Als Prügel für Kinder zum Alltag gehörten

Über evangelische Pfarrhaushalte ist schon so manches geschrieben worden. Der Schriftsteller Tilman Röhrig (Jahrgang 1945) kann seine besondere Geschichte aus solch einer Familie erzählen, die doch in den Grundzügen zugleich furchtbar zeittypisch anmutet: Er ist als Kind von seinem Vater windelweich geprügelt worden. Immer und immer wieder. Oft aus nichtigen Anlässen. Willkürlich. Manchmal nur, weil die Stiefmutter es eben so wollte. Eine Realität wie aus dem bösen Märchen.

Röhrigs erschütternder Bericht vom höllisch gottgleich strafenden Vater stand im Zentrum eines bewegenden Dokumentarfilms von Erika Fehse, den die ARD aus unerfindlichen Gründen am Montag erst um 23.30 Uhr ausgestrahlt hat. Warum nur?

Angstfrei oder gar glücklich wirken diese Schulkinder von 1952 nicht. Aber vermutlich ist keine Gewalt angewendet worden, weil ja eine Kamera zugegen war. So etwas nennt man dann "Symbolfoto". (© WDR/akg-images)

Angstfrei oder gar glücklich wirken diese Schulkinder von 1952 nicht. Aber vermutlich ist keine Gewalt angewendet worden, weil ja eine Kamera zugegen war. So etwas nennt man dann „Symbolfoto“. (© WDR/akg-images)

Das Thema von „Wer seine Kinder liebt, der züchtigt sie…“ interessiert sicherlich sehr viele Leute, vor allem aus den älteren Generationen. Sie kennen beispielsweise noch solche bedrohlichen mütterlichen Sätze: „Warte nur, bis dein Vater heute Abend nach Hause kommt…“ Dann setzte es was. Und die Angst hatte sich schon den ganzen Tag über angestaut.

Vielfach ging es – etwa hinter der biederen Fassade des neu erbauten Einfamilienhauses – mit Ledergürtel, Teppichklopfer oder gar Reitpeitsche auf den blanken Hintern. Wie viel verdrehte Sexualität da wohl dem Treibstoff der Gewalt beigemischt war?

Nicht nur Tilman Röhrig, sondern auch einige andere Prügelopfer kamen in dem Film zu Wort. Einige von ihnen sind spürbar hart geworden, die Züge dauerhaft erstarrt, sie können wahrscheinlich nicht einmal mehr weinen. Bei anderen lässt die aufblitzende Erinnerung Dämme der Selbstbeherrschung brechen. Es ist wirklich zum Heulen. Heute noch. Für alle verbleibende Zeit.

Erinnert sich an schreckliche Prügel in der Kindheit: Schriftsteller Tilman Röhrig. (© WDR/doc.station GmbH)

Erinnert sich an schreckliche Prügel in der Kindheit: Schriftsteller Tilman Röhrig. (© WDR/doc.station GmbH)

Gewiss, es waren extreme Fälle darunter, in denen über viele Jahre hinweg Prügel und Schläge sozusagen die hauptsächliche elterliche Zuwendung waren. Doch wie schrecklich „normal“ körperliche Züchtigung damals generell gewesen ist! Auch ich kann mich noch gut erinnern, dass Eltern gern einen Pakt mit den Lehrern eingingen. Motto: „Wenn er nicht spurt, dann hauen Sie ihm ruhig mal eine runter…“ Rituelle Ergänzung aus dem unguten Zeitgeist: Eine Ohrfeige hat noch keinem geschadet.

In unserer damals noch so genannten Volksschule musste man bei „Verfehlungen“ vor die Klasse hintreten, die Hände mit der Innenseite nach oben drehen, vorstrecken – und bekam es dann nach Kräften mit einem schweren Holzlineal auf die Finger. Wie das brannte! Welch eine Demütigung das war… Und wie man es den Lehrern von damals am liebsten noch nachträglich heimzahlen möchte!

Auch auf dem Gymnasium gab es im Kollegium noch kriegsgewohnte Schlägertypen, die auch schon mal mit der Faust mitten ins Gesicht langten. Schmerzhaft zwirbelndes Ohrenlangziehen war bei diesen asozialen Kerlen das Mindeste.

Zurück zur TV-Doku, die einen folglich ziemlich mitnahm, weil sie auch eigene Erfahrungen aufrief: Bei kleinen Exkursen zeigte sich, dass die Wurzeln der tagtäglichen Nachkriegs-Gewalt nicht nur in die NS-Zeit zurückreichen, sondern tief in die preußische Geschichte von „Zucht und Ordnung“. Überdies erfuhr man, dass auch in der DDR der Rohrstock noch häufig niedersauste – entgegen allen offiziellen Verlautbarungen über den „neuen Menschen“ im Realsozialismus.

In der Bonner Republik wurde die Prügelstrafe in Schulen erst 1973 bundesweit verboten, ein ausdrückliches Recht auf gewaltfreie Erziehung ist erst seit dem Jahr 2000 gesetzlich verbrieft. Doch auch das entspricht leider nicht der Wirklichkeit. Auch heute noch werde jedes dritte Kind geschlagen, hieß es – ohne weiteren Beleg und Quellenangabe – am Schluss der Dokumentation. Doch wer will da um Prozentanteile streiten? Jeder Schlag, ja schon jedes Ausholen ist zu viel.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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12 Antworten zu Als Prügel für Kinder zum Alltag gehörten

  1. Bernd sagt:

    Wer hat damals nicht den Arsch vollgekriegt?

  2. Axel sagt:

    Sicher, Bernd, gehen die Kommentare in ähnl. Richtungen, wie auch nicht, denn wir teilten das gleiche Schicksal, sind Nachkriegskinder. Mir ging es wie euch nicht anders. Ich wurde 1958 geb., lebte in der ddr, war schon früh Scheidungskind und hatte ab dem 6.- 8. Lebensjahr einen Stiefvater und der war schlimm. Ein verlorener Geselle, der mich einmal aus der Badewanne ziehend, natürlich nackend mit einem kurzen Elektrokabel verdroschen hatte. Meine Schreie alarmierten Nachbarn, die Polizei kam an dem Abend und schaute nur, ob alles „in Ordnung sei“. Ich schlife keine Minute in der Nacht. Nächsten Tag sah ich mir die fetten Striemen im großen Spiegel auf dem Flur an und war schockiert. Die Schule fiel aus. Der Teppichklopfer von früher war dagegen harmos und mein 2. Stiefvater, der spater an die Stelle des 1. kam, schlug mich „nur“ mit dem Lederriemen und seltener. Ich weiß nur, viele meiner Schulkameraden bekamen Dresche. Ich bis zum 11. Jahr. Unsere Deutsch-Lehrerin stellte uns einmal in der 6. Klasse die Frage, wer zu Hause es schon einmal mit den Rohrstock bekommen hat, wer geschlagen wird. Eigentlich war es ja beschämend, doch fast die Hälfte der Klasse hob die Hand…

  3. Bernd Berke sagt:

    Mh. Ich habe das dumpfe Gefühl (oder auch: den Eindruck), dass die Kommentare ungefähr in die gleiche Richtung zielen.

  4. Bernd sagt:

    Ich habe als 12-jähriger mal die Schule geschwänzt und erwischt….
    Meine Mutter zog mir zuhause die Hosen runter, ich musste übern Sessel und ich kriegte so dermaßen meinen nackten Hintern voll, dass ich tagelang Striemen hatte!
    Sie hat mich anständig mit dem Hosengürtel versohlt, aber wie!
    Hab nie mehr geschwänzt!

  5. Poldi sagt:

    Als Babyboomer bezog ich selten Schläge von meinen Eltern. Die wenigen Watschen sind mir heute noch einzeln bekannt, und falsch war keine. Spätestens wenn man bedenkt, daß einmal 3 Stunden lang die halbe Straße nach mir gesucht hat..

  6. Bernhard Heinloth sagt:

    Da ist es euch aber noch gut gegangen ! Ich bekam von meinem Vater mal Prügel, er nahm einen Besenstiel brach diesen übers Knie durch und verkloppte mich damit, so das ein Stück von einem Brustwirbel abbrach, und ich mit 9 Jahren Lähmungserscheinungen hatte. Mir wurde das Bruchrechnen quasi mit Gewalt am Küchentisch mit 6 Jahren reingeprügelt das in der 1. Klasse. Danach hatte ich mit der Schule nichts mehr, ich assozierte Schule als Feindbild. Desweiteren gab es beim vorbeigehen Watschen wenn man nicht grüsste. Holzscheite mit den Knien draufknien bis zum Kreislaufzusammenbruch. Manchmal musst ich auch einen Baum ausgraben samt Wurzel. Einmal wollte er mich zu Fenster rauswerfen mit dem Zollstock schlug er mir 1 Zahn aus—manchmal war ich grün und blau, und konnte nicht am Sportunterricht teilnehmen. Wollt ihr noch mehr hören ? Ich bin jetzt 62 und das verfolgt mich heute noch…..in jungen Jahren wurde ich zum Alkoholiker. Sowas von erniedrigend, und immer äusserte Vater ich sei zu allem zu Blöd, egal was, auch wenn ich gutes tat…..es war immer Scheisse. Manchmal sah die Küche aus wie ein Schlachthaus alles voller Blut…..einmal schlug er so heftig zu, das die Nase brach, ich hab geblutet wie ein schwein, da war ich 9——alles wegen niedrigen Anlässen…..ich muss aufhören jetzt…..das wühlt mich zu stark auf……

  7. Nmg sagt:

    Ja so war es bei mir auch regelmäßig auf den nackten Hintern mit dem teppichklopfer von meiner Oma und mit dem Ledergürtel von meinem Opa und vom Stiefvater mit dem rohrstock die Hosen musste ich immer runter ziehen wenn ich nicht gebueckt blieb gab es noch mehr und noch strenger vor meinem Stiefvater musste ich mich immer splitternackt ausziehen und mich auf den Tisch bücken so das es mich waerend der bestrafung an meinen Geschlechts teilen festhalten konnte er hat immer gesagt das sei gut damit der Junge nicht wegspringen kann so gab es 2x 3 die woche den nackten Hintern ordentlich versohlt aber naja so war es halt gruß nmg aus Düsseldorf bin 65 geboren

  8. Bernd Berke sagt:

    „Verdient“? Na, ich weiß nicht. Sagen wir mal: Es gab Anlässe. Aber für solche Schläge gibt es eigentlich keine Rechtfertigung.

  9. ldw sagt:

    Ich bin 1970 geboren. Schläge auf den nackten Hintern waren an der Tagesordnung, wobei meistens Teppichklopfer oder Hundeleine zum Einsatz kamen. Hinterher gab es noch zusätzlich 2 Tage Hausarrest. Es war damals sehr schmerzhaft, aber immer verdient.

  10. Bernd Berke sagt:

    Bliebe zu hoffen, dass dies nicht zu der Ansicht führt, die manche älteren Leute äußern: „…und es hat mir nicht geschadet…“

  11. Ronald sagt:

    Auch ich habe als Kind mehrmals im Monat bei Fehlverhalten anständig den nackten Hintern versohlt gekriegt, aber so richtig!
    Nach einer Tracht konnte ich oft tagelang nicht richtig sitzen!
    Die Schläge auf den Nackten gab es meist mit dem Teppichklopfer oder Hosengürtel.

  12. Bollmann Franz sagt:

    Ich wurde im März 1940 geboren und im April 1946 kam ich für 8jahre
    in die katholische Volksschule. Wir waren 103 Kinder in einem Klassenzimmer
    Und hatten eine Lehrerin für alle Fächer. Es gab keine Hefte, Bücher usw.
    nur eine Schiefertafel mit Griffel. Kindergärten,turnhallen und Schwimmhalle
    waren uns unbekannt. Prügel bekam ich ein bis zwei mal wöchentlich. Auch
    die Pfarrer im Religionsunterricht hatten keine bedenken zu prüfen, auch mit
    herunter gelassener hose. die schreie der Mitschüler sind heute noch
    allgegenwärtig.

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