Entdecker in den Gefilden der Rockmusik: Alan Bangs wird 70 Jahre alt

Eine Reihe älterer Musikkassetten. Es sind hauptsächlich Auszüge aus Sendungen von Alan Bangs darauf festgehalten. (Foto: Bernd Berke)

Ja, so ist das halt: Immer mehr Leute, die man als Generationsgenossen (Frauen sind durchweg mitgemeint) empfindet, überschreiten die 70er-Linie. Nun ist der Musik-Moderator Alan Bangs an der Reihe, der am 10. Juni vor 70 Jahren in London geboren wurde und dessen Einfluss auf viele Menschen wohl immer noch anhält, obwohl er schon seit etlichen Jahren keine regelmäßige Hörfunksendung mehr hat.

Alan Bangs hat über Jahre hinweg und mit anhaltenden Folgen beileibe nicht nur meinen (Pop)-Musikgeschmack wesentlich mitgeprägt. Noch heute gibt es in traulichen Internet-Ecken spezielle Seiten, die seine Playlists von damals recherchieren und pflegen. Auf Umwegen lässt sich also Versäumtes nachholen. Den Sammlern sei Dank für so viel leidenschaftliche Fleißarbeit.

Legendäre Sendung „Nightflight“

Der Kult fing mit Alan Bangs‘ legendärer Sendung „Nightflight“ (rund 700 Folgen vom 25. Mai 1975 bis zum 9. April 1989) bei BFBS Germany an. Es war alles andere als das sonst meist übliche Abnudeln von Hitparaden. Von Anfang an horchte man bei Bangs auf. Er machte sich auf zu musikalischen Erkundungen, beseelt von spürsicherer Entdeckerfreude. Alan Bangs war imstande, Neuentdeckungen aus der Independent-Szene beispielsweise auch mit klassischer Musik zu kombinieren, wenn es ihn gelüstete und wenn es Sinn ergab. Tatsächlich: Da gewahrte man so manche gemeinsamen Schwingungen und Querverbindungen. Überhaupt gerieten „Nightflight“-Ausgaben zu abenteuerlichen Überfahrten in vordem ungeahnte Klanggefilde – oder eben zu geheimnisvoll gleitenden Flügen durch die Nacht.

Screenshot der Internet-Seite nightflights.de, die Alan Bangs gewidmet ist und nach eigenen Angaben die Inhalte von über 1100 Sendungen (!) auflistet.

Damals war die Kompaktkassette das Aufzeichnungsmittel der Wahl. Das mit den großen Tonbandspulen hatte sich weitgehend erledigt und wurde hauptsächlich noch von Freaks und Nostalgikern betrieben. Bis heute habe ich ein ganzes Konvolut von Kassetten verwahrt, auf denen vorwiegend Auszüge aus Sendungen von Alan Bangs die Jahrzehnte überdauert haben, klanglich immerhin noch einigermaßen tolerabel. Ein Schatz, auch und gerade in Zeiten von Streamingdiensten mit zig Millionen Titeln. Wobei diese ehedem unvorstellbare Fülle allemal als Weiterung und Ergänzung taugt.

Beim Formatsender „1 Live“ vergrault

So viele großartige Künstler hat man erstmals durch seine Sendungen (hernach kam vor allem noch die „Alan Bangs Connection“ auf WDR 1 in Betracht) kennen und schätzen gelernt. Seine recht sparsamen, jedoch substantiellen Anmoderationen – mit dem gewissen, die Authentizität steigernden englischen Akzent – erschlossen behutsam die je besonderen Qualitäten der Künstlerinnen und Künstler. Alan Bangs hat in Deutschland (jedenfalls in ambitionierten Kreisen) Leute wie etwa Kevin Coyne, Television, Patti Smith, Green on Red oder die Cowboy Junkies bekannt gemacht (weitere Namen im Anhang). Es war Musikvermittlung im allerbesten Sinne.

Im April 1995 begab sich eine zu Teilen schändliche Programmreform, die aus WDR 1 den Formatfunk „1 Live“ machte und in deren Verlauf so ziemlich die letzten Ecken und Kanten abgeschliffen wurden. Alan Bangs sah sich zunächst auf die Nachtschiene verbannt und wurde im September ’95 bei der krähend zwanghaft jugendlichen Welle vollends „vom Hof gejagt“, als er es wagte, zwischendurch eine längere Strecke mit Musik von Chopin zu bespielen. Seither ist er nur noch sporadisch bei deutschen Stationen (z. B. Bayern 2) aufgetaucht. Wir machen das Fass jetzt nicht ganz auf, aber: Von ähnlich gravierenden Vorgängen bei öffentlich-rechtlichen Kanälen hört man in letzter Zeit vermehrt. Bei dem oder jenem Kulturradio bleibt kaum ein solider Stein auf dem anderen. Eine Verfallserscheinung, gegen die sich weithin und weiterhin Protest erheben sollte.

Natürlich muss auch noch der von Peter Rüchel ersonnene Rockpalast im WDR-Fernsehen erwähnt werden, der in den 80ern mit Bangs-Moderationen zeitweise enorme Popularität erlangte. Wer damals am Bildschirm oder sogar live dabei war, wenn es in der Essener Grugahalle zur Sache ging, wird vernehmlich mit der Zunge schnalzen. Ich sage nur: Patti Smith. Van Morrison. Rory Gallagher. Hach!

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Ein bisschen Namedropping muss sein

Wenn ich so ins Verzeichnis meiner besagten und betagten Kassetten schaue, werde ich zum Namedropping animiert. Natürlich kennt man die Leute und Gruppen heute längst. Aber in der ersten Hälfte der 80er Jahre verhielt sich das noch anders. Da war Alan Bangs, der natürlich auch häufig Allzeit-Größen wie Neil Young, Bob Dylan oder die Rolling Stones spielte, zumindest hierzulande ein Pionier.

Nur ein paar Beispiele. Here we go:

Laurie Anderson, Band of Outsiders, Billy Bragg, Alex Chilton, Church, Dream Syndicate, Echo an the Bunnymen, Gang of Four, Gist, Go-Betweens, Rupert Hine, Robyn Hitchcock, Jesus & Mary Chain, Joy Division, Ed Kuepper, Natalie Merchant, OP8, New Order, Ramones, Rose of Avalanche, Michelle Shocked, Sisters of Mercy, Stranglers, Guthrie Thomas, Richard & Linda Thompson, Suzanne Vega, Violent Femmes.

Natürlich mochte ich nicht jeden einzelnen Song. Manche Protagonisten fand ich arg gewöhnungsbedürftig, z. B. das Penguin Café Orchestra, Cabaret Voltaire und Pere Ubu. Aber – und darauf kommt es an – man muss sich erst einmal darauf einlassen. Nur auf diese Weise kann differenzierter Geschmack entstehen.

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P. S.: Auf der Seite nightflights.de (siehe auch Screenshot) geben die Betreiber Gelegenheit, Alan Bangs mit persönlichen Worten zu gratulieren. Bangs möchte demnach gerne bei einer deutschen Radiostation seine Tätigkeit fortsetzen. Möge es gelingen. Das schon genannte Bayern 2, wo etwa ein Roderich Fabian und Kolleg(inn)en gelegentlich in ähnlichem Geiste auflegen, wäre vielleicht als Anlaufpunkt vorstellbar.

Weitere Netzadresse:

blog.nightflights.de

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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