Wut auf die westliche Welt – Peter Handkes Serbien-Drama „Die Fahrt im Einbaum oder Das Stück zum Film vom Krieg“ in Düsseldorf

Von Bernd Berke

Düsseldorf. Wenn sie nicht mehr aus noch ein wissen, flüchten sich viele gern in die Medienschelte – so leider auch Peter Handke, der uns doch schon so überaus feinfühlige Texte beschert hat. Ihm missfiel es zutiefst, wie Presse und Fernsehen des Westens den Kosovo-Krieg geschildert haben. Vehement forderte er „Gerechtigkeit für Serbien“. Seinen bebenden Zorn hat er sich im Drama von der Seele geredet: „Die Fahrt im Einbaum oder Das Stück zum Film vom Krieg“ führt jetzt im Düsseldorfer Schauspiel flussab.

Irgendwo in Rest-Jugoslawien. Regisseur Klaus Emmerich (auch Bühnenbild) führt uns in eine schäbige Hotelhalle; eine Randzone, hinter der die mysteriöse, von allen politischen Tagesfragen ferne „Zwischenzeit“ beginnen soll, in dje Handke immerzu strebt.

Aufbruch in die Geschichtslosigkeit

Am Ende lässt der Autor einige Menschen im „Einbaum“ dorthin aufbrechen: ein neuer Gründungsmythos samt burschikoser Urmutter (Anke Hartwig). Ob’s den Serben hilft?

In die Hotelhalle, an diesen unwirklichen (Nicht)-Ort, geraten ein amerikanischer und ein spanischer Regisseur (Marcus Kiepe, Jörg Pose), um Darsteller für jenen Film zum Krieg auszusuchen. Ein „Ansager“ (Thomas Schendel) ruft die Kandidaten herein – allesamt Kriegsbetroffene. Es handelt sich also um ein „Casting“ und damit um „Theater im Theater“. Aber vor allem ist es ein wortlastiges Tribunal mit unerfindlichen Freisprüchen und ungeahnten Schuldigen.

Erstaunlich, wo Handke die Genese der Greueltaten an Zivilisten aufspürt: Da. tritt einer auf, der anderen anfangs nur hat helfen wollen, dies jedoch nicht vermochte und danach eben Amok lief. Ein anderer erklärt seine Morde damit, dass er die Gesichter der Nachbarn nicht mehr wahrgenommen hat und sie dann (als sozusagen anonyme Phantome) leichthin umbringen konnte. Schuld? Ach was! Die Gewalt beginnt also im Kopf, mit Bild-Verlust, wie denn auch ungut yorgeprägte Erzählweisen das Übel in der Welt zeugen. Hierin steckt Wahrheit, doch wehe, wenn man sie so anwendet wie Handke.

Tiraden gegen die „Fertigsatz-Pisser“

Vollends infam, so lässt der Autor seine Figuren in langen Tiraden darlegen, haben die westlichen Medien vom Kriege erzählt. In einer gottlosen Welt blicken nur ihre Satelliten vom Himmel herab, und alle Korrespondenten, diese „Fertigsatz-Pisser“, berichten den „Humanitäts-Hyänen“ daheim nur Lügen aus Serbien. Karl Kraus hat die Journaille einst geistreicher verunglimpft.

Zentralfigur ist ein vom Irrweg seiner Branche abgekommener Ex-Journalist, genannt der „Grieche“ (Andreas Ebert). Viele, viele Minuten lang, brüllend, nach Luft japsend, Schaum vor dem Mund und geradezu tollwütig, schleudert er uns die seherischen Erleuchtungen des Autors entgegen, der vor genau 33 Jahren mit seiner „Publikumsbeschimpfung“ erstes Aufsehen erregte. Will Regisseur Emmerich die Aussagen Handkes allzu dick unterstreichen oder sie heimtückisch denunzieren? Egal. Eine Zumutung ist’s allemal.

Handkes wütende Sprechmaschine rast rücksichtslos. Sicher: Gelegentlich holt sie unverhofft schöne Bilder hervor, Visionen von Sanftmut und Achtsamkeit. Doch im nächsten Moment stürzt sie wieder alles um. Und ein Lob des Beerensammelns im mörderischen Kontext hat ja auch etwas Treuherzig-Groteskes.

Nur noch diese „Endzeit-Horden“

In Düsseldorf hat man das Ganze auf die gerade noch erträgliche Länge von 2 Stunden (ohne Pause) gebracht, Claus Peymanns Wiener Uraufführung hatte 60 Minuten länger gedauert. Die Schauspieler, die sich auf Handkes Wortkaskaden einlassen, nötigen Respekt ab. Hier und da verfallen sie ins „Leiern“, doch sie entwinden dem Text immer mal wieder spannende Momente. Irgendwie gebannt hört man dem weltentrückten Furor zu.

Am Ende wollen die Regisseure ihren Film nicht mehr drehen, denn: Es gebe keine Gesellschaft mehr, nur noch „Endzeit-Horden“. Wahrscheinlich hocken die auch wieder in den Redaktionen…

Termine: 26. Okt, 12., 19. Nov. Karten: 0211/36 99 11.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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