sich.

Ein Volk, das dermaßen vom Farradfahren begeistert ist, bringt natürlich auch die entsprechenden Redensarten hervor. „Wat heb ik nu aan mijn fiets hangen?“ hieße wörtlich „Was habe ich jetzt an meinem Fahrrad hängen?“ und bedeutet ungefähr: „Was läuft denn hier so?“ Will man jemandem sagen, er verstehe sowieso nichts von einer Angelegenheit, so kann man das einigermaßen nett ausdrücken: „Ga jij maar fietsen…“ (Geh du mal radeln). Wie denn überhaupt, wenn ich die Anfangsgründe richtig verstanden habe, die Niederländer wohl nicht so rechtdoor (geradeaus) drauflos reden, sondern sich viel mehr in höflicher sprachlicher Zurückhaltung üben. Aangenaam!

Weiter geht’s: „aan de dijk zetten“ (an den Deich setzen/stellen) bemäntelt demnach einen betrüblichen Tatbestand und steht für entlassen oder wegschicken. Wenn man’s recht bedenkt, könnte man sich draußen am Deich geradezu lebensgefährlich ausgesetzt fühlen.

Zwanglos wenden wir uns nun dem Käse zu. „Zich de kaas niet van het brood laten eten“ (Sich den Käse nicht vom Brot essen lassen) hat als deutsche Entsprechung „Sich die Butter nicht vom Brot nehmen lassen“. Spezieller und typischer erscheint hingegen diese Ausdrucksweise: „geen kaas gegeten hebben van…“ (keinen Käse gegessen haben von…). Keine Ahnung, keinen Schimmer oder keinen Dunst von etwas haben…

Mehr Klischee geht nicht? Doch! Wir haben ja noch die Holzschuhe ausgelassen. „Blijf met de klompen van het ijs“ (Bleib mit den Holzschuhen vom Eis) besagt, dass jemand sich nicht einmischen soll. Man vergleiche unsere Mahnung „Du gehst auf ganz  dünnem Eis“…

Und damit hätten wir erst einmal die Kuh vom Eis.

Een fijne dag nog!




Achtung! Hier keine Spekulationen zum Anschlag auf den BVB-Mannschaftsbus – Nur noch dies: „You’ll Never Walk Alone“




Als diese Blog-Seite neun Stunden lang offline war – ein im Grunde lächerlicher „Leidensbericht“

So, ihr lieben Nerds. Ihr braucht an dieser Stelle gar nicht weiterzulesen. Ihr seid längst darüber hinaus, seid in andere Welten entschwebt. Für euch gibt es hier nichts zu sehen. Für die anderen Leute aber…

Gestern blieb der Bildschirm weiß, ach, was war das für ein... (Foto: BB)

Gestern blieb der Bildschirm weiß, ach, was war das für ein… (Foto: BB)

Es ist eigentlich (eigentlich!) lächerlich, aber was soll ich machen? Es hat mich gefuchst. Gestern war diese Seite für viele Stunden offline; so ungefähr von 9 Uhr bis 18 Uhr, also etwa einen handelsüblichen Arbeitstag lang.

Alles für immer im Orkus?

Die Revierpassagen waren also auf normalem Wege von keinem Ende her zu erreichen – weder für User noch für Administratoren oder Autor(inn)en. Beim Aufruf der Adresse war stets nur ein schneeweißer Bildschirm zu sehen. Und stellt euch vor: Das ist mir wahrhaftig in die Knochen und Kniekehlen gefahren, auch hatte ich einen mittleren Kloß im Hals. Was, wenn nun – obwohl das Netz ja angeblich nie vergisst – die rund 2500 bisherigen Beiträge für immer im Orkus verschwunden wären…? Nicht auszudenken. Das wäre schon eine Beklommenheit wert.

Seltsam. Hat man denn sonst nichts mehr, worüber man sich aufregen kann? Sind denn die Bahnverspätung, der Autobahnstau, das allfällige „Es ist wieder Montag“-Gejammer oder ein Systemfehler im Netz schon unsere größten Alltags-Abenteuer? Man kennt ja die erschröcklichen Berichte, in denen behauptet wird, dass Jugendliche eher auf Sex als aufs Smartphone verzichten könnten.

Technisch ziemlich überfordert

Jedenfalls war der gestrige Tag einigermaßen versaut. Ich musste mich ja kümmern und sah mich technisch ziemlich überfordert. Also den Provider (Seiten-Host) angerufen, dessen Hotline nur bedingt hilfreich war. Da bekommt man zwar rasch ein so genanntes „Ticket“, also eine Bearbeitungsnummer, auf dass der Vorgang seinen Lauf nehme. Doch gestern schien auf breiter Front ziemlich viel im Argen gelegen zu haben, so dass die Techniker wohl mehr als genug zu tun hatten. Und ich verstehe ja irgendwie auch, dass zum Beispiel ein lukrativer Online-Shop Vorrang vor einem regionalen Kulturblog hat. Wenn’s denn so war. Und ich dachte zugriffshalber hoch hinaus: Letzte Woche hatte so ein Totalausfall sogar „Spiegel online“ erwischt.

Operation in den Eingeweiden

Beim Provider sitzen halt Nerds. Und die setzen Kenntnisse voraus, die „man“ bestenfalls ansatzweise hat. Da sollte ich mich also von jetzt auf gleich mit mysteriösen Dingen befassen wie: Back-End und Front-End, FTP-Server (nein, nicht FDP) oder umfassenden Datenbank-Zugriffen. Ich sollte gleichsam in den Eingeweiden des Blogs operieren („Schwester! Tupfer!“), hie und da ein Plugin deaktivieren, obwohl ich doch keinen normalen Zugriff auf die Seite hatte… Nachfrage-Mails wurden trotz gegenteiliger Zusage ignoriert. Wie hieß es vorher so schön im Service-Standardsprech: „Bitte zögern Sie nicht, sich bei Rückfragen und Problemen…“ Na, und so weiter. Denkste.

Sch… Ich will doch nur schreiben und kein IT-Experte werden! Die eine oder andere Maßnahme leite ich ja schon selbst in die Wege, aber es gibt Grenzen.

With a little help…

Nun, ich mach’s kurz: Ich habe schließlich Hilfe von einem netten Menschen bekommen, der mir schon mehrmals bei Problemen mit dem Blog zur Seite gestanden hat. Er hat quasi einen Seiteneingang gefunden, durch den – um im Bild zu bleiben – ein minimalinvasiver Eingriff möglich war. Ich hättet mich aufatmen hören sollen!

Damit ist die Seite zwar wieder online (Hauptsache!), freilich ist intern noch nicht wieder alles in Ordnung. Da muss im Dateienbestand noch aufgeräumt werden, um künftige Kollisionen möglichst zu meiden. Auch ist dieses oder jenes Backup fällig.

Neue Nickeligkeiten

Und schon tun sich neue Nickeligkeiten auf: Kaum hatte ich heute früh den Mac hochgefahren, da war erst einmal eine Software-Installation fällig, die schlanke 45 Minuten (!) gedauert hat. Danke, Apple!

Damit nicht genug: Der Transfer von Blog-Beiträgen (Link zur URL) beispielsweise zu Facebook ist ja eh schon unberechenbar. Man weiß vorher nie, welches Bild den Weg hinüber findet, es scheint absolut zufallsgesteuert zu sein. Seit heute kommt noch erschwerend hinzu, dass nach dem Transfer nicht etwa die normale Überschrift über dem Beitrag erscheint, sondern statt dessen lediglich die SEO-Stichworte auftauchen, die doch nur als „Anreiz“ für Suchmaschinen fungieren sollen. Da hilft nur, die Stichworte erst nach dem Kopieren einzugeben.

Inzwischen könnte ich schon wieder weiter berichten, wenn mir das Schnappatmen Zeit und Luft dafür ließe. Ich ächze nur: PHP, Speicherplatz-Limit, Statistik-Tool

Himmelsakrament! Manchmal möcht‘ man schon einen Screenshot mit dem Hammer ausführen. Dann wär’s aber ein Screencrash.

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P.S.: Die kursiv gesetzten englischen Begriffe sind eigens für Zeitgenossen wie den Dortmunder Prof. Walter Krämer und – in seinem Gefolge – für die besorgten Sprachschützer vom „Verein deutsche Sprache“ markiert. Ein begrüßenswerter Service, nicht wahr?
Herleitungen aus dem Lateinischen bitte selbst suchen.




„Essen außer Haus“ damals und heute – drei Dortmunder Museen tischen ein populäres Thema auf

Hoesch-Küche, um 1960. (© ThyssenKrupp Konzernarchiv / Hoesch-Archiv)

Hoesch-Küche, um 1960. (© ThyssenKrupp Konzernarchiv / Hoesch-Archiv)

Essen außer Haus – na und? Das machen wir doch alle ziemlich oft. Eben! Und früher war das noch ganz anders. Also haben wir hier ein populäres Alltagsthema im historischen Wandel. Folglich ist es museumsreif. Drei Dortmunder Häuser haben sich zusammengetan, um je eigene Aspekte darzustellen: das Hoesch-Museum, das Brauereimuseum und das Museum für Kunst und Kulturgeschichte (MKK). Das zeitliche Spektrum der lokalen und regionalen Schlaglichter reicht ungefähr von 1880 bis in die Gegenwart.

Den Anfang macht jetzt das Hoesch-Museum. Der spätere Dortmunder Stahlriese Hoesch hatte 1871 mit gerade einmal 300 Arbeitern begonnen, zu Spitzenzeiten um 1966 beschäftigte man an drei Standorten in der Stadt fast 50.000 Arbeitskräfte. Heute sind es unter dem Konzerndach von ThyssenKrupp nur noch 1400. Doch hier und jetzt geht es weniger um den radikalen Strukturwandel, sondern um die Frage, wie so viele Menschen sich in den Fabriken ernährt haben. Es war ja die grundlegend veränderte Arbeitswelt mit ihren strikten Zeittakten, die das (nicht selten hastige) „Essen außer Haus“ mit sich brachte.

Schlichte Suppen aus dem „Henkelmann“

Museumsleiter Michael Dückershoff weiß beim Rundgang durch die kleine Ausstellung Spannendes zu berichten. Anfangs brachten die Hoesch-Arbeiter meist ihren Henkelmann mit, das waren (oft emaillierte) Blechbehälter, in denen sie meist sehr einfache Suppen transportierten. Selbst Butterbrot war damals noch zu teuer, von Fleischgerichten ganz zu schweigen. Häufig brachten auch Frauen und Kinder der Arbeiter die Henkelmänner zum Stahlwerk. Außerdem wurden so genannte Wärmewagen bereitgestellt, auf denen die Nahrung in nummerierten Fächern warm gehalten und zu den Produktionsstätten gefahren wurde.

Hoesch-Werksschänke, 1960er Jahre (© ThyssenKrupp Konzernarchiv/Hoesch-Archiv)

Großkantine: Hoesch-Werksschänke, 1960er Jahre (© ThyssenKrupp Konzernarchiv/Hoesch-Archiv)

Zur Jahrhundertwende, im Januar 1900, eröffnete die so genannte Werksschänke (zunächst unter dem Namen „Werksschenke“), in der massenhaft Mahlzeiten aus der Großküche kamen. Auch dies ein Zeichen des Wandels: In den frühen Jahren gab es täglich ein einziges Gericht, in den 1960er Jahren standen vier verschiedene zur Auswahl, darunter auch die Option „salzlose Diät“.

Bierverkauf gegen Schnapskonsum

Heute würde man solche Saalbetriebe „Kantinen“ nennen, damals bezeichnete dieser Begriff jene vielen Kioske, die sich übers Werksareal verteilten und bei denen man Essen, Tabakwaren und irgendwann auch Bier der Marke Kronen kaufen konnte. Zu früheren Zeiten waren die Werksdirektoren froh, wenn wenigstens nur Bier statt Schnaps getrunken wurde. Später wurden die Regeln – wie überall – ungleich strenger.

Zweifellos mussten in einem Stahlwerk („Heißbetrieb“) jede Menge Getränke her. Also fuhren auch Lieferwagen mit „Hüttentee“ (süßer Pfefferminzgeschmack) übers Gelände, zudem wurde etwa seit den 1930er Jahren Milch angeboten.

Ein edler Weinkeller für die Chefs

Für sich selbst richteten die Chefetagen 1920 einen recht edlen Weinkeller bei Hoesch ein, in dem rund 200 Sorten lagerten, darunter feinste Tröpfchen. Hier wurden denn auch wichtige Gäste bewirtet. Überdies galt der Weinkeller als „abhörsicher“, worauf die Bosse (wohl vor allem wegen Industriespionage) großen Wert legten.

Die klassenlose Gesellschaft wurde bei Hoesch nicht erfunden. Für lange Zeit hatten die Angestellten einen eigenen Speisesaal – getrennt von den Arbeitern.

Freilich konnten alle Beschäftigten in einem Großbetrieb wie Hoesch die Notzeiten nach den Weltkriegen etwas besser überstehen. Solche Unternehmen kauften zeitweise sogar eigene Bauernhöfe, um ihre Belegschaft zu versorgen. Auch so erklärt sich die außerordentliche Anhänglichkeit, mit der Arbeiter dem Werk lebenslang treu blieben.

Und jetzt? Ein paar Fotos lassen es ahnen: Die verbliebenen Mitarbeiter versorgen sich vielfach in den umliegenden Imbiss-Betrieben rings um den Borsigplatz mit Döner, Currywurst und Artverwandtem. Nichts Besonderes mehr.

Stimmen von Zeitzeugen sind gefragt

All dies wird erst in Erzählungen halbwegs lebendig, die Exponate auf der überschaubaren Ausstellungsfläche des Hoesch-Museums geben von allein nicht ganz so viel her. Texttafeln und historische Fotografien werden mit relativ wenigen Schaustücken ergänzt, die das Ganze mit etwas Aura anreichern.

Gut also, dass zur Schau auch ein 15minütiger Film gehört, in dem Zeitzeugen nähere Auskunft geben. Sehr willkommen wäre es den Machern, wenn sich weitere Leute meldeten, die aus eigener Anschauung von damals berichten können. Wie man sich denken kann, wird es höchste Zeit, solche Stimmen zu sammeln. Eine öffentliche Kostprobe wird es am 6. April (18:30 Uhr) im Hoesch-Museum geben, wenn sich ältere Augenzeugen zu einer Podiumsrunde versammeln.

Die Ära der prachtvollsten Restaurants

Wann, wenn nicht dann? Genau am Tag des deutschen Bieres (23. April) werden das Brauereimuseum und das Museum für Kunst und Kulturgeschichte, ebenfalls mit zwei kleineren Ausstellungen, in den Reigen einsteigen. Im Brauereimuseum wird die regionale Geschichte der Speisegaststätten in den Blick genommen. Museumsleiter Heinrich Tappe erläutert, dass das Essen im Restaurant gegen Ende des 18. Jahrhunderts in Paris aufgekommen ist und erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in deutschen Großstädten üblich wurde – zuerst nicht für die breiten Massen, sondern für ein bürgerliches Publikum.

Alte Pracht: Innenansicht des Restaurants Unionbräu, um 1910. (© Stadtarchiv Dortmund)

Alte Pracht: Innenansicht des Restaurants Unionbräu, um 1910. (© Stadtarchiv Dortmund)

Die Leute mussten überhaupt erst lernen, was es hieß, „draußen“ zu essen und wie man sich dabei zu benehmen hatte. In seiner Ausstellung will Tappe u. a. zeigen, dass bereits in den Jahren zwischen 1890 und 1914 die prächtigsten Gaststätten entstanden sind, die später nie mehr übertroffen wurden. Weitere Leitlinie: Von den 1920er bis in die 1950er Jahre wird das Essen außer Haus (auch in Ausflugslokalen) immer selbstverständlicher, bis in den 1960ern mit Cevapcici, Pizza und mehr allmählich die Internationalisierung des Speisenangebots einsetzt.

Besucher dürfen eigene Objekte mitbringen

Im Museum für Kunst und Kulturgeschichte (MKK) wird man sich mit einer Studioschau begnügen. Die Fläche wird gastweise bespielt vom Deutschen Kochbuchmuseum, das seinen angestammten Ort im Westfalenpark aufgegeben hat und seither – durch missliche Umstände bedingt (statisch gefährdeter „Löwenhof“, in den man nun doch nicht einziehen kann) – immer noch nach einer dauerhaften Bleibe sucht; möglichst unter demselben Dach wie die Volkshochschule, die den „Löwenhof“ verlassen muss.

Es ist angerichtet: das Ausstellungsteam (von links: Michael Dückershoff vom Hoesch-Museum, Jens Stöcker vom MKK, Heinrich Tappe von Brauereimuseum und Isolde Parussel vom Kochbuchmuseum) an einem historischen Herd.

Es ist angerichtet: das Ausstellungsteam (von links: Michael Dückershoff vom Hoesch-Museum, Jens Stöcker vom MKK, Heinrich Tappe von Brauereimuseum und Isolde Parussel vom Kochbuchmuseum) an einem historischen Herd. (Foto: Katrin Pinetzki / Stadt Dortmund)

Im MKK kann Isolde Parussel, Leiterin des Kochbuchmuseums, also demnächst an die Existenz ihres derzeit heimatlosen Instituts erinnern. Hier soll die Perspektive noch einmal geweitet werden. Neben Kantinenessen und Schulspeisungen geht es dabei auch um neuere Entwicklungen wie Lieferdienste. Der Ansatz reicht über die bloße Präsentation von Exponaten hinaus: Im Rahmen der Ausstellung können und sollen Besucher(innen) von eigenen Erfahrungen berichten und passende Fotos oder Objekte einbringen.

Kooperation als Modellfall

MKK-Direktor Jens Stöcker deutete an, dass die jetzige Kooperation dreier Dortmunder Museen ein Modellfall sein könnte. Wenn es sich anbietet, kann man auch andere Themen gemeinsam anpacken. Von Fall zu Fall und je nach Sachlage könnten dabei auch das (seit Langem im Umbau befindliche) Naturkundemuseum oder das Westfälische Schulmuseum einbezogen werden.

So weit, so durchaus interessant. Wenn man denn Kritik an der dreifachen Schau „Essen außer Haus“ üben wollte, so allenfalls deshalb, weil man sich das Ganze größer angelegt wünschen würde. Mit mehr Vorbereitungszeit und mehr Ressourcen hätte man aus dem Thema wohl noch weitaus mehr herausholen können, es wäre noch schmackhafter geworden. Bundesweite Aufmerksamkeit wäre einem solchen Unterfangen gewiss gewesen. Schade. Aber es kann halt nicht immer ein Fünf-Gänge-Menü sein.

„Essen außer Haus. Vom Henkelmann zum Drehspieß.“ In diesen drei Dortmunder Museen:

Hoesch-Museum (Eberhardstraße 12) vom 2. April bis 9. Juli. https://www.dortmund.de/de/freizeit_und_kultur/museen/hoesch_museum/start_hoesch/index.html
Museum für Kunst und Kulturgeschichte (Hansastraße 3) 23. April bis 1. Oktober. www.mkk.dortmund.de
Brauerei-Museum (Steigerstraße 16) 23. April bis 31. Dezember 2017. www.brauereimuseum.dortmund.de

 




TV-Nostalgie (35): Konversation mit Kitzel – „Je später der Abend“ war 1973 die erste deutsche Talkshow

Dicht beisammen: Moderator Reinhard Münchenhagen (links) 1977 mit den Schauspielern Klaus Kinski (Mi.) und Manfred Krug. Es redete praktisch nur Kinski... (Screenshot aus https://www.youtube.com/watch?v=IHYTE4wiPTg)

Dicht beisammen: Moderator Reinhard Münchenhagen (links) 1977 mit den Schauspielern Klaus Kinski (Mi.) und Manfred Krug. Es redete praktisch nur Kinski… (Screenshot aus https://www.youtube.com/watch?v=IHYTE4wiPTg)

Es war ein prägender Moment der deutschen Fernseh-Historie: Am 18. März 1973 wurde im WDR-Fernsehen (damals: 3. Programm) die erste Sendung ausgestrahlt, die hierzulande ausdrücklich als „Talkshow“ firmierte.

Zur Premiere wurde der unverfängliche Schriftzug „Unterhaltung mit Gästen“ eingeblendet. Gastgeber Dietmar Schönherr versuchte eingangs, dem geneigten Publikum (die Männer im Studio waren noch weitaus mehrheitlich Anzugträger) behutsam zu erklären, woran man mit dem aus den USA herrührenden Format überhaupt sei. Und er musste eingestehen, dass er selbst noch nicht so recht wusste, was eine Talkshow auf Deutsch bedeuten und wozu sie sich entwickeln könnte.

Bloß nicht zu bedächtig

Den US-Amerikanern, so erläuterte Schönherr weiter, gehe ein flottes Wort leichter von den Lippen, als den eher schwerfällig grübelnden Deutschen. Gegen derlei uralte Klischees wollte man also anreden, Schönherr sprach sogar explizit davon, dass man die deutsche Bedächtigkeit „zerstören“ wolle, was nicht zu seiner eher sanften Redeweise passen wollte. Das Konzept war ansonsten noch ziemlich offen, und gerade dieser Umstand sorgte anfangs oft für Spannung und Intensität.

„Je später der Abend“ hieß die Gesprächsrunde mit jeweils drei Gästen, der Titel war dem WDR-Fernsehdirektor Werner Höfer eingefallen. Zur besagten Premiere ließen sich der Dramatiker Franz Xaver Kroetz, der schillernde Staranwalt Rolf Bossi sowie die Krimiautorin Irene Rodrian einvernehmen. Die Atmosphäre war entspannt, doch auch recht gediegen. Zumindest der Auftakt hatte noch viel von dem, was man einst „Konversation“ nannte.

Jelinek und Hoeneß über die Ehe

Freilich war’s Konversation mit ungeahntem Kitzel. Man wollte erkennbar nicht kreuzbrav, sondern locker sein. Und irgendwie politisch bitteschön auch noch. In dieser Form heute nahezu undenkbar: Der Ablauf späterer Sendungen wurde gelegentlich aus dem Publikum heraus rebellierend oder maulend gestört. Lang ist’s her.

Noch in Schwarzweiß: Dietmar Schönherr 1973 in der Premierenausgabe der Talkshow. (Screenshot aus https://www.youtube.com/watch?v=03W879Zlmy4)

Noch in Schwarzweiß: Dietmar Schönherr 1973 in der Premierenausgabe der Talkshow. (WDR – Screenshot aus https://www.youtube.com/watch?v=03W879Zlmy4)

Ich habe mir im Netz ein paar bemerkenswerte Ausschnitte angeschaut, so den Auftritt der noch längst nicht so berühmten Elfriede Jelinek, die extrem andere Ansichten über Ehe und Hausarbeit offenbarte, als ihr ebenso unbedarfter wie treuherzig konservativer Widerpart, der Bayern-Kicker Uli Hoeneß, der nebenher auch über seine Freundschaft mit dem CSU-Chef Franz Josef Strauß plauderte. Ach, wie herrlich…

Das getätschelte Knie

Noch spektakulärer verlief – erwartungsgemäß – das nervtötend egomanische Solo, das Klaus Kinski 1977 in dieser Talkshow hinlegte. Der ebenfalls eingeladene Manfred Krug kam angesichts dieser wüsten Suada praktisch nicht zu Wort. Legendär auch die zunächst seltsam verbittert wirkende Romy Schneider (1938-1982), deren Miene sich allerdings merklich aufhellte, als der virile Autor und Ex-Bankräuber Burkhard Driest neben ihr Platz nahm, den sie hinfort anhimmelte. Dass sie gar sein Knie tätschelte und dabei sagte „Sie gefallen mir, Sie gefallen mir sogar sehr“ – das gehört seit 1974 unverbrüchlich zur bundesdeutschen Medien-Folklore.

Schon der Vorspann sah ein bisschen nach Pop Art aus, rundum waberte Zeitgeist der 70er Jahre – von wallenden Haarlängen auch bei den Männern über exzessiven Zigarettenkonsum während der Sendungen bis hin zu damals typischem Mobiliar und Mode-Torheiten wie etwa Schlaghosen.

Man kann doch über alles reden

Vor allem aber war es die Zeit, in der man offen über alles und jedes zu reden begann, ja, es herrschte geradezu ein Zwang zur möglichst unverblümten Aussprache. Eigentlich kein Wunder, dass Inge Meysel, die vielfach als spießig geltende „Mutter der Nation“, gerade in diesem Umfeld über ihre Entjungferung parlierte. Ein erklärtes redaktionelles Ziel war es ja auch, dass Prominente bis zur seelischen Selbstentblößung gebracht werden sollten.

Doch für derlei provokante Attacken waren die Gesprächsleiter denn doch etwas zu souverän, zu kultiviert und zu human. Die Talkshow, die schon ab Silvester 1973 ins erste Programm übernommen wurde und den attraktiven Platz samstags um 22 Uhr bekam, hatte bis Juli 1978 drei Moderatoren, jeder ein eigenwilliger Charakter, doch samt und sonders auf beträchtlichem Niveau: Dem Miterfinder der Sendung, Dietmar Schönherr (der zuvor bereits u. a. mit „Raumpatrouillle“ und der Show „Wünsch dir was“ TV-Geschichte geschrieben hatte), folgte im Januar 1975 Hansjürgen Rosenbauer, ab Januar 1976 übernahm Reinhard Münchenhagen. Schönherr ging die Sache eher warmherzig an, Münchenhagen fasste verbal schon mal entschiedener zu und ließ sich nicht einmal von Kinski aus der Fassung bringen. Ach, wären doch noch Leute dieses Kalibers auf Sendung!

Einige Eindrücke von „Je später der Abend“ sind noch im Internet greifbar, eine DVD-Edition der besten Gesprächsrunden wäre wünschenswert. Ein gewisses Mindest-Interesse an den 70er Jahren vorausgesetzt, kann man den Gesprächen noch heute gespannt oder gar gebannt folgen. Fachfrage: Für welche Talkshow gilt das heutzutage noch?

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Mit diesem Beitrag greifen wir in loser Reihung eine altgediente Revierpassagen-Serie wieder auf.

Hier die Themen der vorherigen Folgen:
“Tatort” mit “Schimanski” (1), “Monaco Franze” (2), “Einer wird gewinnen” mit Hans-Joachim Kulenkampff (3), “Raumpatrouille” (4), “Liebling Kreuzberg” mit Manfred Krug (5), “Der Kommissar” mit Erik Ode (6), “Beat Club” mit Uschi Nerke (7), “Mit Schirm, Charme und Melone” (8), “Bonanza” (9), “Fury” (10).

Loriot (11), “Kir Royal” (12), “Stahlnetz” (13), “Kojak” (14), “Was bin ich?” (15), Dieter Hildebrandt (16), “Wünsch Dir was” (17), Ernst Huberty (18), Werner Höfers “Frühschoppen” (19), Peter Frankenfeld (20).

“Columbo” mit Peter Falk (21), “Ein Herz und eine Seele” (22), Dieter Kürten in “Das aktuelle Sportstudio” (23), “Der große Bellheim” (24), “Am laufenden Band” mit Rudi Carrell (25), “Dalli Dalli” mit Hans Rosenthal (26), “Auf der Flucht” (27), “Der goldene Schuß” mit Lou van Burg (28), Ohnsorg-Theater (29), HB-Männchen (30).

“Lassie” (31), “Ein Platz für Tiere” mit Bernhard Grzimek (32), „Wetten, dass…?“ mit Frank Elstner (33), Fernsehkoch Clemens Wilmenrod (34)

Und das Motto bei all dem:
“Man braucht zum Neuen, das überall an einem zerrt, viele alte Gegengewichte.” (Elias Canetti)




Als Amazonen bestrickend kickten: Doku zur Frühgeschichte des „Damenfußballs“ beim Dortmunder Frauenfilmfestival

Ach, du Schreck: Die jungen Frauen waren auf einmal keine daheim im Kämmerlein schmachtenden „Fußballbräute“ mehr. Sondern? „Amazonen“! Sie wagten es doch tatsächlich, selbst zu spielen, und zwar hin und wieder geradezu „bestrickend“. Sie servierten Flanken „wie aus der Luft gehäkelt“ und vollzogen rasant den Übergang „von der Haushalts- zur Ballführung“. Diese „Fußball-Suffragetten“ trugen allerdings „keine Blaustrümpfe, sondern Ringelstrümpfe“...

Wird im Film "Die schönste Nebensache der Welt" gezeigt: Teamfoto von Fortuna Dortmund aus der zweiten Hälfte der 50er Jahre, u. a. mit Anne Droste (ganz links), Christ Kleinhans (mit Ball) und rechts neben ihr Grete Eisleben. (Foto aus dem Provatbesitz von Christa Kleinhans)

Wird im Film „Die schönste Nebensache der Welt“ gezeigt: Teamfoto von Fortuna Dortmund aus der zweiten Hälfte der 50er Jahre, u. a. mit Anne Droste (ganz links), Christa Kleinhans (mit Ball) und rechts neben ihr Grete Eisleben. (Foto aus dem Privatbesitz von Christa Kleinhans)

Genug, genug! Das kann man ja nicht mehr mit anhören. Wer hat denn so einen Quatsch über Frauenfußball verzapft? Nun, es war der gängige Sound der frühen Jahre. Die oben kursiv gesetzten O-Ton-Zitate stammen samt und sonders aus einer Kino-Wochenschau vom März 1957, als eine (inoffizielle) deutsche Auswahl im Münchner Dante-Stadion vor sagenhaften 18.000 Zuschauer(inn)en gegen ein Frauenteam aus Holland antrat. Es war eine Begegnung, die nach dem Willen mächtiger männlicher Fußball-Funktionäre eigentlich gar nicht hätte stattfinden dürfen.

Der DFB verbot den Frauen das Balltreten

Fast genau 60 Jahre ist das nun her. Damals war das Match eine Sensation, gleichsam ein Spiel in der Grauzone, denn der von verknöcherten alten Herren geführte Deutsche Fußball-Bund (DFB) hatte 1955 höchst offiziell ein striktes Verbot des „Damenfußballs“ beschlossen. Kein Mitgliedsverein des DFB sollte eine Mädchen- oder Frauenabteilung haben dürfen, ja nicht einmal einen Platz für solch ungebührliches Treiben zur Verfügung stellen. Und kein Schiri sollte sich dafür hergeben. Die Stadt München, die den besagten Ländervergleich zugelassen hatte, bekam denn auch einen harschen Mahnbrief aus der DFB-Zentrale.

Woher ich das alles weiß? Aus dem Film „Die schönste Nebensache der Welt“. So heißt (nicht allzu originell) eine recht aufschlussreiche 56-Minuten-Doku zur Nachkriegsgeschichte des deutschen Frauenfußballs. Den bereits 2009 entstandenen Streifen von Tanja Bubbel präsentiert in Kürze das Internationale Frauenfilmfestival, das vom 4. bis zum 9. April in Dortmund (und nebenher in Köln) seinen 30. Geburtstag feiert. Es ist verdienstvoll, den Film ans Licht zu holen, der bislang zumeist im Archiv schlummerte. Warum zeigt ihn beispielsweise das WDR-Fernsehen nicht?

Pionierinnen von Fortuna Dortmund

Schon im Vorfeld des Festivals gibt es eine Voraufführung des Fußballfilms, und zwar just im Deutschen Fußballmuseum des DFB in Dortmund (Di., 28. März, 20 Uhr). Wenn man so will, leistet der Verband als Gastgeber gleichsam eine klitzekleine späte Abbitte für das unbegreifliche Verhalten seiner Altvorderen in den 50er und 60er Jahren. Dass auch höhere Chargen wie der Ex-DFB-Präsident Theo Zwanziger längst zu halbwegs selbstironischem Umgang mit dem Thema fähig sind, beweist der Anfang der Doku. Da kommentiert Zwanziger ziemlich trocken einen kurzen Diavortrag zum Damenfußball.

Der Film enthält etliche Originalaufnahmen, vorwiegend aus 50er bis 80er Jahren, und feiert gebührend die Pionierinnen des Sports mit ihren ausgesprochen haltbaren Mädels-Freundschaften. Denn natürlich ist dies auch eine Erzählung von kraftvoller Frauen-Solidarität, die sich nicht einschüchtern lässt.

Gewürzt mit Ruhrgebiets-Humor

Zwischendurch gibt es etliche elegante, aber auch ein paar unbeholfen wirkende Spielszenen zu sehen. Die Spielkultur musste sich ja auch erst langsam entwickeln. Und wer offiziell nicht einmal trainieren darf, muss schon besonderes Talent haben, um trotzdem gut zu sein. Außerdem: Bei den Herren wird oft genug auch nur gebolzt.

Der Film versammelt einige Zeitzeuginnen aus Ost und West (Ruhrgebiet, Potsdam) zu nachdenklichen Rückblicken. Im Mittelpunkt stehen dabei Veteraninnen des Clubs Fortuna Dortmund, wo ab 1955 Frauen Fußball spielten, und zwar offenbar ziemlich gekonnt. Gewürzt mit echtem Ruhrgebiets-Humor, erzählen sie aus jenen Jahren, als sie allesamt auch an (wie gesagt: verbotenen) Länderkämpfen vor erstaunlich großem Publikum teilnahmen, die legendäre Begegnung im Dante-Stadion inbegriffen.

Und wahrlich. Wenn man heute jeden 16jährigen Jungspund kennt, der irgendwo für viel Geld anheuert, so muss man erst recht diese Frauen beim Namen nennen: Christa Kleinhans, Renate Bress, Anne Droste, Inge Kwast und Grete Eisleben. Einige von ihnen kommen wohl auch zur Preview ins Fußballmuseum. Sie sind übrigens souverän genug, wegen „damals“ keine Verbitterung zu hegen, obwohl wegen ihrer Fußball-Leidenschaft auch schon mal Beziehungen und Ehen zu Bruch gegangen sind.

Ein Porzellan-Service für den EM-Titel

Welch ein bezeichnender Moment, wenn im weiteren Verlauf des Films die Bochumerin Petra Landers, die in den 80er Jahren mit Bergisch-Gladbach mehrfach die deutsche Meisterschaft errang, mit süßsäuerlicher Miene einen Teil ihrer DFB-Prämie zum Gewinn der Europameisterschaft 1989 aus dem Küchenschrank holt. Sie und ihre Mitspielerinnen bekamen – Tusch und Trommelwirbel – ein komplettes Porzellan-Service, immerhin Bone China der nicht ganz schäbigen Art… Wollen wir mal nachschauen, was Männerteams für vergleichbare Titel abgestaubt haben?

In den 50ern, aber auch noch in den 70ern ließen sich nicht alle Zuschauer von rein sportlichen Interessen leiten. Viele Männer kamen anfangs wohl, um hämisch abzulachen, um schlanke oder auch stämmige Beine bzw. wallende Brüste in knappen Trikots zu sehen oder um gar frivole Schlammschlachten auf durchgeweichten Plätzen zu erleben. Manche waren auch ganz einfach wild auf die Mädchen. Besonders Italiener waren den Dortmunder Blondinen zugetan, woran sie sich kichernd erinnern.

Lang, lang hat’s gedauert, bis dann endlich mal sachlich-fachlich über Frauenfußball geredet wurde. Erst 1970 gab der DFB halbherzig seinen Fundamental-Widerstand gegen Frauenfußball auf. Quasi in einem Gnadenakt ließ man sich zur Erlaubnis herbei. Schon beinahe (negativer) Kult ist übrigens ein ZDF-Sportstudio genau aus jener Zeit. Wim Thoelke kommentierte das Ansinnen der Frauen durchaus noch im Stil der eingangs erwähnten Wochenschau. Das hätte in seiner Drastik noch als Aufreger zu Tanja Bubbels Film gepasst.

Auch die DDR hat Frauenfußball reichlich spät zugelassen, dort ging es ebenfalls erst in den 70er Jahren voran. Was Sabine Seidel und Gisela Liedemann (ehedem Turbine Potsdam) zu berichten haben, klingt denn auch eher elegisch, aber ebenso unverstellt wie das, was man aus dem Revier vernimmt.

„Die Prinz hatte wohl ihre Periode“

Die Frauen sind indes auf ihre Art nicht zimperlich. Eine behauptet schlankweg, sie seien immer zäher gewesen als die Männer („Die wälzen sich immer gleich am Boden“). Und als der inzwischen nicht mehr ganz junge Dortmunder Damenzirkel ein Länderspiel besucht, heißt es über eine weniger gut aufgelegte Top-Spielerin auf dem Rasen: „Die Prinz hatte wohl heute ihre Periode…“ Das sollte sich ein Mann mal zu sagen trauen.

Apropos Mann. Einer prägt auch diesen Film mit – durch seine Stimme. Der Fußballkommentator Werner Hansch hat seine Meriten, hier aber ist sein salbungsvoll-samtpfötiger Tonfall nicht immer angebracht; zumal er auch schon mal treuherzig zwiespältige Sätze von sich gibt („Zum Glück gab es das DDR-Sportsystem“ – triefende Ironie oder nicht?), die am Schluss in der vermeintlich alle und alles versöhnenden Formel gipfeln, ob nun Männer oder Frauen anträten, Hauptsache sei doch, dass Deutschland gewinnt. Ach was.

Rund 120 Filme auf dem Programm

So. Schlusspfiff. Ein paar andere Filme laufen ja schließlich auch noch beim Internationalen Frauenfilmfestival. Um pauschal etwas genauer zu sein: rund 120 Produktionen aller denkbaren Sparten und Formate, dazu ein üppiges Begleitprogramm mit Diskussionen, Workshops und Performances.

Beim internationalen Spielfilmwettbewerb für Regisseurinnen geht es um einen Preis von 15.000 Euro, davon 10.000 als Vertriebsförderung für den Verleih und 5000 für die Regie. Zudem gibt’s gleich zehn kuratierte Filmreihen unter dem Gesamtmotto „In Control…of the situation / Alles unter Kontrolle“, das sicherlich nicht nur wörtlich zu nehmen ist, sondern angesichts der Weltlage auch schierer Hohn sein kann. Da lassen sich halt frauenbewegte und (nicht nur) Frauen bewegende Filme jeglicher Art unterbringen.

Eine Reihe handelt von Flucht und Migration, eine andere vom Rückzug ins Innenleben und daraus resultierenden Aufbrüchen, eine weitere von Aktivistinnen der Solidarität und des Widerstands. Kurzfilmnacht, Super-8-Filmtechnik und Bösartiges bis zum Splattermovie sind weitere Stichworte. Das mag einigermaßen unübersichtlich wirken. Also gilt es, sich vorab ein paar Schneisen durchs Programm zu schlagen. Ein bisschen Zeit ist ja noch.

Infos zum Festival (4. bis 9. April): www.frauenfilmfestival.eu
Tickets: www.westticket.de




Voodoo aus der Dose – Wo soll das alles enden?

Puppe, Nadeln, Dose - Screenshot mit Komplett-Sets zur Arbeitswelt (links) und Liebe (rechts). (© Hersteller)

Puppe, Nadeln, Dose – Screenshot mit Komplett-Sets zur Arbeitswelt (links) und Liebe (rechts). (© Hersteller)

Mit Voodoo ist das so eine Sache. Obwohl wir bestimmt nicht abergläubisch sind, haben wir uns doch alle schon gefragt, was dran sein könnte am magischen Puppenstechen, das weit über Gebühr mit Voodoo assoziiert wird.

Piekst man eine derartige, sorgsam präparierte Puppe mit der Nadel, jault angeblich der Feind und Widersacher vor Schmerzen auf, zuckt der böse Chef zusammen oder es krümmt sich die untreue Gespielin. Üble Sache, das. Man mag es gar nicht ausprobieren. Oder etwa doch? Aber wenn es nun funktionierte und man hätte es übertrieben?

Mit den zehn Geboten stimmt es nicht so richtig überein. Außerdem braucht man vielleicht einen erfahrenen Voodoo-Priester oder Medizinmann. Geht meine Erinnerung fehl, oder haben früher brasilianische Fußballmannschaften wirklich auf solche Praktiken zurückgegriffen, um zum Exempel dem gegnerischen Mittelstürmer beizukommen? Damals, als die Brasilianer noch oberste Weltklasse waren. Und wissen wir, was sie heute hinter verschlossenen Türen beim FC Bayern München treiben?

Um mal so richtig schön in die Klischeekiste der Redewendungen zu greifen: Wer beschreibt mein Erstaunen, als ich dieser Tage ein niederschwelliges Online-Angebot in Sachen Voodoo vorfand? Es gibt doch wahrhaftig „Voodoo aus der Dose“.  Bequem zum Mitnehmen, allzeit bereit, also praktisch „Voodoo to go“. Nix Priester, nix Versenkung – einfach Fun… Yippieeee!

Ohne mich auszukennen, wage ich zu behaupten: Mit profaner Fabrikware kann das doch wohl nichts werden. Voodoo im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit? Och nö. Da macht man sich das Figürchen doch lieber selbst zurecht und steckt es in ein geeignetes Behältnis. Nadeln werden sich auch noch finden. Oder noch weitaus lebensechter: schamanische Praktiken um gläubig verehrte Fetische. Back to the roots. Aber das ist wohl nichts, was sich weiße Europäer einfach so aneignen könnten.

Voodoo in der Dose, das ist (analog zum Pulverkaffee) der Instant-Zauber, den man immer zur Hand hat. Und damit man nicht etwa nur ein einziges Döschen samt Minipuppe und Nadeln kauft, sind die Dinger spezialisiert. Die eine Stoffpuppe ist zuständig für die „bucklige Verwandtschaft“, eine weitere kümmert sich um die Arbeitswelt, wiederum eine andere um (nicht mehr so sehr) geliebte Personen. Hinzu kommen Sets für allgemeine Angelegenheiten und für nichts Geringeres als den Weltfrieden. Wohin piekst man da eigentlich?

Weil es gar zu hübsch und spaßig ist, zitiere ich mal aus einer Werbung für die „Voodoo Dolls“, Unterabteilung Arbeitswelt:

„An die Arbeit, Voodoo-Puppe!
Imaginäre Strafen für Chefs, Kollegen, Kunden, sämtliche Mitarbeiter von Service-Hotlines und viele weitere nervige Berufsgruppen.
Lass Deiner Feindschaft freien Lauf und bedenke Dein nächstes Voodoo-Opfer zum Beispiel mit Gedächtnisschwund, einer überhöhten Handyrechnung (…) einer veritablen Hodenprellung oder mit Senk- Platt- und Spreizfüßen.“

Nett, nicht wahr? Und ist es nicht umsichtig, dass auch an sämtliche Mitarbeiter der Service-Hotlines gedacht wird?

Jetzt mal eben im Ernst. Die Voodoo-Religionen mit ihren vielfältigen Varianten haben sich in Westafrika entwickelt und sind zu Zeiten der Sklaverei in die Karibik (besonders Haiti) vorgedrungen. Sie haben auch in der Popkultur Spuren hinterlassen. Da gab und gibt es die Dortmunder Kultband „Phillip Boa & the Voodooclub“ oder einzelne Titel wie „Voodoo Chile“ von Jimi Hendrix.

Doch das meine ich weniger. Das vielleicht beste Beispiel ist vielmehr Dr. John („The Night Tripper“), der sich intensiv mit Voodo befasst und mit Titeln wie „I Walk on Guilded Splinters“ trancehafte, geheimnisvolle Stücke komponiert hat, die der innigen Kontemplation zuträglich sein mögen.

Und jetzt kommen wir tatsächlich noch zu einem Ruhrgebiets-Aspekt des Themas. Jawohl, denn das nicht weit vom Museum Folkwang gelegene Museum „Soul of Africa“ in Essen widmet sich auch dem Thema Voodoo. Das war mir neu.




Rutger Booß und seine ungebremste Seniorenbeschimpfung

Mit Dr. Rutger Booß, Gründer und damals auch noch amtierender Chef des Dortmunder Grafit-Verlags (führend im Regionalkrimi-Fach), hatte ich für einige Jahre ein kleines Ritual. Kurz vor Abreise von der Frankfurter Buchmesse habe ich jeweils noch auf einen Kaffee beim Grafit-Stand vorbeigeschaut. Es gehörte irgendwie dazu. Dortmunder müssen zusammenhalten, auch auf kulturellem Gebiet. Jetzt steht Rutger Booß, inzwischen 72, auf seine etwas älteren Tage unversehens auf Platz 9 der „Spiegel“-Bestsellerliste (Rubrik Taschenbücher / Sachbuch), und zwar mit einer als Rundumschlag angelegten Seniorenbeschimpfung. Diese Ausgangslage verlockt zum Lesen.

„Immer diese Senioren! 111 Gründe, warum sie uns in den Wahnsinn treiben“ heißt das naturgemäß (selbst)ironisch eingefärbte, aber nicht etwa durchweg unernst gemeinte Werk. Ich gebe freimütig zu: Diese allfälligen 50-, 99-, 100- oder halt 111-Gründe Bücher gehen mir allmählich auf den Geist. Meistes folgen sie einer Masche. Der Verlag Schwarzkopf & Schwarzkopf preist das Buch denn auch als „Stapeltitel“ an und hat massiv die Buchhandlungen damit geflutet.

Immer in Beige, immer drängeln

Schon klar: Die Senioren werden immer mehr und haben schon jetzt enormen Einfluss auf die Politik. Also muss man sie mal verbal verdreschen. Tatsächlich lässt Rutger Booß kein gutes Haar an seinen Generationsgenoss(inn)en. Hier müssen sich die bedauernswerten Durchschnitts-Senioren alles, aber auch alles zurechnen lassen, was irgendwo alte Menschen verzapfen – seien es nun „Eliten“ und Promis jeder Sorte, Einzelne aus der Menge oder die breite Mehrheit, die dümmlich bis kriminell agiert haben. Nun aber `ran an die Beispiele, Feixen hie und da garantiert:

Der Rentner, der gemeinhin in Beige herumtapert, sich rüpelhaft an der Supermarktkasse vordrängelt und dort umständlichst das Kleingeld abzählt oder zittrig Auto fährt, wird ausgiebig verspottet. Bejahrte Menschen hassen Kinderlärm, werfen aber selbst den Laubsauger an, wann immer sie wollen. Sie hocken ständig beim Arzt und klagen über ihre Wehwehchen, fallen auf dämliche Werbung und Nepper, Schlepper, Bauernfänger herein.

Alte Männer: geil, geizig und gierig

Ältere Polit-Darsteller von hohen Fürchterlichkeits-Graden (z. B. Berlusconi, Robert Mugabe, Erika Steinbach, Gauland, Trump) oder betagtere Sportfunktionäre (Blatter, Beckenbauer, Ecclestone) werden wortreich verdammt. Sie haben es ja allesamt verdient. Doch ich konnte bei der Lektüre nicht umhin, beim Thema Senioren gelegentlich (sozialpolitisch korrekt) auch an Altersarmut, Pflegebedürftige und Demenz zu denken. Solche kleinlichen Bedenken muss man entschlossen beiseite schieben, will man ein solches Buch schreiben. Dabei ist Rutger Booß doch eigentlich eher links gestrickt.

Autor Rutger Booß (Foto: Verlag Schwarzkopf & Schwarzkopf)

Autor Rutger Booß (Foto: Verlag Schwarzkopf & Schwarzkopf)

Doch im Buch mag er’s paukenschlagend pauschal. Senioren machen demnach eigentlich nur dummes Zeug. Sie kommen nicht mit dem Internet klar, verhindern durch ihre schiere Beharrungs-Masse Innovationen bei ARD und ZDF, verdingen sich als quasi untote Gestalten (Gunter Gabriel, Rainer Langhans etc.) im „Dschungelcamp“. Alte Männer sind in der Regel geil, geizig und gierig. Ergraute Schriftsteller wie Roth, Updike, Begley und Martin Walser stier(t)en geifernd jungen Mädchen nach.

„Landplagen“, wohin man auch schaut

Seniorenscharen, die überall die Wege versperren, bevölkern Kreuzfahrtschiffe auf Flüssen und Meeren. Und wenn sie erst auf ihre E-Bikes steigen, ist alles zu spät. Alte Herrschaften verfassen peinliche Memoiren, schreien ihren Unmut im Theater auf offener Szene heraus, besitzen offenbar immens viele Waffen, sind Mitglieder in lachhaft vorgestrigen Schützen- und Gesangsvereinen, sind Geisterfahrer, Rechthaber, Unfallflüchtige und Stalkerinnen. Sie alle sind – so ein Lieblingswort in diesem Buch – eine „Landplage“.

„Das alles und noch viel meheeeer“ wird auf mitunter fast penetrante Weise breitgetreten und ausgewalzt. Hat man einmal den eingefahrenen Duktus intus, reichen hernach vielfach die bloßen Kapitel-Überschriften zur Orientierung. Vieles ist ja richtig, doch gar manches ist auch wohlfeil.

Bei den bunten Seiten bedient

Quellen für die üblen Nachreden sind vorwiegend die vermischten Meldungen aus Tageszeitungen bzw. Online-Auftritten, hinzu kommen Wikipedia und Internet-Posts. Nicht jede Herleitung dürfte formal und inhaltlich einer kritischen Überprüfung standhalten. Egal. Man will sich ja in seiner polemischen Absicht nicht bremsen lassen. Auf den bunten Seiten ist ja alles schon so herrlich zugespitzt. Man muss sich nur umsichtig bedienen, die Stellensammlung ordnen und gut verrühren. Ich behaupte mal frech, dass der ebenso sympathische wie kluge Rutger Booß ein Buch deutlich unterhalb seines eigenen Niveaus geschrieben hat.

Apropos Zeitungen: Das muss ich jetzt auch noch loswerden. Booß, der im beschaulichen Herdecke lebt (wo schon Jürgen Klopp sein Domizil hatte), also in unmittelbarer Nachbarschaft von Dortmund, zitiert sehr häufig ausgerechnet die heimische WR = Westfälische Rundschau. Ich finde das ärgerlich, denn die seit Anfang 2013 redaktionslose Zeitung wird nur noch mit fremden Inhalten (WAZ, Ruhrnachrichten) am zombiehaften Leben erhalten und ist als „WR“ eigentlich gar nicht mehr so recht zitierfähig. Das Blatt ist keine Quelle mehr, sondern nur noch Abfüllstation.

Bleibt eine Frage: Wer ist eigentlich mit dem wohlig kollektiven „Wir“ („Warum sie u n s in den Wahnsinn treiben“) gemeint? Alle unter 80, 70, 65, 60? Alle Menschen, die guten Willens sind? Alle Junggebliebenen und solche, die es werden wollen? Da haben wir jetzt was zum Grübeln.

Rutger Booß: „Immer diese Senioren! 111 Gründe, warum sie uns in den Wahnsinn treiben“. Verlag Schwarzkopf & Schwarzkopf. Taschenbuch, 272 Seiten. 9,99 €.




Selten satanisch, meistens aufklärerisch: Umberto Ecos kurzweilige Kolumnen zur „flüssigen Zeit“ der Gegenwart

Wenn prägende Gestalten der Geisteswelt verstummen, so mag man dennoch Denkart und Tonfall nicht missen. Es soll noch etwas bleiben, möglichst sogar bislang Unbekanntes aufscheinen. Also wird der Nachlass durchgesehen oder Fragmentarisches posthum herausgebracht. Im Falle von Umberto Eco (1932-2016) liegt nun ein Buch vor, das er – zumindest im italienischen Original – offenbar noch selbst besorgt hat.

Unter dem etwas kryptischen Titel „Pape Satàn“ (geht auf Dantes „Göttliche Komödie“ zurück, reflektiert wohl allerlei Teufeleien, hat aber laut Eco Interpreten scharenweise verzweifeln lassen) gibt es jetzt weitere „Streichholzbriefe“ zu lesen, jene kurzen Kolumnenbeiträge, für die Eco sich Stichworte just auf den leeren Innenseiten von Streichholzheftchen notiert hat.

Notizen auf Streichholzheftchen

Das Vorwort zur 2016 in Italien erschienen Zusammenstellung stammt noch von Eco selbst, also war er gewiss auch an der Textauswahl beteiligt. Insofern darf das Buch als eine Edition letzter Hand gelten, für die deutsche Ausgabe gilt dies freilich nur sehr bedingt.

In der Einleitung rechnet Eco vor, er habe ab 1985 (zunächst wöchentlich, dann alle 14 Tage) Kolumnen fürs Nachrichtenmagazin L’Espresso verfasst, macht über 400 in den Jahren 2000 bis 2015. Aus diesem neueren Fundus stammen also die vorliegenden Streiflichter, die sich kreuz und quer über die Themenfelder der unübersichtlichen Gegenwart bewegen. Es kann bei dieser Textsorte nicht um den ganz großen Wurf gehen, sondern eher um zugespitzte Denkanstöße. Gerade das garantiert Kurzweil.

Schwund des Verlässlichen

Eco konstatiert den Schwund alles Festen und Verlässlichen, Welt und Zeit hätten sich gleichsam verflüssigt, die Geschichte werde von lauter Jetzigem überschwemmt. Als eine Haupttriebkraft solcher Entwicklungen macht der Autor – nicht allzu überraschend – das Internet aus, das für ihn spürbar „Neuland“ bedeutet.

In Zeiten des Netzes wolle jeder gesehen und oder anderweitig wahrgenommen werden – egal wie. Auch kein sonderlich origineller Befund, möchte man meinen. Doch Vorsicht mit solchen Urteilen. Man sollte stets die Jahreszahl unter den einzelnen (nicht chronologisch geordneten) Beiträgen berücksichtigen. Anno 2000 oder 2002 war manches in der virtuellen Welt noch nicht so sichtbar wie heute. Und auch Schriftsteller vom Schlage eines Umberto Eco müssen sich erst einmal zurechtfinden. Dafür denken sie dann auch gründlicher als so mancher vorlaute „Netzaktivist“.

Rabiat gegen Handymanie

Vor dem Hintergrund eines von ihm behaupteten Generationenkriegs (Alt gegen Jung) kann Eco freilich auch schon mal ziemlich rabiat austeilen. 2015 hat er äußerst aggressiv gegen die allgegenwärtige Handymanie gewettert. Zitat: „Eigentlich müsste man diese hektischen Dauertelefonierer schon als Kinder töten, aber da nicht jeden Tag ein Herodes zu finden ist, empfiehlt es sich, sie wenigstens als Erwachsene zu bestrafen…“ Das klingt wirklich mal ziemlich satanisch…

Nicht ohne Entsetzen stellt Eco fest, dass das Netz so vieles mit sich reißt. Es verändert die Lyrik. Es verlagert alle Magie in die Technik. Es sorgt für permanente Sex-Aufstachelung. Und so weiter. Ein kritischer Umgang mit diesem krakenhaften Medium ist das Mindeste, was demnach anzuraten wäre. So schlägt Eco auch vor, dass Zeitungen regelmäßige Internet-Kritiken veröffentlichen sollen, um ganz allmählich die Spreu vom Weizen zu trennen. Hört sich nach dem Bohren sehr dicker Bretter an. Wahlweise auch nach einer Luftnummer. Aber man könnte es ja mal probieren.

Verschwörung und Verschleierung

Eco steht in bester aufklärerischer Tradition. Sehr zeitgemäß muten seine betont nüchternen Überlegungen zu Verschwörungstheorien an. Eine Erkenntnis: Natürlich gibt es tatsächlich etliche Verschwörungen, aber eben nicht die eine große Weltverschwörung, auf die alles zurückzuführen wäre. Was zu beweisen war.

Ähnlich nüchtern, pragmatisch und unaufgeregt (den Klischees zufolge fast so, als wäre er ein Engländer und kein Italiener) legt Eco beispielsweise dar, was vom Antisemitismus zu halten ist. Auch sinnt er über Verschleierung nach und kommt u. a. zu diesem speziellen Befund: „Versteht man unter Schleier jene Art von Kopftuch, bei der das Gesicht unbedeckt bleibt, dann mag ihn tragen, wer will (zumal er, wenn hier ein unbefangenes ästhetisches Urteil erlaubt ist, das Gesicht veredelt und alle Frauen wie Madonnen von Antonello da Messina aussehen lässt).“ Übrigens spricht sich Eco auch gegen das böswillige Karikieren jeglicher Religion aus…

Was Prosa von Poesie unterscheidet

In den Beiträgen, die summarisch mit „Über Schreiben und Lesen“ betitelt sind, befürwortet Eco kalligraphische Übungen, weil seit Erfindung des Kugelschreibers das hässliche Schreiben überhand genommen habe. Erfreut konstatiert er ein staunenswertes Interesse vieler junger Leute an Literatur und Philosophie (mit Massenpublikum bei Lesungen und Diskussionen), lässt sich über Sinn und Unsinn akademischer Festschriften aus und erläutert den Unterschied zwischen Prosa (erst die Dinge, dann die Worte) und Poesie (erst die Worte, dann die Dinge). Anhand dieser kurzen Aufzählung merkt man schon: Der schmale Band bietet reichlich Abwechslung.

Eins noch, eher nebenbei: Den Anmerkungen des Übersetzers Burkhart Kroeber lässt sich entnehmen, wie viel substanzielle, von Eco angeführte Literatur bisher nicht ins Deutsche übertragen worden ist – und das, wo die Deutschen doch als weltweit fleißigste literarische Übersetzer gelten.

Umberto Eco: „Pape Satàn“. Chroniken einer flüssigen Gesellschaft. Für die deutsche Ausgabe ausgewählt, übersetzt und eingerichtet von Burkhart Kroeber. Hanser Verlag. 222 Seiten. 20 €.

 

 

 




Viele, liebe, beste, schöne, freundliche, herzliche Grüße: Die etwas unklare Rangordnung der Grußformeln

Handschriftlich wirkt es sowieso anders...

Handschriftlich wirkt es sowieso anders…

Gibt es eine Art Hierarchie der schriftlichen Grußformeln? Inwiefern liest sich und klingt die eine vielleicht eine Spur freundlicher als die andere? Und was geht wirklich zu Herzen?

Bevor wir zur Sache schreiten: „Moin“ läuft außer Konkurrenz und ist auf seine lakonische Art eh unübertrefflich. Gepriesen seien die Friesen. Allerdings kann man das Wörtchen nicht unter jede Korrespondenz setzen. Schade eigentlich.

Abkürzungen wirken eher achtlos

Eine sehr gängige, zuerst wohl von Frauen und heute allgemein verwendete Formel lautet „Liebe Grüße“. Sie hört sich immer ein wenig harmlos an. Man versichert treuherzig: „Ich bin ganz lieb und tu dir nichts zuleide.“ Die Abkürzung LG wirkt hingegen eher wie eine gar zu rasche Pflichtübung und könnte auch Leichtathletik-Gemeinschaft bedeuten.

„Mit freundlichen Grüßen“ oder die angeblich modernere Variante „Freundliche Grüße“ kommen am häufigsten vor, es handelt sich mithin um die schiere Üblichkeit und abgespeicherte Routine. Das schreibt sich einfach so hin. Gedankenlos. Man kann damit nichts falsch machen, gewinnt damit niemanden zum Freund oder schon gar nicht zum Feind. Es bleibt die schwer zu beantwortende Frage, ob die Einzahl („Mit freundlichem Gruß“) eine kaum spürbare Minderung darstellt. Die Abkürzung „MfG“ wiederum kommt achtlos daher.

Gibt es auch unschöne Grüße?

Ziemlich unentschieden im Mittelfeld der Zu- und Abneigungen bewegt sich die Floskel „Beste Grüße“, mir erscheint sie immer ein wenig wie eine Ausflucht. So richtig verbindlich ist sie nicht. Gibt es denn eigentlich auch zweit- und drittbeste Grüße? Und wie verhält es sich mit den schlechteren und schlechtesten Grüßen? Ähnliche Fragen nach weniger schönen, unschönen und hässlichen Grüßen könnte man auch angesichts der Wendung „Schöne Grüße“ stellen; wenn man denn ein pedantischer Misanthrop wäre und alles, aber auch alles mit dem Gift seines Zweifels…

Mit Umarmungs-Gestik kommen „Herzliche Grüße“ daher, man soll sich als Adressat just ins Herz geschlossen fühlen. Jedem Dahergelaufenen würde man solche Grüße wohl nicht entbieten wollen. Manche unterzeichnen ihre Schreiben einfach mit „herzlich“ oder sogar „herzlichst“, was oft ein wenig übertrieben anmutet. Und wenn man mit „in Liebe“ unterfertigt, schwebt man eh auf Wolken.

Die Menge macht es nicht allein

Wer „Viele Grüße“ sendet, will vielleicht mit der bloßen Menge überwältigen. Wobei die Zahl der „vielen“ Grüße ja sehr unbestimmt bleibt. Vielleicht sind es nur neun oder dreizehn Grüße, wer weiß. Aber wer wird denn heute noch altfränkisch formulieren „Es grüßt vieltausendmal…“?

Kleiner Exkurs: Ziemlich lau hört sich die (eher gesprochene als geschriebene) Formel „Grüß Dich!“ an. Ja, was denn sonst? Man grüßt, indem man sagt, dass man grüßt… Brieflich entspricht dem ungefähr „Es grüßt Sie…“ Da sind ja die weithin nur noch leicht ironisiert verwendeten „Grüß Gott“, „Gott zum Gruße“, „Grüezi“ oder „Servus“ noch prägnanter.

Im Revier darf’s auch „Glückauf“ sein

Vom möchtegernwitzigen, elend ausgelutschten „Grüß Gott, wenn du ’n siehst…“ sehen wir mal ganz ab, wohingegen gerade im Ruhrgebiet ein regional traditionssattes „Glückauf“ durchaus angebracht sein kann.

Wenn wir schon bei Regionen sind: „Mit freundlichen Grüßen aus der Hauptstadt Berlin“ ist womöglich eine Ich-zentrierte Anmaßung. Wie es ganz richtig in einem Internet-Ratgeber heißt, dürfte dabei ein Subtext mitschwingen: „Ich grüße dich, den Provinzheini, aus meiner glanzvollen Metropole.“ Mehr auf den Empfänger bezogen, könnte es hingegen auch heißen „Mit freundlichen Grüßen nach Hamburg“ oder gar „Mit freundlichen Grüßen ins sonnige Freiburg“. Andere Orte dürfen jederzeit sinngemäß eingesetzt werden.

Die so ziemlich unfreundlichste Variante, welche ausgesprochen harsch und unwirsch sich anhört, lautet schlichtweg: „Gruß“. So barsch wie ein militärischer Befehl, eher gebellt als gesagt. Wenn das unter einem Brief steht, hat man auch zuvor nichts allzu Freundliches gelesen; eher schon Dinge, die nachher mit der Rechtsschutzversicherung geregelt werden könnten.

Höfisch und höflich

Zu untersuchen bliebe beispielsweise, ob wir im Deutschen weniger Möglichkeiten zum fein differenzierten Grüßen haben als Länder, in denen Adel und Monarchie noch länger oder intensiver eine prägende Rolle spiel(t)en.

Nicht von ungefähr klingen höfisch und höflich verwandt. Tatsächlich gibt es noch jene wohlerzogenen Zeitgenossen, darunter auch ein mir bekannter Rechtsanwalt, die unter ihre Briefe/Mails ein gar zierliches „Höflich grüßt…“ ziselieren. Andere Rechtsvertreter dürfte er wohl „Mit kollegialem Gruß“ bedenken.

Was der Bundeskanzlerin zusteht

Wir erinnern uns leicht gequält an die früher noch viel gebräuchlichere Wertmarke „hochachtungsvoll“ (die bei weitem nicht immer für bare Münze zu nehmen war) und steigen nunmehr einige Stufen auf der gesellschaftlichen Leiter hinauf. Im Wikipedia-Artikel über Grußformeln, in dem es auch heißt, „hav“ sei eine gängige Abkürzung für „hochachtungsvoll“ gewesen, habe ich gefunden, dass unter einem Schreiben an den Bundespräsidenten (falls man ihm denn mal ein paar Zeilen schicken möchte) gefälligst „vollkommene Hochachtung“ zu stehen hat.

Der Bundeskanzlerin, dem Bundestagspräsidenten sowie dem Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts – Frauen bitte immer mitdenken – stünde derweil dienstgradmäßig „ganz ausgezeichnete Hochachtung“ zu. Bei einem Bundesminister oder Ministerpräsidenten ist es nur noch die „ausgezeichnete Hochachtung“, anderen hohen Amtsträgern käme „vorzügliche“ oder „besondere“ Hochachtung zu. Wäre man denn ein Spezi solcher Hochgestellten, könnte man bei eher privaten Angelegenheiten vielleicht „In (alter) Verbundenheit“ hinsetzen.

Schachspieler und Piloten

Ehedem standen derlei Feinheiten vor allem in so genannten „Briefstellern“, in denen man formvollendete Muster vorfand. Eine zunächst noch halbwegs ehrfürchtig, hernach mit viel Spott quittierte Kindheits- und Jugendlektüre hieß zu unserer Zeit „Der gute Ton“. Auch darin standen solche Sachen, die man heute kaum noch nachvollziehen kann, auch wenn immer mal wieder eine Renaissance des Benimms ausgerufen wird.

Apropos: Bei Wikipedia gilt als „veraltete Grußformel“ die folgende: „Mit größtem Respekt und bewundernder Hochachtung verbleibe ich in demütiger Hoffnung…“ Soll man sich heute so devot an ein rabiates Inkasso-Unternehmen oder an Schutzgeldeintreiber wenden? Schlechten Scherz beiseite.

Wie fast bei allen Themen, so öffnet sich auch hier bei näherem Hinsehen ein gar weites Feld, das jederzeit auf Buchstärke anwachsen könnte. Was ist beispielsweise mit speziellen Formen wie „Mit sozialistischem Gruß“, „Mit schachlichem Gruß“, „Glück ab, gut Land“ (Piloten) oder gar „vy 73“ (angeblich unter Funkamateuren üblich)?

Und wie sehen eigentlich zeitgemäße bzw. modische Grüße aus? Spontan fallen mir „Die Macht sei mit Dir“ oder „Keep calm and carry on“ ein. Den schmalen Rest mögt ihr Euch selbst ausmalen.

Und so verbleibe ich mit den besten Empfehlungen Euer

Bernd Berke

_______________________________________________

P. S.: Ein Unternehmer (Kaffeebranche), bei dem ich vor Jahr und Tag mal überteuert zur Miete gewohnt habe, gab mir morgens immer seine – übrigens stets bissig erzkonservativen – Leserbriefe mit auf den Weg zur Zeitung. E-Mail hatte man damals noch nicht. Als Anrede (ein Thema für sich) an mich schrieb er immer „SGH Berke“, was „Sehr geehrter Herr“ heißen sollte, aber formell nahezu aufs Gegenteil hinauslief. So viel zum Thema: Kann man jemanden mit Gruß- und Anredeformeln düpieren?




Mutmaßlicher Kindesmörder in Herne gefasst: Warum muss man den vollen Namen von Marcel H. kennen?

Zunächst einmal dies, das Allerwichtigste: Man kann nur sehr erleichtert sein, dass Marcel H. (19), der mutmaßliche Kindesmörder von Herne, gestern Abend festgenommen worden ist.

Er selbst hat dem Inhaber einer griechischen Imbissstube in Herne gesagt, er sei der seit drei Tagen Gesuchte und hat von dort aus selbst die Polizei angerufen.

Kann man ein solches Thema abstrakt bebildern? Ja, das ist vielleicht sogar das Beste. (BB)

Kann man ein solches Thema abstrakt bebildern? Ja, das ist für ein Kulturblog vielleicht sogar das Beste. (Foto: BB)

Im Ruhrgebiet war und ist es d a s Thema dieser Tage. Wohin man auch kommt, so gut wie überall wird darüber gesprochen. Als Vater kann ich – natürlich auch nur bis zu einem gewissen Grade – nachfühlen, was Eltern, Verwandte und Freunde des erstochenen neunjährigen Jungen durchmachen.

Trotz allem die Rechtstreue wahren

Ja, man kann sogar nachempfinden, dass nicht alle Regungen, die sich nun mehr oder weniger offen Luft verschaffen, den rechtsstaatlichen Prinzipien entsprechen. Doch gerade, wenn man sich etwa über antidemokratische Tendenzen in anderen Ländern empört, muss man auch in einem solchen Falle strikt rechtstreu vorgehen. Die Tat muss möglichst zweifelsfrei und gerichtsfest bewiesen werden. Erst dann kann die Strafe folgen.

Mit der Verhaftung sind längst nicht alle Fragen beantwortet. Die Polizei wird noch einige Zeit weiter ermitteln müssen. Nach dem jetzigen Stand gibt es zwei Opfer und Marcel H. wäre ein Doppelmörder.

Pressekonferenz mit neuen Erkenntnissen

Um 16 Uhr hat es heute eine Pressekonferenz in Dortmund gegeben, die auf mehreren Info-Kanälen live übertragen wurde und auf der verstörende Details bekannt wurden. Mehrere Ermittler sprachen von „Neuland“, das sie in ihrem bisherigen Berufsleben noch nicht betreten hätten.

Demnach hat Marcel H. inzwischen den Mord an dem 9-jährigen Jungen gestanden und auch zugegeben, einen 22-jährigen flüchtigen Bekannten in dessen Herner Wohnung erstochen zu haben. Dann hat er laut Geständnis dort Feuer gelegt, um Spuren zu verwischen. Bei seiner Vernehmung soll Marcel H. „eiskalt und emotionslos“ gewirkt haben, so Klaus-Peter Lipphaus, Leiter der zuständigen Bochumer Mordkommission.

Äußerst wirr und vergleichsweise läppisch klingen die vermeintlichen Beweggründe für die blutrünstigen Taten, die jeweils mit Dutzenden von Messerstichen ausgeführt wurden. Zum einen habe es eine Absage der Bundeswehr gegeben, hinzu kam offenbar der Umzug in eine Nachbarstadt, wo der computerspielsüchtige Marcel H. angeblich keinen Internetzugang gehabt hätte. Wie es hieß, wollte er sich deswegen zunächst das Leben nehmen, doch mehrere Suizid-Versuche seien misslungen…

Während der gesamten Pressekonferenz war übrigens abgekürzt von „Marcel H.“ die Rede. Warum ich das so betone, wird sich gleich zeigen.

Eine gierige Klick-Maschine

Ursprünglich ging es mir eigentlich um etwas anderes, nämlich um das abermals fragwürdige Verhalten mancher Medien in den letzten Tagen.

Gewiss, auch andere haben stellenweise zweifelhaft berichtet, doch habe ich ein Angebot etwas genauer beobachtet, weil das Medium eben mitten im Revier sitzt und somit besonders nah am Geschehen war: Ich meine den Online-Ableger der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung (WAZ / Funke-Gruppe), www.derwesten.de

Dieser Auftritt hat kürzlich ein neues Erscheinungsbild erhalten, auch sind Konzept und Stoßrichtung geändert worden. Es handelt sich, wie ich finde, seither zu großen Teilen nicht mehr um eine herkömmliches journalistische Offerte mit (selbst)kritischer Balance. Sondern?  Um eine gellend boulevardeske, unentwegt nach Aufmerksamkeit gierende Klick-Maschine, die furchtbar gern jüngere (Werbe)-Kunden ansprechen möchte und die User daher munter duzt. Das kann einem schon unter normalen Umständen gehörig auf die Nerven gehen.

Infos auch für notorische Gaffer

Im Falle Marcel H. hat derwesten.de freilich mehrfach den Bogen überspannt. Sehr früh schon, nämlich bereits in den Morgenstunden am vergangenen Dienstag, hat man den vollen Namen des dringend Verdächtigen (der sich angeblich im Internet mit der Tat gebrüstet hatte) genannt. Hier geht es keineswegs um Mitleid mit dem mutmaßlichen Mörder, sondern um sein familiäres und sonstiges Umfeld. Besonders in Herne selbst gibt es wahrscheinlich viele, die mit dem Namen etwas anfangen können, etwaige Spinner und Idioten eingeschlossen.

Auch mögliche Gaffer und vielleicht auch Trittbrettfahrer wurden sozusagen bestens bedient. Man las in den vielfach aufgeregt-kurzatmigen Berichtsfetzen nicht nur den Straßennamen des Tatorts, sondern konnte auf Fotos auch Hausnummern erkennen und hätte sich vermutlich einiges erschließen können, um ungebeten „vor Ort“ aufzutauchen.

Dass es durchaus anders geht, belegt die gedruckte WAZ. Dort wird noch auf der heutigen Titelseite der Name des mutmaßlichen Täters abgekürzt – was der Berichterstattung übrigens keinerlei Abbruch tut und nichts von ihrer Brisanz nimmt.

Das Fahndungsfoto hätte genügt

Das von der Polizei herausgegebene Fahndungsfoto hätte vollauf genügt. Schließlich hatten die Beamten dringend davor gewarnt, den eventuell bewaffneten Kampfsportler Marcel H. anzusprechen oder gar auf eigene Faust stellen zu wollen. Sofort die Polizei anrufen, so lautete die richtige Anweisung. Wozu also der vollständige Name? Polemisch gefragt: Sollte man sich etwa als Passant seinen Ausweis zeigen lassen?

Bemerkenswert, dass derwesten.de am Dienstagnachmittag vorübergehend zurückruderte und den Namen wieder zu Marcel H. abkürzte; sei’s, dass ein mahnender Hinweis aus der Rechtsabteilung gekommen war, sei’s, dass jemand mit Weisungsbefugnis in der Redaktion ein Einsehen hatte.

Doch ach, die Zurückhaltung währte nicht lange. Kaum war klar, dass inzwischen auch andere Medien gleichfalls mit dem kompletten Namen herausrückten, stieg auch derwesten eilends wieder damit ein. Die Dämme waren nun einmal gebrochen. Geradezu genüsslich hieß es nun auch wieder, der mutmaßliche Täter werde „gejagt“.

Kläglich hilflose Wortwahl

Als er schließlich gefasst war, lautete die kläglich hilflose Formulierung, die Polizei habe ihn „geschnappt“. Leute, wir sind hier nicht bei einem harmlosen Spielchen wie „Spitz, pass auf!“ – „Geschnappt“, das kann man vielleicht mal bei einem x-beliebigen Taschendieb sagen, aber doch nicht bei einem mutmaßlichen Kindermörder. Da gibt es einige passendere Worte.

Der im Grunde schrecklich banale Vorgang, dass Marcel H. sich in einer Imbissbude gestellt hat, wird in einem Anreißer so aufbereitet, um nicht zu sagen „hochgehottet“: „So abgebrüht und dreist stellte … (voller Name) sich den Behörden„. Die dürren Mitteilungen, die dann folgen, rechtfertigen die vollmundige Ankündigung nicht.

Auch nach der besagten Pressekonferenz tönte man bei derwesten.de lauthals weiter. Zitat: „Eiskalt, aber er stach 120 Mal zu…“ Was das eingeschobene „Aber“ genau zu bedeuten hat, erschließt sich nicht. Und welch‘ eine Meisterleistung: die Stiche beider Mordtaten zu addieren und als summarische Horrorzahl zu präsentieren.

So sehr und mit allen technischen Mitteln (Texte, Fotos, Filme etc.) warf sich derwesten auf die Berichterstattung, so rundum wurde alles „gecovert“, dass man punktuell schon von Panikmache sprechen konnte. Der Informationsauftrag wurde gleichsam übererfüllt. Spürbar war die Konkurrenz mit der „Bild“-Zeitung, von der man sich im Kern des Ruhrgebiets keinesfalls übertrumpfen lassen wollte (und die – wen wundert’s? – auch ohne sonderliche Skrupel berichtete).

Nicht alles auf die Goldwaage, aber…

Übrigens, nur zum Beispiel: Auch der öffentlich-rechtliche WDR 2-Hörfunk hat nicht durchweg mit Maß und Ziel berichtet. Heute ließ man ohne Not und ohne jegliche Relativierung eine Hernerin im O-Ton zu Wort kommen, die ihr Kind seit Tagen nicht zur Schule geschickt und sich selbst in der Wohnung verbarrikadiert hatte. Und dann gleich wieder Musik…

Zurück zu derwesten.de: Ja klar, ich habe gut reden. In der allgemeinen Hektik kann man wohl nicht jedes Wort auf die Goldwaage legen. Allerdings: Gedruckt stünde es für alle Zeiten da, online könnte man noch ein paar Kleinigkeiten korrigieren. Vor allem aber wäre es gut, wenn man merken würde, dass die Redaktion einen halbwegs verlässlichen Kompass hat.

Man kann allerdings neuerdings öfter den Eindruck bekommen, dass derwesten.de drauf und dran ist, den (auch nicht stets über jeden Zweifel erhabenen) journalistischen Ruf der WAZ in Mitleidenschaft zu ziehen.

 

 




Journalist damals: Möblierter Herr mit mechanischer Schreibmaschine

„Wie war das Leben ehedem / als Journalist doch angenehm.“ Dieser soeben flugs erfundene, allerdings recht wilhelmbuschig oder nach Heinzelmännchen-Ballade klingende Reim stimmt natürlich inhaltlich nicht, aber ein paar Dinge waren damals doch besser. Oder halt anders.

Zepter und Reichsapfel (alias Typometer und Rechenscheibe) als frühere Insignien der Zeitungsredakteure. (Foto: BB)

Zepter und Reichsapfel (alias Typometer und Rechenscheibe) als frühere Insignien der Zeitungsredakteure. (Foto: BB)

Jetzt erzähl ich euch mal was aus der Bleizeit, jedoch quasi impressionistisch, wie es mir gerade in den Sinn kommt:

Zeitungs-Volontär war ich mit knapp 20 Jahren, bereits vor dem Studium. Damals ging so etwas noch. Ich habe etwa 600 DM (Deutsche Mark) im Monat verdient, es gab jede Menge Abendtermine, lediglich 14 Tage Jahresurlaub und für allfällige Sonntagsarbeit noch keinerlei Freizeitausgleich.

Für die paar Kröten…

Mit anderen Worten: Für die paar Kröten hat man aber so richtig geschuftet – bei der „Westfälischen Rundschau“ (WR) damals letzten Endes für die Kassen der SPD, die WAZ-Gruppe ist erst später eingestiegen. In seinen frühen Zwanzigern hielt man Frondienste dieser Sorte noch klaglos aus; zumal man ja glaubte, den Job für alle kommenden Zeiten sicher zu haben.

Ich fand es sogar aufregend. Meine allererste Meldung mit Cicero-Zeile, meine allererste Reportage, meinen allerersten Gerichtsbericht, meine allererste Theaterkritik (zunächst lokalen Ausmaßes). Alles war noch so neu und frisch. Fotos durfte man ebenfalls machen und in abgedunkelten Hinterzimmern oder dito Toiletten selbst entwickeln. Toll.

Von Ort zu Ort

Man war als „Volo“ gehalten, alle paar Monate von Ort zu Ort zu wechseln (in meinem Falle waren das: Olpe, Ennepetal/Gevelsberg, Hamm, Ahlen mit Zwischenstationen in Dortmund und Wanne-Eickel – ich sag’s euch) und wohnte dort jeweils residenzpflichtig in möblierten Zimmern, die der Verlag angemietet hatte. Ja, ich bin als Jungspund in den frühen 70er Jahren tatsächlich noch ein „möblierter Herr“ gewesen. Schon damals hatte es etwas Vorgestriges.

Andererseits sind Journalisten zu jener Zeit von diversen Institutionen noch ein wenig hofiert und umgarnt worden, auch gab es prozentual und absolut ungleich mehr Zeitungsleser, die überdies noch etwas mehr Respekt hatten. Wir „Zeitungskerle“ (so mein altvorderer Kollege Charly P.) galten noch etwas, jedenfalls auf lokaler Ebene. Da gab’s vielleicht schon mal einen erzürnten Leserbrief, aber keine wüsten Beschimpfungen, erst recht keinen „Shitstorm“ oder gar Drohungen wie hie und da jetzt.

Klare Partei-Präferenzen

Der Deutsche Journalistenverband (DJV) hat kürzlich in seinem Newsletter aus einer Studie über die erschreckenden Erfahrungen zitiert, die viele Kollegen heute, in den Zeiten des „Lügenpresse“-Gegröles, damit machen müssen. Früher waren solche Zustände undenkbar.

Als WR-Redakteur hielt man es damals tunlichst eher mit den Sozialdemokraten. Ruhrnachrichten und Westfalenpost galten hingegen als CDU-nah. Wie hübsch die Präferenzen damals noch verteilt waren… Und damit es nur deutlich gesagt ist: Journalisten fungierten in dieser anscheinend klar gegliederten Welt zuweilen auch als nützliche Idioten, als Erfüllungsgehilfen der Polit-Darsteller ihrer jeweiligen Couleur. Manchmal ging es vollends unverblümt her: Ein WR-Lokalchef war zugleich SPD-Ratsherr – in der Nachbarstadt, so dass er wenigstens nicht über sich selbst berichten musste.

Zigaretten zur Selbstbedienung

Jedenfalls war es in den 70ern und bis in die frühen 80er hinein noch üblich, dass bei so manchen lokalen Pressekonferenzen Kästchen mit Zigaretten zur gefälligen Selbstbedienung auf dem Tisch standen. Geraucht wurde immer und zu jeder Gelegenheit. Der eine oder andere Kollege verließ den Termin nicht, ohne den notorischen „Journalisten-Rollgriff“ angewendet zu haben, sprich: Er nahm noch einige zusätzliche Zichten als Wegzehrung mit. Wie hatte Kurt Tucholsky in den 20er Jahren schon geschrieben: Journalismus sei ein Beruf, den man (nur) mit der Zigarette im Mundwinkel ausüben könne.

Grundnahrungsmittel Bier

Hinzu kam, bevor die Computer Einzug hielten und die Korrektoren eingespart wurden, als tägliches Grundnahrungsmittel mindestens das Bier. Gelegentlich ging es damit schon (oder erst?) mittags los, wenn andere Berufe schon ihren Grundpegel erreicht hatten. Die mit der mechanischen Schreibmaschine gehackten und per Kurier oder Regionalzug zur Zentrale geschickten Manuskripte wurden ja dort allesamt noch mehrfach überprüft. Was sollte also schon passieren? Noch Mitte der 80er Jahre gab es vereinzelt Ausstellungs-Vorbesichtigungen, zu denen stilvoll und kultiviert Cognac gereicht wurde, was allerdings auch mit der Disposition gewisser Museumsleiter zu tun hatte. Zum Wohle? Nun ja. Wie man’s nimmt.

In New York verwöhnt

Heute ziemlich undenkbar wäre auch ein Kulturtermin, der die seinerzeit noch zahlreicheren Regionalblätter von Nordrhein-Westfalen mit einem beachtlichen Tross nach New York führte und aus dem Etat des Düsseldorfer Kulturministeriums bestritten wurde. Einziger Anlass war ein bevorstehendes NRW-Kulturfestival im Big Apple, von dem unsere Leser eigentlich herzlich wenig hatten. Doch man verwöhnte uns geradezu korrumpierend mit Linienflug, Unterkunft in einem noblen Hotel und einem hochinteressanten Programm, das vom Besuch bei der New York Times bis zum eigens polizeilich geschützten Trip durch die seinerzeit so gefährliche Bronx reichte. Als das Land NRW noch glaubte, Geld freihändig ausstreuen zu können…

Auch hättet ihr gestaunt, wenn ihr gesehen hättet, was in der Vorweihnachtszeit an Firmen-Präsenten in unserer Wirtschaftsredaktion eingetroffen ist. Die Kollegen konnten die Gaben schwerlich zurückschicken, machten das Beste daraus und organisierten alljährlich eine Verlosung, zu der sich auch noch unsere betagten Rentner bemühten.

Aber ich verplaudere mich.

Verdichtung der Arbeit

Spätestens seit Anfang der 80er wurde die gesamte Zeitungsbranche mit Aufkommen der Computer recht zügig diszipliniert. Die Arbeit verdichtete sich zusehends, man schrieb nicht nur, sondern war nun auch gleichzeitig Layouter, Setzer, Korrektor und Schlussredakteur. Irgendwann war es so weit, dass man sich keine Mittagspausen mehr erlauben konnte, sondern nur noch hastig etwas nebenbei verschlang. Die Leute, die in den Beruf nachrückten, waren im Schnitt stromlinienförmiger als ihre älteren Kolleginnen und Kollegen. Vorher gab es noch Typen. Typen…




Was im Revier sonst noch so geschieht… – Es war wieder mal einer dieser Donnerstage mit lauter neuen Ausstellungen

Wir erinnern uns: Das seit jeher von Kirchturmpolitik geplagte Ruhrgebiet hatte sich für 2010 zusammengerauft, um einmal gemeinsam als „Kulturhauptstadt Europas“ zu firmieren. Um das Thema einige Nummern kleiner aufzugreifen: Schon oft hätte man sich gewünscht, dass es eine Koordinationsstelle gäbe, die beispielsweise regionale Pressetermine miteinander abgleicht – und sei’s für den Anfang auch nur (ganz bescheiden) auf musealem Gebiet.

In Hamm zu sehen: Siegward Sprotte "Hiddensee", 1944, Aquarell (© Siegward-Sprotte-Stiftung)

In Hamm zu sehen: Siegward Sprotte „Hiddensee“, 1944, Aquarell (© Siegward-Sprotte-Stiftung)

Doch nein! Immer und immer wieder kommt es vor, dass zum allseits beliebtesten Vorbesichtigungs-Tag, dem Donnerstag, vier, fünf, sechs oder noch mehr Termine in mehr oder weniger unmittelbarer Nachbarschaft gleichzeitig anberaumt werden. So beispielsweise auch gestern, am 2. Februar.

Man sollte ab 11 bzw. 11.30 Uhr beileibe nicht nur die neue Ausstellung über Emil Schumacher in Hagen („Orte der Geborgenheit“) geneigt zur Kenntnis nehmen, sondern etwa auch eine Auswahl von Reisebildern des Landschaftsmalers Siegward Sprotte im Gustav-Lübcke-Museum in Hamm, die gleichfalls mit „Orten“ im Titel daherkommt („Reise doch – bleibe doch!“ – Orte der Inspiration). Hier hätte man sich also schon bei der Formulierung absprechen können. Zu spät…

Zwei weitere Termine liefen überdies praktisch parallel in derselben Stadt, nämlich in Dortmund: Das Künstlerhaus im Sunderweg präsentierte der Presse seine neue Schau „Ohne Netz und doppelten Boden – Über die Uneindeutigkeit von Bildern“, die DASA Arbeitswelt Ausstellung lud unterdessen zur „Alarmstufe Rot“ über Katastrophen und deren Bewältigung. Keine Kunst, aber ebenfalls ein museales Angebot.

Damit längst nicht genug: Zur gleichen Zeit bat „nebenan“, in der Landeshauptstadt Düsseldorf, die Kunstsammlung NRW/K 21 zur umfangreichen Retrospektive über den belgischen Künstler Marcel Broodthaers. Gewiss, Düsseldorf zählt nicht zum Ruhrgebiet, doch sollte man vor allem im Raum Duisburg und Essen ein Auge darauf haben, wann dort was geschieht. Sonst fahren die meisten Kulturschreiber dorthin und nicht in die Ruhr-„Provinz“.

Im Künstlerhaus Dortmund ausgestellt: Katharina Maderthaner "Zick Zack" (2016), Acry auf Holz.

Im Künstlerhaus Dortmund ausgestellt: Katharina Maderthaner „Zick Zack“ (2016), Acryl auf Holz.

Und damit habe ich noch nicht einmal alle Gelegenheiten aufgezählt, die sich gestern ergeben haben.

Klar, wenn ich jetzt für Ruhrgebietswerbung zuständig wäre, würde ich entgegnen, dass wir hier eben sooooo viele Kulturstätten haben, dass gelegentlich ein zeitliches Zusammentreffen kaum zu vermeiden ist. Das Argument lassen wir jetzt mal auf uns wirken.

Immerhin gibt es ja inzwischen den beachtlichen Kooperations-Verbund der Ruhrkunstmuseen, mit dem 20 Häuser in 15 Städten ihre Kräfte bündeln wollen. Hier erfolgen Absprachen mittlerweile auf kürzeren Dienstwegen als ehedem. Es möge weiterhin nützen. Und die Idee möge niemals auf bloße Einsparmöglichkeiten reduziert werden.

Es war zu hören, dass gestern auch bei personell halbwegs potenten Medien ob der Termin-Überschneidungen gestöhnt wurde. Nun aber wollen wir, die wir als Kulturblog erst recht kein halbes Dutzend kunstsinniger Journalistinnen und Journalisten gleichzeitig aufbieten können, wenigstens noch zu den Internet-Auftritten der oben genannten Häuser verlinken. Here we go:

Emil Schumacher Museum, Hagen: www.esmh.de
Gustav-Lübcke-Museum, Hamm: www.museum-hamm.de
Künstlerhaus Sunderweg, Dortmund: www.kh-do.de
DASA, Dortmund: www.dasa-dortmund.de
K21 in Düsseldorf: www.kunstsammlung.de




Das Haus und die Geborgenheit im Werk von Emil Schumacher – eine Ausstellung, die so nur in Hagen möglich ist

Emil Schumacher: "Hama X", 1984, Öl auf Karton. (© VG Bild-Kunst, Bonn 2017/Emil Schumacher)

Emil Schumacher: „Hama X“, 1984, Öl auf Karton. (© VG Bild-Kunst, Bonn 2017/Emil Schumacher)

Über das reichhaltige Werk von Emil Schumacher (1912-1999) kann man immer wieder staunen. Stets aufs Neue finden sich ungeahnte Aspekte, Themen und Formen. Längst meint man, diesen Künstler als internationale Größe des Informel und der Abstraktion zu „kennen“. Tatsächlich kam er in seinem Spätwerk – wie verschlüsselt auch immer – aufs gegenständliche Repertoire früherer Zeiten zurück. Beispielsweise auf das Haus und sonstige Orte der Geborgenheit.

Solche Motive haben sein Sohn, der vormalige Bottroper Museumsdirektor Dr. Ulrich Schumacher, und Rouven Lotz, Leiter des Hagener Emil Schumacher Museums, im Werkzusammenhang so auffallend häufig vorgefunden, dass jetzt eine eigene Ausstellung daraus entstanden ist. Man muss diese Bilder gar nicht unbedingt, wie Rouven Lotz es unternimmt, mit dem in der Nachkriegszeit und leider auch jetzt wieder so virulenten Themenkomplex Flucht und Vertreibung in Bezug setzen, um ihnen zeitgemäße Bedeutsamkeit zuzusprechen.

Die Ausstellung umfasst rund 70 Bilder, überwiegend intimere, oft spontan skizzenhafte Arbeiten auf Papier. Zeitlich reicht der Bogen von den späten 1930er Jahren bis in die 1990er. Auch hierbei zahlt es sich wieder aus, dass der Künstlersohn Ulrich Schumacher etliche Arbeiten aus dem Kunstmarkt herausgehalten und verwahrt hat. Jetzt bilden sie zum großen Teil den Fundus des Schumacher Museums.

Aus dem Frühwerk: Emil Schumacher "Industriestraße I", 1946, Aquarell und Tusche auf Bütten. (© VG Bild-Kunst, Bonn, 2017/Emil Schumacher)

Aus dem Frühwerk: Emil Schumacher „Industriestraße I“, 1946, Aquarell und Tusche auf Bütten. (© VG Bild-Kunst, Bonn, 2017/Emil Schumacher)

Fast alle Bilder erstmals zu sehen

So kommt es auch, dass abermals bislang nie öffentlich gezeigte Bilder zum Vorschein kommen. In der neuen Ausstellung sind es rund 60 von 70, also beinahe alle. Man kann mit Fug und Recht von einer vielfältigen Premiere sprechen, wie sie so nur in Hagen möglich ist. Apropos: In diese Stadt und in das zu Beginn des 19. Jahrhunderts von seinem Urgroßvater errichtete Haus in der Bleichstraße ist Emil Schumacher von allen Reisen immer wieder zurückgekehrt. Lokale Verwurzelung und Weltgeltung sind keinesfalls Gegensätze.

Liebenswerte Erinnerung: Künstlersohn Ulrich Schumacher mit einem KInderbildnis seiner selbst, das der Vater 1942 angefertigt hat. - Emil Schumacher: "Ulrich am Tisch" (Kohlezeichnung). (Foto: Bernd Berke)

Liebenswerte Erinnerung: Künstlersohn Ulrich Schumacher mit einem Kinderbildnis seiner selbst, das der Vater 1942 angefertigt hat. – Emil Schumacher: „Ulrich am Tisch“ (Kohlezeichnung). (Foto: Bernd Berke)

Der angenehm überschaubare und gehaltvolle Rundgang beginnt u. a. mit Porträts, die Emil Schumacher in der Nachkriegszeit von seinem Sohn Ulrich angefertigt hat, als der noch ein kleines Kind gewesen ist. Man merkt es Ulrich Schumacher wahrlich an, wie freudig bewegt er ist, wenn er diese Bilder heute betrachtet. Damals hat er das mitunter langwierige „Modellsitzen“ für den Vater nach eigenem Bekunden eher als Tortur empfunden. Signatur der ärmlichen Zeit: Auf einem Bild trägt der kleine Ulrich eine kurze Hose, die notdürftig aus einer alten Wehrmachtsdecke genäht worden war; auf einem anderen sieht man ihn in Erwartung des Essens, seine kindliche Ungeduld ist nur mühsam gebändigt.

Zum Wesen der Dinge vordringen

Mit den Sohnesbildern ist zugleich der Bereich des Familiären und Häuslichen aufgerufen, mithin auch der des Schutzes vor der stürmischen, zudringlichen Außenwelt, auf den man auch und gerade in finsteren Zeiten hofft. Anfangs noch im Stile der Neuen Sachlichkeit, dann in expressionistischer Weise, hat Emil Schumacher solche bergenden und einhegenden Räume oder Zonen dargestellt.

Interessant ist ein Vergleich zweier Darstellungen seiner Ateliers von 1938 und 1983. Auch diese Arbeitsstätten hat er als Schutzräume begriffen, in die einzig und allein seine Frau eintreten durfte. Jahrzehnte eines intensiven und ertragreichen Künstlerlebens liegen zwischen den beiden Fassungen. Immer mehr ist das innere, nicht sogleich sichtbare Wesen der Dinge in den Vordergrund gerückt.

Emil Schumacher: "G-35/1980" (1980), Gouache auf braunem Packpapier. (© VG Bild-Kunst, Bonn 2017/Emil Schumacher)

Emil Schumacher: „G-35/1980“ (1980), Gouache auf braunem Packpapier. (© VG Bild-Kunst, Bonn 2017/Emil Schumacher)

Anfangs sehen wir noch Bilder mit erzählender, ja anekdotischer Anmutung, später gerinnen sie zusehends zu einer ursprünglichen, archaischen Formensprache, die menschliche Urerfahrungen betrifft – wie nur je bildliche Entwürfe seit den vorzeitlichen Höhlenzeichnungen.

Die Grenzen der Interpretation

Vor den späteren, letztlich zeitenthobenen Bildern kann jeder Betrachter sozusagen seine Phantasie spazieren führen. Eben dies empfiehlt auch Rouven Lotz, der angesichts solcher Schöpfungen sehr wohl die Grenzen der kunstwissenschaftlichen Interpretation sieht. Die Schlussakkorde sind gleichzeitig der Übergang zu Teilen der Dauerausstellung. Hier zeigt sich, dass die Hausform auch in den großen Gemälden unversehens wieder auftaucht. Je nach Gusto könnte man den Rundgang auch an dieser Nahtstelle beginnen und sodann rückwärts durch die Zeiten schreiten.

Emil Schumacher im Jahr 1981. (Foto: Ralf Cohen, Kalrsruhe / Emil Schumacher Museum, Hagen)

Emil Schumacher im Jahr 1981. (Foto: Ralf Cohen, Kalrsruhe / Emil Schumacher Museum, Hagen)

Wüsste man nicht, wie sehr sich Emil Schumacher schon früh für Grundformen des Hauses und der Häuslichkeit interessiert hat, so würde man sie freilich auch nicht so leicht in den abstrakten Arbeiten entdecken. Hie und da mag dieses Wissen bei der Entschlüsselung des manchmal hermetisch erscheinenden Spätwerks helfen.

Andererseits kehren gerade in späteren Bildern figurative Elemente wieder. Das aber macht die Angelegenheit nicht unbedingt leichter. Im Gegenteil: Eigentlich ist sie ziemlich vertrackt. Denn der zur und durch Abstraktion gereifte Schumacher hat nicht mehr plan- und absichtsvoll den Vorsatz gefasst, Häuser auf Papier oder Leinwand zu bringen. Derlei Formen haben sich vielmehr aus dem gestischen Malprozess selbst ergeben, oft auch nur als vage Anklänge oder gar aus „Zufällen“ der Linienführung. Auf gesichertem Gelände befinden wir uns also nicht. Es ist schließlich Kunst, die ins Offene strebt.

Emil Schumacher: Orte der Geborgenheit. Emil Schumacher Museum, Hagen, Museumsplatz 1 (Navi: Hochstraße 73). Vom 5. März bis zum 28. Mai 2017.  Geöffnet Di-So 11-18 Uhr. Katalog 80 Seiten, rund 90 Abb., im Museum 19,90 Euro (im Buchhandel 24,90 Euro). Internet: www.esmh.de




Ruhrfestspiele: Intendant Frank Hoffmann nimmt Mitte 2018 Abschied von Recklinghausen

Furchtbar überraschend kam die Nachricht eigentlich nicht: Ruhrfestspiel-Chef Frank Hoffmann wird sich mit seiner 14. Spielzeit im Mai und Juni 2018 von Recklinghausen verabschieden. Nach so vielen Jahren kann man sich schon mal neu orientieren – erst recht auf kulturellem Gebiet.

Ruhrfestspiel-Intendant Frank Hoffmann. (Foto: © Ruhrfestspiele)

Ruhrfestspiel-Intendant Frank Hoffmann. (Foto: © Ruhrfestspiele)

Der gebürtige Luxemburger Hoffmann (Jahrgang 1954) ergreift die Gelegenheit zum Wechsel mit dieser Begründung: „Das Ende des Steinkohlebergbaus im Jahr 2018 bedeutet auch eine wichtige Zäsur in der Geschichte der Ruhrfestspiele. Deshalb ist es auch für mich persönlich der richtige Zeitpunkt, nach 14 großartigen Jahren einen Schnitt zu machen und zu neuen Horizonten aufzubrechen.“ Das klingt doch ebenso druckreif wie einigermaßen vollmundig.

Noch etwas mehr Pressestellen-Prosa gefällig? „Theater sind vielleicht austauschbar, aber ich werde den grünen Hügel in Recklinghausen mit seiner besonderen Magie und vor allem die Menschen im Ruhrgebiet vermissen. Sie sind einzigartig.“ Genau so etwas sagt man, um einen bevorstehenden Abschied vom Revier anzukündigen. Hoffmann weiß eben, was sich ziemt.

Besucherzahlen enorm gesteigert

Tatsächlich hat niemand die 1946/47 gegründeten Ruhrfestspiele länger geleitet als Frank Hoffmann, der außerdem (schon seit dessen Gründung 1996) Intendant des Théâtre National du Luxembourg ist. Kein anderer hat zudem die Besucherzahlen der Ruhrfestspiele derart nachhaltig gesteigert. Kein Wunder, dass sein Vertrag immer wieder verlängert wurde.

Angetreten im September 2004 nach einer krisenhaften Phase (in der sein Vorgänger Frank Castorf das Große Haus und die anderen Stätten gleichsam leergespielt hatte), hievte Hoffmann das Festival von 22.000 nach und nach auf über 55.000 Besucher. Inzwischen sind es rund 80.000, die pro Jahr nach Recklinghausen pilgern. Solche Bilanzen dürften mit den vorhandenen Mitteln kaum noch zu übertreffen sein.

Zentraler Spielort: das Festspielhaus. (Foto: Torsten Janfeld)

Zentraler Spielort: das Festspielhaus in Recklinghausen. (Foto: Torsten Janfeld)

Hoffmann setzte ganz bewusst auf eine Vielzahl von Uraufführungen und hielt dabei so manche Entdeckung bereit. Auch hat er renommierte Theater aus aller Welt zu Gastspielen geholt, die wichtigsten deutschsprachigen Bühnen zeigten hier ebenfalls bedeutende Inszenierungen. Immer wieder gastierten internationale (Film)-Stars wie etwa Cate Blanchett und Kevin Spacey bei den Ruhrfestspielen. Selbst eine nur stichwortartige Aufzählung der wichtigsten Produktionen würde jeden üblichen Textrahmen sprengen.

Hoffmanns eigene Inszenierungen galten indes meist nicht als künstlerische Höhepunkte der Spielzeiten. Seine Art des Zugriffs fand zumindest nicht den mehrheitlichen Beifall ästhetisch verwöhnter Rezensenten, sie wirkte mitunter etwas bieder und nicht allzu couragiert. Nach den in und um Recklinghausen schwer zu vermittelnden Egotrips eines Frank Castorf war das breite Publikum für solcherlei Theater allerdings dankbar. Warum auch sollten die Ruhrfestspiele mit der Ruhrtriennale in Sachen Avantgarde gleichziehen wollen? Besser ist es doch, in der Region zu einer vernünftigen „Arbeitsteilung“ der großen Festivals zu kommen.

Nehmt alles nur in allem, so wäre zu loben: Hoffmann hat mit seinem Team vielfach Gespür fürs Populäre, auch fürs Gängige bewiesen, ohne an der Qualität zu rütteln. Er war und ist ein „Ermöglicher“ von hohen Graden. Just das ist es, was einen Theatermann seines Zuschnitts auszeichnet. In diesem Sinne kann er seinen Prägestempel nun noch zwei weiteren Spielzeiten (2017 und 2018) aufdrücken.

Unterdessen hat sich Hoffmann bereit erklärt, auch an der Suche nach einem/einer Nachfolger(in) beratend mitzuwirken. Das bisherige Anforderungsprofil kennt er jedenfalls am allerbesten. Den Trägern des Festivals (zu je 50 Prozent Stadt Recklinghausen und Deutscher Gewerkschaftsbund) kann man bei der Neubesetzung des Postens jedenfalls nur eine glückliche Hand wünschen.

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www.ruhrfestspiele.de




Münster bleibt dem Tiger treu

Im westfälischen Münster hält man auf Tradition. Man gibt das Gestern nicht so leicht verloren.

Fertiggestellt: Zootiger Rasputin in der Präparations-Werkstatt. (Foto: LWL/Steinweg)

Fertiggestellt: Zootiger Rasputin in der Präparations-Werkstatt des Naturkundemuseums. (Foto: LWL/Steinweg)

So haben die Münsteraner  – berühmtestes Beispiel – nach dem Krieg ihren historischen Prinzipalmarkt getreulich wieder neu erstehen lassen. Welch ein Gegensatz zu Dortmund, wo das damals älteste steinerne Rathaus Deutschlands 1955 kurzerhand abgerissen wurde.

Wir wechseln auf ein ganz anderes Feld, bleiben aber im Modus der Überlieferung: In Münster mag man sich nicht einmal von besonderen Tieren des Allwetterzoos ganz und gar trennen.

Jetzt ist der im Februar 2016 gestorbene Amur-Tiger Rasputin (er musste wegen eines Tumors am rechten Vorderlauf eingeschläfert werden) wieder in seiner prachtvollen Gestalt vorhanden. Er wurde von Fachleuten des Münsteraner LWL-Museums für Naturkunde Millimeter um Millimeter sorgsam präpariert.

2013 einen Tierpfleger getötet

Entscheidend fürs stimmige Gesamtbild seien Kleinigkeiten, zum Beispiel, „wie welche Streifen im Fell wo saßen“, sagt Präparator Markus Ranft, der den Gesichtsausdruck des majestätischen Tieres anhand von vielen Fotos nachgebildet hat. Keine leichte Aufgabe, denn langjährige Zoobesucher kannten das Aussehen dieses Tigers genau, ihnen kann man nichts vormachen. Unter dem Fell verbirgt sich freilich nicht das Originalskelett, sondern eine vorgefertigte Form.

Nun sieht er fast wieder so aus wie früher im Zoo. Man mag das zunächst vielleicht ein wenig gruselig finden, doch das liegt wohl hauptsächlich daran, dass das Tier noch nicht so lange tot ist. Rasputin hat vielen Menschen als lebendiges Wesen imponiert. Doch es bleiben nicht nur erfreuliche Erinnerungen an ihn. 2013 hatte Rasputin einen Pfleger durch einen Genickbiss getötet.

Wann eine breitere Öffentlichkeit den präparierten Tiger erstmals sehen kann, steht noch nicht fest. Er soll, wenn es thematisch passt, künftig im Rahmen von Sonderausstellungen des Naturkundemuseums gezeigt werden.




Stand jetzt ziemlich „humorlos“ – Notizen zum TV-Fußballjargon

Über die gängigen Floskeln der Fußball-Kommentatoren im Fernsehen kann man sich – je nach Laune – immer wieder amüsieren oder echauffieren. Hier sind ein paar neuere Standard-Wendungen, die ich mir in letzter Zeit geflissentlich notiert habe:

"Der hat ein anderes Spiel gesehen als ich." (Verfremdeter Screenshot aus dem Dortmunder Stadion)

„Der Blindfisch hat ein anderes Spiel gesehen als ich.“ (Verfremdeter Screenshot einer Begegnung im Dortmunder Stadion)

Gilt es ein Foul zu bewerten, heißt es vom Reporterplatz aus gern: „Da gibt es keine zwei Meinungen“. Diese Verfügung im nahezu diktatorischen, jedenfalls keinen Widerspruch duldenden Gestus bedeutet, dass der Kommentator genau und unwiderleglich weiß, ob es regelwidrig zugegangen ist oder nicht. Könnte der Schiedsrichter ebenfalls Zeitlupen aus einem Dutzend Blickwinkeln begutachten, wäre er vielleicht ebenso oberschlau. Wenn’s denn überhaupt stimmt, was der rundum bildversorgte Fernsehmann gesehen haben will.

„Mit allem, was er hat“

Ein kompromissloser Abwehrspieler wird seit einigen Jahren bevorzugt als „humorlos“ bezeichnet. Auch seine entschlossene Grätsche ist „humorlos“. Wer also Mist baut und dem Gegner dadurch unnötige Chancen gestattet, besäße im Umkehrschluss beträchtlichen Humor. Wat hammwer da gelacht! Apropos Abwehrspieler, einige Kommentatoren gefallen sich öfter mal in der erlesenen Formulierung, einer gehe „mit allem, was er hat“ in die Szene `rein. Das muss man sich im Vortrag mit einem ganz leicht gekräuselten Grinsen vorstellen. Wie denn überhaupt weichgespülte Ironie zur Grundausstattung gehört.

Diverse Sprecher gelangen freilich eh kaum über ein pures Nachplappern dessen hinaus, was man als Zuschauer mit eigenen Augen sieht. Man möchte unentwegt „Ach was!“ murmeln: Kommt einer nicht an den Ball, sagen sie „Er kommt nicht `ran“, stehen Widersacher seinem Schuss im Wege, heißt es, er sei „geblockt“ worden. Segelt eine Flanke etwas zu weit, ist sie „gut, aber nicht gut genug“. Verfehlen Pässe ihr Ziel, mangelt es an „Präzision“. Greift eine Mannschaft an, steht sie „hoch“, zieht sie sich nach hinten zurück, steht sie „tief“. Welch‘ ein (tief)sinnig ausdifferenziertes Fachvokabular… Vorteil: Bei solchen Nullformeln kann man vielfältig andocken und zu (un)passender Gelegenheit auch mal Bescheidwisser-Schenkelklopfer wie etwa Mentalitätsmonster“ oder „Feierbiest“ einstreuen.

Als man noch von „Granaten“ sprach

Der wohl schlimmste Mikrophonquäler von allen, den ich hier nicht namentlich nennen mag (er labert für einen Bezahlsender drauflos) und mit dem verglichen selbst Béla Réthy, Tom Bartels oder Gerd Gottlob wahre Leuchten ihrer Zunft sind, überbrückt die Zeit mit Bemerkungen des Kalibers, dass es dieser (oder eben jener) Mannschaft gefallen würde, wenn sie z.B. noch ein, zwei Tore macht, die Punkte holt und gewinnt. Man hält es nicht für möglich. Da sehnt man sich heftig zurück nach einem Ernst Huberty, der auch mal eine ganze Strecke schweigen konnte. Okay, wenn dann ein entscheidendes Tor fiel, war er auch nicht vollends aus dem Häuschen. Aber das konnte man verschmerzen. Ein paar Emotionen brachte man ja selbst mit.

Immerhin knödeln sie alle heute längst nicht mehr im martialischen Jargon von früher, als stets von Bomben und Granaten die Rede war und der erfolgreichste Stürmer als „Bomber der Nation“ bezeichnet wurde. Bis tief in die 70er Jahre hinein ging das so. Es war die Zeit, als der eine oder andere tyrannische Trainer noch geschrien haben soll: „Ihr müsst Gras fressen“. Dies und das pathetische Wochenschau-Tremolo der 50er Jahre, in denen der Krieg noch nachzitterte, brauchen wir erst recht nicht mehr.

Es kommt auf die Sekunde an

Statt dessen bequatschen uns jetzt Sprachverweigerer, die nicht mehr „nach jetzigem Stand“ sagen können. Die allermeisten sagen immer nur „Stand jetzt“, auch dann, wenn es z. B. um Transfergerüchte geht. Auch bringen sie nicht „die erste Halbzeit“ über die Lippen, sondern immer nur „Halbzeit eins“ oder „Minute zehn“, um nur ja keine Sekunde zu verschenken. Die gewonnene Zeit füllen sie sodann mit aberwitzigen Statistiken. Oder sie weisen schon mal wortreich auf die anschließende „Analyse“ respektive auf eine selbstverständlich hochkarätige Expertenrunde hin, in der uns diese eben gesehene (läppische) Szene „noch lange beschäftigen“ werde.

Wo wir schon bei Minuten sind: Wenn es auf die Nachspielzeit zugeht, gibt es bei diesen Herrschaften immer zwei oder drei Minuten „oben drauf“, niemals „zusätzlich“. Pardon, ich habe eine Ausnahme vergessen: Für Bayern München gibt’s bei Bedarf natürlich mindestens 8 Minuten „oben drauf“.

Jaja, schon klar, man möchte mit diesen sich überaus wichtig nehmenden Leuten (außer womöglich beim Gehalt) auch nicht unbedingt tauschen. Unter dem Druck eines Millionen-Publikums würde jede(r) von uns gelegentlich Unsinn verzapfen. Doch was sind das für Zeiten, in denen man den arroganten und manchmal parteiischen, doch immerhin deutlich sprachbegabten Marcel Reif wieder am Mikro haben möchte? Vom unvergleichlichen Ruhri Werner Hansch mal ganz zu schweigen. Aber seit er das selbst zu sehr weiß, nervt auch er gelegentlich.

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Nachträge (werden gelegentlich aktualisiert)

„Gute Bewegung“ (Wenn einer am Gegner vorbeikommt)
„Das war kein Freistoß für die Geschichtsbücher.“
Der Ball wird „durchgesteckt“.
„Ein emotionaler Moment“ (Inflationär gebräuchlich, wenn etwas nicht ganz gleichgültig ist)

Das neueste Ding der Sport-Kommentatoren ist es, den mächtig intellektuell klingenden Begriff „Momentum“ einzustreuen. Spieler nutzen demnach nicht mehr den richtigen Moment, sondern das Momentum. Es ist zu erwarten, dass demnächst auch „Telos“ und „Kairos“ verwendet werden.

„Fix“ (Eher in Print-Produkten gebräuchlich. Bezeichnet in aller Kürze einen unzweifelhaft geschlossenen Vertrag bzw. erfolgten Transfer. Weiß der Teufel, wer zuerst darauf gekommen ist.)




Ernst Huberty wird 90 Jahre alt – Er stand für Fußball-Kommentare mit gedämpften Emotionen

TV-Legende Ernst Huberty (Screenshot aus: http://www.youtube.com/watch?v=VmYQEJ_Ww8E)

TV-Legende Ernst Huberty (Screenshot aus: http://www.youtube.com/watch?v=VmYQEJ_Ww8E)

Ernst Huberty, der legendäre ARD-Sportjournalist („Mister Sportschau“), wird heute 90 Jahre alt. Aus diesem Anlass noch einmal der Beitrag, der im Juni 2014 über ihn in der Revierpassagen-Reihe „TV-Nostalgie“ erschienen ist:

Wenn man Béla Réthy, Tom Bartels, Steffen Simon und Co. über Fußball palavern hört, dann sehnt man sich manchmal zurück in die alten Zeiten eines Kurt Brumme, Rudi Michel – oder Ernst Huberty. Wie nüchtern und abgeklärt wirkte das, verglichen mit heute.

Beispielsweise im Vorfeld der Fußball-WM in Brasilien fiel es 2014 wieder besonders auf, welch ein Geschrei inzwischen um den Fußball gemacht wird. Im Laufe eines Spiels werden alle möglichen und unmöglichen Statistiken geliefert, auch gibt’s schon mal neckische Anspielungen auf halb private Umtriebe der Kicker. Mal ganz abgesehen von der umfangreichen Vor- und Nachberichterstattung. Das alles war in den alten Zeiten undenkbar.

„Ausgerechnet Schnellinger“

Man höre sich noch einmal (leider nur in Ausschnitten möglich) Ernst Hubertys Fernsehkommentar zum sogenannten „Jahrhundertspiel“ zwischen Italien und Deutschland bei der Fußball-WM 1970 in Mexiko an. Lange wogte die legendäre Begegnung hin und her, es ging in eine Nerven zerreißende Verlängerung. Schließlich gewann Italien mit 4:3.

Man mag sich gar nicht ausmalen, wie heutige Sprecher bei einem solchen Match simulieren würden, dass sie von einer Ohnmacht in die andere fallen. Ernst Huberty, ab 4. Juni 1961 über Jahrzehnte der „Mister Sportschau“ der ARD (als noch keine private Konkurrenz drohte), blieb hingegen die Ruhe selbst. Ein leise, aber irgendwie doch intensiv dahingesagtes „Ausgerechnet Schnellinger“ markierte schon einen Gipfel der Gefühle.

Keine starken Gefühle zeigen

Tatsächlich wurde damals ja auch noch langsamer gespielt, so dass Huberty und Kollegen die Ballstaffetten sehr gemächlich mit bloßer Namensnennung abhaken konnten. Wenn überhaupt. Fiel ein Treffer, so reichte meist ein lakonisches „Und Tor.“ Oder dergleichen. Während des Spiels wurde oft einfach geschwiegen. Es gibt ja auch nicht immer was zu schwätzen.

Selbst das WM-Finale von 1966 (England – Deutschland 4:2) rang Rudi Michel nur begrenzte Emotionen ab. Jedenfalls trug er sein Herz nicht auf der Zunge, nicht einmal beim berühmten „Wembley-Tor“ (oder eben Nicht-Tor). „Das wird wieder Diskussionen geben“, sagte er, äußerlich seelenruhig, innerlich aber wohl bewegt. Männer durften damals noch immer keine allzu deutlichen Gefühle zeigen. Metallisch dröhnende Töne wie noch 1954 waren freilich auch nicht mehr erwünscht.

Wohltuend unaufgeregt oder langweilig?

Die Sprecher der 60er und 70er Jahre klingen für heutige Empfinden einerseits wohltuend unaufgeregt. Andererseits bringt man die Geduld für einen solchen Stil gar nicht mehr auf. Je nach Gemütszustand, möchte man Ernst Huberty am liebsten nachträglich schütteln: „Nun reg’ dich doch endlich mehr auf! Nun lass doch mal deinen Empfindungen freien Lauf!“

Es müsste mal einer ein Buch darüber schreiben, wie sich die Fernseh-Fußballreportage seit Hubertys Zeiten grundlegend verändert hat, mit Zwischenstationen wie Heribert Faßbender oder Gerd Rubenbauer – und wie sie alle hießen.

Ein Extra-Kapitel könnte man der Entwicklung widmen, dass gesellschaftliche Befunde anhand des Fußballs dingfest gemacht werden – und dass neuerdings auch mehr oder weniger subtiler Humor in Sachen Fußball erlaubt ist. Man vergleiche etwa den betulich ernsten „Kicker“ mit dem quicken und hellwachen Blatt „11 Freunde“…

Der Mann mit dem „Klappscheitel“

Ernst Huberty, der Mann mit dem unvergleichlichen „Klappscheitel“, hatte seine Laufbahn in den späten 50er Jahren begonnen. Als WDR-Sportchef und Moderator der Sportschau wurde er 1982 abgelöst, weil er es mit Spesenabrechnungen nicht so genau genommen haben soll. Man schob ihn ins dritte Programm ab.

1990 sprang Huberty beim noch neuen Bezahlsender Premiere ein und gab nebenher jungen Talenten wie Johannes B. Kerner oder Reinhold Beckmann Tipps. Doch da waren die alten Zeiten schon vorbei – und das unaufhörliche Geschrei über Fußball hatte begonnen.




Helmuth Macke stand stets im Schatten seines Cousins August – Jetzt holt das Kunstmuseum Ahlen seine Bilder ans Licht

Helmuth Macke: "Karussell am Rheinufer", 1924 (Öl auf Leinwand / Kunstmuseum Krefeld)

Helmuth Macke: „Karussell am Rheinufer“, 1924 (Öl auf Leinwand / Kunstmuseum Krefeld)

Wenn ein Museum bestimmte Künstler präsentiert, so will es ihnen in aller Regel besondere Wertschätzung erweisen oder sie überhaupt erst aufwerten, auf sie aufmerksam machen. Häufig könnte das Motto lauten: Seht her, diese Kunst wird bisher weithin unterschätzt, wir wollen dies ändern. So auch jetzt im Kunstmuseum Ahlen, wo Helmuth Macke in den Blickpunkt rückt, der Cousin des vier Jahre älteren, ungleich berühmteren August Macke.

Die Ahlener Schau ist zweite Station einer fünfteiligen Tournee mit jeweils wechselnden Werkschwerpunkten. Anlässe waren der 125. Geburtstag und der 80. Todestag Helmuth Mackes (1891-1936). Auf Konstanz (schon vorbei) und Ahlen folgen noch Penzberg, Erfurt und das August Macke Haus in Bonn.

Eine Frohnatur und ein Grübler

Ahlen ist mit von der Partie, weil es einschlägigen Eigenbesitz auch aus Mackes Umfeld vorweisen kann und weil der scheidende Museumsleiter Burkhard Leismann das Werkverzeichnis Helmuth Mackes erarbeitet; ein Projekt, das noch nicht abgeschlossen ist. Seit rund 30 Jahren bewegt sich Leismann, der nun quasi nach und nach in den Ruhestand geht, forschend auf Helmuth Mackes Spuren. Mit der jetzigen Ausstellung schließt sich also ein Kreis. Dass Leismann sich vollends aus dem Kunst-Kontext zurückzieht, mag man freilich kaum glauben.

Der scheidende Museumsleiter Burkhard Leismann, Kuratorin Ina Ewers Schulz vor Helmuth Mackes "Selbstporträt mit Palette", um 1910/11 (Öl auf Leinwand / Kunstmuseum Krefeld - Foto: Bernd Berke)

Der scheidende Ahlener Museumsleiter Burkhard Leismann und die Kuratorin Ina Ewers Schulz vor Helmuth Mackes „Selbstporträt mit Palette“, um 1910/11 (Öl auf Leinwand / Kunstmuseum Krefeld – Foto: Bernd Berke)

Helmuth und August Macke also. Die beiden haben stets freundschaftlich aneinander Anteil genommen, doch waren sie von sehr unterschiedlicher Gemütsart. Während der in Meschede geborene August Macke als Frohnatur galt, war der aus Krefeld stammende Helmuth Macke eher grüblerisch veranlagt. Immer wieder plagten ihn Selbstzweifel und Existenzängste. Bis heute steht er im Schattenbereich der Kunstgeschichte. Man fragt sich angesichts seiner Bilder, warum das so gekommen ist. Es hätte vielleicht nicht sein müssen.

Fast das ganze Frühwerk im Krieg zerstört

Schon mit 15 verließ Helmuth Macke die Schule, er hatte nicht einmal das „Einjährige“ (Realschulabschluss); ein Manko, das ihm später noch zu schaffen machen sollte. Immerhin kam er als junger Mann in Krefeld zeitig mit der künstlerischen Moderne in Berührung. Die dortige Kunstgewerbeschule, wo der Niederländer Johan Thorn-Prikker (der u. a. auch in Hagen wirkte) sein Lehrmeister war, öffnete sich den damals neuesten Strömungen aus Frankreich viel bereitwilliger als etwa die Akademie in Düsseldorf, die auf ältere, größtenteils verkrustete Traditionen hielt. Dort studierte August Macke also eher auf althergebrachte Art. Was die Moderne anging, hatte Helmuth anfangs einen gewissen „Vorsprung“. Doch was half’s?

Helmuth Macke: "Wasserkessel mit Rübe", 1909/10 (Öl auf Leinwand) (Privatbesitz)

Helmuth Macke: „Wasserkessel mit Rübe“, 1909/10 (Öl auf Leinwand) (Privatbesitz)

Es ist, als hätte das Unglück Helmuth Macke auch noch nach dem Tode verfolgt. Fast sein gesamtes Frühwerk ist im Zweiten Weltkrieg zerstört worden. Kuratorin Ina Ewers Schultz hat natürlich versucht, Raritäten aus den Anfangszeiten zeigen zu können, doch deren (Privat)-Besitzer mochten sich nicht von ihren Stücken trennen. Daher setzt diese Ausstellung erst um 1910 ein.

Kurz zuvor hatte Helmuth Macke am Tegernsee Künstler wie Franz Marc, Marianne von Werefkin, Jawlensky, Kandinsky und Gabriele Münter kennen gelernt – sozusagen die erste Riege der damaligen Avantgarde. Am Tegernsee entstand z. B. Helmuth Mackes Gemälde „Heuhocken in Sindelsdorf“ (um 1910) mit seiner durchaus eigenwilligen Formfindung und Farbigkeit. Im „Selbstporträt mit Palette“ (um 1910/11) zeigt er sich noch geradezu trotzig selbstbewusst.

Helmuth Macke "Niederrheinische Landschaft bei Lank am Rhein", 1926 (Privatbesitz)

Helmuth Macke „Niederrheinische Landschaft bei Lank am Rhein“, 1926 (Privatbesitz)

Hernach begegnete er in Berlin ja auch noch den Künstlern der „Brücke“-Vereinigung und freundete sich speziell mit Erich Heckel an. An hochkarätigen Inspirationen und an prominentem Zuspruch hat es mithin nicht gemangelt. Helmuth Macke gehörte einem regelrechten „Netzwerk“ an. Doch im Nachhinein scheint es, als sei er so etwas wie das schwächste Glied in der Kette gewesen.

Nirgendwo angekommen

Der schwerblütige Mann war keiner, der sein Glück beim Schopfe packte. Auch waren es mörderische Zeiten. Durch den Ersten Weltkrieg verlor er zwei seiner besten Gefährten, den Cousin August Macke und Franz Marc, der eine 27, der andere 36 Jahre jung. Helmuth Macke selbst wurde kriegsverletzt und erkrankte auf dem Balkan an Malaria. Seine Ortswechsel in all den folgenden Jahren wirken plan-, rast- und ruhelos, ja letztlich sogar im Wortsinne ortlos, als wäre er nie irgendwo richtig „angekommen“. Es wäre eine Frage von beträchtlicher Tragweite, ob dies auch die Kraft seiner Kunst geschmälert hat.

Die Ahlener Ausstellung umfasst rund 130 Bilder, etwa 80 stammen von Helmuth Macke und 50 von Freunden und Weggefährten aus dem Umkreis des Expressionismus. Zu nennen sind beispielsweise der schon erwähnte, einflussreiche Lehrer Johan Thorn-Prikker, sodann Heinrich Campendonk (ebenfalls Schüler bei Thorn-Prikker), Wilhelm Wieger und Heinrich Nauen. An mehreren Stellen sind auch einzelne Bilder von August Macke im Vergleich zu sehen. Und man kann nicht auf Anhieb sagen, dass er seinen Cousin Helmuth bei weitem überragt hätte, der sich nach 1914 übrigens intensiv um den Nachlass von August gekümmert hat.

Helmuth Macke: "Porträt Grete Hagemann (Frau Hoff", 1920, Öl auf Leinwand (Privatbesitz)

Helmuth Macke: „Porträt Grete Hagemann (Frau Hoff)“, 1920, Öl auf Leinwand (Privatbesitz)

Überhaupt ergeben sich hie und da ebenbürtige „Dialoge“, so etwa, wenn Katzen-Studien von Franz Marc, August und Helmuth Macke nebeneinander hängen. Oder wenn eine Serie von Badenden ahnen lässt, wie sehr sich Helmuth Macke ein zentrales Thema der „Brücke“-Künstler anverwandelt hat, das ihm zuvor fremd gewesen sein mag. Auch als Porträtist hat Helmuth Macke, wie hier mehrmals zu gewärtigen ist, Außerordentliches vermocht. Diese Bildnisse sind ausgesprochen lebendig und erfassen spürbar das Wesentliche.

Unterwegs zur Neuen Sachlichkeit

Wenn es dann auf den Stilwandel vom Expressionismus hin zur Neuen Sachlichkeit zugeht (generell eine hochinteressante, noch zu wenig erforschte Phase der Kunstgeschichte), hat Helmuth Macke gerade an den epochalen Schnitt- und Wendepunkten einige bemerkenswerte Bilder geschaffen. Am rätselhaft melancholischen „Paar am Tisch“ (1924) und am rasanten Auf und Ab beim „Karussell am Rheinufer“ (1924) wird man sich nicht so schnell sattsehen. Rein „sachlich“ gerierte er sich sowieso nicht, immer behielt er lyrische Momente bei.

Das Exponat mit dem größten Volumen ist indes kunsthandwerklicher Art: Ab 1925 schuf Helmuth Macke jenes apart blau grundierte und symbolträchtig bemalte Schlafzimmer-Ensemble (Bett, Kommode, Nachttisch, Spiegel, Schreibtisch und Stühle), das sich heute im Besitz eines Kunsthändlers befindet und – wie man gerüchteweise hört – für etwa 150.000 Euro auf den Markt kommen soll.

Ein Schlafzimmer für Dortmund?

Gelinde Überraschung: Indirekt hat dieses Schlafzimmer mit Dortmund und dem Museum Ostwall zu tun. Entstanden ist es nämlich für den Sommersitz des Maschinenfabrikanten Karl Gröppel am Chiemsee. Gröppel sammelte seinerzeit Kunstwerke der Avantgarde – und 1957 kaufte just das Ostwall-Museum das bedeutende Konvolut von rund 200 Werken an. Die Kollektion bildet den Kernbestand des Dortmunder Hauses.

Helmuth Macke: "Blaues Zimmer" (achtteiliges Schlafzimmer-Ensemble), für das sich im Hintergrund auch ein TV-Kameramann interessiert. (Artax Kunsthandel KG)

Helmuth Macke: „Blaues Zimmer“ (achtteiliges Schlafzimmer-Ensemble), für das sich im Hintergrund auch ein TV-Kameramann interessiert. (Artax Kunsthandel KG) (Foto: Bernd Berke)

Burkhard Leismann hält dafür, dass das von Helmuth Macke für Gröppel geschaffene Mobiliar ein idealer Zukauf für Dortmund wäre. Ergänzend wäre anzumerken, dass es nicht nur zum Geist des Ostwall-Museums, sondern wahrscheinlich auch gut zu den Sammelschwerpunkten des Dortmunder Museums für Kunst und Kulturgeschichte sich fügen würde. Fein. Jetzt müsste nur noch jemand den Dortmundern mal eben 150.000 Euro plus minus X anreichen…

Rätselhafter Tod im Bodensee

Zurück zu Helmuth Macke, dessen Tod bis heute rätselhaft anmutet. 1933 war er an den Bodensee gezogen. Der ohnehin zu Depressionen neigende Künstler litt am Unwesen der NS-Zeit und sah sich in die innere Emigration gedrängt.

Das eigentlich so idyllische Bodensee-Gemälde „Segelboot und badende Frauen“ (1933/36) wirkt unversehens wie ein Menetekel, wenn man dies weiß: Am 8. September 1936 ging Helmuth Macke mit einem Freund auf Segeltörn über den – je nach Wetterlage – manchmal äußerst tückischen Bodensee. Als ein Gewitter aufkam, kenterte das Boot. Der Freund konnte sich mit knapper Not retten, der geübte Schwimmer Macke nicht. Die näheren Umstände sind nie hinreichend geklärt worden. Es hört sich fast an wie ein Stoff für Martin Walser. Man könnte über einen kaschierten Freitod spekulieren. Man kann es aber auch bleiben lassen.

Helmuth Macke. Im Dialog mit seinen expressionistischen Künstlerfreunden. 19. Februar bis 1. Mai 2017. Kunstmuseum Ahlen, Museumsplatz 1/Weststraße 98, 59227 Ahlen/Westfalen. Geöffnet Mi-Fr 14-18, Sa/So/Feiertage 11-18 Uhr, Mo/Di geschlossen. Tageskarte 8 Euro, ermäßigt 4 Euro. Katalogbuch 24,80 Euro.

www.kunstmuseum-ahlen.de




Anmerkungen zur neuen WAZ-Beilage „Lust aufs Wochenende“

Es ist wahrlich kein neues Phänomen, dass viele Chefredakteure ihre Schwierigkeiten mit Kulturrezensionen haben. Vorab häppchenweise Appetit machen – okay. Das lassen sie schon mal gern durchgehen. Doch all das nachträgliche Kritisieren erscheint ihnen überflüssig. Die Leute werden schon selbst merken, ob es ihnen gefallen hat. Das könnte jetzt auch eine ziemlich populistische Denkfigur sein, oder?

Ausriss aus dem Titelseitenkopf der neuen Beilage (© WAZ)

Ausriss aus dem Titelseitenkopf der neuen Beilage (© WAZ)

Nach diesem unbedarften Gusto ist jetzt auch eine neue Beilage gefertigt, die heute erstmals in der WAZ erschienen ist. Sie heißt „Lust aufs Wochenende“, kommt donnerstags (mit 8 Seiten) und samstags heraus. Am Donnerstag besteht die Neuheit zu großen Teilen aus einem Terminkalender, der mit ein paar Texten garniert wird. Erleben, entdecken, genießen – so heißen die Leitwörter. Mann, sind die gut drauf! Immer jung und flott. Ein bisschen Kulinarik, ein bisschen Pop, Lifestyle und Events – fertig ist die bonbonbunte Mischung.

Von den Autor(inn)en hat man als Leser des WAZ-Mantelteils bislang noch nicht viel gehört, sie zählen nicht zur Kerntruppe des Blattes. Vergebens habe ich heute nach einem speziellen Impressum gesucht. Hab‘ ich’s übersehen? Gern hätte ich jedenfalls gewusst, wo die Funke-Gruppe diese Beilage produzieren lässt. Vielleicht erfährt man’s ja noch nachträglich.

Schauen wir mal etwas genauer hin: Bislang sind donnerstags in der WAZ stets einige Kinokritiken erschienen, weit überwiegend von erfahrenen und sachkundigen Mitarbeitern verfasst. Daran konnte man sich schon ganz gut orientieren. Und jetzt? Hat man diese Rezensionen offensichtlich gestrichen.

Statt dessen gibt’s praktisch nur noch kurzatmige Zehn-Zeilen-Vorstellungen neuer Filme, natürlich mit Sternchen-Wertung von 1 bis 5. Damit man sofort sieht, woran man ist und keine Zeit verschwenden muss. Richtig geraten: Kinocharts werden natürlich auch abgedruckt. Man muss ja unbedingt wissen, ob man zur großen Mehrheit gehört. Diese ganze Hit-oder-Niete-Top-oder-Flop-Denke. Ihr wisst schon, was ich meine.

Ein einziger Kino-Text ist in der Premierenausgabe ein ganz klein wenig länger geraten. Doch natürlich hat er empfehlenden Charakter, wenn man dabei von „Charakter“ sprechen kann. Mit Kritik hat man hier so gut wie nichts im Sinn. Schon gar nicht mit nachvollziehbaren Begründungen oder mit abwägendem Für und Wider. Fazit: Als kritische Instanz (hahaha! Der war gut…) ist diese neue Beilage ein Totalausfall.

Diese Donnerstags-Beilage u. a. in Großbuchstaben mit dem Slogan „MEHR KINO“ anzukündigen, ist jedenfalls ein schlechter Witz. Dass es dabei eh nicht um Arthouse-Filme, sondern um „die spannendsten Blockbuster und Familienfilme“ geht, dürfte wohl klar sein.

Damit nicht genug. Auf vier luftig layouteten Spalten wendet man sich in aller Kürze auch neuen Büchern zu. Kostprobe der heutigen drei „Bewertungen“ gefällig? Wortwörtlich: „Ein nahezu perfekter Roman“ (Julian Barnes), „Ein großer Roman von einem wahrlich meisterhaften Autoren“ (James Lee Burke) und „gelingt es in ihrem Debütroman großartig…“ (Noemi Schneider). Alles bestens also. Kein lästiges Gemecker. Mit dem ungefilterten Pressematerial der Verlage und werblichen Klappentexten ließe sich die Trommel kaum penetranter rühren. Überdies darf man gespannt sein, ob die WAZ-Kulturredaktion dieselben Bücher auch noch einmal aufgreift. Man kann ohnehin nur hoffen, dass sich dort noch weiterhin das eine oder andere Gegengewicht bemerkbar macht.

Schon am Mittwoch hatte die WAZ Reklame in eigener Sache betrieben. „Die WAZ macht Lust aufs Wochenende“, hieß es da im Anreißer auf der Titelseite und man dachte schon, es ginge gleich los. Doch wir, die wir das Wochenende bislang immer so verschmäht haben, mussten uns noch einen Tag gedulden, bevor uns die Zeitung endlich Lust darauf machte. Ein weiterer Hieb wird dann am kommenden Samstag folgen, die Ausgabe soll sich in Erscheinungsbild und Themenstruktur deutlicher von den Wochentagen abheben, soll sozusagen „wochenendiger“ werden und dabei offenbar Anleihen bei den Sonntagszeitungen nehmen. Man wird sehen.




Fast alles über die eiskalten Zeiten: Bernd Brunners Buch „Als die Winter noch Winter waren“

Die Samen (Ur-Skandinavier), die es wohl wissen mussten, haben mindestens zwischen Früh-, Mittel- und Spätwinter unterschieden. Ein durchschnittlicher Schneemann besteht aus rund 100 Milliarden Flocken. Anno 1890 mussten Zugpassagiere in Nevada schneehalber volle zwei Wochen in den Waggons ausharren. Und in Rio? Da bibbern sie angeblich schon bei 24 Grad plus.

Man ahnt es schon: Dieses Buch bewegt sich kursorisch kreuz und quer durch alle vorstellbaren Winter- und Kälte-Erfahrungen. Zwar gibt es eine Kapiteleinteilung, doch hin und wieder herrscht trotzdem ein bisschen Durcheinander; ganz so, als hätte sich der Autor bisweilen im Schneegestöber befunden. Der Mann heißt Bernd Brunner, sein Buchtitel ruft die oft ungemütlichen alten Zeiten auf: „Als die Winter noch Winter waren“, das könnte – so oder so – ein Stoßseufzer sein. Heute sind wir in der Hinsicht ja nichts mehr gewohnt. Früher war mehr Minus.

Echte Herausforderungen

Was die etwas Älteren unter uns vielleicht zuletzt im klirrenden Winter 1978/79 erfahren haben mögen, ist hier auf 240 Seiten gang und gäbe: Es geht vornehmlich um die harten Winter von ehedem, in denen man vor lauter Schnee nicht mehr wusste, wo oben und unten war. Über Jahrhunderte war der Winter eine echte, vielfach tödliche Herausforderung für die Menschen, die darob auch ziemlich abergläubisch waren. Und wie hat man eigentlich früher geheizt, welche Probleme gab es dabei? Auch solche gar nicht profanen Fragen werden abgehandelt.

Mjöll und Hundslappadrifa

Überdies geht es – die Jahrtausende überspannend – um Eiszeit und derzeitigen Klimawandel, um winterliche Überlebens-Strategien der Tier- und Pflanzenwelt, um Schönheit und Regelmaß der Schneekristalle, um Eisblumen und Eiszapfen, um entbehrungsreiche Arktis- und Antarktis-Expeditionen, um vielfältig differenzierte Bezeichnungen der Inuit, Norweger und Isländer: Mjöll heißt frischer Schnee auf Isländisch. Wie wohlig weich das klingt. Geradezu verlieben kann man sich ins folgende Wort: Hundslappadrifa bedeutet Schneefall mit großen Flocken…

Die Erfindung des Winterurlaubs und des Wintersports sowie das Aufkommen der Sehnsucht nach „Weißer Weihnacht“ (erst seit Mitte des 19. Jahrhunderts) deuten auf einen tiefgreifenden Wahrnehmungswandel auf Basis des bau- und heiztechnischen Fortschritts hin. Solche Passagen über die Mentalitätsgeschichte hätte man sich etwas ausführlicher gewünscht.

Bloß keinen Aspekt vergessen

Doch Brunner gewichtet nicht so sehr, sondern grast sein Thema mitsamt allerlei Kuriosa und Extremen rundum ab und garniert es mit allerlei literarischen Zitaten, Anekdoten und wissenschaftlichen Streiflichtern. Niemand soll ihm vorwerfen können, er hätte beim Recherchieren oder Aufzeichnen einen Aspekt vergessen.

Doch nichts ist perfekt, auch nicht das Lektorat: Ein ziemlich rätselhafter Fehler in diesem Buch ist mir neulich schon per Zufall begegnet. Wenn man dann z. B. noch einen argen Lapsus wie „Popularität schwedischer Autoren wie Strindberg und Ibsen“ (so wörtlich auf Seite 153) vorfindet, so schmälert dies allmählich das Vertrauen ins ganze Buch. Das mag ungerecht sein, doch wer weiß, was man noch übersehen hat.

Anfangs hatte ich gedacht und gehofft, hier wandle einer auf den Spuren des grandiosen Kulturhistorikers Wolfgang Schivelbusch, der auf wunderbar ergiebige Art alltagsnahe Themen wie etwa die Geschichte der Eisenbahnreise und der Genussmittel aufbereitet hat. Diese Hoffnung ist mir nach und nach etwas abhanden gekommen.

Jetzt lesen, bevor es zu spät ist

Gewiss: Brunner hat gar fleißig gesammelt und angehäuft, doch die Erkenntnisse, die über die puren winterlichen Phänomene hinaus weisen, halten sich denn doch in Grenzen. Angesichts der schieren Fülle des Materials hätte eine strengere Systematik gutgetan. So aber erschöpft sich die manchmal atemlose Darstellung gelegentlich in einem „Und dann war da auch noch…“ Auch lässt sich Brunner via Zitatstellen eine ganze Menge Text liefern.

Aber vielleicht hat sich die ganze Chose in dieser Form für uns eh bald erledigt. In den Abschnitten über Klimawandel hört sich schon manches nach Abgesang auf den europäischen Winter an. Also wird’s wohl hohe Zeit, dieses Buch noch schnell zu lesen – am besten mit Heißgetränk und auf dem Sofa in die Wolldecke eingemummelt.

Wer den Frühling schließlich kaum noch abwarten kann, wird in diesem Buch trostreich mit Zahlen bedient: Demnach kommt der Lenz, wenn er einmal begonnen hat, in unseren Breiten pro Minute 28 Meter und pro Tag 40 Kilometer nordwärts voran.

Bernd Brunner: „Als die Winter noch Winter waren. Geschichte einer Jahreszeit“. Galiani Berlin. 240 Seiten. 18 €.

P. S.: Um schöne Themenfindungen ist Bernd Brunner nicht verlegen. 2012 trat er bereits mit dem Buch „Die Kunst des Liegens. Handbuch der horizontalen Lebensform“ hervor.




Edwin Jacobs, neuer Chef im „Dortmunder U“: „Nicht nur gucken, sondern mitmachen!“

Bei null Grad auf der Dachterrasse des "Dortmunder U": der neue Chef Edwin Jacobs (vorn Mitte) mit Reginal Selter (stellv. Direktorin des Museums Ostwall, links neben ihm), Inke Arns (Leiterin des HMKV, rechts neben Jacobs) und weiteren Akteuren aus dem Team. (Foto: Bernd Berke)

Bei ungefähr null Grad auf der Dachterrasse des „Dortmunder U“: der neue Chef Edwin Jacobs (vorn Mitte) mit Regina Selter (stellv. Direktorin des Museums Ostwall, links neben ihm), Inke Arns (Leiterin des HMKV, rechts neben Jacobs) und weiteren Akteuren aus dem Team. (Foto: Bernd Berke)

Dieses viele Grün in der Stadt. Diese kreativen und aufgeschlossenen Menschen. Diese Offenheit für Zukunft. Diese positive Energie.

Nanu? Von welcher swingenden Metropole ist denn da die nahezu euphorische Rede? Haltet euch fest: von Dortmund! Die Stadt hat sich vor einiger Zeit den Slogan „Dortmund überrascht dich“ gegeben. Scheint ja mal wieder zu stimmen.

Nun aber die Zusatzfrage: Wer spricht denn da eigentlich? Oranje boven: Es ist Edwin Jacobs, der aus Utrecht kommende neue Direktor des „Dortmunder U“ und damit auch Chef des Museums Ostwall, der seit rund sechs Wochen hier ist, offenbar mit Feuereifer ans Werk geht und sein Lob für die Stadt natürlich nicht in atemlosen Stichworten formuliert hat.

Beispiellose Breite des Angebots

Jacobs macht auf Anhieb einen hellwachen und neugierigen Eindruck. Seine Wirkungsstätte preist er, mit charmantem niederländischen Akzent, in ziemlich hohen Tönen. Die Breite des kulturellen Angebots im „Dortmunder U“ sei in ganz Deutschland beispiellos, schwärmt er. Wobei er selbstverständlich auch weiß: „Wir sind hier nicht in Berlin. Auch nicht in München…“

Apropos breites Angebot: Tatsächlich gaben in der heutigen Programm-Pressekonferenz des „U“ nicht weniger als neun Verantwortliche fürs große Ganze und für die unterschiedlichen Sparten skizzenhaft Auskunft. Das auch etwas unübersichtliche Spektrum reicht vom Museum Ostwall (MO) über den Hartware MedienKunstVerein (HMKV) und Dependancen der Dortmunder Hochschulen (TU / FH) bis hin zur Abteilung für Kulturelle Bildung und zum eigenen Kino; nicht zu vergessen die trendige Gastronomie im „View“, diverse Veranstaltungsserien inbegriffen. Da blicke einer sofort durch.

In der Stadtgesellschaft verankern

Zu den Aufgaben von Edwin Jacobs wird es gewiss gehören, die Kräfte all dieser Gliederungen zu bündeln, ohne Vielfalt zu opfern. Ihm schwebt als Leitideal vor allem „Partizipation“ vor, das Publikum soll also „nicht nur gucken“, sondern – wo es irgend geht – auch zum Mitmachen ermuntert werden. Es gelte, rund ums „U“ eine Community zu schaffen und den gigantischen Kreativpalast, der immerhin schon ins (wohl nicht verflixte)  siebte Jahr geht, noch mehr in der Dortmunder Stadtgesellschaft zu verankern. Übrigens wird diese CommUnity in den Broschüren bereits gern mit großem „U“ in der Mitte geschrieben. Markenzeichen-Design muss halt sein.

Schon fast 10000 bei Niki de Saint Phalle

Von einer Pressekonferenz mit „Rückblick und Ausblick“ darf man erfahrungsgemäß nicht allzu viel Konkretes erwarten. So ist es Brauch: Das Bisherige erscheint füglich im vorteilhaften Licht, der Boden für Neues wäre also bereitet.

Ein golden eingefasster Buchstabe krönt das Dortmunder "U", die filmischen Installationen stammen von Adolf Winkelmann. (Foto von Dezeber 2016: Bernd Berke)

Ein golden eingefasster Buchstabe krönt das Dortmunder „U“, die „fliegenden“ filmischen Bilder stammen von Adolf Winkelmann. (Foto von Dezember 2016: Bernd Berke)

Besonders zufrieden zeigt sich der bisherige „U“-Geschäftsführer Kurt Eichler mit der MO-Ausstellung über Niki de Saint Phalle, die auch überregional große Aufmerksamkeit geweckt hat. In der Schau, die seit dem 10. Dezember 2016 läuft und noch bis zum 23. April dauert, wird man in wenigen Tagen den/die 10000. Besucher(in) begrüßen. Immerhin. Für (bisherige) Dortmunder Verhältnisse ist das schon achtbar.

Offenbar zahlt sich dabei auch schon die neue Eintrittspreis-Strategie aus: einmalig fünf Euro zahlen, danach beliebig oft in städtische Museen gehen. Schon nach fünf Wochen hört man von einer Verdoppelung der Besucherzahlen im Jahresvergleich, Genaueres wird noch ermittelt.

„Mindestens eine Top-Ausstellung pro Jahr“

Edwin Jacobs sieht sich derzeit sozusagen noch als DJ, der (allerdings schon etwas anders gemixte) Musik auflegt – und noch nicht als Songwriter oder Komponist. Er kann natürlich 2017 nicht gleich mit einer großen Kunstausstellung eigenen Zuschnitts aufwarten, derlei Unternehmungen brauchen längere Vorlaufzeit. Später möchte er allerdings „mindestens eine Top-Ausstellung pro Jahr“ zeigen.

Es ist nur folgerichtig, dass erst einmal die MO-Sammlung im Fokus steht. Ab 2. September sollen wesentliche Bestände in neuer Form präsentiert werden. Solche Befragungen der eigenen Kollektion dürfte es unter wechselnden Themenstellungen dann öfter geben. Von einer „Dynamisierung“ der Sammlung spricht Edwin Jacobs. Man wird sehen, was darunter zu verstehen ist.

„Warum sind wir hier?“

Die vielen Projekte, die fürs „U“ vorgesehen sind, können und wollen wir hier nicht stur aufzählen (siehe Info-Link zur Homepage des „U“ am Schluss), freilich fällt eines thematisch auf. Der Hartware MedienKunstVerein befasst sich ab April mit dem arg verschrienen „Brutalismus“ in der Architektur und schickt sich offenbar an, diese oft bereitwillig zum Abriss freigegebenen Brachial-Bauten vorsichtig aufzuwerten. Oha!

Womit wir – irgendwie und überhaupt – wieder in Dortmund angekommen wären. Man fragt sich ja schon, wieso Edwin Jacobs das urbane Grachten-Idyll von Utrecht just gegen das vielfach eher wildwüchsige Dortmund eingetauscht hat. Eben solche Sinnfragen will er künftig auch mit seinem Team erörtern: „Warum sind wir hier?“ Warum gerade Dortmund? Auf womöglich wegweisende Antworten darf man hoffnungsvoll gespannt sein.

Infos: www.dortmunder-u.de




Ein paar Erwägungen zur „Schande von Dortmund“ (Randale beim Spiel BVB gegen RB Leipzig)

Eigentlich wollte ich keine Zeile darüber schreiben, weil es sozusagen ums Gegenteil von Kultur geht. Aber: Man kann von den Dortmunder Fußball-Krawallen gar nicht absehen, wenn man hier lebt.

Also, ganz klar: Dass so genannte BVB-„Fans“ am letzten Samstag die Gäste aus Leipzig, darunter auch Frauen und Kinder, mit Steinen, Flaschen, Dosen, Feuerwerkskörpern und anderen Gegenständen beworfen haben, ist kriminell.

Transparent beim Pokalspiel gegen Hertha BSC Berlin am 8. Februar. (Screenshot / ARD)

Nachträgliches Statement: Transparent beim BVB-Pokalspiel gegen Hertha BSC Berlin am 8. Februar. (Screenshot / ARD)

Auch die teilweise extrem menschenverachtenden Hetz- und Hass-Transparente (Heda, BVB-Ordnungsdienst, wie konnten die in so großer Zahl ins Stadion gelangen?) und der versuchte Angriff auf den Mannschaftsbus der Leipziger sind schändlich und unverzeihlich.

Jeder feststellbare Einzelfall wird jetzt und in den nächsten Wochen zu untersuchen sein. Hoffentlich findet die Polizei die Schuldigen, hoffentlich werden sie von der Justiz angemessen zur Rechenschaft gezogen. Bundesweites Stadionverbot ist das Mindeste, im Falle entsprechender Taten sollten auch Paragraphen des Strafgesetzbuches greifen.

Es ist beschämend, dass das alles in Dortmund passiert ist, wo man sich rühmt, auf der Südtribüne die besten Fans Deutschlands, wenn nicht Europas oder gar der Welt zu haben. Leider können einige Dutzend oder hundert Vollidioten das alles an einem einzigen Tag zunichte machen – wenn man sie nicht hindert. Vielleicht lässt sich ja auch aufklären, aus welchem Umfeld diese Typen kommen?

Dortmunds Stadtobere und ihre Imagewächter sind bestimmt ebenfalls entsetzt. Die enthemmte Randale vom Samstag wird der Stadt und dem Verein noch lange als „Schande von Dortmund“ (andere Formel: „Schande für den Fußball“) nachhängen, die Boulevardpresse tut das Ihre, um es kräftig zuzuspitzen. Auch sind spürbare Strafen vom DFB zu erwarten, so etwa Heimspiele ganz ohne Zuschauer…

In den sozialen Netzwerken sind es keineswegs nur Leipziger und Schalker, die heftig (und zum Teil beklagenswert pauschal) über den BVB herziehen. Mag es auch ungerecht sein: Wenn man nicht aufpasst und entschieden gegensteuert, gelten hiesige Fans bald als Abschaum der Liga – auch die anständigen unter ihnen, die sicherlich bei weitem in der Mehrheit sind. Doch sobald sie die schwarzgelben Farben tragen, macht man vielleicht auswärts keine Unterschiede mehr. Da herrscht womöglich mal wieder ein „Generalverdacht“. Und es melden sich bereits BVB-Anhänger zu Wort, die künftig ganz auf Stadionbesuche verzichten wollen. Nicht, dass da etwas „kippt“…

Inzwischen weiß man bei Spiegel online, bekanntlich immer gaaaanz nah dran am BVB, schon genauestens Bescheid: Auch viele ganz normale Spießer, die anderntags mit ihrem Hund Gassi gehen, seien in Dortmund an den Ausschreitungen beteiligt gewesen. Beim Spiegel kennen sich offenbar besser aus als die zuständigen Ermittler. Oder etwa doch nicht?

Unterdessen wird BVB-Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke – mittlerweile auch von der Gewerkschaft der Polizei (GdP) – mitverantwortlich gemacht, weil er gegen RB Leipzig aufgewiegelt habe. Die paar Andeutungen über einen Verein, der ausschließlich zur Promotion eines Getränks („Red Bull“) gegründet worden sei, sollen also ein Aufruf zur Gewalt gewesen sein? Ach, nö. Soll jetzt jede Kritik am Geschäftsmodell der Leipziger verboten sein? Übrigens: Auch der börsennotierte BVB ist vielfach als durchkommerzialisiert verschrien. Dann wird man eben auch daran Kritik üben dürfen. Tradition hin oder her.

Wie aber müsste man (im Vergleich zu Watzkes Äußerungen) den Ausspruch eines gewissen Uli Hoeneß bewerten, der – seinerzeit kaum wieder auf freiem Fuß – im November ganz unverblümt von den „Feinden“ aus Leipzig und Dortmund gesprochen hat? Nun gut, er hat die saublöde Formulierung hernach zurückgenommen, und die Bayern-Anhänger haben sich gottlob bislang nichts zuschulden kommen lassen. Aber dennoch.

Eine Aktion zum Spiel gegen Hertha deutet sich schon an (Screenshot der Facebook-Seite von schwatzgelb.de)

Eine Aktion zum Heimspiel gegen die Hertha (8. Februar, 20:45 Uhr) deutete sich schon vorher an. (Screenshot der Facebook-Seite von schwatzgelb.de)

Jedenfalls gibt es etliche Leute, die just der Polizei vorwerfen, sie habe kein durchgängig tragfähiges Sichheitskonzept gehabt. Will die GdP mit ihren schnellfertigen Schuldzuweisungen etwa davon ablenken? Wenn man eine Antenne für die Stimmungslage der „Fans“ gehabt hätte, so hätte man vielleicht ahnen können, dass dies ein Hochrisikospiel sein würde. Man mag noch gar nicht daran denken, wie wohl die nächsten Begegnungen dieser Clubs verlaufen.

Schon morgen gibt es das nächste BVB-Heimspiel (im Pokal gegen die Hertha aus Berlin); ob wir da wohl irgend eine Form von Gegenreaktion aus dem Publikum erleben werden? Der nebenstehende Screenshot von der Seite www.schwatzgelb.de deutet darauf hin.

Ich war am Samstag nicht im Stadion, sondern habe das Spiel auf Sky gesehen. Dort war, zumindest während der eigentlichen Spielzeit, von den Vorfällen nicht die Rede. Man will sich beim Bezahlsender offenbar den schönen Kommerzsport nicht kaputt machen lassen. Vielleicht hat man ja vor der Partie, in der Halbzeitpause oder nach dem Abpfiff ein paar verschämte Worte eingestreut. Ich weiß es nicht, denn das haltlose Gelaber außerhalb der 90 Minuten tue ich mir schon lange nicht mehr an.

Und wenn das alles so weiter geht, habe ich irgendwann gar keine Lust mehr auf die Liga.

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P.S.: Bedenkenswerte Beiträge zum Thema finden sich übrigens im vereinsnahen Fanzine-Blog www.schwatzgelb.de – durchaus auch (selbst)kritisch und nicht etwa pressestellenfromm und nibelungentreu.

Nachtrag am 9. Februar: Wie die WAZ heute berichtet, habe die Geschäftsführung von RB Leipzig das NRW-Innenministerium ausdrücklich um verstärkten Schutz bei den Auswärtsspielen in Dortmund, Schalke und Mönchengladbach gebeten, ohne dass entsprechende Konsequenzen gezogen wurden. NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD) sitzt ohnehin schon recht unsicher auf seinem Sessel. Link zum WAZ-Bericht.




Soziale Miniaturen (17): Ich Vater. Hier. Jacke an!

Bei Playmobil ist alles ungleich idyllischer. (Foto: BB)

Im Miniatur-Kosmos von Playmobil ist alles ungleich idyllischer. (Foto: BB)

In einem Restaurant mittleren Anspruchs: Der Mann dürfte um die 30 Jahre alt sein. Er und seine Gefährtin (in dieser Reihenfolge) haben ein wenige Wochen altes Baby. Vielleicht sind sie das erste Mal wieder „draußen“ aus der vormals ungeahnten Elternschafts-Höhle. Nein, nicht „Hölle“.

Die Frau geht sehr natürlich und normal mit dem Kind um, als hätte sie es immer schon gehabt, sie macht kein Aufhebens. Doch dann erobert er die Szenerie. Er nimmt das Kind wie ein Handwerkszeug, demonstrativ fuhrwerkend. Er bleibt breitbeinig stehen und schwenkt es ausgiebig hin und her, als wollte er es allen mal so richtig zeigen. Betonter, gravitätisch ausagierter Vaterstolz. Potenzbeweis überdies.

Nun bringt die Kellnerin sein Essen, ein Pasta-Gericht. Mit ausgesprochen großspurigem Gehabe, als sei der Teller eine Baustelle, lädt er sich die Nudeln mit Begleitgedöns auf die Gabel und stopft sie – gröblich portioniert – stoßweise in sich hinein, geradezu animalisch. Auf vierschrötig eckige, buchstäblich anstößige Art. Dabei ist er kein „Proll“, sondern so ziemlich auf der Höhe des konsumierenden Zeitgeistes. Der Klischee-Tipp würde auf BWLer hinauslaufen.

Ganz egal, was er vollführt, er behält diese auffällige und unangenehme Großspurigkeit bei. In der Gestik beim Reden sowieso (er wird der Frau gewiss sagen, wo es lang geht), ja schon beim bloßen Nachsalzen; schließlich, wenn er sich einen Schal umlegt oder die Jacke überwirft. Entschieden ausgreifend und stets im Zeigemodus: Hier. Ich. Jacke an. Ihr. Hergucken. Hohooo!

Es ist das schiere Gegenteil von An-sich-Halten oder gar In-sich-Gehen. Er zieht mit den Händen stets weite Kreise um sich, beansprucht enorm viel Raum für seine geringsten Verrichtungen. Einer, der niemals eine Unsicherheit zugeben würde. Doch muss er nicht immerzu angestrengt wachsam sein?

Sie ist dermaßen anders, dass man schon den Vorschein einer baldigen Trennung zu ahnen meint. Und das Kind?

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Bisher in der losen Textreihe „Soziale Miniaturen“ erschienen:

An der Kasse (1), Kontoauszug (2), Profis (3), Sandburg (4), Eheliche Lektionen (5), Im Herrenhaus (6), Herrenrunde (7), Geschlossene Abteilung (8), Pornosammler (9), Am Friedhofstor (10), Einkaufserlebnis (11), Gewaltsamer Augenblick (12), Ein Nachruf im bleibenden Zorn (13), Klassentreffen (14), Zuckfuß (15), Peinlicher Moment (16)

 




Der ewige Zwiespalt: Gehört die Stadt Dortmund eher zu Westfalen oder zum Ruhrgebiet?

Vor einigen Tagen gab es ein mächtiges Rumoren im Ruhrgebiet. Oder war’s eher ein klägliches Jammern und Jaulen? Thomas Westphal, Chef der Dortmunder Wirtschaftsförderung, hatte es offenbar gewagt, am gelingenden Strukturwandel des Ruhrgebiets zu zweifeln.

Westfalen oder Ruhrgebiet? Impression aus der Dortmunder Innenstadt, rechts die von Mario Botta entworfene Stadt- und Landesbibliothek. (Foto: Bernd Berke)

Westfalen oder Ruhrgebiet? Impression aus der Dortmunder Innenstadt, vorn die von Mario Botta entworfene Stadt- und Landesbibliothek. (Foto: Bernd Berke)

Der übrigens in Lübeck geborene und also des hiesigen Stallgeruchs ermangelnde, jedoch namentlich für Westfalen prädestinierte Westphal belobhudelte (etwas penetrant pro domo) die von ihm mitverantwortete Entwicklung in Dortmund, das er als digitales Zentrum für Westfalen ausschilderte. Laut WAZ fuhr er in diesem distanzierenden Sinne fort: „…obgleich wir öffentlich immer gerne zum Bestandteil des niedergehenden Ruhrgebiets gemacht werden, sind wir in Wirklichkeit ein Motor der westfälischen Boomregion.“

Das böse Wort vom Niedergang

Oha! Niedergehendes Ruhrgebiet. Bei diesen Reizworten bekamen sie beim Regionalverband Ruhr (RVR), der es sich allzeit angelegen sein lässt, das Revier in günstigem Licht darzustellen, Anfälle von Schnappatmung: Und das uns! Und das vom Wirtschaftsförderer der größten Ruhrgebiets-Kommune, der noch dazu vorher selbst beim RVR gearbeitet hat. Roland Mitschke (Bochum), CDU-Fraktionschef im so genannten Ruhrparlament, sprach deshalb von „Mangel an nachlaufender Loyalität“. Eine hübsche Formulierung, fürwahr.

Besonders aus den Reihen der Ruhrgebiets-CDU wurde vom Dortmunder OB Ullrich Sierau (SPD) nicht nur sofortige, „öffentlich sichtbare Distanzierung“ von den garstigen Worten gefordert, sondern gleich auch noch Westphals Amtsverzicht. Kleine Münze wird da halt nicht ausgezahlt.

Der Westen ist nur eine Richtung

Gewiss, Westphals Sätze waren in der Tat unglücklich zugespitzt. Doch nun mal halb lang. Man schaue sich die Lage von Dortmund auf einer handelsüblichen Landkarte an. Im Westen geht die Stadt zwar ins Ruhrgebiet über, jedoch im Süden ins Sauerland, nordwärts in die Ausläufer des Münsterlandes, östlich nach Unna und ins Vorfeld der Soester Börde. An drei Seiten ist also nicht so sehr die industrielle, sondern vornehmlich eine ländliche Umgebung prägend. Das unterscheidet die Stadt sehr wohl von Gemeinden, die in drangvoller Enge mitten im Pott liegen. Und das wiederum hat Einfluss aufs lokale Bewusstsein.

Nicht zuletzt aus Imagegründen ist es daher langjährig geübte Dortmunder Praxis, sich weniger als Revierkommune zu gerieren, sondern in erster Linie als „Westfalenmetropole“, was sich freilich etwas geschwollen anhört. Hätte man gewisse Gebäudeensembles nach dem Krieg nicht abgerissen, so wäre der historische Zusammenhang vielleicht noch sinnfälliger. So aber hat der übliche sozialdemokatische Betonwust der „autogerechten Stadt“ auf hässliche Weise die Oberhand gewonnen. So richtig westfälisch sieht das nicht mehr aus. Auf dem Gebiet sammelt Münster eindeutig mehr Punkte.

Trotzdem: Immer wieder hat sich die vormalige Freie Reichsstadt und Hansestadt Dortmund gern westfälisch bespiegelt. Namen wie die Westfalenhalle, Westfalenstadion oder Westfälische Rundschau (*1946 †2013) und viele andere künden davon. Richtig, andererseits erscheinen in der Stadt die Ruhrnachrichten. Aber die gehören schon zu den Ausnahmen von der Regel.

Absetzbewegungen

Immer mal wieder hat es auch Absetzbewegungen vom Ruhrgebiet gegeben, um 2007/2008 drohte der damalige Dortmunder Oberbürgermeister Gerhard Langemeyer (SPD) gar brüsk mit dem Austritt aus dem Regionalverband Ruhr (RVR). Der Zwiespalt bewegte ihn auch noch im Herbst 2015. Da referierte der Ex-OB gemeinsam mit dem einstigen NRW-Städtebauminister Christoph Zöpel über das Thema „Heimat Dortmund – Großstadt in Westfalen oder Metropole Ruhr?“

Niemals hat man sich in Dortmund so mit dem „Pott“ als Ganzes identifiziert wie etwa in Essen, wo sie zwar weniger Einwohner haben als in Dortmund, sich aber gleichwohl als Revier-Kapitale sehen. Auch die Phantasien von einer künftigen „Ruhrstadt“ fielen in Dortmund am wenigsten auf fruchtbaren Boden.

Anzeichen eines „Niedergangs“ gibt es indessen nicht nur im mittleren und westlichen Revier. Da nützt alle geflissentliche Berufung auf Westfalen nichts: Auch Dortmund hat arge Probleme, die eben nicht mit landsmannschaftlich getönter Symbolpolitik zu bewältigen sind.




„Die halbamtliche Kairoer Zeitung…“ – Über gewisse Floskeln in den Nachrichten

Kleines Rätsel ohne Preis. Wie gehen denn wohl die folgenden Nachrichten-Floskeln weiter?

„Die halbamtliche Kairoer Zeitung…“

„Der drusische Milizenführer…“

„Autoexperte…“

Beispielsweise eine "Lichtgestalt"... (Zeichnung: Stella Marie Berke)

Beispielsweise eine „Lichtgestalt“… (Zeichnung: Stella Marie Berke)

Richtig, alles richtig. Applaus, Applaus!

Die gesuchten Ergänzungs-Wörter schnacken ja auch gleichsam automatisch ein. Die Zeitung aus Kairo heißt natürlich Al-Ahram. Der heute nachrichtlich nicht mehr so präsente Milizenführer nennt sich Dschumblatt (dieser satte Namensklang!). Der vielzitierte Autoexperte ist in rund 95 Prozent aller Fälle Ferdinand Dudenhöffer und wirkt als Professor an der Uni Duisburg-Essen. Mit den Terrorexperten verhält es sich hingegen anders. Davon gibt inzwischen Dutzende. Mindestens.

Weitere Beispiele dürften sich dennoch schnell finden. Aber die erwähnten sind schon besonders bewährte Exemplare. Ehedem gehörten zum Beispiel auch „Literaturpapst…“ (Reich-Ranicki) oder „Die Lichtgestalt…“ (Franz Beckenbauer) hinzu. *hüstel*

Ich finde solche Formeln hinreißend, weil sie fast schon etwas mathematisch Folgerichtiges zu haben scheinen. Dabei wurden und werden sie völlig unreflektiert in Texte eingestreut und erweisen sich bei näherem Hinsehen als unbegriffene Leerformeln. Man sagt und schreibt sie halt einfach so dahin. Und der Medienkonsument hat etwaige Details eh meist rasch vergessen. Vielleicht handelt es sich ja um beschwörende Zauberworte, die zu einem geheimen Ritual gehören.

Bitte sehr: Wer hat uns jemals erklärt, was es mit dem Etikett „halbamtlich“ auf sich hat? Wer beeinflusst denn wohl die andere Hälfte? Und welche Behörde ist für die ersten 50 Prozent zuständig? Sollen wir annehmen, dass die Zitate aus dieser Gazette ohnehin mit Vorsicht zu genießen sind? Dann könnte man sie sich und uns vielleicht auch ersparen.

Warum erfahren wie nie, dass dieser höchst ominöse, extrem antiisraelisch eingestellte Dschumblatt auch einen Vornamen hat (Walid)? Was müssen wir uns unter einem drusischen Milizenführer vorstellen, außer dem kläglichen Umstand, dass die bloße Nennung eine intime Kennerschaft vortäuscht, die der eilige Journalist nicht mit jedem hergelaufenen Hörer und Leser teilen mag?

Kann es Zufall sein, dass zwei unserer Beispiele aus Zusammenhängen des Nahen Ostens stammen? Muss da nicht der Verdacht keimen, dass ein weiteres Nachdenken über das dortige fortwährende Chaos sich angeblich sowieso nicht lohnt? Sind solche Formeln gar (nutzlose) Wegmarken im weiten Felde der Unübersichtlichkeit, die Orientierung lediglich vorgaukeln?

Fragen über Fragen, die wir uns endlich gern einmal von Floskel-Experten beantworten ließen. Aber ein bisschen dschumblatt!




Kulturelles Wechselfieber in Dortmund: Künftiger Opernchef heißt Heribert Germeshausen

Geradezu aufregend rasant ist das Kulturleben in Dortmund, derzeit vor allem in personeller Hinsicht auf den obersten Etagen.

Kommt 2018 als neuer Opernchef nach Dortmund: Heribert Germeshausen. (Foto: Annemone Taake)

Kommt 2018 als neuer Opernchef nach Dortmund: Heribert Germeshausen. (Foto: Annemone Taake)

Kaum war der Wechsel des Konzerthaus-Chefs Benedikt Stampa nach Baden-Baden verkündet (Vollzug zum 1. Juni 2019) und die sofortige Suche nach einer Nachfolge eingeleitet, da präsentierte man auch schon einen neuen Opern-Intendanten: Er heißt Heribert Germeshausen, ist seit 2011/12 Operndirektor am Theater Heidelberg und folgt in Dortmund auf Jens-Daniel Herzog, der zur Spielzeit 2018/19 als Intendant zum Nürnberger Staatstheater wechselt. Die Zustimmung des Dortmunder Stadtrates (Sitzung am 6. April) zur Berufung Germeshausens gilt als Formsache.

Bedenkt man, dass kürzlich auch die beiden wohl wichtigsten Museumsposten der Stadt neu besetzt worden sind (Edwin Jacobs aus Utrecht zum Dortmunder U/Museum Ostwall, Jens Stöcker aus Kaiserslautern ans MKK), so kann man mit Fug und Recht von einem großen Umschwung reden.

Vor seinem Heidelberger Chefposten war der künftige Dortmunder Opern-Intendant Heribert Germeshausen Musiktheaterdramaturg am Theater Koblenz, bei den Salzburger Festspielen und an der Oper Bonn. 2009 wurde er Leitender Musiktheaterdramaturg am Anhaltinischen Theater Dessau. In Heidelberg kamen unter seiner Leitung bislang nicht in Deutschland aufgeführte Werke auf die Bühne, so etwa Alessandro Scarlattis „Marco Attilio Regolo“ oder Nicolò Porporas „Polifemo“.

Verlässt Dortmund 2018 und wechselt nach Nürnberg: Opern-Intendant Jens-Daniel Herzog. (Foto: Philip Lethen)

Verlässt Dortmund 2018 und wechselt nach Nürnberg: Opern-Intendant Jens-Daniel Herzog. (Foto: Philip Lethen)

Bei Kritikerumfragen der Fachzeitschrift „die deutsche bühne“ wurde das Heidelberger Haus mehrfach gewürdigt und 2013 – zusammen mit Freiburg – für „ungewöhnlich überzeugende Theaterarbeit abseits großer Theaterzentren“ ausgezeichnet. Weitere Nominierungen und Ehrungen folgten. Man darf sich von Germeshausen auch in Dortmund einen innovativen Spielplan mit Neu- und Wiederentdeckungen erhoffen.

Heribert Germeshausen kennt sich übrigens nicht nur in künstlerischen, sondern auch in juristischen und finanziellen Fragen aus. Der staunenswert vielseitige Mann studierte Rechtswissenschaften in Passau, Heidelberg und Lausanne sowie BWL an der European Business School in Oestrich-Winkel und Master of Business Administration an der Katz Graduate School of Business in Pittsburgh. Wenn das kein pralles Portfolio ist!

Heribert Germeshausens künftige Wirkungsstätte: das 1966 eröffnete Dortmunder Opernhaus. (Foto von Mitte 2016: Bernd Berke)

Heribert Germeshausens künftige Wirkungsstätte: das 1966 eröffnete Dortmunder Opernhaus. (Foto von Mitte 2016: Bernd Berke)

Die kulturellen Wechselfälle bringen es mit sich, dass auch Dortmunds Oberbürgermeister Ullrich Sierau (SPD) sich in letzter Zeit öfter mal über die schöngeistigen Sparten äußert. Diesmal hieß es freudig und ganz ins Allgemeine gewendet: „Die Stadt Dortmund ist attraktiv für Kulturschaffende – auch aufgrund der guten Arbeit jener, die hier waren. Es ist ein gutes, professionelles kulturelles Milieu entstanden. Die Menschen kommen gerne zu uns.“ Sein Wort ins Ohr der Musen…




Transfer-Hammer: Botho Strauß von Hanser zu Rowohlt

Das ist ja mal eine bemerkenswerte Meldung aus dem Verlagsbereich: Botho Strauß, der nicht immer unumstrittene Schriftsteller von außerordentlichem Rang, wechselt von München nach Reinbek bei Hamburg. Will heißen: Seine kommenden Bücher werden nicht mehr im Hanser Verlag erscheinen, sondern bei Rowohlt.

Im deutschsprachigen Literaturbetrieb darf diese Nachricht, die uns als Rowohlt-Pressemitteilung um 16:44 Uhr erreichte, als gelinde Sensation gelten. Eine Blitzmeldung sozusagen.

Blick ins Regal: bei Hanser erschienene Bücher von Botho Strauß. (Foto: Bernd Berke)

Blick ins Regal: bei Hanser erschienene Bücher von Botho Strauß. (Foto: Bernd Berke)

Ich will hier nicht weiter darüber spekulieren, was ihn zu diesem Schritt bewogen haben mag. Auch weiß ich nicht, ob man ihn gar dazu überredet hat. In der Buchbranche werden sicherlich entsprechende Gerüchte wabern.

Nein, ich möchte hier nur ein klitzekleines Gegengewicht setzen, indem ich den Wechsel überhaupt vermelde. Denn bekanntlich werden in anderen Bereichen schon die kleinsten Bewegungen zu Breaking News aufgeplustert.

Da firmiert etwa die Tatsache, dass ein 17jähriger Kicker aus Schweden nach Dortmund wechselt, als „Kracher“. Wenn wiederum einer Dortmund verlässt und in Köln anheuert, ist von einem „Transfer-Hammer“ die dumpfbackig übertreibende Rede. Es klingt ziemlich absurd, wenn man eine solche Diktion in literarische Gefilde verpflanzt, nicht wahr? Gerade deshalb lautet die Überschrift dieses Beitrag so, wie sie lautet.

Jedenfalls dürfte Strauß, der sich aus dem Literatur- und Medienbetrieb seit jeher in die Stille zurückgezogen hat, ein jeglicher Wirbel um seine Person unlieb sein. Also lassen wir mal den unseriösen Sektor hinter uns.

Ob mich denn irgend etwas mit Botho Strauß verbinde, fragt ihr? Nun ja. Irgendwie schon. In grauer Vorzeit, als er noch längst nicht so bekannt war, habe ich meine Examensarbeit über ihn verfasst. Damals durfte ich Strauß – gemeinsam mit einer Germanistin aus Heidelberg, die ebenfalls über ihn schrieb – in Berlin besuchen. Es war eine höchst selten gewährte und somit unvergessliche Gelegenheit, ihn persönlich kennen zu lernen. Jetzt aber genug. Sonst werde ich noch feierlich.




Was Passanten zu hören bekommen – und was die Wissenschaft daraus machen könnte

Alltäglicher kann Alltag nicht sein: Als ich dieser Tage zu Fuß unterwegs war, ist es mir mal wieder aufgefallen: Da kamen mir u. a. zwei Leute entgegen und ich schnappte en passant einen winzigen Gesprächsfetzen auf: „…das, was er zum Leben hat…“ Da ging es also, um es ganz trocken zu sagen, offenbar um den eher dürftigen Sozialstatus eines Freundes oder Bekannten.

Wir könnte ja auch versuchen, die Wolken zu kämmen... (Foto: Bernd Berke)

Ebenso gut könnten wir auch versuchen, die Wolken zu kämmen… (Foto: Bernd Berke)

Die nächsten Leute unterhielten sich anscheinend über Städte, denn es hieß: „Wuppertal liegt ja auch nicht höher.“ Gleich darauf kam ich an zwei älteren Damen vorbei, die plaudernd bzw. tratschend an der Straßenecke standen. Und wieder war im Vorübergehen eine sekundenkurze Äußerung zu verstehen. Die eine sagte zur anderen: „Da ist auch Alkohol im Spiel…“ Es wäre sehr indiskret gewesen, an dieser Stelle weiter lauschen zu wollen.

Nun stelle ich mir vor, man hätte mit Hilfe vieler Mitarbeiter(innen) Hunderte, ja Tausende und Abertausende solcher „Zufalls“-Äußerungen gehört und gesammelt. Und zwar jeweils nicht als Quasi-Ethnologe oder gar Hobby-Spion mit gezücktem Stift, sondern eben als Passant, so unabsichtlich und unauffällig wie nur irgend möglich; zu verschiedenen Tages- und Nachtzeiten, in verschiedenen Gegenden, in verschiedenen Milieus und in den hierzulande – sagen wir – 20 gängigsten Sprachen.

Was würde man erfahren? Je mehr beiläufig erhaschte Sätze, Halbsätze und Ausrufe man beisammen hätte, umso vielfältiger, vielleicht auch genauer (oder immer diffuser?) wäre wohl das anwachsende Sprach-Bild, das man von dieser Gesellschaft erhielte. Es wäre also vielleicht kein reiner Zufall mehr, sondern hätte durchaus Substanz.

Aber wer wollte die Inhalte ermessen? Man müsste die Fülle ja erst einmal sortieren. Und dabei ginge womöglich die Spontanität so mancher Äußerung verloren.

Die Frage wäre auch, ob die Aussagekraft bereits nachließe, wenn man überhaupt willentlich und systematisch sammelte. Und wer sollte sich über die schließlich halbwegs aufbereiteten Resultate beugen? Soziologen oder Psychologen? Politikwissenschaftler? Schriftsteller und Künstler? Ein Querschnitt durch alle Berufe? Mit all ihren verschiedenen Meinungen und Ansätzen? Dann würden die Ergebnisse wiederum zerfasern. Und man müsste Kongresse ausrichten, auf denen alle in verschiedenen Jargons reden.

Ferner würde der pure Wortlaut längst nicht ausreichen. Auch Tonfall, Mimik und Gestik müssten auf irgend eine Weise „objektiv“ (haha!) erfasst und gespeichert werden, was selbstverständlich gegen den Datenschutz und überhaupt gegen den menschlichen Anstand verstieße.

Wahrscheinlich habe ich noch etliche weitere Probleme vergessen. Aber es reicht schon. Die Grenzen zur Absurdität werden sichtbar.

Wisst ihr was? Ich glaube, wir sollten auf die Forschungsförderung verzichten und das ambitionierte Projekt doch lieber bleiben lassen. In diesem Sinne: Legt euch wieder hin!




„Zeit-Räume Ruhr“: Orte der Erinnerung im Revier gesucht

Jetzt mal Butter bei die Fische: An welchen Ort im Ruhrgebiet erinnern Sie sich besonders intensiv, ob nun gern oder ungern?

Das Plakat zum Projekt "Zeit-Räume Ruhr": Zechenkumpel wird zum... IT-Experten, Hipster oder was auch immer. (© Zeit-Räume Ruhr / Gestaltung: Freiwild Kommunikation)

Das Plakat zum Projekt „Zeit-Räume Ruhr“: Zechenkumpel wird zum… IT-Experten, Hipster oder was auch immer. (© Zeit-Räume Ruhr / Gestaltung: Freiwild Kommunikation)

Wenn Ihnen dazu jetzt oder demnächst etwas einfällt und Sie vielleicht auch noch eigene Fotos vom besagten Ort beisteuern können, dann sollten Sie vielleicht an einem neuen Projekt mitwirken. Es heißt „Zeit-Räume Ruhr“ und soll revierweit ortsbezogene Erinnerungen sammeln, später dann sichten und werten.

Texte und Bilder einfach hochladen

Es ist ganz simpel: Texte und Bilder bis zum 31. Dezember 2017 auf der Internetseite www.zeit-raeume.ruhr hochladen – und schon ist man dabei, wenn denn der Beitrag Netiquette und Gesetze nicht verletzt. Ansonsten gilt selbstverständlich: „Eine Zensur findet nicht statt“.

Treibende Kräfte sind das Ruhr Museum auf dem Gelände der Essener Kulturwelterbe-Zeche Zollverein, der Regionalverband Ruhr (RVR) und das zur Ruhr-Uni Bochum (RUB) gehörige Institut für Soziale Bewegungen. Wie in derlei Fällen landesüblich, soll es im Gefolge der Internetseite einen Fachkongress und eine Buchpublikation geben.

Bisher noch sehr übersichtlich

Und wie schaut’s jetzt auf der Seite aus? Bisher noch sehr übersichtlich. Gewiss, erst heute ist die Aktion auf einer Pressekonferenz in Essen vorgestellt worden, also kann sich seither nicht allzu viel getan haben. Die benannten Orte kann man einstweilen noch an zwei Händen abzählen. Abwarten.

Was bisher (Stand 18. Januar, 18 Uhr) zu finden ist, entspricht im Wesentlichen den Glaubensbekenntnissen des Regionalverbandes, dass nämlich der Strukturwandel an der Ruhr auf dem besten Wege sei. So gilt etwa das „Dortmunder U“ ebenso als Ort des geglückten Umschwungs wie auch die einstige Hertener Zeche „Schlägel und Eisen“. Um es zuzuspitzen: Man erinnert sich ans kohlenschwarze Gestern und freut sich am bunteren Heute. Wenn die allerersten Äußerungen nicht als bloße Anreize im redaktionellen Auftrage entstanden sind, sollte es mich wundern. Künftig kann es eigentlich nur interessanter werden.

Rivalität der Städte

Überdies träumt man beim RVR immer noch von einer Vernetzung der ganzen Region, der manche am liebsten den Kunstbegriff „Ruhrstadt“ und entsprechende Verwaltungsstrukturen überstülpen würden. Sie sind noch allemal am Rivalitäts- und Kirchturmdenken der einzelnen Städte gescheitert, was man bedauern mag. Doch mal ehrlich: Wenn ich „meine“ Erinnerungsorte aussuche, so liegen sie weit überwiegend in Dortmund und eben nicht in Bottrop, Herne, Oberhausen oder Gelsenkirchen. Unter veränderten Vorzeichen wird es den meisten ähnlich gehen. Isso, woll?

Nach Möglichkeit sollen es beim „Zeit-Räume“-Projekt kollektive Erinnerungsorte sein und wohl weniger Locations wie die eigene Schule (obwohl sich da manche Erinnerungen bündeln) oder der Arbeitsplatz – es sei denn, es handele sich um eine Zeche bzw. ein Stahlwerk. Denn von den einstigen Verhältnissen geht man immer noch aus. Auch das Plakat hebt auf die Kumpel-Zeiten ab.

Wandel der Ansichten

Einigermaßen spannend und anregend könnte die allmählich anwachsende Sammlung werden, wenn sich zu bestimmten Orten viele, womöglich konträre Erinnerungen „anlagern“ und sich dabei auch verschiedene zeitliche Perspektiven ergeben. Die Siebzigjährige erinnert sich halt anders als ein 25jähriger. Genau diesen Wandel der Ansichten soll das Projekt ja auch spiegeln. Derselbe Ort kann eben auf ganz unterschiedliche Weise Erinnerungen prägen.

Es wäre außerdem gut, wenn tatsächlich nicht nur die üblichen Sehenswürdigkeiten und „Landmarken“, sondern auch verborgene oder vergessene Ecken des Reviers auf der bislang noch so spärlich gefüllten Landkarte der Homepage auftauchten.

Steilvorlage vom Schalke-Fan

Übrigens sind die „Orte“ nicht nur wortwörtlich zu verstehen. Im Anfangsbestand der Netzseite finden sich auch überörtliche Themen wie „Flucht/Vertreibung“ (aus dem Osten ins Ruhrgebiet) und „Kohlenkrise/Zechensterben“, die nur beispielhaft in Bochum verankert werden. Einer nennt gar Herbert Grönemeyers Schallplatte „4630 Bochum“ als seinen liebsten Erinnerungsort. Wenn man auf der Scheibe mal keinen Drehwurm kriegt!

Ein anderer Revierbewohner gibt schon mal mit Schalker Kindheitserinnerungen an die Gelsenkirchener Glückauf-Kampfbahn eine Steilvorlage. Es ist wahrscheinlich nur eine Frage der Zeit, dass Dortmunder mit „Rote Erde“ oder Westfalenstadion kontern und sich das Ganze ein bisschen hochschaukelt.

Um die Leute zu animieren, haben die Projektemacher schon mal vorab ein paar Orte vorgeschlagen: An den Phoenixsee (Dortmund) dürften sich freilich nur neuere Erinnerungen ergeben, ans Bochumer Schauspielhaus schon deutlich tiefer reichende. Und ans Bochumer Kneipenviertel Bermuda3eck? Nun ja. Was heißt hier Erinnerungen? Jedenfalls nicht an gestern Abend…

www.zeit-raeume.ruhr

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Nachtrag, 19. Januar, 10:30 Uhr: Inzwischen sind schon über 20 Erinnerungsorte verzeichnet. Es scheint zu werden…




„Halt die Klappe, ich hab‘ Feierabend“ – Zum Tod von Franz Jarnach alias „Schildkröte“

"Schildkröte" (Franz Jarnach) 2014 im Eppendorfer Imbiss, dem Schauplatz der "Dittsche"-Reihe. (Foto: WDR / Beba Franziska Lindhorst)

„Schildkröte“ (Franz Jarnach) 2014 im Eppendorfer Imbiss, dem Schauplatz der „Dittsche“-Reihe. (Foto: WDR / Beba Franziska Lindhorst)

Nein, eine große schauspielerische Leistung musste er wahrhaftig nicht abliefern – und doch war’s unbedingt Kult, was er vollbrachte: Seit dem „Dittsche“-Sendestart 2004 hat er in Ingos Imbiss auf seinem Hocker gesessen und war einigermaßen zufrieden, wenn er möglichst in Ruhe sein Bierchen trinken konnte.

Ganz klar, wird reden von „Schildkröte“, dem massigen Mann, der (laut Rollenlegende) tagsüber im Baumarkt an der Säge stand und abends halt die Schnauze gestrichen voll hatte. Nur manchmal, wenn’s Bademantelträger „Dittsche“ (Olli Dittrich) mit seinen „Weltideen“ gar zu bunt trieb, konnte auch dieser große Unbewegliche sich ein Lachen nicht verkneifen.

Doch wenn „Dittsche“ ihn am Schluss jeder Episode noch einmal direkt ansprach („Mein Krötenmann“), um vor allem Zustimmung zu seinen kruden Einfällen zu erheischen, dann sprach „Schildkröte“ immer und immer seinen legendären Satz: „Halt die Klappe, ich hab’ Feierabend!“ Damit war dann alles gesagt.

Über die vielen Jahre hinweg hat sich sein Verhaltensrepertoire denn auch kaum gewandelt. Da war es schon ein kleiner Umsturz der Gewohnheiten, als im Imbiss Rauchverbot eingeführt wurde. Zuerst musste „Kröti“ draußen paffen, dann ließ er es schließlich ganz bleiben.

Bürgerlich hieß „Schildkröte“ Franz Jarnach, er hatte als Musiker einiges vorzuweisen. Unter anderem war er als Pianist bei der frühen Deutschrock-Formation „Rattles“ zugange, aber auch mit Leuten wie Roland Kaiser und Jürgen Drews ist er aufgetreten. In den letzten Jahren musizierte der 1944 in Bonn/Bad Godesberg geborene Sohn eines Musikprofessors unter dem Künstlernamen „Mr. Piggi“.

Als „Schildkröte“ sollte er zum Schluss ein Mittfünfziger sein, im „wirklich wahren Leben“ (Untertitel von „Dittsche“) war er schon ein wenig älter. Jetzt ist Franz Jarnach mit 72 Jahren nach einem Klinikaufenthalt in Hamburg gestorben. Man vermag sich noch gar nicht vorzustellen, wie die Reihe (neue Folgen ab März geplant) ohne „Schildkröte“ fortgesetzt werden kann.

Nun ja. Wahrscheinlich wäre ihm ein solcher Nachruf auch schon zu viel Gedöns gewesen. Nicht, dass er noch aus dem Jenseits knurrt: „Halt die Klappe, ich hab’ Feierabend!“




Beichte eines Abo-Nomaden

Von Mietnomaden hat man schon Übles gehört. Sie ziehen weiter und weiter, stets Chaos und womöglich Müllberge hinterlassend. Eigentlich müssten sie Mietverweigerungsnomaden heißen, denn sie zahlen nicht fürs Wohnen. So schlimm verhält es sich bei mir nicht. Ich bin ja auch nur ein Abo-Nomade und bezahle meine Zeitungen pünktlich. Aber wechselhaft bin ich doch. Man könnte geradezu von Presse-Promiskuität sprechen. Hier meine schonungslose Beichte:

Das eine oder andere Print-Produkt... (Foto: BB)

Das eine oder andere Print-Produkt… (Foto: Bernd Berke)

Früher war ich mal ein ausgesprochen treuer Leser, habe viele Jahre lang zuerst die Frankfurter Rundschau (FR) abonniert, dann – ebenfalls für sehr lange Zeit – die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ). Die regionale Westfälische Rundschau (WR) gab’s eh über Jahrzehnte als Freiexemplar, weil ich dort gearbeitet habe.

Als sich der erste Riss auftat

Dann aber tat sich sozusagen ein Riss auf. Es hat mit der Entlassung der kompletten WR-Redaktion Anfang 2013 begonnen. Zwar war ich davon nicht mehr direkt betroffen, dennoch habe ich das (nunmehr kostenpflichtige) WR-Abo daraufhin sofort gekündigt und dem Verlag auch ausdrücklich den Grund genannt.

Für einige Wochen habe ich damals zähneknirschend die Ruhrnachrichten (RN) ausprobiert und vor allem im Mantelteil für unzureichend befunden, dann bin ich bei der WAZ angelangt. Als rundum zufriedenen Leser würde ich mich jetzt nicht bezeichnen wollen, aber zeigt mir bitte eine regionale Alternative.

Zwischenstopp bei Springer

Inzwischen hat das Wechselfieber auf den Umgang mit überregionalen Blättern ansteckend gewirkt. Vor einiger Zeit habe ich die FAZ gekündigt und vorerst nicht ersetzt. Kein herber Verlust, dachte ich, denn meine Frau hält schließlich die Süddeutsche Zeitung – und das ist wörtlich zu nehmen: Getreulich hält sie an dem achtbaren Münchner Produkt fest. Das müsste doch als Tageslektüre vollauf genügen.

Nach ein paar Monaten habe ich gemerkt, dass ich besonders das FAZ-Feuilleton doch vermisse – und habe die Zeitung erneut bezogen. Gleichsam im Gegenzug habe ich freilich die FAZ-Sonntagszeitung (FAS) abbestellt und vorübergehend durch die Welt am Sonntag (WamS) ersetzt. Diese Springer-Zeitung ist ideologisch nicht so einseitig, wie man es von früher her gekannt hat und bietet überdies einen kleinen NRW-Teil. Doch, ach: Den füllen sie über Gebühr auch mit nichtigen Promi-Bildchen, vorwiegend aus Düsseldorfer Schnöselkreisen.

Die Sonntags-Illusion

Nicht nur deswegen erfolgte kürzlich die nächste Volte: WamS aufgeben und dafür die ehrwürdige „Zeit“ ordern. Hintergedanke: Man kommt zwar donnerstags nicht dazu, sich die immense Stofffülle der „Zeit“ vorzunehmen, könnte dies aber sonntags nachholen, wenn dann keine andere Gazette ins Haus käme. Pustekuchen! Schon jetzt, im Vorfeld, habe ich gemerkt, dass das nicht funktionieren wird. Sonntags will man denn doch nicht mehr auf den nachrichtlichen Stand von Donnerstag zurückfallen, es darf auch schon mal etwas Aktuelleres sein; zumal die FAZ freitags noch mit einem Wochenheft dazwischen funkt.

Was habe ich wohl getan? Richtig. „Zeit“ gekündigt, FAZ-Sonntagszeitung wieder bestellt. Und das fühlt sich jetzt richtig an. Einige FAS-Spezialitäten haben mir doch gefehlt, auch hat man sich ans ansprechende Erscheinungsbild gewöhnt.

Falsche Kundennummer

Mittlerweile hält man mich offenbar per se für einen unsteten Patron. So erhielt ich kürzlich ein Schreiben der FAZ, die meine Kündigung bedauerte, ihr aber selbstverständlich entsprechen wollte. Nanu? Diesmal hatte ich wirklich nichts dergleichen veranlasst. Ein Anruf klärte das Missverständnis rasch. Es waren zwei Kundennummern vertauscht worden. Eine Dame hatte abbestellt – und das wurde auf meine Nummer verbucht…

Als vermeintlich Fahnenflüchtigem hat mir die FAZ jedoch schon ein spezielles Angebot unterbreitet, das mich zum Bleiben verlocken sollte. Zwölf Monate lesen, neun Monate zahlen. Schnäppchenjagd ist sonst nicht mein Metier, doch das habe ich als Pseudo-Neuabonnent mal dankend angenommen. Aber pssst! Nehmt es euch nicht zum Beispiel. Bleibt euren Blättern gewogen, wenn sie es wert sind. Oder habt ihr etwa gar keine mehr?

Ein haltloser Geselle

Blickt ihr noch durch? Wollt ihr noch hören, dass ich zwischenzeitlich auch jeweils kurz den „Freitag“, „Cicero“ und „The Guardian Weekly“ im Briefkasten hatte (ihr seht, politisch bin ich nicht so starr festgelegt)? Interessiert es euch überhaupt noch, dass ich – wie hier schon dargelegt – zeitweise ein Online- statt ein Print-Abo der FAZ bezogen und ebenfalls wieder verworfen habe?

Wir fassen zusammen: Alles in allem bin ich, was Zeitungen anbetrifft, schon ein haltloser Geselle geworden. Aber in Zukunft will ich die Blätter nur mit Büchern betrügen und ansonsten standfest bleiben. Um es mit „Monaco Franze“ ebenso schillernd wie herzig zu sagen: „Seelisch bin i dir treu, Spatzl“.

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P.S.: Genau! Spiegel, Focus und Taz habe ich bei all den Wechseln immer ausgelassen, also niemals bestellt. Und das dürfte auch so bleiben.

P.P.S.: Bin mal gespannt, welche Abo-Werbung mir demnächst ins Haus und in die Mailbox flattert.