Der kleine kluge Mann – Erinnerung an Gerard Mortier

Wir beklagen den Tod von Gerard Mortier. In den meisten Nachrufen wird davon gesprochen, dass er die Oper zu neuem Erwachen geführt habe,  die Salzburger Festspiele nachhaltig geprägt habe. Alles richtig. Nur – sein Wirken als erster Intendant der RuhrTriennale hat zumindest hier eine viel umfassendere Bedeutung. Leider sind und waren die Entscheidungsträger für das Festival nicht auf seiner Erkenntnisstufe. Sie hatten nicht mit seiner Widerspenstigkeit gerechnet und waren am Ende froh, dass er weg war. Welch ein grandioser Fehler!

Als ich ihn 2001 in einem Szenecafé im Dortmunder Norden kennenlernte, traf ich auf einen offenen, charmanten und witzigen Mann, mit dem ich über die Eigenart der Belgier diskutiert habe, über das Publikum im Ruhrgebiet und die Unterschätzung desselben.  Später – bei einem Besuch in Salzburg – sprachen wir über die Dekadenz des dortigen Publikums und die Sehnsucht nach dem Einfachen im scheinbar Komplizierten. Die zahlreichen Gespräche mit ihm – vor allem während seiner Zeit im Ruhrgebiet – gehören zu den prägendsten meines Lebens.

Der Jurist Dr. Mortier, dessen Namen manche flämisch, andere französisch aussprachen, war allzeit auskunftsbereit, sprach und warb für die erste RuhrTriennale an jedem nur denkbaren Ort. Seine Gespräche mit Politikern oder Vertretern der Wirtschaft kosteten ihn Nerven. Er sei „oft von Dummheit“ umgeben gewesen,  sagte er. Nach einer Anlaufzeit mochten ihn die Menschen hier, so wie er die Ruhrgebietler ins Herz schloss. Er machte aus dem Stand das Festival zu einem Highlight, indem er Kreationen entwerfen ließ, die unvergesslich sind, allen voran vielleicht das Werk „Sentimenti“, dass damals vom zukünftigen Triennale-Intendanten Johan Simons in Sezen gesetzt wurde.

Damals in Salzburg engagierte er Markus Hinterhäuser und Thomas Zierhofer, um für kleines Geld ein erstes „Festival im Festival“ zu etablieren, genannt „Zeitfluss“, für ein junges, neues Publikum. So förderte er das Festival „Off limits“, dessen Leiter ich habe sein dürfen, als Off-Triennale, eine bis dato einmalige Kooperation. Wiederstände gab es auch damals, aber  er setzte es durch.

Er sah sich nie als Künstler, sondern als Ermöglicher und Vermittler. Er überredete u.a. Alain Platel, für die RuhrTriennale ein Werk zu Mozart zu inszenieren, das danach weltweit Erfolge feierte: „Wolf, oder wie Mozart auf den Hund kam“.  Er verstand es, Menschen zu überzeugen, Publikum wie Künstler.

Als der agile Intendant ging, folgte der joviale Jürgen Flimm und die RuhrTriennale setzte umgehend Staub an, der sich erst wieder mit Heiner Goebbels zart auflöste. Als Mortier sich später anbot, noch einmal eine Intendanz zu übernehmen, winkte man ab. Der kleine Mann ging den Politikern offenbar auf die Nerven.

Überall, wo er war, hat er Eindruck und Nachhaltigkeit hinterlassen. Viele seiner Weggefährten folgten seinen Ideen und sind erfolgreiche Intendanten oder Vermittler. Leider hat das Wirken hier im Revier nur wenig hinterlassen – außer Erinnerung. Man müsste ihm ein Denkmal schaffen.  Ich werde ihn trauernd weiter schätzen.

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