Wenn der Hass triumphiert: Giuseppe Verdis „Troubadour“ als Bürgerkriegsstück im Essener Aalto-Theater

Manrico (Gaston Rivera, r.) zielt auf den Grafen Luna (Nikoloz Lagvilava. Foto: Matthias Jung)

Optimistische Sichtweisen sind Mangelware, wenn es um die Zukunft der Menschheit geht. So viele Endzeit-Szenarien haben Bücher und Kinofilme bereits durchgespielt, dass etwas anderes als der Untergang kaum noch denkbar scheint. Im Essener Aalto-Theater schnuppert jetzt Giuseppe Verdis „Troubadour“ an der Apokalypse.

Das französisch-niederländische Regieteam Patrice Caurier und Moshe Leiser deutet den von Verdi vertonten Bruderzwist als Bürgerkrieg und zitiert, dazu passend, aus dem Song „The Future“ von Leonard Cohen: „Ich habe die Zukunft gesehen, Bruder: Sie ist Mord.“

Vom Krieg traumatisierte: Azucena (Carmen Topciu) und ihr Sohn Manrico (Gaston Rivera. Foto: Matthias Jung)

Über den gesichtslosen Wartesaal oder Transit-Raum, in den die flüchtlingsgleich gewandeten Zigeuner stolpern, kommt das Geschehen lange nicht hinaus. Dort warten schon die fiesen Anzugträger rund um den Grafen Luna, um die Neuankömmlinge zu peinigen und zu erschießen. Azucena, eine vom Krieg traumatisierte Frau, wird im Bett liegend in die Szene geschoben. Statt auf den Amboss hämmert der sie umgebende Zigeunerchor auf das eiserne Bettgestell. Auf diese Weise umgeht die Regie die Folklore, aber der öde Amtsgeruch haftet der Inszenierung lange an.

Dann der Knalleffekt: Hubschrauber-Lärm, Suchscheinwerfer, das Heulen von Geschossen. Der Krieg bricht im Wortsinne herein, sprengt die Wände des Wartesaals auf. Die Bühne (Christian Fenouillat) verwandelt sich in ein Schlachtfeld voller Gerümpel und Stacheldraht. Die Mannen von Graf Luna sind nun verrohte Soldaten, die Bier saufen und sich mit der Vergewaltigung einer Gummipuppe vergnügen.

Leonora (Aurelia Florian) sucht in der vom Krieg verwüsteten Gegend nach ihrem Manrico (Foto: Matthias Jung)

Zwischen Leichen und Trümmern irrt Leonora herum, auf der Suche nach ihrem Manrico, dessen Tod bereits besiegelt ist. Die menschliche Seite der Tragödie droht vom drastischen Kriegsszenario freilich erdrückt zu werden. Immerhin sind es nicht einfach verfeindete Warlords, die gegeneinander kämpfen, sondern zwei Männer, die bis zum bitteren Ende nicht ahnen, dass sie Brüder sind.

Gottlob triumphiert an diesem Abend nicht nur der Hass, sondern auch Verdis Musik. Das Aalto-Theater bietet ein starkes Gesangsquartett auf, das in den zahlreichen Duetten und Terzetten bemerkenswert ausgewogen klingt.

Leonora (Aurelia Florian) fleht den Grafen Luna (Nikoloz Lagvilava) um Gnade für Manrico an (Foto: Matthias Jung)

Der Rumänin Aurelia Florian gelingt als Leonora ein eindrucksvolles Rollendebüt. Ihr klarer Sopran besitzt Geläufigkeit und Wärme, greift zunehmend schwärmerisch aus, findet Schmerzensklänge der Verzweiflung und schließlich auch himmelwärts gewandte, wie von weißem Licht erhellte Töne der Weltabkehr.

Ihr zur Seite steht der als Manrico allseits herum gereichte Gaston Rivera, dessen Tenor hell und kraftvoll strahlt, ohne zu protzen. Es ist eine Wohltat, wie Rivera die Eleganz wahrt: auch in der von Rachegelüsten durchbebten Bravourarie „Di quella pira“, die ihm kaum Probleme bereitet.

Azucena (Carmen Topciu), hier bedrängt vom Grafen Luna (Nikoloz Lagvilava, rechts) und dessen Hauptmann Ferrando (Baurzhan Anderzhanov. Foto: Matthias Jung)

Eine weitere Rumänin triumphiert in der Rolle der Azucena. Carmen Topciu leiht der von traumatischen Erinnerungen gequälten Frau die vibrierende Energie ihres Mezzosoprans, der mal in düstere Tiefen hinab steigt, mal beschwörend in die Höhe steigt, mit vehementer Attacke, zuweilen nicht ohne Schärfe.

Als neues Ensemblemitglied muss Nikoloz Lagvilava aus Georgien sich mühen, den Grafen Luna nicht monochrom zu zeichnen. Gleichwohl kennt sein Bariton neben galligen, hassverzerrten Töne auch balsamisches Strömen, wo er die Liebe zu Leonora besingt.

Tod im Stacheldraht: Für Leonora (Aurelia Florian) und Manrico (Gaston Rivera) gibt es keine Zukunft mehr (Foto: Matthias Jung)

Wann immer im Libretto Flammen erwähnt werden, lassen die Essener Philharmoniker diese musikalisch aus dem Graben lodern, dass es eine Pracht ist. Unter der Leitung des Italieners Giacomo Sagripanti, der mit dem „Troubadour“ 2018 an der Deutschen Oper Berlin debütieren wird, präsentieren sich die Musiker in großartiger Spiellaune. Sie unterstützen die Sänger mit größter Flexibilität und entwickeln in vielen Szenen mitreißenden rhythmischen Drive. Opern- und Extrachor des Aalto-Theaters stehen dem nicht nach: statt Brüllorgien anzustimmen, wahren die Chöre bei allem Schmiss die Leichtigkeit, oft auch nachgerade tänzerischen Schwung.

Buhs und Bravos am Ende für das Regieteam, das die eigentlich ins Mittelalter weisende Handlung in eine nahe Zukunft versetzt. Vom neuen „Troubadour“ am Aalto zeigt das Premierenpublikum sich hörbar polarisiert.

Informationen und Termine unter http://www.aalto-musiktheater.de/vorschau/premieren/der-troubadour-il-trovatore.htm).

(Dieser Text ist zuerst im Westfälischen Anzeiger erschienen.)

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