Fast wie im Revier: Aus Luxemburgs Industriewüste blüht Kultur

Von Bernd Berke

Luxemburg. Man stellt sich Luxemburg wohl ein wenig wie das Sauerland vor: sanfte Hügel, viel Grün, idyllische Dörfchen. Doch das ist nur die eine Seite: Mancherorts sieht es in dem kleinen Land so aus wie im Ruhrgebiet – ähnliche Probleme Inbegriffen. Und auch diese Parallele gibts: Wie im Revier, so entdeckt man auch in Luxemburg beim Strukturwandel die Kultur als zukunftsträchtigen Sektor.

Im aktuellen Partnerland der Ruhrfestspiele hat das Theater lange ziemlich brach gelegen. Doch jüngst stieg endlich das staatliche Kulturbudget, so dass sich allmählich auch ein Nationaltheater etablieren kann. Direktor Frank Hoffmann, der häufig in Deutschland inszeniert, schwebt ein „Europäisches Theater“ multikulturellen ZuSchnitts vor. Mit derlei Visionen kommt er Hansgünther Heyme nahe, der ja die Ruhrfestspiele zum Europäischen Festival erweitert hat. Hoffmanns Inszenierung nach Kafkas Roman „Das Schloß“ wird in Recklinghausen gastieren.

Die vorgesehene Nationaltheater-Spielstätte freilich, eine frühere Schmiede, muss noch umgebaut und mit einer Heizung versehen werden. Bei einer winterlichen Diskussionsrunde mit luxemburgischen Theaterschaffenden (die z. B. aus Frankreich, Finnland und Ostdeutschland stammen), froren hier alle Beteiligten. Doch innerlich erwärmten sie sich an günstigen Perspektiven. Die prestigeträchtige Zusammenarbeit mit den Ruhrfestspielen kommt als Impuls gerade recht.

Höchste Zeit, dass Luxemburg ein paar Francs mehr für die Künste aufbringt. Zu verdanken ist dies auch der Kulturministerin Erna Hennicot-Schoepges, von Haus aus Pianistin. Das insgesamt schwerreiche Großherzogtum, in dessen gemächlich wirkender Hauptstadt (nur 78.000 Einwohner) zahllose Bankpaläste und EU-Behörden strotzen, leistet sich übrigens Schulneubauten, von deren Palast-Charakter man in Deutschland nicht einmal zu träumen wagt.

Das gerade erwachende Luxemburger Theaterleben zeichnet sich durch zwei Be-sonderheiten aus: Es gibt keine festen Ensembles, man findet sich jeweils für bestimmte Produktionen zusammen. Zudem ist das Land (rund 400 000 Einwohner / Ausländeranteil 37 Prozent) dreisprachig. Manche Truppen spielen auf Deutsch, andere auf Französisch, wieder andere reden Letzeburgisch (eine dem Moselfränkischen verwandte Mundart). Da dürfte die Zielgruppen-Findung nicht leicht sein.

In der industriell geprägten Stadt Esch-sur-Alzette fühlt man sich an Dortmund-Hörde und das Areal des einstigen Hoesch-Werks Phoenix erinnert. Ein vom Arbed-Konzern geschlossenes Stahlwerk rostet bei Esch (Belval) majestätisch vor sich hin, ein paar Hochöfen wurden bereits nach China verkauft. Nun erfolgt – mit Hilfe von Arbed und einiger Ruhrgebiets-Firmen – der Umbau der ganzen Gegend. Dabei spielt auch Kultur eine Rolle.

Eine gigantische, 160 Meter lange Gebläsehalle auf dem filmreifen Gelände soll Schauplatz der Goldoni-Inszenierung des Ruhrfestspielchefs Hansgünther Heyme werden, die ab 13. Mai nach Recklinghausen kommt (Zeche Blumenthal/Haard). Selbst der phantasiereiche Theatermann hatte Mühe, sich das Stück „Der Diener zweier Herren“ in diesem rohen Ambiente vorzustellen. Bis zur Premiere am 1. April gibt’s noch viel zu tun, doch Heyme gefällt der wildwüchsige Ort mitsamt den „Spuren harter Arbeit“. Bisher beherrschen noch viele Füchse das Gebiet, die sich hier ihren Bezirk erobert haben – inmitten der maroden Stahl-Kolosse.

Nicht weit entfernt liegt jener vormalige, für 9 Mio. DM sanierte vormalige Schlachthof, in dem ein gleichfalls im Revier bekannter Mann sein Theaterglück sucht: Steve Karier, unter Leander Haußmann Schauspieler in Bochum, leitet die 1998 eröffnete „Kulturfabrik“, die sich (bemerkenswerte Quote) zu über 50 Prozent aus ihren Einnahmen trägt.

Das Einzugsgebiet reicht bis Lüttich, Saarbrücken und Trier. Mit jährlichen Subventionen von jetzt 750 000 DM entsteht hier ein ehrgeiziges Programm zwischen Rockmusik und Theater. Willy de Ville gastierte hier ebenso wie der ruhmreiche Regisseur Luc Bondy mit Becketts „Godot“. Der moderne Klassiker war die Ausnahme. Karier: „Sonst spielen wir kaum Stücke, die mehr als zehn Jahre alt sind. Neues Kultur-Leben blüht aus den Industrie-Ruinen…

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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