Das Flackern der Vergänglichkeit: Lichtkunst-Ausstellung „BRIGHT!“ in Unna

Es wird heller im Zentrum für Internationale Lichtkunst in Unna: 2015 hieß dort eine Wechselausstellung „DARK !“ und soll tatsächlich ziemlich finster umflort gewesen sein, jetzt steuert man mit „BRIGHT !“ als Haus der Lichtkunst standesgemäß aufs Gegenteil zu. Die Regler werden gleichsam hochgedreht. Und doch auch wieder nicht. Denn zugleich geht es um die Vergänglichkeit gewisser Lichtquellen. Nanu? Immer diese Widersprüche in der Kunst.

Eine mögliche Ansicht von vielen: Björn Dahlems Licht-Installation "Milky Way". (Foto: Bernd Berke)

Eine mögliche Ansicht von vielen: Björn Dahlems Licht-Installation „Milky Way“. (Foto: Bernd Berke)

Denken wir an die konventionellen Glühbirnen, die wir nicht mehr kaufen dürfen. Denken wir an Neon- und sonstige Leuchtstoff-Röhren. Alles im Rückzug begriffen, während LEDs sich auf breitester Front durchsetzen. Und damit schwindet auch so manche Lichtkunst früherer Tage tendenziell dahin. Jetzt hat der aus den Niederlanden stammende Museumsdirektor John Jaspers in Unna sozusagen ein (vor)letztes Aufflackern der genannten Leuchtmittel arrangiert.

Eigenwert der Räumlichkeiten

Wie in Unna üblich, hat man Künstler gebeten, Licht-Installationen eigens für die vorwiegend unterirdisch gelegenen Räumlichkeiten der früheren Lindenbrauerei zu konzipieren und aufzubauen. Diese Räume haben es atmosphärisch in sich. Schon ohne beigegebene Kunst waltet hier eine geradezu idealtypische Hintergrund-Ästhetik des Schäbigen, Rohen und längst Verlassenen.

Zurück zur Wechselschau: Für den Auftakt über Tage, kurz hinterm Eingangsbereich, sorgt Volkhard Kempter allerdings mit einer älteren Arbeit, der Lichtskulptur „Blister“ („Blase“, 2006). 50 Leuchtstoffröhren stecken in einem kugelförmigen Alu-Gerüst von drei Metern Durchmesser. Das schwebende Gebilde wirkt durchaus filigran und spiegelt sich in den großflächigen Fenstern der einstigen Brauerei-Schwankhalle. Eine Erscheinung, die auf kosmische Formen anzuspielen scheint und offenbar jederzeit explodieren könnte. Oder sind das nur grundlose Befürchtungen?

Da können die Betrachter nervös werden

Sodann geht’s hinunter auf acht bis zwölf Meter Tiefe. Da begegnen einem abermals Arbeiten von Volkhard Kempter: „True Light Standard II“ (1998) besteht aus kreisförmig angeordneten Leuchtstoffröhren, die einander anstrahlen, freilich nicht ruhig und kontinuierlich, sondern mühselig flackernd im dauernden Wechsel zwischen Ein- und Ausschaltung.

Raumvermessung mit meditativen Qualitäten: Pedro Cabrita Reis' "Standing and Laying". (Foto: Bernd Berke)

Raumvermessung mit meditativen Qualitäten: Pedro Cabrita Reis‘ „Standing and Laying“. (Foto: Bernd Berke)

Nach einer halben Minute ist der „Spuk“ jeweils vorüber, man möchte auch kaum länger hinsehen. Nicht nur die maximal belasteten Leuchtkörper selbst scheinen Stress zu haben, die Nervosität überträgt sich vielleicht auch auf Betrachter.

Bei näherem Hinschauen ist Kempters Fortführung „True Lite 2017“ im repräsentativen Säulenkeller noch fordernder. Auch hier ein fortwährendes Auf- und Abblitzen, so dass man am liebsten nicht ins flirrende Sammel- und Abklingbecken des Lichts gucken mag. Trotz allen Aufbäumens und letzter, wenngleich wohl schon recht kraftloser Leucht-Anstrengung: schmerzliches Schwinden, quälende Vergänglichkeit.

Das Staunen über den künstlichen Kosmos

Zwischendurch wird es ruhiger, ja beinahe erhaben. Zu Björn Dahlems raumfüllender, weit ausgreifender Installation „Milky Way“ (Milchstraße, 2017) gehört wahrhaftig auch eine unscheinbare kleine Milchflasche (Finger weg und Vorsicht, das weiße Zeug darin ist gar keine Milch!). Dahlem befasst sich mit kosmischen Theorien und Phänomenen, seine Raumkonstruktion aus Leuchtstoffröhren könnte eine Art Sternensystem darstellen, das sich aus Chaos und Zufall speist.

Freilich geht es hier nicht um wissenschaftliche Erkenntnis, sondern um eine eher „naive“ Haltung des Staunens. Einen „Mond“ im Holzgerüst (aus Glühlampen und Spiegeln) hat Dahlem gleichfalls konstruiert. Und auch dabei ist die bloße Erscheinung, ist das möglichst pure Anschauen wichtiger als etwaiges Wissen.

Künstlerpaar Ursula Molitor und Vladimir Kuzmin vor ihrer Arbeit "Extension - model 1:1" - mit Museumsdirektor John Jaspers (links). (Foto: Bernd Berke)

Künstlerpaar Ursula Molitor und Vladimir Kuzmin vor ihrer Arbeit „Extension – model 1:1“ – mit Museumsdirektor John Jaspers (links). (Foto: Bernd Berke)

Meditative Momente mit Leuchtkörpern

Das Künstlerpaar Molitor & Kuzmin (Ursula Molitor, Vladimir Kuzmin) bespielt einen Raum mit einer an vorgestrige Raumfahrt gemahnenden, beinahe „Sputnik“-haften Lichtskulptur, die den Titel „Extension – model 1:1“ trägt. Viele Tage lang haben sie gebaut und programmiert – und es ist noch nicht fertig, sondern prinzipiell ein work in progress, auf Erweiterung angelegt, wie der Titel schon andeutet. Herumliegendes Werkzeug und Kabelgewirr signalisieren, dass die Künstler jederzeit zurückkehren und etwas hinzufügen oder auch wegnehmen könnten. Mag sein, dass dies auch geschehen wird.

Wenn die verschiedenen Weiß-Tönungen der Leuchtstoffröhren verlöschen, erklingt die Stimme eines Musikers, der auf Englisch über (seine) Kunst spricht. Dann wieder Verstummen und Licht. Dann wieder Verlöschen und Stimme. Und so fort. Wie eine stetige Folge von Ein- und Ausatmung. Das gewinnt eine meditative Qualität, die im nächstens Raum womöglich noch intensiviert wird: Der arrivierte portugiesische Künstler Pedro Cabrita Reis (documenta, Biennale usw.) definiert hier mit seiner Installation „Standing and Laying“ die Raummaße neu. Die einfach erscheinende, doch ausgeklügelte Licht-Zeichnung, ein auf den Kopf gestelltes „T“, schwebt knapp über dem Boden und scheint die Schwerkraft in Frage zu stellen.

„BRIGHT !“ Vom 25. November 2017 bis 8. April 2018 im Zentrum für Internationale Lichtkunst, Unna, Lindenplatz 1. Tel: 022303 / 10 37 51. Besichtigung von Wechsel- und Dauerausstellung (dort u.a. Werke von Mario Merz, Mischa Kuball, Rebecca Horn, Christian Boltanski und Olafur Eliasson) praktisch ausschließlich im Rahmen von Führungen, Einzelheiten dazu hier: https://www.lichtkunst-unna.de/de/besuch

Weitere Infos: www.lichtkunst-unna.de

Heute (am 25. November 2017) findet die 2. „Nacht der Lichtkunst“ unter dem Motto „Hellweg – ein Lichtweg“ statt, und zwar in folgenden Städten der Region: Ahlen, Bergkamen, Bönen, Fröndenberg, Hamm, Lippstadt, Lünen, Schwerte und Soest. Details zum vielfältigen Programm: www.hellweg-ein-lichtweg.de

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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