Die Schöpfung und ihr Scheitern: Neue Rettungsreime von Fritz Eckenga

„Meine Stadt ist kein Knüller in Reisekatalogen“, heißt eines der wenigen Gedichte, die es bislang über Gelsenkirchen gab. Die 2015 verstorbene Schriftstellerin Ilse Kigbis beschreibt darin in vielen Strophen nicht die Schönheit der Stadt, sondern ihr Fehlen: „Die Berge meiner Stadt / sind Rolltreppen / die zu käuflichen Paradiesen führen“.

Nun gibt es 12 weitere denkwürdige Gedichtzeilen über Gelsenkirchen. Kein Sonett also – aber dieses neue Gedicht trägt immerhin den Titel „Aufschwung“. Inhaltlich schlägt es allerdings in exakt die gleiche Kerbe wie Kigbis‘ Werk: „Neben Spieltreff eins und zwei / eröffnet bald der dritte. /  Leute,  zieht so schnell es geht / nach Gelsenkirchen-Mitte.“

Der da so despektierlich über die Nachbarstadt reimt, ist natürlich Fritz Eckenga. In seinem jüngsten Band schenkt der Dortmunder seiner Leserschaft neue „Rettungsreime“ – fein-(selbst)ironische bis übelst zynische, mitunter aber auch einfach nur lustig-wortverspielte Gedichte, die er häufig aus Notwehr gegen die Zumutungen des Alltags und der Mitmenschen schrieb und mit denen er sich schreibend schadlos hält, aber auch Gedichte, die seine Leserinnen und Leser retten können, zum Beispiel vor schlechter Laune, Langeweile oder allzu großer Selbstzufriedenheit. Der Titel: „Eva, Adam, Frau und Mann – da muss Gott wohl  noch mal ran“.

Fritz Eckenga

Fritz Eckenga (Foto: © Philipp Wente)

Von Bönen bis Ostwestfalen

Fritz Eckenga ist bekannt für die unkonventionelle Wahl seiner Sujets – die Entwicklung der Gelsenkirchener Innenstadt ist ein durchaus typisches Beispiel. Eckenga bedichtet durchaus auch die Liebe, die Natur und die Jahreszeiten – doch am allerliebsten kränkelnde politische Parteien, die Verletzungen von Spitzensportlern oder eben strukturschwache Städte. Neben Gelsenkirchen werden weitere bislang unbedichtete Orte lyrisch geadelt: Bönen, Iserlohn, Oberhausen, Krefeld, Soest und Ostwestfalen. Die Stationen der nächsten Lesereise stehen also fest…

„Reim gar nichts“

Vor allem das Scheitern treibt Eckenga so richtig zur Höchstform, und da nimmt er das eigene nicht aus. „Reim gar nichts. Eine Selbstkritik“, ist der Titel des allerersten Gedichts im neuen Band, das als eine Art Vorwort oder Motto dient. „Woran es dem Werk dieses Autors gebricht, / ist ganz ohne Frage das Großgedicht“, beginnt es, geißelt im Verlauf die Seichtheit und das Fehlen großer Themen im vorliegenden Werk und schließt dann Eckenga-typisch: „Fasse zusammen: Viel Wasser, kein Wein /  und immer mal wieder ein unreimer Rein.“

Gescheitert ist Fritz Eckenga mit seinem neuen Gedichtband nun wahrlich nicht. Beflügelt von Robert Gernhardt, begeistert von F.W. Bernstein, befreundet mit Wiglaf Droste: Fritz Eckenga dichtet längst in der gleichen Liga wie seine Vorbilder. Die genannten drei sind tot, Eckenga lebt – und rettet sich und uns hoffentlich noch recht lange mit seinen gereimten Gedanken. Die Trauer über den Tod seines Freundes Droste hat er ebenfalls in 16 Zeilen gepackt, „Und sowieso das bessere Gedicht“, heißt es. Ein Glück, wenn man, um Worte ringend, seine Traurigkeit wenn auch nicht verarbeiten, dann doch mit ihr arbeiten kann.

Auch schon ein Kapitel zur Corona-Pandemie

Vor allem aber arbeitet er als Satiriker fast tagesaktuell, und so erhalten auch die einsamen, teils freud- und gar teils klopapierlosen Tage der Corona-Pandemie ein eigenes Kapitel im Gedichtband; thematisiert wird u.a. das Sangesverbot im Gottesdienst: „Nimm es bitte nicht so krumm, / die Gemeinde bleibt heut stumm. / Großer Gott, sie loben Dich, / aber mehr so innerlich.“

Die kongenialen Illustrationen im Band stammen von dem Kölner Illustratoren Nikolaus Heidelbach, dem Eckenga am Ende ebenfalls ein Gedicht widmet. Auf dem Cover hat sich Heidelbach vom Titel zu einem Paar menschlicher Unvollkommenheiten inspirieren lassen, das sich wie ertappt zum Betrachter umblickt: Eva mit verschmiertem Lidschatten, platt auf dem Hinterkopf anliegender Frisur und Sonnenbrand neben ihrem Adam, dessen Haare auf dem Kopf großflächig fehlen, sich dafür aber an unerwünschten anderen Körperstellen ausbreiten. Die Krone der Schöpfung – eine Geschichte von der wohl größten Fallhöhe der Geschichte. Ein gefundenes Fressen für Fritz Eckenga.

Fritz Eckenga: „Adam, Eva, Frau und Mann – da muss Gott wohl nochmal ran. Neue Rettungsreime“. Kunstmann, 136 Seiten, 18 Euro.

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Über Katrin Pinetzki

Kaffeejournalistin, Kulturtante und umgekehrt. Arbeitet als Pressereferentin für Kultur in der Pressestelle der Stadt Dortmund.
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1 Antwort zu Die Schöpfung und ihr Scheitern: Neue Rettungsreime von Fritz Eckenga

  1. Bernd Berke sagt:

    Nun ja, immerhin gibt es noch ein berühmt-berüchtigtes Lied über Gelsenkirchen – von keinem Geringeren als Georg Kreisler: https://www.youtube.com/watch?reload=9&v=xD07fVUXBrk

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