Dortmund damals: Beim Betrachten alter Bilder aus der Heimatstadt

Manchmal entdecke ich im Internet Vorlieben wieder, die zwischendurch geschlummert haben. Da gibt es z. B. intelligente Schwärme, die schöne, noch schönere oder gezielt hässliche Worte aufspüren, was sich mitunter als Hauptspaß, seltener auch als Tiefsinn erweist. Doch hier und jetzt geht es um alte, zuweilen nostalgische Fotos aus meiner Heimatstadt Dortmund.

Bei Facebook und wohl auch in anderen Netzwerken tummelt sich dazu die eine oder andere Interessengruppe, die mit Fleiß und Akribie bei der Sache ist. Eine hat sogar rund viertausend Mitglieder: Man kann dort quasi keinen Pflasterstein oder Grashalm aus der Stadt posten, den nicht irgend jemand wiedererkennen, exakt benennen und mit historischen Hintergrundinfos anreichern könnte.

Da gibt es Leute, die sich mit lokalen Details offenbar mindestens ebenso gut auskennen wie Stadtarchivare, Regionalhistoriker oder Fachleute vom Katasteramt – und das nicht aus Pflicht, sondern aus Leidenschaft, die bekanntlich bei jeder Anstrengung Flügel verleiht. Amateure, so kann man hier mal wieder sehen, sind keineswegs Dilettanten. Sie heben denn auch ungeahnte Bilderschätze.

Ich selbst habe als Kind kaum fotografiert – und erst recht nicht als Jugendlicher. Das galt damals als „uncool“. Schade drum, sonst hielte man heute die eine oder andere Erinnerung mit städtischem Kolorit in den Händen. Von digitaler Dauerknipserei ahnte man noch nichts.

Nicht nur, aber auch wegen dieses Defizits habe ich heute ein Faible für historische Fotos aus der Stadt – ungefähr zwischen 1860 und 1980 ist so manches An- und Aufregende zu finden. Den jeweiligen Zeitgeist kann man geradezu einatmen oder aus den Bildern trinken.

Wie sich die Straßen und ganze Stadtteile gewandelt haben! Welche (hie und da noch dörfliche) Beschaulichkeit oder Pracht in der oder jener Ecke früher geherrscht hat! Wie glanzvoll war ehedem die Kaiser-Wilhelm-Allee, die heute als Hainallee vergleichsweise kümmerlich wirkt. Wie schmuck war die Hohenzollernstraße in der östlichen Innenstadt. Auch da zeugen nur noch Restbestände von damals. Wie weh wird einem zumute, wenn man all die tiefen Wunden sieht, die dann die Bomben des elenden Weltkrieges gerissen haben. Von den Menschenleben natürlich ganz zu schweigen.

Danach war Dortmund – ehedem freie Reichsstadt und Hansestadt – zwar keine geschichtslose, doch in weiten Teilen eine gesichtlose(re) Stadt: Die sozialdemokratische Abrisswut zur Schaffung von Verkehrsschneisen tat nach 1945 ein übriges. Und heute wanken manche denkmalgeschützten Bauten, wenn ein Großinvestor winkt.

Über lange Zeiträume betrachtet, blieben im Stadtplan lediglich Grundstrukturen wie etwa der Wallring, der Hellweg oder (bedeutend kleinteiliger) das Rund des Borsigplatzes erhalten. Auch die Westfalenhalle und die großen Sportstätten haben immerhin über einige Jahrzehnte nicht ihre Gestalt, wohl aber ihren Platz behauptet.

Ein besonders eigentümliches Gefühl beschleicht einen dann, wenn man alte Fotos aus dem Viertel sieht, in dem man aufgewachsen ist; womöglich gar noch aus der passenden Zeit. Häuser, die man damals gar nicht richtig beachtet hat (als Kind hat man ja auf „Jugendstil“ und dergleichen gepfiffen), wirken da auf einmal wie Persönlichkeiten oder gar wie Freunde, die über all die Jahre hinweg immer da gewesen sind. Es ist, als könnte das Spiel von neuem beginnen.

Man kann den historischen Bildern schon beim flüchtigen Hinsehen einige generelle Erkenntnisse entnehmen, die so ähnlich für viele Städte gelten dürften. Man vergleiche: Nicht nur die Autos haben die ehedem unverstellten Straßen schrecklich überwuchert, auch das Fernsehen hat zwischenzeitlich verheerend gewirkt, weil seither abends weniger Menschen die Stadt bevölkert haben.

Staunenswert war allein schon die Vielzahl der Dortmunder Caféhäuser und Amüsierbetriebe, etwa in den 20er Jahren. In den 50ern hatte dann nahezu jeder Vorort sein eigenes Kino – und nun schaue man sich die heutige Situation an. Bis in die 1960er Jahre hinein gibt es Bilder, die von einer vollen Innenstadt zeugen, in der ganz offensichtlich mehr Betrieb war als heute.

Speziell in Dortmund und dem Ruhrgebiet zeigen sich selbstverständlich die Monumente der alten Industrie – Zechen, Stahlwerke, Brauereien. Doch nicht nur das. Welch ein imposantes Theater hat es einst in dieser Stadt gegeben, welch einen prächtigen Amüsierpalast am Fredenbaum, welch einen repräsentativen Hauptbahnhof! Und welch eine großartige Synagoge, die 1938 von braunen Horden ruchlos zerstört wurde!

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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3 Antworten zu Dortmund damals: Beim Betrachten alter Bilder aus der Heimatstadt

  1. Bernd Berke sagt:

    Danke für die Blumen. Wünsche eine schöne Woche!

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