Knochenarbeit im Bergwerk des Humors – Vor 100 Jahren wurde Heinz Erhardt geboren

Er muss ein geradezu besessener Arbeiter im Bergwerk des Humors gewesen sein. Er selbst und seine Familie haben unter seiner nie versiegenden Schaffenswut gelitten. Doch kaum betrat der rundliche Kerl die Bühne, so war er eine Seele von Mensch – und vor allem: ein Schelm! Heute vor 100 Jahren wurde der Komiker Heinz Erhardt geboren.

Eine deutsche Ahnenreihe der Hochkomik sähe in den Grundzügen wohl ungefähr so aus: Wilhelm Busch, Christian Morgenstern, Joachim Ringelnatz, Heinz Erhardt, Loriot, Robert Gernhardt, F. K. Waechter, Otto Waalkes, Hape Kerkeling, Helge Schneider. Mögen da auch ein paar Bindeglieder fehlen (bitte wunschgemäß freihändig einsetzen), so gehören doch die Genannten hinzu. Heinz Erhardt steht dabei als singulärer Humor-Produzent für die 50er und frühen 60er Jahre, er war der Komiker des „Wirtschaftwunders“.

Erhardt kam am 20. Februar 1909 in der heutigen lettischen Hauptstadt Riga zur Welt. Sein Vater war Kapellmeister, der Großvater (bei dem er aufwuchs) ein achtbarer Klavierspieler. Heinz Erhardts Jugendtraum, Konzertpianist zu werden, erfüllte sich allerdings nicht. Erst 1994 kamen aus dem Nachlass einige seiner Kompositionen in klassischer Manier auf CD heraus.

1932 stand er erstmals in einem Lustspiel auf der Bühne des Deutschen Schauspiels in Riga. Entscheidender Schritt: 1938 wurde er ans Berliner Kabarett der Komiker geholt. Den Weltkrieg überstand er als schon recht prominenter Spaßmacher in der Truppenbetreuung, was ihn vor dem Dienst an der Waffe bewahrte.

Neubeginn in der Trümmerzeit: 1946 knüpfte Erhardt Kontakte zum NWDR in Hamburg, wo er Unterhaltungsprogramme wie „So was Dummes“ moderierte. Auch stand er in Komödien auf diversen Hamburger Bühnen. Seine Alleinunterhalter-Qualitäten sprachen sich schnell herum, so dass er bald erste Tourneen unternahm.

Durchaus auf der Basis traditionell überlieferter Verskunst und sprachlich manchmal höchst raffiniert, trieb Erhardt seine vorwiegend wortspielerisch grundierten Scherze. Das 1963 erschienene Buch mit dem Titel „Noch’n Gedicht“ wurde zum Verkaufsschlager. Es enthielt auch Erhardts wohlbekannte Zeilen über „Die Made“: „Hinter eines Baumes Rinde / saß die Made mit dem Kinde. / Sie ist Witwe, denn der Gatte, / den sie hatte, fiel vom Blatte …“ Und so weiter. Sein Erscheinungsbild war das eines allzeit netten, manchmal leicht verwirrten Onkels mit treuherzigem Mondgesicht. Er gab sich bewusst tollpatschig und gehemmt. So einen Menschen mochte man einfach gern, weil er so gar keine Bedrohung darstellte.

Vor allem im Kino (erste Hauptrolle 1957 als Marmeladenfabrikant in „Der müde Theodor“) hat er etlichen Klamauk mitgemacht und dabei zuweilen sein Talent unter Wert verschleudert. Möglicher Grund: Wie es heißt, war er ein Paniker, was seine finanzielle Situation anging. Auch sein Lampenfieber war legendär. Er soll es auch mit dem einen oder anderen Schnaps bekämpft haben.

1971 erlitt der bis dahin so rastlose Erhardt einen Schlaganfall und musste fortan deutlich kürzer treten. Er starb in der Nacht zum 5. Juni 1979. Etwa um 1983 kam es zu einer überraschenden Renaissance. Gerade Jüngere fanden plötzlich Gefallen an alten Erhardt-Filmen, die nun in den Programmkinos liefen. Und heute führt er ein beinahe schon gespenstisches Nachleben in Internet-Portalen wie „YouTube“, wo man viele Szenen mit ihm aufrufen kann. Was dort so flüchtig wirken mag, ist in Wahrheit unvergänglich.

______________________________________________________

Infos

  • Filme (Auswahl): „Witwer mit fünf Töchtern“ (1957), „Immer die Radfahrer“ (58), „Natürlich die Autofahrer“ (59), „Der letzte Fußgänger“ (60), „Drei Mann in einem Boot“ (61), „Unser Willi ist der Beste“ (71).
  • Internet-Seite: http://www.heinzerhardt.de (betrieben von Heinz Erhardts Erben). Dort Hinweise auf viele Bücher, CDs und DVDs.

(Der Beitrag stand am 20. Februar 2009 in ähnlicher Form in der „Westfälischen Rundschau“)

image_pdfPDF öffnen / Open PDFimage_printDrucken / Print
Visited 13 times, 1 visit(s) today

Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
Dieser Beitrag wurde unter Kleinkunst & Comedy, Lebenswege, Scherz, Satire, Ironie abgelegt und mit verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.