Wild wuchernder Wahnsinn – Martin Kusej bringt in Salzburg „Hamlet“ auf die Bühne

Aus Salzburg berichtet Bernd Berke

Ein riesiges Treibhaus steht auf der Bühne. Darin werden in den nächsten vier Stunden die schlimmsten Dschungel-Pflanzen wuchern: Intrigen, Rachsucht, Wahnsinn, Mord. Zunächst hat hier noch wirkliches Grün gestanden, doch das wird gleich zu Beginn geschnitten, die schütteren Reste dienen bestenfalls noch als Tarnung für die zahlreichen Spitzel im Staate.

Später wird der gläserne Bau (Bühne: Martin Zehetgruber) nackt und kahl sein wie eine aufgelassene Industriehalle, gegen Schluss wird Schnee liegen. Auch sind die meisten Bodenbretter verschwunden, man kann nur über dem offenen Schlund der Hölle balancieren.

Es ist der zunehmend naturwidrige Schauplatz für Shakespeares große Tragödie „Hamlet“. Anfangs haben wir gesehen, wie das Areal von Soldaten umstellt war. Diese Wehrhaftigkeit soll einen perfiden Machtwechsel abschirmen. Hamlets Vater ist von dessen eigenem Bruder Claudius umgebracht worden. Der hat somit nicht nur die Krone an sich gerissen, sondern gleich noch die Königin, Hamlets Mutter, geheiratet, Das ist die dem Drama vorausliegende Ur-Szene, die alles weitere Verhängnis auslöst.

In Martin Kusejs Salzburger Festspiel-Inszenierung steht Hamlet sogleich erbittert frontal zur Gesellschaft, die sich unterm neuen Herrscher wohlig eingerichtet hat. Sie verhöhnen ihn, weil nicht auch er sich geschmeidig den Verhältnissen anpasst.

Der König (Marcus Calvin) und seine schmierig-mafiosen Schranzen machen es sich im Luxus bequem. Von sich selbst scheinen diese Leute zu glauben, sie strahlten die Erotik der Macht aus. sie seien furchtbar fesch.

Fesch hergerichteter Faschismus dämmert herauf

Und an wen könnte man bei diesem Stichwort in der Alpenrepublik denken? In der Festspielzeitung hat Kusej, der aus Österreich stammende Regisseur des Stuttgarter Staatsschauspiels, den Hamlet-Stoff mit Jörg Haiders Aufstieg in Austria kurzgeschlossen. Es ist etwas faul im Staate. Kusej sieht alle Übel eines fesch hergerichteten Faschismus heraufdämmern. Und er stellt die Frage nach Widerstand.

Darf man, wie Hamlet es so lange tut, bedenklich zögern, oder soll man losziehen gegen „ein Meer von Plagen“? Natürlich geht ein Weltendrama wie „Hamlet“ in derlei politischer Zueignung nicht auf, auch wenn hier am tödlichen Ende der Walzer „An der schönen blauen Donau“ aus den Lautsprechern dröhnt, was im Premieren-Publikum Buh- und Bravo-Orkane auslöste.

Ästhetisch fesselndes Theater

Doch Kusej hat der Versuchung widerstanden, das Stück nur auf seine politischen Ängste hin zurechtzubiegen. Gespielt wird Heiner Müllers reimfreie Übersetzung. Es entfaltet sich ästhetisch fesselndes Theater; in Sachen Sprechkultur erfreulich auf der Höhe, szenisch durchdacht, die Tempi zwischen Furioso und Zeitlupe virtuos wechselnd – und oft zutiefst bewegend, wie etwa in den Wahnsinns-Szenen der Ophelia (Johanna Wokalek). Gewiss: Einige Szenen hat man umgestellt, doch all das ist nachvollziehbar.

Hamlet (Samuel Weiss), der den Selbstmord-Monolog gleich zu Beginn hervorstößt, wühlt sich hier aus anfänglich hilfloser Verzweiflung heraus und legt sich eine listenreiche Strategie zu. Atemberaubend, wie der Darsteller die Übergänge zwischen beiden Haltungen vorführt.

Dieser Hamlet ist gar nicht so sehr der von des Gedankens Blässe angekränkelte Intellektuelle. Zwar zaudert er, doch schlägt er hernach umso drastischer zu, kalt bis ans Herz. Polonius, Rosenkranz und Güldenstern müssen dran glauben. Er knallt sie ab wie in einem schlechten Film. Hamlets Rache bekommt geradezu terroristische Selbstläufer-Qualitäten. Wo spielte das Stück noch? Damals in Dänemark? Heute in Österreich? Der Rest ist Schweigen.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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