„Verunglückte Spaziergänge“ und mehr von der Video-Künstlerin Katharina Wibmer im Marler „Glaskasten“

Von Bernd Berke

Marl. Betritt man die Ausstellungsräume im Untergeschoß des Marler Skulpturenmuseums „Glaskasten“, so findet man nahezu völlig leere Flächen vor. Auf der Fensterbank steht ein im Baumarkt gekaufter Gartenzwerg in bunter Reihe mit Hase, Frosch und Huhn – Kitsch aus Keramik. Ansonsten stapeln sich hie und da ein paar Videorecorder und Bildschirme. Öde und langweilig? Abwarten.

Denn wenn die Bildschirme erst einmal zu flimmern beginnen, kommt gespenstisches Leben in die Räume: Katharina Wibmer (31) aus Gräfelfing stellt hier aus. Im Vorjahr hat sie den 7. Marler Video-Kunstpreis bekommen, und es ist gute Tradition, daß der (ansonsten undotierten) Auszeichnung eine Würdigung im ZDF-Kulturmagazin „Aspekte“ und eine Einzel-Präsentation im „Glaskasten“ folgen.

Im aus Ziegeln gemauerten Halbrund befinden sich fünf TV-Geräte, an der Stirnwand hängt ein, großer Projektionsschirm. Mitten in dieser Installation sitzend, macht der Besucher Bekanntschaft mit einer verstörenden Fremdheit.

Denn Katharina Wibmer zeigt hier sechs Szenen-Abläufe, in denen sie sich – optisch stark verzerrt – durch eine verfremdete Natur bewegt. Hier erscheint der im Gras absurd auf der Stelle tretende Fuß klumpig-riesengroß, daneben das mit dem Fischaugen-Objektiv aufgenommene, ganz verlegen und verloren wirkende Gesicht oder der ins Monströse angeschwollene Hals. Momente eines gleichermaßen faszinierenden wie erschreckenden Körperteil-Theaters, das vom Unbehagen angesichts des Da-Seins in der verbliebenen Natur zu handeln scheint.

Künstlerin tritt in Distanz zu sich selbst

Die Künstlerin spricht von einer Ansammlung „verunglückter Spaziergänge“. Sie tritt bei solchen Arbeiten in Distanz zu sich selbst, nennt sich als Kunst-Figur „Franzi“ und behandelt sich wie eine Art Puppe oder Marionette. Signale der Entfremdung.

Einige Meter weiter stehen drei Bildschirme nebeneinander. Nun beginnt ein ruckhaftes Erscheinen und Verschwinden der Bilder – ähnlich wie bei jenen Orangen, Zitronen und Erdbeeren in den Sichtfenstern „einarmiger Banditen“. Hier sind es allerdings keine Früchte, sondern das Gesicht der Künstlerin, eine Pistole und eine Narrentröte. Es kommt zu abstrusen (Un-)Gleichzeitigkeiten, Begegnungen und Abstoßungen. Alles wird gerüttelt und geschüttelt. Dazu ertönen knarzende Geräusche. Der ratternde Automatismus wirkt zwischendurch wie Slapstick, man lacht unwillkürlich. Und doch ist auch hier die maschinenhafte Fremdheit und Fremdbestimmung des Körpers unterschwelliges Thema.

Niedliche Natur ist nicht mehr möglich

In weiteren Installationen hetzen diverse Spielzeuge irrwitzig über eine Batterie von Monitoren – oder man kann im „Weltmobil“ selbst mit vielfachem Überschalltempo über einen Bildschirm-Globus sausen. Trotz rasanter Tempi ist für diese auf den ersten Blick unscheinbare Ausstellung Zeit und Muße nötig. Damit die geheimen Strukturen der Arbeiten halbwegs erkennbar werden, muß man erst (anregende) Seh-Arbeit leisten.

Standfotos dokumentieren weitere, in Marl nicht vorgeführte Videoarbeiten. Und der eingangs erwähnte Gartenzwerg in Tierbegleitung? Nun, der flankiert die Arbeit mit den Natur-Spaziergängen und steht wohl für eine naive Niedlichkeit der Naturaneignung, die eigentlich längst nicht mehr möglich ist.

Marl, Skulpturenmuseum „Glaskasten“, Creiler Platz (am Zentrum „Marler Stern“ / Rathaus). Bis 24. August. Di-So 10-18 Uhr. Statt eines Kataloges gibt es für 25 DM eine Videokassette mit Arbeiten der Künstlerin, dazu ein Info-Beiheft.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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