Von Bernd Berke
Berlin. Sekunden, nachdem Wahlkommissionsleiter Josef Reding (Dortmund) verkündet hatte, daß Hans-Peter Bleuel erneut zum Vorsitzenden des Verbandes Deutscher Schriftsteiler (VS) gewählt sei, stürmte am frühen Samstagabend Berlins VS-Vorsitzender Hans Christoph Buch ans Mikrofon: „Meine Berufsehre als Schriftsteiler erlaubt es mir nicht, noch länger Mitglied in diesem Verband zu bleiben!“
Ihm auf dem Fuße folgten Hans Christian Kirsch, Vorsitzender des Landesbezirks Rheinland-Pfalz, der sein Amt zur Verfügung stellte, und Karin Struck, die in äußerster Verbitterung ihren Austritt aus dem VS erwog. Beginn einer von vielen befürchteten neuen Austrittswelle? Der Anfang vom Ende des VS?
Am gestrigen Schlußtag des Kongresses blieben alle Berliner Delegierten einschließlich Bleuels unterlegener Gegenkandidatin Anna Jonas, der Versammlung fern. Schlechter Stil, wahrlich.
Die Berliner „Rebellen“ und ihre Anhänger (im nichtstimmberechtigten Autoren-Publikum weitaus zahlreicher vertreten als unter den Delegierten) konnten die redlich, aber blaß wirkende Anna Jonas nicht gegen Bleuels stramme Fraktion durchsetzen. Nicht einmal mehr den sprichwörtlichen Fuß haben die Opponenten in der Vorstandstür, denn Ex-DDR-Autor Erich Loest lehnte es strikt ab, dem Gremium ein weiteres Mal unter Bleuels Vorsitz anzugehören.
Neben den Stellvertretern Max von der Grün und Jochen Kelter gehören dem neuen Vorstand als Beisitzer an: Gert von Paczensky, Lenelotte von Bodmer, Wolf Peter Schnetz und Angela Hoffmann – eher ein Funktionärs- als ein AutorenVorstand, sagen die Kritiker.
Bleuel wankte, aber er fiel nicht. Der Mann, dem niemand routinierte Könnerschaft in gewerkschaftlicher Kleinarbeit bestreiten kann, der aber besonders in Fragen des Ost-West-Verhältnisses nicht immer instinktsicher handelte und mit seinem bisherigen Vorstand nicht zurechtkam, saß alle Angriffe gegen seine Amtsführung aus. Auf seine Gefolgschaft, besonders aus Bayern, konnte er sich einmal mehr verlassen.
Literarischer Verein oder Gewerkschaft?
Einig waren sich wohl alle Kongreßteilnehmer in der Bestürzung über das Niveu der vorangegangenen Auseinandersetzungeii. Martin Walsers Worte von der „fraktionierten Lächerlichkeit“, von den Fraktionen, die offenbar die Phantasie völlig verdrängt hätten, bezogen sich auf die von zahlreichen Tiefschlägen begleiteten Debatten (Bleuel wurde gar Organisations-Stalinismus vorgeworfen). Auch Max von der Grün befand: Das Niveau einer Sitzung in seinem Dortmunder Vorort-Verein sei höher als das dieses Schriftsteller-Kongresses.
Zwei panische Versuche, Bleuel in letzter Minute doch noch einen literarisch hochrenommierten Integrationskandidaten entgegenzusetzen, scheiterten kläglich. Martin Walser, als Notkandidat gegen drohende Spaltungstendenzen „aus dem Hut gezaubert“, hatte zu diesem Zeitpunkt (kurz nach seiner besagten Rede) den Kongreß bereits mit unbekanntem Ziel verlassen. Und: Trotz des tosenden Beifalls, der sie zum Podium begleitete und sie wohl zu einer Kandidatur bewegen sollte, mochte sich Ingeborg Drewitz, 1984 von der Fraktion um Bleuel und Bemt Engelmann ausgebootet, nicht noch einmal derart düpieren lassen. Schließlich fand Angela Hoffmanns Versuch, eine Art „Frauenliste“ zu präsentieren („Mindestens 50 Prozent Frauen in den Vorstand!“) bei den 46 Delegierten keine Mehrheit.
Karin Struck, die neben Ingeborg Drewitz und Anna Jonas auf dieser Frauenliste hätte stehen sollen, hatte zuvor noch einmal ein Hauptthema des Kongresses zur Sprache gebracht: die nach ihrer Ansicht unter literarisch-ästhetischen Gesichtspunkten gänzlich unterbelichtete Zusammensetzung der Verbandsspitze. Sie, Karin Struck, habe nichts gegen Sachbuchautoren, aber: „Die Poesie ist das Herz der Literatur. Darum muß einPoet an die Spitze.“ Die bisher praktizierte Art von politischem Schulterschluß zerstöre jedoch jede Poesie und treibe alle sensiblen Autoren aus dem Verband. Dem hielt Bernt Engelmann entgegen: „Wir sind kein literarischer Verein, sondern eine Gewerkschaft!“
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Kommentar
Schriftstellerverband vor Austrittswelle
Schwerer Schaden
Der Verband Deutscher Schriftsteller (VS), gegründet 1969, ist „im Jahre 1 nach Böll“ in der größten Gefahr seit seinem Bestehen. Auf dem Berliner Schriftsteller-Kongreß waren weit und breit keine literarisch renommierten Kandidaten oder Kandidatinnen in Sicht, die die mühselige Kleinarbeit der längst fälligen Integration streitender Fraktionen auf sich nehmen wollten.
Unerbittlich wie nie zuvor stehen sie sich gegenüber: Hie Hans-Peter Bleuel, alter und neuer Bundesvorsifzender samt Gefolge, aus taktischen Erwägungen oft zu problematischen Kompromissen mit DDR-Sprachregelungen neirgend, dort die Sympathisanten des Berliner Landesbezirks, der – nicht zuletzt durch den Zustrom ehemaliger DDR-Autoren – in Menschenrechtsfragen sensibler geworden ist.
Da Baleuels Linie nunmehr für weitere drei Jahre das Feld überlassen bleibt, ist eine weitere Austrittswelle zu befürchten, die der Verband nicht ohne schweren Schaden verkraften wird.
In der angestrebten Medien-Gewerkschaft wird das Gewicht der rund 2400 VS-Autoren nicht nur nach ihrer relativ geringen Zahl, sondern vielleicht noch mehr nach bekannten Namen bemessen werden. Das Austritts-Alphabet reicht aber jetzt schon von Achternbusch bis Zwerenz. Und es ist noch keineswegs ausgemacht, ob Günter Grass, der wegen einer Auslandsreise dem Kongreß fernblieb, noch im VS bleiben wird. Wenn aber die Interessenvertretung der Autoren dermaßen geschwächt, ja gespalten wird, so kann-dies niemandem gleichgültig sein, , dem an der literarischen Kultur dieses Landes liegt.
Bernd Berke
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Max von der Grün: Ärger mit der Frau
(bke) Max von der Grün, bekannter Dortmunder Schriftsteller, wurde am Wochenende in Berlin zum stellvertretenden Bundesvorsitzenden des Verbands Deutscher Schriftsteller (VS) gewählt (siehe auch Bericht auf Seite Kultur).
Von der Grün, der auf Drängen des NRW-Landesbezirks überraschend kandidierte und der einzige prominente Autor im neuen VS-Bundesvorstand ist, gestern in Berlin zur WR: „Jetzt werd‘ ich sicher Ärger mit meiner Frau bekommen, denn das Amt kostet sehr viel Zeit.“
Der Autor, der im Mai 60 Jahre alt wird, war von Kollegen gar gebeten worden, für den Bundesvorsitz zu kandidieren, was er jedoch ablehnte. Von der Grün: „Wenn ich in dieser Eigenschaft bei einem Ministerium hätte vorsprechen müssen, hätte ich eine Allergie bekommen.“ Von der Grün präsidierte gestern erstmals dem Bundeskongreß und hatte dabei noch kleine Probleme mit komplizierten Satzungs- und Geschäftsordnungsverfahren. Schon vor seiner Wahl hatte er allerdings gesagt: „Ich bin auch in meinem jetzigen Alter noch lernfähig.“