Von Bernd Berke
Welch eine banale Titelfigur: ein Fliesenleger! Was der schon an einem Nachmittag erleben? Ein Badezimmer vollenden – und dann fertig. Stoff für einen Roman? Aber ganz gewiß doch. Wenn ein Autor wie der Schwede Lars Gustafsson sich des Themas annimmt.
Gustafssons „Held“ heißt Torsten Bergman. Seit dem Tod seiner Frau ist das Leben des Fliesenlegers gleichsam wie eingefroren, er weiß so gut wie nichts mehr vom Alltagsleben anderer Leute. Sein Leben hat sich seit langem verloren. Seine „gesammelten Werke“, Kachelreste aus allen Nachkriegsepochen, schimmeln im kaltfeuchten Keller vor sich hin.
Nur noch ab und an in Schwarzarbeit tätig, erhält er eines Tages einen telefonischen Tipp: Nach langer Zeit mal wieder ein Auftrag. Mißmutig macht er sein klappriges Uralt-Auto flott und fährt los.
Er gerät in eine durchaus seltsame Situation: das halbverfallene Haus ist gespenstisch leer – wie ein Ort für Geister. Kein Bauherr, kein richtiger Auftrag, gar nichts. Trotzdem macht sich Torsten ans Werk. Wahrend der Routine-Arbeiten gerät seine erinnernde Phantasie in Gang. Mal kommen ihm Gedanken an seine Kindheit und Jugend in den 30er Jahren, an sein Leben, das offenbar mit der Zeit immer schlechter geworden ist; mal ergeht er sich in wildesten Vermutungen über etwaige Bewohner des Hauses (Dealer? Terroristen?). Die völlig unklare Arbeitssituation und die Leere um ihn herum erzeugen eine Art Gedankensog, eine Gedankenreise durchs eigene Leben.
Um neues Material zu sorgen, begibt er sich für kurze Zeit in die „Wirklichkeit“ die letztlich eben auch sehr unwirkliche Realität eines Industriegeländes mit Baumärkten, wo es furchtbar überorganisiert, eilig und geölt-gegenwärtig zugeht. Dort trifft er seinen alten Vetter Stig. Beide reden von der Vergangenheit, über Menschen, die sie gekannt haben – und kehren ins leere Haus zurück, wo sie nun gemeinsam arbeiten. Zwei alte Männer in einem leeren Haus, eine Situation fast wie in Samuel Becketts „Warten auf Godot“. Warten auf „Erlösung“, Warten auf Sinn – bis eine junge Frau auftaucht, die samt Kindern von ihrem Mann ausgesperrt wurde. Noch so eine Ausgesetzte…
Mehr sei hier nicht verraten. Das sehr unaufdringlich und scheinbar unaufwendig geschriebene Buch hat, wie bisher noch jedes von Gustafsson, eine ganz eigene Atmosphäre: Leise Trauer über allmählich vergehendes Leben, einen melancholischen Anflug von Sinnlosigkeit und Vergeblichkeit auch. Mitunter konzentriert und verdichtet sich die Geschichte dermaßen, daß in zwei oder drei Sätzen die ganze sanfte Tragik einer Lebensgeschichte aufscheint.
Lars Gustafsson: „Nachmittag eines Fliesenlegers“. Roman. Carl Hanser Verlag. 140 Seiten, 25 DM.