Festspiel-Passagen VII: Salzburg – Mit der Zauberflöte ins Labyrinth

Mandy Fredrich (Königin der Nacht) und Julia Kleiter (Pamina) in der Salzburger "Zauberflöte". Foto: Monika Rittershaus

Mandy Fredrich (Königin der Nacht) und Julia Kleiter (Pamina) in der Salzburger "Zauberflöte". Foto: Monika Rittershaus

Der siebenfache Sonnenkreis ist eine Mischung aus Baustellenlampe und Hirnschrittmacher, mit einem Schlauch offenbar direkt mit Sarastros Hirn verbunden. Der Weisheitstempel besteht aus lauter Türen, mit kryptischen Buchstaben bezeichnet. Sarastro und die Königin der Nacht balgen sich am Ende um das technische Gerät, während die jungen Leute den Kinderwagen Papagenos und Papagenas hinterherlaufen. Familienidylle statt Weisheitslehre?

Jens-Daniel Herzog, der Dortmunder Operndirektor, hat sich mit der „Zauberflöte“ bei den Salzburger Festspielen vorgestellt – wie so viele andere ein Import aus des neuen Intendanten Alexander Pereiras Zürcher Zeit. Und seine Botschaft scheint zu sein: Leute, nehmt den ganzen Zauber nicht so wichtig. Das ist ein dürftiges Ergebnis.

Sicher lassen sich bei der „Zauberflöte“ die Tiefenschichten in Emanuel Schikaneders einzigartigem Libretto ausblenden, lässt sich das unterhaltsame Abenteuerstück aus der Wiener Vorstadt hervorkehren. Aber Herzog stellt sich – so jedenfalls in einem Interview im Programmbuch – auf die Seite Susan Sontags und ihre Ablehnung, in einem Kunstwerk einen „Subtext“ zu ergründen. Sontag propagiert die postmoderne Beschränkung auf die pure Sinnlichkeit und den Primat der individuellen Erfahrung, die sie in einer Interpretation eingeschränkt sieht.

Das Gegenteil ist jedoch der Fall. Bei einem so komplexen Kunstwerk wie der Oper ist der Verzicht auf eine schlüssig ausgearbeitete, pointierte Deutung gleichzusetzen mit dem Verharren an der Oberfläche. Das mag durchaus sinnenfroh und unterhaltsam sein, ermöglicht aber keine ästhetische Erfahrung, sondern verhindert sie. Der Verzicht auf einen Standort – den der Regisseur einnehmen muss – lässt den Zuschauer irgendwohin treiben statt ihn herauszufordern, die eigene Position zu suchen und einzunehmen.

Herzog ist natürlich viel zu klug, um die postmoderne Falle zuschnappen zu lassen, aber er konnte sich ihren Fangzähnen doch nicht ganz entwinden. Die Zauberflöte, die in seiner Inszenierung den Prinzen Tamino vor den wölfischen Ungeheuern rettet, war bei ihm zumindest verstimmt. Hätte er sich konsequenter auf die Gegensätze des Stücks eingelassen, hätte er die naive, aber zutiefst menschliche Welt des Papageno über das putzige Dreirad-Lieferwägelchen und die Vogelfedern hinaus geführt, wäre auch das Potenzial von Bühnenbildner Mathis Neidhardts Felsenreitschul-Imitation zu erschließen gewesen. Denn das Versteckspiel mit verschiebbaren Kästen nach Art eines Türen-Klapp-Boulevardkrimis brachte nicht viel.

Markus Werba (Papageno) schiebt sein Vogel-Mobil weg. Foto: Monika Rittershaus

Markus Werba (Papageno) schiebt sein Vogel-Mobil weg. Foto: Monika Rittershaus

Die Salzburger „Zauberflöte“ war nicht wegen Herzogs Inszenierung mit Spannung erwartet worden, sondern vor allem, weil sie Nikolaus Harnoncourt zum ersten Mal in Salzburg – in Zürich war er schon vor fünf Jahren – und zum ersten Mal mit seinem Orchester, dem „Concentus Musicus“ aufführte. Und weil er aus lebenslanger, vielleicht ein wenig altersmilder Erfahrung eine Gegenposition zu all den verhetzten „Original“-Zauberflöten formuliert. Wir hören den schlanken, dunkel grundierten Streicherklang nicht im mechanischen Tempo, sondern in einer fast schon manieristisch am Text-Metrum ausgerichteten Varianz. Wir hören seidige Bläser, die nicht mehr jäh, sondern fast schüchtern akzentuieren. Wir erleben, wie Harnoncourt zwar beweglich-flüssige Grundtempi anschlägt, dann aber verzögernd der Emotion Raum gibt, wie in „Schnelle Füße…“ oder in Paminas Arie „Ach ich fühl’s…“. Und wir erfahren, dass Sarastros Arien, längst keine wuchtig-pathetischen Bekenntnisse aus der Patriarchenwelt mehr, durchaus mit gemäßigter Würde vorzutragen sind. Irritierend ist, dass Harnoncourt kaum Wert auf den musikalischen Bogen legt. Er fordert nicht nur konsequentes Anti-Legato, sondern nimmt „Löcher“ in Kauf, deren Sinn sich nicht erschließt.

Wer von der Krise des Wagner-Gesangs redet, muss den Mozart-Gesang mit einschließen. Seit den traurigen Eindrücken aus dem Salzburger Mozart-Marathon 2006 hat sich da nicht viel geändert. Sicher, Georg Zeppenfeld als undramatisch-beherrschter Sarastro und die unangestrengt auf dem Atem singende Pamina Julia Kleiters wissen, wie es geht. Mandy Fredrich hat auch am Essener Aalto-Theater die „Königin der Nacht“ gesungen: Sie beherrscht die technischen Finessen der Partie, hat ein gut ausgebildetes Fundament für den Klang auch in der Höhe, aber keine charismatische Brillanz. Markus Werba, ein gewinnender Darsteller, darf sich als Papageno ruhig an seiner künftigen Frau, der bezaubernden Elisabeth Schwarz, ein Beispiel nehmen und die Stimme aus der Kehle nach vorne bewegen. Bernard Richter singt den Tamino hölzern und kann die Töne nicht binden. Die drei Damen bilden alles andere als ein Ensemble, speziell Sandra Trattnigg zernichtet als Erste Dame mit Trompetentönen den Gleichklang. Und gibt es in Salzburg für den Mohren – der hier nach neuester Quellenkritik „Manostatos“ heißt – keinen Buffo-Tenor mehr, der nicht nur haltlosen Sprechgesang bietet wie Rudolf Schasching?

Thomas Tatzl, der Papageno in Peter von Winters "Labyrinth". Foto: Hans Jörg Michel.

Thomas Tatzl, der Papageno in Peter von Winters "Labyrinth". Foto: Hans Jörg Michel.

Noch viel misslicher sind die sängerischen Eindrücke in der einzigen Oper, die bei den Salzburger Festspielen aus dem Repertoire herausfällt: Peter von Winters „Das Labyrinth“, nur sieben Jahre nach Mozarts Tod von Emanuel Schikaneder als „Der Zauberflöte zweyter Theil“ konzipiert. Wir finden das bekannte Personal aus Mozarts Oper wieder. Die Königin der Nacht hat sich mit König Tipheus und dessen Freund Sithos zwei Heerführer an ihre Seite geholt, die den Kampf mit dem spürbar militarisierten Sarastro endgültig entscheiden sollen. Papageno findet seine Eltern und mit ihnen jede Menge Geschwister, und Monostatos ist am lunaren Hof trefflich etabliert. Tamino und Pamina müssen neue Prüfungen ablegen: Nach Feuer und Wasser ist nun die Erde dran: ein unterirdisches Labyrinth gilt es zu durchschreiten. Nicht Hollywood, sondern Wien hat die Fortsetzung als Erfolgsprinzip entdeckt.

Ein angemessener Blick auf das Stück muss sich zuerst davon verabschieden, Konzeption und Musik der „Zauberflöte“ auf diese Fortsetzung zu übertragen. In den sieben Jahren seit ihrer Uraufführung haben sich Perspektiven und Interessen verschoben, gerade im rasch auf Zeitströmungen reagierenden populären Unterhaltungstheater. Im „Labyrinth“ tritt die Ideenwelt zurück, vielleicht, weil Mozarts Einfluss fehlt. Dafür triumphiert das Wunderbare, Effektvolle, Kolportagehafte.

In Salzburg bleibt dieser „zweyte Theil“, wie so manches Film-Sequel, glanzlos hinter dem Original zurück: Im Residenzhof singt die – früher mal in Dortmund und Bonn, jetzt an der Komischen Oper Berlin engagierte – Julia Novikova eine koloraturüberforderte, harttönig-dünne Königin, die viel gelobte Malin Hartelius eine Pamina ohne Höhe und Charme. Clemens Unterreiner und Philippe Sly bleiben als neu eingeführte Krieger Tipheus und Sithos zuverlässig blass.

Mandy Fredrich als Königin der Nacht und Klaus Kuttler als Monostatos. Foto: Hans Jörg Michel

Julia Novikova als Königin der Nacht und Klaus Kuttler als Monostatos. Foto: Hans Jörg Michel

Das mag auch der inspirationslosen Regie der in Dortmund geborenen und bis 2003 am Schauspielhaus Bochum inszenierenden Alexandra Liedtke geschuldet sein. Warum Salzburg für ein solches Werk keinen Platz für einen erfahrenen Opernregisseur hat, ließe sich wahrscheinlich nur durch einen Blick hinter unzugängliche Kulissen ergründen. Raimund Orfeo Voigts Bühne verwendet technisch aufwändige, verschiebbare Licht-Lamellen, erinnert in Reminiszenzen wie der Hanswurst-Bühne an die Tradition des Volkstheaters, mit dem Zitat von Schinkels Berliner Zauberflöten-Himmelsgewölbe an die Spuren des erhabenen Aufklärungstheaters. Doch Liedtke fällt nichts ein als schrecklich vorhersehbare Auftritte; vom Zauber- und Maschinentheater ebenso wenig eine Spur wie von einem Versuch, zu verstehen, wie Schikaneder den Stoff an den Geist einer neuen Epoche angepasst und was diese Wandlung für Zuschauer von heute bedeuten könnte.

Im lustlos knappen Beifall zeigt sich der Ärger über festspielunwürdige Besetzungen, über das beflissene, aber uninspirierte Spiel des Mozarteum-Orchesters unter Ivor Bolton und über eine konzeptlose, den Abend unerträglich dehnende Inszenierung. Wären da nicht einige wenige Sänger gewesen, auf deren Auftritt man sich gefreut hat wie Christof Fischesser als Sarastro oder Thomas Tatzl und Regula Mühlemann als Papageno und Papagena, wären da nicht die heiteren, die „ausschweifende Pracht“ der Uraufführung persiflierenden Kostüme von Susanne Bisovsky und Elisabeth Binder-Neururer gewesen, der gut dreistündige Abend wäre in Langweile versauert.

An Peter von Winter lag es nicht, wie manche Rezensenten vorschnell behaupteten, die immer noch glauben, was nicht im internationalen Repertoire steht, tauge nichts. Winters Bezeichnung „große heroisch-komische Oper“ deutet eine Entwicklung an: Die Musik gibt sich „romantischer“, weniger verspielt, aber auch weniger durchgearbeitet als Mozarts Vorbild. Wir schreiten voran in Richtung Cherubini, Spontini und Beethoven.

Peter von Winter auf einem zeitgenössischen Stich.

Peter von Winter auf einem zeitgenössischen Stich.

Winter liefert kein Plagiat oder eine Imitation. Zwar tauchen in der Ouvertüre die feierlichen Dreiklänge auf. Die Königin der Nacht noch effektvoller Koloraturen perlen lassen, Sarastro gefällt sich wieder in salbungsvollem Arioso. Die tragenden Zauber-Requisiten Glockenspiel und Flöte treffen wir erneut. Offenbar besonders beliebte Szenen werden wieder aufgenommen, wie die Tänzchen der vom Glöckchenklang verzückten Bösewichter. Doch es kündigen sich auch andere, pathetischere Töne an. Der Chor – der von Alois Glassner einstudierte Salzburger Bachchor – hat eine gewichtige Rolle. Der Krieg Sarastros mit König Tipheus und der nun eindeutig böse und rachsüchtig gezeichneten lunaren Herrscherin entspricht der politischen Lage – ein Jahr vorher stand Napoleon vor Wien – und wohl auch dem Hang der Zeit nach mehr „Action“ und weniger Weisheitslehren.

Und wenn ein Schleier auf dem Weg durchs Labyrinth die „Tugend“ der Pamina schützen muss, haben sich die Gewichte verschoben von Philosophie und Weltweisheit zur einer am Sexuellen orientierten Moral der neuen bürgerlichen Schichten, auf deren dunkler Seite die Versuchung für Papageno lauert: Für exotischen Sex, sprich, die Nacht mit einer schwarzen Frau, ist er bereit, seinen Aufruf zum Mord an Monostatos noch einmal zu überdenken. Zu wünsche wäre, dass die Salzburger Wiederentdeckung von Winters „Zauberflöte“ nicht – wie die letzte Aufführung 2002 in Chemnitz – einfach verpufft. Dem Aufführungsrekord der Mozart’schen Erstversion schadet es nicht, wird hin und wieder an einem Opernhaus die Fortsetzung gespielt.

Infos zum Salzburger Spielplan: http://www.salzburgerfestspiele.at

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Über Werner Häußner

Redakteur, Musikkritiker, schreibt u.a. für WAZ (Essen), Die Tagespost (Würzburg), Der Neue Merker (Wien) und das Online-Magazin www.kunstmarkt.com.
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2 Antworten zu Festspiel-Passagen VII: Salzburg – Mit der Zauberflöte ins Labyrinth

  1. Günter Landsberger sagt:

    Auch das (wie immer kostenlos besuchbare) diesjährige Stück des Salzburger Straßentheaters war durchaus wieder einen Besuch wert. Es wurde G. B. Shaws „Pygmalion“ gegeben. Eliza sprach zunächst ganz gschert, ehe sie in professoraler Anleitung ein künstliches Hochdeutsch erlernte.

  2. Günter Landsberger sagt:

    Wohl berechtigte Kritik. – Indessen waren andere und ich klug genug, sich von vornherein nur das in Salzburg anzusehen und anzuhören, woran man sich vorhersehbar nun auf Dauer gut und sehr gerne erinnern kann. Als da waren: Kleists „Der Prinz von Homburg“ in der Inszenierung von Andrea Breth, Bernd Alois Zimmermanns „Die Soldaten“ unter dem Dirigat Ingo Metzmachers. Und schließlich Konzerte: das sehr preiswerte mit dem Zimmermann-Trio (Schubert, Schönberg, Mozart, Beethoven), das auch kaum teurere mit den Bläsern der Wiener Philharmoniker (Berg, Mozart …) und eine Generalprobe der Wiener Philharmoniker unter dem Dirigat R. Mutis.

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