Von Bernd Berke
Recklinghausen. Die Herrschenden „mit der Zunge zu durchbohren“, sei Sache der Vaganten. So heißt es an zentraler Stelle der neuen Ruhrfestspiel-Produktion „Vaganten Leben“ (Regie: Bernd Köhler) über die fahrenden Spielleute. Gar so bohrend ist es denn aber doch nicht geworden.
Im ..Malersaal“ des „Depots“, vergleichbar einer Kneipe, bestellt man noch Getränke, da setzt unvermittelt an drei Tischen anschwellendes Gemurmel ein. Es sind schon die ersten drei von 15 Texten dieses Programms. Weil sie gleichzeitig und also durcheinander gesprochen werden, versteht – je nach Lage des Sitzplatzes – jeder Besucher etwas anderes. Stichworte beschädigten Lebens fallen – von Arbeitslosigkeit, Krankheit, Ausbeutung, Erniedrigung ist da die Rede.
Die Worte verweben sich vage, als erlausche man sie an Nebentischen im Lokal, zu einer Ahnung von biographischen Katastrophen. Dergestalt, das macht der folgende, schon auf der kleinen Bühne gesprochene Text von Dario Fo klar, sind die Verhältnisse, die die Vaganten überhaupt erst auf die Straße treiben. Keine Romantik also, sondern härteste Realität.
Es handelt sich hier nicht um die (gemeinhin als „Vaganten“ bezeichneten) Theologieschüler des 11. bis 13. Jahrhunderts, die mit Texten und Liedern voller Lebens- und Liebeslust sowie drastischer Kirchenkritik durch die Lande zogen. Schade, denn es gibt z. B. vom „Archipoeta“ („Erzpoet“) neue Übersetzungen, die so frech und frisch klingen, als wären sie erst in den Revolten unseres Jahrhunderts entstanden.
In Recklinghausen widmet man sich den mehr oder weniger legitimen Nachfolgern des „Archipoeta“. Natürlich sind Lieder von François Villon dabei – keine Entdeckung mehr. Den größten Teil des Programms, das Texte aus den Jahren zwischen 1447 und 1982 (!) versammelt, nimmt Dario Fo ein. Gleich zweimal gar vernimmt man aus seiner Feder stammende Witzeleien über Päpste, als sei im Vatikan noch immer die ärgste Form von Herrschaft beheimatet.
Neben einigen anonymen Texten, etwa dem märchenhaften „Der größte Räuber im Lande“, erklingt auch das altvertraute „Nur nicht aus Liebe weinen“, ein Fremdkörper in diesem Zusammenhang.
Umgesetzt wird das vom Darsteller-Trio (Ursel Schmilz, Nedim Hazar und Heinz Kloss) als Unterhaltung, die nur hier und da bissig wird. Anstöße, blitzartig Erhellendes oder Überraschendes sind Mangelware.
Übrigens: Die intensiven Vorstudien im real existierenden Penner- und Strichermilieu, die einen Darsteller (die WR berichtete) sogar kurz in Polizeigewahrsam brachten, wären für diese Produktion nicht nötig gewesen. So wörtlich muß man Naturalismus nicht verstehen.