Wildwuchs der Schöpferkraft – Werkschau über Antonius Höckelmann in Hamm und Beckum

Von Bernd Berke

Hamm/Beckum. Hier herrscht selten Stillstand, sondern meist kreisende, voran stürmende oder auch abwärts strebende Bewegung. Im Kosmos des zweifachen documenta-Teilnehmers Antonius Höckelmann (1937-2000) geht es fast durchweg brodelnd dynamisch zu.

Selbst auf dem Bildnis eines Golfers scheinen die starken Farben in alle Richtungen zu spritzen – ganz so, als tobe sich m dieser doch eher gemächlichen Sportart eine Action ohnegleichen aus. Erst recht gilt der Befund für Höckelmanns aufgewühlte Turf-Bilder: Pferderennen als Ereignis aus purer Bewegungs-Energie. Und bei Betrachtung g des wüsten Farben-Gewoges auf einem Kneipen-Gemälde bekommt man fast einen „Drehwurm“ wie nach dem x-ten Glas Pils.

Grell lacht Judith über Holofernes

Eigentlich wollte das Hammer Gustav Lübcke Museum eine Ausstellung zum 65. Geburtstag Höckelmanns ausrichten. Vor zwei Jahren verstarb der Künstler mit 63, so dass man seiner nun posthum gedenkt. Der breite Überblick (mehrdeutiger Titel: „Passionen“, was Leiden und Leidenschaft bedeuten kann) umfasst nun rund 80 Bilder und Skulpturen und wird ergänzt um kleinere Arbeiten, die zeitgleich im Stadtmuseum Beckum zu sehen sind. Überdies zeigt Hamm Foto-Strecken von Benjamin Katz, der Höckelmann sogar auf dem Krankenbett ablichten durfte.

Vereinte westfälische Kräfte also. Grund: Höckelmann stammte aus der Region. 1937 in Oelde geboren, ging er 1957 zum Studium bei Karl Hartung, dem großen Plastiker der Informel-Ära, nach Berlin. Doch es gab noch einen früheren, für die avancierte Kunstszene untypischen Einfluss. Höckelmann hatte in Oelde einem „Hergottsschnitzer“ über die Schulter geschaut. Viele Jahre später finden sich thematische Spuren, etwa im nahezu „naiv“ angelegten Lindenholz-Relief „Sündenfall“ (1988/91) mit kanariengelber Paradiesschlange und einem über Adam und Eva grollenden, bärtigen Gottvater.

Doch auch das wilde Reitervolk der Skythen hat Höckelmann inspiriert, etwa zu archaisch anmutenden Skulpturen blutverschmierter Opferstätten. Es sind Objekte, die fremd in unsere vermeintlich rationalen Zeiten hinein ragen. Ähnliches gilt für verknotete Mischwesen, die gelegentlich monströse Zähne oder Zungen vorzeigen, für bizarre Stuhl-Gewächse oder die biblische, grell lachende Judith mit dem abgeschlagenen Kopf des Holofernes – hier vielleicht eine finale Szene aus den laufenden Geschlechterkämpfen.

Am Anfang war die schiere Schöpferkraft, die einzelnen Themen haben sich wohl erst sekundär daraus ergeben. Oft scheint es, als habe Höckelmann mit bloßen Händen in den Urgründen wilden Wachsens und Werdens gewühlt: Hier wurde etwas ungestüm begonnen, dort etwas (scheinbar unvollendet und regellos) liegen gelassen.

Gesamtkunstwerk für eine Kneipe

Der herkömmliche Werkbegriff trifft hier nicht zu. Manches scheint unfertig, doch ist es vollendet. Ein untrüglicher Instinkt hat dem Künstler eingeflüstert, wann der Form Genüge getan war. Vitalität und Lebensnähe gingen Höckelmann über alles. Lieber als in schicken Ateliers betätigte er sich in Hinterhöfen, lieber als im Museum hätte er im Metzgerladen ausgestellt.

Einmal hat er eine Kölner Kneipe mit seinen hängenden Plastiken ausgestattet. Das Gesamtkunstwerk blieb leider so nicht erhalten, ein neuer Pächter ließ es entfernen. Die Einzelteile liegen heute irgendwo verpackt. Wie gut sich diese und andere Arbeiten halten werden, steht noch dahin: Konservatoren haben wenig Erfahrung mit Materialien wie Styropor und Alufolie.

Gustav Lübcke Museum, Hamm (Neue Bahnhofstraße 9). 1. Dez. bis 9. März 2003. di-so 10-18 Uhr / Stadtmuseum Beckum (Markt 1) di-so 9.30-12.30, sa 15-17 Uhr. Katalog 14,90 Euro.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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