Gastautor Heinrich Peuckmann über einen Segel-Wettbewerb mit ungeahnter Folgewirkung:
Zufälle prägen unser Leben, manche davon sind schier unglaublich. 1960 überflog der Frankfurter Staatsanwalt Joachim Kügler die Sportberichte von den Olympischen Spielen in Rom. Im Flying Dutchman, las er, hatte der Hamburger Segler Rolf Mulka, zusammen mit Ingo von Bredow, die Bronzemedaille gewonnen.
Eine Medaille, die Erfolg und Enttäuschung zugleich war, denn 1956 und 57 war Mulka Weltmeister geworden und galt als Favorit auf die Goldmedaille. Kügler stutzte. Mulka, ein seltener Name, der ihm aber etwas sagte. Ob der Segler etwas mit jenem Robert Mulka zu tun hatte, den er suchte? Kügler recherchierte, und tatsächlich, sein Verdacht bestätigte sich. Der Medaillengewinner bei Olympia war der Sohn des Adjutanten von Rudolf Höß, der Lagerkommandant des Vernichtungslagers Auschwitz gewesen war.
Kurz nach dem Krieg war Robert Mulka in Hamburg verhaftet worden, nach gut einem Jahr aber als „entlastet“ wieder auf freien Fuß gesetzt worden. Danach hatte er seine alte Tätigkeit als Exportkaufmann wieder aufgenommen. Erst als Ende der fünfziger Jahre nach den Auschwitz-Verbrechern gesucht wurde, geriet auch Robert Mulka wieder ins Visier der Staatsanwaltschaft, es war aber nicht bekannt, wo er sich aufhielt.
Der Medaillengewinn seines Sohnes brachte Staatsanwalt Kügler auf die Spur. Wenige Monate nach Olympia wurde Robert Mulka verhaftet und saß im 1. großen Auschwitz-Prozess 1963 auf der Anklagebank. Der Schriftsteller Peter Weiß hat aus den Aussagen der Angeklagten und Zeugen das bedrückende Theaterstück „Die Ermittlung“ verfasst.
Bei Peter Weiß kann man nachlesen, wie Robert Mulka, der für die Beschaffung des Giftes Zyklon B und für den Transport der Gefangenen in die Gaskammern verantwortlich war, immer neue Ausreden erfand. Obwohl er im Apparat ganz oben stand, will er von der Massenvernichtung der Menschen nichts mitbekommen haben, wie all die anderen Angeklagten auch nicht. Zu 14 Jahren Zuchthaus wurde Robert Mulka verurteilt, überlebte einen Suizidversuch und wurde schon 1968 schwerkrank entlassen. Im Jahr darauf starb er.
Der 2012 gestorbene Sohn Rolf Mulka blieb Segler. Als zu einem großen Empfang der Stadt Hamburg auch die prominenten Sportler eingeladen wurden, fehlte sein Name auf der Einladungsliste. So etwas nennt man wohl Sippenhaft.