„Schwarze Kohle, rotes Licht“ – Schwere Jungs erinnern sich an ihr früheres Revier

Kriminelle Vergangenheit im Ruhrgebiet: der Typ, den alle nur "Coca" nennen. (Screenshot aus der besprochenen WDR-Sendung)

Kriminelle Vergangenheit im Ruhrgebiet: der Typ, den alle nur „Coca“ nennen. (Screenshot aus der besprochenen WDR-Sendung)

Wer sich diesen Titel ausgedacht hat, müsste eigentlich kräftig in die Klischeekasse einzahlen: Der TV-Film „Schwarze Kohle, rotes Licht“ (WDR) handelt von kriminellen Umtrieben im Ruhrgebiet, unter besonderer Berücksichtigung des Rotlicht-Milieus. Kein läppisches Thema.

Der fürs Dreiviertelstunden-Raster (quasi eine Schulstunde) gezimmerte, bereits ausgestrahlte Beitrag von Peter F. Müller setzte mit Archivaufnahmen in der „Wirtschaftswunder“-Zeit der späten 1950er und frühen 60er Jahre an und hangelte sich bis in die 80er. Stellenweise im raunenden Tonfall, suchte man das Böse in der „Parallelwelt“ des Reviers zu beschwören. Ähnliche Filme könnte man, mit anders gelagerter Folklore, wohl über alle deutschen Metropolen anfertigen. Aber hier hatte der Zungenschlag eindeutig „Pott“-Färbung. Und der Film behauptet stark, in Sachen Kriminalität sei das Ruhrgebiet damals bundesweit „ganz vorn“ gewesen.

Luden in Luxuskarossen

Das Spektrum reichte vom Doppel- und Serienmord über Betrug und Steuerhinterziehung im ganz großen Stil bis hin zu lukrativen Puffs und illegalen Spielcasinos. Genüsslich wurden „Luden“ (Zuhälter) gezeigt, die mit ihrem Rolls Royce oder ähnlich extravaganten Karossen vorfuhren und Hof hielten. Fernsehmacher gieren halt nach solchen Bildern.

Reichlich kamen ehemalige Spitzbuben (putziges Wort von früher) mit Rocker-Attitüde zu Wort, die etliche Jahre Knast abgesessen haben, nun aber geradezu altersweise zurückblicken. In ihre ruhigeren Jahre gekommen, zeigen diese kernigen Typen geradezu sympathisch abgeklärte Züge. Die schweren Jungs (noch so ein Ausdruck von damals) haben so manches erlebt, denen macht niemand was vor. Und sie haben einen speziellen Humor…

Ganoven mit und ohne Stil

Natürlich verrieten sie den TV-Leuten nicht, wie und wovon sie heute so leben. Nicht, dass da noch die Falschen zuschauen! Das war vielleicht der Deal: Ihr erzählt uns ein paar derbe Schwänke und wir stellen keine zudringlichen Fragen. So konnten sich die Herren auch rühmen, einst – wenn’s drauf ankam – im feinen Zwirn aufgetreten zu sein, während heutige Zuhälter oft in Trainingskluft auftauchten. Merke: Den Jungspunden ermangelt es ganz einfach an Stil und Qualität.

Trotzdem: Die trockenen Statements der einstigen Ruhri-Szenegrößen wie „Coca“ und Klaus „Hüpper“ Wagner (der vorher „auf Zeche“ malocht hatte) waren bereits das Stärkste an diesem ansonsten etwas dürftigen Film. Der Stoff wurde nicht durchdrungen, es gab praktisch keinerlei Erkenntnisse über pure Fakten und Phänomene hinaus. Dass manche Kerle sich als schrankenlos freiheitsliebende „Hippie-Rocker“ verstanden und in ihren Gangs Ersatzfamilien gesucht haben, war einer der wenigen, allerdings recht mageren gesellschaftlichen Vertiefungs-Ansätze, die jedoch nicht weiter verfolgt wurden.

Raffinierte kriminelle Geschäftsmodelle nötigen im Nachhinein selbst der Polizei Respekt ab: „Der hätte auch eine große Firma leiten können“, sagt ein Ex-Beamter über einen Delinquenten.

Erschröckliches Panoptikum

Bei Nennung von Verbrecher-Namen wie Alfred Lecki, Petras Dominas und Erhard Goldbach klang – gleichsam in negativ getönter Nostalgie – etwas aus zeitlicher Ferne nach. Doch gar zu atemlos wurden diese Fälle abgehandelt, als dass sie übers reine Geschehen hinaus hätten ergiebig werden können.

Das erschröckliche Panoptikum des Verbrechens erschöpfte sich weitgehend in bloßer und blasser Chronologie, in braver, auch sprachlich ziemlich unbedarfter Nacherzählung einiger spektakulärer Kriminalfälle. „Analytisch“ erhob sich das kaum über die Tiefebene von Eduard Zimmermanns berüchtigter Sendung „Aktenzeichen XY…ungelöst“, die denn auch in Wort und Bild zitiert wurde; ebenso pflichtschuldigst, wie man auch an den legendären Duisburger „Tatort“-Kommissar Schimanski erinnerte. Man wollte eben nichts auslassen – und versäumte dabei das Wesentliche.

Revierspezifisch waren übrigens die buchstäblich engen Beschränkungen, denen die Polizeiarbeit unterlag. Jenseits der im Ruhrgebiet allgegenwärtigen Stadtgrenzen durften sie in der Regel nicht ermitteln, wie Ex-Polizisten zähneknirschend verrieten. Die Ganoven kriegten das natürlich spitz – und machten daraus ein Katz- und Maus-Spiel.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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