Manchmal bleibt auch Gsella nur die Wut – Neue Gedichte von einem, der nicht bloß Spaß-Lyriker sein kann

„Menschen und Dinge“, „Tiere und Viren“, „Orte und Zeiten“. So heißen die drei Hauptkapitel in Thomas Gsellas neuem Gedichtband „Ich zahl’s euch reim“. In diese Rubriken passt nun wirklich alles reim, äh: rein.

Den allumfassenden Kategorien zum Trotz: Gsella ergeht sich hier vielfach in schnellen Gelegenheits-Gedichten, auch Corona-Fährnisse kommen in gehöriger, geradewegs impftauglicher Dosis vor – ebenso Leute wie Joe Biden, Laschet, Baerbock, Scholz, Lindner, „Verkehrtminister“ Scheuer oder eben auch dieser kluge Herr in etwas gewagten Zeilen:

Von dem Süden übern Westen
Übern Norden bis zum Osten
Weltweit virologt am besten
Unser Virologe Drosten.

Außerdem lesen wir allerlei Stophen über mehr oder weniger aktuelle Phänomene wie Instagram, Influencer, Podcasts, E-Roller, Lastenrad und Dschungelcamp. Dicht(ung) am Puls der Zeit, hehe!

Bei manchen rasch umgesetzten Einfällen könnten Lesende auf die verwegene Idee kommen, man müsse doch nicht jede Zeitungsnotiz gleich besingen wollen, sonst ertrinke man in kurzatmiger Gegenwart. Der eine oder andere Vers hat, obwohl noch gar nicht so alt, seit der Niederschrift schon ein klein wenig Patina angesetzt. Doch obwohl beileibe nicht alles perfekt gelungen ist (bei wem wäre dies auch der Fall?), so setzt der findige Thomas Gsella doch immer wieder trefflich lakonische Pointen, so schöpft er doch immer wieder frappierend passgenaue Reime.

Geradezu rührend beispielsweise die (wahrscheinlich allen Schülerinnen und Schülern geläufige) Umkehrungs-Phantasie, dass wenigstens an einem Tag im Jahr die Lernenden den Lehrenden Zensuren geben dürfen. Schlussstrophe:

So ist der Tag für Lehrer schwer,
Zwar lacht die Sommerpause,
Doch manche Lehrer weinen sehr
Und trau’n sich nicht nach Hause.

Großartig das Spülmaschinengedicht, das die Gleichförmigkeit eines Lebens anhand der immer wiederkehrenden Füllungen und Leerungen so recht anschaulich macht. Sodann die beherzte Beschimpfung der allgegenwärtigen „Mittelschicht“ – auch nicht verkehrt! Der Hohn auf die Deutsche Bahn – hat ebenfalls was… Also, es reicht für etliches Lesevergnügen.

Hie und da scheint Gsella hingegen bei den jeweils allerletzten Versen keine rechte Abrundungslust mehr gehabt zu haben und hat, offenkundig genervt, schnoddrige Schlüsse verfertigt, die schon fast rituellen „Na, dann eben nicht“-Charakter haben. Es mag aber sein, dass sie bei Live-Lesungen besonders gut ankommen. Der Urheber wird’s wissen.

In welche Richtung driftet das alles generell? Nun, Gsella (Jahrgang 1958) ist und bleibt ein aufrechter Linker, nicht vom identitätspolitischen, sondern vom dezidiert antikapitalistischen Zuschnitt mit Enteignungs-Sympathien, wie es sich für einen Nachgeborenen der „Generation Dutschke“ ziemt. Vom Gendern scheint er jedoch nicht rundweg begeistert zu sein, auch macht er sich in „Wer darf mich übersetzen?“ lustig über lachhafte personelle Einschränkungen: „Denn ich bin cis und hetero / und deutsch und alt und dick und so, / Da passt kein Jungtransdäne; auch keine dünne Kasköppin, Nix lesbische Chineserin, Kein Bipolarrumäne…“ Gsella führt auf seine Weise vor, wie jederlei Identitätsgedusel in Diskriminierung und Rassismus umschlagen kann. Richtig so.

Am Tonfall vieler seiner Gedichte kann man ermessen, wie gewisse Einflusslinien verlaufen sind. Eine gute Portion Brecht dürfte dabei sein, manchmal auch ein paar Prisen Tucholsky; vor allem aber Robert Gernhardt, mit dem Gsella als Chefredakteur des Satireblatts „Titanic“ zusammengearbeitet hat und der gleichfalls allzeit beim Gereimten geblieben ist. Wahrlich keine schlechte Ahnenreihe. Wie bitte? Die Studienräte fragen, ob Gsella sich wohl auch handwerkliche Gedanken um Jambus, Trochäus und Daktylus mache? Man möcht’s beschwören, sonst käme nicht einiges so wunderbar rhythmisch schaukelnd daher. Nein, nicht schunkelnd.

Und wo bleibt der Revier-Aspekt? Na, hier: Wohltuend finde ich es als Dortmunder, dass der gebürtige Essener Gsella der BVB-Legende Lothar Emmerich in Reimform spezielle Klasse bescheinigt und an anderer Stelle diesen erzvernünftigen Toast ausbringt: „Trinken wir (auf Dortmunds Mittelfeld)“. Wird gemacht. Überhaupt weiß er ein zünftiges „Prost!“ lyrisch ebenso zu schätzen wie gepflegtes Nichtstun, was ihn freilich nicht am fleißigen Reimeschmieden hindert.

Hin und wieder zeigt sich diesmal deutlich bis drastisch: Gsella mag Sprachspäße lieben wie eh und je, aber er kann in diesen Zeiten kein reiner Spaß-Lyriker bleiben. Manchmal ist das schiere Gegenteil der Fall, vor allem, wenn er das weltweite Flüchtlingselend in harschen und wütenden Worten fassbar zu machen sucht. So beginnt Gedicht „Camp Moria, zum Beispiel“:

„Das sind keine Kinder, wenn Kinder verderben
Lebendigen Leibes. Sie lachen nie.
Sie weinen, sie frieren. Gift nehmen sie.
Sie essen Waschmittel, um endlich zu sterben.“

Da hilft kein Gelächter mehr, da reicht keine gewöhnliche oder ungewöhnliche Satire aus. Auch angesichts von Typen wie Trump, Bolsonaro und den Brexiteers versagt und versiegt zuweilen die Wortspiel-Lust.

Und noch eins: Täuschen wir uns, oder gibt es bei Gsella nun auch häufiger melancholische Untertöne, hervorgerufen vom fortschreitenden Lebensalter? Er wird uns doch wohl nicht zum überwiegend ernsthaften Dichter werden wollen? Deren gibt es schon ein paar.

Thomas Gsella: „Ich zahl’s euch reim“. Neue politische Gedichte. Verlag Antje Kunstmann. 234 Seiten, 18 Euro.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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