Von Bernd Berke
Er zählt – neben Käthe Kollwitz – zu den populärsten deutschen Künstlern unseres Jahrhunderts: Ernst Barlach, der vor 50 Jahren, am 24. Oktober 1938 in Rostock starb. Kein anderer Bildhauer hat den Wartezustand des Menschen zwischen irdischer Drangsal und inständiger Sehnsucht nach einern „höheren“ Dasein so gültig dargestellt. „Ich habe keinen Gott, aber Gott hat mich“, bekannte Barlach einmal.
Tucholsky und sogar Brecht priesen ihn, Alfred Andersch hat ihm in „Sansibar oder der letzte Grund“ ein literarisches Denkmal gesetzt: Barlachs „Lesender Klosterschüler“ wird in diesem Roman zur Kristallisationsfigur des beharrlichen Widerstandes gegen die Nazi-Diktatur. Barlach selbst hat die Infamie der NS-Machthaber bitter erfahren. Anfangs „geduldet“, gehörte auch er bald zu den als „entartet“ verfemten Künstlern. Allerdings hat er sich damals nicht sehr entschieden verhalten; er zog sich in die innere Emigration“ zurück und verließ auch nicht – wie viele andere – 1933, sondem erst 1937, als er gedrängt wurde, die „Preußische Akademie“.
Am 2. Januar 1870 wurde Barlach in Wedel/Holstein geboren. Nach Jugendjahren in Ratzeburg (wo er begraben liegt) besuchte er Kunstschulen und Akademien in Hamburg, Dresden und Paris. 1906 bereiste er Südrußland und war tief beeindruckt vom Leben der einfachen Menschen in der grenzenlos weiten Landschaft. Das Rußland-Erlebnis prägte entscheidend Barlachs reifen Stil, den man am besten in Kontrasten beschreibt: Keine rauhen oder aufgesplitterten Formen, sondern Ebenmaß und Geschlossenheit; keine antikisierende Nacktheit, sondern in „gotischer Strenge“ verhüllte Figuren; innig-wesenhafte Gebärden des Schauens, Schreitens, Betens, Klagens.
1910 zog sich Barlach, zeitlebens ein Einzelgänger, aus Berlin ins abgeschiedene Güstrow (Mecklenburg) zurück, wo er sich ganz seinem Schaffen widmete. Der Dom zu Güstrow birgt noch heute seinen berühmten „Schwebenden Engel“ aus Bronze.
„Der Berserker“, „Der Zweifler“, „Der Träumer“ – solche Titel lassen auch Seelenzustände des Künstlers ahnen. Von schmerzlicher Dramatik, die freilich durch Formgebung ins Allgemeine überhöht und gleichsam „beherrscht“ wird, zeugen auch Arbeiten wie „Panischer Schrecken“ oder „Der Rächer“.
„Dramatik“ – damit sind wir bei Barlachs zweiter großer Begabung. Seine Theaterstücke (z. B.: „Der blaue Boll“, „Die echten Sedemunds“) gelten jedoch als äußerst „schwere Brocken“. Die sprachlich bis zum Bersten befrachteten Texte sind nur bedingt bühnentauglich.
Bevor der Regisseur Jürgen Fehling Barlachs Stücke dennoch durchsetzte, wagte sich 1921 Leopold Jessner an „Die echten Sedemunds“. Entsetzt flüchtete Barlach damals aus dem Theater. Jessner hatte ein drangvolles Expressionisten-Stück inszeniert. Barlach, sehr zu seinem Leidwesen oft dieser Kunstrichtung zugeordnet: „Das ist kein Stück von mir, das ist ein Stück von Jessner.“ Die Enttäuschung hielt vor: Nie wieder hat Barlach eine Inszenierung seiner Stücke gesehen.
Bis zum 18. Dezember sind über 200 Barlach-Arbeiten auf Schloß Cappenberg zu sehen.
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(erschienen in der Wochenend-Beilage der Westfälischen Rundschau)