Drama der Hündischkeit

Der jüdische Varieté-Star Adam Stein erhält im Berlin der 30er Jahre von den Nazis Berufsverbot. Sie deportieren ihn und seine Familie in ein Vernichtungslager. Grausame Fügung: Lagerleiter ist dort jener Kommandant Klein, den Adam Stein einst im Varieté mit verblüffenden Taschenspielertricks vor dem Selbstmord bewahrt hat. Klein musste damals unwillkürlich lachen – und seine Verzweiflung war verflogen.

Jetzt sieht sich dieser grüblerische SS-Mann (feingeistig maskierte Dämonie: Willem Dafoe) zu einer Gegenleistung verpflichtet, allerdings auf ungemein perverse Art: Adam Stein soll ihn – als menschlicher „Hund” – mit Apportier-Kunststückchen vom tristen Lagerleben ablenken. Woche um Woche, Monat um Monat. Dafür darf er weiter leben; doch nicht seine Familie. Stein sieht nicht nur, wie Frau und Tochter mit Tausenden anderen zu den Verbrennungsöfen getrieben werden, sondern wird auch noch genötigt, zum Abmarsch eine muntere Begleitmusik auf der Geige zu spielen. So ist er schuldlos „schuldig” geworden. Daran zerbräche jede Menschenseele.

Paul Schraders deutsch-israelische Koproduktion „Ein Leben für ein Leben“ geht zurück auf Yoram Kaniuks 1969 in Israel erschienenen Roman „Adam Hundesohn“ (deutsch erst 1989), der das nachwirkende KZ-Trauma auch mit Mitteln des schwarzen Humors aufgriff. In Israel ist das Buch bis heute umstritten, es gilt aber gleichwohl als moderner Klassiker.

Jeff Goldblum verkörpert diesen Adam Stein mit Haut und Haaren – in einem wahrhaft waghalsigen, manisch-depressiven Balanceakt zwischen Wahn und abgründigem Witz, Eleganz und Melancholie, Kapriolen und Depressionen.

Der Film besteht zum Teil aus düsteren Schwarzweiß-Rückblicken (bis in die „Goldenen Zwanziger” Berlins). Der spätere Hauptschauplatz aber liegt in der flirrenden israelischen Wüste. Am Beginn der der 1960er Jahre hat sich dort (in der Fiktion) ein Institut angesiedelt, in dem Holocaust-Überlebende psychiatrisch behandelt werden. In einem grotesken Panoptikum werden dort Bruckstücke schrecklicher Schicksale sichtbar. Beispiel: Ein Mann spielt mit der elektrischen Spielzeug-Eisenbahn zwanghaft die Deportation nach.

Adam Stein hat in diesem Institut Zuflucht gefunden, ja er ist gar so etwas wie eine messianische Hoffnung der anderen Insassen geworden. Er ist ein Stigmatisierter, der gleichsam auf Zuruf (wie einst im Variete´) sein Blut aus allen Öffnungen fließen lassen kann und somit Auferstehungs-Sehnsüchte weckt. Mit anderen Worten: eine literarische, mit allerlei Symbollast befrachtete Figur. Wie denn überhaupt dieser redliche Film das Übersinnliche und Religiöse trotz aller skeptischen Anwandlungen aufruft. Ganz ohne Glaubenskräfte geht es hier nicht.

Symbolschwer auch der finale Handlungsstrang. Stein, der einst als „Hund” leben musste, findet in einem Nebenraum der Anstalt einen kleinen Jungen eingesperrt, der dort sprachlos und zähnefletschend wie ein Hund vegetiert. Adam Stein nimmt sich seiner an, denn er ahnt: Wenn dieser Junge sich aufzurichten vermag, kann vielleicht auch er selbst sein inneres Drama der einstigen Hündischkeit bewältigen.

All das gerät zum schmerzlichen, doch schließlich glückhaften Lehrstück über das Ringen zwischen zerstörerischen und heilsamen Kräften. Am Ende beschwört der Film einen Zustand herauf, in dem das Wünschen noch geholfen hat.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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