Grenzgänge an der Küste – die melancholischen Meeresbilder des Hermann Buß

Ja, sicher, den Sommer mit blauem Himmel mag Hermann Buß irgendwie auch. Doch so etwas malt er nicht.

Er fühlt sich seelisch entschieden heimischer beim Anblick des grau verhangenen Himmels und des grau schimmernden Meeres. Dort draußen in den Übergangszonen, wo manchmal gar nicht mehr auszumachen ist, ob man sich nun noch zu Lande oder schon halbwegs zu Wasser befindet.

Hermann Buß: "Zwischenstation II" (2007), Öl auf Leinwand. (© für alle Bilder: Katalog/Hermann Buß)

Hermann Buß: „Zwischenstation II“ (2007), Öl auf Leinwand. (© für alle Bilder: Katalog/Hermann Buß)

Weit draußen also, auf den Vorposten entlang der Küstenlinie, wo die Menschen sehr einsam und auf sich gestellt wirken, wo sie klein werden, an den Rand rücken und vielleicht überhaupt nur noch Beiwerk am Saum des Nichtseins sind. Wo man den Boden unter den Füßen zu verlieren droht. Wo es einem vorkommt, als werde alles Feste flüssig, als gerate alles ins Schwanken, als sei dies der Durchgang in eine andere Daseinsform. Womöglich gleicht dies gar einem Grenzgang zwischen Leben und Tod.

Hermann Buß: "Spiegelung" (2004), Öl auf Leinwand. (Bild: Katalog)

Hermann Buß: „Spiegelung“ (2004), Öl auf Leinwand. (Bild: Katalog)

Die Bilder tragen Titel wie „Überfahrt“ oder „Land’s End“. Ja, tatsächlich. Nicht wenige Bilder von Hermann Buß, dem jetzt im Haus Opherdicke die sehenswerte Ausstellung „ZwischenWelten“ ausgerichtet wird, ragen in eine quasi-religiöse Dimension hinein. Häufig bekam er kirchliche Aufträge zur Altar- oder Kapellengestaltung, so etwa auf der Insel Langeoog oder im Kloster Loccum. Doch statt Weihrauch riecht man auch auf solchen Bildern vor allem Seeluft. Da bringt einer die rauhe Außenwelt mitten hinein in die Kirche. Zu derlei Aspekten hat Alfred Buß, ehemaliger Präses der Evangelischen Kirche in Westfalen, einen Aufsatz im Katalog beigesteuert. Er kommt zwar aus der gleichen Region, ist aber nicht verwandt oder verschwägert mit Hermann Buß.

Hermann Buß: "Land's End" (2008), Öl auf Leinwand. (Bild: Katalog)

Hermann Buß: „Land’s End“ (2008), Öl auf Leinwand. (Bild: Katalog)

Müsste man anhand der Bilder blindlings erraten, woher der Künstler stammt, so könnte man rasch auf die Spur kommen. Er wurde 1951 in Neermoor-Kolonie bei Leer (Ostfriesland) geboren. Sein Vater war Schiffseigner. Der Sohn fuhr schon sehr früh zur See und mochte sich lange nicht endgültig zwischen Seefahrt und Kunst entscheiden. Doch mit den Jahren wurde ihm klar, wie überaus entbehrungsreich und unsicher das Leben der Matrosen ist.

Der Mann, der nicht allzu viele Worte macht, kennt sich in jeder Hinsicht aus, wenn er Meeresszenen malt. Das schützt ihn vor romantischer Verklärung. Eine Serie lässt zwar ahnen, wie hart die Arbeit der Küstenschützer ist. Doch es ist, wie es ist. Da wird nichts künstlich überhöht oder ungebührlich gesteigert. Allerdings reizt den Künstler Alfred Buß – bei allem Detail-Realismus der Darstellung – nicht selten das Ungewisse, das Unergründliche, das zuweilen Surreale und fast Gespenstische.

Hermann Buß: "Stiller Hafen" (2011), Öl auf Leinwand. (Bild: Katalog)

Hermann Buß: „Stiller Hafen“ (2011), Öl auf Leinwand. (Bild: Katalog)

Es ist gar nicht verwunderlich, dass Buß mit seiner Familie im ostfriesischen Städtchen Norden in einem abgelegenen, ehemaligen Robbenfänger-Haus gleich hinterm Deich wohnt – umtost von Wind, umgeben von Schafen, „zurückgezogen, aber weltbezogen“, wie er es nennt. Da kann es schon einmal geschehen, dass die Landschaftsstimmung das Gemüt beschwert. Wenn man etwa das winterliche „Schwarze Eis“ sieht, das durch den Schlick verdunkelt ist, wird einem wohl etwas betrüblich zumute.

Buß hat auch ein Bild der massenhaft von Touristen bestürmten Meyer Werft zu Papenburg gemalt, wo gerade mal wieder ein neuer Schiffskoloss vom Stapel gelaufen ist. Es ist dies eine Art Gegen-Bild. So will er das Meer nicht erobert wissen. Man kann sich lebhaft vorstellen, dass Buß etwa Offshore-Windkraftanlagen verabscheut, sie verstellen jedenfalls keinen seiner weiten Horizonte.

Hermann Buß: "Seereise" (2008), Öl auf Leinwand. (Bild: Katalog)

Hermann Buß: „Seereise“ (2008), Öl auf Leinwand. (Bild: Katalog)

Wenn er hingegen zersplitterte, zerfaserte Überreste von längst aufgegebenen Holzbooten malt, so spürt man, dass sie in Würde verfallen, wie denn überhaupt das allmähliche Vergehen ein Hauptthema vieler dieser Bilder ist. Möge niemand daran rühren. Das Bild, das „Traumschiff“ heißt, zeigt selbstverständlich keinen luxuriösen Partydampfer, sondern ein älteres Schiff, das gleichsam still vor sich hin träumt.

Kunst ist ihm eine sehr ernste Angelegenheit, ja mitunter auch eine Qual. „Ich arbeite mich beim Malen ab“, sagt der angenehm zurückhaltende Hermann Buß. Die herbe Schönheit, die ihm zusagt und aus der er schöpft, findet er nicht im Süden, sondern eben in Ostfriesland, in Flandern, in der Bretagne und in Irland. Ist eines der ausgesprochen sorgfältig gemalten Ölbilder vollendet, dann ist es – wie er sagt – „mir selbst ein Rätsel. Dann sehe ich es aus einer Distanz, so wie jeder andere Betrachter…“

Hermann Buß: "Zwei Wasser II" (2008), Öl auf Leinwand. (Bild: Katalog)

Hermann Buß: „Zwei Wasser II“ (2008), Öl auf Leinwand. (Bild: Katalog)

Fühlt sich da jemand an Edward Hoppers Melancholie erinnert? Oder an die Haltung der Figuren von Caspar David Friedrich zur Natur? Drängt sich da ein Wort wie „meditativ“ auf? Ja, warum nicht? Aber diese Bilder wollen auch für sich gesehen und nicht nur an anderen gemessen werden.

Für die denn doch etwas begrenzten Hängungsmöglichkeiten im Haus Opherdicke sind die rund 70 Gemälde von Hermann Buß hinreichend oder auch reichlich großformatig, hie und da würde man sich ringsum mehr Leeräume, mehr „Atem“ wünschen. An manchen Stellen der Schau kann man (raumbedingt) gar nicht sinnend vom Bild zurücktreten, sondern muss dicht davor verharren. Nicht nur in solcher Nahsicht übt so manches Meeresbild einen kaum widerstehlichen Sog aus. Man kann sich imaginär hinaustreiben lassen. Wer weiß, wohin.

Hermann Buß – „ZwischenWelten“. Haus Opherdicke (Holzwickede, Dorfstraße 29). Vom 30. Juni (Eröffnung um 11.30 Uhr) bis zum 13. Oktober, Öffnungszeiten Di-So 10.30-17.30 Uhr. Eintritt 4 Euro. Katalog 22 Euro.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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2 Antworten zu Grenzgänge an der Küste – die melancholischen Meeresbilder des Hermann Buß

  1. Olram sagt:

    „Sagt Mutter, ’s ist Uwe!“
    Hab gestern Abend Der Mann im Mast, von Klaus Modick, ausgelesen.

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