…und wieder wird die angebliche Jugendsprache totgeritten

Blick ins heimische Bücherregal: Produkte aus dem Langenscheidt-Kerngeschäft sind mir irgendwie weitaus lieber als die PR-Masche mit den Jugendwörtern. (Foto: Bernd Berke)

Schon seit 2019 gehört der Wörterbuchverlag Langenscheidt – unter Beibehaltung der Marke – zum einstigen Konkurrenten Pons. Rasch war das Kartellamt damals mit der Fusion einverstanden, weil es sich bei Wörterbüchern und Sprachführern um einen „Bagatellmarkt“ (!) handele.

Trotzdem (oder gerade deshalb?) mag man es bei Langenscheidt partout nicht aufgeben, alljährlich wiederkehrend das „Jugendwort des Jahres“ wählen zu lassen. Ein Vorgang, den man eigentlich bei der Gesellschaft für Deutsche Sprache ansiedeln würde. So aber haben es (bereits 2008) ein paar Verlagsleute privatisiert und hauen darob bis heute eminent wichtig auf die Pauke. Ob es ihren Ruf gesteigert oder gemindert hat? Tja.

Bis zum 17. Juli konnten diesmal Vorschläge eingereicht werden, jetzt wurden schon mal – mehr oder weniger medienwirksam – die Top Ten verkündet. Man fragt sich demnach wieder, wer da eigentlich Vorschläge einreicht. Ob es wirklich mehrheitlich Jugendliche sind, möchte man bezweifeln, denn wie üblich hinkt man der mutmaßlichen Sprach-Realität teilweise um Jahre hinterher. Befragt man echte Jugendliche nach der „Shortlist“, schütteln sie nur die Köpfe. Auch diese Diskrepanz ist schon ein alter Hut.

Bringen wir’s hinter uns. Hier sind die zehn Favoriten für 2025:

„Checkst Du“ (kapierst du’s), „Das crazy“ (entspricht annähernd dem Loriotschen „ach was“), „Digga(h)“, „goonen“ (onanieren), „lowkey“ (etwa: „ganz nebenbei“), „Rede“ (ungefähr: Da sagst du was Wahres, das kannst du laut sagen), „Schere“ (meine Schuld), „Sybau“ (Abkürzung für „Shut your bitch ass up“ = Halt’s Maul), „tot“ (furchtbar langweilig oder peinlich) und „tuff“ (krass, cool etc.).

So. Genug gegrinst oder gegähnt. Insbesondere „Digga“ klingt inzwischen dermaßen klischeehaft altbacken, dass die Anrede beinahe als Boomer-Wendung durchgehen könnte. Niemand sollte auch nur auf die Idee kommen, sich an Jugendliche (erst recht nicht an Gruppen) mit einem dieser vermeintlichen Jugendworte heranzuwanzen. Mindestens Ignoranz oder Spott, vielleicht auch Verachtung wären einem als verdienter Lohn zuteil. Wer lässt sich schon gerne unberufen dilettantisch in seine Ausdrucksweise hineinpfuschen?

Langenscheidt aber lässt und lässt nicht locker und verkündet schon mal den weiteren Fahrplan: Vom 29. Juli (also heute) bis zum 2. September erfolgt demnach das Top-10-Voting, vom 9. September bis zum 8. Oktober folgt das Top-3-Voting. Schließlich gibt’s am 18. Oktober die Bekanntgabe des Gewinner-Wortes auf der Frankfurter Buchmesse. Zu fürchten steht freilich, das alles sei nicht tuff, sondern tot.




Förmlich oder nüchtern? Dankesbekundungen gestern und heute

Gängiges Emoji für Dankesbekundungen (© EmojiTerra.com /  „Emojis zum Kopieren und Einfügen“)

Vor geraumer Zeit war hier von gängigen Grußformeln die Rede, jetzt geht es mal eben kurz um Dankesformeln. Bitte hier entlang:

Wir vergewissern uns rasch: „Vielen Dank“, „Lieben Dank“ oder – leicht gesteigert – „Vielen lieben Dank“ lauten die vielleicht meistgebrauchten Dankesbekundungen dieser Tage. Manche lassen es auch beim Emoji mit den dankbar aneinander gepressten Händen bewenden. Das erscheint freilich wie ein arg flüchtiger Dank auf bloßen Klick.

Und sonst? Ein schlichtes „Danke“ ist beinahe schon verpönt, weil es nichts hermacht. Es sollte, nach allgemeinem Empfinden, schon wenigstens „Herzlichen Dank“ oder (etwas geschäftsmäßiger) „Besten Dank“ heißen. „Heißen Dank“ entbietet man wohl nur, wenn man es ironisch meint und gar nicht wirklich Dankbarkeit erweisen möchte. Ähnliches gilt für die geflissentlich zelebrierte Wiederholung: „Danke, danke, danke!“ oder fürs multiple „Tausend Dank!“ Vollends abgehoben erscheint das sentimental triefende Liedlein von 1961, dessen (an Gott adressierte) erste von sechs Strophen da lautet: „Danke für diesen guten Morgen / Danke für jeden neuen Tag / Danke, dass ich all meine Sorgen / Auf dich werfen mag.“ Auf dich werfen… Ja, wenn das s o ist.

In Zeiten, da das Wort „Demut“ inflationär gerade bei jenen grassiert, die gar nicht so recht wissen, wie sich Demut überhaupt anfühlt, sind auch schwer veraltete Formulierungen wie „Untertänigsten Dank“ längst nicht mehr „angesagt“. Apropos: Erinnert sich noch jemand an jene Jahre, als immerzu dankbare Buben einen „Diener“ (aka Bückling oder Kotau) machen sollten und dito Mädels einen „Knicks“? Bis ungefähr zur Mitte der 1960er Jahre waren solcherlei Zumutungen üblich.

Nebenformen wie das sarkastische „Danke auch“ (empörte Betonung auf „auch“) klingen unterdessen ebenso selbstgefällig wie das vor allem online weithin verwendete „Danke für nichts“ oder unfassbar scherzhafte Verballhornungen wie „Danke, Anke!“

Nicht allzu glaubhaft hört es sich an, wenn jemand behauptet, „unendlich dankbar“ zu sein oder wenn jemand sich präsidial hierzu versteigt: „Ich bin Ihnen zu großem Dank verpflichtet!“ Wer sich so äußert, wird vielleicht auch schwülstig von „Dankesschuld“ und „Dankesbezeugung“ reden. Dankenswerterweise sind solche Wallungen aus der Mode gekommen.

Gar zu förmlich darf es also nicht mehr sein, allzu nüchtern freilich auch nicht.

Da fällt mir gerade noch ein, was noch heute so oft zu Kindern gesagt wird, die einfach unumwunden etwas haben wollen: „Wie heißt das Zauberwort?“ Eigentlich sind es ja zwei: Bitte und Danke. Viel mehr braucht es doch auch nicht, oder?

 




Goethe-Institut: Harte Jahre, schmale Mittel

Es sind harte Jahre – auch fürs weltweit aufgestellte Goethe-Institut, das deutsche Sprache und Kultur möglichst global vermitteln soll. Gesche Joost, erst seit 19. November neue Präsidentin des dem Außenministerium angegliederten Instituts, spricht von einer „Welt der neuen Rauheit“, in der man umso dringlicher für demokratische Werte einstehen wolle.

Gesche Joost, seit gerade mal zwei Wochen Präsidentin des Goethe-Instituts. (Foto: © Loredana La Rocca / Goethe-Institut)

In Zeiten des erstarkten Rechtspopulismus, so Joost auf der Jahrespressekonferenz weiter, müsse man sich auf die zweite Amtszeit von Donald Trump und auf den Fortgang kriegerischer Krisen (Ukraine, Nahost etc.) einstellen. In diesem Umfeld gelte es, dem Institut und seinen Anliegen mehr „Sichtbarkeit“ zu verschaffen und „Resilienz“ (Widerstandskraft) zu entwickeln. Gängige Schlagworte, die wohl nicht fehlen dürfen.

Etat erneut gekürzt

All das muss jedenfalls auch noch mit schmalen Finanzen bewirkt werden: Johannes Ebert, Generalsekretär des Goethe-Instituts, stellte klar, dass man nach dem Aus der „Ampel“-Koalition nur mit einem vorläufigen Haushalt wirtschaften könne. Der aktuelle Regierungsentwurf sehe abermals Kürzungen beim Goethe-Institut vor – um 4,1 Mio. Euro (rund 2,8 Prozentpunkte) auf 226,2 Mio. Euro; dies wiederum bei allseits steigenden Kosten, die sich besonders international bemerkbar machen. Inzwischen sei man durch ständige Einsparungen (etwa 10% seit der Corona-Pandemie) wieder auf dem Niveau von 2017 angelangt. Ob man bei einer neuen Regierung mehr Gehör finden wird, steht wahrlich dahin. Die Hoffnung stirbt auch hier zuletzt.

Rekordeinnahmen durch Sprachkurse

Unterdessen wird gezwungenermaßen eine „Transformation“ des Instituts vorangetrieben, worunter vor allem eine Verschlankung zu verstehen ist. Struktur- und Verwaltungskosten sollen im größeren Stil reduziert werden. Eine Reihe von Instituts-Schließungen (u. a. in Bordeaux, Genua, Turin, Rotterdam, Osaka, Washington) ist weitgehend über die Bühne gegangen, die Zentrale muss derweil mit 27 Stellen (7,5%) weniger auskommen. Dadurch frei werdende Mittel sollen verstärkt für Sprachvermittlung eingesetzt werden. In diesem Bereich hat man ohnehin schon einen neuen Rekord aufgestellt. Bereits im Oktober verzeichnete das Institut für 2024 weltweit über 1 Million abgenommene Deutsch-Prüfungen und Einnahmen von 152 Millionen Euro. Angesichts der seit Jahren sinkenden staatlichen Förderung bedeutet dies freilich nur eine Teilentlastung.

Moskauer Niederlassung radikal geschrumpft

Neben einigen schmerzlichen Schließungen gab es vereinzelt auch ein paar Neueinstiege mit anderen Schwerpunkten – in Jerewan (Armenien) und Bischkek (Kirgisistan), dazu kommen Präsenzen in Chisinau (Republik Moldau) und Houston (USA). Moskau, mit einst 180 Mitarbeitern weltweit größtes Goethe-Institut, ist jedoch unterm Druck der Verhältnisse vehement auf 12 Leute geschrumpft (plus 3 in St. Petersburg). Dennoch wird versucht, den Betrieb notdürftig aufrecht zu erhalten. Bloß nicht alle Fäden abreißen lassen, heißt die Devise.

Fachkräfte auf Deutschland vorbereiten

Eine seiner Hauptaufgaben sieht das Goethe-Institut darin, dringend benötigte Fachkräfte nach Deutschland zu holen und diese mit Spracherwerb und nachhaltigen Integrations-Angeboten auf die neue Umgebung vorzubereiten. Hierbei konkurriert man mit Ländern wie Japan, Kanada oder den USA. Immerhin: Erste Erfolge zeigen sich offenbar bei Anwerbungen in Indien oder Vietnam. Wie Goethe-Generalsekretär Ebert ausführte, gibt es seit den AfD-Wahlerfolgen allerdings viele bange Nachfragen, ob man denn in Deutschland auch willkommen sei.

Die beste Bratwurst von Hanoi

Goethe-Präsidentin Joost (ansonsten Professorin für Designforschung an der Berliner Hochschule der Künste – HdK) versicherte, sie werde in ihrer Amtszeit nicht nur auf hehre Hochkultur achten, sondern auch auf alltägliche Dinge des niedrigschwelligen Zugangs. Beispiel? Sie habe kürzlich das Goethe-Institut in Hanoi (Vietnam) besucht. Es habe sich herumgesprochen, dass es dort nicht nur gute Sprachkurse gebe, sondern auch „die beste Bratwurst“ weit und breit.

_____________

P. S. Die Jahrespressekonferenz des Goethe-Instituts hat heute in Berlin stattgefunden. Ich war online via Zoom dabei.




Neuer Verlag in Dortmund: Romanische Literaturen im Blick

Verleger Lucas Franken (Foto: © Gideon Rothmann)

Wer hätte das gedacht? In Dortmund, das nicht nur keine Kinostadt mehr, sondern (seit dem Hinschwinden so grundverschiedener Häuser wie Harenberg oder Grafit) auch keine Verlagsstadt mehr ist, gründet sich tatsächlich ein neuer Buchverlag. Lasst Vorurteile sprechen: Der Neuling wird doch sicherlich ein halbgares Programm pflegen, vermutlich mit wohlfeiler Ruhri-Anmutung und Touri- oder Fußball-Schwerpunkt?

Nichts da! Weit gefehlt. Der Franken Verlag meint es literarisch richtig ernst und seriös. Am 15. Januar 2025 soll das erste Buch erscheinen: „Feinschnitt Barcelona“ (ca. 250 S., 24 €) von Adrià Pujol Cruells, eine Mischung aus Autobiographie und Essay, aus dem Katalanischen übersetzt von Matthias Friedrich. Wir werden an dieser Stelle beizeiten darauf zurückkommen.

Adrià Pujol Cruells, Autor des Buches „Feinschnitt Barcelona“. (Foto: © Víctor P. de Óbanos)

Generell will man sich bei Franken in den romanischen Literaturen umtun und möglichst hochkarätige Übertragungen publizieren. Deutlich sichtbares Zeichen dafür soll die „Nennung der Übersetzer*innen auf dem Cover“ sein – eine lobenswerte, bislang ziemlich seltene Praxis in der Buchbranche. Mehr noch: Auch die verantwortlichen Lektoratskräfte, samt und sonders Romanistik-Fachleute, sollen die jeweilige Fremdsprache beherrschen. Spontan habe ich mich an den sehr inspirierenden, leider nicht mehr selbstständig existierenden Bremer Manholt Verlag (ab 2004 als edition manholt bei dtv) erinnert gefühlt, der sich der frankophonen Literatur in deutschen Übersetzungen gewidmet hat.

Zitiert sei der Dortmunder Verlagsgründer Lucas Franken, der in Bochum und Paris Romanistik studiert hat und seit 2020 in Dortmund ein Sprach- und Übersetzungsbüro leitet: „Bei uns erscheinen Texte, die woanders vielleicht übersehen werden – etwa, weil literarische Texte aus ,kleineren‘ Sprachen den größeren Verlagshäusern zu nischig sind. Oder weil wir Texte (wieder)entdecken, die im Ausland längst den Status von Klassikern genießen, im deutschsprachigen Raum aber bisher noch nicht veröffentlicht wurden.“ Wie auch immer: Pro Jahr sollen künftig ein bis zwei Titel erscheinen, man beginnt also vernünftig und vorsichtig, gleichsam auf Sparflamme.

Es wird also gewiss kein Verlag für die Massen oder den Mainstream werden, vielleicht aber einer mit unterschwelliger Tiefenwirkung, die sich auch in überregionalen Medien abzeichnen könnte. Warten wir’s gespannt ab.

Franken Verlag, Reinoldistraße 2-4, 44135 Dortmund
https://frankenverlag.de




Pfuschi, Fritten, Drogen-Dackel – der Sound des Reviers

Gezz ma‘ wacker gucken, wat „inne Fritten“ is‘. Oder sollte es sich nur um so eine Redensart handeln? (Foto: Bernd Berke)

Kurz zu berichten ist von einem ehrbaren Handwerker in Dortmund, der auf seine unverwechselbare Weise etwas von den älteren Revierzeiten lebt und verkörpert. Sein genaues Metier sei nicht genannt, sonst erfährt er am Ende noch, dass er gemeint ist. Muss ja nicht sein.

Ich höre von drei Äußerungen, die er während eines einzigen Kundengesprächs binnen weniger Minuten hervorgebracht habe. Leider lassen sich seine Ruhr(hoch)deutsch klingenden Redensarten nur sehr unzureichend schriftlich wiedergeben. Eigentlich muss man den Mann dabei hören und sehen. Über Wohl und Wehe von Borussia Dortmund kann der glühende BVB-Fan übrigens stundenlang schwadronieren. Könntet ihr das hören, würdet ihr euch gewiss mächtig beömmeln.

Nun aber zu den besagten drei Äußerungen: Treuherzig versichert er, bei ihm gebe es kein „Pfuschi wie bei Uschi“. Das stimmt. Er arbeitet sehr gewissenhaft und nimmt für Reparaturen, die ihm selbst nicht hundertprozentig gelungen zu sein scheinen, freiwillig kein Geld; nicht einmal dann, wenn man ihn beschwört, es anzunehmen, wenn man es ihm geradezu aufdrängt. Ob wir bei „Pfuschi“ an eine bestimmte Uschi denken sollen (doch nicht etwa an Frau Von der Leyen??), ist nicht überliefert. Wahrscheinlich ist es ja nur so ein Schnack.

Den kläglichen Zustand eines zu reparierenden Gegenstandes bezeichnet der brave Handwerksmann so: „Der is‘ inne Fritten.“ Und beim Gespräch über Vorfälle in der Nachbarschaft nennt er einen bedauernswerten Rauschgift-Konsumenten „Drogen-Dackel“. Im Grunde gar nicht lustig. Doch selbst die ernstesten Zustände wirken in dieser sprachlichen Aufbereitung entlastend komisch. Irgendwie.

Man ist versucht, längere Unterhaltungen mit ihm zu führen und selbige exemplarisch für Mit- und Nachwelt aufzuzeichnen. Doch ein solches Arrangement würde die Originalität und den bestens geerdeten Sound des Ruhrgebiets wohl verfälschen. Lassen wir also in diesem Falle alles so, wie es ist. Denn es ist gut so.




„Nachspielzeit“ des Lebens – Späte Lyrik von Jürgen Becker

Mit den vielen Lebensjahren wird der menschliche Handlungsradius spürbar kleiner und enger, es zählen nun zusehends Dinge und Zustände im Nahbereich. Was man sich darunter vorstellen kann, beschreibt der 1932 in Köln geborene Büchnerpreisträger Jürgen Becker in seinem Lyrik-Band „Nachspielzeit“, der – dem Untertitel zufolge – „Sätze und Gedichte“ enthält.

Eine „Nachspielzeit“ gibt es nicht nur in diversen Sportarten, sondern auch im Leben. Es ist jene Zeit, in der nach und nach die meisten Freunde und Weggefährten sterben und das Gefühl sich einstellt, man sei aus seiner Kohorte nahezu allein übrig geblieben. Es ist das Dasein im Wartestand, in „zugezählten Stunden“, wie es einmal bei Lessing hieß. Die Tage bestehen größtenteils aus Wiederholungen und Gewohnheiten. Keine Zeit für hochfliegende Hoffnungen oder große Entwürfe, sondern für leise, sanft verhallende Töne. Gleichwohl gibt es noch immer ein „Netz der Zusammenhänge“, in dem man sich auch verheddern kann.

Beckers Gedichte kreisen vor allem um Schwund und Verschwinden, vielfach auch um Leere und Alleinsein, wenn nicht Einsamkeit. Sehr innig und still verweilen Gedanken und Empfindungen bei Jürgen Beckers verstorbener Frau Rango Bohne. Wie ließe sich eine solch umfassende Abwesenheit auch verwinden?

In den Blickpunkt rückt nunmehr der kleinteilige Alltag, rücken die Gegenstände im Haus – buchstäblich von der Waschmaschine bis zur Eieruhr. Politische Ereignisse dringen, wenn überhaupt, eher als restliche Sinnfetzen, als allzu bekannte Partikel in diese eng gewordene Welt; ein Zustand, der vom lyrischen Ich offenbar gelegentlich als befreiend empfunden wird. Es gibt eben auch wohltuende Leere, sofern man die Medien beiseite lässt. Allerdings:

„Ich kann nur sagen, daß ich versuche,
mit der Leere zurande zu kommen, die jeden Morgen
aufs neue beginnt.“

Einmal zitiert Becker wörtlich das (zuweilen besonders ergiebige) Naherlebnis aus Gottfried Benns Gedicht „Was ist der Mensch“ herbei:

„Du mußt aus deiner Gegend alles holen,
Denn auch von Reisen kommst du leer zurück.“

Immer wieder geraten jedoch, zumal in den Träumen, Phänomene aus früheren Lebensphasen an die Tages-Oberfläche – besonders die als Kind in Thüringen durchlittenen Bombennächte des Zweiten Weltkriegs. Mehrfach werden Bezeichnungen von „damals“ aufgerufen, die bei jüngeren Menschen überwiegend in Vergessenheit geraten sind; Schockmomente auch hier inbegriffen. Beispiel:

„Das Fräulein vom Amt. Die Küchenmamsell.
Die Zugehfrau. Das Kinderfräulein. Die Handarbeitslehrerin.
Die Gouvernante. Die KZ-Aufseherin. Das Milchmädchen…“

Vergessen wäre vielleicht heilsam, doch es wird auf Erden nicht gewährt. Zitat:

„– glaub ja nicht, es sei vergessen,
was du einmal gesagt hast,
es kommt alles wieder (…)
irgendwo glimmt alles weiter
und das Gedächtnis kennt keine Gnade.“

Das höhere Alter bringt bekanntlich auch den Unwillen mit sich, ständig auf Veränderung zu sinnen. Hier gerinnt diese Haltung zur Absage an Rilkes berühmte Zeile „Du mußt dein Leben ändern“. Becker hingegen postuliert:

Du mußt dein Leben nicht ändern. Geändert hat sich schon alles allein.“

Jürgen Becker hat im Lauf der Jahrzehnte einen ganz eigenen Kosmos aus Lyrik und Journalen erschaffen. Seinem künstlerischen Können darf man sich lesend getrost anvertrauen. Diese späten Gedichte sind assoziativ, flüchtig, sie versammeln Momente und Fragmente, alles gerundet Ganze stünde wohl unter Lügenverdacht. Und doch spürt man in all diesen Zeilen mehr oder weniger deutlich, was – aus höchst subjektiver Sicht – eigentlich vorgeht.

Einzelne Worte wie „Gehöft“ oder „Häher“ scheinen überdies feinsinnig hinzudeuten auf die karge Nachkriegslyrik von Günter Eich, mithin auf eine Inventur von Restbeständen. Auch auf solch unscheinbare Weise können sich Traditionsstränge bilden.

Jürgen Becker: „Nachspielzeit“. Sätze und Gedichte. Suhrkamp. 106 Seiten. 24 Euro.




Lasst euch nicht bei-rren, auch nicht von Blumento-pferden

Höchstwahrscheinlich keine Blumento-pferde. (Foto: BB)

Der Befund gilt auch und gerade für die, die sich zubilligen, mit der Sprache einigermaßen gut umgehen zu können: Eine Neigung zu oder gar Freundschaft mit (bestimmten) Wörtern entsteht nicht selten auf dem Umweg über Irritationen. Ein Beispiel folgt auf dem Fuße.

Ein Wort, das mich als Kind und gar bis in die Jugend hinein befremdet und ratlos gelassen hat, war „beirren“. Lange, sehr lange habe ich geglaubt, die kurze Sprechpause müsse nach der Silbe „bei“ gesetzt werden, so dass es bei-rren hätte lauten müssen. Was aber hatte dieser rätselhafte Rest-Sprachfetzen „rren“ zu bedeuten?

Dass der zweite Teil mit „irren“ zu tun haben könnte und am Anfang lediglich das „be“ zu isolieren wäre, blieb mir aus unerfindlichen Gründen über Jahre hinweg verborgen. Erst sehr spät und ohne großes Zutun hat sich der Aha-Effekt eingestellt. Ich hatte mich von „beirren“ gründlich beirren lassen. Und ich hatte mich nicht zu fragen getraut, was es damit auf sich habe. Auch im Brockhaus wurde es nicht entschlüsselt. So war das in den Zeiten ohne Suchmaschinen.

Mit ähnlich Effekten hat man durch die Jahrzehnte unfassbar lustige Scherze getrieben, beispielsweise mit der Nonsens-Fügung „Blumento-pferde“ (statt „Blumentopferde“) oder mit dem „Urinstinkt“, der sich so sprechen lässt, dass „Urin stinkt“, was ja sachlich auch nicht völlig verkehrt ist und der traditionell auf Ausscheidungen fixierten deutschen Humor-Struktur entsprechen dürfte. (Spätestens jetzt die rasch ersterbenden Lacher vom Band abspielen!)

Weitere Exempel finden sich bestimmt zuhauf. Aber wollen wir sie willentlich aufspüren? Nein, sie müssen uns wie von selbst beikommen. Beispielsweise, indem das Trennprogramm mal wieder verrückt spielt.




Entlustet und mohrifiziert – Wortverhunzung und Schlimmeres im Dunstkreis des Vereins Deutsche Sprache

Katzen, die sich anschicken, über Tastaturen zu laufen, sind hoffentlich gegen die Versuchungen des Denglischen gefeit… (Foto: Bernd Berke)

Mit dem „Verein Deutsche Sprache“ (VDS), 1997 aus der Taufe gehoben vom Dortmunder Statistik-Professor Walter Krämer, hat es von jeher seine erzkonservative Bewandtnis. Bereits zu Gründerzeiten war es zu ahnen. Ich hatte schon damals das zweifelhafte Vergnügen, dies und jenes über den zwiespältigen Zusammenschluss zu schreiben, der heute nach eigenen Angaben rund 36000 Mitglieder hat.

Manchmal, ob nun punktuell oder partiell, scheint das eh schon schillernde Gebilde auch in Richtung rechtslastiger Umtriebe zu kippen, neuerdings wohl auch begünstigt durch die gesellschaftliche Großwetterlage. So wurde jetzt offenbar, dass VDS-Vorstandsmitglied Silke Schröder – neben einigen AfD-Angehörigen und Neonazis – an jenem unsäglichen Treffen nahe Potsdam teilgenommen hat, bei dem über die massenhafte Vertreibung von Bürgern nichtdeutscher Abstammung schwadroniert wurde. Selbst die etwaige deutsche Staatsbürgerschaft sollte nicht vor insgesamt millionenfacher Ausweisung schützen. Auch Menschen, die sich für Flüchtlinge und deren Belange einsetzen, sollten demnach gleich mit verschwinden – am besten in ein eigens geräumtes nordafrikanisches Gebiet. Wahnsinn.

Umgehend distanzierte sich der Sprach-Verein, der die Teilnahme Schröders nicht autorisiert und schon gar nicht angestoßen haben wollte. Auch kündigte sogleich der prominente Philosoph Peter Sloterdijk seine Mitgliedschaft auf. Viele dürften erst auf diese Weise erfahren haben, dass er dem Verein überhaupt angehört hat. Überdies haben einige weitere Mitglieder den Vereinsausschluss Silke Schröders und eine deutlich klarstellende Positionierung des VDS gefordert. Unter anderem haben sich Dieter Hallervorden und Ehrenmitglied Bastian Sick („Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod“) in diesem redlichen Sinne geäußert. Just heute (15. Januar) ist Frau Schröder aus dem Verein ausgetreten. Nach wie vor ist es übrigens aufschlussreich, auf der VDS-Homepage (deutschtümelnder Vereinsjargon: „Heimseite“) die Rubrik „Bekannte Mitglieder“ aufzurufen.

Wenn man schon mal auf der „Heimseite“ ist…

Wenn man sich schon mal auf der Seite herumtreibt, kann man gleich schauen, wie es um die Anglizismen-Bekämpfung des nunmehr in Kamen bei Dortmund angesiedelten Vereins bestellt ist. Man kann hier ein mit derzeit 430 Seiten recht umfangreiches, aber keinesfalls vollständiges Wörterbuch durchblättern, mit dem etliche englische Begriffe aufgeführt und mehr oder weniger triftig erklärt werden. So weit die lexikalischen Anstrengungen, die freilich weit hinter jedem seriösen Wörterbuch zurückbleiben.

Keine Frage, dass es etwas für sich hat, eine allzu bereitwillige Preisgabe deutscher Ausdrucksformen zu kritisieren. Manchmal mutet der demonstrative oder auch nur gedankenlose Hang zum Englischen wirklich stark übertrieben an. Doch wie es so zu gehen pflegt, wenn man sich ein Feindbild erkoren hat: Hie und da finden sich in den VDS-Listen Vorschläge zur Eindeutschung, die unfreiwillige Komik in sich bergen oder gar vor sich hertragen. Es folgen ein paar Beispiele. Wir wünschen viel Vergnügen, falls es einem noch nicht im Halse steckt:

abgefuckt = entlustet
abhotten = sich (tanzend oder zappelnd) enthitzen
Actionthriller = Geschehnisreißer
blackfacing = mohrifizieren
Deostick = Gegenduftstift
Deutschied = deutscher Abschied (für einen etwaigen Austritt aus der EU – statt Dexit)
Disco = Zappelschuppen
eros center = Körperlustladen
Erdnuss-Flips = Erdnuss-Röstwürmer

Haarspray = Haarhaltgeber
Hacker = Programmparolenknacker
Handy = Telefönchen
iPad = Brettrechner

„Unerwachtes Sprachbewusstsein“

Insbesondere die technischen Begriffe aus dem Computerbereich dürften kaum noch ins Deutsche rückholbar sein. Während sich das Wortverzeichnis über weite Strecken einigermaßen neutral gibt, schleichen sich doch an manchen Stellen explizite Wertungen ein. Auf Seite 220 heißt es, eine an sich harmlose anglophone Wortverwendung („Kidney-Bohnen“) sei „ein Exempel unerwachten Sprachbewusstseins“. Nein, da steht (noch) nicht „Sprachbewusstsein, erwache!“ Bonus-Beispiel: Das englische Wort hookup verweist nach VDS-Lesart auf – so wörtlich mit Rufzeichen – „Triebauslebe-Unkultur (!)“. Schwingt da nicht einiges von der „Zuchtlosigkeit“ aus unguten Zeiten mit?

Apropos Triebe: Derbere sexuelle Konnotationen meidet man beim VDS tunlichst – oder man bemerkt sie erst gar nicht. So wird das englische „cock“ lediglich mit „Hahn“ übertragen, während „fisten“ nur der Faustabwehr des Fußballtorwarts zugeordnet wird. Ergänzende Erläuterung wohl überflüssig.

Die allermeisten „Anglizismen“ sind – streng genommen – eigentlich gar keine. Anglizismen im engeren Sinn sind englische Fügungen, die sich dem Deutschen aufprägen, wie etwa in der Formel „Es macht Sinn“ (von „It makes sense“) statt „Es ergibt Sinn“ oder neuerdings in „Da hast du einen Punkt“. In den allermeisten Fällen geht es allerdings schlichtweg um so genanntes „Denglisch“. Überdies handelt es sich bei vielen Übernahmen und Anverwandlungen aus dem Englischen unterschwellig um lateinisches oder griechisches Wortgut, das in manchen Kreisen immer noch eher mit höherer Bildung assoziiert wird. Jaja, es ist kompliziert – und selten so simpel, wie vom VDS verbreitet.




Immer wieder „Alles gut“

Gerne hätten wir folgende Zeilen unter das Bild gesetzt: „Das Licht der Aufklärung durchdringt den sprachlichen Nebel.“ Aber das lassen wir lieber bleiben. (Foto: Bernd Berke)

Zugegeben, es wird im deutschen Sprachraum schon seit einigen Jahren gesagt, allerdings mit der Zeit immer und immer öfter. Inzwischen ist es längst eine feste Formel, ja ein Passepartout geworden, eigentlich immer und überall zu gebrauchen:

„Alles gut.“

Soll man’s schriftlich und stimmlich mit oder ohne Punkt ausklingen lassen, mit Ausrufezeichen oder gar mit drei Auslassungs-Punkten? Das bleibt jedem Menschen selbst überlassen. Wichtig ist nur: Es soll beruhigend wirken, lindernd und beschwichtigend (Achtung, auch darin verbirgt sich das Wort „wichtig“), es soll an sich schon harmlose Situationen weiter entschärfen, die sowieso gar nicht allzu viel Konfliktpotential bergen. Sollte es sich etwa nur um eine nette Nichtigkeit handeln?

Erstaunlich ist, dass sich dieses sedierende „Alles gut“ ausgerechnet in Zeiten des grassierenden Wutbürgertums und der „kurzen Zündschnüre“ entwickelt hat – wie zum Ausgleich für brüllend obszöne Verwünschungen. Fraglich ist, ob ein echter Wutbürger gelegentlich „Alles gut“ sagt. Es ist nicht anzunehmen. Mithin scheinen die beiden (im Grunde herzlich unverbindlichen) Wörtchen eine Domäne der Friedliebenden im Lande zu sein. Gewisse Draufgänger halten solche Leute für Schwächlinge oder auf Neudeutsch für „Lauch“.

Wer möglichst jeglichen Streit vermeiden, sich aber auch komplizierte Widerreden und überhaupt langwierige Dialoge ersparen will, kann alles rasch mit seinem versöhnlerischen „Alles gut“ zukleistern. Es sagt sich ja so einfach und gedankenlos dahin. Aber trifft es auch inhaltlich zu?

Die ans Philosophische grenzende Frage lautet doch: Kann denn überhaupt unentwegt „Alles gut“ sein, oder wird das Sprüchlein eh nur auf Nebensachen angewendet? Dann dürfte es sich um ein schnellstens angerührtes Lösungsmittel für Kleinigkeiten handeln, für Peanuts und Petitessen. Eher einem sehr flüchtigen Lächeln vergleichbar, dem Zwinkern und Flunkern nicht fern.

Sobald es ernster wird, verfehlt das „Alles gut“ ohnehin seine mildernde Wirkung. Man stelle sich vor, wie die vielfach landesübliche, rechtsschutzbewehrte juristische Kampfbereitschaft auf Widersacher trifft, die ein ganzes Verfahren mit „Alles gut“ quittieren wollen. Dann wäre nichts mehr gut.

 




Lecken, schmecken, lispeln, lallen: Fast alles über die Zunge

Florian Werner knöpft sich die kulturgeschichtlichen Themen vor, wie sie ihm beikommen. Zuletzt hatte er sich mit allerlei Fährnissen rund um die Raststätte befasst, es wurde an dieser Stelle gewürdigt. Nun ist ein ganz spezieller Körperteil an der Reihe: die Zunge, also das eigenwillig schlüpfrige Ding in der Mundhöhle, das manchmal so keck hervorkommt.

Schnell wird klar, wie fleißig der Autor Materialien gesammelt hat. Nahezu jede denkbare (zumindest deutschsprachige) Redensart mit Zungenbezug wird zitiert und aufs pralle Leben bezogen. Da kommt einiges zusammen. Derlei Bücher tendieren überhaupt dazu, die ganze Welt auf ihr Thema zu fokussieren. Dem Zungen-Autor ist irgendwann alles Zunge. Und so heißt es auch hier: bloß nichts vergessen, bloß nichts auslassen, keinen Gag verschenken. So wird die Phänomenologie der Zunge um und um gewendet. Beim Ameisenbär ist sie übrigens rund 60 Zentimeter lang, die Giraffe bringt’s auf 50 Zentimeter. Nur mal fürs Protokoll.

Provokation und Sexualität

Was kann die Zunge nicht alles sein und vollführen – von frühauf: gemeinsam mit den Lippen an der Mutterbrust saugen. Aber sie ist auch körperpolitisch aktiv. Vor allem seit den 1960er Jahren gerät sie zum immer offensiveren Zeichen der Provokation, sofern frech rausgestreckt (man denke ans berühmte Stones-Cover und dergleichen Ikonen); ein höchst bewegliches Organ, schleimig und zuweilen etwas eklig. Sodann die sexuelle Konnotation beim Lecken und Gelecktwerden. Mit den Geschlechtsteilen hört die Leckerei ja noch lange nicht auf, das weite Feld wird von A bis Z (Klartext: Arschlecken bis Zungenkuss) durchbuchstabiert. Feinsinnige Unterscheidung: Kommt die Zunge aus dem Mund und wölbt sich nach oben, so darf die Mimik als lasziv gelten (das walte Mick Jagger), richtet sie sich nach unten, so wird es schnell beleidigend. Bäh!

Beileibe nicht jedes Lecken ist erotisch, es kommt auch in biederen Bereichen vor. Vordem wurden zumeist auch Briefmarken rückseitig geleckt, heute gibt’s überwiegend selbstklebende Postwertzeichen. Da deutet sich wohl ein Wandel zu mehr Sterilität und Hygiene an. Auch so eine Zeitsignatur.

Belege quer durch die Kulturgeschichte

Sodann die Feinheiten der Geschmackswahrnehmung (Nebenaspekt: Abwertung des Süßen, nicht erst seit Özdemir und Lauterbach) und der Sprachlichkeit, deren Artikulation wesentlich von der Zunge erzeugt wird – bis hin zum Lispeln und Lallen. Linguistik kommt vom romanischen Wortstamm für Zunge. Schließlich der verzückt-religiöse und esoterische Aspekt („In Zungen reden“), Teufel und Schlange mit ihren gespaltenen Zungen. Kurzum: Man denke sich irgend etwas Zungenhaftes aus, es wird mit ziemlicher Sicherheit in diesem Buch auftauchen.

Von biblischen und antiken Mythen über die Philosophie (Kant etc.) bis zu Kunst, Kino und Pop-Videos reicht das Spektrum der Beleg- und Beleck-Stücke. Haha, auf diesen halbgaren Gag mochte ich jetzt auch nicht verzichten. Die jeweilige Deutung bewerkstelligt Florian Werner vielfach inspiriert, zumindest aber mit Geschick und Routine. Er hat den nötigen Horizont. Dennoch erschöpft sich das Repertoire irgendwann. Das Buch hätte nicht viel umfangreicher werden sollen.

Als Agassi Boris Beckers Gedanken las

Der Verfasser bringt unterwegs einige hübsche Anekdoten unter, so auch jene, nach der der US-Tennisstar (und nachmalige Ehemann von Steffi Graf) Andre Agassi häufig gegen Boris Becker gewinnen konnte, weil er geahnt hat, wohin Boris schlagen würde. Warum? Weil er Beckers Zunge beobachtete. Sie zeigte die Richtung des Balles vorab an. Agassi konnte sich das Grinsen kaum verkneifen, als er belauschte, wie Becker nebenan der Weltpresse sagte, dieser amerikanische Gegner könne wohl seine Gedanken lesen…

Gegen Ende die multiple Horrorvorstellung: Variationen auf abgeschnittene Zungen. Abgründe brutaler Herrschaftsausübung, vor allem in kolonialistischen Zusammenhängen oder im schwerkriminellen Milieu. Da geht’s beispielsweise um die „Kolumbianische Krawatte“ (die ich hier nicht näher erläutern mag) sowie einschlägige Fundstellen von Ovid über Shakespeare und Houellebecq bis hin zur Netflix-Serie „Breaking Bad“. Am Ende glimmt, trotz viehischer Gewalttaten, so etwas wie vage Hoffnung auf. Werden auch einzelne Zungen verletzt und zerfetzt, so werden sie niemals alle zum Schweigen gebracht.

Florian Werner: „Die Zunge. Ein Portrait“. Hanser Berlin, 216 Seiten, 24 Euro.




„Lyriksalven pflügen sich kometenhaft ins Gedächtnis“ oder: Höhenflüge beim Poetry Slam

Nur mal so als Beispiel fürs Genre: Sebastian Rabsahl, deutschsprachiger Meister im Poetry Slam 2008, bei einem Slam-Auftritt in Kiel, 2016. (Foto: Wikimedia Commons, © Ichwarsnur / Marvin Radke) – Link zur Lizenz: https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/deed.en

Es ist schon sehr lange her, doch erinnere ich mich gut, wie uns schon in den Einführungs-Veranstaltungen des Germanistikstudiums eingeschärft wurde, doch bitte Worte wie „Dichtung“ und „Dichter“ (vom Gendern war noch keine Rede) nicht weiter zu verwenden. So erhaben und feierlich sollte es nicht mehr zugehen, denn derlei Tremolo-Stimmung war oft genug missbräuchlich verwendet worden.

Daher die im Grunde nachvollziehbare Kehrtwende. Schlicht und einfach „Texte“ sollte es fortan heißen; ganz gleich, ob es nun um Lyrik von Hölderlin und Rilke oder einen Artikel der „Bild“ ging. Mit solch nüchterner Nivellierung ging vielleicht auch eine – einstweilen noch unbeabsichtigte – unterschwellige Einebnung, wenn nicht gar Wertminderung schriftstellerischer Schöpfungen einher. Wenn eh alles eins ist, kann ja auch alles Literatur sein. Und überhaupt: „Jeder Mensch ist ein Künstler“, so lautete ja jene oftmals falsch verstandene Beuys-Parole, die seither im Schwange war.

Es war wohl e i n e der Voraussetzungen für den Aufstieg dessen, was wir seit einiger Zeit als popkulturelle Haupt-Erscheinungsform von Literatur kennen: Poetry Slam. Wörtlich könnte man’s ungefähr mit „Dichtungs-Kracher“ übersetzen. Aber das scheint in Zeiten, in denen sich nahezu alle als perfekt Englisch-Sprechende gerieren (haha!), wohl herzlich überflüssig zu sein.

Poetry Slam also. Gern in Form einer Stand-Up-Comedy-Darbietung (ähnlich wie beim Impro-Theater), in jedem Falle bühnentauglich. Das Publikum muss trampeln und johlen, sonst war es eigentlich nix. Na gut, manchmal darf es auch ein wenig ergriffen sein. Selbst Bewerbungen um Stadtschreib-Posten sollten tunlichst Hinweise auf „Skills“ in Poetry Slam und allfällige Diversität enthalten, sonst sinken die Chancen erheblich.

Die Urheberinnen und Urheber sitzen nicht mehr (oder allenfalls nebenbei) im stillen Poesie- oder Prosa-Kämmerlein und schreiben empfindsam vor sich hin, sondern betreten am liebsten gleich die Bretter und hauen ihre Zeilen beherzt ‚raus. Keine Frage, dass es dabei auch etliche Könnerschaft zu bewundern gilt. Doch es sind inzwischen dermaßen viele Slammer(innen) unterwegs, dass auch viele Dilettierende unter ihnen sind, ja sein müssen. Wie auf jedem anderen Gebiet menschlichen Schaffens auch. Was willst du denn mal werden: Influencender oder Slammerin?

Hehre Kunst der Überleitung: Just heute erreicht uns eine über die Maßen wortmächtige Pressemitteilung aus der Ruhrgebiets-Gemeinde Herne, Absender ist die Organisation WortLautRuhr. Sozusagen mit Pauken und Trompeten wird die Tatsache verkündet, dass mit 16 Veranstaltungen auf acht Bühnen vom 27. bis 30. Oktober 2023 in Bochum die „deutschsprachigen Meisterschaften im Poetry Slam“ stattfinden, und zwar mit dem Einzelfinale in der „prestigereichsten Location des Ruhrgebiets“. Nun ratet! Welche Location könnte das denn sein? Die Weltkulturerbe-Zeche Zollverein in Essen? Das Dortmunder Westfalenstadion? Das Schauspielhaus Bochum?

Weit gefehlt. Nach dieser Lesart ist es das Bochumer Starlight Express-Theater. Das Kriterium muss also viel mit Show und manches mit Remmidemmi zu tun haben. Egal. Die Leute, die bei der Meisterschaft antreten, kämen jedenfalls „aus allen 7 deutschsprachigen Ländern“ – wobei schon zu fragen wäre, ob etwa Bayern, Sachsen und Thüringen jeweils einzeln mitgezählt werden. Nun ja, ebenfalls egal.

Bei der Beschreibung dessen, was Poetry Slam sei, greifen die Macherinnen und Macher des gastgebenden WortLautRuhr jedenfalls mächtig in die Harfe. Drum wollen wir es abschließend in Form lyrischer Hervorbringungen hierher setzen. Poetry Slam erzeuge immer wieder „Internet-Hypes“ (gähn!), es dränge jede Menge „hungriger Nachwuchs“ (puh!) auf die Bühnen. Und dann, alles wörtlich zitiert:

Poetry Slam ist Party,
Poetry Slam ist Emotion.
Hier haut einen die geballte Wortgewalt
und Performance-Ekstase von den Sitzen,
Lyriksalven pflügen sich
kometenhaft ins Gedächtnis,
Lachmuskelkater garantiert.

_____________________

Infos:

www.wortlautruhr.de
www.slam23.de

 




Gehört meine Stimme wirklich noch mir?

Ist da noch jemand, der zurück möchte in die gute alte Zeit der Stimmübermittlung, vulgo des Telefonierens? (Aufnahme von 2019 aus London: Bernd Berke)

Jetzt wird’s intim. Oder wenigstens persönlich: Mit meiner Stimme habe ich eigentlich keine weiteren Probleme. Hie und da ereilten mich gar aus der holden Damenwelt vereinzelte Komplimente ob des sonoren Timbres. Oder so ähnlich. *Räusper, hüstel*.

Hätte ich also zum Hörfunk gehen sollen? Nein. Da reden sie ganz anders drauflos, wie ich es nicht vermag. Lieber äußere ich mich schriftlich. Deshalb musste es halt etwas Gedrucktes oder „irgendwas mit sichtbaren Buchstaben“ sein. Zeitung. Buch. Oder eben Blog. Ohne sonstiges Gedöns.

Wozu die weitschweifige Vorrede? Ich hatte dieser Tage ein befremdlich-gespenstisches Erlebnis, das mit meiner Stimme zu tun hat. Zwischen verwickelten Verhandlungen mit mehreren Telekom-Hotline-Mitarbeitern (drei Männer, da gibt’s nix zu gendern) wurde mir von einem Chatbot die Möglichkeit (um nicht zu sagen: die Okkasion) angeboten, mich künftig mit meiner bloßen Stimme zu identifizieren. Dann, so hieß es salbungs- und verheißungsvoll, bräuchte ich nicht mehr meine Kundennummer und derlei Kram bereitzuhalten, sondern müsste einfach nur ein paar Worte sprechen. Zu diesem Behufe möge ich, um das Ganze anzustoßen, dreimal den vorgegebenen, nicht allzu magischen Testsatz sprechen, der da ungefähr lautete: „Bei der Telekom ist meine Stimme mein Passwort.“ Was tut man nicht alles, wenn man seine Ruhe haben will? Also nach dem Piepton gesprochen, getreulich Wort für Wort. Und noch einmal. Und ein letztes Mal. Gut dressiert. Danach haben „sie“ mich tatsächlich schon an der Stimme erkannt, als wären wir seit Jahrzehnten befreundet. Auch musste ich nicht mehr den grenzdebilen Testsatz sprechen, sondern durfte herumtexten, wie mir der Schnabel gewachsen ist. Nein, ich habe keine Juxsätze oder Obszönitäten ausprobiert.

Als ich die schiere Tatsache der Stimmprobe im bekannten Netzwerk gepostet habe, wurde klar, dass sich die Sache noch nicht so herumgesprochen hat; nicht einmal bei manchen Internet-Freaks. Deswegen noch einmal diese Zeilen hier. Wenn man weiß, wie die rigiden deutschen Datenschutzbestimmungen so manche Innovation verhindern, wundert man sich, dass diese Entwicklung überhaupt möglich gewesen ist. Aber sei’s drum. Mir fiel jedenfalls ein, dass mit dieser Neuerung das Zeitalter der anonymen Anrufe sich wohl dem Ende zuneigt. Ob nun in Echtzeit oder im Nachhinein, kann bald jeder Anruf stimmlich und namentlich zugeordnet werden, sofern ein Muster vorliegt (daran wird’s nicht lange mangeln).

Welch eine – behördlicherseits wohl willkommene – Ergänzung zur personengenauen Bilderkennung! Bald verlieren Krimis dieser altbackenen Art endgültig jeden Sinn, in denen ein sinistrer Herr anonym anruft und mit hinterhältiger Stimme knödelt: „Hier ist einer, der es gut mit Ihnen meint…“




Alles so schön aufgeräumt – die Welt im Kinderduden von 1970

1970? Ganz schön lange her. Über ein halbes Jahrhundert. Andererseits haben die Älteren unter uns jenes Jahr schon bei recht wachen Sinnen erlebt. Insofern gehört es zum überschaubaren biographischen Bestand, frei nach Peter Rühmkorf waren es „Die Jahre, die ihr kennt“.

Warum die Vorrede? Nun, mir ist ein just 1970 erschienener „Kinderduden“ in die Hände gefallen, der vorwiegend als (ziemlich ungelenk gezeichnetes) Bildwörterbuch mit 28 Schautafeln aus etlichen Lebensbereichen angelegt ist. Die zweite Hälfte besteht aus einem alphabetisch sortierten Lexikonteil. Dabei handelt es sich um eine – nach den Maßstäben der Zeit „kindgerechte“ – Auswahl aus dem damaligen „Großen Duden“ (Band 1, Rechtschreibung).

Gleich die erste Tafel heißt „In der Küche“ und beginnt so: „Ganz modern ist Mutters Küche. Alles hat seinen festen Platz.“ Gut kann ich mich entsinnen, dass die Hausfrau und Mutter eines Schulfreundes gern und stolz gesagt hat: „Die Küche ist m e i n Reich!“ Auch bei den Kindern im Duden ist die Rollenverteilung schon klar: „Nun hilft Monika der Mutter und deckt den Tisch. Peter hat sich schon auf seinen Stuhl gesetzt und wartet gespannt darauf, was es heute zu essen gibt.“ Dem Bübchen würden sie wohl heute was husten. Oder doch nicht?

Technik war nur spärlich vorhanden

Das alles scheint wirklich mindestens ein halbes Jahrhundert her zu sein. Rund um die Figuren und Gegenstände verstreut, markieren Ziffern die Zuordnung der Wörter, scheinbar ganz objektiv, nüchtern und sachlich, wie es zumal Bildwörterbüchern eigen ist: 1 der Braten 2 das Brettchen 3 der Eierbecher 4 die Flasche 5 das Glas 6 der Herd… 9 die Kartoffel 10 die Katze… Tatsächlich scheint alles seinen unverrückbar festen Platz zu haben, so auch im Bad der rosa Puschelbezug auf dem Toilettendeckel und desgleichen die fußwärmende Umrandung, wobei man seinerzeit noch „Klosett“ und „Klosettpapier“ zu sagen pflegte. Technik war hingegen im Haushalt nur spärlich vorhanden, ein Röhrenfernsehapparat (womöglich ein Farbgerät) war das höchste der Gefühle.

„So sollst auch du leben!“

Es ist jedoch eine rundum heile Welt, die den Kindern hier bestens portioniert vorgestellt und anempfohlen wird. Unausgesprochen schwebt der Spruch „So sollst auch du leben!“ girlandenhaft über allen Szenen. Alles ist in schönster Ordnung, ganz gleich, ob in den einzelnen Zimmern der elterlichen Wohnung (im Wohnzimmer dürfen die Kinder nur zu Weihnachten spielen), im Straßenverkehr, selbst auf dem „Rummelplatz“ (wie man damals sagte), in der Schule, beim Arzt, auf Bahnsteig und Flughafen, auf dem Bauernhof, im Lebensmittelgeschäft (schon mit Einkaufswagen, aber noch kein richtiger Supermarkt), wo Peter einholen soll und – o keimfreier Witz – die Maßeinheiten verwechselt: „Ein Pfund Eier, einen Liter Puddingpulver…“ Darüber lachen die erwachsenen Einkäufer. An anderer Stelle dieser Fibel heißt es, Kinder dürften ihrerseits keine Erwachsenen auslachen. Damit das klar ist.

Auch die Autobahn erscheint – trotz eines Unfalls – vor allem aufgeräumt und geradezu adrett zu sein, gelbes Fahrzeug des Automobilclubs inbegriffen. Es ist alles da, was man erwartet, es fehlt an nichts. Überall bescheidener Wohlstand und Anstand. Nichts irritiert, nichts gibt Rätsel auf. Ohne Sorge. Sei ohne Sorge. Dies wiederum frei nach Ingeborg Bachmann (Gedicht „Reklame“).

Perlenkette und Zigarrenkiste

Und dann erst das familiäre Weihnachtsfest, an dem „Mutti“ eine Perlenkette und Vater eine Kiste wirtschaftswunderlicher Zigarren bekommt, die er gleich unterm Baum zu paffen beginnt. Monika freut sich derweil geschlechtergerecht über eine Puppe und Peter über eine Autorennbahn. Mehrfach (Wochenmarkt, Postamt) wird Monika so angesprochen: „Na, kleines Fräulein…“, wobei auch hinter dem Schalter ein „Fräulein“ sitzt, nur halt kein kleines. Hat man zu der Zeit eigentlich selbst so daher geredet oder sich bereits davon abgesetzt? Nun ja, man hat immerhin „Pardon“, Spiegel und Stern gelesen – damals eine dreifache Speerspitze des Nicht-mehr-weiter-so.

Gar häufig haben sich in den 70er-Kinderduden solche grundbiederen Kern- und Merksätze eingeschlichen: „Mütter haben immer etwas zu nähen oder zu stopfen.“ Es war auch die Zeit, als Kinder in der Bahn sofort für Ältere aufgestanden sind und als sie daheim wie in der Schule noch geschlagen („gezüchtigt“) wurden, was natürlich nicht im Kinderduden steht. Kinderduden? Eher schon „Kinder dulden“. Sie hatten artig, brav und folgsam zu sein, Diener oder Knicks zu machen. Worte, die es heute praktisch nicht mehr gibt. Jetzt sind wir mit allfälligem Stinkefinger und „expliziten“ Texten im Gangsta-Rap oft beim auch nicht wünschenswerten Gegenteil angelangt.

Die Mondlandung und „Max Hackemesser“

So altbacken das Ganze durch und durch ist, so modern und fortgeschritten gibt sich eine Bildseite, die von der Mondlandung handelt. Kein Wunder. Am 21. Juli 1969 hatte die Nation, um nicht zu sagen weite Teile der Menschheit, nachts vor den Fernsehgeräten gesessen, um live „dabei“ zu sein. Hienieden aber war alles noch wie längst gehabt und gewollt: Da heißt der Metzger am idyllischen Marktplatz „Max Hackemesser“ und einige Jahrzehnte vor den Smartphones bediente man sich der „Fernsprechzelle“. Wie hieß noch der Spruch, der darauf pappte? Ach ja: „Fasse dich kurz“. Drum höre ich jetzt auf.




Erbarmen! „Die Expeditiven“ kommen – ins Ruhrgebiet

Expeditiv (?) oder wenigstens speditiv unterwegs im Ruhrgebiet – hier auf der B1, genauer: auf der Dortmunder Schnettkerbrücke. (Foto: Bernd Berke)

Kein sonderlich origineller, sondern ein altgedienter Befund: Noch immer hinkt das Revier vielen anderen deutschen Regionen in mancherlei Hinsicht hinterher. Die Scharte lässt sich aber fix auswetzen, indem man die Backen ganz voll nimmt und diesen pseudokreativen, neudeutsch verblasenen Imponiersound hören lässt.

Beispiele folgen sogleich, sie stammen von der Ruhr Tourismus GmbH (RTG), die just eine n e u e Tourismusstrategie für das Ruhrgebiet „ausgerollt“ hat, wie man in diesen hippen Kreisen vermutlich sagt. Laut Informationsdienst (idr) des Regionalverbands Ruhr (RVR) sollen nunmehr Tourist*innen aus einer n e u e n Zielgruppe angelockt werden, die so bezeichnet wird:

„Unkonventionell, digital, kosmopolitisch, neugierig – im Fachjargon ,expeditiv‘.“

Wisster schomma Bescheid, woll?! Oder au nich.

Digitaler „Reisekumpel“

Die Überschrift zur selbstverständlich millionenschwer geförderten n e u e n Imagekampagne (wie viele hatten wir davon schon im Ruhrgebiet, was haben sie gefruchtet?) lautet:

„Metropole Ruhr: Digitale Modelldestination NRW“

Wow! Es kommt aber noch geiler. Denn das Projekt mit n e u e m Corporate Design und dito n e u e r Homepage sowie Fotoshootings mit n e u e r Bildsprache verfügt über einen „regionalen Datenhub und eine Content-Datenbank“. Angestrebt wird mal wieder eine „systematische Vernetzung“ und das „Zusammenspiel der Akteure“. Merke: Vernetzung und Akteure sind in diesem F(l)achjargon stets ein Muss. Hierzu setzt die RTG – wie sich das gehört – „voll auf digitale Inhalte“. Da wir aber im Revier sind, heißen die digitalen Reiseführer wie? Nun? Ja, sicher: „Reisekumpel“. Leck mich fett!

Noch einmal zum Mitschreiben: Hauptsächlich angesprochen wird die „n e u e Hauptzielgruppe der Expeditiven“, doch man hat noch zwei weitere, etwas weniger wichtige Gruppen (wörtlich: „untergeordnete Produktzielgruppen“) „ermittelt“: die Adaptiv-Pragmatischen und die Post-Materiellen. Is‘ klar, ne?

Achtet also mal drauf, welche Gäste künftig so herrlich unkonventionell, neugierig, kosmopolitisch und digital durch unser Revier streunen werden. Es werden wahrscheinlich ausgesprochen expeditive Leute sein, andernfalls eben adaptive – oder post-materielle, die es übrigens mit Kultur haben sollen. Boaaah, glaubsse!

 




Wie das Wort der Stunde lautet

Auch im Schein einer Taschenlampe werden mehr Dinge… (fehlendes Wort bitte nach Lektüre des Beitrags einsetzen). (Foto: Bernd Berke)

Bitte mal eben kurz herhören, Leute! Wie könnte wohl das Wort dieser Tage (Pressejargon: „das Wort der Stunde“) lauten? Jetzt mal ausnahmsweise abgesehen vom Militär-Sprech, das neuerdings Einzug gehalten hat und uns schon ganz geläufig von den Lippen geht. Wer könnte nicht den Unterschied zwischen Marder und Gepard darlegen?

Zur Erinnerung nur ein paar Beispiele: Zuletzt hatten wir unter anderem das Narrativ, das mittlerweile in jeden zwölften Satz eingebaut wird, so dass man seiner vollends überdrüssig ist. Außerdem nervten sie uns im gepflegten Diskurs ständig mit der Resilienz, also der fremdwörtlich imponierend aufgeplusterten Widerstandskraft. Ungefähr gleichzeitig hatte – zumal im Kulturbetrieb – vieles immersiv zu sein; man durfte also nicht nur distanziert betrachtend davorstehen, sondern sollte tief eintauchen. Im Geschlechterkampf brach sich derweil das Wörtchen toxisch Bahn, vorzugsweise mit Bezug auf alte weiße Männer oder wenigstens Boomer. Und natürlich, nicht zu vergessen, ging nahezu nichts mehr ohne das Zauberwort divers mitsamt allen Ableitungen wie Diversität. Demnach soll alles entschieden vielfältig und verschieden sein, aber nicht im Sinne von tot, sondern von unterschiedlich. So weit, so woke.

Und nun? Was haben wir jetzt? Welches Wort hat sich in letzter Zeit schleichend, aber im Ergebnis ziemlich deutlich eingestellt? Großer Trommelwirbel: die Sichtbarkeit! Achtet doch mal drauf, wie häufig das inzwischen vorkommt. Jedes kleinere oder größere Anliegen macht sich anheischig, künftig sichtbarer zu sein. Jede gesellschaftliche Gruppierung (und sei sie noch so randständig) möchte unbedingt sichtbarer werden. Wenn freilich alles zugleich immer sichtbarer sein würde, so wäre schließlich – einer alten Redewendung zufolge – der Wald vor lauter Bäumen nicht mehr zu sehen. Das ist doch offensichtlich.




Goethe-Institut – auf Wellenlänge der neuen Außenministerin

Nein, die neue Außenministerin Annalena Baerbock hatte noch keine Zeit, sich eingehend um Belange des Goethe-Instituts zu kümmern.

Prof. Carola Lentz, Präsidentin des Goethe-Instituts, beim Statement zur Jahrespressekonferenz. (Screenshot aus der Zoom-Konferenz)

Antrittsreisen nach Paris, Brüssel und Warschau standen für Baerbock ebenso an wie ein G7-Gipfel. Wir haben davon lesen können. „Große Politik“ also. Doch beim Goethe-Institut ist man zuversichtlich, was den künftigen Kurs des Auswärtigen Amtes angeht, denn im Koalitionsvertrag stehen einige Sätze, die auf eine Stärkung der auswärtigen Kulturpolitik und damit des Instituts hinauslaufen sollten.

Institutspräsidentin Prof. Carola Lentz betonte ihre Vorfreude auf die Zusammenarbeit mit der neuen Regierung. Solche Schönwetter-Freundlichkeit durfte man allerdings erwarten, denn das Institut muss ja gut mit dem Außenamt auskommen. Das scheint auch überhaupt nicht schwerzufallen. Wahrscheinlich werde im Januar Gelegenheit zu ausführlichen Gesprächen sein, hieß es.

Weniger Präsenz, mehr Digitalität

Es war eine der aktuellen Kernaussagen bei der heutigen Jahrespressekonferenz des Goethe-Instituts, die hybrid abgehalten wurde, also mit (geringer) Präsenz in Berlin und hauptsächlich online. Ähnliches trifft auch im zweiten „Corona-Jahr“ für die globalen Aktivitäten des Instituts zu, sprich: Viele Veranstaltungen konnten nicht physisch stattfinden. Stattdessen hat sich die Zahl der virtuellen Zugriffe auf die Angebote (wie z. B. deutsche Sprachkurse) spürbar gesteigert. So sieht’s gerade draußen in der weiten Welt aus: 86 Goethe-Institute sind komplett geöffnet, 32 sind teilweise und 27 ganz geschlossen. Schon morgen kann es wieder anders sein.

Zahl der Problemländer hat zugenommen

Mancherorts finden die Goethe-Institute ausgesprochen schwierige Arbeitsbedingungen vor, Carola Lentz sprach von zunehmend „illiberalen Kontexten“. Klartext: Man hat es mit einigen Autokraten oder Diktaturen zu tun, zum Beispiel (aber längst nicht nur) in Belarus, wo das deutsche Institut derzeit gar keine Kulturarbeit mehr leisten darf. In anderen problematischen Ländern stellt man die „Goethe“-Räume nach Möglichkeit für nicht öffentliche Veranstaltungen zur Verfügung. Manches Treffen muss dann recht diskret vonstatten gehen. Digitalität könnte theoretisch weitere Verbreitung sichern, erleichtert aber leider auch die Überwachungs-Möglichkeiten durch gewisse Staaten. Ansonsten: tun, was man kann, um Partnerorganisationen und Einzelpersonen in den jeweiligen Ländern zu unterstützen und zu schützen.

Stichworte im Geiste des „grünen“ Programms 

Im gerafften Geschäftsbericht des Generalsekretärs Johannes Ebert fielen praktisch alle gängigen Stichworte, die sowohl Annalena Baerbock (Grüne) als auch die neue Kulturstaatsministerin Claudia Roth (ebenfalls Grüne) auf gleicher Wellenlänge ansprechen dürften: Klima, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Feminismus (bzw. Feminismen), Diversität (Vielfalt aller Art), Respekt, Teilhabe, Bereicherung durch Einwanderung. Es scheint da Schnittmengen mit grüner Programmatik zu geben.

Unter dem Leitmotto „Mein Weg nach Deutschland“ wolle man insbesondere die Einwanderung qualifizierter Fachkräfte begleiten – vor allem durch Sprachunterricht, aber auch durch frühzeitig einsetzende Integrationskurse. So betreue man beispielsweise ein Projekt, mit dem vietnamesischen Pflegekräften auch deutsche Fachbegriffe und Gepflogenheiten des Metiers vermittelt werden. Hintergrund: Schon jetzt fehlten – nicht nur, aber besonders im Pflegebereich – in Deutschland insgesamt rund 400.000 Fachkräfte. Für die nächsten 40 (!) Jahre gebe es Berechnungen, nach denen jährlich 260.000 Zuwanderungen nötig sein werden. Mal eben den Taschenrechner bemüht: 40 mal 260.000 – macht 10,4 Millionen.

Apropos Inland: In fünf Städten sollen „Anlaufstellen für die internationale kulturelle Bildung in Deutschland“ eingerichtet werden. Es handelt sich um Bonn, Dresden, Hamburg, Mannheim und Schwäbisch Hall. Ist es kleinlich zu fragen, warum z. B. das gesamte Ruhrgebiet mit seinen rund 5 Millionen Einwohnern aus allen möglichen Herkunftsländern mal wieder nicht vertreten ist?

Außenperspektiven auf Deutschland

Es soll nicht nur Kultur- und Sprachexport betrieben werden, sondern man will umgekehrt auch von Menschen aus anderen Weltteilen lernen. Deswegen werden vor allem Künstlerinnen und Künstler sowie Intellektuelle aus vielen Ländern eingeladen; nicht zuletzt, um andere, womöglich aufschlussreiche Außenperspektiven auf Deutschland zu gewinnen und somit die hiesige Diskussion zu „beflügeln“. Diversität habe man sich auch intern als Institut vorgenommen, unterstreicht Prof. Carola Lentz. So sei es beispielsweise sehr wahrscheinlich, dass demnächst Mitarbeiterinnen mit afrikanischer Lebensgeschichte Goethe-Institute in Asien leiten. Sagen wir mal so: Zu früh wäre man damit nicht dran. Trotzdem klingt es noch ungewohnt.

Unterdessen muten manche Projekte wie die vielzitierten Tropfen auf heiße Steine an, so unter anderem ein schulisches Unterfangen, das sich an junge Russen wendet und die in Putins Reich vielfach gängigen Formen der Maskulinität zur Debatte stellen soll. Nun ja, besser kleine als gar keine Schritte.

Übrigens: Johannes Eberts Einlassung, das Goethe-Institut sei eine „NGO“ (Nicht-Regierungs-Organisation), trifft es nicht so ganz. Schließlich ist das Haus abhängig von Bundesmitteln, speziell via Außenministerium. Ein bisschen Regierung ist also doch „drin“. Was ja nicht per se verwerflich sein muss.

 

 




Artig, emsig und so weiter – Worte von damals, längst außer Kraft

Als Kinder meistens noch „artig und folgsam“ waren… (der Verfasser dieser Zeilen nicht ausgenommen). (Bild: Privat)

Der Befund ist nicht neu. Im Gegenteil. Wahrscheinlich haben seit den späten 1960er Jahren Kolumnistinnen oder Glossenschreiber schon tausendfach darüber sinniert und gesudelt. Aber jetzt hab‘ ich halt auch gerade mal Lust darauf – und wer will’s mir verwehren?

Wohlan denn!

Gewisse Worte sind so gut wie restlos aus der Sprache verschwunden. Sie „gehen“ sozusagen nicht mehr, sie sind außer Kraft geraten, haben sich verflüchtigt wie ein gasförmiger Stoff. Hält man sie sich vor Augen und Ohren, so klingen sie ganz und gar fremdartig, sie kommen als muffig riechende Verbal-Überbleibsel aus einer anderen Zeit daher, als Mädchen noch den Knicks und Jungen noch den Diener machen sollten. Wie bitte? Was war das nochmal? Es ist fast so weit entfernt wie Kratzfuß und Kotau aus feudalistischen Zeiten.

Die fraglichen Worte betreffen vor allem die einst so besinnungslos gerühmten „Sekundärtugenden“ und lauten beispielsweise:

anstellig
artig
brav
dienstbar
diensteifrig
ehrfürchtig
ehrgeizig
eifrig
eilfertig
emsig
fleißig
folgsam
gehorsam
ritterlich
strebsam

Genug. Es gibt noch ein paar andere. Zusammen ergeben sie ein garstiges Geflecht.

Einst, vor der vielleicht allzu gründlichen 180-Grad-Umwertung, haben derlei Vokabeln hoch im Kurs gestanden, in der Schule gab’s die sprichwörtlichen „Fleißkärtchen“. So sehr sind diese Worte in der gesellschaftlichen Versenkung verschwunden, dass es seltsam anmutet, sie überhaupt für einige Momente ins Gedächtnis zurückzurufen. Werden sie denn noch im Duden registriert? Sind sie nicht Zeichen autoritärer Bevormundung, stehen sie nicht im Ruch des Diktatorischen oder gar des potentiell Faschistoiden?

Auch Worte wie anständig, höflich oder rücksichtsvoll sind inzwischen teilweise kontaminiert – und mit ihnen die entsprechenden Verhaltensweisen. Vielfach werden sie nur noch herablassend, mitleidig, ironisch oder verächtlich erwähnt. In Zeiten des Wutbürgertums, der allzeit „kurzen Zündschnur“ und des ständigen sofortigen Habenwollens gelten sie manchen Menschen kaum noch etwas. Oft scheint es so, als könnte die ach so entspannt zur Schau getragene „Coolness“ jederzeit in Aggression umschlagen. Und das nicht nur, aber verschärft in pandemischen Zeiten.




Wortwahl (1): „ergattern“

Die Regionalpresse im Ruhrgebiet (vielleicht ja auch anderswo) scheint sich neuerdings auf ein Wort geeinigt zu haben, wenn es um Impfungen geht. Immer und immer wieder heißt es, jemand habe einen Impftermin oder Impfstoff „ergattert“. Das hört sich so flott und gewitzt an, dass es nur seine Unart hat.

Wer hat hier was „ergattert“? Diskreter Blick in ein Impfzentrum. (Foto: BB)

Ganz ehrlich: Ich mag dieses Wort nicht sonderlich, schon gar nicht im besagten Zusammenhang. Nach meinem Empfinden suggeriert es, dass man im Grunde keinen begründeten Anspruch habe. Stattdessen, so der Anschein, hat man Tricks angewendet oder ist zumindest ziemlich clever gewesen. Ja, man könnte sogar meinen, sie oder er habe den Impftermin recht eigentlich „ergaunert“ oder sich erschlichen.

Auch schwingt eine gewisse Knappheit des begehrten Gutes mit. Wenn jemand etwas ergattert, haben andere es eben nicht mehr ergattern können, sie sind also (vorerst) leer ausgegangen. In unserem speziellen Falle wäre dies also ein Quell des allfälligen „Impfneids“.

Laut Herleitung in DWDS.de (Der deutsche Wortschatz von 1600 bis heute) bedeutet ergattern ursprünglich dies: „…sich durch geschicktes Bemühen etw. verschaffen, erwischen’ (16. Jh.), ursprünglich ‘aus einem Gatter oder über ein Gitter hinweg zu erlangen suchen’, weil nach altem Brauch demjenigen, der ein Haus nicht betreten soll, über das Gitter hinausgereicht wird.“ Auch interessant. Diese sprachhistorische Sichtweise erweitert den Phantasieraum und den Bedeutungshof des Wortes. Das ist allemal willkommen, auch wenn es im Hier und Heute nicht direkt anwendbar sein sollte.

Aber nein: Wir werden hier nicht haltlos herumgendern und etwas den Ergatterer und die Ergatterin aus der verbalen Taufe heben. Wer immer das möchte: nur zu!

__________________________________

Mit diesem kurzen Beitrag beginnt eine neue Reihe in loser Folge.




Mimimi, Boomer! – Formeln, die jede Diskussion abtöten

Bei manchen Diskussionen stehen einem halt die Haare zu Berge… (Foto: BB)

Hier und jetzt nur ein kurzer Einwurf, was Auseinandersetzungen in „sozialen Netzwerken“ angeht.

Es gibt diese schnellfertigen, zigtausendfach vorgeprägten Formeln, mit denen Argumente nicht nur ersetzt, sondern sogleich niedergebügelt werden. Ein paar dieser immer und immer wieder verwendeten Wortmarken, die bei manchen Leuten mutmaßlich auf Sicherungs-Taste liegen, lauten beispielsweise so:

„Mimimi“ (soll heißen: stell dich nicht so an, heul nicht oder auch triefend ironisch: heul doch!)

„Boomer“ (soll den Widerpart einer Alterskohorte zuordnen, die generell den Anschluss verloren und daher auch nichts mehr zu sagen hat respektive die Schnauze halten soll)

„Alte weiße Männer“ (haben nach der üblichen Lesart auf Erden alles versaubeutelt und sollten am besten bald sterben gehen)

Sehr beliebt ist auch die Geißelung eines sogenannten „Whataboutism“, will heißen: Regt sich eine andere Meinung, wird sie in Bausch und Bogen verworfen. Auf eine Behauptung darf man demnach nicht mit einer Gegen-Behauptung („Und was ist mit…“? / „And what about….?“) antworten. Das entspricht ungefähr dem kindischen Ansinnen: „Ich habe aber zuerst behauptet!“ Drum darf es fortan nur noch um diese erste Behauptung gehen und um keine andere. So lässt sich jede Diskussion schnell abtöten. Austausch von Meinungen? Fruchtbare Debatten? Ausgehaltene Widersprüche? Nichts da!

Derlei wohlfeile Ausrufe sind geeignet, Gesinnungsgenoss*innen auf den Plan zu rufen, die sofort eifrig beipflichten und weitere Invektiven anhäufen. Es sind somit auch beliebte Zutaten zum einen oder anderen gepflegten Shitstorm. Und immer lauert im Hintergrund die Neigung, die Gegenposition am liebsten komplett vernichten oder wenigstens dem vollständigen Vergessen überantworten zu wollen.




Kein Verhandeln, kein Verzeihen – so isses, das verflixte Virus!

So ähnlich an vielen, vielen Dortmunder Hauswänden zu finden: Das Virus verbreitet sich eben auch in gesprühter Form. (Foto: Bernd Berke)

Schon seit geraumer Zeit kann ich mir das Grinsen nicht verkneifen, wenn ich die personalisierten Nachrichten vom Börsenindex DAX lese, der im Wirtschaftsjournalismus oft genug tatsächlich als Dachs oder gleich als menschelndes Wesen auftritt.

Mal tänzelt der Dax/Dachs „seitwärts“, mal bricht er nach oben aus, dann wieder klettert er mühsam aufwärts oder vollführt nur „Trippelschritte“. Mal tritt er sogar auf der Stelle, mal „schnuppert er Höhenluft“, schließlich stürzt er vielleicht ab. Und überhaupt sind auch Bulle und Bär nie weit, wenn der Dachs sich einstellt. Effekt: All das erscheint als naturwüchsig, als reine Biologie. Eine meiner Lieblingsformulierungen lautet übrigens: „Dax geht gefestigt ins Wochenende.“ Das hat der possierliche Geselle sich einfach verdient.

Derweil benimmt sich unser aller Corona-Virus offenbar ebenfalls wie ein humanoides Wesen, es ist ja nun – im Gegensatz zur Börse – zumindest auch ein biologischer Organismus. Ihm werden just allerlei menschliche Verhaltensweisen zugeschrieben oder abgesprochen, so jüngst wieder von der Kanzlerin im Bundestag. Ich zitiere mit Auslassungen:

„Das Virus verzeiht keine Halbherzigkeiten (…) Das Virus verzeiht kein Zögern (…) Das Virus lässt nicht mit sich verhandeln…“

Es verzeiht nicht, es verhandelt nicht. Sehen wir es nicht geradezu am Konferenztisch vor uns, mit all seinen stacheligen Ausbuchtungen, in all seiner Krönchenhaftigkeit, patzig und trotzig jeden Vorschlag ablehnend? Fast schon eine putzige Vorstellung, wenn man nicht wüsste, wie ernst es in Wahrheit ist.

Auch sonst haben wir schon manches über das Virus-Verhalten erfahren, beispielsweise: „Es“ macht keinen Urlaub, es kennt keine Ferien, es kennt auch keine Feiertage und keine Staatsgrenzen. Auch war schon zu lesen: „Das Virus trickst uns aus“ oder – neckischer noch – „Das Virus schlägt uns ein Schnippchen“. Und wie sagte Katrin Göring-Eckardt (Grüne) heute bei Anne Will so schön: „Das Virus freut sich über unsere Bedenken.“

Naja, und so weiter. Wir kennen uns da inzwischen ein wenig aus, jedenfalls mit der sprachlichen Darstellung. Ansonsten sind wir schon mal ziemlich ratlos.




In Hannover sprechen sie Hochdeutsch – wirklich besser als anderswo?

Das musste ja mal Gegenstand einer Studie werden: Sprechen sie wirklich in und um Hannover das „beste“ und reinste Hochdeutsch?

Es ist so: Von Hannover habe ich gar keine vernünftigen Bilder, wohl aber vom nahen Celle. Auch dort wird mutmaßlich besonders reines Hochdeutsch gesprochen. (Foto von 1979: Bernd Berke)

Tatsächlich gibt es dazu jetzt die Resultate einer bundesweiten Forsa-Umfrage. Am Projekt beteiligt: die Leibniz Universität Hannover und die Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS). Die Internet-Seite der Sprachgesellschaft nennen wir denn auch als Quelle.

Und was ist dabei herausgekommen? Nun ja. Eine geringfügige Bestätigung mit gehörigen Abstrichen. Gerade mal 24% der insgesamt 2004 Befragten Internetnutzer*innen nannten Hannover und Umgebung als die Gegend, in der das lupenreinste Hochdeutsch gesprochen werde. 14 Prozent plädierten für Niedersachsen generell, immerhin 6 Prozent für Nordrhein-Westfalen. Nanu? Rheinländer und „Ruhris“ können damit schon mal nicht gemeint sein.

Mehr Zustimmung erhielt schon die Frage, ob man schon einmal davon gehört habe, dass in Hannover… na, Sie wissen schon. Hier sagten 51 Prozent ja, besonders aus dem Norden und der Mitte Deutschlands sowie vorwiegend Menschen über 60 mit Abitur. Was gutes Hochdeutsch eigentlich bedeute, wurde ebenfalls gefragt. In erster Linie genannt: Dialekt- und Akzentfreiheit sowie deutliche und klare Aussprache. Nun wissen wir darüber also auch Bescheid.

Doch bislang liegen nur Meinungen vor. Fertig ist die Studie noch lange nicht: Ob in und bei Hannover wirklich so gutes Hochdeutsch gesprochen wird, soll im weiteren Verlauf des Projektes erst näher untersucht werden. Wenn die Pandemie-Lage es irgendwann zulässt, sollen in der Stadt aussagekräftige Sprachproben aufgenommen werden.

Gut vorstellbar übrigens, dass etwa Bayern und Schwaben in ihren jeweiligen Idiomen sagen: „Nicht einmal einen ordentlichen Dialekt haben sie dort oben!“ Und: Hätten die Forsa-Leute nach der langweiligsten Landeshauptstadt der Republik gefragt, wäre am Ende vielleicht auch noch Hannover als Klischee bestätigt worden.

Apropos Hannover. Ein Zitat kann ich mir in dem Zusammenhang nicht verkneifen, nämlich die herrlich verschrobenen Sätze von Arno Schmidt: „Und was heißt schon New York? Großstadt ist Großstadt; ich war oft genug in Hannover.“

Und jetzt fiebern wir schon fieberhaft der nächsten stadtbezogenen Umfrage entgegen. Unser Vorschlag: „Gibt es Bielefeld wirklich nicht?“

 




„Im Bann des Eichelhechts“ – Axel Hackes neue Abenteuer im Sprachland

Wohl einem Autor, dem die Ideen oder zumindest die Materialien nur so zufliegen, weil sie ihm haufenweise von seinen Leserinnen und Lesern zugesandt werden. Axel Hacke vergisst denn auch nicht, dafür im Nachspann seines neuen Buches Dank abzustatten. Er selbst versteht es meisterlich, all die Fundstücke zur vergnüglichen Lektüre zu arrangieren.

„Im Bann des Eichelhechts“ heißt das Opus, in dem Axel Hacke – wieder einmal – entzückende bis entsetzliche Sprachentgleisungen, Verhörer, Verleser und unfreiwillig komische Übersetzungsfehler auftischt. Hacke wähnt sich angesichts der überbordenden Fülle geradezu in einem jeder Logik enthobenen „Sprachland“, in dem ungeahnte, oft geradezu poetische Ausdrucks-Freiheiten herrschen. Ganz vorne und ganz hinten im Band sieht sich dieses Land liebevoll kartographiert.

Beim „Eichelhecht“ handelt es sich übrigens um den Irrtum eines Dreijährigen, der sich nach einem Waldspaziergang gesprächsweise an den Eichelhäher erinnern wollte. Respekt: Solch ein elaboriertes Missverständnis muss man mit drei Jahren erst einmal zustande bringen.

Die Tücken der indirekten Übersetzung

In ganz besonderem Maße erntet Axel Hacke diesmal auf dem weiten, weiten Feld der Kochrezepte und Speisekarten, zumal solchen, die aus dem Spanischen oder Italienischen übersetzt wurden – aber wie! Setzt man sich einmal auf die Spur (Wie konnte es nur zu diesen abenteuerlichen Formulierungen kommen?), so wird man im Gefolge Hackes häufig finden, dass es an der indirekten Übersetzung liegt. So geht es nicht gleich vom Spanischen ins Deutsche, sondern es wird zumeist der Umweg übers Englische genommen, womit die Zahl der Fehlerquellen sozusagen exponentiell steigt. Nicht zuletzt Übersetzungsprogramme sorgen beim Überschreiten der Sprachgrenzen für Heiterkeit. Immer noch.

Wenn die Scampi zum Gitter flüchten

Und so kommt es zu herrlichen Wortschöpfungen wie etwa „Tortenhuhn“, „Tinderfisch“ oder gar Gerichten wie „Fuck the duck until exploded“. Auch finden sich – weitaus harmloseres Beispiel – Zubereitungen wie „Französische Bekleidung“, was sich natürlich schlichtweg als wörtliche Übertragung von „French Dressing“ erweist. Auf ähnlich simple Weise geraten auch nahrhafte „Rechtsanwälte“ auf französisch-deutsche Menükarten, wenn nämlich Avocados im Spiel sind und an Advokaten sich anlehnen. Etwas komplizierter wird’s schon, wenn „Scampi alla griglia“ zu „Sie flüchten zum Gitter“ wird. Immerhin zeigt es sich bei hartnäckiger Recherche, dass die Entstehung dieser Wendungen noch durch Anklänge oder Doppelbedeutungen erklärbar ist, während andere Fügungen völlig sinnfrei daherschweben. Mehr wird dazu an dieser Stelle nicht verraten.

Axel Hacke erkundet jedoch nicht nur kulinarische, sondern auch etliche andere Bezirke im schier grenzenlosen Sprachland. So versucht er in einem Kapitel, sich deutsche Wörter mit möglichst vielen „e“-Lettern auszudenken – ein auch im Internet beliebtes Nonsens-Spiel. Stücker 18 sind es beispielsweise in:

ebereschenbeerengeleebecherchendeckelchen

Geht da womöglich noch mehr? Oder fällt man dabei irgendwann dem Wahnsinn anheim?

Was hat es mit den Tiftrienen auf sich?

Ergiebig sind auch übersetzte Gebrauchsanweisungen, mehrsprachige Schilder, Verhörer (speziell aus kindlicher Unwissenheit, z. B. „Tiftrienen“ statt „tief drinnen“), die einen mitunter ein halbes Leben lang begleiten können. Und dann wären da noch die phonetischen Anleitungen für beflissene Polen, die ausgewählte Sätze in verständlichem Deutsch aussprechen möchten. Beispielsweise:

„Zajt cwaj sztunden haben wija kajn waser.“ – „di szpyl-maszine yst fersztopft.“

Was nicht vergessen werden darf: Alle Achtung fürs Lektorat! Dermaßen viele Fehlleistungen und sonstige Sprachblüten quasi „korrekt“ (also „richtig falsch“, hehe) abzudrucken, hat sicherlich erhöhte Aufmerksamkeit und wahrscheinlich so manche ungläubige Rückfrage bei Axel Hacke erfordert.

Axel Hacke: „Im Bann des Eichelhechts und andere Geschichten aus Sprachland“. Verlag Antje Kunstmann. 264 Seiten, 22 Euro.

 




Was Politiker sagen, wenn ihnen Corona keine Ruhe lässt

Speziell in solchen Nächten treibt es manche Leute um. (Foto: BB)

Sofern man sich durch die eine oder andere Nachrichtensendung, Doku oder Talkshow zu Corona-Themen gequält hat, wird man finden, dass in der Polit-Szene ein Modewort kursiert, das im Grunde sehr alt ist.

Nein, es hat nicht direkt mit fachlichen Fragen zu tun, erst recht nicht mit Feinheiten der Virologie. Noch der nüchternste Polit-Darsteller wird dieser Tage ein bestimmtes Wort benutzen, das anzeigen soll, wie ihm Corona bei Tag und bei Nacht keine Ruhe lässt. Nun ratet!

In Ordnung, ihr habt euch redlich bemüht. Das Wort lautet: umtreiben. Die Folgen von Corona treiben mich um. Die Situation der Gastronomie / der Kultur / der Senioren / der Pflegeberufe treibt mich um. Und so weiter, und so fort. Man sieht sie förmlich durch menschenleere Straßen wanken, schräg gegen Stürme gestemmt, den Mantelkragen hochgezogen, sie selbst gramgebeugt, umgetrieben noch und noch. Mitunter fragt sich jedoch, ob diejenigen wirklich umgetrieben oder eher umtriebig sind.

Das Wort wird zur bloßen Kennmarke

Nein, bewahre: Dies soll kein landläufiges Politiker-Bashing werden, dafür ist eine präpotente Kampagnen-Journaille zuständig, allen voran mal wieder das Blatt mit den vier großen Buchstaben. Wir wollen dem Gros der Parteipolitiker keineswegs die Empathie, die Mitleidensfähigkeit absprechen, aber wenn selbige immer und immer wieder mit demselben Ausdruck daherkommt, schimmert denn doch etwas Unechtes durch. Wenn man also vernimmt, wie Politiker sich seit einiger Zeit immerzu umgetrieben wähnen, sollte man hellhörig werden. Wer auch immer die Wendung zuerst benutzt hat, andere haben sie für tauglich befunden und alsbald nachgesprochen. Nun ist sie in fast aller Munde. Das Wort wird zur bloßen Kennmarke. „Lassen Sie mich durch, ich werde umgetrieben!“

Übrigens: Ich mag mich irren, aber mir scheint, dass Männer die Umtreibe-Formulierung viel öfter verwenden als Frauen. Deshalb unterbleibt auch an dieser Stelle das mit obligatorischer Sinnpause zu sprechende „Politiker*innen“. Sollte die ungleiche Häufigkeit etwa daran liegen, dass männliche Politiker glauben, ihre Empathie eigens betonen zu müssen, während sie bei den weiblichen immer noch als quasi naturgegeben gilt?




Ros*in*enmontagsgruß – Gendern will gelernt sein

Gerd*a Frauholz
(Foto: Gerd Herholz)

Liebe Frau*innen und Männer*innen, liebe Männ*innen und Frauende, liebe Närrinnen und Narrhalesen,

heute am Rosenmontag möchte ich mich vordergründig zwar vor allem an die Männ*innen unter Ihnen wenden, aber selbstverständlich sind Frauende und Kind*innen immer mitgemeint.
Unumstritten, es ist höchste Zeit, dass Frauenzimmer, ja eigentlich alle weiblichen Räume und Welten sprachlich deutlich sichtbar werden! Ihnen, den Frauen, soll und muss von nun an die Hälfte des Himmels gehören – und die Hälfte der Erde und Hölle sowieso.

Als beherzte/r Fürsprecher*in des globalen Feminats („Ihr Wunsch wird mir zum Befehl!“) möchte ich dennoch darauf hinweisen, dass bei der gendergerechten Betonung des Weiblichen in der deutschen Sprache das Männliche schon aus folkloristischen Gründen nicht ganz verloren gehen sollte – obwohl es dafür sicher gute Gründe gäbe.

Nehmen wir zum Beispiel nur eine Formulierung wie „den Anstifter*innen und Täter*innen dieses Verbrechens muss der Prozess gemacht werden“. Gelesen wie gewünscht durchaus eindeutig zweideutig; rein akustisch allerdings hören wir da allein noch die weiblichen Formen der Vokabeln „Anstifter“ und „Täter“ heraus, wir hören also nur „Anstifterinnen und Täterinnen dieses Verbrechens muss …“. Da hilft auch eine kleine Stolperpause vor den „innen“ wenig. Und die männlichen Formen der Dativ-Deklination, also „Anstiftern“ und „Tätern“ gehen klanglich gänzlich verloren, so als ob den „AnstifterN und TäterN dieses Verbrechens“ nicht auch der Prozess gemacht werden müsste.

Halten wir fest: Schreiben und Hören desselben Satzfragments führen zu völlig unterschiedlichen Verstehenshorizonten: Mal gehen die Männer halb unter, mal ganz.

Zu Unrecht versenkt werden männliche „Anstifter“ und „Täter“ auch im Plural. Durch den weiblichen bestimmten Artikel „die“ werden sie zu „die Anstifter“ und „die Täter“. Diese ungerechte Verweiblichung der männlichen Mehrzahl sollten sich Frauende schlicht verbitten. Es wäre also höchste Zeit, auch im Plural männlichen Gruppen den bestimmten Artikel „der“ zuzuordnen: „Der Anstifter und der Täter vieler Verbrechen können ihrer Verantwortung nicht entkommen.“ Nun weiß auch der/die/das Letzte, wer gemeint ist. Und bitte kommen Sie mir jetzt nicht mit Haarspaltereien zu biologischem und grammatischem Geschlecht, zum komplexen Verhältnis von Sexus und Genus (nicht zu verwechseln mit „Genuss“). Wollte man und frau da alles berücksichtigen, kämen die wohl in Teufel*innens Küche.

Dennoch, eine Person, die einmal gelernt hat, Sexismus in der Sprache zu sehen, kann nicht der-/die-/dasselbe bleiben, das ist klar. Zunehmend irritieren mich aber auch andere diskriminierende Etikettierungen, etwa von Tier*innen oder Kind*innen. Immerhin, es gibt im Singular z. B. die Formen „der Hund“ / „die Hündin“, aber wieso die ganze Art dann wieder als (d-e-r) Hundeartige oder d-i-e Hundeartigen bezeichnet wird, ist nicht nachvollziehbar. Ich schlage deshalb eine gendergerechte Differenzierung aller Wörter im Singular / Plural vor: „der Hund / der Hunde“ sowie „die Hündin / die Hündinnen“. Die ganze Art könnte man vielleicht als „Hund*innen“ bezeichnen?

Über die weitere Deklination vieler Begriffe muss von linguistischer Seite gründlich nachgedacht werden. Wo der Mann im Plural sich dem weiblichen Artikel nicht weiter unterordnen will, darf zum Beispiel auch alles Weibliche im Genitiv nicht länger von einem „der“ regiert, ja unterjocht werden. Nieder mit einer Formulierung wie „die Schönheit der Frau“. Es muss natürlich heißen: „die Schönheit die Frau“ oder wie mittlerweile immer öfter als Graswurzelgendern im Rahmen lebendiger Sprachgestaltung zu hören ist: „die Schönheit von die Frau“.

Ein letzte Anmerkung, ja fast ein Seitenhieb noch wider das Sächliche. Es ist nicht einzusehen, dass wir weiterhin etwa „das Kind“ sagen. Hier wird durch den sächlichen Artikel das Kind versachlicht, es wird zur Sache. Die Folgen solcher Depersonalisierung sind heute überall zu sehen, etwa in der katholischen Kirche. Also bitte in Zukunft explizit nur noch geschlechterdifferenzierende Singular- / Plural-Formen verwenden: „der Kind / der Kinder“ und „die Kind / die Kinder“.

Ich hoffe, ich habe ein wenig zur aktuellen Debatte beitragen können.
Wenn Sie tiefer in die Materie einsteigen wollen, empfehle ich aus der 3sat-Mediathek die Kulturzeit-Extra-Sendung „Streit ums Gendern“. Mir war danach ein wenig schwindlig, aber Sie sind ja jetzt durch diesen Beitrag besser vorbereitet.

Für heute mit freundlichen Grüßen
Ihre
Gerd*a Frauholz




„Was für ein Jahr!“ (Gesammelte Grußformeln, 2020er Corona-Edition) – Auch die Revierpassagen wünschen zu den Festtagen alles Gute!

Statt des Baumschmucks und/oder Feuerwerks… (Foto: Bernd Berke)

Freimütig zugegeben: Grüße zu Weihnachten und zum Jahreswechsel sind kein leicht zu absolvierendes Genre; ganz gleich, ob nun im Chefsprech (Grundmuster: Vieles ist geschehen, vieles bleibt noch zu tun – aber wir werden es schaffen, wenn sich alle ins Zeug legen) oder im sanftmütigen Achtsamkeits-Jargon.

Schauen wir uns doch in prägnanten Auszügen mal ein paar notgedrungen floskelhafte Beispiele aus aktueller Verfertigung an (siehe Quellen am Schluss des Beitrags), vorwiegend aus dem Kulturwesen der Ruhrgebiets-Region – und zwar ohne den hochmütigen Anspruch, es besser zu können. So beginnen die Texte nach der jeweiligen Anrede:

„…ein ereignisreiches Jahr geht zu Ende…“

„Ein bewegendes Jahr neigt sich dem Ende.“

„Ein turbulentes Jahr neigt sich dem Ende zu…“

„…ein bewegtes Jahr geht zu Ende.“

„Dieses Jahr war wirklich eine Herausforderung.“

„2020 war für uns alle ein Jahr der besonderen Herausforderungen.“

„…was für ein Jahr!!!“

„…2020 war ein besonderes Jahr.“

„…am Ende eines schwierigen, von Einschränkungen und Verlusten geprägten Jahres…“

„…vor genau einem Jahr haben wir auf ein tolles und ereignisreiches Jahr zurück geschaut und waren voller guten Mutes…“

„…blickt zurück auf ein Jahr, das von besonderen Begegnungen geprägt war – trotz der Ausnahmesituation.“

„Durch Corona hat sich Vieles verändert.“

„2020 war ein Jahr, das allen sehr viel abverlangt hat – im Privaten wie im Beruflichen.“

„…üblicherweise geben wir mit diesen Zeilen einen munteren Überblick über das vor uns liegende neue Halbjahr. Doch die vergangenen Monate haben…“

„…uns steht ein ereignisreiches Jahr bevor…“

Als Reaktion auf viele dieser Jahreswechsel-Formeln würde sich das entwaffnende Loriot’sche „Ach was“ eignen, das ja eh universell anwendbar ist. Doch natürlich folgen auf die einleitenden Floskeln jeweils kurze Jahresbilanzen und Ausblicke mit klugen, kreativen und kultivierten Gedanken zum verfließenden 2020.

Möge uns 2021 weniger Anstrengungen und Verdruss bereiten. Und vergesst nicht: Trump ist fast schon weg – und der Impfstoff ist unterwegs!

___________________________

Die Zitate (selbstverständlich ohne direkte Zuordnung) stammen aus Grußbotschaften von (alphabetische Reihenfolge):

DASA Arbeitswelt Ausstellung, Dortmund
Deutscher Chorverband
Deutscher Journalistenverband (DJV)
Gustav-Lübcke-Museum, Hamm
HMKV – Hartwarte Medien Kunst Verein, Dortmund
Kunsthalle Bremen
Kunsthalle Recklinghausen
Museum für Kunst und Kulturgeschichte, Dortmund
Museum Ostwall im Dortmunder U
Regionalverband Ruhr, Essen
Ruhrfestspiele, Recklinghausen
Ruhr Museum, Essen
Schauspiel Dortmund
Spiegel online, Hamburg
(Die) Zeit, Hamburg

(Zitatliste wird noch bis zum Jahreswechsel ergänzt)




Nietzsche und sein „Gast“, Thomas Bernhard und die finale Richtigstellung – Nachtrag zur Dortmunder „Korrektur“-Tagung

Hier noch ein Nachtrag zur Dortmunder Fachtagung übers Korrigieren und seine diversen Weiterungen. Am zweiten Konferenztag ging es u. a. um zwei besonders markante Gestalten der Philosophie- bzw. Literatur-Geschichte: Friedrich Nietzsche und Thomas Bernhard.

Screenshot-Auszug aus der Präsentation von Prof. Justus Fetscher: links ein heftig korrigiertes Typoskript von Thomas Bernhard („Tamsweg“, 1960), das nie in Buchform erschienen ist. (© Suhrkamp / Justus Fetscher)

Haben Sie schon mal den Namen Heinrich Köselitz gehört? Wahrscheinlich eher nicht. In der Fachwelt galt und gilt er vielfach als mediokrer Geist, doch Friedrich Nietzsche setzte einiges Vertrauen in den Mann, dem er diktierte oder Seiten zur Abschrift überließ. Zwar korrigierte Nietzsche dann seinerseits in Köselitz‘ Niederschriften, doch ließ er ihm auch zunehmend recht freie Hand. So veränderte Köselitz hie und da Ausdrücke des Philosophen, dachte sich eigenständig Kapitelüberschriften aus und begriff sich schließlich selbst als eine Art „Editor“ oder Ko-Autor mit der Lizenz zum Mitschreiben.

Stavros Patoussis (Saarbrücken) und Mike Rottmann (Freiburg / Halle-Wittenberg) legten anschaulich dar, welchen Einfluss Köselitz auf die Textgestalt mancher Nietzsche-Werke hatte bzw. gehabt haben könnte. Die Forschung dazu ist noch lückenhaft, es sind noch längst nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft.

Der Unterschied zwischen Autor und Schriftsteller

Nietzsche selbst schrieb im Zusammenhang mit dem Buch „Menschliches, Allzumenschliches“, er sei zwar der Autor (also Urheber), Köselitz aber sei gleichsam der Schriftsteller, zuständig für manche stilistische Feinheit. Fraglich allerdings, inwieweit man alles für bare Münze nehmen muss, was Nietzsche so von sich gegeben hat – nicht nur in Sachen Korrekturen. Dass ihm die Form ungemein wichtig war, ist indes ausgemacht. Der Stil war nach seiner Auffassung keineswegs sekundär, sondern essenziell fürs gesamte Gedankengebäude. Demnach hätte Köselitz (von Nietzsche übrigens „Peter Gast“ genannt) also auch inhaltliche Prägekraft entfaltet. Ein durchaus spannender Diskussionsansatz.

Bemerkenswert, wie auf solche Weise Nietzsches Bild als Originalgenie auf einsamer Geisteshöhe denn doch etwas zurechtgerückt wird. Er bediente sich eines ganzen Netzwerks von Zu- und Mitarbeitern. Vielleicht bringen uns solche Erkenntnisse den Philosophen sogar wieder etwas näher. Es könnte nicht schaden.

„Herumfuhrwerken“ in den eigenen Texten

Zeitsprung zu Thomas Bernhard, dessen korrigierendes „Herumfuhrwerken“ in eigenen Hervorbringungen geradezu manisch gewesen sein muss. Justus Fetscher (Germanist an der Mannheimer Uni) zeigte dazu einige Bernhardsche Korrekturfahnen im Faksimile. Da offenbart sich ein gehöriges Schriftchaos. Zuweilen strich Bernhard ganze Passagen, bis nur noch ein Halbsatz übrig blieb, der dadurch aber insgeheim mit viel mehr Bedeutung aufgeladen wurde. Es sind Lehrbeispiele zur möglichen Wirkung radikaler Kürzungen, die ja auch einen (häufigen) Sonderfall des Korrigierens darstellen.

Es bedurfte schon eines legendär duldsamen und auch den schwierigsten Autoren in besonderer Weise zugeneigten Verlegers wie Siegfried Unseld (Suhrkamp), um Bernhards Marotten zu ertragen oder sie gar ins Ertragreiche zu wenden.

In letzter Minute fertige Bücher zurückgezogen

Zuweilen konnte Bernhard das Erscheinen seiner Bücher nicht schnell genug gehen, sie sollten dann nur noch flüchtig lektoriert werden, da gab sich der Autor ungeahnt nonchalant. Justus Fetscher sagte, er selbst habe als junger Suhrkamp-Hospitant einen solchen Fall erlebt. Berüchtigt war Bernhard freilich für das umgekehrte Vorgehen: Immer mal wieder zog er Bücher, die schon fertig gesetzt waren, in den Vorschaukatalogen standen und vom ambitionierten Buchhandel sehnlichst erwartet wurden, quasi in letzter Minute zurück. Das kostete im Verlag nicht nur Nerven, sondern auch bares Geld.

Zu solchen Rückziehern dürfte Bernhard auch ein Gefühl des Ungenügens bewogen haben. Seine Korrekturseiten legen ja beredtes Zeugnis ab vom prinzipiell unendlichen Änderungs-Bedarf. Die drangvoll eng beschriebenen Blätter wirken zuweilen wie eine Prüfung auf maximal mögliche Seitenkapazität, die über und über gehämmerten Buchstaben-Anschläge durchlöchern oder zerfetzen an so manchen Stellen das Papier. Fast möchte man von „Anschlägen“ im doppelten Sinne sprechen. Das Schriftbild anderer Seiten ergibt, mitsamt den überschriebenen, gestrichenen und verworfenen Stellen, ein ruhigeres, nahezu graphisch wirkendes Bild, Justus Fetscher fühlte sich an „Frottagen“ erinnert, wie sie etwa Max Ernst geschaffen hat.

Fortwährende Korrektur als Stundung des Todes

Es konnte sich nicht besser zum Tagungsthema fügen: Thomas Bernhard hat einen Roman mit dem Titel „Korrektur“ verfasst. Auch darin geht es um unaufhörliches Korrigieren des Korrigierten – prinzipiell ad infinitum. Fortwährend erstellte, immer neue Versionen erweisen sich dabei als Aufschub und Stundung des Todes. Solange man korrigiert, lebt man. Letztlich aber reicht diese wahnwitzige Praxis – im Leben wie im Roman – eben nicht bis in die Unendlichkeit. Und so besteht die finale „Korrektur“, so eine Bernhardsche Denkfigur, im Selbstmord des Protagonisten Roithamer, der in einigen Wesenszügen dem Philosophen Ludwig Wittgenstein nachempfunden ist.

Die Schlussdiskussion der Tagung habe ich mir nicht mehr ansehen können. Auf jeden Fall hat diese Konferenz ein bislang unterschätztes, im Grunde aber höchst bedeutsames Themenfeld aufgetan. Korrekturen, ob von eigener oder fremder Hand, stehen geradezu im Mittelpunkt nicht nur des kulturelles Tuns und Trachtens.




Als Robert Walser von Christian Morgenstern gerügt wurde – eine digitale Dortmunder Fachtagung zum Thema „Korrigieren“

Dortmund. Das haben wir nicht alle Tage: dass von Dortmund aus eine literatur- und medienwissenschaftliche Diskussion angeregt wird und es dazu eine hochkarätige Tagung gibt – in diesen Zeiten freilich digital und virtuell. Wir reden von einer zweitägigen Fachdebatte zum bisher weithin unterschätzten Thema des Korrigierens in vielen Schattierungen. Das Spektrum reicht von der Lektorierung literarischer Texte bis hin zur oft so vermaledeiten Autokorrektur-Software – und ragt in einige andere Bereiche hinein.

Etwas unscharfer Screenshot von der Videokonferenz-Tagung: Prof. Thomas Ernst beim einleitenden Kurzvortrag, in der Bildleiste darüber weitere Tagungs-Teilnehmer(innen).

Wie noch nahezu jedes Thema, so lässt sich auch dieses im Prinzip unendlich auffächern und in allerlei Feinheiten zergliedern. Was abermals zu beweisen war und sich heute schon zu Beginn der Tagung angedeutet hat. Im Folgenden „schenken“ wir uns sämtliche Professoren- und Doktortitel, praktisch alle Beteiligten tragen den einen oder anderen. Und übrigens: Fast alle zeigten sich den Webcams vor üppig gefüllten Bücherregalen.

Eingeladen hatte das von Iuditha Balint geleitete Fritz-Hüser-Institut (FHI) für Literatur und Kultur der Arbeitswelt, das in der Nachbarschaft des Dortmunder LWL-Industriemuseums Zeche Zollern residiert. Mitorganisator ist Thomas Ernst (Amsterdam/Antwerpen), weitere Wissenschaftler*innen werden aus Bern, Hamburg, Berlin, Saarbrücken, Mannheim, Leipzig, Essen und Bochum zugeschaltet, die Kommunikation erfolgt via Zoom-Konferenz.

Machtverhältnisse und aufklärerisches Potenzial

Iuditha Balint legte in ihrer kurzen Einleitung dar, dass Korrekturen u. a. auch Ausdruck von Machtverhältnissen sein können (wer darf wen wie weitgehend „verbessern“?) und sozusagen ein Gegenstück zum Konzept von genialer oder auktorialer Autorschaft darstellen. Thomas Ernst führte aus, dass das Korrigieren zudem – schon in der Schule, wenn etwa Klassenarbeiten durchgesehen und bewertet werden – normative Funktionen erfülle. Auch Zensoren übten quasi eine Art „Korrektur“ aus. Am anderen Ende der Skala befördere das Korrigieren allerdings auch Formen kollektiver Zusammenarbeit und könne als Instrument der Aufklärung gelten. Wie wissenschaftliche Erkenntnisse sich überhaupt im Dialog und durch ständige Revisionen (also: Korrekturen) konstituieren, habe sich jüngst auch bei der Diskussion virologischer Themen vielfach erwiesen. Da war er, der aktuelle und buchstäblich virulente Bezug. Hier aber gilt’s den Geisteswissenschaften.

Die „Affenliebe“ zum eigenen Schreiben

Den ebenso anspruchsvollen wie interessanten Eröffnungsvortrag hielt sodann Ines Barner aus Essen. Sie skizzierte eine übergreifende Systematik zum Thema der Tagung und verwies dabei auf zwei konkrete Beispiele aus den Gefilden der literarischen Hochprominenz. So hat kein Geringerer als der Lyriker Christian Morgenstern – einer der frühen Lektoren im deutschsprachigen Literaturbetrieb – zeitweise die Betreuung des Romanautors Robert Walser („Geschwister Tanner“) übernommen. Anfangs höchst angetan vom kurz zuvor neu entdeckten Walser, schrieb Morgenstern ihm vor der Drucklegung einen ziemlich harschen Brief. Walsers „Affenliebe“ zum eigenen Text müsse nun endlich aufhören, er schreibe viel zu „weitschweifig“ und „selbstgefällig“, ja nahezu trivial. Sprach’s und strich kurzerhand ganze oder halbe Seiten aus dem ursprünglichen Text… Just solche „Störstellen“ (Ines Barner) hat Robert Walser hernach aufgegriffen, um sie eigenständig umzuarbeiten.

Peter Handke zwischen den Extremen

Anders gelagert war der Fall bei Peter Handke, dem Elisabeth Borchers als Lektorin des Buchs „Langsame Heimkehr“ zur Seite gestanden hat. Handke wusste nicht recht, wie er das Buch enden lassen sollte und steigerte sich in eine regelrechte Schreibkrise hinein, in deren Verlauf er Elisabeth Borchers freie Hand gab, den Text nach Belieben zu ergänzen, was einer Mitautorschaft gleichkam. Ein durchaus ungewöhnliches Verfahren. Handke hat seine Großzügigkeit denn auch später bereut, sich von Borchers als Lektorin getrennt und fortan umso entschiedener auf Unantastbarkeit seines Schreibens bestanden. Von einem Extrem ins andere…

Schon diese beiden Beispiele des Umgangs mit Korrekturen auf dem Felde der Hochliteratur lassen ahnen, wie spannend und vielfältig die Stoffe der Dortmunder Tagung sind. Es werden noch etliche weitere Aspekte in Betracht kommen, beispielsweise: Korrekturen und Lehrerurteile anhand deutscher Abituraufsätze in den 1950er Jahren (Sabine Reh), Korrekturprozesse bei der Verfertigung von Friedrich Nietzsches „Die fröhliche Wissenschaft“ (Stavros Patoussis / Mike Rottmann), „Zur Figur des Korrigierens bei Thomas Bernhard“ (Justus Fetscher), „Korrigieren mit der Schere“ (Marie Millutat) oder auch „Sprachliche Normen und Korrekturimpulse in automatisierten Korrekturprozessen“ (Ilka Lemke / Katrin Ortmann).

Schade nur, dass die Teilnehmerzahl auf rund 100 Leute begrenzt ist. So bleibt die Wissenschaft erst einmal unter sich. Doch Verlauf und Resultate der Tagung sollen später noch publiziert werden; zunächst in einigen Wochen als Zusammenschnitt (auf der Instituts-Seite fhi.dortmund.de), im nächsten Jahr dann als Tagungsband.

______________

P. S.: Auch dieser Beitrag wurde noch einer Korrektur unterzogen. Nur gut, dass er nicht gedruckt vorlag.

 

 




Die deutsche Sprache ist ein „Vielfraß“ – amüsantes Buch über eingewanderte Wörter

Die deutsche Sprache, so stellt Matthias Heine gleich eingangs fest, sei ein „linguistischer Vielfraß“. Will heißen: Sie hat sich nach und nach Wörter aus rund 120 Idiomen einverleibt und anverwandelt. Wohl bekomm’s.

Heines Buch „Eingewanderte Wörter“ verfolgt die manchmal abenteuerlichen (Um)-Wege dieser Migration. Für deutschtümelnde Sprachpuristen ist es wahrscheinlich ein Graus (oder ein irritierendes Aha-Erlebnis), für alle anderen Leute dürfte sich der Gang durchs Alphabet als amüsanter Streifzug erweisen.

Es handelt sich keineswegs nur um eine nur flott zusammengestellte und flockig-flapsig kommentierte Kollektion, wie es sie auf dem Buchmarkt zuweilen gibt. Nein, Matthias Heine (hauptberuflich Kulturredakteur der „Welt“) hat sich schon einige Mühe gegeben, um zahlreiche historische und neuere Fundstellen aufzuspüren und sie mit Erzählstoff anzureichern. Das Spektrum reicht vom Alltagsschnack bis zur hohen Literatur und überdies bis in die Kino- und Popkultur hinein. So wird beim Stichwort „Bungalow“ (Hindustani/Nordindien) der Beatles-Titel „Bungalow Bill“ aufgerufen und beim „Honk“ (US-amerikanischer Ursprung) an die Rolling Stones und ihren Song „Honky Tonk Women“ erinnert, wobei im Buch fälschlicherweise die Einzahl „Woman“ steht. Aber das nur nebenbei. Wir wollen nicht kleinlich sein.

„Urdeutsches“ aus Assyrien und Polen 

Heine hat jedenfalls genau die richtige Mischung aus sprachwissenschaftlicher Seriosität und unterhaltsamer Präsentation gefunden. Und er fördert etliche Überraschungen zutage. Demnach stammen viele „urdeutsch“ klingende Worte aus fernen Weltgegenden oder aus Ländern, die man nicht als Ursprung vermutet hätte. Beispiele: Sack leitet sich aus dem Assyrischen her, Grenze aus dem Polnischen, Schmetterling aus dem Tschechischen (verwandt mit smetana = Sahne), Gummi aus dem Altägyptischen. Pinguin war ursprünglich walisisch, Schlawiner slowenisch und Erz etruskisch. Es hätten vielleicht Millionenfragen für Jauch sein können, jetzt sind sie’s nicht mehr.

Natürlich bleibt es nicht bei bloßen Behauptungen und verblüffenden Feststellungen, sondern der Autor legt auch die verschlungene Fährten und Wandlungen der einzelnen Wörter dar. Viel Sprachgut gelangte auf Handelswegen und/oder im Gefolge der Entdecker und Eroberer nach Europa. So stammen „tattoo“ und „tätowieren“ vom Tahitianischen Wort „tatau“ ab, das vom Weltumsegler Cook aufgeschnappt wurde. Von England nach Deutschland war es dann nur noch ein kleiner Schritt. Werke von Wortschöpfern wie Luther (Bibelübersetzung) oder Goethe haben ebenfalls eine wichtige Rolle beim sprachlichen Transfer gespielt. Doch wie das in der Wissenschaft so zu gehen pflegt, finden sich oft auch widerstreitende Theorien zur Herkunft. Auch die Sprachwissenschaft hat ihre Drostens und Streecks…

…und woher kommt die „Plauze“?

Man möchte am liebsten gar nicht aufhören mit dem Aufzählen: Wer hätte gewusst, dass „Plauze“ aus dem Sorbischen kommt, Putsch aus dem Schweizerdeutschen, bizarr aus dem Baskischen, Dolmetscher aus dem Türkischen? Doch auch Wörter, die man geographisch wohl einigermaßen hätte zuordnen können, tauchen hier auf: Poncho (Mapuche/Andengebirge), Mafia (Sizilianisch), Bonze (Japanisch), Kotau (Chinesisch), Kajak (ostgrönländisch), Anorak (westgrönländisch), Datsche (Russisch), Curry (Tamil/Indien), Amok (Malaiisch) oder Guru (Hindi).

Genug des flüchtigen Antippens. Man gönne sich das Vergnügen, dieses lehrreiche Buch von A bis Z zu lesen – von Abenteuer (Altfranzösisch) bis Zucker (Arabisch).

Matthias Heine: „Eingewanderte Wörter“. Mit Illustrationen von Helen Hermens. DuMont Buchverlag, Köln. 144 Seiten, 18 Euro.




Wenn Masken modisch und witzig sein sollen

Ich geb’s ja zu: Ein paar von den Dingern hab‘ ich auch. Aber alles ganz harmlos. (Foto: BB)

Masken haben sich bekanntlich längst als modisches Accessoire erwiesen. Auch macht sich bemühter Humor auf den Stoffen breit.

Nach wochenlangen Wartezeiten nur zu Mondpreisen erhältlich, gab es anfangs zumeist Einmal-Masken mit jenem allbekannten bläulichen Schimmer. Sicherlich einigermaßen von Nutzen. Aber langweilig. Das genügt in der verwöhnten westlichen Welt mit ihren stylischen Attitüden nicht.

Und jetzt? Herrscht (ähnlich wie bei anderen Artikeln, die vorübergehend knapp waren) seit Monaten ein flutendes Überangebot. Kapitalistische Bedarfsbefriedigung halt. Alles in anbrandender Hülle und Fülle. Nichts, was es nicht gibt.

Wer zählt die Punkte-, Streifen-, Leo-, Argyle-, Karo-, Blumen- und Schottenmuster? Wer beschreibt die Imitate aus allen denkbaren Kunst- und Kunstgewerberichtungen? Sodann zieren Logos aller Bundesliga-Clubs, Silhouetten aller mögliche Städte und Agglomerationen, dazu Symbole und Flaggen jedweder Couleur die Mund-Nasen-Lappen. Auch Modelle mit allen Planeten, putzigen Ankerchen, niedlichen Haien, dem lateinischen Alphabet oder chinesischen Schriftzeichen stapeln sich in den Regalen.

Manche Zeichen werden uneindeutig

Apropos bunt: Bei Masken in Regenbogenfarben kann man sich nicht mehr ganz sicher sein, wes (Un)geistes Kinder die Träger*innen sind. Auch manche ver(w)irrten Corona-Leugner haben versucht, das Friedens- und Toleranzzeichen an sich zu raffen, ebenso wie sie einzelne Signaturen der Hippie-Ästhetik okkupieren wollen. Recht sicher kann man sich hingegen bei einer Masken-Aufschrift wie „Bürger Maulkorb“ sein, die noch dazu in Frakturschrift erscheint.

Ein eigenes Genre bilden Masken, auf denen mehr oder weniger karikierte Münder, Zungen und Zähne oder Ausschnitte von Tiergesichtern prangen; Smileys und Emojis noch gar nicht mitgerechnet, von Totenköpfen und Gerippen aller Art sowie Bildchen mit brünstig-sexueller Konnotation ganz zu schweigen. „Das ganze Programm“, wie unser „Dittsche“ sagen würde.

Kurzum: Mit schlicht unifarbenen Masken könnte man sich schon beinahe underdressed vorkommen. Oder einfach nur normal vernünftig. Schmucklos genügsam. Pragmatisch. Und dergleichen.

Mit gedrucktem Salatblatt vor dem Mund

Auf diesen Stoffstückchen dürfen sich offenbar alle Designenden (ist das nicht toll gegendert?) austoben, wobei etliche Ideen-Anleihen bei T-Shirts genommen werden können. Frauen mit diversen Bart-Umrissen auf der Maske? Geht. Männer mit gedrucktem Salatblatt vor Mund und Nase? Na, klar. Mit echten oder falschen Perlen besetzter Stoff? Sicher doch. Anything goes.

Natürlich florieren auch, womit wir vom Optischen zum Verbalen schreiten, landsmannschaftliche, dialektale und mundartliche Abarten – von Aufschriften wie „Moin“ oder (steile Steigerung) „Moin Moin“ über „Glückauf“ bis zu „Schnüssjardinche“, „Maultäschle“ und „Snutenpulli“. Womit wir schon im Vorfeld des Schenkelklopf-Bezirks notorischer Gute-Laune-Bären angelangt wären. (Übrigens: Fips Asmussen, dröhnender Kleinmeister des Kalauers, ist jetzt mit 82 Jahren gestorben).

„H(o)usten – wir haben ein Problem“

Betreten wird also zaghaft das weite, weite Feld des Corona-induzierten Humors der kläglich schnell erschöpften Sorte. Hier nun einige Fund-Beispiele für Maskenaufdrucke mit hohem Witzbold-Quotienten und arg begrenztem Kicherfaktor, bevorzugt als „lustig“ (Vorsicht vor diesem Wort!) beworben:
„Aushuastverhüterli“
„Kein Corona, nur eine hässliche Fresse“

„Keine Panik – Heuschnupfen“
„Keine Panik! Raucherhusten“
„Hatschi“
„H(o)usten – wir haben ein Problem“

„Achtung! Das ist kein Überfall. Ich will nur einkaufen.“
„Ich war sozial distanziert, bevor es cool war“
„Infiziert: Ja – Nein – Vielleicht“ (mit Kästchen zum Ankreuzen)

„Darf ich Ihnen das Tschüss anbieten?“

Eine weitere Unterabteilung klingt missgelaunt, genervt, ruppig oder aggressiv:
„F*CK CORONA“ (explicit version also available: FUCK CORONA)
„bla bla bla“
„Schleich dich, zefix!“
„Moin, ihr Spacken“
„Darf ich Ihnen das Tschüss anbieten?“
oder ganz simpel:
„Ich hasse Menschen“

Zum Ausgleich gibt’s noch die, die ein bisschen nett und tröstlich wirken wollen oder dieses herzige Ansinnen wenigstens vor sich hertragen:
„Ehrlich! Ich lächle!“
„You’ll never walk alone“
„Kiss me!“

Und manche lassen Spuren von Sinnhaftigkeit ahnen, etwa so:
„Wenn du das hier lesen kannst, dann bist du zu nah!“

Zum Schluss eine Fachfrage: Ist noch ein Hersteller übrig, der seine Masken noch nicht als „Mit Abstand am besten“ angepriesen hat?




Die Rettung des Planeten kann auch aus Poesie erwachsen: Andri Snær Magnasons aufrüttelndes Buch „Wasser und Zeit“

Wenn ein Thema dieser Zeit global und entsetzlich entgrenzt genannt werden kann, dann das wohl dringlichste überhaupt: der Klimawandel. Es ist denn auch viel mehr als ein „Thema“ unter anderen, es geht ja um die ganze Existenz des Planeten und unseres Daseins.

So darf es auch nicht verwundern, dass der isländische Autor Andri Snær Magnason für sein streckenweise aufrüttelndes Buch eine geradezu verwegene Mixtur anrührt, indem er beispielsweise vorzeitlichen und immer noch nachwirkenden Bezügen zwischen seiner karstigen Heimat und dem Himalaya nachspürt. Dermaßen auffällig erscheinen ihm landschaftliche, spirituelle und mystische Querverweise, dass es kein Zufall mehr sein könne, sondern höherer und tieferer Sinn darin liegen müsse, der jede dürre Schulweisheit übersteigt oder jedenfalls überhöht. Nicht nur mit Daten, sondern auch und vor allem mit Dichtung lasse sich vor Augen führen, wie schön das Verlorene war und wie ernst die jetzige Situation ist.

„Mit Gottes stillegeschwängerter Kosmosweite“

Der ungemein vielseitige Schriftsteller Magnason (Kinderbücher, Theaterstücke, Lyrik, Romane, Sachbücher), der auch schon mal bei der Präsidentschaftswahl seines Landes kandidiert hat, findet, dass wir noch gar keine adäquate Sprache gefunden haben für die drohenden Katastrophen, die ihn wiederum an die altisländischen Vorstellungen vom Ragnarök (Weltuntergang) gemahnen. Elemente der geistesgeschichtlich überlieferten „Romantik“, Naturanbetung und beseeltes Erzählen scheinen nach seiner Ansicht hierbei entschieden weiter zu führen als nur rationale Betrachtungen oder prognostische Berechnungen. In poetischer Diktion wird ein Gletscher-Erlebnis vollends überwältigend, so heißt es etwa in einem Text des Romantikers Helgi Valtysson: „Und dein Selbst verschmilzt wie eine bebend erklingende Saite mit Gottes stillegeschwängerter Kosmosweite…“ Für Magnason ist es keine Frage mehr, dass dieses Gefühl und seine natürliche Grundlage bewahrenswert sind. Freilich ließe sich das alles auch als Esoterik denunzieren, aber es gibt ungleich Wichtigeres zu tun.

Nach einer passenden Sprache suchen

Traditionelle isländische Sprechgesänge, noch von den Großeltern des Autors überliefert, korrespondieren mit einer damals noch recht intakten Natur, vor allem mit den mächtigen Gletschern, die nun längst dahinschmelzen; ein höchst beunruhigendes Phänomen, das abermals auf die Himalaya-Region bezogen wird, wo das Leben vieler Millionen Menschen vom alljährlichen Zyklus des Gletscherwassers abhängt. Wasser und Zeit…

An einem etwas anders gelagerten Beispiel sucht Magnason zu erläutern, wie Menschen ihre Lage gar nicht begreifen können, wenn sie keine passenden Worte für akute Zustände haben. So habe schon um 1809 der dänische Abenteurer Jørgen Jørgensen den Isländern erzdemokratische Freiheitswerte und Unabhängigkeit gepredigt, doch das Volk habe überhaupt nicht gewusst, wovon er da redete – und sei der dänischen Fremdherrschaft hörig geblieben.

„Jedes Leben ist eine Lebensaufgabe“

Das Buch führt in die Frühzeit der isländischen Gletscherforschung in den 1930er Jahren, die wiederum verwoben wird mit der Familiengeschichte des Autors, welche auch in andere Bereiche ausgreift. Wer kann schon von sich sagen, dass ein Großvater in die USA ausgewandert ist und dort als Arzt sowohl den Schah von Persien als auch Andy Warhol operiert hat? Wer kann mit Fug behaupten, ein Onkel sei weltweit ein Pionier bei der Rettung nahezu ausgerotteter Krokodile gewesen? Wie heißt es doch auf Seite 139 so allgemeingültig: „Jedes Leben ist eine Lebensaufgabe…“

Was einem zwischendurch wie bloße Abschweifung erscheinen mag, markiert in Wahrheit wohl die Spannweite der möglichen und (prinzipiell jedem zugänglichen) Lebenserfahrung, die eben potentiell auch rückwärts bis zu den Vorfahren und vorwärts bis zu Kindern und Enkeln reicht. Auch schon vor ergänzender Lektüre begründet dies eine Verantwortlichkeit für den Zustand der Welt. Die fassbare Dimension der Zeit umgreift mehr als das eigene Leben. Diese Einsicht bewirkt, dass man über sich und seine Generation hinausdenkt; dass man gewahr wird, wie sehr die Erde sich seit den Ahnen geändert hat, welche Verluste bereits eingetreten sind. Das Schicksal der Erde dreht sich derweil nicht mehr um zigtausend Jahre, es steht – so der glaubhaft erschreckende Befund – Jahr um Jahr mehr auf dem Spiel, ist vielleicht schon bald unwiderruflich besiegelt.

Welch eine Bürde für die Nachgeborenen!

Von immer neuen Seiten beleuchtet der Autor die gigantische Bedrohung. Gelegentlich scheint das Buch thematisch etwas auszufransen, doch nimmt es auch immer wieder die Hauptspur auf. Der Zufall (oder die Fügung?) wollte es, dass Magnason mehrfach Gespräche mit dem Dalai Lama führen durfte, dessen Weisheit in allen Dingen mit staunenswerter Zuversicht einhergeht, wie denn überhaupt gegen Schluss des Bandes einige Entwicklungen und Forschungen anklingen, in denen Lösungsansätze stecken könnten. Doch es geht eben nicht nur um Forschung, sondern zuallererst um Haltung und Entschlusskraft. Und Magnason ist überzeugt: Die jetzt heranwachsende ist die letzte Generation, die die Erde retten kann. Welch eine Bürde!

Andri Snær Magnason: „Wasser und Zeit. Eine Geschichte unserer Zukunft“. Aus dem Isländischen von Tina Flecken. Insel Verlag, 304 Seiten, 24 Euro.

 




„Hören Sie bald von Ihnen“: Mailwechsel mit einem chinesischen Online-Shop

Leute, ich bin zum ersten Mal auf einen jener windigen China-Shops (Online-Firmen ohne Adresse, Impressum etc.) hereingefallen, die unter rasch wechselnden, „deutsch“ klingenden Namen antreten und – gegen Vorauskasse – äußerst minderwertige Ware liefern, so ca. acht Wochen nach Bestellung; wenn überhaupt.

Corpus Delicti (Foto: BB)

Hätte ich vorher z. B. im Bewertungsportal trustpilot.de nachgesehen, hätte ich gewusst, dass Waren und Geschäftsgebaren dieser Herrschaften zu satten 87 Prozent wahrhaft unterirdisch mit „ungenügend“ beurteilt werden. Auch ich habe inzwischen dort meine Meinung hinterlassen. Meinen stellenweise absurden Mailwechsel mit den Shop-Betreibern (die ich hier nicht benennen mag) möchte ich der Mitwelt trotzdem nicht vorenthalten:

Es begann mit meinem Retouren-Wunsch, ein paar Schuhe für etwas unter 50 Euro betreffend:

Guten Tag, ich möchte die Ware zur Bestellung (folgt Bestellnummer) zurücksenden und den Kaufpreis zurückerhalten. An welche Anschrift soll ich die Ware senden?

Mit freundlichen Grüßen Bernd Berke

Daraufhin der Shop:

„Sehr geehrter Kunde, Danke für Ihre E-Mail.
Wir entschuldigen uns für die Unannehmlichkeiten, die Ihnen entstanden sind.
Können Sie uns sagen, warum Sie zurückkehren müssen?
Bitte hängen Sie die Artikel auf und machen Sie deutlich Fotos, um die von Ihnen genannten Probleme zu zeigen. Damit Ihr Problem rechtzeitig bestätigt und gelöst werden kann.
Hören Sie bald von Ihnen, vielen Dank.“

In der Tat hörten sie wieder von mir, nämlich dies:

Guten Tag, verschonen Sie mich doch bitte mit Ihrer Hinhaltetaktik. Auf Ihrer Homepage ist ausdrücklich eine Rücknahmegarantie vermerkt (siehe Screenshot) – bis zu 14 Tage nach Erhalt der Ware, ohne Angabe von Gründen. Aber ich nenne Ihnen sogar zwei Gründe:

Die Schuhe passen einfach nicht, sie sind zu klein. Außerdem sind sie von enttäuschend minderwertiger Qualität, sie riechen erbärmlich nach billigem Plastik. Beide Mängel lassen sich mit Fotos n i c h t darstellen.

Ich möchte die Schuhe zurückschicken und den Kaufpreis erstattet bekommen.

Also: Bitte jetzt die Adresse zur Rücksendung. Sonst können wir die Sache auch juristisch behandeln.

Gruß Bernd Berke

Nun wieder der Shop:

„Sehr geehrter Kunde,

Vielen Dank, dass Sie uns darauf hingewiesen haben.
Wir entschuldigen uns für die Probleme mit den von Ihnen gekauften Schuhen und für die Unannehmlichkeiten, die Ihnen entstanden sind.
Können Sie es behalten, weiterverkaufen oder verschenken? Wir möchten Ihnen 8 EUR als Entschädigung zurückerstatten. Was denken Sie? vielen Dank“

Weiterverkaufen oder verschenken soll ich sie also? Interessante Retouren-Variante. Sie verstehen offenbar nichts oder wollen jedenfalls nicht verstehen. Mit ihrer freundlichen „Begriffsstutzigkeit“ wollen sie einen anscheinend zermürben und von weiteren Schritten abhalten. Gar nicht so ungeschickt. Offenbar eine bereits vielfach erprobte Methode. Also muss man vielleicht etwas bestimmter auftreten? Hier also meine neuerliche Antwort, diesmal recht kurz:

8 Euro? Das ist ja wohl ein Witz. Retourenadresse jetzt und volle Rückerstattung – oder Ärger mit Anwalt! Gruß

Auch das hat nicht wirklich gefruchtet. Diese Mail erhielt ich nun:

„Sehr geehrter Kunde, Ich freue mich sehr über Ihren Brief. Bitte verzeihen Sie mir etwaige Unannliche.

Für erhaltene Artikel erhalten wir, dass Sie den Artikel behalten und behalten, ihn geschlossen haben oder Ihre Freunde zu geben. Wir können 12 Euro zurückerstatten oder Ihnen einen Gutschein von 12 Euro auss
Bargeldcoupons wahr Bargeld. Sie können in Zukunft andere Artikel auf unserer Website kaufen.

Wenn Sie eine Rücksendung zahlen müssen, müssen Sie die Rücksendung bezahlen und bezahlen, müssen Sie auch selbst Steuern zahlen. dass die Schuhe nicht beschädigt sind
Bitte senden Sie Sie den Artikel und eine Adresse Adresse: (von 14 Tagen nach Erhalt des Pakets):

An: (folgt eine ungemein komplizierte Anschrift in China. Rücksendung „natürlich“ auf meine eigenen Kosten. Und ich möchte wetten, dass sie einem die Ankunft der Ware niemals bestätigen werden).

Bitte geben Sie Sie uns die Tracking-Nummer und geben Sie Ihr PayPal-Konto ein

Bitte teilen Sie mich mir Ihre Wahl mit. Viele Dank.“

P. S.: Die fast 50 Euro habe ich inzwischen schon als schmerzliches „Lehrgeld“ verbucht. Aber der Mailwechsel macht allmählich Spaß. Fortsetzung folgt vielleicht. Mal sehen, zu welchen abenteuerlichen Vorschlägen sie sich noch hinreißen lassen?




„Nach all dem Streben das Sterben zu üben“ – Notizen aus der Inneren Coronei (2)

Notizbuch, noch voller Hoffnung
Foto: Gerd Herholz

Seit Wochen schrie mein schwarz eingebundenes Moleskine vergeblich nach Alltagsskizzen, heftigen Bildern oder Dialogfetzen. In solch ein Notizbüchlein sollen schon Hemingway, Picasso oder Bruce Chatwin notiert haben, was ihnen durch den Kopf schoss. Ich aber hatte mit keinem einzigen Bleistiftstummel  zumindest Stichworte hineingekritzelt. Schon gar nicht klassische Sätze à la Ernest H. wie etwa: You belong to me and all Gelsenkirchen belongs to me and I belong to this notebook and this pencil.
O über all die leeren, unbeugsamen Seiten!

Verzweifelt wünschte sich mein ausgehungertes Notizbuch, es hätte noch etwas von Baum, von Buche vielleicht, und könnte seine Blätter abwerfen, bis es kahl daläge, von niemandem je genutzt und zu nichts mehr zu gebrauchen. So voller Verzagtheit hat das Büchlein vor einigen Tagen unvermittelt begonnen, selbst krude Einfälle auf dem Papier erscheinen zu lassen, um die ungeheuer trostlose Leere in seinem Innern zu kaschieren. Angst vor dem weißen Blatt? Die kannte es nicht, denn viel zu lange war es selbst nichts als weißes Blatt gewesen. Nun also erschienen täglich neue Menetekel, wie von Geisterhand aufs Blatt geworfen. Kommentare, Fußnoten zu einem unerfüllten, papiernen Leben, Vermerke, die nach ein paar Minuten wieder verblassten. Als wären sie mit einer Geheimtinte geschrieben, die mahnte: Lies! Schreibe!

Es ist Zeit, dass der Stein sich zu blühen bequemt,
dass der Unrast ein Herz schlägt.
Es ist Zeit, daß es Zeit wird.
Es ist Zeit.

Wünschte sich das Notizbuch tatsächlich, dass ich solch kryptischen Worte als Flaschenpost läse, von einer Muse an den Gestaden Griechenlands in jenes Mittelmeer geworfen, das sonst doch alles Menschliche verschluckt? Lauerten da versteckte Botschaften eines Irren oder gar Nachrichten eines Verschollenen, der im Grunde ich selbst bin? Ziemlich verstört hatte ich mir unverzüglich ein zweites Notizbuch zugelegt, in das ich eiligst jene flüchtigen Botschaften notierte, die mein erstes Notizbuch aufleuchten und flugs wieder verschwinden ließ.

War es Kränkung vielleicht, vielleicht Eifersucht, die mein erstes Notizbuch vorgestern dazu bewog, in einem Akt der Selbstentzündung erst sich selbst, dann meine ganze Bibliothek und endlich die Wohnung in Brand zu setzen und mich in die Obdachlosigkeit zu treiben?

Mit meinem zweiten Notizbuch, das ich immer bei mir trage, gehe ich zur Stunde deshalb hochgradig sorgsamer um. Hier auf der Klappcouch bei Freunden lese ich darin noch einmal, was ich kürzlich sorgsam übertrug. Und hoffe, dass sich das neue Notizbuch nicht auch grämt, post-traumatisch, weil es so gar keine Einträge vorweisen kann, die allein für es selbst bestimmt sind – von mir für es. Vielleicht sollte ich noch viel vorsichtiger sein, unverzüglich beginnen, alle kopierten Botschaften auszuradieren, die Haut des Papiers sanft aufzurauen, bis Notiz um Notiz verwischte und unsichtbar würde. Notizen wie diese hier:

Nulla dies sine linea?
___________________________________________
___________________________________________
(Heute gleich zwei. Geht doch.)


Textbaustein für eine Kürzestkritik

XXX:
Schon wieder ein Buch,
das nicht hätte erscheinen dürfen.


Vokalübung mit I:
Richtig, nicht wichtig: In mir ist ICH nicht in Sicht!


Hundeleben
Mit dem alten Hund Gassi gegangen.
Es dauert jetzt immer länger,
bis er endlich scheißt – zu harten Kot, zu weichen Kot.
Ich stehe dabei, verharre, schaue zu,
wie er in der Hocke kauert,
und lerne,
dass ein jegliches seine Zeit hat
und alles Vorhaben unter dem Himmel seine Stunde.


Anagrammatik

Um nach all dem Streben das Sterben zu üben, das weiß jeder,
muss man nichts weiter lernen, als nur zwei Buchstaben zu vertauschen.


Schienen
-/Sprachsuizid
Statistisch gesehen scheint es möglich,
dass jeder Schienenfahrzeugführer
in Deutschland
einmal in seinem Berufsleben
einen Selbstmörder oder Gleisgänger überfährt.
Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch,
denn angesichts der hohen Rate
an gescheiterten Versuchen
gilt der Schienensuizid als ziemlich unsicher.
„Die Überlebenden leben häufig
mit abgetrennten Gliedmaßen weiter“,
schreibt Wikipedia.
Und ich hatte schon befürchtet, sie müssten
ohne
die abgetrennten Gliedmaße weiterleben.


Vielen Dank für Ihr Verständnis
Hinweisschild vor dem Eingang der Intensivstation:
Beschwerden bitte in den Koma-Kasten!




A short introduction to the current Haushaltsgeräte-Verhöker-Slang

Früher hieß das mal „Weiße Ware“. Und heute? Keine Ahnung. (Foto: Bernd Berke)

Soso, Sie wollen sich also eine neue Waschmaschine, einen Trockner oder Kühlschrank anschaffen und haben nicht einmal Anglistik studiert? Das dürfte aber Probleme geben.

Denn dann verstehen Sie auch die neueste, zwölfseitige MediaMarkt-Werbebeilage nur völlig unzureichend, die einem heute u. a. aus diversen Funke-Printmedien entgegensegelt. Zwar haben Sie schon von Side By Side-Kühlschränken gehört oder besitzen gar einen, auch ist Ihnen sicherlich Crushed Ice ein Begriff, doch Sie wissen wahrscheinlich nicht so recht, was es mit dem Multiairflow-System und dem EcoSilenceDrive (™ von Bosch) auf sich hat. Tja.

Bevor Sie auch nur einen Stecker einstöpseln oder die neue Apparatur sogar fürwitzig in Gang setzen wollen, sollten Sie sich im Grundkurs erst einmal tunlichst hiermit vertraut machen: Steam Refresh, Home Connect, Baby Protect, WiFi Smart Control, AllergoWash, TwinDos, Easy Slide Ablage, Twin Cooling, SmartSeal, CroosWave Cordless und Self Cleaning Condenser (Trademark von Bosch). Bitte wiederholen. Alle zusammen!

In diesem Zusammenhang durchaus verwunderlich: Dass man vergessene Wäschestücke nachträglich flugs in die Maschine werfen kann, wird in (allerdings etwas dürftigem) Deutsch als „Nachlegefunktion“ bezeichnet, bei einem anderen Hersteller heißt das (in der weithin üblichen, vermeintlich ungemein schicken Wort-Zusammenziehung) bereits AddLoad. Im beinahe schon rührenden Restdeutsch kündet man uns hingegen nach alter Väter Sitte von Knitterschutz. Ja, da kommen einem fast die Tränen. Dass wir das noch erleben dürfen!

Doch weiter, weiter! Die Zukunft beim Schopfe packen! Wenn Sie den entsprechenden Grundkurs absolviert haben, dürfen Sie sich – nach entsprechender Zwischenprüfung – der höheren Schule des Haushaltsgeräte-Verhöker-Slangs zuwenden: Lauschen Sie hierzu dem surrenden Pro Smart Inverter Motor, ergötzen Sie sich an der Pet Hair Removal Funktion (solche gemixten Wortreihen ohne jeglichen Bindestrich gelten ebenfalls als supersmart). Sodann widmen Sie sich bitte mit gebührendem Staunen dem Active Fresh Blue Light, bevor wir mit InstaView Door-in-Door (™ von LG) einen Achttausender-Gipfel der Sprachkreationen erklimmen. Noch besser gefallen hat uns im vorliegenden Prospekt eigentlich nur der linguistisch tollkühne Moist Balance Crisper.

___________________________

P. S.: Hier soll keineswegs dem penetranten Eindeutschungswahn des (übrigens in Dortmund gegründeten und ansässigen) Vereins Deutsche Sprache das Wort geredet werden. Das ist das andere, politisch durchaus fragwürdige Extrem. Freilich: Die völlig besinnungslose Anglifizierung ist gleichfalls beknackt. Wobei noch zu sagen wäre: An eher harmlose Beispiele, wie sie auch im besagten Werbeauftritt vorkommen (AutoDry, AutoClean, Wolle finish, Stay Clean-Schublade, EcoSpeed, ActiveEco, QuickDrive, IQdrive, Sportswear, Everfresh, MultiZone, BioCool, CookControl, CoolStart, Special Powerline, WiFiConn@ct und erst recht Touchscreen Display) haben wir uns längst gewöhnt.

P.P.S.: Wir danken den ingenieurtechnisch und anglophon erfindungsreichen Firmen Bosch, Miele, Siemens, Bauknecht, Samsung, LG, beko und Bissell für ihre werblichen Bemühungen. Uns ist bewusst, dass die eine oder andere Fügung als geschütztes Warenzeichen = Trademark (™) daherkommt. In diesem Kontext und in sprachwägender Absicht trauen wir uns, sie zu nennen – in aller Ehrfurcht und Ergriffenheit, versteht sich.




Corona-Wortsammlung – weitgehend ohne Definitionen, aber fortlaufend aktualisiert

Wohl unter „M“ einzuordnen: in diesen Tagen ratsame bzw. pflichtgemäße Mund-Nasen-Bedeckungen. (Update: Achtung, Achtung! Solche Stoffexemplare sind mittlerweile durch medizinische Masken zu ersetzen). (Foto: BB)

Hier ein kleines Corona-„Lexikon“, darinnen etliche Worte, Wendungen, Zitate, Namen und Begriffe, von denen wir zu Beginn des Jahres 2020 nicht einmal zu träumen gewagt haben; aber auch bekannte Worte, die im Corona-Kontext anders und häufiger auftauchen, als bislang gewohnt. All das zumeist ohne Definitionen und Erläuterungen, quasi zum Nachsinnen, Ergänzen und Selbstausfüllen. Und natürlich ohne jeden Anspruch auf Vollständigkeit, aber von Zeit zu Zeit behutsam ergänzt. Vorschläge jederzeit willkommen.

Dazu ein paar empfehlende Hinweise: Die Gesellschaft für Deutsche Sprache hat sich einige Wochen lang in einer Serie mit den sprachlichen Folgen der Corona-Krise befasst, hier ist der Link.

Eine mit derzeit (März 2021) rund 1200 Einträgen sehr umfangreiche Liste von Corona-Neologismen hat das in Mannheim ansässige Leibniz-Institut für Deutsche Sprache online gestellt. Bitte hierher.

Das Digitale Wörterbuch der deutschen Sprache (DWDS) hat ein umfangreiches Corona-Glossar veröffentlicht, dazu bitte hier entlang.

Ein Glossar zum phänomenalen NDR-Podcast mit Prof. Christian Drosten und Prof. Sandra Ciesek findet sich hier.

Einige weitere Erklärungen hat die Zeitschrift GEO gesammelt, und zwar hier.

In ihrer Ausgabe vom 4. Januar 2021 (!) ist die „Süddeutsche Zeitung“ in Person des Autors und Dramaturgen Thomas Oberender schließlich auch auf den Trichter gekommen und bringt unter der Zeile „Die Liste eines Jahres“ eine recht umfangreiche Wortsammlung. Daraus habe ich mir auch ein paar Ausdrücke genehmigt. Oberender darf sich wiederum hier bedienen.

Nun aber unsere Liste der Wörter, Wendungen und Namen:

1,5 Meter Abstand
2 Meter Abstand
2-G-Regel („geimpft oder genesen“)
2-G-plus („geimpft oder genesen und getestet)
3-G-Regel („geimpft, genesen, getestet“)
3-G-plus (nur mit PCR-Test, nicht mit Antigen-Text)
6-Monats-Abstand (bzw. 3, 4 oder 5 Monate – zwischen Zweitimpfung und „Boostern“)
7-Tage-Inzidenz
15-Minuten-Regel (Gesprächsdauer, die das Risiko begrenzt)
15 Schüler(innen) im Klassenraum
15-Kilometer-Radius (um den Wohnort)
20 Quadratmeter pro Kunde (in größeren Geschäften ab 26.11.2020)
21 Uhr (Ausgangssperre)
23 Uhr (Sperrstunde)
-70 Grad (erforderliche Kühlung des BioNTech-Impfstoffs)
800 Quadratmeter (Verkaufsfläche)
50.000 Arbeitsschritte (zur Produktion des BioNTech-Impfstoffs)
100.000 Einwohner (Maßzahl zur Inzidenz)

Absagen
absondern
Abstand
Abstrich
achthundert Quadratmeter (Verkaufsfläche)
Adenoviren
Aerosol
Aerosolbildung
AHA-Formel (Abstand – Hygiene – Alltagsmaske)
AHA-Regeln
AHA+L (…plus Lüften)
Akkolade (französ. Wangenkuss-Begrüßung, nunmehr verpönt)
Alkoholverbot
#allesdichtmachen (umstrittene Schauspieler-Aktion)
#allesschlichtmachen
„Alles wird gut!“
Allgemeinverfügung
Alltagsmaske
Alpha (neuer Name für britische Mutante)
Altenheime
Alterskohorte
Aluhut
„an Corona“ (verstorben – vgl.: „mit Corona“)
„andrà tutto bene“
Antikörper
Antikörpertest
App (zur Nachverfolgung)
Armbeuge (Hust- und Nies-Etikette)
AstraZeneca (Impfstoff-Hersteller)
asymptomatisch
„auf dünnstem Eis“ (Merkel)
„aufgrund der aktuellen Umstände“
„auf Sicht fahren“
aufsuchende Impfung
Ausgangssperre
Autokino (Renaissance)
AZD1222 (Impfstoff von AstraZeneca)
AZD7442 (Medikament von AstraZeneca)

B.1.1.7 (britische Mutation des Corona-Virus / Aplha)
B.1.1.28.1 – P.1 (brasilianische Mutation)
B.1.1.529 (neue südafrikanische Variante, November 2021)
B.1.351 (südafrikanische Mutation)
B.1.526 (New Yorker Mutation)
B.1.617 (indische Mutation / Delta)
BA.2 (BA.1, BA.3) Subtypen der Omikron-Variante
Balkongesang
Balkonklatscher
Bamlanivimab (Antikörper-Medikament)
„Bazooka“ (massive Geldmittel – laut Olaf Scholz)
Beatmung
Beatmungsgerät
bedarfsorientierte Notbetreuung (Kita)
Beherbergungsverbot
behüllte Viren
Bergamo
„Bergamo ist näher, als viele glauben.“ (Markus Söder, 13.12.2020)
Bernhard-Nocht-Institut
Besuchsverbot (Alten- und Pflegeheime)
Beta (neuer Name für südafrikanische Mutante / B.1.351)
Bfarm-Liste (Auflistung der Antigen-Tests)
Bildungsgerechtigkeit
„Bild“-Zeitung (Kampagne gegen Drosten etc.)
Biontech / BioNTech (Impfstoff-Hersteller)
Black-Swan-Phänomen
Blaupause, keine
„Bleiben Sie gesund“ (Grußformel)
Blitz-Lockdown (vor Weihnachten/Silvester 2020)
Blutgerinnsel
BNT 162b2 (Biontech-Impfstoff)
Böller-Verbot
Booster
Booster-Impfung
boostern
Bremsspur („Das Virus hat eine unglaublich lange Bremsspur“ – Jens Spahn)
Brinkmann, Melanie (Helmholtz-Zentrum, Braunschweig)
„Brücken-Lockdown“ (Armin Laschet am 5. April 2021)
Bundesliga (Geisterspiele etc.)
Bundesnotbremse
Buyx, Alexa (Vorsitzende Deutscher Ethikrat)

C452R (Teil der indischen Doppelmutante)
CAL.20C (kalifornische Mutante)
case fatality
Casirivimab (Antikörper-Medikament)
Celik, Cihan (Leiter der Covid-Station am Klinikum Darnstadt)
China
Chloroquin
Ciesek, Sandra (Virologin, Frankfurt/Main)
Click & collect (Bestellung und Abholung)
Click & meet (Shoppen mit Termin)
Comirnaty (Handelsname des Biontech-Impfstoffs)
Contact Tracing
COPD (Lungenkrankheiten)
Corona
Corona-Ampel
coronabedingt
Corona-Biedermeier
Corona-Bonds
Corona-Blues
Corona-Chaos
Corona-Deutschland
„Corona-Diktatur“
Corona-Ferien
coronafrei
coronahaft
Corona-Gipfel
Corona-Hilfsfonds
Corona-Hotspot
Corona-Kabinett
Corona-Krise
Corona-Koller
Corona-Müdigkeit
Corona-Mutation
Corona-Notabitur
Corona-Pandemie („Wort des Jahres“ 2020)
Corona-Panik
Corona-Party
Corona-Schockstarre
Corona-Skeptiker
Corona-Tagebuch
Corona-Ticker
Corona-Verdacht
Corona-Winke (Gruß aus der Distanz)
Corona-Zoff
Coronials („Generation Corona“)
coronig
coronös
„Corontäne“ (Quarantäne wg. Corona)
Corozän (Corona-Zeitalter)
Cove (Impfstoff von Moderna)
Covid-19
Covidioten (Hashtag / siehe Verschwörungstheoretiker)
CovPass (App)
CureVac (Impfstoff-Hersteller)

Datenschutz (bei der Corona-Warn-App)
„Dauerwelle“
Decke auf den Kopf („Mir fällt die…“)
Dekontamination
Delta (neuer Name für die indische Mutante)
Delta Plus (Variante der Variante: B.1.617.2.1)
Desinfektion, thermische
Desinfektionsmittel
Desinfektionsmittel spritzen (Trump)
„Deutschland macht sich locker“
Dezemberhilfe(n)
Digitaler Impfnachweis
Digitaler Unterricht
„Distanz in den Mai“ (statt „Tanz in…“)
Distanzschlange
Distanzunterricht
Divi-Intensivregister
„Doppelmutante“ (indische Mutation, laut Prof. Drosten irreführender Begriff)
„dorfscharf“ (lokale Grenzziehungen beim Lockdown)
dritte Welle (befürchtet im Frühjahr 2021)
Drittimpfung
Drive-in-Test
Drosten, Christian (Charité, Berlin)
Drosten vs. Kekulé
durchgeimpft
Durchseuchung

E484Q (Teil der indischen Doppelmutante)
Ebola
Eindämmung
eineinhalb Meter (Abstandsregel)
eingeschränkter Pandemiebetrieb
eingeschränkter Regelbetrieb
Einreisestopp
„Einsperr-Gesetz“ (Ausgangsbeschränkungen laut „Bild“-Zeitung)
Einweghandschuhe
E-Learning
Ellbogencheck (Corona-Gruß)
Ema (Europäische Arzneimittel-Agentur)
Epidemie
Epidemiologie
„Epidemische Lage (von nationaler Tragweite)“
„Epidemische Notlage nationaler Tragweite“
Epizentrum
Epsilon (Virus-Variante B.1.427 / B.1.429)
Erntehelfer
Erstgeimpfte
Eta (Virus-Variante B.1.525)
Etesevimab (Antikörper-Medikament)
Exit-Strategie
exponentiell (Wachstum)

Falk, Christine (Präsidentin Dt. Gesellschaft für Immunologie, Hannover)
Fallsterblichkeit
Fallzahlen
fatality
Fatigue
Fauci, Anthony (US-Virologe)
Fax (Kommunikations-Instrument mancher Gesundheitsämter)
„…feiert keine stille Weihnacht.“ („Das Virus feiert…“ / Olaf Scholz am 13.12.2020)
Ffp2
Ffp3
flatten the curve
Fledermaus
Fleischfabriken
Flickenteppich (Föderalismus)
Fluchtmutation
forsch / zu forsch (Lockerungen, laut Merkel)
free2pass (App für Tests und Einlasskontrolle)
Freiheit
Frisöre / Friseure
Fuß-Gruß

G 5 (Verschwörungstheorie um den Mobilfunkstandard)
Gästeliste (Pflicht im Lokal)
Gamma (neuer Name für brasilianische Mutante / P.1)
„Gang aufs Minenfeld“ (Erfurts OB über Lockerungen in Thüringen)
Gangelt
Gastronomie
Gates, Bill
Geisterspiele (Bundesliga etc.)
Genesene
Genesenenstatus
Geruchs- und Geschmacksverlust (als Corona-Symptom)
geschlossene Räume
geteilte Schulklassen
Google Meet (Videokonferenz-Plattform)
Grenzkontrollen
Grenzschließungen
Großeltern (nicht) besuchen
„Grüner Pass“ (Israel / bescheinigt Corona-Impfung)
Grundimmunität
Grundrechte
Grundsicherung
Gütersloh (kreisweiter Lockdown wg. Tönnies)

Händedruck (kein)
Händewaschen
Härtefall-Fonds
häusliche Gewalt
hammer and dance
Hamsterkäufe
hamstern
Heimbüro
„Heimsuchung“ (Angela Merkel am 25. Oktober 2020)
Heinsberg
Heizpilze (herbstliche Option für Gastro-Betriebe)
„Held / Heldin des Alltags“
Helmholtz-Gemeinschaft
Hepa-Filter
Herdenimmunität
Herold, Susanne (Uniklinik Gießen)
heterologe Impfung (zwei verschiedene Impfstoffe bei Erst- und Zweitimpfung)
Hildmann, Attila
Hintergrundimmunität
Hintergrundinfektion
Hirnvenenthrombosen
Hochrisikogruppe
Hochzeitsfeier
Home-Office
Home-Schooling
Hospitalisierungs-Inzidenz
Hospitalisierungsrate
Hotspot
Husten
Hust- und Nies-Etikette
Hybrid-Unterricht
„Hygiene-Demos“
Hygieneplan
Hygiene-Konzept
Hygiene-Regeln
Hygiene-Standards
Hyperglobalisierung

Ibuprofen
Imdevimab (Antikörper-Medikament)
Immunabwehr
Immun-Escape
Immunologe
Impfangebot
Impfbereitschaft
Impfbus
„Impfchaos“
Impfdosen
Impfdosis
Impfdrängler
Impfdurchbruch (Infektion trotz Impfung)
Impfgegner
Impfgipfel
Impfling
Impflücke
Impfneid
Impfpass
Impfpflicht
Impfquote
Impfreihenfolge
Impfskeptiker
Impfstau
Impfstoff
„Impfstoff-Nationalismus“
Impfstraße
Impfstrategie
Impftermin
Impfung
Impfversprechen
Impfverweigerer
Impfvordrängler
Impfwilligkeit
Impfzentrum
Impfzwang
„Impfzwang durch die Hintertür“
inaktivierte Vakzine
Infektionsampel
Infektionskette
Infektions-Notbremse
Infektionsschutzgesetz (IfSG)
„Infodemie“
Inkubationszeit
Insolvenz(en)
„Instrumentenkasten“ (verfügbare Corona-Maßnahmen)
Intensivbetten
Intensivkapazität
Intensivstation
Inzidenz
Inzidenz-Ampel
Inzidenzwert
„In (den) Zeiten von Corona“
Iota (Virus-Variante B.1526)
Ischgl
Isolation
Israel (weltweites Impf-Vorbild)
Italien

„Jens, jetzt keine Emotionen!“ (Angela Merkel zu Jens Spahn – beim Impfgipfel am 1.2.2021)
Johns-Hopkins-Universität
Johnson & Johnson (Impfstoff-Hersteller)

Kappa (Virus-Variante B.1.617.1)
Kappensitzung (Heinsberg etc.)
Kariagiannidis, Christian (Leiter Insensivbettenregister)
Kassenumhausung
Kaufprämie (für Autos)
Keimschleuder
Kekulé, Alexander S.
„…kennt keine Feiertage.“ („Das Virus kennt…“)
„…kennt keine Ferien.“ („Das Virus kennt…“)
„…kennt keine Grenzen.“ („Das Virus kennt…“)
Kita-Schließungen
„Kleeblatt-Prinzip“ (bei Verlegung von Intensiv-Patienten in andere Bundesländer)
Kliniken (im RKI-Jargon auch „Klinika“)
Knuffelcontact (Belgisch/Flämisch für den möglicherweise einzigen Kuschelkontakt)
„körpernahe Dienstleistungen“
Kontaktbeschränkung
kontaktlos
kontaktloses Bezahlen
Kontaktperson
Kontaktsperre
Kontaktsport(arten)
Kontakttagebuch
kontaminierte Oberfläche
Kreuzimpfung (z. B. Erstimpfung mit AstraZeneca, Zweitimpfung mit Biontech)
„Krise als Chance“
Krisengewinn(l)er
Krisenreaktionspläne
Kulturschaffende
Kurzarbeitergeld

laborbestätigt
Lambda (Virus-Variante C.37)
Laschet, Armin
Lauterbach, Karl (Gesundheitsminister ab Dez. 2021)
Leopoldina
Letalität
„(das) letzte Weihnachten mit den Großeltern…“ (Angela Merkel)
Lieferketten
Liquiditätshilfen
Lockdown
Lockdown Light
Lockerung
„Lockerungsdrängler“ (Röttgen)
Lockerungsperspektive
Lockerungsübung
Lolli-Test
Lombardei
Long-Covid (Langzeit-Nachwirkungen)
Luca (Warn-App)
Lüftung
Lungenentzündung

„macht sich locker“ („Deutschland macht…“)
Marderhunde (mögliche Virusquelle, laut Drosten)
Maske
Maskenintegrität
Maskengutschein
Maskenmuffel
Maskenpflicht
Maskenverweigerer
Maßnahmen
„mehr als 90 Prozent“ (Imfstoff-Wirksamkeit)
Meldeverzug
Merkel, Angela
MERS
Meyer-Hermann, Michael (Helmholtz / Braunschweig)
„mit Corona“ (verstorben)
mobile Impfteams
Moderna (US-Impfstoff-Hersteller)
Molnupiravir (Corona-Medikament)
Mortalitätsrate
mRNA-1273 (Impfstoff von Moderna)
mRNA-Impfstoff
„mütend“ (Corona-Gefühlslage, Mischung aus mürbe und wütend – oder müde und wütend)
Mund-Nasen-Schutz (MNS)
Mundschutz (Plural: Mundschutze)
Mutanten
Mutation

Nachverfolgung
„Nasenbohren“ (saloppe Umschreibung für manche Schnelltests)
Nena (Corona-Verharmloserin)
neuartig(es)
„Neue Normalität“
Neuinfektionen
New York
niederschwellige Basisschutz-Maßnahmen
Nies-Etikette
No-Covid-Strategie
Normalität
Notbetreuung
Notbremse (harte N. / flexible N.)
Notstand
Novavax (Impfstoff-Hersteller)
Novemberhilfe(n)
Null-Covid-Strategie

Obergrenze für Neuinfektionen
„Öffnungsdiskussionsorgien“ (Merkel)
Öffnungsschritte
„Öffnungsrausch“ (Markus Söder)
Olympische Spiele (in Tokyo praktisch ohne Live-Zuschauer)
Omikron / Omicron (neue südafrikanische Variante, November 2021)
Omikron-Wand (Steigerung der Omikron-Welle)
on hold („angehaltenes“ Leben)
Online-Aufführung
OP-Maske

P.1 (brasilianische Virus-Mutation)
Palmer, Boris (OB Tübingen)
Pandemie
Pandemie-Müdigkeit
Pangolin (Gürteltier als möglicher Zwischenwirt)
„Paranoia-Promis“ (Hildmann, Naidoo, Wendler, Jebsen etc.)
Party
Patentfreigabe
„Patient Null“ (ursprünglicher Überträger)
Paul-Ehrlich-Institut
Paxlovid (Corona-Medikament von Pfizer)
PCR-Test
PEG (Polyethylenglykol / Inhaltsstoff von Impfmitteln)
Penninger, Josef (speziell für unsere österreichischen Freunde)
persönliche Schutzausrüstung (PSA)
Pest (Referenz-Seuche)
Pflegeheime
Pflegekräfte
Pflegenotstand
physical distancing
„Piks“ (etwas infantile Bezeichnung für die Impfung)
Plateau
Pleitewelle
Pneumokokken
Pneumonie
„Pobacken zusammenkneifen“ (Appell von RKI-Chef Wieler am 12.11.2020)
Positivrate (z. B. pro 1000 Tests)
Postcorona (die Zeit „danach“)
Präsenzunterricht
Präsenzveranstaltung
Präventions-Paradox
Prepper
Preprint (vorveröffentlichte Wissenschafts-Studie)
Priesemann, Viola (Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation, Göttingen)
Prio (neuerdings gängige Abkürzung)
priorisieren
Prioritätsgruppe
Prof.
proteinbasierte Impfstoffe

Quarantäne
„Querdenker“ (Euphemismus für Verschwörungstheoretiker)

Rachenabstrich
Ramelow, Bodo (Vorreiter der Lockerung)
Regelbetrieb
Regeneron (US-Hersteller von Antikörper-Cocktails)
Reiserückkehrer
Reisewarnung
Remdesivir
Reproduktionsrate (gern 0,7 oder niedriger)
Respiration
Restart (Bundesliga)
Rettungsschirm
Rezeptoren
Rezession
R-Faktor
R-Wert
Risikogebiet
Risikogruppe
RKI
Robert-Koch-Institut
Rückholaktion
„Ruhetage“ (Gründonnerstag & Ostersamstag 2021 / verkündet 23.3.2021 – zurückgenommen 24.3.2021)

SARS
SARS-CoV-2
Schaade, Lars (RKI-Vizepräsident)
Schichtunterricht
Schlachthöfe (Coesfeld etc.)
Schlangenmanagement
Schlauchboot-Party (Berlin, Landwehrkanal)
Schleimhautschutz
Schmidt-Chanasit, Jonas (Bernhard-Nocht-Institut, Hamburg)
Schmierinfektion
„schmutzige Impfung“ (absichtliche Infektion mit erhoffter Genesung)
„Schnauze voll“ (Hessens Ministerpräs. Bouffier im Feb. 2021: „Die Leute haben die…“)
Schnelltest
Schnutenpulli
Schulschließungen
Schutzkittel
Schutzmaske
Schutzschirm
schwedischer Sonderweg
schwere Verläufe

Seife
Seitwärtsbewegung (Minister Spahn über kaum noch sinkende Infektionszahlen)
Selbstisolation
Sentinel-Testung (Stichproben statt Massentests)
Sequenzierung
Shutdown
Sieben-Tage-Inzidenz
Sieben-Tage-R
Sinovac (chinesischer Impfstoff)
Sinusvenen-Thrombosen
Skype
social distancing
Soloselb(st)ständige
soziale Distanz
Spahn, Jens (Gesundheitsminister, auch infiziert)
Söder, Markus
Soforthilfe
Soloselbstständige
Spanische Grippe
Sperrstunde
Spike-Protein
Speicheltest (Schnelltest)
Spuckschutz
Spucktest (Schnelltest)
Sputnik V (russischer Impfstoff)
Statistik
Stay-at-home
sterile Immunität
Stiko (Ständige Impfkommission)
Stoßlüftung
Streeck, Hendrik (Virologe, Bonn)
Stürmer, Martin (Virologe, Frankfurt)
Südkorea
Superspreader
Superspreading-Ereignis
systemrelevant

„Team Vorsicht“ (Formulierung von Markus Söder)
Tegnell, Anders (Schwedischer Epidemiologe)
Telearbeit
Telefonkonferenz (Telko)
Temperaturscanner
Test
Testkapazität
Testzentren (teilweise unter Betrugsverdacht)
Theaterschließungen
Theta (Virus-Variante P.3)
Thrombose (angebliche Impffolge)
Tönnies
Toilettenpapier
Totimpfstoff
Tracing-App
Tracking-App
„Treffen Sie niemanden!“ (Österreichs Kanzler Kurz am 14.11.2020)
Triage
Tröpfcheninfektion
„trotz Corona“
Trump, Donald (Erkrankter)
Twitter (Plattform auch für Corona-Dispute)
„Tyrannei der Ungeimpften“ (Frank Ulrich Montgomery, Vorsitzender des Weltärztebundes)

Überbrückungsgeld
Übersterblichkeit
„Unheil“ (Angela Merkel am 14. Oktober 2020)
Untersterblichkeit

Vakzine
Variant of concern
Vaxzevria (neuer Name des AstraZeneca-Impfstoffs, seit 26.3.2021)
Verdoppelungsrate
verimpft („Sie haben 2000 Dosen verimpft“)
Vektorimpfstoff
Vektorwechsel
Verschwörungserzählung
Verschwörungsmythen
Verschwörungstheoretiker (Jebsen, Hildmann, Schiffmann, Soost, Naidu u.a.)
verzeihen
Verzeihung
Videokonferenz (Viko)
vierte Welle (befürchtet für und dann eingetreten im Herbst 2021)
Virologe(n)
Virologie
Virulenz
Virus, das
Virus, der
Virusvariantengebiet
viruzid
Volksmaske
vollständig geimpft
„Vom Verbot zum Gebot“
Vorerkrankungen
vulnerabel

„Wand“ (siehe Omikron-Wand)
Watzl, Carsten (Immunologe, Leibniz-Institut, Dortmund)
Wechsel-Unterricht
„wegen Corona“
Wellenbrecher
Wellenbrecher-Lockdown
Wendler, Der (noch so’n Corona-Leugner)
Westfleisch
WHO
Wieler, Lothar H. (RKI-Präsident)
Wildtyp
„Wir bleiben zu Hause“
Wodarg, Wolfgang
Wohnzimmerkonzert
Worst-Case-Szenario
Wuhan
„Wumms“ („Mit Wumms aus der Krise“ – Finanzminister Olaf Scholz)

Zarka, Salman (Corona-Regierungsberater in Israel, genannt „Corona-Zar“)
Zero Covid (niedrigstes Ziel)
Zero-Covid-Strategie
Zeta (Virus-Variante P.2)
Zoom (Plattform für Online-Konferenzen)
Zoonose
Zweihaushalte-Regel
„Zweimal ,Happy Birthday‘ singen“ (Zeitmaß fürs Händewaschen)
zwei Meter (Abstand)
zweite Welle
Zweitgeimpfte

_____________________________

Danke für Anregungen und Ergänzungen, die mich u. a. via Facebook erreicht haben.

Bei Virologe, Immunologe etc. bitte jeweils die weiblichen Formen hinzudenken.




„Zupacken Ehrensache“: Wie die Ruhris mit einem „Kumpeltaler“ geködert werden sollen

Leider nur eine sozusagen symbolische Behelfs-Illustration: Förderturm der Dortmunder Zeche Zollern II/IV, die seit vielen Jahren Zentrale des Westfälischen Industriemuseums ist. (Aufname vom 18. Mai 2016: Bernd Berke9

Leider nur eine sozusagen symbolische Behelfs-Illustration: Das Foto zeigt den Förderturm auf dem Gelände der Dortmunder Zeche Zollern II/IV, die seit 1979 Zentrale des Westfälischen LWL-Industriemuseums ist. (Aufnahme vom 18. Mai 2016: Bernd Berke)

Da will eine Braunschweiger Münzhandelsgesellschaft Silbertaler zu je 10 Euro verhökern und kommt uns mit lauter Revier-Klischees der längst abgetanen Sorte. Details gefällig? Bitte sehr, der Prospekt liegt uns vor:

Da sieht man gekreuzte Werkzeuge („Schlägel und Eisen“), dazu den mit schwarzrotgoldenem Unterstrich ergänzten Schriftzug „BERGBAU TRADITION im Ruhrgebiet“ (ohne Bindestrich), außerdem eine Lore mit der Aufschrift „Glückauf“, einen Bergmann mit Geleucht, weitere Bergleute bei der Arbeit. So wanzt man sich an Ruhris heran, so leicht wickelt man sie um den Finger. Denkt man in Braunschweiger Reklamestuben und anderswo.

Aber es kommt noch besser. Vom Flyer her schaut uns in schwer „authentischem“ Schwarzweiß an: ein kerniger Kumpel, der einem just kumpelhaft zuzuzwinkern scheint – aber nur ganz leicht angedeutet, denn gleich muss er sicherlich wieder zur Maloche auf Zeche. Und wenn die nun geschlossen wäre? Vielleicht ist es ja auch ein Schauspieler. Schade eigentlich, dass wir (wegen der Bildrechte) auf eine Wiedergabe der Illustration verzichten müssen.

Jedenfalls will der kräftige Kerl (bzw. seine Hintermänner) auch an unsere „Kohle“ ran, nämlich an je zehn Euro. Oder zwanzig. Oder dreißig. Mehr aber nicht, denn von diesen Münzen werden „max. 3 Exemplare pro Haushalt“ abgegeben, vorzugsweise und „einmalig günstig“ an „Bürger des Ruhrgebiets“. Limitierung also. Lässt mächtige Wertsteigerung für die Zukunft erhoffen, oder? Wer kann da Nein sagen? Denn wie heißt es so schön, in listiger Anknüpfung ans Arbeitsethos der Bergleute: „Hier ist zupacken Ehrensache. Noch heute sichern!“

Kurz noch einen Blick auf die Rückseite der Medaille: wiederum Schlägel und Eisen, Eichenblätter, in die Bildtiefe führende Bahngleise und eine Förderturm-Silhouette à la Zollverein. Weltkulturerbe, versteht sich. Alles furchtbar gediegen. Wie aus Zeiten, als noch echte Wertarbeit gezählt hat.

Stolz des Reviers im Spiegelglanz

Was man da käuflich erwerben soll, nennt sich ungelogen „Kumpeltaler“. Wir erfahren, das Ganze sei der „Stolz des Reviers“, und zwar „in echtem Silber!“ Wer’s nicht glaubt, dem wird zusätzlich versichert: „…höchste Qualität Spiegelglanz!“ Okay, und wie sieht’s mit dem Feingehalt aus? „333/1000″. Man schaue (unter dem Link) nach. Der Promille-Wert ist alles andere als üppig, er deutet eben nicht auf sonderliche Werthaltigkeit hin.

Natürlich heißt es im Werbefaltblatt außerdem „Schicht im Schacht im Ruhrgebiet“. Diese Formulierung hat sich halt durchgesetzt und ist quasi verpflichtend, auch wenn sie in diesem Falle damit ein bisschen arg spät dran sind. Die letzte Ruhrgebietszeche hat am 21. Dezember 2018 dicht gemacht. Auch schon wieder fast ein Jahr her.

Aber was soll uns diese Nüchternheit! Kehren wir lieber zur schwärmerischen Poesie zurück. Die Münzen, so die weitere Einlassung, seien eine „einzigartige Würdigung der großen Bergbautradition des Ruhrgebiets“. Hat ja auch sonst niemand gewürdigt. Da bedurfte es bestimmt erst dieser Münz-Edition. Laut Prospekt zollt sie „der Leistung der Bergleute Respekt.“ Denn was waren und sind die Kumpel, mal im Telegrammstil gesagt? „unermüdlich ++ unersetzlich ++ unvergessen“. Is‘ klar, woll? Was für ein Ruhrgebiets-Geschwurbel!




Feiertagskinder, der Norden und literarische Hasstiraden – drei Neuerscheinungen von Gewicht

Im Vorfeld der Buchmesse stellen wir drei empfehlenswerte Neuerscheinungen vor:

Man mag Eduard von Keyserling (1855-1918) einsortieren, wie man will: generell als modernen Klassiker, schon etwas spezieller als einen „Impressionisten“ der deutschsprachigen Literatur, persönlich als prägenden Protagonisten der Schwabinger Bohème um 1900 – und was dergleichen Schubladen mehr sind. In Wahrheit überragt er solche Zuschreibungen bei weitem. Dass wir so einen hatten in unserer Literatur, ist ein Glücksfall.

Und so ist es durchaus erfreulich, dass sein Werk jetzt wieder präsent ist, weil der Manesse Verlag die „Schwabinger Ausgabe“ seiner Werke herausbringt; allerdings nicht im sonst verlagsüblichen, handlichen Kleinformat, das von der Inhaltsfülle gesprengt worden wäre.

Mit dem Titel „Landpartie“ über den gesammelten Erzählungen (Zeitrahmen von 1882 bis 1918) bewegt man sich verbal in den Gefilden jener Landlust, wie sie seit Jahren zum Zeitgeist gehört. Eduard von Keyserling hat mit derlei Moden natürlich nichts gemein. Möge der leise Anklang seinem Schaffen nur mehr Leser(innen) zuführen.

Jetzt ist der zweite Band der Ausgabe erschienen, er heißt „Feiertagskinder“ und enthält die späten Romane des Schriftstellers: das hier bereits ausführlicher besprochene Werk „Wellen“ (1911), außerdem „Abendliche Häuser“ (1914), „Fürstinnen“ (1916) und eben „Feiertagskinder“ (posthum 1919); jeder einzelne ein Meisterstück für sich.

Es ist ein Buch von einigem Gewicht und doch im Fortgang von wundervoller Leichtigkeit. Welch eine erlesene Noblesse und Eleganz im Stil, die ungeahnte Nuancen erfasst! Zu gewärtigen ist der wehmütige, freilich mit feinfühliger Distanz gestaltete Abschied von überkommenen Sitten und Werten Europas. Es ist große Literatur einer Dekadenz-Epoche, die im furchtbaren Ersten Weltkrieg mündete. Sage bloß niemand, das alles gehe uns nicht mehr viel an.

Am Schluss des Bandes finden sich – hinter den hilfreichen Anmerkungen – noch ein paar Keyserling-Würdigungen berufener Zeitgenossen, so etwa von Lion Feuchtwanger und Thomas Mann. Letzterer benennt die literarischen „Verwandten“ Keyserlings: allen voran Fontane, sodann Turgenjew und Herman Bang. Wahrlich eine würdige Reihe. Und was schrieb der wunderbare Robert Walser über Keyserling? Diese Zeilen: „Er kam mir vor wie das Prachtexemplar eines Löwen… Der Löwe ist doch König in seinem Reich. Ein aussterbender König. Ein solcher war auch Eduard von Keyserling.“

Eduard von Keyserling: „Feiertagskinder“. Späte Romane (Hrsg.: Horst Lauinger). 720 Seiten, 28 Euro.

_______________________________________

Gleich eine ganze Himmelsrichtung hat sich Bernd Brunner vorgenommen. Sein neues Buch „Die Erfindung des Nordens“ firmiert laut Untertitel als „Kulturgeschichte einer Himmelsrichtung“. Gut möglich, aber nicht wesentlich, dass Brunner beim Verfassen eines früheren Buches („Als die Winter noch Winter waren“) auf die nördliche Idee verfallen ist.

Der Autor beleuchtet das Thema von allen Seiten her. Da kommt etwa der Norden als Phantom früherer Zeiten in Betracht, als die Erde noch nicht „entschleiert“ war und jene Terra incognita dort droben mancherlei Phantasien beflügelte. Es geht um Grundsatzfragen wie die, was und wo überhaupt der Norden sei. Für Goethe hat er bereits nördlich des Brenners begonnen, andere siedeln ihn viel näher am Nordpol an. Die geistigen und geographischen Grenzen sind allemal fließend.

Ferner erfahren wir, wie sich die Idee vom Norden u. a. in Opposition zu den Vorstellungen vom Süden konstituiert und entwickelt hat. Selbstverständlich spielt auch die fatale Ideologie vom „Nordischen“ eine Rolle, die von den Nazis auf die Spitze getrieben wurde. Und schließlich reicht das Spektrum bis hin zum herzzerreißend aufrüttelnden Klimawandel-Inbild aus unseren Tagen: dem Eisbären auf schmelzender Scholle.

Eine Charakteristik der im Norden lebenden Menschen gehört überdies ebenso zum üppigen Lieferumfang wie die Ansichten von Philosophen und Schriftstellern, die sich zum Norden geäußert haben.

Ein äußerst weites Feld also – und ein kundiger Autor mit weitem Horizont, der ähnlich spannende Bücher schreibt wie einst der Historiker Wolfgang Schivelbusch, der beispielsweise bahnbrechende Studien zur Geschichte der Eisenbahnreise, der künstlichen Helligkeit und der Genussmittel verfasst hat.

„Die Erfindung des Nordens“. Kulturgeschichte einer Himmelsrichtung. Verlag Galiani Berlin. 240 Seiten mit Bildteil. 24 Euro.

_______________________________________

Karl Heinz Bohrer dürfte einer der profiliertesten Intellektuellen der Republik sein. Wenn sich dieser Homme de Lettres ein Thema vornimmt, gewinnt es sozusagen wie von selbst Dringlichkeit und Dignität. Sein jüngstes Werk heißt „Mit Dolchen sprechen“ und handelt vom literarischen Hass-Effekt. Der Dolch-Titel leitet sich übrigens von einer Szene in Shakespeares „Hamlet“ her.

In Zeiten des allgegenwärtigen Hate Speech – nicht nur, aber besonders im Internet – kann Bohrers Untersuchung erst recht Aufmerksamkeit beanspruchen. Der Autor geht gleichermaßen mit Inspiration und Gründlichkeit vor. Die Entfaltung der literarischen Hassrede wird von Marlowe und Shakespeare über Baudelaire, Strindberg, Céline und Sartre bis hin zu Rolf Dieter Brinkmann, Thomas Bernhard, Elfriede Jelinek und zum aktuellen Literaturnobelpreisträger Peter Handke verfolgt.

Man ahnt bei dieser Aufzählung schon, dass zumal die neuere österreichische Literatur hier einiges zu bieten hat. Mit Michel Houellebecq schließlich gelangt, wie Bohrer darlegt, das von Hass getriebene Schreiben an einen (vorläufigen) End- oder Wendepunkt.

Man fragt sich, wieso bisher noch niemand dieses zentrale Thema dermaßen genau in den Blick genommen hat. Es wird deutlich, dass der Hass geradezu ein grundlegendes Element des Literarischen ist, welches die Sprache überhaupt (ver)formt und verwandelt. Und immer wieder war zu sehen: Wer sich in einen Hass hineinsteigert, ist auf dem Wege, auch die Ausdruckskraft seiner Sprache zu steigern. Allerdings bedarf es dazu sprachlichen Könnens auf hohem Niveau. Einer, dem nur dumpfe Kraft- und Schimpfworte zu Gebote stünden, der gehörte ganz und gar nicht in solche Zusammenhänge. Fluchen reicht nicht.

Karl Heinz Bohrer: „Mit Dolchen sprechen. Der literarische Hass-Effekt“. Suhrkamp Verlag, 493 Seiten, 28 Euro.

 




Das „dreh-buch“ – Lütfiye Güzels poetisches Spiel um Skript-Standards enttäuscht und inspiriert zugleich

Zugegeben: Ich bin Fan der Gedichte, Geschichten, Notizen und Selbstgespräche, des Anti-Romans „Hey“ und der Novelle „Oh, No!“, die Lütfiye Güzel bisher im Eigenverlag „go-güzel-publishing“ herausgegeben hat. Einen Best-of-Überblick zu all dem bietet der fabelhafte Sammelband „faible?“ Vor Wochen, bei einem Essen im Duisburger „Rosso Picanto“, drückte mir die bewährte Melancholerikerin nun ihr neues „dreh-buch“ in die Hand und orderte wie nebenbei: „Schreib was drüber oder sag mir wenigstens einen Satz aus dem Buch, der dir nachläuft.“ Dazu aß sie ihre Lieblingspasta, Spaghetti all‘arrabbiata, was sonst?

Lütfiye Güzel – © 7brands

Wie bestellt, so geliefert. Es gibt in der Tat einige lakonische Sätze aus „dreh-buch“, die mir nachlaufen, doch nur zwei davon sprechen so erstaunt, so komisch von jener Einsicht in die Kürze des Lebens, die sich zuletzt noch jedem aufdrängt:

„Die Jugend / ist dahin, ganz plötzlich, so über / Nacht. Ich wusste, dass es / passieren würde, aber ich dachte / ich wäre nicht dabei.“

Irritierend-inspirierende Sätze also findet man viele im „dreh-buch“, doch dessen rotem Kompositionsfaden folgt man nur widerwillig. Güzels Grundidee, 50 meist kürzere Texte zu präsentieren als ernstes Spiel um Recherchen, Ideen und Skizzen für ein Drehbuch, wird nicht durchgehalten.

Das „dreh-buch“ fokussiert sich weder auf eine sich abzeichnende wie auch immer geartete Film-Handlung noch auf ein vages oder verbindliches Thema. Lütfiye Güzel wagt es auch nicht, sich rigoroser auf den inneren „eigenen Film“, ihr Kopf-Kino einzulassen. Zu wenig nutzt sie in „dreh-buch“ den immensen Spielaum des im Titel angekündigten filmischen Horizonts oder des fragilen Verhältnisses von (Lebens-)Film und Sprache. Stattdessen ruft die Autorin ödes Drehbuchvokabular auf und verheddert sich in der akademischen Begrifflichkeit von Dramen- und Theatertheorie. Der Leser rätselt, ob „dreh-buch“ tatsächlich um die Standards, die Muster eines Drehbuches kreist oder eher um den Entwurf eines Theaterstücks.

Nachlässigkeit bei der Textproduktion

Wie man’s auch dreht und wendet: Der Leser kommt nicht dahinter, worauf Güzels Texte mal als Treatment oder Beschreibung des Settings, mal als Szenenanweisung, mal als Beobachtung, Kommentar oder innerer Mini-Monolog wirklich abzielen. Der Kompositionsrahmen „dreh-buch“ als Ganzes eröffnet dem Leser eben keinen phantasievollen Freiraum, eher werden Fährten ins Nebulöse gelegt. Lütfiye Güzels assoziative und fragmentarische Texte stehen so in der Gefahr beliebig, gelegentlich sogar albern zu werden.

Eine Ahnung davon beschleicht die Autorin auch selbst. Nicht immer scheint sie ihre eigenen Ambitionen ernst zu nehmen, sie formuliert deshalb Textsplitter wie „Erster Akt (Ein Versuch)“, „An die fünf Akte werde ich mich nicht halten können. Langeweile.“ oder „Ein Spezialeffekt: / Das Publikum mit Watte bewerfen. / Man trifft sie, aber man trifft / sie nicht wirklich.“ In solchen Momenten liest man ungern weiter: Warum mehr Energie für die Anstrengung des Verstehens aufbieten, als die Autorin beim Schreiben des Textes einfließen ließ?

Subversive Muse

Doch Lütfiye Güzel wäre nicht Lütfiye Güzel, würden nicht immer wieder einzelne Sätze, Passagen, ganze Texte die Unschärfen ihres angestrengten „drehbuch“-Plans vergessen lassen.

Sie ist nicht nur eine Autorin, die Erfahrung, gelebtes und ungelebtes Leben auf den poetischen Punkt bringen kann, sie bleibt auch eine, die in der sogenannten Realität lebt und überlebt hat, sie genau anschaut, durchschaut, erkennt, aber nicht anerkennt. Das Image der widerspenstigen Ungezähmten hat sie selbst mit den Titeln ihrer Bücher „Herz-Terroristin“, „Trist Olé“ und „Elle-Rebelle“ so melancholisch wie ironisch ko-inszeniert.

Lieber aber sieht sie sich als „Poetin von Geburt“, unfähig zum normierten (Berufs-)Alltag und seinen Ritualen. Eine Nonkonformistin ist sie allemal und kann als subversive Muse, als Schutzgöttin des Poetischen im Alltag sogar mitfühlend lächeln. Jeden allerdings, der sie allein auf Anti-Posen festlegen will, den fragt sie „Underground? Was soll das sein? Eigenverlag, Gedichte auf Aufklebern, auf Zetteln in einer Tüte? Alles schon dagewesen.“

Ja, klar. Und dennoch liegt Understatement in solchen Sätzen.

„Härter als die Schwarzseherei / ist der gespielte Optimismus“

Denn imposant ist Güzel schon: als Literatin und Selbstverlegerin, mit ihrer konsequent-beharrlichen Eigenbrötlerei und ihrer Freiheitsliebe en détail. Trotz oder gerade wegen dieser Unabhängigkeit hat sie ihr Publikum und es wird immer größer.

Lütfiye Güzel, 1972 als Tochter türkischer Einwanderer in Duisburg-Hamborn geboren, pendelt mittlerweile zwischen Duisburg und Berlin. Ihr, die eigene Texte immer ein wenig verhalten vorträgt, hören die Menschen bundesweit bei Lesungen gerne zu. Mit leisen Worten lotet sie millimetergenau die Untiefen des Alltags aus, über die wir oft wie lästige Pfützen hinwegspringen. Ihre „Notizen des Zweifelns“ bestärken uns darin, die „feine Parade des Zugrundegehens“ aufmerksamer wahrzunehmen, um dieser Parade vielleicht doch noch in die Parade zu fahren. Wilhelm Genazino hat solches Wahrnehmen, solches Sehen als Voraussetzung genauen Schreibens einmal den „gedehnten Blick“ genannt. Bei Lütfiye Güzel resultiert er aus einer Haltung, die es ihr keinesfalls erlaubt, all dem gegenüber, das sie sieht und fühlt, nichts als gleichgültig zu bleiben:

echo

ich öffne beide
fäuste
& lasse los
& pessoas worte
schreien
sich-selbst-gegenüber gleichgültig-sein
und ich begreife
dass all das gucken auf sich
& festhalten
nur noch mehr
gucken auf sich
& festhalten
bedeutet
& das ist das
gegenteil
von glück

 

Lütfiye Güzel: „dreh-buch“. go-güzel-publishing, Duisburg/Berlin 2019, 55 Seiten, 12 Euro.
Lütfiye Güzel: „faible? best of“. go-güzel-publishing, Duisburg 2017, 199 Seiten, 12 Euro.




Was ist denn wohl ein Aminaschlupferle? – Neues Buch über „Wörter, die es nicht auf Hochdeutsch gibt“

Keine Frage: Dialekte und Mundarten bereichern die Hochsprache seit jeher. Ein schmales Buch versammelt nun rund fünfzig Ausdrücke, die im Hochdeutschen (angeblich) überhaupt keine direkte Entsprechung haben.

Die sammelfreudige Herausgeberin Sofia Blind berichtet im Vorwort von Hunderten von Wörtern, die auf ihren Vorschlagslisten gestanden haben. Da hieß es gründlich aussortieren: Schimpf- und Kraftworte (schon wegen der ungeheuern Vielzahl) schob sie gleich ganz beiseite; ebenfalls alle Wendungen, die hochsprachlich leidlich ersetzt werden können. Außerdem: Wenn etwas unentwegt vorkommt und sozusagen alles oder nichts bedeuten kann („Schmäh“ aus dem Wienerischen, „fei“ in Bayern, „Allmächd!“ im Fränkischen), so war es für ihre Zwecke auch nicht tauglich.

Nun überzeugt die schließlich getroffene Auswahl allerdings nicht rundweg. So fragt man sich, warum „boofen“ (Sächsisch für „unter freiem Himmel schlafen“ – vergleiche das allbekannnte „poofen“/„pofen“), hudeln, Leiberl oder Plörre aufgenommen wurden, die sich doch ebenso breit durchgesetzt haben wie Berliner Worte (Bammel, mittenmang, jottwede) – letztere kommen in diesem Buch überhaupt nicht vor, und zwar just just mit der Begründung, sie seien halt im gesamten deutschen Sprachraum vertraut. Außer der mitunter so großmäuligen Hauptstadt werden aber eigentlich alle deutschsprachigen Gegenden berücksichtigt. Mehr oder weniger.

Es gibt einige sehr schöne Fundstücke in dem Band, den man sich gerade deshalb etwas umfangreicher gewünscht hätte. So aber erreicht er gerade mal etwas mehr als ein mittelprächtiges Mitbringsel-Format.

Vollends überzeugt hat mich beispielsweise das Wort Aminaschlupferle, das auf der dritten Silbe betont wird, also Aminaschlupferle. Will heißen: „an mich heran“. Die Gesamtbedeutung meint ein kleines Kind, das sich gern bei jemandem ankuschelt. Gebräuchlich im Allgäu.

Eher im entspannten Plauderton und nicht belehrend oder gar wissenschaftlich werden auch alle weiteren Wörter kurz erläutert. Mir haben es einige Exemplare aus dem Schweizerischen angetan, beispielsweise „heimlifeiss“ aus dem Berner Dialekt. Es bedeutet, dass jemand seinen Wohlstand bewusst n i c h t zur Schau stellt, also nur „heimlich feist“ ist und somit im gewissen Gegensatz zum gefallsüchtigen hessischen „Gasseglänzer“ steht. Mal eben zurück nach Bern: Auch die „Hundsverlochete“, ein Hundebegräbnis, hat was für sich – als drastische Kennzeichnung einer „wenig lohnenden Veranstaltung“, wie es mit schönem Understatement heißt.

Gar hübsch auch das „Fluchtachterl“, das letzte Glaserl Wein vorm Aufbruch in Wien. Nebenher abgehandeltes Pendant in und um Hamburg: das „Auf und zu“, ein finales Bierchen, für das der Zapfhahn nur ganz kurz aufgedreht wird.

Als Dortmunder habe ich selbstverständlich nachgesehen, ob auch das Westfälische vertreten ist. Ist es. Mit „Dönekes“ und „fisseln“. Bedeutungen bitte im Buch nachschauen, falls nicht ohnehin bekannt. Wir wollen hier nämlich nicht den ganzen Inhalt verraten.

Doch halt! Eins noch: Gar nicht vergessen darf man die schönen Illustrationen von Nikolaus Heidelbach. Sie sind ein Vergnügen für sich, lassen so manches kostbare oder kuriose Wort so recht anschaulich hervortreten und machen sicherlich mindestens die Hälfte vom Reiz des Buches aus.

Sofia Blind/Nikolaus Heidelbach: „Wörter, die es nicht auf Hochdeutsch gibt“. Dumont, 112 Seiten, 18 Euro.

 




Lieb* Schül*

Alles nur eine (sprachiche) Luftblase? (FFoto: Bernd Berke)

Alles nur eine (sprachliche) Luftblase? (Foto: Bernd Berke)

Es ist schon ein Kreuz mit dem Gendern. Sagt „man“ was dagegen, findet „man“ sich womöglich schnell auf der zur Rechten neigenden Seite des politischen Spektrums wieder. Und doch erscheint manch eine sprachliche Verrenkung im angeblichen Dienste der Geschlechtergerechtigkeit ziemlich lächerlich.

Zwei neuere Beispiele fürs Gendern auf Biegen und Brechen:

Kürzlich auf einer Pressekonferenz. Eine Kulturschaffende mit mehr als einem Anhauch von Feminismus und mit ausgesprochenem Hang zur „Diversität“ ließ es sich nicht nehmen, jedes Mal mitten im Wort kurz innezuhalten, um die Gender-Linien akustisch zu markieren. Es klang arg abgehackt. Sie sagte beispielsweise Schauspieler-Innen; ganz so, als handle es sich um Menschen, die innen und nicht außen tätig sind. Ob man Alexa und Siri wohl auch auf solche automatenhaften Sprechweisen trimmen kann?

Welche verbalen Blüten das Bemühen sonst noch so treibt, zeigt sich in der offenbar bereits eingeschliffenen Gewohnheit an einem Dortmunder Gymnasium. Da werden die Schülerinnen und Schüler bzw. die Lernenden ungelogen wie folgt angeschrieben:

Lieb* Schül*

Ja, ihr habt wirklich richtig gelesen. Ist das nun halbwegs humorig oder lediglich hilflos? Bleibt denn nur noch Gestammel, wenn sich gefälligst (nach Möglichkeit) alle gemeint fühlen sollen? Da verschlägt es einem tatsächlich die Sprache.

Jou, das war’s dann auch schon, lieb* Les*.

_______________________________________________________

Das heißt nee, es folgt noch ein P. S.:

Vorschlag zur Güte: Wie wär’s denn eigentlich mit Anreden wie „Liebe Leute“? Oder gar mit „Liebe Mitmenschen“?




Schneller Fuchs, träger Hund, Bayern und Sylt oder: Das ganze Alphabet soll es sein

Selbstverständlich ist dieser Fuchs (aus Schottland) gegen die Fuchsjagd (Protestkarte aus Cornwall). (Foto: Bernd Berke)

Mal abgesehen von Pangrammen: Selbstverständlich ist dieser Fuchs (aus Schottland) gegen die Fuchsjagd (Protestkarte aus Cornwall / UK). (Foto: Bernd Berke)

Ich weiß auch nicht, warum ich ausgerechnet heute darauf komme. Jedenfalls gibt es da die sogenannten Pangramme. Was das sei? Nun, es sind etwas wirre und zuweilen komische Sätze, deren vornehmster Zweck darin besteht, sämtliche Buchstaben des Alphabets zu enthalten.

Man fragt sich, wer diese Sprach-Bastelei betrieben hat. Im Deutschen ist jemand – nach vermutlich langem Grübeln (oder fröhlichem Assoziieren) – auf diese Idee verfallen:

„Franz jagt im komplett verwahrlosten Taxi quer durch Bayern.“

Nicht schlecht. Aber da fehlt doch noch was? Richtig, es kommen keine Umlaute vor, die fürs Deutsche nun mal typisch sind. Auch vermisst man das „ß“. Um den Satz letternmäßig entsprechend zu erweitern, muss man freilich aus Bayern in den hohen Norden gehen. Dann eröffnet sich die ins Absurde ragende Perfektion dieses Satzes:

„Zwölf Boxkämpfer jagen Viktor quer über den großen Sylter Deich.“

Und wozu solche Sätze? Früher hat man Fernschreiber, Setz- und Schreibmaschinen oder Drucker damit getestet, heuer sind’s gelegentlich noch Computer-Tastaturen. Mit einem Merksatz kann man herausfinden, ob alle Buchstaben funktionsfähig vorhanden sind und wie sie – je nach Schriftart – aussehen.

Selbstverständlich gibt es derlei Satz-Konstrukte nicht nur im Deutschen. Das wohl berühmteste stammt aus dem Englischen und lautet:

„The quick brown fox jumps over the lazy dog.“  (Der schnelle braune Fuchs springt über den trägen/faulen Hund.)

Im Französischen behilft man sich u. a. hiermit:

„Portez ce vieux Whisky au juge blond qui fume.“ (Tragt diesen alten Whisky zum blonden Richter, der raucht.)

Es gibt derweil auch Sätze mit allen französischen Akzentformen, auf die ich hier verzichten möchte. Hab‘ ich denn Lust, all die Sonderzeichen auf der Tastatur hervorzukramen? Nö.

Die zuweilen unerschöpflich erscheinende Wikipedia-Enzyklopädie, der wir die Beispiele dankend entnehmen, unterscheidet übrigens noch „echte“ Pangramme, in denen jeder Buchstabe genau einmal vorkommt. Angeblich ist dies bislang in keiner Sprache ohne Abkürzungen und/oder gewaltsam herbeigezerrte Kunstworte gelungen.

Wo wir eben schon mal beim Fuchs waren: Zum Füchslein auf dem Foto gibt es eine kleine Geschichte. Das Tier stammt aus Schottland. Ich hatte es dort in einem Geschäft entdeckt, es aber zunächst nicht gekauft. Doch der Kerl mit der grünen Montur ging mir nicht mehr aus dem Kopf. Also hieß es nach reiflicher Überlegung: noch einmal quer durchs Land von der einen zur anderen schottischen Küste fahren – zurück bis zu jenem Laden, wo der Fuchs gottlob noch zu haben war. Jahre später hat ihn unsere Tochter ins Herz geschlossen. Sage also niemand, die damalige Fahrt hätte sich nicht gelohnt. Doch vom Öko-Fußabdruck (Carbon Footprint) reden wir hier mal ausnahmsweise nicht.

Dieser Tage ist der Fuchs übrigens mit in England gewesen, genauer: in Kent, London und Cornwall. Er musste sich doch über den Brexit informieren. Als Schotte ist er ganz eigener Meinung.

_______________________________________

P. S.: Im besagten Wikipedia-Beitrag finden sich auch noch einige Pangramme für folgende Sprachen: Russisch, Polnisch, Slowenisch, Tschechisch, Lateinisch. Mehr gibt’s man anderweitig, beispiels- und vorzugsweise in dieser denkbar ausführlichen Listen-Überscht: http://clagnut.com/blog/2380/