Warnung vor der „gelben Gefahr“ – Roman zur Übernahme Hongkongs durch China: „Kowloon Tong“ von Paul Theroux

Von Bernd Berke

Ab heute gehört die brodelnde Finanzmetropole Hongkong zur kommunistischen Volksrepublik China. Das historische Ereignis zwischen Bangen und Hoffen erschöpft sich nicht nur in Tagesnachrichten. Auch der Roman zum „Chinese takeaway“ liegt auf deutsch vor: „Kowloon Tong“ von Paul Theroux.

Theroux ist nicht irgendwer. Sein Buch „Mosquito Coast“ wurde 1986 von Peter Weir erfolgreich verfilmt, die Hauptrolle spielte Harrison Ford. Der Amerikaner Theroux, immer für einen Bestseller gut, zählt zu den großen Fernreisenden unter den Schriftstellern – ähnlich wie Cees Nooteboom oder der so früh verstorbene Bruce Chatwin. Auch in Hongkong kennt der weitläufige Mann sich bestens aus. Und so läßt er denn auch immer wieder Detailwissen über örtliche Gepflogenheiten einfließen, vorzugsweise über den Umgang mit Sex, Essen und Alkohol.

Wo der Geist der Kolonialzeit weht

In Hongkongs Viertel Kowloon Tong (etwa: „Teich der neun Drachen“) lebt Neville Mullard, genannt Bunt. Der ; inzwischen 43jährige ist als Sohn britischer Eltern in Hongkong aufgewachsen und hat soeben die traditionsreiche Textilfirma geerbt, die sein Vater mit einem nach Hongkong geflohenen Chinesen aufgebaut hatte. „Imperial Stitching“ heißt die Fabrik, die vor allem Aufnäher für Clubjacken und Livreen herstellt –very british. Der kolonialistische Geist ist hier noch rege.

Doch die Vorzeichen der Übernahme sind deutlich: Etliche Leute fahren über die Grenze und kaufen Immobilien in China, von dort wiederum strömen Heerscharen von Huren nach Hongkong, und viele Menschen besorgen sich anderwärts den Zweitpaß, um die Stadt jederzeit verlassen zu können. „Und man konnte nichts tun. Es war wie ein Tiefdruckgebiet, das Hongkong demnächst überziehen sollte“, heißt es einmal.

Herr Hung ist nur am Anfang höflich

Bunt, der jede Veränderung im Leben haßt, wohnt noch bei seiner königstreuen Mutter Betty, fährt den alten Rover, lauscht noch dem uralten britischen Radiogerät. Wie ein Uhrwerk absolviert er die Aufsicht über die Fabrik – und frequentiert verstohlen diverse Bordelle. Eines Tages aber wird alles anders. Da wird er mit einem Chinesen namens Hung konfrontiert. Der bietet ihm an, die florierende Fabrik zu kaufen. Bunt lehnt empört ab.

Hung läßt bald die höfliche Maske fallen. Es stellt sich heraus, daß er ein hohes Tier beim rotchinesischen Militär ist und schon mal das Terrain in Hongkong arrondiert. Die Fabrikfläche wird für eine Kaserne gebraucht. Hung kreist Bunt ein, indem er dessen Priyatleben ausspioniert. Bald hat er auch herausgefunden, daß Bunt sich eine Stickerin seiner Fabrik als heimliche Geliebte hält. Der Druck wird immer stärker, gewaltsamer.

Eine Welt der Dominanz-Verhältnisse

Theroux schildert eine Welt der Dominanz-Verhältnisse: Die Mutter herrscht über den Sohn, der gebietet via Geldbeutel über die Huren, während China sich allmählich Hongkong untertan macht. Sexuelle Obsessionen und Politik verschmelzen bedrohlich.

Der Autor plustert allerdings jenen Hung mit allen Mitteln zum überlebensgroßen Haß-Popanz auf und gibt sich überhaupt der Angst vor der „gelben Gefahr“ bedenklich bruchlos hin: „Für die Chinesen war die Welt ein einziger Spucknapf. – „Ganz China war eine Geheimgesellschaft“. – „.. .alle waren sich einig, daß China ein einziger Alptraum war“. Solche Sätze häufen sich vor allem im Schlußteil. Woran man sieht, daß weite Reisen nicht unbedingt zur Völkerverständigung führen, sondern manchmal die Abneigungen erst recht verfestigen.

Paul Theroux: „Kowloon Tong“. Roman. Aus dem Amerikanischen von Erica Ruetz. Hoffmann und Campe. 254 Seiten. 38 DM.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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