
Drei Mitglieder vom Ensemble Barbad: die Sängerin Maryam Akhondy (links), Sara Hasti (persische Kniegeige) und Ali Salami (persische Langhalslaute). (Foto: Bernd G. Schmitz)
Es gehört zum Leitbild der Musikschule Bochum, allen Altersgruppen und allen Einwohnern mit internationalen Wurzeln offen zu stehen. Zu ihnen zählt der 1937 in Karatschi (Pakistan) geborene Pervez Mirza, der mehr als 30 Jahre lang Klavier und Musiktheorie an der Musikschule unterrichtet hat. Er organisierte jetzt ein Konzert im Museum Bochum, das so unverbindlich bunt ausfiel, dass es gut zu einer Kasseler „documenta“ gepasst hätte.
Experimentelle Klänge und Videotheater tragen zu diesem Eindruck bei, denn Mirzas eigene Kompositionen, die das Programm wie ein roter Faden durchziehen, spielen häufig mit solchen Elementen. Exemplarisch dafür steht seine Komposition „Der Fremde bin ich selbst“, geschrieben für Sprecher, Video und elektronische Klänge. Während Schauspieler Dirk Pattberg einen Monolog über Nähe und Entfremdung hält, taucht auf einer Leinwand neben ihm ein Video-Doppelgänger auf, der seinen Text allmählich übernimmt und den lebenden Menschen schließlich komplett überblendet. Akustisch verfremdet, wird der Text zu einer Klangcollage, so unverständlich und seltsam, als sei es eine Botschaft von einem anderen Planeten.
Als „typisches Beispiel Mirza’schen Schaffens“ kündigt Rainer Maria Klaas dieses Werk an. Der vielseitige Pianist, der das Konzert mit einigen „Kinderszenen“ von Robert Schumann eröffnet und diesen jeweils ein zeitgenössisches Gegenstück von Pervez Mirza gegenüberstellt, führt als kundiger Moderator durch den Abend. Das ist ein Glücksfall, weil das Programm leicht zu einer etwas ungeordneten Rumpelkammer der Stile und Epochen hätte werden können, gewissermaßen zu einem Sammelsurium zwischen Monteverdi und Mirza.
Für Renaissance-Gesänge von Claudio Monteverdi machen sich die Kölner Vokalsolisten stark. Die sechs Sängerinnen und Sänger müssen in „Anima mia perdona“ aus dem Jahr 1603 erst einige Intonationsprobleme überwinden, zeigen in „Anrede“ von Pervez Mirza aber eindrucksvoll, warum sie mit dem Preis der Deutschen Schallplattenkritik ausgezeichnet wurden. Mit Stimmgabeln ausgerüstet, halten sie lange Töne trotz disharmonischer Reibungen mühelos durch. Auf diese Weise laden sie den Text des gleichnamigen Gedichts von Ernst Stadler mit großer Suggestivität auf. In Monteverdis „Volgea l’anima mia“ findet das Sextett dann zu einem dichten, reinen Gesamtklang.
Deutlich in Mauricio Kagels Tradition, Musikaufführungen möglichst theatralisch zu gestalten, steht das Stück „Le corps à corps“ (frei übersetzt: Nahkampf) von Georges Aperghis. Dieses Solo für einen Schlagzeuger, das der Grieche 1978 schrieb, verlangt Michael Pattmann höchste Konzentration ab. Es ist, als würde er ein Wettrennen mit sich selbst veranstalten: In einem irren Schnell-Französisch, manchmal auch im lautmalerischen Scat, versucht er rasende Trommel-Rhythmen mittels der Sprache zu überholen. Pattmann meistert das virtuos, durchaus auch mit einem Sinn für Komik, der das Publikum zum Kichern bringt. Aperghis Stück wirkt indes auch anstrengend, weil der Komponist sich schwer damit tut, einen Schlusspunkt zu setzen.
Weltläufigkeit und Farbe gewinnt der Konzertabend durch das iranische Ensemble Barbad, benannt nach einem persischen Musiker aus dem 7. Jahrhundert christlicher Zeitrechnung. Das 1989 von der Sängerin Maryam Akhondy in Köln gegründete Orchester tritt in unterschiedlichen Besetzungen bei Konzerten und Festivals in vielen Ländern Europas auf. Exotisch klingen die persischen Instrumente für Ohren, die an europäische Klassik gewohnt sind: das Näseln der Kniegeige (Kamanche), das schillernde Sirren der Langhalslaute (Tar), die vielen dumpfen und scharfen Rhythmen, die auf der Becher- und Rahmentrommel produziert werden.
Indessen steht diese Musik der europäischen Klassik nicht an feierlichem Ernst und Bedeutungstiefe nach. Das Ensemble Barbad macht diese mystische Ebene sofort spürbar. Selbstvergessen singt Maryam Akhondy Lieder zu Texten persischer Dichter. Sie verziert melodische Linien mit Ornamenten, bis sie hypnotische Kraft entwickeln. Zuweilen bewegt sie sich an der Grenze zu einem expressiven Stimmumschlag, der an das Jodeln erinnert. Sara Hasti lässt die Kniegeige dazu sehnsuchtsvoll näseln, greift manche melodische Wendung wie ein Echo auf. Ali Salami streut auf der Langhalslaute das eine oder andere fingerfertige Solo ein.
Alle ernten großen Applaus. Der steigert sich zu Jubel, als Syavash Rastani zum großen Solo auf der Rahmentrommel (Daf) ansetzt. Was der Künstler mit flinken Fingern aus diesem scheinbar einfachen Instrument holt, ist so vielfältig, dass es auch für drei oder vier verschiedene Schlaginstrumente reichen dürfte. Von einem sanften Scharren ausgehend, mit den Fingernägeln auf der Membran des Instruments erzeugt, steigert er sich in eine Rhythmik hinein, die so lange an Tempo zunimmt, bis die Trommel zwischen seinen Händen zu fliegen beginnt. Ein rasantes, mitreißendes Erlebnis.
(Weitere Veranstaltungen: www.musikschule-bochum.de/termine)