Träume, Ahnungen und Heldentum – das 1. Sinfoniekonzert der Essener Philharmoniker

Tomás Netopil ist seit einem Jahr Chefdirigent der Essener Philharmoniker. Foto: Hamza Saad/TUP

Tomáš Netopil ist seit einem Jahr Chefdirigent der Essener Philharmoniker. Foto: Hamza Saad/TUP

Die neue Saison beginnt mit Tomáš Netopil und den Essener Philharmonikern. Dirigent und Orchester markieren den konzertanten Auftakt der Spielzeit 2014/15, geben sich dabei, nicht zuletzt, dem Zauber des Anfangs hin. Claude Debussys „Prélude à l’après-midi d’un faun“ ist nämlich ein so sanfter, fragiler, berauschender wie eben zauberhafter Einstieg. Der Kontrast wiederum könnte kaum größer sein: sowohl zu Bohuslav Martinůs Doppelkonzert für zwei Streichorchester, Klavier und Pauken, als auch zu Beethovens „Eroica“-Sinfonie.

Netopil ist nun seit einem Jahr neuer Chef des Essener Orchesters, und mehr und mehr scheint es ihm zu gelingen, aus dem Schatten seines Vorgängers, Stefan Soltesz, herauszutreten. Es ist ja nicht leicht für einen Neuling, in die großen Fußstapfen eines Dirigenten zu treten, der den Philharmonikern einen allseits bewunderten Qualitätsschub gebracht hat. Soltesz galt (und gilt) zudem als Fachmann für die Musik Wagners und besonders Richard Strauss’, manche Opernaufführung im Aalto-Theater wurde entsprechend zum großen Ereignis.

Netopil indessen fühlt sich dem tschechischen Repertoire verpflichtet – Dvořák und Janáček, Suk und eben Martinů sind seine „Hausgötter“. Hinzu kommt des Dirigenten stets bekundete Liebe zu Mozart. Solcherart Perspektivwechsel verlangt vom Opernfreund und Konzertgänger eine gewisse Bereitschaft, ja den Mut, sich auf Veränderungen einzulassen. Doch auf eines kann sich das geneigte Publikum verlassen, die Qualität des Orchesters. Erinnert sei nur an das tolle Dirigat Netopils der Janáček-Oper „Jenúfa“.

Nun aber, nach einem Jahr im Amt, vermag Netopil zunehmend, die Philharmoniker auch auf dem Konzertparkett mitzuziehen. Unter Soltesz nämlich gab es manches Raunen, dass das Orchester in erster Linie im Operngraben glänze. Doch inzwischen, das zeigt eben das erste Sinfoniekonzert der neuen Spielzeit, erobern sich die Musiker mehr und mehr das Terrain auf dem Podium. Und der doch stürmische Applaus der Abonnentenschar zum Ende der „Eroica“ macht deutlich, wie sehr dieser qualitative Zugewinn vom Publikum geschätzt wird.

Ludwig van Beethoven zu Zeiten der "Eroica". Gemälde von W.J. Mähler (1804).

Ludwig van Beethoven zu Zeiten der „Eroica“. Gemälde von Joseph W. Mähler (1805).

Nicht alles mag glänzen an diesem Abend in Essens Philharmonie, aber vieles strahlt, verzaubert, entwickelt Suggestivkraft. Debussys „Faun“, ein Fabelwesen, halb Mensch, halb Tier, träumt von der Verführung zweier Nymphen. Flirrende Hitze will die Musik ausstrahlen, erotisch aufgeladen ist sie, zugleich lasziv-schillernd. Auf- und abschwellende Klänge mäandern durch den Raum. Nur kleine rhythmische Episoden durchbrechen das stete Fließen, gewinnen aber kaum eigene Kontur. Dies alles dirigiert Netopil, musizieren die Essener Philharmoniker in größter Sorgfalt. Delikat klingen die Holzbläser (mit der Soloflöte als Leitinstrument), sinnlich die Streicher. Schöne Stellen en masse gelangen ans Ohr, und wenn es an etwas fehlt, dann an der einen großen Linie. Dirigent und Orchester scheinen hier zu sehr den Strukturen verhaftet.

In Martinůs Doppelkonzert liegen die Dinge anders. Bekenntnismusik statt Traumgespinst, treibendes Pulsieren statt Transzendenz. Das Werk fesselt mit seinen auf- und absteigenden Erregungskurven, der Schichtung von Streicherstimmen, nicht zuletzt mit der formalen Strenge, die dem barocken Concerto-grosso-Prinzip entlehnt ist. Bartóks Divertimento für Streicher diente hier offenbar als Vorbild. Gleichwohl ist das Stück kein Konzert im klassischen Sinne – hier Solo, dort Tutti. Vielmehr ist das Klavier als Saiteninstrument lediglich eine Klangfarbe inmitten der Streicherflut, die Pauken wiederum geben Akzente. Und der Pianist Ivo Kahánek darf erst im langsamen Satz, der düster und traurig wirkt, sein gestalterisches Können unter Beweis stellen.

Martinů schrieb das Werk 1938, er selbst hat es als eine Vorausahnung bezeichnet, mit Blick auf das Münchner Abkommen, das Teile seiner tschechischen Heimat dem Deutschen Reich zuschlug – mit all den schrecklichen Folgen. Die dunkel grundierte, aufgewühlte Musik interpretieren Orchester und Solist in aller Dringlichkeit. Mag manches plakativ klingen, so ist die Wirkung doch enorm.

Emotional jedenfalls ist dies der stärkste Moment während des Konzerts. Da kann selbst Netopils Deutung der „Eroica“ nur bedingt mithalten. Weil Dirigent und Orchester anfangs wiederum zu sehr der Form verhaftet sind. Das Heldische kommt zunächst etwas schmalbrüstig daher, manche dynamische Steigerung erstickt im mulmigen Klang. Schön auch hier wiederum die Holzbläserlinien, sicher und markant das Spiel der Hörner.

Erst im Scherzo und im groß angelegten Variationen-Finalsatz gewinnt die Musik an Stringenz, baut sich Spannung auf, setzt Netopil gewissermaßen Beethovensche Energien frei. Sodass, wie gesagt, in der voll besetzten Philharmonie der Beifall üppig ist.

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