Boulevard am Abgrund: „Biedermann und die Brandstifter“ zeigen in Bochum freundliche Gesichter

Die Kulisse lässt an anspruchsloses Tourneetheater denken, eine Art Wohnzimmerwand mit Türen darin, Sofa, Tisch, Sessel. Und wenn sich Herr Biedermann bei der Zeitungslektüre über die Brandstifter aufregt, die in der Stadt ihr Unwesen treiben, dann wirkt das immer noch wie Boulevardkomödie.

Herr Biedermann (Martin Horn, Mitte) mit dem Ringer Schmitz (Jürgen Hartmann, li.) und dem Kellner Eisenring (Matthias Eberle, re.). (Foto: © Thomas Aurin / Schauspielhaus Bochum)

Herr Biedermann (Martin Horn, Mitte) mit dem Ringer Schmitz (Jürgen Hartmann, li.) und dem Kellner Eisenring (Matthias Eberle, re.). (Foto: © Thomas Aurin / Schauspielhaus Bochum)

Doch spätestens mit dem Auftreten des dreiköpfigen Chores kommt Hintersinn ins Spiel. Regisseur Hasko Weber inszeniert auf der großen Bühne des Bochumer Schauspielhauses Max Frischs „Biedermann und die Brandstifter“, und dies ist angeblich eben keine Komödie, sondern, in den Worten des Dichters, „ein Lehrstück ohne Lehre“.

Zudem war dieses Lehrstück eins der erfolgreichsten Stücke der Nachkriegszeit. 1958 in Zürich uraufgeführt, erlebte es in der Folge über 250 deutschsprachige Inszenierungen. Damals, 13 Jahre nach Ende des Krieges, muss es genau den richtigen Ton getroffen haben, der trotz humoristischer Elemente fraglos ein hoch moralischer war.

Damals standen Verbrecher in Uniform im Mittelpunkt der Kritik, denen, kleiner Scherz gegen Ende des Frisch-Textes, die Qualen der Hölle erlassen werden, wenn sie ihre Verbrechen in Uniform begangen haben. Doch reicht dieses Stück mit seinen absurden inhaltlichen Elementen weit über die Begrenztheit einer Moralpredigt hinaus, ist ganz im Gegenteil ein schonungsloses Ausloten menschlichen Verhaltens in diffus bedrohlicher Situation und damit hoch aktuell.

Des Hausherrn rätselhafte Motive

Ob das Stück auf der Bühne funktioniert, hängt natürlich maßgeblich an der Interpretation des Biedermanns, der nahezu unspielbar ist. Ein aufrechter Bürger soll er sein, der völlig zu Recht die Unfähigkeit der Behörden beklagt, ein brutaler Chef aber auch, der seinen Mitarbeiter Knechtling in den Selbstmord getrieben hat und dessen Witwe die Hilfe verweigert; einer, der sich bei „armen Leuten“, eben den Brandstiftern, anbiedert und von deren Brandstiftungsabsicht selbst dann noch nichts wissen will, wenn diese auf dem Dachboden letzte Vorbereitungen für das große Zündeln treffen. Sie haben ja nicht mal Streichhölzer dabei, wie könnte Gefahr von ihnen ausgehen?

Martin Horn gibt diesen Herrn Biedermann nach anfänglicher Ambivalenz bald schon sorglos und entspannt. Die Motive seiner ungebetenen Gäste verleugnet er hartnäckig, und die Frage, warum er das tut, hätte durchaus etwas mehr Beachtung innerhalb dieser Inszenierung verdient. Ist es Naivität, Verleugnung aus schlechtem Gewissen, opportunistische Anbiederei?

Die Stadt in Flammen

Stattdessen nimmt das Bühnengeschehen seinen boulevardesken Fortgang. Anna, das Dienstmädchen (Kristina Peters) fällt wiederholt gekonnt in Bühnenohnmacht und muss dann wieder aufgerichtet werden, durchaus erheiternd gerät die stilgerechte Inszenierung eines „proletarischen“ Gänsebratenessens durch den absichtsvoll leger gekleideten Hausherren.

Bis zur Pause geht das so, auch die Gespräche zwischen bunten Benzinfässern auf dem Dachboden sind getragen von Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft. Nur die hübsche projizierte Stadtkulisse im Hintergrund (Bühne und Kostüme: Thilo Reuther) scheint irgendwann Feuer gefangen zu haben.

Nach der Pause denn also, nachdem die Stadt in Schutt und Asche liegt, treffen wir Herrn Biedermann und seine Frau Babette (Veronika Nickl) in der Hölle wieder, wo eine veritable Riesenflamme aus dem Boden schießt und ab und zu grelles Scheinwerferlicht die Zuschauer blendet. Im Hintergrund verbrennen Höllenmitarbeiter in einem Feuerkorb Blatt für Blatt den Grundrechteteil des Grundgesetzes, jeden Paragraph zitierend und mit Nummer 1 („Die Würde des Menschen ist unantastbar“) endend – ein ärgerlicher interpretatorischer Eingriff, der der breiten Gültigkeit des Stücks nicht gerecht wird. Kurz darauf ist das Spiel dann zu Ende, und auf die Pause hätte man gut verzichten können.

Der Chor kann nichts machen

In lebhafter Erinnerung bleiben Jürgen Hartmann und Matthias Eberle als die Brandstifter Schmitz und Eisenring, beide eher bedrohlich als bedürftig, trotz der rührenden Geschichten, die sie aus ihrem harten Leben erzählen.

Daniel Stock, Klaus Weiss und Luana Velis bilden den Chor nach dem Vorbild der klassischen griechischen Tragödie. Sie sind Beobachter des Geschehens, paraphrasieren und kommentieren es in gemessenen Versen. Und würde man sie rufen, dann würden sie auch helfen. Doch zunächst ist es an den Menschen selbst, zu handeln. Auch das „Lehrstück ohne Lehre“ kommt ohne Lehre nicht aus.

Herzlicher Applaus für die aufgeräumt aufspielende Darstellerriege.

  • www.schauspielhausbochum.de
  • Termine: 26., 28. Januar, 2., 7., 15., 25. Februar 2017,
  • 19.30 Uhr, Schauspielhaus
  • Karten Tel.  0234 3333 5555

 

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