Für „Jason Dark“ ist morgens Geisterstunde – Besuch bei Deutschlands meistgelesenem Autor: Helmut Rellergerd

Von Bernd Berke

Raten Sie mal: Wer ist der meistgelesene deutsche Autor? Siegfried Lenz? Kalt. Johannes Mario Simmel? Schon näher dran. Heinz G. Konsalik? Naja. lauwarm. Also gut: Es ist Helmut Rellergerd. Nie gehört. stimmt’s?

Kein Wunder. Der Mann schreibt unter dem Pseudonym Jason Dark. Seit nunmehr 20 Jahren bringt er allwöchentlich seinen „Geister jäger John Sinclair“ in Heftromanen und Taschenbüchern unters Volk. Staunenswerte Statistik: Heftnummer 800 der Gruselreihe wurde kürzlich überschritten. Die Wochenauflage beträgt derzeit rund 800000, die Gesamtauflage 165 Millionen. Und Rellergerds Jahresbilanz ’93 sieht so aus: 57 Heftchen à 64 Seiten hat er verfaßt, dazu zehn Taschenbücher. Damit hat er ein halbes Jahr Vorsprung vor der aktuellen Titelproduktion. Er könnte unbesorgt in Urlaub gehen. Doch „Sinclair“ läßt ihn nicht los.

Anregungen aus Opern und von Shakespeare

„Ich hab jede Zeile selbst geschrieben“, betont Rellergerd. Für seinen Geisterjäger braucht er keine Geisterschreiber. Und auch keinen Computer; er tippt immer noch auf einer alten „Mechanischen“. Aber er wird doch wohl wenigstens nachts arbelten, stilecht zur Geisterstunde? „Quatsch. Immer vormittags.“

Der vor 48 Jahren in Dahle (bei Altena) geborene Autor wuchs m Dortmund auf, lebte lange Jahre dort. Im Brotberuf Lektor beim Bastei/Lübbe-Verlag in Bergisch-Gladbach, wo auch seine Hefte erscheinen, fühlt er sich heute noch als Westfale. Eigentlich wollte er mal bei Hoesch arbeiten. Doch dann kam die Bundeswehr-Zeit – und er fing an, Krimis zu schreiben.

Woher nimmt Rellergerd seine Ideen? Für eine Heftserie, die man landläufig als trivial bezeichnen würde, nennt er edle Inspirations-Quellen: „Vor allem gehe ich gern in die Oper. Da gibt’s ganz schön viele Gruselszenen.“

Engel kommen jetzt in Mode

Aber auch von Shakespeare, vor allem aus „Fantasy“-Stücken wie dem „Sommernachtstraum“, sei etliches eingeflossen. Und aus der Bibel sowieso. Rellergerds Trend-Tip; „Engel sind schwer im Kommen.“

Einen Berg von 150 000 Leserzuschriften hat er erhalten, adressiert an Jason Dark. Manche schildern ihr ganzes verpfuschtes Leben erhoffen sich Rat und Hilfe – gelegentlich auch gegen „böse Geister“. Andere machen Themenvorschläge: „Bei uns im Dorf ist neulich etwas ganz Seltsames passiert…“ Auch da hat er manchmal zugegriffen. Un als er mal in Linda de Mols RTL-Show „Kollegen, Kollegen“ aufgetreten war, ließ er bald den Roman „Die Hexe von Hilversum“ vom Stapel. Die Hexe hieß, nur unwesentlich verfremdet, Linda ver Mol. Ein Themen Jäger darf nicht allzu wählerisch sein.

Der Held wendet sich mit Grausen ab

Held „Sinclair“ ist Angestellter bei Scotland Yard. Aus gutem Grund: „Es gibt der Sache einen seriösen Anstrich.“ Denn schließlich hat ihn die Bundesprüfstelle „auf dem Kieker“. Starken Horror-Tobak würde sie nicht dulden. Doch noch nie ist der Geisterjäger auf dem Index gelandet. Denn: „Wenn Sinclair etwas Furchtbares sieht, wendet er sich mit Grausen ab. Der Rest bleibt der Phantasie des Lesers überlassen.“ Oder der Leserin. Rund 40 Prozent der Konsumenten sind weiblich. Die mögen den sanfteren Schrecken. Rellergerd: „Man liest mich sogar im Nonnenkloster.“

Von den über 800 Heften, in denen Rellergerd seinen Helden durch alle Welt gehetzt hat, spielten immerhin drei in Dortmund – zwischen Fernsehturm und Hauptfriedhof. Seit 1989 dürfen die Gespenster auch schon mal in Leipzig oder Dresden spuken. Schließlich gibt’s im Osten viele Leser.

Am Anfang waren die Blondchen

Rellergerd arbeitet natürlich nach Schema. Wie auch anders, bei dem Ausstoß? „Ich habe fünf bis sechs Grundmuster, die ich immer wieder neu mische und mit anderen Themen fülle.“ In den to 20 Jahren sei jedoch nicht alles beim alten geblichen. Frauenfiguren gäben sich schon mal etwas emanzipierter. Rellergerd: „Am Anfang waren es ja nur dumme Blondchen.“ Auch habe der Held jetzt häufiger schwache Momente und begehe Fehler.

Und Umweltthemen seien wichtiger geworden. Motto: „Die Erde schlägt zurück.“ Allemal ein Gruselstoff, der sich ins Esoterische ausphantasieren lässt. Per Wiedergeburt und dergleichen Brimborium bricht der alterslose Held auch schon mal in andere Epochen auf. Das eröffnet neue Themenfelder.

Rellergerd ist „froh, daß mich kaum jemand auf der Straße erkennt.“ Auflage machen und trotzdem anonym bleiben, das gefällt ihm. Doch manchmal fuchst es ihn, in der trivialen Ecke zu stehen. Als er hörte, ein Lehrer habe seiner Klasse die Sinclair-Lektüre verboten, gab er einen Band mit klassischen GruselStories heraus – von Goethe, Schiller & Co. Wenn die das geahnt hätten…

 

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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