Kraftakt mit Trabi – Wuppertal stemmt Heiner Müllers „Germania Tod in Berlin“ im Schnelldurchgang

Von Bernd Berke

Wuppertal. Rekordverdächtige Wuppertaler Bühnen: Nach nur zwei Wochen Probenzeit hat man einen „Brocken“ wie Heiner Müllers rabiat-genialische Geschichtscollage „Germania Tod in Berlin“ auf die Bretter gebracht. Und man dürfte zu den ersten Theatern gehören, die einen leibhaftigen „Trabi“ szenisch einbeziehen.

Man kann sich das in etwa vorstellen: Die Theaterleute waren – wie wir alle – fasziniert von den unglaublichen Vorgängen in der DDR, sie wollten aber nicht allzu lange sprachlos bleiben, weil sie (wie das Programmheft verrät) Angst hatten, daß Wiedervereinigungs-Schwätzer nationalistischer Prägung nun wichtige Positionen (verbal) besetzen. Her also mit einem deutsch-deutsch deutbaren Stück; hurtig also in den Kostüm- und Requisitenfundus und schnell das Passende hervorgeholt: ein Stoffbär mit Zinnenkrönchen aus Papier? Als Symbol für Berlin geeignet! Ein Hakenkreuz-Emblem? -Kann doch, auf die Jacke des „Alten Fritz“ gepappt, für die furchtbare Kontinuität deutscher Geschichte stehen!

Jeder Vergleich mit Frank Patrick Steckels Bochumer Inszenierung vor Jahrsfrist wäre ungerecht. Steckels Bearbeitung war bis in die Feinheiten durchdacht, sie trieb aus Entsetzen Scherz und aus Scherz Entsetzen hervor. Dagegen bleibt Holk Freytags handstreichartige Einrichtung des Stückes noch ganz im Bann der November-Euphorie, sie läßt die blutvolle deutsche Historie zwischen Nibelungen-Sage und Zweistaatlichkeit in nur eineinhalb Stunden vornehmlich als Farce abrollen und kommt erst spät darüber hinaus, Müllers Text einige kabarettistische Lichtlein aufzusetzen.

Breitwandeffekt im Theaterfoyer

Gespielt wird im Foyer, mit Breitwandeffekt. Von überall her, auf Treppen und provisorischen Podesten, tauchen die Figuren auf. Manche Szenen werden da ganz verschenkt, weil sie schon räumlich zu sehr auseinanderdriften. Was, wiederum mit Zeitdruck erklärbar, am besten gelingt, sind Szenen mit flüchtigem Sketch-Charakter, so z. B. ein unverhoffter „Gorbi“-Auftritt oder die Darstellung der grotesk-kindischen Nibelungen-Schlagetots. Insgesamt aber gilt: Bei dieser Parforce-Tour ist der Zuschauer ohne vorherige Kenntnis des Stücks verloren. Die Widersprüchlichkeit der Vorlage, die zwisehen Stalinismus und Antistalinismus oszilliert und mal Klitterung, mal Vision ist, wird letztlich verfehlt. Gcsetzt, der Text wäre ein Steinbruch, so hat man nur einiges Geröll und Kiesel hervorgeholt.

Zur aktuellen deutsch-deutschen Lage tragen weder Stück noch Inszenierung überragende Erkenntnisse bei. Es sei denn, man wertet die Tatsache als wichtig, daß die Texte beider Nationalhymnen prima auf die Melodie der jeweils anderen passen, wie hier sangbar demonstriert wird.

Das junge Ensemble, wiederum die kurze Probenzeit in Rechnung gestellt, schlägt sich gleichwohl tapfer. Außerdem ist vielleicht gerade dies eine Inszenierung, die sich im Lauf der nächsten Wochen noch verändern und entwickeln kann. Nur: Die Zeit hätte man sich durchaus vorher nehmen dürfen. Das Theater muß nicht mit Zeitungen konkurrieren wollen, auch wenn ein gewisser Peter Zadek das einst gefordert hat. Riesenbeifall gab’s. Es war halt ein geneigtes Premierenpublikum.

image_pdfPDF öffnen / Open PDFimage_printDrucken / Print
Visited 4 times, 1 visit(s) today

Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
Dieser Beitrag wurde unter Allgemein abgelegt und mit , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.