Lübeck und die Hoffnung der Schriftsteller – vor dem ersten gesamtdeutschen VS-Kongreß

Von Bernd Berke

Wichtige Dinge stehen bevor, doch es droht Gefahr, daß sie mit Kleinmut erledigt werden: Heute beginnt in Lübeck-Travemünde der erste gesamtdeutsche Kongreß des Verbandes deutscher Schriftsteller (VS). Die Zeichen stehen auf Streit, vielleicht gibt es im Tagungshotel an der Ostsee gar einen ost-westdeutschen Sturm.

Konflikte sind vor allem um jene ostdeutschen Autoren zu erwarten, deren Vergangenheit in der Ex-DDR, um es ganz gelinde zu sagen, nicht astrein war und die nun in den VS aufgenommen werden wollen. Schon im Vorfeld hatte es einigen Hickhack gegeben. Der VS-Bundesvorstand hatte 23 OstAutoren brieflich aufgefordert, ihre Anträge aufMitgliedschaft zurückzustellen. Darüber setzte sich wiederum der Berliner Landesverband hinweg.

Umstrittenste Figur ist der ehemalige Vorsitzende des aufgelösten DDR-Autorenverbands, Hermann Kant, der u. a. 1979 heftig am Ausschluß mißliebiger, der SED-Führung nicht genehmer Autoren mitwirkte. Er will an diesem Wochenende Lübeck meiden, denn er vermutet nicht ganz zu unrecht, daß er dann Gegenstand eines persönlichen Tribunals sein werde – auf Kosten von Sachthemen. Deren gibt es wahrlich auch genug. Nicht zuletzt wird sich der VS um die desolate Situation ehedem leidlich „versorgter“ DDR-Autoren kümmern müssen.

Schließlich darf man eines nicht vergessen: Auch die westdeutschen Autoren im VS, der zur IG Medien gehört, haben vielfach Anlaß, Vergangenheitsbewältigung zu betreiben. Wie oft haben sie zu unerträglichen Vorgängen in der ehemaligen DDR geschwiegen oder nur gewundene Erklärungen abgegeben?

Eines von Hermann Kants damaligen „Opfern“, Stefan Heym, soll in Lübeck den Eröffnungsvortrag halten. Heute trauert Heym der DDR nach. Wie wird seine Bestandsaufnahme aussehen? Sein Kommen und ein Referat zugesagt hat auch Bundesinnenmimster Wolfgang Schäuble. Schon vorab allen Respekt für seine Teilnahme. Wann hat sich zuletzt ein Politiker dieser Ranghöhe bei Schriftsteller-Tagungen blicken lassen?

Das Treffen steht übrigens unter einem Leitmotto, das man dem Gedicht „Der Gang aufs Land“ von Friedrich Hölderlin entnommen hat und das den Willen zu ehrlicher Aussprache signalisiert: „Komm ins Offene, Freund“. – Bei Hölderlin, der zunächst Düsternis malt („… fast will / es mir scheinen, es sei, als in der bleiernen Zeit“), lesen wir weiter: Wenn nur „erst unsere Zunge gelöst“ sei, keime Hoffnung. An dieser Stelle wird der Bezug zwiespältig: Zu fürchten steht ja, daß, wenn in Lübeck sich manche Zungen lösen, die Hoffnung eher zerschellen könnte.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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