Normal für alle Ewigkeit – Die Holzskulpturen des Stephan Balkenhol in Wuppertal

Von Bernd Berke

Wuppertal. Wie unhöflich! Gleich die erste Skulptur dreht einem beim Betreten des Museums den Rücken zu. Man muß erst um den „Großen klassischen Mann“ herumgehen, um sein hölzernes Gesicht zu sehen. Doch er blickt keineswegs zurück, sondern schaut in unbestimmte Fernen – und legt dabei den linken Arm so geziert hinter den Kopf, als habe er die Geste bei einer antiken Plastik abgeschaut, sie aber nicht so ganz ernst nehmen können.

Ansonsten sieht die Figur ganz und gar durchschnittlich aus. Braune Hose, weißes Hemd, keine besonderen Kennzeichen. Sozusagen ein „Stino“, also ein Stinknormaler. Nun schweift der Blick zur gleichfalls frappierend gewöhnlichen „Großen Frau mit grüner Hose“, die – entschieden weggerückt vom männlichen Pendant – auf ihrer eigenen Holz-Insel wartet. Auch sie starrt ins Leere und kreuzt die Arme vor der Brust, in altägyptischer Manier. Ein banaler Augenblick, festgehalten wie für die Ewigkeit. Bildnis einer bewegungslosen Zeit und somit vielleicht gar die ideale Kunst zur Ära Helmut Kohl?

Schon endlos lange und für immer scheinen diese Figuren so dazustehen. Sie schauen in doppeltem Sinne „unverwandt“, will heißen: ohne Unterlaß und beziehungslos. Es sind keine Individuen, sondern anonyme, unaufgeregte, ja unangreifbar wirkende Gestalten. Eine Überhöhung alltäglicher Momente? Schmerzlich verfestigte Gesten der Verlegenheit und Entfremdung gar? Von beidem wohl ein wenig. Und gewiß eine vage, aber nachhaltige Irritation. Ohne Pathos, ohne Belehrung.

Splitter und Späne sind noch sichtbar

Stephan Balkenhol, dessen neuere Arbeiten jetzt in Wuppertal zu sehen sind, kann sich mit derlei Skulpturen vor Anfragen kaum retten. Oft produziert er die Nacht durch, gleichsam „just in time“, also zeitlich punktgenau nach Bestellung. Sieht man die Wuppertaler Auswahl, kann man die Interessenten gut verstehen.

Im zweiten Raum vollzieht sich ein stilles Ereignis. Wiederum jeweils aus einem ganzen Holzklotz hervorgetrieben, sind hier „Zehn tanzende Paare“ (1996) kaum bestimmbaren Alters in ihren gemessenen Bewegungen eingefroren. Die Herren allesamt in schwarzen Hosen und weißen Hemden, die Damen in züchtigen Kleidchen eines Standard-Zuschnitts. Von daher erzkonventionell und auch keinem bestimmten Jahrzehnt zuzuordnen. Doch überhaupt nicht geschönt. Denn die bemalten Holzfiguren sind an der Oberfläche roh und rissig, hie und da krümmen sich noch Splitter und Späne.

Es ist auch Kunst zum Schmunzeln

Balkenhols Serie „Architekturskizzen“ nimmt auf groteske Weise architektonisch Maß an der menschlichen Gestalt. Die Vorzeichnungen wirken karikierend, die an den Wänden aufgereihten dreidimensionalen Ausführungen auf kleinen Holzpodesten vor allem in der Summe bizarr: ein immer wiederkehrendes kleines Mannsbild, paßgenau eingefügt in ein gebautes Viereck; oder von einer Säulenordnung eingezwängt wie in einen Schraubstock.

Ein anderer Herr wird von einer Hausform mit Satteldach flunderflach und rücklings auf den Fußboden gedrückt – nur Kopf, Hände und Füße schauen noch her aus, als zappelten sie hilflos. Das Haus ist sein fremdartiger Körper, sein Körper ein Haus. „Architekturmodell Mann“ heißt (mit leicht ironischem Unterton) diese Arbeit, die auch unsere Naturferne betreffen mag. Sollte sie dergleichen tiefschürfende Hintergründe haben, so ist s doch zunächst mal eine Schmunzel-Kunst.

Subtil und zugleich witzig geht Balkenhol auch sonst mit Figürlichkeit um: Man belächelt vier hölzerne Männerakte im Mini-Format, die große Wandtafeln mit gezeichneten Frauenakten zu bewundern scheinen. Und man freut sich über schwebende Holzreliefs von Männerkörpern oder drei pickende Hühner auf einem schraubenförmigen Sockel. All das sieht aus, als sei es auf etwas lachhafte Art fehl am Platze. Und doch möchte man mehr und mehr davon sehen.

Stephan Balkenhol. Kunsthalle Wuppertal-Barmen, Geschwister-Scholl-Platz. Bis zum 28. Juni. Geöffnet Di-So 10-17 Uhr. Katalog 28 DM.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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