Kühne Visionen der Intendantin Julia Wissert: Dortmunds Theater soll Maßstäbe setzen

Selbstbewusst: Dortmunds Schauspielchefin Julia Wissert. (Foto: China Hopson)

Donnerwetter! Die (immer noch) neue Dortmunder Schauspielchefin Julia Wissert hat mit dem Theater jede Menge vor. Zum live gestreamten Gespräch eingeladen hatten die Theater- und Konzertfreunde Dortmund. Deren Vorsitzender Ulrich Wantia stellte die an sich schon kühne Frage, was Frau Wissert mit ihrem Team bis zum Jahr 2025 verwirklicht haben wolle.

Die Antwort fiel mindestens ebenso kühn aus: Nichts weniger als eine Komplett-Sanierung des Hauses schwebt Julia Wissert vor. Als erstes und bis dahin einziges Theater in Deutschland solle Dortmund den Standard für alle künftigen Bühnenbauten setzen. Es solle alle denkbaren Bühnenformen in sich vereinen und sich auch zur Straße hin öffnen können. Gewiss, für diese Vision müsse die Stadt dann auch schon etwas mehr Geld in die Hand nehmen. Und was soll auf den Bühnen zu sehen sein? Nun, eine Hybrid-Mischung aus Eigenproduktionen und hochkarätigen Gastspielen „aus aller Welt“.

Mehr noch: Bis (spätestens?) 2025 wolle man ein Netzwerk mit den Schulen gebildet haben, das sich längst nicht in bloßen Aufführungsbesuchen erschöpfe, sondern mit den Produktionen direkt in die Schulen gehen werde. Das Theater müsse in jeder Hinsicht (baulich, inhaltlich und überhaupt) komplett barrierefrei werden, bisher seien zumal die architektonischen Verhältnisse „katastrophal“. Die Spartengrenzen zwischen Oper, Schauspiel, Ballett sowie Kinder- und Jugendtheater sollen unterdessen vielfach überschritten werden. Überdies würden die Städtischen Bühnen auch als menschenfreundlicher Arbeitsplatz im Ranking ganz oben stehen. Noch etwas vergessen? Ach ja, ein klimafreundliches „Null-Emissions-Theater“ soll’s bitteschön auch werden.

Nach mancherlei Videokonferenzen haben just in diesen Tagen die wirklichen Proben wieder begonnen – unter erschwerten Hygiene-Bedingungen. Nichts bleibt, wie es war: Die Sicherheits-Abstände werden sozusagen bei allen Projekten notgedrungen mitinszeniert. In Corona-Zeiten sind sie am abermals vom Lockdown gebeutelten Haus zwangsläufig dabei, neue digitale Formate zu entwickeln. Die Online-Übertragung von Aufführungen reiche bei weitem nicht aus, so Julia Wissert. Es müsse eine ganz neue „digitale Dramaturgie“ entstehen. Sollten die rigiden Corona-Beschränkungen sich hierbei gar als Chance für neue Formate erweisen? Wenn gleichzeitig im Dortmunder Hafenviertel die Digitale Theater-Akademie entsteht, könnten es in der Tat spannend und zukunftsweisend werden. Doch seien wir vorsichtig mit Vorschusslorbeeren. Um einen berühmten Dortmunder Fußballer-Spruch abzuwandeln: Entscheidend is‘ auf den Brettern.

Julia Wissert, die auch ansatzweise verriet, wie ihre Bewerbung um den Dortmunder Posten verlaufen sei (zum Vorstellungsgespräch „erstmals im Leben einen Anzug getragen“ – und dann stürzte vor der Konzept-Präsentation ihr Computer ab), war – sozusagen von Amts wegen – des Lobes voll für die Stadt ihres Wirkens. Extrem positiv überrascht habe Dortmund sie mit der unglaublichen Offenheit der Menschen. Vorher hat sie u. a. auch am Bochumer Schauspiel gearbeitet. Zwischen Bochum und Dortmund, so Wissert, lägen Welten, Dortmund sei ungleich größer, kosmopolitischer, weltläufiger – „ein wahnsinniger Unterschied“. Da hüstelt selbst der Lokalpatriot leicht verlegen.

Ihr Dortmunder Lieblingsort ist übrigens der Botanische Garten Rombergpark („sensationell“), der im nächsten Jahr 200 Jahre alt wird – ein Jubiläum, zu dem auch die Theater- und Konzertfreunde beitragen möchten.

Und die nähere Zukunft? Für „spätestens Anfang April“ erhofft sich die Intendantin wieder echte Premieren vor leibhaftig anwesenden Zuschauern. Etliche Produktionen sind in der Pipeline, die dann „in dichter Abfolge“ aufgeführt werden sollen – fast schon eine Art Festival, das die Vielseitigkeit des neuen Dortmunder Ensembles zeigen werde.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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