In Salzburg sieht die Erde wie eine Mozartkugel aus

Salzburg. Man muß diese Szenen gesehen haben, sonst glaubt man es kaum: Wenn im rundum beflaggten Salzburger Festspielhaus die Premierentermine anstehen, ist auf der gegenüberliegenden Straßenseite beinahe mehr los als im Foyer. Hunderte von Schaulustigen versammeln sich, um einen Blick auf Eleganz und Prominenz zu erhaschen. Dutzendfach surren die Videokameras. Etwas Abglanz für daheim hätt‘ man schon gern.

Mit der Ära von Gérard Mortier als Festspielintendant und von Peter Stein als Schauspielchef weht – gar manchen Traditionalisten zum Verdmß – ein etwas freierer Wind als zu Karajans Zeiten selig. In einer Programmzeitung wird gar die althergebrachte Kleiderordnung gelockert. Auch im Dirndl oder Trachtenjanker dürfe man erscheinen – und überhaupt: Zweckmäßig solle es sein, nicht unbedingt wie aus dem Ei gepellt. Das geht denn aber doch a bisserl zu weit. Kleider machen schließlich Leute, und die kommen denn eben doch in edlerem Tuch und mit Fliege oder Kulturstrick um den Hals. Die feinen Damen lassen derweil wie eh und je gnädigst die Klunker klimpern.

Mit glorioser Repräsentation hat Peter Stein nicht viel Sinn. Beim kleinen Umtrunk für geladene Gäste in der Pause von Shakespeares „Coriolan“ bekennt er ganz offen, wie ungern er solche Vorzeige-Termine habe. Seine Begrüßung dauert denn auch nur ein Minütchen – und schon dürfen sich versammelte Wichtigkeiten ans Sektbüffet begeben. Im Vorraum sieht man kurz darauf einen Mann mit schlohweißem Haar. Ist das nicht …? Ja, er ist es: Bundespräsident Richard von Weizsäcker, im gepflegten Gespräch mit Peter Stein. Die kulturelle Sommertour hat das Staatsoberhaupt auf dem Weg über Bayreuth hierher geführt.

Durch die kleinen Salzburger Altstadtgäßchen ergießt sich der festspiel-übliche Touristenstrom aus aller Welt. Man redet in vielen Zungen, und man redet viel über Theater. Wo sonst nimmt man Kultur so wichtig?

Doch die Kultur treibt auch seltsame Blüten. Im Mozart-Geburtshaus wollen sie für den Gang durch ein paar Zimmerchen umgerechnet 8,10 DM pro Nase einstreichen. Anschließend soll man, bittschön, das Faksimile eines Mozart-Briefs oder einer Partitur erwerben. Und überall gibt es massenhaft Mozartkugeln. Von hier aus gesehen, kehrt sich geradezu die Ordnung des Planeten um: Die Erde muß wohl eine große Mozartkugel sein.

                                                                                                                            Bernd Berke

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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