Grausame Komödie des gescheiterten Widerstands – Joshua Sobols Ghetto-Stück „Adam“ in Wuppertal

Von Bernd Berke

Wuppertal. Ein deutscher Kulturmensch: feingliedrig, fahrig-nervös und etwas gedankenblaß. Später wird er Goethe und Shakespeare geläufig zitieren. Zunächst aber nimmt er, bestens herausgeputzt, in einem Theatersessel Platz. Er will eine Komödie genießen, eine grausame „Komödie der Irrungen“.

Kittel (Daniel Hajdu), so heißt dieser ach so kunstsinnige Mann in Joshua Sobols Stück „Adam“, ist als SS-Kommandant im Ghetto von Wilna (Litauen) Herr über Tod und Leben – in einer innigen Zwangsgemeinschaft von Tätern und Opfern. Das Drama im Drama, über das sich Kittel so köstlich amüsiert, ist der scheiterende Widerstand der Juden und ihrer historisch verbürgten Untergrundorganisation F. P.O.

Der israelische Autor arbeitet seit jeher mit Schocks: In seiner gleichfalls in Wilna spielenden Todesrevue „Ghetto“, zu der „Adam“ gleichsam ein ergänzendes Seitenstück ist, ließ er Musical-Elemente mit dem Leid der Juden kollidieren.  Auch bei „Adam“, jetzt in Wuppertal, ist das Varieté nicht weit: Der grantelnde Sep (Horst Fassel) führt immer mal wieder Zauberkunststückchen vor. Rahmenhandlungen und ein beständiges Gleiten durch die Zeit, Spiel mit Distanz und Nähe: Sep agiert auf der Vorderbühne, die eine Szene im heutigen Israel vorstellt, wo sich Seps Gefährtin Nadya (Stella Avni vom Düsseldorfer Schauspielhaus) ihrer Erlebnisse von „damals“ in Wilna erinnert.

Dahinter tut sich ein „Erinnerungs-Raum“ (Bühne: Jürgen Lancier) auf, eine schräggestellte Arena, in der die Szenen von 1943 spielen. Die alte Nadya, für die die Vergangenheit nicht vorbei ist, tritt mehrfach in diesen Raum ein, richtet das Wort an sich selbst als junge Frau (Friederike Tiefenbacher) oder an ihren damaligen, in Wilna umgekommenen Geliebten Adam (Bernd Kuschmann). Adam wurde seinerzeit von einem Gefolterten an den SS-Kommandanten als Untergrund-Kämpfer verraten. Der SS-Mann stellt dem (jüdischen) Ghetto-Vorsteher Gens, der ständig zwischen den Fronten laviert, ein Ultimatum auf sofortige Auslieferung Adams; sonst werde das gesamte Ghetto „liquidiert“. Soll man einen Mann opfern, um – eventuell – 20 000 Mensehen zu retten? Oder soll man den Aufstand wagen, den kollektiven Selbstmord?

Das Stück in Deutschland aufzuführen, ist höchst schwierig und prekär. Diesen Mut hatte bisher nur das Bonner Theater. Die (Selbst-)Kritik am jüdischen Widerstnd ist sicher wichtig für ein israelisches Publikum; hierzulande könnte sie mißverstanden werden. Auch hat das Stück selbst Schwächen: Vor Augen gestellt, gewinnen die langen Debatten der F. P. O.-Widerstandskämpfer nichts Wesentliches hinzu, was nicht auch in einem Hörspiel vorkommen könnte. Über weite Strecken gerät das in Wuppertal zum steifen Thesen-Austausch. Die Aufführung wirkt da einerseits ungeschmeidig, zeigt aber auch keine wirklichen Ecken und Kanten. Verständliche Scheu: Die Regie wagt kaum, Elemente des Dokumentartheaters und des Varietés schockhafter aufeinander prallen lassen.

Regisseur Johannes Klaus und das Ensemble sind gleichwohl ehrenvoll gescheitert: Spürbar ist eine große Ernsthaftigkeit, mit der man sich des Stoffs angenommen hat. Aber: Wuppertals Ensemble hat zwar Fortschritte gemacht, ist jedoch für eine solch heikle Aufführung noch zu ungleichwertig besetzt.

Normaler Beifall, den auch der anwesende Autor bescheiden entgegennahm.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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