So einzigartig wie ein Fingerabdruck – Alina Bronskys Buch über das Essen

Vorlieben und Abneigungen beim Essen sind so individuell wie ein Fingerabdruck. Fast immer gehen sie auf Geschmacks-Erlebnisse der Kindheit zurück. Mit solchen, stets persönlich beglaubigten Einsichten lockt einen die Schriftstellerin Alina Bronsky geschickt in ihr Buch übers Essen hinein. Auch nach dem Intro breitet sie ihren Erzählstoff sehr kurzweilig aus.

Der kompakte Band fügt sich bei Hanser Berlin ein in die zehnteilige Reihe zu den „10 wichtigsten Themen des Lebens“, als da außer dem Essen noch wären: das Altern, Schlafen, Lieben, Streiten, Wohnen, Arbeiten, Spielen (alle bereits erschienen), Sprechen und Reisen (kommen 2026 heraus). Übrigens stammen alle zehn Bücher von Frauen.

Deutscher Irrweg des „Trockenfutters“

Zurück zu Alina Bronsky. Sie kam als Kind aus der in letzten Zuckungen darnieder liegenden Sowjetunion nach Deutschland und vermisste so manche liebgewordene Essens-Gewohnheit, obwohl hier doch eigentlich alle Zutaten im Überfluss vorhanden waren. Präferenzen beim Essen sind eben nicht nur individuell, sondern auch kulturell bedingt. Vor allem verstand sie anfangs lange nicht, warum die Deutschen ständig kaltes „Abendbrot“ verzehren. Das Russische halte dafür den schwer übersetzbaren Begriff Suchomjatka bereit, der jedenfalls die ablehnende Haltung zum Irrweg solchen „Trockenfutters“ in sich birgt. Ungleich besser sei es doch, etwas wohlig Warmes wie Porridge, Getreide- oder Kartoffelbrei zu sich zu nehmen. Und überhaupt: Wie könne man denn regelmäßig Dinge essen, für die man kein Besteck benötigt? Nun ja, gemach! Später hat Bronsky in Berlin sogar die Vorzüge der „Stulle“ schätzen gelernt.

Die Entdeckung der Grünen Soße

Alina Bronsky wurde 1978 in Jekaterinburg geboren. Dort dauert der oft bitterkalte Winter mindestens ein halbes Jahr, so dass man ihre innige Neigung zu warmen Mahlzeiten oder Vitamin-Speichern wie schwarzen Johannisbeeren oder Walderdbeeren (ihr zufolge viel schmackhafter als Gartenerdbeeren) ebenso versteht wie das kalte Grausen vor Eiswürfeln. Solche Prägungen verschwinden nicht so leicht. Allerdings hat sie sich in der hessischen Provinz bereitwillig integriert und so etwa auch die rund um Frankfurt übliche „Grüne Soße“ für sich entdeckt, die schon Goethe gemundet haben soll.

Nebenbei spendet Bronsky auch noch Rat für (angehende) Schriftsteller: Essen sei ein idealer Einstieg ins Erzählen, man solle es nur probieren. Folgt ein Exkurs über allfällige  kulinarische Themen in Literatur, Malerei und Kino. Auch geht es zwischendurch darum, was Kochen und Bekocht-Werden für zwischenmenschliche Beziehungen bedeuten. Die Erwägungen reichen bis hin zu diplomatischen Verhandlungen, die mit Mahlzeiten erfahrungsgemäß besser gedeihen.

Als Krönung eine „Napoleon-Torte“

Zu jedem Kapitel bietet Bronsky neben ihren Geschichten ein einschlägiges Rezept an, so dass nach der Lektüre beispielsweise folgende Speisen nach ihrer Art zubereitet werden können: Borschtsch, Schokoküsse (von einer gewissen Frau Müller z. B. mit Gummibärchen und Smarties vermengt, ein seltsam reizvolles Unding), Frikadellen, speziellen Kaffee, Quarkauflauf, Haferplätzchen und Früchtebrot. Hinzu kommen die bereits erwähnten Stullen, Johannisbeeren, Porridge und Grüne Soße. Krönung des Ganzen ist aber wohl die in Russland offenbar überaus beliebte „Napoleon-Torte“. Aber lesen und schmecken Sie selbst!

Alina Bronsky: „Essen“. Hanser Berlin, 112 Seiten, 20 Euro.

P. S.: Kleiner Hinweis ans Lektorat für etwaige weitere Auflagen, die dem Buch zu wünschen sind: Auf Seite 81, Zeile 9, muss es Märchen und nicht Mädchen heißen. Gern geschehen.

 

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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