Wechselbäder zwischen Revolte und Schunkellied – Lokalrevue „Oh, du mein Wuppertal“ uraufgeführt

Von Bernd Berke

Wuppertal. „Oh, du mein Wuppertal“ heißt die Revue. „Ach, du meine Güte!“, könnte man antworten. Denn schier alles, was nicht niet- und nagelfest war, wurde für diese (andernorts kaum nachspielbare) Uraufführung im Wuppertaler Schauspielhaus gleichsam „eingemeindet“. Stellenweise wuchs sich das zu einem monströsen Panoptikum der Beliebigkeit aus.

Worauf herauf? Sollte es eine Polit-Revue sein – mit jenen Texten von Ernesto Cardenal (dessen Bücher in einem Wuppertaler Verlag erscheinen) und Heinrich Böll (der 1966 die Eröffnungsrede im Wuppertaler Schauspielhaus hielt)? Oder ein Abend mit karnevalsreifen „Vertällches“, dargeboten vom Orts-Original Hans „Ötte“ Geib? Oder gar doch ein poetischer Abend mit Lyrik der Wuppertalerin Else Lasker-Schüler? Oder eine trunkene Liebeserklärung an Stadt und Region mit dem „Bergischen Heimatlied“ und Songs à la „Mädel, fahr mit mir Schwebebahn“? Ja, das alles, auf Ehr‘, das gab es – und noch mehr.

Sicher: In einer Revue mag es drunter und drüber gehen. Aber irgend ein lenkender Sinn und Fingerspitzengefühl sollten doch erkennbar sein. Cardenals Revolutionsgedichte, ein Punk-Ballett („Schade, daß Beton nicht brennt“) – und dann ein Schunkellied zum Mitsingen, das geht einfach nicht zusammen. Das sind mehrere Programme. So gemixt, wird das Ernste schnell harmlos, das Heitere infam.

Die Textsammler Wolf Jürgen Brehm, Ulrich Greiff (auch Regie) und Lothar Schwab mochten, so scheint es, kein Archiv auslassen. Fleißig haben sie noch den letzten Winkel nach lokal Verwertbarem durchkämmt. Sicherlich habensie noch Funde in petto, die der Revue aufhelfen können. Es gab nämlich auch so schon durchaus gute Ansätze. Besonders vor der Pause ließen einige geschickt zusammengestellle Texte aufhorchen. Goethes Besuch in Elberfeld etwa (1774 beim Literaten Jung-Stilling) und des „Dichterfürsten“ vernichtende Kritik an pfäffischer Frömmeiei daselbst. Sodann der erhellende Bezug zu einem Brief von Friedrich Engels, der sich exakt demselben Thema widmete. Zuvor, auch dies eine Funken schlagende Zusammenfügung, Immermanns Notiz über Pferde, die seinen „Hamlet“ störten, sowie die Überleitung zu den heutigen Tierversuchen eines Chemieriesen am Ort.

Die Umsetzung: Schwierig, weil Ulrich Greiff so vieles, was auseinanderstrebte, Schlag auf Schlag auf die Bühne bringen mußte. Ein Wechselbad. Die Technik mußte sozusagen Himmel und Hölle in Bewegung setzen, Massenbilder (bühnenfüllend: Wuppertaler Jugend) wechselten abrupt mit intimen Szenen. Notdürftige Klammer war das Anfangs- und Schlußbild (Bühne: Rosemarie Krines) mit Showflitter auf Schwebebahnmasten. Sechs Profi-Schauspieler „vertrugen“ sich recht gut mit Tanzgruppe und Laiendarstellern Die Musik-Band gehörte zu den Pluspunkten.

Übrigens: Von einem aus Wuppertal stammenden Kanzlerkandidaten war auch die Rede. Der, niemand anders als der bibelfeste Johannes Rau, saß im Publikum und nahm vergnügt die (auf Bonn gemünzten) Ratschläge aus den Büchern „Salomo“ und „Jesus Sirach“ zur Kenntnis.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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