Westdeutsche Autoren um Honorare betrogen – Ehemalige DDR-Verlage manipulierten Auflagen

Von Bernd Berke

Frankfurt. Schätzungsweise 60 bis 80 Prozent des weltweiten Lizenzgeschäftes der Branche werden auf der Frankfurter Buchmesse getätigt. Da trifft es geradezu den innersten Nerv, wenn ruchbar wird, daß womöglich viele wichtige Verlage eines Landes jahrelang Lizenzbetrug begangen haben. Das Land hieß DDR, und am meisten haben sich Verdachts- und Beweislage offenbar beim renommierten „Aufbau“-Verlag und bei „Volk und Welt“, Flaggschiffen der verflossenen Öst-Republik, verdichtet.

So platzte der Saal in der abgelegenen Halle 9 aus allen Nähten, als Elmar Faber in dieser Sache vor die Presse trat. Faber war ab 1983 „Aufbau“-Geschäftsführer, wurde dann kürzlich von der Treuhandanstalt geschaßt, gehört aber der neuen Leitung des seit wenigen Tagen in Westbesitz befindlichen Verlages wieder an.

Seltsames Zusammentreffen: Am Montag war die Veräußerung des Verlages von der Treuhand bestätigt worden. Just an diesem Tag kam es auch zu einer großangelegten Polizeiaktion, zur staatsanwaltschaftlich verordneten Durchsuchung beim „Aufbau“-Verlag und in den Privatwohnungen seiner früheren Chefs.

Elmar Faber betätigte die in der ehemaligen DDR gängige Praxis sogenannter „Plus-Auflagen“: Bücher, deren Lizenzen man im Westen erworben habe, seien vielfach in größerer Stückzahl gedruckt worden als vertraglich vereinbart. Den Lizenzgebern und nicht zuletzt den Autoren wurde also Geld vorenthalten, um es gelinde zu sagen.

Vom SED-Staat angeordnet

Faber, der von dieser üblen Praxis nach eigenem Bekunden seit seinem Verlagseintritt anno 1983 Kenntnis hatte („Darüber wurde hinter verschlossenen Türen ganz offen geredet“), sprach von „Staatskriminalität“, denn die „Plus-Auflagen“ seien staatlich verordnet gewesen, und das damalige Kulturministerium habe auch sämtliche Gewinne abgeschöpft, um so andere Kulturbereiche wie Theater und Büchereien zu subventionieren.

Grund des Vorgehens sei zum einen der chronische Devisenmangel der DDR gewesen. Ideologisch erwünschter Nebeneffekt des Auflagen-Schwindels: Der Bedarf an Westliteratur habe sich auf diese Weise künstlich herunterrechnen lassen. Beträge und konkrete Auflagenhöhen mochte der mit allen Wassern des Verlagsgeschäftes gewaschene Faber nicht nennen, es sei aber „nicht um Millionen“ gegangen, sondern um Zahlen „nach menschlich faßbaren Maß“. Außerdem hätten West-Verleger von den „Plus-Auflagen“ gewußt und sie stillschweigend in Kauf genommen. Ein im Saal anwesender westdeutscher Verleger bestätigte dies sogleich für seine Person.

Wahnsinniger Appell kroatischer Autoren

Anwesend war auch der prominente „Aufbau“-Autor Christoph Hein, der gleichsam zwischen zwei Stühlen saß: Zum einen protestierte er scharf gegen den Polizeieinsatz, andererseits könne er nicht ungerührt zusehen, wenn Autoren um Honoraranteile geprellt würden. Hein: „Und ich dachte bisher immer, nur wir DDR-Autoren seien betrogen worden.“

Ein erschütterndes Lehrbeispiel für die Ohnmacht, ja für das gänzliche Verstummen der Literatur in Kriegszeiten gab es an anderer Stelle der Buchmesse, bei einer Veranstaltung mit slowenischen und kroatischen Autoren (Vorsitzende der PEN-Zentren und der Schriftstellerverbände). Sie bekannten allesamt, derzeit nicht mehr schreiben zu können. Auch sei der Dialog mit den serbischen Autoren praktisch abgerissen und dann riefen die kroatischen Schriftsteller die Intellektuellen ihres Landes auf, zu den Waffen zu kommen. Das Leben sei das Mindeste, was man dem Vaterland opfern könne. Der deutsche Schriftsteller Arnfrid Astel sprach wohl den meisten Nicht-Kroaten aus dem Herzen, als er entsetzt feststellt, ein solcher Appell zum kollektiven Autoren-Selbstmord sei „einfach wahnsinnig“.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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